Cover

Inhalt


Essays:


Beruf und Berufung * Eis * Haustier * Heiterkeit * Meer * Musik in meinen Ohren * Gedanken zur Musik * Ich liebe Shakespeare * Stille * Stille und Binärcode * Verbunden mit dem Internet * Verspielte Namen * Wunderpillen im Angebot * Erziehung * Glaube * Heimat-Gedanken * Lebensplanung * Carpe diem * Gruppe * Kulturförderung * Traumfrauen * Weg mit dem Wald * Zufall vs. Plan * Pirat sein


Beruf und Berufung


Früher wollten die Kinder Lokomotivführer werden; aber es sind neue Berufsmöglichkeiten hinzugekommen: Gelernter Ränkeschmied – das lernt man, wenn man zig Videospiele gespielt hat oder wenn man sich allzu sehr mit den Antagonisten der Serien beschäftigt. Binge Watching – das färbt ab.


In welcher Tanzschule wird die richtige Traumtänzerei unterrichtet? Man klebt so an der Realität, zu viel Bodenhaftung. Traumtänzer sucht Traumtänzerin – man mag es ja gar nicht zugeben, dass man kein Fan der Realität ist und dass man seine eigene Version gerne in Umlauf bringen würde.


Da kann man sich ja gleich zum Aktenordner umschulen lassen – oder einer Karriere als Schwarzmaler stünde nichts im Weg. Sich weigern, Nuancen wahrzunehmen, Schwarz-Weiß-Malerei in Perfektion betreiben.


Früher hat man dem Beruf eine Chance gegeben, dass er einen auswählt, heute forciert man alles, drängt sich in Berufe, die einen gar nicht haben wollen, ignoriert geflissentlich alle Warnanzeigen – weil es eben vernünftig ist. Aber ist das Herz bei der Sache? Das Herz geht in Berufung, will Mitspracherecht, sagt etwas von Berufung – dass es einen Auftrag liegen habe; beauftragt von wem? Wenn es nur diese Dimension geben soll, dann sind da keine anderen Mächte involviert – man hat es nur mit der Realität zu tun – und zwar in der Lesart, wie es Lehrer Zeitgeist wünscht.


Eignet man sich als Ladenhüter? Es liegt nicht jedem, auf Teufel komm raus up to date zu sein; wo bleiben die Nostalgiker? Die Zeit überholt sich selbst, ihr ist das aber immer noch nicht schnell genug, sie hupt sich selber von der Überholspur, sie fühlt sich sehr dynamisch – und erreicht die Zukunft 5 Minuten vor der vorgesehenen Zeit. Warum diese Eile, diese Hektik? Verpasst die Wissenschaft irgendetwas? Die Berufe werden immer spezialisierter, es geht immer weiter in die Tiefe; die Nachbardisziplinen rufen sich was zu, aber man hört einander kaum – jeder treibt seinen Stollen weiter voran, durchwühlt das Sein auf der Suche nach dem Schatz der Wahrheit. Wer es wohl am ehesten entdeckt? Deshalb diese Eile? Aber halten wir den Heiligen Gral nicht schon in unseren Händen? Wir sind mit Verstand gesegnet, ein Privileg in der belebten Natur. Was ist des Menschen Beruf? Ausbeutung, Drangsalierer des Seins, es zu Aussagen nötigen – auch mit Hilfe der Mathematik. Man will wissen, wo man ist; was ist dieses Sein, das einfach nicht auspacken will und sich partout nicht auf eine Weltformel reduzieren lassen will?


Wo ist das Portal zum Himmelreich? Vielleicht sollte man Türspion sein? Aber vermutlich hat der Himmel Spionageabwehr. Ist auch fraglich, ob man im Himmel seiner Tätigkeit als Schürzenjäger weiterhin nachgehen darf, obwohl die Engel sich ja der Liebe verschrieben haben.


Dünnbrettbohrer sucht Dünnbrettbohrerin – man darf nicht so ehrlich sein, nicht zugeben, dass man gegen Bequemlichkeit nichts einzuwenden habe, man soll sich bequemen zu all dem, wozu einem eigentlich die Lust fehlt; Disziplin soll das wettmachen.


Man würde gerne als Frühlingsbote anfangen, den Frühling verkünden mitten im Winter; kann ja sein, dass die Ankündigung eine Veränderung bewirkt: Man modifiziert mit der Sprache die Realität, formt sie wie ein Bildhauer, glättet sie, streicht hier was weg, zeigt der Realität Strukturen auf, die ihr selber entgangen sind.


Vielleicht als Gabelstapler anfangen? Vielleicht gabelt man das Glück besser auf, nutzt den Zufall, integriert ihn in seine Gleichungen? Über Gabeln meditieren – man könnte sich jeden Alltagsgegenstand nehmen, in allem steckt Weisheit, manchmal muss man es schütteln wie ein Salzfass, manchmal es aufbrechen wie einen Glückskeks.


Die Berufung des Menschen – auf seinen eigenen Ruf hören, die Seele spricht meist nicht so laut, man überhört das, wenn einen der Alltag voll in Anspruch nimmt.


ENDE


Eis


Beim Eis kommt es ja nicht nur darauf an, es zu essen: Das Ritual des Aussuchens, des Zusammenstellens – die Vorfreude auf die Köstlichkeit, diesen Moment um ein Weniges hinauszögern, es in der Schwebe halten, für welche von den dargebotenen Köstlichkeiten man sich entscheiden wird – dann ist es sogar möglich, dass man das Gefühl hat, dass einem mit 30 Pfennig die Welt gehören kann. Welches Produkt vermag das zu leisten? Das Eis aus der Truhe, das Eis am Stiel – es hat immer Stil, es ist in jedem Fall köstlich und hochwillkommen. Es kommt ja auch auf die Umstände an – meist genießt man Eis bei sommerlichen Temperaturen, Sommer in der Seele, es ist ein Automatismus ... Eis hat diese Fähigkeit – man kommt sich vor wie ein Pawlowscher Hund – Eis erzeugt Wohlgefühl. Ist ja auch was Besonderes: Inmitten der Wärme was Kühles – wie schafft der Mensch das? Tiere schaffen das nicht, sie sind Abhängige der Natur, ihr ausgeliefert; der Mensch ist Temperatur-unabhängiger, er ist stolz auf seine Technik, die ihm Hitze oder Kälte erträglich macht. Er erobert sich völlig unwirtliche Gebiete, erklärt sie zum Paradies. Schon als Kind hat man dieses Triumph-Gefühl: Der Sommer kann einem nichts anhaben, man ist gewappnet, es gibt Mittel und Wege, es nicht nur erträglich zu machen, sondern sogar grandios. Diese Meinung, diese Haltung beibehalten – Eis als Emblem der kindlichen Freude: dem Unwirtlichen zu trotzen, es eiskalt abservieren, ihm die kalte Schulter zeigen, cool sein dank Technik. Der Natur überlegen, die sonst immer die besseren Karten zu haben scheint.


Eis muss relativ schnell gegessen werden, es tropft, es leckt, es spielt seine Spielchen mit uns. Dass einen Konsistenz so begeistern kann – dasselbe in flüssiger Form hat jeglichen Reiz verloren; cremig, zarter Schmelz, auf der Zunge zergehen – das verlangen wir von einem Eis, das muss es bringen.


Vorfreude – warum bringt es so viel Spaß, es hinauszuzögern? Sich nicht gleich entscheiden für eine bestimmte Eissorte, die Möglichkeiten abwägen – in dem Moment ist man noch frei ... Was, wenn es keine Kriterien gäbe, wenn es beliebig wäre, wofür man sich entscheiden würde – könnte man sich entscheiden? Man ist es gewohnt, Urteile zu fällen, abzuwägen; was ist, wenn das Urteil lautet: unentschieden? Ein Roboter würde kläglich versagen. Er würde seinen Algorithmen vertrauen – doch die wüssten keinen Rat. Man hat es im Leben oft mit Belanglosigkeiten zu tun, es ist völlig unerheblich, wie man sich entscheidet, Jacke wie Hose – es macht uns nichts aus, wir scheinen eine Art Zufallsprogramm in uns zu haben; doch angeblich ist tatsächlicher Zufall im ganzen Universum nicht anzutreffen. Wen beherbergen wir da? Ist der freie Wille ein Bündnis mit dem Zufall eingegangen – verstehen sich die beiden hervorragend? Kumpels? An sich dürfte es per definitionem keinen von beiden geben. Bei der Beliebigkeit entscheidet es sich: Entscheidet das Universum für uns oder können wir das der Willkür überlassen – diesem Konglomerat aus freiem Willen und Zufall, dieser Zweckgemeinschaft? Himbeer oder Erdbeer – das mag nichts Weltbewegendes sein, aber wenn man sich in tausend Durchläufen immer für dasselbe entscheiden würde unter exakt denselben Bedingungen – obwohl es an sich egal wäre – das wäre eine deutliche Schlappe für den freien Wilen. Meist muss er ja zurückstecken, die Notwendigkeit hat das Sagen – er schweigt, wartet auf seine Gelegenheit. Vielleicht macht es deshalb so eine Freude, etwas aussuchen zu können, sich für etwas entscheiden zu können, bei dem die Notwendigkeit sich nicht immer vorlaut einmischt, ihre Stimme erhebt? Es ist beliebig – und man genießt diesen Moment der Beliebigkeit, möchte ihn ausweiten, ausdehnen; man ist in der Welt der Potenzialität, man hat entdeckt – wie durch Zufall –, dass von hier aus jede Menge Abzweigungen möglich sind. Freiheit, außerhalb des Universums stehen und seiner Ganggenauigkeit; einen Moment einfach dehnen, sich die Freiheit nehmen, ganz egal, was Einstein sagt: Man selber ist Herr der Zeit; es geht um Aufmerksamkeits-Energie – wie viel davon pumpt man in den einen Moment? Man kann sich an solche Momente später gut erinnern, als ob sie mit einem Marker versehen sind. Wiederauffindbarkeit – darum geht es auch beim Genuss eines Eises, bewusstes Genießen, es unterscheidet sich vom Üblichen, man weiß, so ganz gesund ist es nicht, eine Ausnahme – muss gerechtfertigt sein durch den Erlebnis-Wert. So kommt es, dass eventuell vor allem das Luxuriöse im Leben seinen bevorzugten Gedächtnisspeicher-Ort erhält: Man hat sich mal was gegönnt – auf Kosten der Gesundheit ...


ENDE


Haustier



Wenn einem die Haustiere immer ähnlicher werden – sie wählen unsereins als Vorbild, eifern dem Menschen nach, wollen so sein wie ein Zweibeiner. Beeinflusst das das Interieur, deformiert es deren Psyche? Was für eine seltsame Selektion muten wir ihnen zu? Sie sollen immer anhänglicher werden, kooperativer, gute Kumpels ... Das Tierische bleibt völlig auf der Strecke. Stichwort Domestikation – sie sollen zum Haus passen, das Wilde wird ad acta gelegt; das Possierliche herangezüchtet, man mag es, wenn sie gehorchen, gefügig sind. Revoltierende Tiere sind nicht so der Bringer im Zoofachgeschäft.



Ist ja nicht so, dass sie ohne Aufgaben wären: Sie sollen dem Menschen guttun, seine Lebensqualität erhöhen. Schließlich wurde auch der Mensch domestiziert, ans Haus gewöhnt. Er ist nicht mehr der Wildtyp, der durch die Wälder streift, er trägt die Last der Kultur auf seinen Schultern. Der Hund wurde schon früh abkommandiert, ihm dabei behilflich zu sein; ein Jagdgefährte, jemand, der das Apportieren draufhat.



Goldfische eignen sich nicht so zum Streicheln, man achtet auf Kuschelqualität. Auch der Mensch soll kuscheliger werden, verlangt die Evolution; das Miteinander erfordert es; wenn über 7 Milliarden Menschen eng zusammenleben, dann sollte da schon ein Übermaß an Aggressivität rausgezüchtet werden; die Empathie-Front stärken ... Ist der Mensch letztlich nur ein Nutztier der Evolution? Was hat sie mit ihm vor? Wohin geht die Reise? Ein juveniler Affe – nie wirklich erwachsen geworden, von der Evolution daran gehindert; verharrt im Jugendlich-Sein, offen fürs Dazulernen, begierig, dazuzulernen. Neotenie – alle Tiere werden erwachsen, nur der Mensch nicht.



Sind wir so etwas wie Gottes Haustier? Stellt sich die Frage, was sich Gott davon verspricht.



Es gibt nicht-domestizierbare Arten, die wollen auf Teufel komm raus nicht kooperieren, lassen nicht ab von ihren natürlichen Anlagen, sind nicht wegzubringen von ihren ursprünglichen Programmen. Warum ist der Mensch so leicht umprogrammierbar? Er ist ein Cultivar par excellence. Kultiviert – der alleinigen Hoheit der Evolution entrissen und in die Hände gegeben einer Gottheit, die ihn nach ihrem Belieben formt, so wie es der Mensch mit den Hunden zu tun pflegt. Deshalb die erstaunlichen Fortschritte, Veränderungen, Adaptionen, die nötig waren, um ihn aus der Schimpansen-Ecke rauszubefördern? Die Evolution verlangt keine Sprachprüfung, da braucht man kein besonders großes Vokabular, um ihren Test zu bestehen. Hunde lernen ja auch unzählige Kommandos, parieren aufs Wort. Unterstellt man da ein Interesse? Wie weit soll die Domestizierung voranschreiten? Schon seltsam, dass in uns der Wunsch so tief eingepflanzt ist nach Religion und nach höheren Wesen, nach denen wir uns richten, ausrichten können.



Die Verwandlung des Wolfes in einen Hund ging recht flott über die Bühne; ein wesentlich höheres Tempo als das der Evolution; da drückt

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Bildmaterialien: Cover von ONYXprj/bigstockphoto.com
Tag der Veröffentlichung: 31.10.2018
ISBN: 978-3-7438-8508-0

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /