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Teure Sätze

Bei manchen Sätzen wird es richtig teuer. Beleidigungen beispielsweise. "Dir hat die Sonne wohl das Gehirn verbrannt!", ist vergleichsweise günstig. "Mit 600 EUR ist man dabei", meint der Richter. Mithalten, sich von den teuren Folgekosten nicht den Tag verderben lassen. Derbe Sprüche raushauen. "Leck mich doch!" Wobei "Fieses Miststück" schon echter Luxus ist. 2500 EUR muss man dafür löhnen. Lohnt das? Oder man zeigt sich zuversichtlich. "Gib mal her, ich kann das." Mit nicht unerheblichen Folgekosten, da man sich in solchen Situationen meist verkalkuliert. Schenkelklopfer für das Schicksal; es amüsiert sich prächtig über unsere Unbeholfenheit. "Jetzt wird das aber richtig teuer", denkt es sich noch, in stiller Vorfreude. Die Hybris in den Alltag einbauen, integrieren. Maßlose Selbstüberschätzung auch im Gespräch mit dem ortsansässigen Gangster. "Verpiss Dich mit Deinen Cheerleaderinnen!" Vielleicht hat er ja Humor? Aber wohl eher nicht. Dem Chef entgegenpfeffern: "Kein Bock. Darum kümmer ich mich irgendwann mal", verursacht zunächst einmal einen Knick in der Karriere. Knigge als Maßstab ist auf Dauer aber ungeheuer langweilig.

Als Lottomillionär sagen sich solche Sätze dann leicht wie: "Klar komme ich mit zum Shoppen." Andere können da einpacken. Da schmilzt das Vermögen schneller als der Schnee auf dem Grill. Wo ist das Urteilsvermögen, wenn man es mal braucht? Soll man sich das Teure leisten? Fortunas Geduldsvermögen testen? Oder sollte man ihr zuweilen den Stinkefinger zeigen? Sie wird mit der Scheibenwischer-Geste antworten. Sich mit ihr anzulegen, davor hat's den Menschen immer gegraut. Man schützt sich, so gut man kann, mit Ritualen; Amulette nur in schwierigen Fällen. Man will Fortuna bei Laune halten.

Es gibt teure Briefmarken-Sätze, teure Winterreifen-Sätze. Manche Sätze sind einem aber auch deswegen teuer, weil man sich gerne an sie erinnert. Sie geben einem Kraft, die haben einen ganz besonderen Platz in der Erinnerungs-Vitrine. Man könnte sie auch in einen Tempel stellen – und bei Prozessionen wie einen Kult-Gegenstand dem staunenden Bewusstsein zeigen. Es zeigt sich immer wieder beeindruckt. "Ich liebe Dich", ist da der Klassiker. Man sollte seiner Liebsten aber nicht mit solchen Sätzen kommen wie: "Jetzt komm mal wieder runter!" Danach wird sie nur umso bereitwilliger die Wände hochgehen; wahlweise auch eine Palme. Ihr zur Versöhnung einen Dreier mit ihrer besten Freundin in Aussicht zu stellen, versöhnt sie überraschenderweise meist nicht. "Zick doch nicht so rum", im weiteren Verlauf des doch sehr lebendigen Gesprächs zu sagen, wäre dann des Guten eindeutig zu viel. "Und auf die Frage "Bin ich zu dick?" mit einem leichten Zögern zu antworten, hätte enorme Explosivkraft. Als hätte sie vorher Berserker und Dragoner unterrichtet ... Sie macht gleich weiter und gibt uns eine kostenlose Lehrstunde im Benimm. Sich keinesfalls beschweren mit "Ist das anstrengend mit Dir!". Irgendwann bereut man seine Antwort "Ja, ich will".

Man kommt zum Schluss: Ehe ist nur etwas für Ehe-Therapeuten – die verdienen ein Vermögen mit dem Unvermögen sich kabbelnder und nicht kopulierender Paare. Später ist man dann wirklich unvermögend. Den schnöden Mammon hatte man doch irgendwie gern. Aber wer hat schon vollendete Umgangsformen? Meist zeigt man so viel Entgegenkommen wie ein Geisterfahrer. Man vergisst die Politesse, wenn man auf eine Politesse trifft, der man am liebsten eine Beleidigung aus der 2000-Euro-Liga spendieren würde. Das geht ins Geld. Wie gesagt, das ist echt was nur für feine Leute; andere müssen sich mit halblauten Beschimpfungen begnügen, die mit einem Hüsteln geschickt so verpackt werden, dass der Empfänger gar nicht genau weiß, was da nun konkret drin ist, es aber ahnt.

Auch Gesten lassen sich gut kaschieren. Das 'Einen Vogel zeigen' in Kopfkratzen übergehen lassen, so dass derjenige gar nicht genau weiß, was er da eigentlich gesehen hat; obwohl es sich dabei vermutlich um einen stattlichen Vogel in Adlergröße gehandelt hat. Wenn der andere sich erkundigt "Bei Dir piept's wohl?!", dann antwortet man auf gute Alman-Art "Anzeige ist raus!". Vorsicht ist geboten, wenn der kurzsichtige Beifahrer sagt "Rechts ist frei". Freie Fahrt für freie Bürger – aber nur, wenn der LKW dem zustimmt. Sonst findet man sich in der Sammlung der beliebtesten Crashs bei YouTube wieder.

Wie gern hört man als Spaziergänger oder Jogger die beruhigende, kernige Aussage "Der will nur spielen"? Aber wieso ist man ein Spielzeug? Ein Kauknochen? Man will da gar nicht mitspielen. Man könnte zu ihm sagen "Jetzt kommt mal wieder runter!", aber der nette Hund nimmt nur Befehle von Herrchen an. Herrchen jetzt zu beschimpfen, ist wohl nicht der richtige Zeitpunkt, aber umständehalber haut man ihm eine rein; sich heute mal keine Zurückhaltung auferlegen. Okay, man sollte sich selber öfters einen Maulkorb anlegen; man sagt so viel Unüberlegtes. Schlagkräftige Argumente – vom Gefühl in die Fäuste diktiert. Beschimpfen ist ein teurer Sport. Die Zivilisation schätzt gute Umgangsformen des Bürgers. Ausfallend werden bitte nur in Ausnahmefällen. Peinlich, wenn der Höflichkeits-Modus Aussetzer hat, ausfällt. An seiner Sozialverträglichkeit arbeiten.

Gott meinte ja "Macht Euch die Erde untertan!" – aber Natur will noch nicht so recht; wie ein übermächtiger Wrestler stemmt sie sich gegen unsere beherzten Versuche, sie endlich auf die Matte zu zwingen. Natur ist ein Dickschädel. Wenn sie nicht mitspielt, suchen wir uns einen anderen Planeten. Im Grunde ist uns die Erde teuer; wir behandeln sie zuweilen aber wie ein billiges Flittchen. Wir sollten uns mit der Erde alle erdenkliche Mühe geben.

 

ENDE

 

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Tag der Veröffentlichung: 25.05.2020

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