Auf Halloween-Partys kann ich ich selbst sein, bekomme sogar anerkennende Worte für mein Outfit, man ist ganz gefesselt von dem Jenseits-Hauch, den sie wahrzunehmen glauben – zu Recht. So ganz diesseitig bin ich nicht – und der Kürbis, den ich bei mir trage, ist ein Geschenk des Teufels – inklusive zugehörigem Kohlestück – Made in Hell. Das glüht, funkelt – ich kann wie bei einer LED-Beleuchtung einen irren Farbwechsel starten – wir sind mental miteinander verbunden. Meine Kürbislaterne – mein ganzer Besitz, ich halte mich an ihr fest; nicht, dass sie mich führt. "Ich geh mit meiner Laterne – und meine Laterne mit mir", singe ich von Zeit zu Zeit, das mag ein wenig irre klingen – aber zu Halloween gilt das alles als Schauspiel. Man versucht, dem Schrecken den Schrecken zu nehmen, indem man schrecklich ist. So kann man Weltkriege auslösen – oder Halloween feiern. Zu Weihnachten sind alle schrecklich nett, aber zu Halloween ist die böse Seite in Dir angesprochen. Damals hat mir mein finsterer Charakter tatsächlich geholfen ... Warten auf Allerheiligen – aber keiner von denen hat den Teufel ausgetrickst, sie haben sich nicht mit ihm angelegt, sie sind ihm ausgewichen, sie haben nicht die Konfrontation gesucht. Aber ich, Jack Oldfield, habe ihm gezeigt, was 'ne Harke ist. Dabei wollte ich nur meine Ruhe haben; er war mir lästig. So wie man nach einer Fliege schlägt. Den Gegner nicht ernst nehmen, ihm keine Unheimlichkeit bescheinigen – so als ob man vor einem Tyrannosaurus rex steht und ihn geistig auf Taschenformat schrumpfen lässt. Miniaturisierung im Geiste. Vielleicht war ich auch einfach nur zu besoffen, um die Anwesenheit des Teufels so richtig würdigen zu können. Ich bin ein Wanderer zwischen den Welten – denn weder Himmel noch Hölle gewähren mir Einlass. Hat mir keiner gesagt, dass man zum Teufel nett sein muss, ich dachte, ihn auszutricksen, sei Gebot der Stunde. Was macht ein irischer Hufschmied, der noch in tadellosem Zustand ist – aber eben leider tot? Will man ja auch nicht zugeben. Tote haben keine guten Karten beim Arbeitsamt. Umsatteln? Ich gehe als 'Jack Oldfield'-Kopie, verteile Werbezettel. Das ist in etwa so entwürdigend, als würde Elvis sich als Kopie vermarkten müssen. Ich kann nicht darauf pochen, dass ich das Original sei – und meine Laterne der echte Jack O’Lantern. Ruß- und Schwefelgestank ist auch nicht jedermanns Sache, die Fachberaterinnen in den Parfümerien verzweifeln regelmäßig, wenn bei mir absolut nichts wirkt, nichts überdeckt das – ganz im Gegenteil, ich hülle die Läden in so einen abscheulichen Höllen-Dunst ein, dass die Läden danach monatelang unbrauchbar sind. Kurzum, ich müffle – der Geruch der großen weiten Jenseits-Welt. Ist doch toll. Und mit meinem Jack O’Lantern habe ich jede Menge Spaß: In ihm steckt jede Menge Hypnose-Kraft.
Eine Frau, die sich als böse Fee Fanferlüsch verkleidet hat, widersteht bislang allerdings all meinen Hypnose-Bemühungen. Höchst erstaunlich. Namedropping – erwähnen, dass ich den Teufel kenne? "Den kenne ich auch", antwortet sie mir. "Der ist ganz fertig von der Seelenjagd. Seit Jack Oldfield gezeigt hat, wie einfach es ist, ihm das Leben schwerzumachen, nimmt er Nachhilfeunterricht; hat Pokern gelernt – auch in Online-Foren." "Das war ganz und gar nicht einfach", protestiere ich, "man muss ganz schön pfiffig sein, sich mit Kreuz-Symbolen auskennen, um den Teufel auszutricksen." Sie winkt ab. "Man hätte Luzifer nie so ein wichtiges Amt anvertrauen dürfen. Grundgütiger! Der Mann ist viel zu gut – jedem will er einen Gefallen tun, er setzt sich für Behaglichkeit in der Hölle ein ... Meiner Meinung nach ein völliger Fehlgriff." Sie sagt das mit Entschiedenheit; es ist nicht auszumachen, ob sie das als Scherz meint; ich lache trotzdem – vor allem aus Empörung. Mir meine Leistungen zu schmälern! Frechheit. Ich bin so wütend auf sie, dass ich sie augenblicklich küssen könnte. Wieso stachelt mich Widerspruch so an? Ist doch seltsam. Muss mal zum Psychiater. Ich schwenke meinen Jack O’Lantern vor ihrer Nase hin und her. "Was soll das?" Boah, Totalausfall meines Jack O’Lantern, keinerlei Wirkung bei ihr.
Die anderen Gäste auf der Party amüsieren sich prächtig; bei mir ist die Feierlaune mittelprächtig – nirgends dazuzugehören; sogar mit denen von der Höllen-Fraktion habe ich es mir verdorben. Ach, was soll's, Fanferlüsch ist gerade hier, soll sie Psychiater spielen, ich gestehe ihr alles, sie hört mir sogar zu. "Bei mir verhält es sich ähnlich", sagt sie dann, "ich bin eine echte Fee; aber wer will böse Feen schon um sich haben? Wir haben einen furchtbar schlechten Ruf, wobei das meiste zutreffend ist; aber sollten sich Menschen davon abschrecken lassen, nur weil man sie hin und wieder verzaubert? Dann ist man eben wochenlang eine Kröte oder ein Warzenschwein. Neue Erfahrungen. Erweiterungen des Horizonts. Und das völlig gratis. Also, ich verstehe die Menschen nicht." Eine Verrückte. Aber es hat etwas Tröstliches, was sie sagt. Intuitiv umarme ich sie. Sie stößt mich zwar immer wieder von sich, aber das kenne ich schon, da darf man sich nichts draus machen. Zuneigung erkämpft man sich nicht so leicht, besonders, wenn man einen miesen Charakter hat. Ja, ich bin streitsüchtig, aufbrausend ... Anscheinend sind Choleriker in der Hölle nicht erwünscht. Auswahlverfahren. Wir philosophieren über die Fratze der Welt – das heißt, ich rede und sie versucht, mir zu entkommen. Immer wieder schwenkt sie ihren Zauberstab. "Verdammt, der scheint aus irgendeinem Grund hier nicht zu funktionieren." Sie sieht richtig wütend aus; oder ist sie verzweifelt? Ich bin nicht so gut im Einschätzen von Mimik, Gestik oder sonst was ... Ich dränge den Leuten einfach meine Meinung auf; damit bin ich bisher sehr gut gefahren – und Jack O’Lantern hat mit seiner Hypnose-Magie dafür gesorgt, dass sie nicht türmen. Ich halte Fanferlüsch am Rocksaum fest. Ratsch! Schöner Riss im Kleid. Sieht irgendwie sexy aus. "Ich bin eigentlich so etwas wie die 13. Fee. Mich lädt man nirgends ein. Ich muss mir meinen Eintritt erschwindeln – ein Leben lang lügen, betrügen, ..." "Kenn ich", antworte ich. "Warum kann man nicht der sein, der man ist: fies, ein Misanthrop ...? Warum ist immer dieses Geheuchel notwendig? Man kann seinen Charakter nicht parfümieren. Das geht einfach nicht." Sie besprüht mich dennoch mit Eau de Cologne. "Riechst schon eigenartig. Hat aber was." Wow, die erste Frau, die das ohne Hypnose-Behandlung sagt. "Vielleicht ist Halloween deshalb so toll, weil die Anderswelt sich vorher gar nicht traut, zu erscheinen? Man wird schief angeguckt, man entspricht nicht dem derzeitigen Standard an Diesseits-Wesen; zu untot für diese Welt; ausgegrenzt durch einen Mangel an Lebendigkeit. Vielleicht war meine Seele schon immer tot – und das ist der eigentliche Grund, warum ich zwischen den Welten existiere." Da ich das verhältnismäßig laut sage, errege ich schon einige Aufmerksamkeit. Man applaudiert mir. Aber es ist keine Performance. Echtes Leid wird als Show abgetan. Sie verkleiden sich als Zombies und Fledermäuse – aber sie sind keine Nachtwesen; sie spielen das Grauen; wobei sie das eigentliche Grauen gut in ihrem Innersten verpackt lassen – in Seelen-Koffern, die sie höchst ungern öffnen.
Eine Kürbis-Kutsche taucht aus dem Nichts auf. "So, jetzt geht es wieder. Weiß nicht, woran es gelegen hat." Fanferlüsch sieht mit sich selbst zufrieden aus; immerhin hat sie einen Großteil der Halloween-Deko plattgemacht. Ein Ungetüm von Kutsche. Was für Aschenputtel. Ich nehm da mal probehalber Platz. Aber es sind nicht vier Pferde, die da angespannt sind, sondern vier Werwölfe. Wenn mich nicht alles täuscht, könnte man die als Tischfeuerzeug benutzen – wenn man sie drückt, kommen hin und wieder Flammen aus dem Maul und dem hinteren Bereich. Schon praktisch. Man applaudiert ihr, hält sie vermutlich für eine Zauberin – ist hier in Las Vegas gar nicht so unüblich. Sie filmen das mit ihren Handys. Sollte das die echte Fee Fanferlüsch sein? Ich bitte sie um ein Autogramm. Da geht der Spuk aber erst richtig los. Mehrere fliegende Teppiche. Die Halle sieht schon nach kurzer Zeit aus wie ein Schlachtfeld. "Mein Vater ist Teppichhändler", sagt sie, als ob das irgendwas erklären würde. Aber es hängen tatsächlich Hinweisschilder an den Teppichen: Werbung für das Teppichgeschäft ihres Vaters. "Man muss ja irgendwie über die Runden kommen. Magie fällt so furchtbar schnell auf. Aber an Halloween scheint alles erlaubt; da guckt man nicht so genau hin. Ich liebe Las Vegas. Hier hält jeder das für einen Trick. So ist der unpopuläre Jenseitige am besten getarnt: als Betrüger und Scharlatan. Dabei ist das Jenseits herrlich – als ob dort nur die Toten residieren würden – das Reich der Feen, der Magie – und die Menschen sperren es aus, aus lauter Unwissenheit und Wissenschafts-Gläubigkeit. Sieg der Ratio. Tolle Leistung. Uns auszusperren." Sie bezieht mich mit ein. Ich schein sie irgendwie von meiner Echtheit überzeugt zu haben. Wobei ich mir mittlerweile auch ziemlich sicher bin, dass sie eine echte Fee ist. Im Grunde ließ man mich ja nie ins Jenseits – wie soll ich davon Ahnung haben? – ich bin ein Zwischenweltner – wie ein Pingpong-Ball vom Jenseits abgeprallt; als ob ich all denjenigen leuchten würde, die auch zwischen den Welten feststecken, sich nicht so richtig für irgendwas begeistern können, Unentschlossene, die zwar nicht auf Teufel komm raus an ihrer Seele festhalten, aber die andererseits auch nicht viel für ihre Seele tun – keine Pflegeprodukte dafür kaufen, wie die moderne Welt sie ja in Massen zur Verfügung stellt.
Sogar Luzifer erscheint. "Gute Show. Hier fällt man gar nicht mehr auf – spektakulär. So kann der Teufel sich blicken lassen – in voller Montur." Er macht was her. Glitzernde Kleidung. Fällt bei all den glitzernden Vampiren gar nicht auf. Er sieht sich um, ob ich nicht irgendwelche Kreuze schnitze. "So leicht lass ich mich nicht mehr fangen." Ich bezweifle, dass er wirklich gewieft ist. Fanferlüsch hat recht, er ist zu gutherzig. Ich habe ihm geraten, Machiavelli zu lesen, gibt es jetzt sogar auf dem E-Book-Reader. "Hier laufen ja zig Kopien von mir rum. Immerhin bin ich eine eingetragene Marke." Er sieht empört aus. Die Fee Fanferlüsch flirtet mit ihm. Immerhin wird mein Schwefelgestank von ihm übertroffen. Einige der Umstehenden schwanken – wie bei hohem Seegang, aber es sind lediglich Duftwellen. Man ist amüsiert, es scheint bei Halloween nichts zu geben, was irgendwie aus dem Rahmen fallen könnte. Der Rahmen ist beliebig geweitet, plötzlich hat alles Platz. Können die Menschen nicht immer so tolerant sein? Aber es ist vermutlich nur als Show erträglich, als Sympathie-Bekundung für das Echte.
Zum Glück wendet sich Luzifer anderen Party-Gästen zu – und Fanferlüsch wendet sich enttäuscht mir zu. "Na, dann wollen wir mal." Sie deutet auf einen der fliegenden Teppiche. "Du hättest lieber mit Luzifer rumgemacht? Ich bin nur zweite Wahl?" "Eher vierte Wahl. Ich hab heut schon so einiges ausprobiert. Enttäusch mich nicht!" "Enttäuschen ist mein Lieblings-Hobby", antworte ich. Ich versuche, den Werwölfen Hufeisen anzubringen – wenn sie schon die Kutsche ziehen müssen, dann unter optimalen Bedingungen. "Du hast ja Nerven." Die Werwölfe verhalten sich sehr unkooperativ. Luzifer sammelt fleißig Seelen ein – das ist für ihn sicherlich wie ein Supermarkt-Besuch. Er hat auch so etwas Ähnliches wie einen Einkaufswagen dabei. Rot angestrichen; voll auffällig. Halloween ist, wenn die Anderswelt völlig integriert ist. Fanferlüsch zieht mich auf einen der Teppiche, dessen Flug-Eigenschaften ich jetzt doch gerne wissenschaftlich untermauert hätte. "Für eine zweite Wahl küsst Du gar nicht schlecht", meint Fanferlüsch zu mir. "Böse Feen haben viel mehr Möglichkeiten als gute. Du wirst sehen", verspricht sie mir. Der Teppich versucht nach Kräften, uns bei unseren Liebes-Bemühungen zu unterstützen. Er rollt sich um uns, er schleudert uns in die Luft, leider ist er nicht ganz so perfekt darin, uns auch wieder aufzufangen; wir landen unsanft auf dem Parkett. Andere wollen es uns nachtun, man besteigt die Teppiche; sieht schon seltsam aus, wie Geister, Hexen, Spukgestalten von fliegenden Teppichen geworfen werden – hat was von einem Geister-Rodeo. Der Teufel sieht amüsiert aus. "Sollte ich bei mir einführen." Er bekommt hier lauter gute Ideen. Die Werwölfe beißen um sich. Hier will nicht die Stimmung wie in einem Separee aufkommen, auch wenn ich Fanferlüsch eifrig begrabsche. "Was soll das werden? Kannst Du nicht kräftiger zupacken?" Sie sieht unwirsch aus. Mangelnde Heftigkeit wurde mir noch nie vorgeworfen. Ich galt immer als hervorragender Rüpel. Ich versuche es mit einem Zungenkuss, der Tote aufwecken würde. Sie kommt in Fahrt. "Geht doch. Was weißt Du eigentlich über böse Feen?" Ich würde ja bei Google nachschlagen, aber ihre Beine umklammern mich. Sie trägt allerhand Flitterkram. Ganz schön mühsam, sich da durchzuarbeiten und vorzuarbeiten. "Das ist so etwas wie ein Test, daran erkenne ich die hartnäckigen Liebhaber." Ich will meinen Status als zweite Wahl nicht verlieren und ziehe und zerre nach besten Kräften. Ich glaube, das kann sie hinterher nicht wieder anziehen. Zum Glück bin ich von allen guten Geistern verlassen, das würde sie auch überfordern. Wir besteigen erneut einen der Teppiche; seltsamerweise folgt uns die Kutsche; die Werwölfe schnappen nach mir. Kann es denn so schwer sein, ein bisschen romantische Stimmung zu entfachen? Ich lasse Jack O’Lantern erstrahlen, er strahlt wie die Sonne, er umschließt die Anwesenden mit glutvollem Verlangen, die Menschen fallen übereinander her, das Wort 'Orgie' hat zwar keiner ausgesprochen, aber die Römer würden blass vor Neid. Luzifer macht sich eifrig Notizen. Ich sollte als Zeremonienmeister in der Hölle arbeiten, ich habe dafür Talent. Skelette treiben es mit Vampiren, Balz der Fledermäuse, Feen in den Armen von Fledermäusen. "Fledermaus-Ärmel würden Dir auch stehen." "Mir steht alles", meint Fanferlüsch, "ich führ Dir nachher mal einiges vor." Wenn ich nicht von ihr vorgeführt werden will, muss ich sie zur Raserei bringen – ich drücke sämtliche Ekstase-Knöpfe, gar kein Countdown nötig – sie geht ab wie eine Rakete. Die Teppiche haben sich schützend um uns gestellt. Sehr rücksichtsvoll. "Das sollten wir wiederholen", meint sie. Sie tätowiert mir ihre Telefonnummer auf die Hand. Alles, was sie braucht, fliegt ihr so zu; mir entgegen entzieht sich alles, alle ergreifen die Flucht vor mir, nehmen Reißaus. Ich bin der Unwillkommene, derjenige, dem selbst die Hölle den Eintritt verweigerte. Irgendwie hab ich mich selbst ausgetrickst. Ein Halloween-Gast auf einer nie enden wollenden Halloween-Party, die sich Leben nennt. Für den Himmel reicht mein Engagement nicht, fühle mich zu bösen Feen hingezogen – und sie offensichtlich zu mir. Was braucht man Kohle? Solange ein Kohlestück zu einem hält – und sei es aus der Hölle, aber es leuchtet mir, es war stets an meiner Seite, der einzige Begleiter hier zwischen den Welten. Es erleuchtet vielleicht sogar die Dunkelheit in mir. Erleuchtet zu werden von Jack O’Lantern – damit hat es noch nie ein Weiser versucht.
ENDE
Tag der Veröffentlichung: 22.10.2019
Alle Rechte vorbehalten