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Lifehacks im Märchenwald

Lifehacks werden ja immer beliebter; wie steht es damit im Märchenwald, haben die Bewohner die Zeichen der Zeit ebenfalls erkannt und hacken was das Zeug hält? Das Leben als Programmcode, sich nicht mehr an die Spielregeln halten, Zweckentfremdung der Gegenstände, sie mehr sein lassen – sie wachsen über sich hinaus – oder aber leisten Dienste unter ihrem Niveau. Funktionen außerhalb des Vorgesehenen. Vielleicht lässt sich das übertragen auf uns Menschen – zu mehr in der Lage und tauglich, als die fabrikgemäße Bestimmung vermuten lässt. Wenn man den Lifehack-Gurus Glauben schenken darf, dann lässt sich allein mit einer Tube Zahncreme, etwas Bauschaum und Panzerband und eventuell einer Büroklammer nahezu jedes Problem lösen. Entdecke den inneren MacGyver in Dir. Bastel-Man. Aber vermutlich wird man eher zum Pattex-Zombie. Ich bin noch skeptisch.

Der gestiefelte Kater steht neben mir und versichert mir, dass er jetzt viel mehr Rebhühner fange durch Lifehack-Methoden. Auch die Hexe von Hänsel und Gretel ist eine glühende Verfechterin des Lifehack-Hypes. "Auf meinem Blog berichte ich täglich über Lifehacks. Früher nannte ich das 'Omas Haushaltstipps', aber das funzte nicht. Okay, das sind jetzt Clickbaits ... aber das bringt richtig Kohle." Sie zeigt mir stolz ihr Smartphone.

Ich brech mir einen Lebkuchen von ihrem Lebkuchenhaus ab. Die sieben Zwerge und Schneewittchen logieren bei ihr. "Ich habe angebaut. Lebkuchen ist gar kein so guter Baustoff. Aber mit Beton vermengt ..." Ich spucke den Lebkuchen aus. Meine Zähne brauchen einen Lifehack.

"Wie wird man zum Lifehacker?", frage ich die sieben Zwerge.

"Mentale Spitzhacke", kriege ich als Antwort. "Das Leben abklopfen; wo steckt Gold? Sich die Brüchigkeit des Seins zunutze machen. Es geht nicht nur um etwaigen Zusatznutzen, es geht um eine ganz neue Herangehensweise an das Sein: Sich nicht an den Spielplan halten, frei programmieren, alles als Baustein ansehen, der – woanders eingefügt – Teil von etwas völlig Neuem sein kann."

Die Hexe meint: "Früher hatte ich Bedenken, ob das, was ich tue, schlecht fürs Karma ist, jetzt aber hacke ich mich in die Karma-Datenbank und lösche die entsprechenden Einträge. Man will ja nicht als Kröte wiedergeboren werden, nicht wahr?" Sie schwingt sich auf ihren Besen, dreht 'ne Runde. "Auch das Kurvenverhalten meines Besens ist jetzt besser – ich habe ihn mit allem Möglichen gepimpt. Ausziehbar – und auch als Rührbesen verwendbar."

Kein Zweifel, der Lifehack-Wahn hat auch das Märchenland erfasst. "Mit Lifehacks kann man alles erreichen", jubelt die Hexe; sie absolviert einen Slalomkurs um die Bäume. Plötzlich stottert ihr Besen. "Akku leer. Kein Saft mehr." Sie macht einen eleganten Gleitflug und brettert in einen Stapel Lebkuchen. "Nichts passiert! Das poste ich gleich auf Instagram. Hashtag #LebkuchenRettenLeben."

Schneewittchen hilft ihr hoch. "Ja, die Abhängigkeit von der Technik. Sollte man Magie mit Technik vermengen? Ich habe Kopfschmerzen."

"Hier ist Helmpflicht im Wald", sagt einer der sieben Zwerge und haut der Hexe mit der Spitzhacke auf den Kopf. "Nichts, was ein guter Lifehack nicht wieder hinkriegen würde." Die Hexe sieht sehr zuversichtlich aus. "Hat jemand mal Backpulver und Salz?" Man gibt ihr das Benötigte, dann fällt sie ins Koma.

"Spitzen-Hack", lobt ihn einer der anderen Zwerge.

Ich nehme das Ladekabel für den Besen, finde auch eine Steckdose. "Dann will ich auch mal 'ne Runde drehen."

Der gestiefelte Kater streut Kaffeesatz in die Wunde. "Der Hexe wird's bald besser gehen." Er ist sehr zuversichtlich.

So, Besen-Akku beinahe wieder voll. "Toll, diese E-Besen." Schneewittchen steigt zu mir hinten drauf – wie bei einem Motorrad.

"Duftgeranien – schützen angeblich nicht nur vor Mücken und Wespen, sondern auch vor Vampiren." Warum erzählt sie mir das jetzt? Ah ja, unseren Weg kreuzt ein Vampir – eine merkwürdige Mischung aus Fledermaus und Mensch. Sieht abartig aus. Sag ich ihm auch. Ich pflücke in Windeseile Blumen – aber keine verdammte Duftgeranie dabei.

"Moment, bitte", sage ich zum auf mich zuschießenden Vampir. Ich schaue bei YouTube, was die Lifehacker in solchen Fällen empfehlen. Silber wäre gut. "Wusstest Du, dass sich die Innenseite von Bananenschalen hervorragend dazu eignet, um damit Silber zu polieren?" Schneewittchen will wissen, ob das jetzt nicht irrelevant sei. "Die Relevanz einer Info hängt immer davon ab, welche Kriterien man verwendet. Du z. B. vergleichst Dich immer mit Deiner Stiefmutter."

"Wird das jetzt ein Beratungsgespräch?"

Aber der Vampir hat angebissen, er verfolgt unser Gespräch. "Das interessiert mich jetzt auch. Ich habe Probleme mit meinem Vater. Ich soll auf die Fledermaus-Uni gehen. Ich will lieber mit meinen Freunden abhängen." Ich biete ihm die Hexe an, ihr würde ein Biss von ihm guttun, würde sie wieder auf die Beine bringen. Er besieht sich die Hexe, probiert von den Lebkuchen. "Gar nicht übel – mit Fleischgeschmack."

"Ich biete die in allen Varianten an", sagt die Hexe. Der Biss des Vampirs tut ihr gut. "Cool, ich hab jetzt Fledermausflügel." Sie ist total happy. Der gestiefelte Kater will auch Fledermausflügel haben. Ein neuer Trend etabliert sich.

Der Vampir schaut sich das Lebkuchenhaus und die Anbauten an. "Eine richtige Villa. Ich hause in einem Umzugskarton. Was kostet eine Übernachtung?" Man sieht, dass die Hexe voll auf den Vampir steht. "Es gäbe da Vergünstigungen."

Schneewittchen verdreht die Augen. Die Hexe weist sie darauf hin, dass sie immerhin sieben Zwerge am Start habe und sie würde noch ausführlicher werden, aber das verbiete ihr der Anstand. Schneewittchen meint, dass ihr ein Prinz eben nicht reiche, Polygamie sei ja auch voll im Trend. Die Zwerge stimmen ihr zu. Erst jetzt fällt mir auf, dass sie Fan-T-Shirts von ihr tragen.

Die Hexe teilt uns noch einen ihrer kulinarischen Tipps mit: "Euch nervt das Warten vor dem Ofen – wollt wissen, ob beispielsweise Hänsel und Gretel schon schön kross sind? Einfach ein zweites Smartphone vor dem Ofen platzieren, per Video-Call hast Du dann volle Kontrolle." Moralisch scheint sie noch nicht zugelegt zu haben.

"Spielereien, Basteleien firmieren unter dem Buzzword 'Lifehacks'", moniere ich. "'So bauen Sie Ihre eigene Ketten-Säge'. Die ganzen Lifehacks fliegen einem doch um die Ohren. Sind wir in der Bastel-Ära? Sehnen wir uns nach dem Kindergarten zurück – kollektive Regression?" Ich klinge vorwurfsvoll.

"Glaube versetzt Berge – Lifehacks aber auch", kontert Schneewittchen. "Ich habe immerhin hinter sieben Bergen gewohnt, ich muss das wissen. Die habe ich alle plattgemacht." Sie klingt wie eine Kriminelle. Gefällt mir. "Aus meinem Kosmetiktuchspender, Baukitt, Büroklammern und etwas Uran lässt sich etwas basteln, das Berge nach Belieben verschiebt oder verschwinden lässt. Magie muss nicht immer erste Wahl sein, die Technik hat's drauf. Kawumm!"

Ich schimpfe: "Ach, jeder Blödsinn wird durch den Begriff 'Lifehack' aufgewertet, geadelt; das ist grotesk!"

Die Hexe kommt mit ihren Fledermausflügeln nicht klar. "Irgendwas verheddert sich hier. Könnt Ihr mir mal behilflich sein?"

"Simplify your life – das Leben wird durch Lifehacks doch nur unnötig kompliziert. Wofür sind all diese Zweckentfremdungen gut?"

Ein Zwerg versucht, mit seiner Spitzhacke ein Bier zu öffnen. "Eine Spitzhacke ist kein Schweizer Taschenmesser", sage ich zu ihm – er schaut mich verständnislos an. "Damit putze ich mir auch die Zähne." MacGyver wäre in dieser Umgebung umgekommen – Lifehack-Wahnsinn bis zum Abwinken.

Ich hau mir mit der Spitzhacke Lebkuchen-Brocken aus dem Haus. Das stürzt ein. "Sehr solide ist das nicht." Sie tritt mir gegens Schienbein. Wie tauglich ist der Besen als Nahkampfwaffe? Nicht sehr, er bricht entzwei. Die Hexe heult auf. Ich erkläre ihr, dass der Zauberlehrling das auch so gemacht habe – aber sie hört gar nicht hin, ihre Wut ist grenzenlos. "In solchen Fällen hilft Meditation." Sie allerdings will mich in den Backofen schieben. Ich rezitiere die Ballade vom Zauberlehrling – bekomme sogar Applaus von Schneewittchen, aber das mindert nicht den Groll der Hexe. Das leidige Thema 'Unversöhnlichkeit'.

"Ist das ein Umluftherd?" Interessant diese Besichtigungstour – hier war das also mit Hänsel. Wo bleibt Gretel? Im Lifehack-Zeitalter muss man sich vermutlich selbst am Schopf aus dem Sumpf ziehen; was bleibt mir anderes übrig? Da allerdings drischt Schneewittchen von hinten mit der Bratpfanne auf die Hexe ein. "Mal was anderes, sonst rettet der Prinz immer mich." Ich gebe ihr recht, wird Zeit, dass die Frauen sich auch mal ins Zeug legen und der Hexe zeigen, was 'ne Harke ist. Das tut sie allerdings wortwörtlich: Die Harke erweist sich als noch bessere Waffe als der Besen.

Der Vampir und ich beobachten, wie die beiden Frauen miteinander kämpfen. "Hat was." Wir trinken ein Bier.

Die Zwerge meinen: "Hier wird einem was geboten." Wir schließen Wetten ab. Vermutlich sollte ich Schneewittchen beistehen, aber sie macht ihre Sache gut.

"Mit ein paar Lifehacks steht das Haus doch wieder im Nu", mache ich der Hexe Mut. Sie müsste es schaffen, ihren Zorn zu zügeln. Ich lasse Meditations-Musik erklingen – der Handy-Empfang ist hier gar nicht schlecht. Doch die Musik treibt sie vollends zur Raserei. Außerdem macht ihr vermutlich zu schaffen, dass Schneewittchen sie am Schlafittchen gepackt hat und Rechenschaft von ihr fordert für all die Gräuel.

"Das sind doch nur Gräuelmärchen! In Wahrheit bin ich Veganerin!" Soll man ihr glauben? Unzählige Knochen auf dem Boden sprechen eine andere Sprache. "Sieht nicht nach Tofu aus."

Vielleicht sollte ich meine Reportage an einen anderen Ort verlegen, aber die Hexe meint, wir könnten bleiben, sie kriege sich wohl wieder ein. "Ich hab manchmal so Phasen, da wird mir alles einfach zu viel. Da wächst mir alles über den Kopf." Sie deutet auf ihre Fledermausflügel, die tatsächlich enorm viel Platz beanspruchen.

"Welcher Lifehack repariert das schlechte Gewissen?" Sie sieht schuldbewusst aus.

Der Vampir tröstet sie. "Ich habe auch einiges auf dem Kerbholz, wen ich alles schon gebissen habe. Promis waren dabei." Wir hören ihm zu, wobei nicht zu beurteilen ist, ab wo die Flunkerei beginnt. Soll er aufschneiden. Schneewittchen gesteht, dass sie mehrmals den Prinzen betrogen habe – wir kommen uns vor, als säßen wir auf einem großen Beichtstuhl oder einer Beichtbank. Was nützt der beste Lifehack, wenn die eigentlichen Probleme nicht per Klebeband oder Baukitt gelöst werden können: Wo bleiben die Lifehacks für die Seele?

Wir helfen der Hexe beim Wiederaufbau – was aber erstaunlich schnell geht, da die Lebkuchen-Bausteine mit Magie verbunden sind und sich fast wie von selbst wieder zusammenfügen.

"Das macht das Haus öfters, es sackt in sich zusammen, rappelt sich wieder auf. Irgendwie sympathisch."

Auch der Besen ist dank Magie und Uhu wieder so gut wie neu. Muss mir auch so ein Ding besorgen – vielleicht verkauft die Hexe mir einen? Ich habe in ihrem Schuppen ein ganzes Sortiment gesehen.

Schneewittchen meint beiläufig, sie würde gerne mal wieder ihren Prinzen betrügen, und da sie mir dabei zuzwinkert, verspricht der Abend interessant zu werden. Auch der Vampir und die Hexe ziehen sich diskret zurück. Friede, Freude, Eierkuchen – und Lebkuchen obendrauf. Und wenn sie nicht gestorben sind, hacken sie noch heute.

 

ENDE

 

Impressum

Cover: Cover von https://pixabay.com/de/photos/wald-nebel-morgen-morgenstimmung-3287976/
Tag der Veröffentlichung: 15.08.2019

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