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Abschied vom Schnee

Weißer Zauber, der vom Himmel schwebt.

Hervorragendes Baumaterial:

Man kann mit Schnee Iglus bauen

und Schneemänner.

Als Flocke wirkt er noch unentschlossen,

sucht noch nicht den Gruppenzusammenschluss,

will sich noch nicht verbünden,

genießt seine vorläufige Freiheit,

seine Ungebundenheit.

Tut so, als habe die Schwerkraft

ihm nichts zu befehlen.

 

Bis er dann pappig und grau,

niedergedrückt auf dem Asphalt hockt.

Leidensweg des Schnees.

Weißheit sich bewahren im Dreck der Welt.

Mag sein, er ist ein Himmelsbote.

Hölle wäre wohl kein Aufenthaltsort für ihn.

Schnee fühlt sich

bei kühleren Raumtemperaturen wohler.

 

Nun bleibt er aus, schickt seine Stellvertreter:

Graupel, Nieselregen, Hagel.

Hagelt aber keine Vorwürfe.

Als Kind hat man es nur

mit den Vorteilen des Schnees zu tun.

Er ist ein Freund – und in Form eines Schneemannes

ein Geschöpf, das man selbst geformt hat.

 

Auf der Terrasse einen Iglu bauen.

Exotisch. Schutz durch das, was einen bedroht.

Man presst den Schnee zusammen –

hat eine Waffe für die Schneeballschlacht.

Viel Urtümliches kommt da zutage.

Geborgenheit des Iglus.

 

Im Sommer haben wir

aus Decken und Wäscheklammern Höhlen gebaut.

Am Zaun befestigt, eine Welt für sich.

Der Bau eines Iglus ist aufwendiger.

Im Grunde völlig sinnlos.

Aber der Schnee schien einen herauszufordern.

"Mach was aus mir! Soll ich hier nur so rumliegen?

Völlig ungenutzt? Okay, Ihr schaufelt mich zur Seite.

Da lieg ich dann an den Straßenrändern,

hoch aufgetürmt.

Bin im Grunde aber eine Blockade,

fühle mich unerwünscht.

Hier aber, bei Euch, könnte ich wertvoll sein.

Mach aus mir eine Erinnerung,

ein unvergessliches Erlebnis.

Bau ein Iglu!" So raunt er dann.

 

Es ist wohl seine Sorge, dass nach seinem Auftauen

wenig Rühmliches von ihm übrigbleibt.

Noch Ungestaltetes.

Locker, flockig genügt ihm nicht.

Man sehnt sich nach Form, Eingebundensein

in eine neue Ganzheit.

 

Eine recht fragwürdige Konstruktion.

Aber er beschwert sich nicht.

So ganz ohne Bauplan sieht das Iglu schräg aus.

Aber man traut sich herein.

Tollkühne Höhlenbewohner.

Sicher vor Tiger und Co.

Aber vermutlich würde schon ein kecker Hase

das zum Einsturz bringen.

 

Die Gitarre friert, wird dennoch ins Iglu verfrachtet.

Höhlenmusik ist was ganz anderes als Hausmusik.

Man ist ein Gestalter, ein Konstrukteur.

Eine Kuppel gebaut –

nicht ganz so weit wie die Himmelskuppel,

aber vermutlich solider –

auch wenn es Firmament heißt,

so kennt man dennoch nicht die Baufirma.

Selbstgebaute Himmel mögen nicht ganz so perfekt sein,

aber es stecken eigene Fantasie

und eigene Anstrengung darin.

Man sollte firm darin sein:

Übung macht den Meister.

Allerdings habe ich bisher erst ein Iglu gebaut.

Sah auch aus wie eine Sonderanfertigung.

Vermutlich nicht vermarktungsfähig.

Aber dem Schnee hat's gefallen,

er war nicht umsonst gefallen.

Man hat ihn in etwas Dauerhaftes verwandelt:

eine schöne Erinnerung.

 

Aber auch der Schnee auf den Treppen wurde genutzt:

wunderbare Skipiste im Garten.

Ohne Stöcker und ohne Sinn und Verstand.

Kein Affe hätte sich daraufgestellt –

aber mit Affenzahn hinab.

Die Treppe fühlte sich wie eine Sprungschanze.

Die Berge hielten das später für einen Treppenwitz.

Aber man war vorbreitet – ein Treppenskifahrer.

Schnee ebnet den Weg.

 

Man könnte sogar den Schneemännern

das Skifahren beibringen.

Aber mit dem Wedeln klappt das nicht so gut,

etwa steif in den Beinen,

dabei sind sie in ihrem Element.

Sie bevorzugen die Roll-Technik.

Ich mitunter auch: Wenn man sich verwedelt hat,

ist man direkt dankbar für einen Baum,

der einen aufhält auf seine ruppig-charmante Art.

Die Skier bleiben nicht immer bei Fuß,

sie sind irgendwie Tal-süchtig,

robben bei jeder Gelegenheit weg.

 

Heute braucht man Schneekanonen –

so eine Art Deko-Schnee,

als ob die Natur sich verausgabt hätte.

"Mit Schneekanonen auf Spatzenhirne schießen",

so kommt ihr das vor.

"Ist das Klima Eure Geisel?"

Abschied vom Schnee.

Er war nie sonderlich nützlich,

hat sich nie hervorgetan durch sinnige Taten.

Autofahrer bescheinigten dem Schnee

eine schwarze Seele. Das weiß er auch.

Hat man ihn in eine Sinnkrise gestürzt?

Hinterfragt er sein Image, seine Funktion?

Er war nie Gold wert,

als Schneemann allenfalls goldig –

aber er hat eine zweite Chance verdient.

Man sollte ihn nicht abschreiben.

Natur wird mit uns Schlitten fahren.

Wird aber nicht ganz so spaßig.

 

Der Schnee verpulvert nicht mehr seine Energie an uns.

Anderer Schnee macht die Runde.

Flucht in Illusions-Welten.

Schlitterpartie.

Total Tal-süchtig.

White Powder – darauf fährt man ab.

 

Wieso kann man sich

für den Schnee aus der Erinnerung erwärmen?

Er ist Schnee von gestern –

aber in ihm steckt ein erhebliches Maß an Lebensfreude.

Von allen Wetterphänomenen ist er der Coolste.

Schnee – bald so unwirklich wie der Schneemensch.

 

Ein Gedicht als Abgesang.

Frau Holle geht in Rente.

Vielleicht sitzt der Yeti bei ihr?

Und ein paar Schneemänner –

mag sein, dass ich einige von ihnen gebaut habe.

 

ENDE

 

Foto 1

 

Ramsau/Dachstein 1987

 

Foto 2

 

In gutem Einvernehmen mit Eisbären

 

Impressum

Cover: https://pixabay.com/de/photos/iglu-schnee-haus-landschaft-eis-1114042/
Tag der Veröffentlichung: 03.01.2021

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