Was fasziniert an Büchereien?
Man braucht nur die Bücher aufzuschlagen,
schon sprechen sie zu einem.
Man muss sich gar nicht entscheiden:
mal reinblättern;
Wissensgebiete, die sich einem vorstellen;
sie wirken interessant;
manche langweilen.
Sie sind enttäuscht;
man stellt die Bücher zurück ins Regal,
sie werden nicht ausgeliehen.
Fast ist es so wie mit Hunden aus dem Tierheim.
Man kann ja nicht alle mitnehmen.
Okay, das war früher.
Heute gibt es das Internet,
da wird einem alles als Datenstrom geliefert;
E-Books benötigen keine Räume,
sie sind bescheiden.
Und dennoch hat es was,
so zwischen den Bücherregalen zu flanieren.
Man hat Zeit;
so viel Ungelesenes.
Man füllt seinen Speicher.
Niemals voll.
Man kann immer nachtanken.
Lernen, nicht weil man es muss,
sondern, weil es sich so ergibt.
Schreibstile kennenlernen;
Schriftsteller kommen einem näher.
Es zählt nicht die Ordnung.
Stöber-Erlaubnis.
Die Unmenge an Büchern fordert es ja geradezu.
Eine Art Wissens-Shopping.
Peripheres Wissen wird aufgeladen;
das ist sehr nützlich –
und überraschend verlässlich.
Ein bisschen fühlt man sich wie ein Pirat,
Freibeuter, der hier und da Beute macht –
und auch wenn ihm manches zunächst
wie Plunder erscheinen mag,
so findet dennoch eine merkwürdige Verwandlung statt:
Schätze des Geistes – durch Aneignung.
Die Bibliothek von Alexandria –
alles verloren;
einst emsig zusammengetragen;
was Menschen übers Universum gedacht;
bis mal jemand auf die Idee kam,
es zu befragen.
Ein Hort des Wissens.
Jeder eine kleine Bibliothek;
wenn man Glück hat, hat der Bibliothekar
es einigermaßen geordnet,
einigermaßen in Schuss.
Und es bringt Spaß, von Zeit zu Zeit
das zu inspizieren,
und selber dem etwas hinzuzufügen:
durch Kombination, Schlussfolgern.
Jedes Mem ein Wissensbaustein.
Dennoch kann die innere Bibliothek
nie einer hochherrschaftlichen gleichen;
man bekommt nicht dieses Maß
an Ordnung und Genauigkeit;
immer fehlen einige Bände –
meist die, die man gerade dringend benötigt;
oftmals leere Seiten – wobei unklar bleibt,
ob die Zeit die Impertinenz besaß, das zu löschen,
oder ob es der eigenen Fahrlässigkeit
im Umgang mit Wissen geschuldet ist.
Man sollte sorgsamer sammeln.
Aber es hat etwas Welt-Ergreifendes,
wenn man durch die Wissensgebiete springen kann
ganz nach Belieben – die Bücher in Griffweite –
sie nehmen nicht Reißaus.
Sie wetteifern sogar darum, beliebt zu sein;
sie wollen viel ausgeliehen werden,
sind stolz auf ihre Eselsohren.
In ihrer Welt ist Tadellosigkeit ein Makel.
Abgegriffen müssen sie sein,
manches unterstrichen –
das ist echte Wertschätzung,
das sind ihre Ehrenabzeichen.
Sie stoßen ein Tor auf,
die Welt ist nicht mehr so beengt,
hat Weite.
Faszination der Buchstaben – ihnen erlegen;
sie haben Magie – und leugnen es nicht.
Anlesen, überfliegen,
andächtig etwas wiederholen,
sich Sätze einprägen wollen:
die ganze Vielfalt des Lesens.
Man muss nicht bei der Sache sein,
die Bücher nehmen es einem nicht übel,
freuen sich natürlich, wenn man sie des Öfteren liest –
gewissermaßen so etwas wie eine Zugabe:
Man entdeckt Verborgenes in den Sätzen,
die sind darob erfreut.
"Uns wird Tiefe bescheinigt."
Man muss sich nicht entscheiden,
es ist kein Shop;
man leiht sich Wissen,
man kann es zum Viertel nutzen
oder zu 115 Prozent.
Man kann die Ausleihfrist verstreichen lassen –
aber letztlich wollen die Bücher
zurück an ihren angestammten Platz.
Tut ihnen der Rücken weh?
Sie harren da geduldig aus.
Eine Wort-Armee, bereit,
den Menschen beizustehen.
E-Books fehlt diese Magie,
man kann nicht zwischen ihnen hindurchgehen,
als ob man wie Dagobert Duck
ein Bad in seinen Talerchen nimmt.
'Auf, bade, Schüler, unverdrossen
die ird'sche Brust im Morgenrot!'
Eine gute Parole.
Bibliotheken sind Theken,
an denen man trunken werden kann vom Wissen.
Vorausgesetzt, man hat Wissensdurst.
ENDE
Bildmaterialien: Cover von https://pixabay.com/de/prag-bibliothek-prag-kloster-b%C3%BCcher-980732/
Tag der Veröffentlichung: 06.12.2018
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