Der Verstand votet für 'ne Diät,
der Appetit will noch 'ne Kleinigkeit essen;
der Hunger drängt sich nach 'ner Weile vor,
und fragt, ob denn hier alle bekloppt seien.
Vom Fasten-Schnickschnack dreht er immer durch.
Man beruhigt ihn wieder – mit viel Selter.
Füllt den Magen –
doch der fängt auch an, sich zu beklagen.
Er hat Angst, dass man ihn nicht mehr braucht.
Man steht erstaunlich oft vorm Kühlschrank rum –
ganz unverbindlich.
Dem wird warm, denn man reißt die Kühlschranktür
im Minuten-Takt auf.
Die Lebensmittel fragen,
ob man sie nun nicht bald essen wolle,
besser würden sie auch nicht.
Man vertröstet sie auf nächste Woche,
hat sich da aber bereits
die Hälfte von ihnen schon einverleibt.
Eindeutig: Die Evolution und die Gene wollen nicht,
dass man fastet.
Sympathie-Gewinn für kaum beachtete Lebensmittel –
sie gelten plötzlich als lecker –
fast alles bekommt den Stempel 'lecker' aufgedrückt.
Erstaunlich, was man so alles verdrückt.
Hat man das Konzept der Diät nicht verstanden?
Was sich da alles auf den Teller schleicht.
Man lebt von der Hand in den Mund –
und das recht flott.
Esssitten fallen unter den Tisch.
Was sollen sie dort inmitten der Krümel?
Man umkreist die Obstschale.
Die rückt von einem ab,
ihr ist das unheimlich.
Der Hunger interessiert sich plötzlich für
essbare Kleidung;
er hat da mal was
von einem sehr leckeren Hungertuch gehört.
Man lenkt sich ab mit entspannender Meditation.
Das nutzt der Hunger
und sendet sofort seine SOS-Bilder:
Kuchenlandschaften, Konditorei-Orgien.
Sollte man den Sender wechseln?
Sie könnten eigentlich davon 'ne Fortsetzung drehen.
Hoch auf dem gelben Käse ...
Aber der Magen, der grollt.
Man hat es ja so gewollt.
Noch Wochen diäten.
Man würde zum Freak im Supermarkt,
kein Lebensmittel wäre vor einem sicher;
man würde es nicht bis zur Kasse schaffen;
man funktioniert den Körper um zum Einkaufswagen,
packt da allerhand hinein;
viel mehr, als zulässig ist.
Und das Tolle dabei ist:
Es gilt alles als Mundraub;
durchaus legal.
Man mutiert zum Diät-Zombie;
trifft auf seinesgleichen.
Der Bäcker schließt vorsorglich das Geschäft,
aber man ist schon drin;
man bedient sich
an den schutzlos daliegenden Brötchen.
Ein Franzbrötchen will sich mutig
für alle anderen opfern ...
Alles meine Laib-Eigenen.
Ich mache an diesem Tag viele Gefangene.
Durchaus schnittige Helden –
ich habe alle Achtung vor dem Brot,
von dem kann ich mir eine Scheibe abschneiden.
Backwaren – meine neue Religion,
ich bekenne mich dazu,
ich knie vor ihnen nieder –
auch weil mich der Bäcker
und ein Polizist dazu zwingen.
Aber schnell noch ein bisschen
Marschverpflegung eingesteckt.
Der Polizist nimmt sich auch was.
"Unser täglich Brot gib uns heute" –
davon hat die Diät wohl noch nie was gehört?
Es stellt sich heraus,
dass der Polizist auch gerade auf Diät ist;
gemeinsames Leid verbindet.
Die Croissants-Restbestände
werden brüderlich geteilt.
Auf zum Schlachter –
die ideale Nahrungsbeschaffungsquelle
für den Diät-Zombie in Ausbildung.
Ohne Schlachtplan ins Geschäft;
man hätte einen Grill mitnehmen sollen;
muss aber auch so gehen.
Unerfahrene Kunden stellen sich mir in den Weg;
sie meinen, ich sei noch nicht an der Reihe.
Ein Diät-Ausweis wäre praktisch,
hätte die Situation entdramatisiert.
Ich sage nur
"Dies ist ein Notfall, es geht um die Wurst" –
aber vermutlich bin ich nicht zu verstehen,
da ich wie ein Backenhörnchen aussehe,
das Mumps hat.
Man soll ja ohnehin nicht mit vollem Mund sprechen.
"Futtern wie ein Scheunendrescher"
bekommt jetzt endlich einen entsprechenden Kontext.
Wobei den Schlachter der Wunsch überkommt,
mich zu verdreschen.
Jeder hat so seine Wünsche.
"Käse schließt den Magen",
obwohl der ganz enttäuscht ist,
dass schon Feierabend sein soll.
"Besuch beim Fischhändler", schlägt er vor.
Der Schlachter findet die Idee gut –
und schiebt mich aus seinem Geschäft.
Einige Kunden müssen ihm helfen,
da ich renitenter bin, als ich es von mir kenne.
Aber viel ist hier ohnehin nicht mehr zu holen.
Man soll gehen, wenn's am schönsten ist.
Auf zum Fischhändler!
Vorher noch einen Sprung zum Getränkemarkt.
Fisch will schwimmen.
Was bieten wir ihm da an?
Ich frage den Verkäufer –
und betone, dass der Fisch
da nicht allein im Magen sein wird;
da tummelt sich schon so einiges;
er hört mir interessiert zu –
und wählt dann den Notruf.
Diät-Zombies werden immer mehr ausgegrenzt.
Der Bärenhunger macht Winterschlaf;
jetzt kann sich mein Verstand mal wieder melden;
er sieht das Chaos
und bereitet eine armselige Entschuldigung vor;
er muss das Chaos hinterher immer wieder aufräumen;
er ist das so leid.
Ich finde, ich mache gute Fortschritte
bei meiner Diät,
auch wenn die Waage
mir unhöflicherweise andauernd widerspricht.
Was weiß die schon?
Fürs Fasten braucht man einen starken Charakter –
und den stärkt man,
indem man sich Versuchungen aussetzt.
Fernab des Essens – das kann ja jeder;
aber inmitten all der Versuchungen
standhaft zu bleiben –
das vermag nur ein Diät-Zombie mit Abschlussexamen.
Ein guter Grund, das Fischgeschäft zu betreten;
ich erklär auch gleich mein Anliegen,
indem ich den Kopf in diverse Aquarien stecke,
mich nach dem Gesundheitszustand
der Karpfen und Forellen erkundige.
Ich kann tatsächlich Fischisch;
die Forellen verstehen mich hervorragend.
Ich frage sie, welche Soße sie bevorzugen.
Diäten ist anstrengend.
In dem Moment, wo die Diät beginnt,
verwandelt sich die Welt in ein Schlaraffenland.
Man sieht sie mit anderen Augen.
Ich will nicht gerade sagen "Verfressen",
aber einem ist noch nie aufgefallen,
wie viele wunderbare Futterstationen
dieser Planet zu bieten hat.
Alles kann ein Schnellimbiss sein ...
Der Diät-Zombie ist nicht gerade wählerisch.
Abstinenz erhöht den Reiz der Sachen.
Sich der Welt enthalten,
um sie wieder fantastisch zu finden.
Ein einfacher Snack
ist plötzlich mit Gold kaum aufzuwiegen.
Ein Kuchenstück wird in den Ritterstand erhoben.
Ehrfürchtigkeit vor den Kalorien.
Man fällt vor ihnen auf die Knie –
z. B. vorm Snack-Automaten –
eine Stätte der Erleuchtung;
Schokoriegel als Antwort auf alle Fragen des Lebens.
Entbehrung verschafft einem Klarheit.
Was will ich wirklich im Leben?
Man sollte den Göttern Schokoriegel opfern –
Snickers und Mars –,
damit macht man sich bestimmt lieb Kind.
Weihrauch macht doch nicht satt!
Was ist mit den höheren Weihen?
Fingerfood stört beim Beten.
Aber man kann es unmöglich jetzt aus der Hand legen.
Man kann in der Wüste fasten –
aber mit einem Picknickkorb
ist das alles viel gemütlicher.
Die Weisheit wird einen schon einholen.
Was darf man ihr anbieten?
Vielleicht ist Langeweile
so etwas wie Fasten für den Geist?
Man hat plötzlich Appetit auf Weltwissen,
findet alles interessant.
Die Welt von sich wegschieben,
mentales Fasten.
Man findet, dass die Welt
doch ein hochinteressanter Laden ist.
Man stürmt hinein, erfasst vom Welthunger.
Neugierde als Voraussetzung zum Lernen,
Lern-Hunger.
Ein Weisheits-Jäger –
was den Gesättigten zuweilen etwas skurril erscheint.
Natürlich ist es leicht, das Fasten zu loben,
wenn man jederzeit die Möglichkeit hat,
es zu beenden.
Freiwilligkeit muss mit im Team sein,
dann wird das ein phänomenales Abenteuer.
ENDE
Tag der Veröffentlichung: 11.07.2020
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