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Filmzitate

Filmzitate sind toll – selbst ganz normale Sätze erhalten so die Chance, als außergewöhnlich zu gelten. Satzbrocken hämmern sich ins kollektive Gedächtnis. "Ich denke, das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft." Jahrtausendelang musste die Menschheit ohne Filmzitate auskommen, jetzt aber haben wir ein großes Reservoir an Sprüchen, die wir raushauen können, wann immer uns danach ist. Redensarten wirken da eher bieder; die eindeutig uncoolere Variante. Filmzitate haben den Vorteil, dass man eine konkrete Situation mit ihnen verbindet – man transferiert also gewissermaßen die gesamte Situation – als ob man Baum samt Wurzelwerk und Erdballen verpflanzen würde. "Make my day!" Sie beherrschen das ganze Repertoire: weise, witzig, kalauernd, kultig, cool, absurd. Für jeden ist was dabei. Und indem man das Filmzitat verwendet, mogelt man sich gewissermaßen selbst in den Film – man mischt die Filmszene in die Realität – es überlagert sich. Klappt am besten, wenn die Anwesenden den Film kennen und jeder weiß, was gemeint ist. Filme verbinden; man hat ein Gesprächsthema. Man könnte sich den ganzen Tag lang behelfen mit Filmzitaten; sich durch den Tag hangeln mit Filmzitaten; nach ihnen greifen wie Tarzan nach einer Liane. Man kann das auch ausarten lassen – und sich dafür entscheiden, sich nur noch über Filmfiguren zu definieren; in Anlehnung an ... Charakter gestaltet mit Mithilfe von diversen Film- und Serien-Helden. Wie authentisch ist man noch im 'Binge Watching'-Zeitalter? Total-Identifikation abgeschlossen nach 6 Staffeln in einem Rutsch? Hat was von Gehirnwäsche; aber nicht im Schongang. "Ich sehe tote Menschen", heißt es bei 'The Sixth Sense'. Im Grunde sind die Filmhelden ebenfalls tot, jedenfalls waren sie nie im Real Life als lebendig gemeldet. Sie sind allesamt eine Nummer größer, perfekter, witziger als das, was man im Real Life so vorfindet, besonders, wenn man in den Spiegel schaut. Da kann man mit Filmzitaten nachhelfen – gewissermaßen ein Cosplay für die Seele – sich psychisch hineinfinden in die Hollywood-Blockbuster. "Ich nehme nur einen Drink, Wodka Martini, geschüttelt, nicht gerührt." Klare Ansage, der Mann weiß, was er will. Man könnte einen ähnlichen Geschmack entwickeln wie die Vorbilder. Ist das nun Selbstverleugnung oder ist man ein Bildhauer, der das Selbst nach Vorgabe so fertigt, dass es den Filmhelden bestmöglich entspricht? Man erkennt sich auf Anhieb. Man ist ein Serien-Klon. Ab wann fängt ein Vorbild an, lästig zu sein? Filmheld als Mentor, der davon gar nichts weiß. Ist man letztlich selbst nur noch ein Filmzitat? Alles Individuelle rausgepresst – eine Hülle, zu füllen mit dem Besten, was Hollywood zu bieten hat? Hollywood-Ingredienzien? "Flieht, Ihr Narren!", würde Gandalf uns zurufen. Filme als Monster, die das Selbst ausradieren, weil es einem plötzlich wie ein Fehler vorkommt? Tipp-Ex genügt da nicht? Wie soll man mithalten mit der Hollywood-Großartigkeit? Ist man aufgefordert, sich denen irgendwie anzugleichen? Man kauft eifrig Markenklamotten; hört auf das, was der letzte Schrei ist. Zimmert Heiligenschreine, betet zu den Göttern aus Zelluloid. Filmzitate wären dann so etwas wie ein Gebet – oder Rosenkranz-Rituale. "Hüte Dich vor der dunklen Seite der Macht", würde Obi-Wan Kenobi sagen. Vielleicht machen wir es Filmzitaten zu leicht? Ist man so leicht zu beeindrucken? Vermutlich treffen sie einen Nerv – man hat Bedarf an Coolness frei Haus. Selbst wenn man zu Höchstform aufläuft, ist man nie wirklich kultig. Und die Retourkuschen aus eigener Fabrikation sind nicht ganz so eindrucksvoll wie die aus der Traumfabrik. Man müsste sein eigener Drehbuchautor sein, aber die Seele will das nicht, sie hat da ganz andere Qualitäts-Ansprüche. Meistens ist man albern, zu zynisch ... Filme überfordern einen; ständig wollen sie was von einem. "Carpe Diem! Nutze den Tag! Macht etwas Außergewöhnliches aus Eurem Leben, da es vergänglich ist!" Jaja, schon gut; man ballert sich Filmzitate rein, hangelt sich an ihnen längs, nutzt die schon längst als Ersatz für die Lebensweisheiten aus anno dazumal. Wirklich hilfreich sind sie nicht – man fühlt sich eine Weile motiviert – plötzlich schmecken sie wie ein Kaugummi, das man zu lange im Mund hatte. Man kaut darauf herum – wie ein Kauknochen, der nicht satt macht. Aber vielleicht träumen Weisheiten davon, in Filmzitate verpackt zu werden? Es macht sie legendär. Man kommt auf den Punkt. Ein Konzentrat. Unvergänglich. Wunderbar. Filmzitate dringen tief vor in unsere Seele; sie erreichen Bereiche, dahin kommen normale Sätze nicht; ist ihnen vorbehalten; ein Privileg. Scheinbar mühelos übertreffen Filme jedes Romantik-Level im Real Life. Das kann da nicht mithalten. "Liebe bedeutet, niemals um Verzeihung bitten zu müssen." Das ist schön formuliert. Wie soll man das toppen? "Du vervollständigst mich!" Wenn man sich solche Sprüche ausleiht für eigene Dates, dann wirkt das, als hätte man Blumen aus dem Park geklaut; sie gehören einem nicht. Dennoch kommt es vor, dass Filme andere Filme zitieren. Im Grunde sind Gene auch ein Zitat – das Leben zitiert sich selbst, greift zurück auf schon Vorhandenes. Das Leben als Zitatensammlung. "Es ist ganz egal, ob er perfekt ist oder ob sie perfekt ist, solange sie perfekt füreinander sind." Auch sehr romantisch. Es sind keine wissenschaftlichen Thesen, man ist nicht aufgerufen, sie zu falsifizieren, sie zu widerlegen. Man hat auch das Gefühl, man zerstört etwas von ihrem Zauber, wenn man solche Sätze unter die Lupe nimmt. Als ob man einen Schmetterling zerpflücken würde, um ihn unterm Mikroskop besser betrachten zu können. Filmzitate wirken als Gesamt-Paket – die zugehörige Szene ist stets dabei, sie liefert den Kontext. Das nimmt ihnen etwas von ihrer Flexibilität. Filmzitate ähneln Lieblingsmelodien. Man verinnerlicht das, die Wiederholung wirkt wie ein Mantra. Sie werden zu einem Teil von einem. Man hat das Gefühl, sie komplettieren einen. Die Filmszenen sind abrufbar, man fühlt sich hineinversetzt. Als ob man andere Versionen von sich betrachtet und zur Verfügung hat. Man hätte gar nicht daran gedacht, dass man ein Western-Held sein könnte. Man spielt das mal so durch. Splitter der Seele – die finden sich gewissermaßen in Filmen verteilt wieder. Gerade durch die Absurdität vieler Filme, die über das Normalmaß gehenden Gefühle, entdeckt man Bereiche, da kommt das Real Life überhaupt nicht hin. Man wird mit Situationen konfrontiert, die kennt ein Mittelalter- oder Steinzeit-Mensch nicht: Vampire der Handelsklasse A, Aliens, die nach Hause telefonieren wollen, fliegende Autos. "Straßen? Wo wir hinfahren, brauchen wir keine Straßen!" Filme haben den unschätzbaren Vorteil, dass man sie sich jederzeit wieder ansehen kann. Das Leben wiederholt sich nicht, aber Filme kann man anhalten, vorspulen, erneut ansehen. Verfügungsgewalt über die Mitwirkenden. Trotzdem erscheint es einem manchmal so, als gäbe es auch im Leben einen Vorspul-Knopf; geht plötzlich alles rasend schnell, man bekommt kaum was mit. Vielleicht auch, weil man sich gedanklich ausgeblendet hat. Man nimmt nicht mehr so richtig teil am Geschehen. Automatik-Modus. Vielleicht können Filme einem dabei helfen, bewusster zu leben? Man kann sich die entscheidenden Passagen öfters ansehen; kann versuchen, daraus was zu lernen, was mitzunehmen für sich. Bei 'Und täglich grüßt das Murmeltier' heißt es: "Aber was, wenn es kein Morgen gibt? Heute gab es nämlich auch keins." Filme können einem aus der Routine raushelfen. Filmzitate haben mehr drauf, als nur witzig zu sein. Gebündelte Magie? Sie haben viel gemein mit Zaubersprüchen; eingängig ... Sie katapultieren einen ohne Weiteres über jedes Normal-Maß – machen sie mit links. In der Hinsicht sind sie Riesen. Filmzitate sind ein Konzentrat – in jeder Hinsicht. Viele Gedanken laufen, fließen hier zusammen. Die Drehbuchautoren haben sich was dabei gedacht. Und beim Publikum hat das Eindruck gemacht, man fand es wert, sich das zu merken. Die Filmfiguren definieren sich auch über ihre Sprüche. Und wir definieren uns über sie – wir nutzen deren Rollen, um uns eine größere Vielfalt hinzuzufügen, als es das Real Life alleine zustande bringen könnte. Da ist einfach mehr Auswahl; das Angebot ist größer. Kein Mittelalter-Mensch war ein Weltraum-Krieger, man kämpfte nicht mit Laserschwertern – und kein Jedi-Meister belehrte einen: "Viel zu lernen Du noch hast!" Man lernt durchs Zuschauen. Und wir hören: "Marty, Du musst lernen, 4-dimensional zu denken!" Dann klappt es wohl. Filmzitate bringen einen zu den entscheidenden Momenten zurück. Man war dort, man kennt es, man hat es gesehen. Wie ein Snapshot aus dem Urlaub. Ein besonders schöner Moment aus dem eigenen Erinnerungs-Archiv. Okay, man betrügt sich da etwas selbst; aber die eigenen Gefühle waren involviert; man war dabei, man war die Person, hat sich mit ihr identifiziert. Einem ist, als hätte man den Spruch selbst gesagt. Außerdem sind Filmzitate meist exemplarisch, sie verdeutlichen etwas, sie stehen stellvertretend für ähnliche Situationen. Überaus praktisch. Das macht sie übertragbar, anwendbar, portabel. Portabilität in den Alltag hinein. Sprüche zum Mitnehmen. Vielleicht stehen sie auch gerade deshalb im Drehbuch? Weil man es doch ahnt, dass das Publikum so etwas braucht. Etwas zum Mitnehmen – das hat man schwarz auf weiß, das kann man getrost nach Hause tragen. Die Symbolik noch mal dick unterstrichen mit Leuchtstift. Na ja. Ob sie gelegentlich auf diesen einen Satz hinschreiben, hinarbeiten? Es kulminiert in wirklich gelungenen Sätzen; durchaus zitierfähig. Dennoch muss es was anderes sein als ein Aphorismus – Filmzitate kann man meist erst im Kontext richtig würdigen. Ein Aphorismus hat es da schwerer; er muss das alles in seinem Marschgepäck dabeihaben. Filmzitate sind immer gewichtig – weil sie im Film eine Bedeutung haben. Selbst einem albernen Spruch kommt Sinn zu. "Ich bin nur eine Darmgrippe von meinem Traumgewicht entfernt", heißt es bei 'Der Teufel trägt Prada'. "Chantal, heul leise!", meint der Lehrer bei 'Fack ju Göhte'. Steht so auch nicht im Faust. "Yippie-Ya-Yeah, Schweinebacke!", hätte allerdings Mephisto sagen können, der sich den Film 'Stirb Langsam' wohl gern reingezogen hätte. Wer weiß, vielleicht gibt es in der Hölle Kino und riesige Flachbildschirme? Sein Lieblings-Spruch wäre vermutlich: "Das ist doch kein Messer ... DAS ist ein Messer!" Oder aber er ist schon viel resignierter, als wir alle vermuten. "Ich bin zu alt für diesen Scheiß!"

 

ENDE

 

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Tag der Veröffentlichung: 20.04.2020

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