"Ich schlage neue Kombinationen vor; Igel und Hase sind berühmt geworden mit ihrem Wettrennen. Wir sollten es ihnen gleichtun", sagte der Gepard, der ohnehin ein Angeber war. Neben ihm standen ein Eisbär, ein Elch, ein Springbock und ein freches Känguru. "Flusspferd, würdest Du den Schiedsrichter machen? Zeit nehmen und so?"
"Wir sind hier im Zoo, da kann man nicht einfach so rumrennen."
"Wieso? Haben die im Wilden Westen auch gemacht. Quarter Mile Races – einmal die Hauptstraße lang hetzen. And the winner takes it all", sagte ein Pony, das von einer Karriere als American Quarter Horse träumte.
Man hatte dem Gepard eine Extra-Portion Essen zugeschoben, dann war er verträglicher, dann konnte man sogar ganz gut mit ihm auskommen. "Ich renn die 100 Meter in unter 7 Sekunden; aber ich will mich verbessern; ich brauche Trainingspartner. Kann mich bitte mal jemand motivieren?"
Das Känguru schob den Gepard beiseite. "Ich wäre eigentlich eher für einen Spring-Wettkampf."
"Da muss ich passen", sagte das Flusspferd, versuchte es aber dennoch.
Der Springbock schlug sich auf die Seite des Kängurus.
"Wir sind doch keine Schlittenhunde, wir müssen nicht rennen, wir brauchen niemandem was zu beweisen", meinte der Eisbär, der nicht zugeben wollte, dass er im Allgemeinen viel lieber träge in der Sonne rumlag. Es hatte ihn schon genügend angestrengt, die Schlüssel zu besorgen, damit sie aus ihren Käfigen und Gehegen rauskonnten. Er machte das meist im Team mit dem Koalabären.
"Ich lauf keinesfalls vor Dir her", sagte der Springbock; er misstraute dem Gepard. "Auch wenn ich eine hervorragende Motivations-Hilfe wäre. Das ist mir zu real."
"Ach, der ganze Zoo ist doch ein einziger Fake!", sagte eine Ziege, die es leid war, immer und immer wieder dieselben Felsbrocken zu erklimmen. "Komme mir vor wie Sisyphus."
"Und was gäbe es zu gewinnen? Eine Trophäe?", fragte das Pony, das immer schon gerne eine Trophäe haben wollte; irgendwie seine Kleinheit ausgleichen.
"Das muss ich melden", sagte der Kojote, der sich wahnsinnig darüber ärgerte, dass man ihn nicht gefragt hatte. Das Känguru trat ihm – wie aus Versehen – in seine Weichteile. Der Kojote ging ab wie eine Rakete.
"Geht es schon los?", wollte der Hase wissen.
"Habt Ihr gesehen? Ich bin tatsächlich gesprungen!", schrie das Flusspferd.
"Ja die Erde hat gebebt. Du weckst sie noch alle auf. Das hier ist eine Nacht-und-Nebel-Aktion; Du sorgst noch dafür, dass wir alle auffliegen."
"Ich kann fliegen", behauptete der Strauß; er fühlte sich durch die Versuche des Flusspferdes unglaublich motiviert. Er hatte immer schon davon geträumt, sich zu erheben, dass die Luft sich endlich bereit erklärte, sein Gewicht zu tragen. Das war die Nacht, in der Träume in Erfüllung gingen. Der Strauß stand auf einem Baum.
"Nimm wenigstens einen Regenschirm", sagte der Schimpanse; er ließ so was bei den Zoobesuchern mitgehen; er war gut organisiert. Hatte auch Zigaretten für jeden dabei. Man rauchte und war guter Dinge.
Der Kojote erschien wieder. "Was macht der Strauß auf dem Baum? Runter da!"
"Okay." Der Strauß sprang genau auf ihn rauf. Man applaudierte ihm. "Gute Landung."
Jetzt wollten alle vom Baum springen.
"Ich dachte, wir wollten ein Wettrennen machen", sagte der Gepard.
"Dann solltest Du aber lieber nicht rauchen", der Eisbär nahm ihm die Zigarette weg.
Der Kojote rappelte sich auf; aber das Flusspferd hatte ihn sich als Hocker auserkoren; das sah nicht gut für ihn aus. Die anderen mochten gar nicht hinschauen.
Der Gepard zeichnete eine Startlinie. "Jeder, der jetzt mitrennen will, hebe bitte die Pfote, den Flügel oder was auch immer."
Der Hase sagte: "Es ist doch bekannt, dass der Igel der Schnellste ist."
Der Gepard wurde fuchsteufelswild. "Ammenmärchen! Glaubt doch nicht jeden Quatsch." Er wusste nicht, auf was er sonst stolz sein sollte. Geschwindigkeit war sein Ding. Sprinten, loslegen, sich die Seele aus dem Leib rennen.
"Jedes Auto ist schneller als Du. Die Menschen haben es echt drauf. Sie überflügeln uns in allem. Sie dezimieren uns. Wir sind für sie Kuriositäten. Unsereins vermag es nicht, sie zu beeindrucken", sagte das Pony. "Selbst, wenn ich ein American Quarter Horse wäre, ultraschnell, wendig, schnell wie ein geölter Blitz – es brächte dennoch alles nichts; wir haben dieses Wettrennen schon längst verloren. Sie haben uns abgehängt. Sie liegen drei Runden in Führung."
Der Hase setzte sich auf den Geparden. "Ich wollte schon immer Jockey sein."
"Runter da!" Der Gepard buckelte wie ein Rodeo-Pferd.
"Was für ein Affentheater", sagte der Schimpanse; er hatte schon den ganzen Abend darauf gewartet, das endlich sagen zu können; hier passte es irgendwie.
Auch der Koala setzte sich auf den Geparden. "Dann einmal rund um den Zoo."
"Ich bin doch kein Taxi-Unternehmen!"
"Es wären aber saftige Eukalyptus-Blätter für Dich drin", versuchte der Koala, ihm das schmackhaft zu machen.
"Was weißt Du eigentlich über meine Essgewohnheiten?"
"Lieber ein Eis?" Der Schimpanse hatte wirklich alles im Angebot.
Der Elefant übte Liegestütze. "Damit will ich die Zoobesucher zum Staunen bringen."
"Nur das Artgerechte vorführen. Immer unter dem Radar fliegen", sagte der Strauß.
Dann rannten sie los – der Kojote hing irgendwie immer noch am Flusspferd fest – Springbock und Känguru sprangen übereinander, der Hase saß plötzlich im Beutel des Kängurus ... "Ich nehme keine Tramper mit!"
Der Schimpanse ritt auf dem Eisbären.
"Da kann doch kein Igel mithalten", japste der Gepard.
"Elchtest!", schrie der Elch; er stellte sich den anderen in den Weg; sie mussten um ihn herum; die meisten landeten auf ihm drauf. Das Flusspferd entschuldigte sich für diese Aktion und auch dem Elefanten war das furchtbar peinlich. Der Elch war vorläufig nicht mehr zu gebrauchen. "Und ich war froh, dass ich keines der Rentiere bin, die den Weihnachtschlitten ziehen müssen. Unsereins hätte doch auch gute Qualifikationen. Aber das hier ist viel riskanter."
"Du bist doch kein Stuntman bzw. Stunt-Elch", sagte der Hase, dem aber die Idee gefiel, was Waghalsiges zu riskieren. Er zupfte dem Löwen an den Schnurrhaaren. Dann ging das Rennen weiter, der Löwe war gut motiviert und auch der Hase hielt das Laufen jetzt für eine gute Idee, zumal die Pranken des Löwen ihn mehr als einmal touchierten. "Wird das eine Massage oder was?" War er bescheuert, ihn derart zu reizen? Was war in ihn gefahren? Er sollte sich auf seine wahren Qualitäten besinnen: Er war doch bei weitem der Kuscheligste hier. 'Aber jetzt schaffe ich die Osterhasen-Prüfung mit links', dachte er so bei sich, denn er war im Begriff, sogar den Geparden zu überholen. Denn der Rund-Parcours verlangte dem Gepard das Letzte ab; bereits nach 400 Metern verminderte sich sein Tempo. Der Hase konnte es nicht fassen. Aber er hatte die Rechnung ohne das Pony gemacht, das noch mal einen Zahn zulegte.
Blöderweise stand am Ziel der Igel und sagte: "Ick bün all dor." Er wurde kurzerhand disqualifiziert.
Jeder ernannte sich selbst zum Sieger, in diesem Tohuwabohu war wirklich nicht auszumachen, wer gewonnen hatte. Der Löwe brüllte sie alle nieder. Er wollte den Hasen ausgehändigt bekommen.
Das Flusspferd sagte: "Ich bin sein Anwalt. Wir können die Sache auch gerne aussitzen." Es setzte sich kurzerhand auf den Löwen.
Der Kojote humpelte herbei. "Ich hab das alles aufgeschrieben, notiert. Wenn der Zoodirektor das erfährt, dann gibt es monatelang keinen Nachtisch."
"Jetzt machen wir Party!" Dem Springbock war nach Tanzen und der Schimpanse hatte passenderweise ein Radio dabei. Das Känguru war mit der Mucke zufrieden, es sprang höher und immer höher.
Der Kojote notierte sich was. Aber würde ihm jemand glauben? Ein unerlaubtes Wettrennen im Zoo. Er setzte sich zum Igel. Vielleicht kannte der seine Anekdoten noch nicht? Bald mussten sie ohnehin in ihre Käfige, Gehege zurück. Dann hatte die Langeweile sie wieder im Griff. Das Außerplanmäßige machte das Leben irgendwie interessanter. Man konnte Spaß nicht eintragen auf einem Formblatt. Den Road Runner würde man ohnehin nie einfangen, man jagte ersatzweise etwas anderes. Das Geld, die kleinen Erfolge ... das war wohl die Sichtweise der Menschen und er schloss sich dem an. All das erzählte er dem Igel, aber der war längst eingeschlafen.
Der Löwe sagte, dass er sich wie ein Pfannkuchen fühle. Das Flusspferd war einverstanden und stand auf. "Der Zoo bietet viele Entfaltungsmöglichkeiten. Das ist so ein Moment." Der Löwe streckte sich, wobei sich das Knacken seiner Knochen irgendwie nicht gesund anhörte.
"Flusspferd auf drei Uhr", sagte das Flusspferd und stürmte wie ein übermotivierter Rugby-Spieler auf den Elch zu. Man schloss Wetten ab.
"Mit seinem Schaufelgeweih ist er eindeutig im Vorteil", meinte der Schimpanse, der die Wetteinahmen verwaltete und für die Quoten verantwortlich war. So ganz fit war der Elch noch nicht wieder, aber er schloss dennoch Wetten auf sich selbst ab. "Man muss an sich selbst glauben."
Als der Zoo am nächsten Morgen seine Pforten öffnete, wirkten die Tiere groggy. Der Löwe sah zerzaust aus – und der Tierarzt hatte alle Hände voll zu tun. Dennoch waren ihnen diese Nacht-und-Nebel-Aktionen das Wertvollste in ihrem Zoo-Leben.
ENDE
Cover: https://pixabay.com/de/photos/gepard-afrika-namibia-katze-laufen-2859581/
Tag der Veröffentlichung: 05.11.2019
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