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Herbst trifft auf Halloween

Die Blätter hält es nicht mehr am Ast,

sagen Servus zum Baum.

Manche träumen noch vor sich hin,

haben gar nicht mitbekommen,

dass ihr Job hier erledigt ist.

November ist der große Entlauber.

 

An Halloween das höhnische Grinsen

der Kürbisse – Herolde des Schreckens.

Die Jahres-Ampel steht nicht so auf Grün.

Rote Karte für das Laub.

Nur die Nadeln ignorieren wieder mal

die Gebote der Stunde.

Ein Sonderfall.

Nur Blatt für Blatt fällt –

manche unentschlossen.

Dem Baum wird mulmig – alles kahl;

er hätte gern eine andere Frisur.

Manche machen aus dem Entblättern eine Show.

 

Die Bäume würden auch gerne

von Tür zu Tür gehen, sich Dünger erbetteln.

Aber Bäume feiern kein Halloween –

allerdings sind die Tannenbäume

gelegentlich zum Weihnachtsfest eingeladen;

sie kommen nur immer ziemlich lädiert wieder raus.

Die gute Stube entpuppt sich

als Nadel-Horror-Show.

 

Der Wind spielt mit den Blättern –

so kommt sich selbst der Windhauch mächtig vor.

Manche Blätter sind fest entschlossen,

auf 'nen richtigen Sturm zu warten –

vorher geben sie nicht klein bei.

Sie klammern sich an ihre Existenz.

Die Geräte aus dem Baumarkt

können es kaum erwarten –

allen voran die Laubbläser – Jagdsaison!

Blätterjagd!

Die Blätter verstecken sich

hinter großen Steinen;

manche verbünden sich,

gehen zum Angriff über.

Stürzen sich auf Windschutzscheiben –

legen sich mit dem Scheibenwischer an.

 

Sie sind nicht mehr gebunden,

doch wo ist nun ihr Platz?

Man bescheinigt ihnen einen morbiden Reiz.

Natur schmückt sich mit Dekadenz.

Halloween liegt in der Luft;

ein Abgesang auf das Sein.

Man zieht es ein.

Odeur des Niedergangs.

Dem Menschen ist nicht nur herbstlich,

die Winterseele meldet sich.

Einige Seelensplitter

ziehen bereits in den Süden.

 

Blätter werden zu Zombie-Laub,

torkeln durch die Gassen.

Passt zu Halloween –

doch ist es keine Verkleidung –

sie sind ziemlich fertig.

Man sollte sich noch was erlauben,

kein Baum, den man um Erlaubnis fragen muss,

man ist sein eigener Chef –

und so tanzen die Blätter verzweifelt –

einen allerletzten Reigen.

Bordsteinkante wird zum Tanzcafé.

Selbstversunken, fast meditativ.

Blatt-Yoga.

 

Dem Herbst läuft eine Träne übers Gesicht –

aber vermutlich ist es nur ein Schauer.

Er hat keine Zuschauer –

man steckt in Vorbereitungen, man shoppt –

das Jahr fliegt vorbei.

Einkaufstüten in beiden Händen –

und dann muss man auch noch

die Beine in die Hand nehmen.

Volles Programm.

Die Blätter machen gelegentlich

einen Wettlauf mit uns –

aber wir kriegen das meist nicht mit.

Man trainiert seine Eilfertigkeit.

Botmäßig sein – haben wir schon ganz gut drauf.

 

Die Blätter machen sich gerne was vor:

Der Wind wirbelt sie hoch –

und sie verkünden stolz:

"Das Blatt hat sich gewendet!"

Man kann so tun, als sei man derjenige,

der was bewegt – aber Akteur ist das Schicksal.

Es lässt uns zig Botengänge machen,

schickt uns ins Verderben oder zum Supermarkt.

"Alles keine Schikane", beteuert es.

Auch die schicke Herbstmode

tröstet nicht darüber hinweg,

dass modern und modern Schreib-Zwillinge sind.

Das Moderne wird unablässig eingeholt

von seinem bösen Zwilling:

modernde Zeit – wie modernde Bücher.

Im Grunde ist man nur ein Leser seines Lebens.

Hat man eine Zeile selbst geschrieben?

Seltsames Blattwerk –

kommt einem mitunter fremd vor.

 

Wie ist dem Weltenbaum im Herbst?

Verliert seine Blätter.

Man war ein Blatt.

Ist einerseits ein Privileg –

man war dabei,

aber etwas beschämend ist es schon,

nur Laub zu sein.

Doch auch der Glaube steckt voller Laub.

 

ENDE

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 23.10.2020

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