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Sprachlosigkeit

Demenz macht einen ziemlich sprachlos.

Einem fehlen die Worte.

Wo sind sie hin?

Man war gut Freund

mit Sätzen, Floskeln, Termini –

aus und fini.

Sprachlos steht man am Abgrund –

Wörter waren einst so etwas wie ein Netz.

Man hat sich mit anderen verbunden –

stand nicht so verdammt alleine da.

Sprache ist verschwunden,

so peu à peu.

Man kratzt die Reste zusammen,

viel ist es nicht mehr,

reicht nicht mal für eine Buchstabensuppe.

 

Die Laute sind kleinlaut –

sie wissen, sie machen keinen Sinn für andere,

sie schwingen vergebens im Raum.

Gespräche der Affen sind plötzlich sinnreicher,

man sackt ab unter Tier-Niveau.

Das Gehirn sagt Servus,

es baut die Zelte ab,

die Show vorüber.

 

Zumindest kann man Sprache noch verstehen –

so etwas wie eine Einbahnstraße.

Die Stunde der schlichten Worte,

sie können passieren,

alles Pompöse, Aufwendige erreicht sein Ziel nicht.

 

Sprache gab dem Charakter Feinschliff,

man war brillant.

Jetzt brüchig.

Demenz haut um sich,

schlimmer als ein Elefant im Porzellanladen –

Neuronen können nicht fliehen,

das Bewusstsein verliert

seinen mächtigsten Verbündeten:

die Sprache, stand ihm immer treu zur Seite,

Bündnisgenosse.

 

Wie soll man reflektieren?

Zudem erscheint einem das Vertraute fremd.

Kennen wir uns?

Sprache war so etwas wie eine Rüstung,

man war nicht unverwundbar,

aber recht gut geschützt.

Man konnte alles so gut in Worte kleiden,

hatte auch einen Anzug für die Seele parat.

 

Selbst als Pantomime macht man keine gute Figur.

Man stößt auf Unverständnis,

steht inmitten des Vertrauten – und es ist fremd.

Alles entfernt sich von einem, flieht,

als ob die Wörter Reißaus nehmen würden.

 

Das 'Nein' hingegen trumpft auf –

es drängt sich vor bei jeder Gelegenheit.

Sehr zum Nachteil derjenigen, die helfen wollen.

Ein Wall von 'Neins' –

die Lebens-Bejahung hat abgedankt.

Das macht selbst die Angehörigen sprachlos.

 

Man möchte eine Zauberformel sprechen.

Aber das ist den Magiern vorbehalten –

die Wissenschaft schweigt.

Sie blättert für gewöhnlich nicht in Zauberbüchern.

Oder hat sie vor langer Zeit ihr Grimoire verlegt?

Eine Neuauflage ist wohl nicht in Sicht.

Dabei ist sie sich nicht mal sicher,

in welcher Sprache sie das Universum ansprechen soll.

Man schweigt in sieben Sprachen –

und hält sich für außerordentlich eloquent.

Je differenzierter die Sprache,

umso genauer die Welt-Erkenntnis.

Ein Hoch auf die Nuancen!

Sie bewirken, dass diese Lebensreise

weitaus mehr sein kann,

als eine Pauschal-Reise.

 

Sprache ist unser Los –

und wir hoffen,

dass wir bei dieser Lotterie irgendwann gewinnen.

Mit Sprache ist mit der Welt viel los.

 

Dem Universum ist nicht wohl bei dem Gedanken

an das urtümliche Demenz-ähnliche Stillschweigen.

Es denkt gern daran zurück, wie's war:

'Im Anfang war das Wort' –

geh bloß nicht wieder fort.

 

ENDE

 

Impressum

Cover: https://pixabay.com/de/photos/eisenbahnschienen-titel-eisenbahn-163518/
Tag der Veröffentlichung: 02.01.2020

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