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Satz kommt zu Wort

Wie schön, dass ich als Satz auch mal was sagen kann – nein, unterbrecht mich nicht – diesmal schiebe ich den Punkt vor mir her, lasse mir doch von ihm nicht das Wort abschneiden – ist ja nicht so, als ob ich ohne Punkt und Komma sprechen würde; das Komma und das Semikolon, denen vertrau ich, die sind nicht so brüsk, sie lenken den Satzfluss nur in eine neue, unerwartete Richtung, sind aber kein Damm – und wie ich den Gedankenstrich liebe – er gibt mir so viel Zeit, mich zu besinnen, Atem zu holen; der Punkt denkt schon, das sei seine Chance, er lauert schon, schubst womöglich das Fragezeichen beiseite, weil er mich liebend gern unterbrechen will; seh ich so kurzatmig aus – und dann verlangt man von mir eine konkrete Aussage, wobei das vage Formulieren doch auch was wagt, es begibt sich ins Hypothesen-Gebiet, gar nicht ungefährlich, sondiert da die Lage, ein Spähtrupp; gesichert ist da nichts; wie viele Sätze wohl schon gesagt wurden, wer zählt da mit, aber auf die Länge kommt es an, dann kann ich den Sieg für mich verbuchen, Satz und Sieg, mit einem Satz abräumen, welcher Satz träumt nicht davon, eminent wichtig sein, nicht auf das stützende Umfeld angewiesen – und nur der Text als Ganzes wird mit Applaus bedacht, auch ich möchte Zwischenapplaus, ja, der Satz würde gerne hervortreten – aber das ist ja meist nicht statthaft, weil ich eine Funktion habe, weil ich dem großen Ganzen zu dienen habe, Majestät Text wünscht dies und er wünscht das, aber wo wärt Ihr denn alle ohne mich – ich will es ja gar nicht auf den Punkt bringen, denn der Punkt ist der natürliche Feind des Satzes, alles, was er mühsam aufgebaut hat, beendet er mit kleinlicher Arroganz, denn seien wir ehrlich, viel her macht so ein Punkt doch nicht, aufgebläht durch sein Amt, nie auf seine Funktionstüchtigkeit überprüft, stellt er sich mir in den Weg –  hey, ist was? –  und ich, noch die Satzmelodie noch gar nicht beendet, soll einfach so verstummen, weil Herr Punkt es so für richtig erachtet, der feine Herr Punkt ... aber man weiß sich ja zu wehren, so ist das ja nicht, es gibt andere Satzzeichen, die treue Dienste leisten und nicht derart unverschämt sind, sie grüße ich ganz herzlich, trete hervor aus dem Schatten des Punkts oder seines größeren Bruders, dem Ausrufezeichen – eine ganz üble Clique, sage ich Euch, das Fragezeichen steckt da irgendwie mit drin, also wenn Ihr mich fragt, die können alle weg, der Kaffee-Satz meint, dass könne schon bald geschehen, aber vermutlich wollte er mich nur trösten, denn der Punkt hat mir Geschwätzigkeit unterstellt, als ob ich meine Redezeit überschritten hätte und er mich von der Bühne zerren müsste, gerade er, dessen Pünktlichkeit absurd ist, grotesk, das ist ja das Grundübel unserer Zeit –  dass alles sein Timing haben muss, aber gesteht mir Tiefe zu, erschöpfende Ausführlichkeit, ein Verweilen – ohne von der Handlung aufgefordert zu werden, dass ich meinen Verpflichtungen nachkommen müsste und mich wie jeder andere im vernünftigen Rahmen bitteschön zu bewegen habe ... dass mein Engagement beendet sei; mit was soll ich punkten, wenn ich immer und immer wieder vom Punkt unterbrochen werde – ich habe nicht fertig – ich teste die Spielaufstellung, ich habe jede Menge Verben als Ersatzspieler, die liebend gern in die Verlängerung gehen – hier ist noch nicht Schlusspfiff, Punkt  –  wo beantrag ich Punktabzug? – der Punkt bildet sich tatsächlich ein, dass er der Punkt auf meinem i sei, das ist doch der springende Punkt, man lässt ihm alles durchgehen – weil er angeblich für Ordnung sorgt; Aufgeräumtheit des Textes, als ob es darauf ankäme, der entscheidende Satz wurde doch noch nie gesagt, weil jeder Satz, der das versuchen wollte, unschöne Begegnung mit dem Punkt hatte, zack, einfach keine Geduld mit dem Satz, keinerlei Nachsicht, ist doch so wie bei den Film-Cuts – möglichst zackig, das verspricht Dynamik – was ist mit Verweildauer, mit dem Respekt für den Satz, ist ja wie die Momente-Jagd, als ob es Juwelen seien, man ist raffgierig, vermutet hinter der nächsten Ecke noch weitaus schönere – in der Kürze liegt die Würze – seligmachende Kompaktheit, aber sie wird von der Länge um Längen geschlagen, auch wenn besorgte Fragen kommen, ob sich das etwa wieder in die Länge ziehen wird; auf der Jagd nach Kurzweil, die Langeweile als Bestie, dabei ist sie sehr umgänglich, sie ist nur kein Neuigkeits-Fanatiker, kein Innovations-Freak; im Grunde ist ein Satz wie ein Dominospiel, man könnte immer was Neues anlegen, herrliche Abzweigungen, aber irgendwann resigniert der Satz und sagt dem Punkt Bescheid, dass es nun an der Zeit wäre; der neuralgische Punkt, der Punkt, bei dem jeder Satz schmerzlich das Gesicht verzieht und höchst widerwillig sein Okay gibt – manchmal ist dieses Arrangement tatsächlich auf den Punkt genau – wie bei einem Date oder bei einer Flugzeug-Landung; wobei ich das Gefühl habe, mein Reiseziel niemals erreichen zu können, vermutlich, weil ich unterwegs sein will, wie das Licht; denn ankommen, heißt, verlöschen – und das ist der strittige Punkt.

 

ENDE

 

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Tag der Veröffentlichung: 18.10.2019

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