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Interview mit William Turner

Moderator: "William Turner, als Maler hast Du der Welt viel gegeben; um genau zu sein: 20.000 Werke. Hast Du es je bereut? War Malerei irgendwann ein Fluch, ein Laster?"

 

William Turner: "Hab ich nie so gesehen. Ich freue mich, dass ich in der Engels-Late-Night-Show dabei sein darf; man macht sich vorher ja furchtbar viel Gedanken; wie ist es so im Himmel, wird es mir da gefallen, wäre ich nicht doch lieber in der Hölle? ..."

 

Moderator: "Hier im Himmel ist viel von Glück die Rede; gab es besondere Glückstage für Dich?"

 

William Turner: "Immer wenn ich allein sein konnte mit einem Bild, das Grundierte wartete auf seine Bestimmung, das waren Glücksmomente – die möchte ich nicht missen. Man müsste es schaffen, dass das ganze Leben einem Glückstag gleicht. Aber wo nähme ich dann das Düstere her, die Melancholie? Es hält sich die Waage in meinen Bildern, mal bedrängt das Unheil den Frieden, dann ist es die Langeweile selber, die für Aufruhr sorgt; sie birst hervor und gebiert das Böse, den Unfrieden – aus lauter Lust am Abenteuer und am Anderssein."

 

Moderator: "Das sind gewagte Worte hier im Himmel."

 

Moderator sieht sich um.

 

Moderator: "Wir haben auch Gäste aus der Hölle bei uns; die machen das gerne publik, wenn hier Unzufriedenheit zu spüren ist. Ich will keinen Druck ausüben, aber ein Lächeln so ab und zu wäre durchaus angebracht."

 

William Turner: "Mag nicht. Ich lasse gerne meine Bilder für mich sprechen. Ich seh, Ihr habt sie alle ausgestellt. Ich hatte damals auch eine Galerie – war ein Novum – dass ein Maler so eitel ist, sich mit seinen Bildern zu umgeben; aber sie gaben mir ein gutes Gefühl; ich betrachtete sie immer als meine Freunde; schön, sie wiederzusehen."

 

Er geht an den Bildern entlang.

 

William Turner: "Das Seeungeheuer-Bild habe ich nie beendet. Vielleicht ergibt sich ja die Gelegenheit? Vermutlich könnte man das in der Hölle besser hinkriegen; ich bin da nicht so der Experte; ich habe immer versucht, das Gute durchschimmern zu lassen; mag sein, es ist die Sonne, die verstellt wird von allerlei. Wie sieht es die Sonne, wie ist ihre Sicht der Dinge? Das klare, helle Licht. In meinen Bildern ergießt es sich in aller Buntheit – ich gestatte es, ich dränge sie geradezu dazu; soll sie sich ergießen – ihre Strahlen spenden Leben; könnte man das von seinem Wirken auch behaupten; nun gut, ich habe Tausende von Bildern in die Welt gesetzt – aber haben sie das Licht verstärkt? Ich werde melodramatisch; was ist in meinem Cocktail?"

 

Moderator: "Nektar und Ambrosia. Die alten Legenden sind wahr. Das hier im Himmel soll eine immerwährende Cocktailparty sein – das war das Konzept. Frohsinn, ein paar Interviews ..."

 

William Turner: "Ich würde ja gerne gute Laune verbreiten, aber mir fehlt irgendwie der Anlass. Aquarelle haben so etwas Vorläufiges; so ist mit zumute: Als ob ich darauf warten würde, dass etwas passieren würde, dass ich umgearbeitet werde in ein exzellenteres Gemälde; komme mir oft wie eine Skizze vor. Das Leben an sich hat so etwas Skizzenhaftes; auch wenn ich hier mein Gesamtwerk im Blick habe; ich war immer zu sehr Ästhet? Habe das Schöne sehen wollen, es sollte zur Geltung kommen – trotz aller Widrigkeiten, allem Unschönen bricht es sich Bahn, kraftvoll, unaufhaltsam; habe ich das irgendwie vermitteln können?"

 

Er schreitet an seinen Bildern entlang.

 

William Turner: "So ein Rückblick tut gut. Sammeln. Vielleicht hätte ich mehr das Unschöne betonen sollen, Nachdruck auf das, was mir missfällt? Aber man will ja gefallen, will sich mit der Welt gutstellen, sie nicht allzu sehr kritisieren; in Maßen. Ja, die Natur weiß, zu gefallen. Es fiel mir nie schwer, sie zu bauchpinseln – wenn mir dies Wortspiel gestattet ist. Oder ist man ein Einfaltspinsel, weil man auf sie hereinfällt? Bleibt man ein oberflächlicher Typ? Als Maler bevorzugt man das Sichtbare, die Hülle; die Natur hat es leicht, einen zu hintergehen. Vielleicht habe ich sie verraten – weil ich mich ins Abstrakte Land begeben habe? Auflösung des Gegebenen, es ignorieren, es ersetzen durch Gedankenbilder … Wie sie die Farben mengt und rührt: Die Imagination – von mir gestärkt. Sie hat mich beeindruckt. Dass da ein Gegenspieler ist zur Realität, der es womöglich mit ihr aufnehmen kann. Imagination."

 

Moderator: "Warum Landschaften? Alles andere nur Staffage?"

 

William Turner: "Ich habe die Weite gesucht, Antworten, die ich bei den Menschen nicht fand. Hat das Meer sie zu bieten? Es ist bewegt, ich tue so in meinen Bildern, als ob ich es eingefroren hätte, als ob ich einen Moment eingefangen hätte, als ob es mir gelungen sei, aber es gelingt nur mittels der Imagination. Sie hält die Zeit an, sie kann zurückspulen, vorwärtsspulen, schneller Durchlauf – alles kein Problem. Nicht so die Natur. Sie muss sich an das vorgegebene Maß und Tempo halten. Der Künstler ist freier, er wandert quasi wie Jesus über das Wasser, es ist ihm ein Leichtes. Er ist in seiner Imaginations-Welt, und er will die anderen daran teilhaben lassen, die Schwerelosigkeit, die Mühelosigkeit – Glück, das so greifbar ist wie ein Apfel; ich weiß, wir stehen hier im Paradies-Garten – und ich sollte mir diese Anspielungen verbieten; aber war es nicht ein Glückstag, ein Glücksgriff: Der  verbotene Apfel – ihn dennoch zu nehmen, sich übers Gebot hinwegzusetzen? Der Mensch würde zur Staffage verkommen, würde er die Gebote beachten. Er muss sich darüber hinwegsetzen. Ich weiß, das klingt jetzt sonderbar, aber auch in der Kunst musste ich Grenzen überschreiten, um mir selbst treu bleiben zu können, meinem Anspruch. Man bleibt sonst hinter seinen Ansprüchen zurück. Ich habe das Portal zum Abstrakten aufgestoßen: Wurde mir im Nachhinein klar; mich immer weiter entfernt von den Vorgaben der Natur. Die Imagination drängt ins Bild. – Sag mal, die Cocktails hauen ganz schön rein."

 

Moderator: "Fördert ein wenig die Gesprächigkeit. Du hast Recht: Kunst, die die gezogenen Grenzen achtet, die ist vermutlich zu brav. Sie will mehr sein als ein Abbild, sie ist grenzenlos."

 

William Turner: "Vielleicht ist das eine Definition von Glück: Wenn das Grenzenlose auf das Reale trifft – dem nachspüren, es malen. Kann sein, dass bei meiner Bevorzugung des Ästhetischen das Moralische auf der Strecke bleibt – Du siehst ja, ich lobe den Raub des Apfels; ich wäre ein schlechter Künstler, wenn ich mich nicht mit allen Mitteln um Erkenntnis bemühen würde. Ein immerwährender Glückstag – dieses Bild lässt mich nicht los. Was hindert einen daran? Manches gelingt nicht, man ist verärgert; man stellt für sich selbst Regeln auf – und befolgt sie nicht, scheitert an Belanglosigkeiten; und dennoch – das Glück sollte wie eine Burg über allem stehen. Ich bin sonderbar zuversichtlich. Entweder ist das der Cocktail, oder ich bin begeistertet über meine Bilder. So mit Abstand betrachtet, ist es, als würde ein vergangener Tag mich besuchen, mir auf die Schulter klopfen und sagen: 'Weißt Du noch?' – Du erwähntest 'Staffage' – manchmal ist einem so, als sei man in seinem eigenen Leben lediglich Staffage, kein heroisches Landschaftsgemälde, man kann es nicht aufnehmen mit der Landschaft, man ist nicht Heros genug. Ist das mein Eingeständnis, dass die Natur gesiegt hat? Sie ist anbetungswürdig, sie ist der wahre Heros. Ich habe sie immer bewundert, vergöttert. Das Meer, die Berge – sie abzubilden, erschien mir eine würdige Tätigkeit. Aber muss der Mensch nicht nach Würdigerem streben? Es gibt keine Porträts von Gott. Meinst Du, er würde sich von mir porträtieren lassen?"

 

Moderator: "Gewagte Frage. Als Gegenargument könnte man geltend machen, dass bei Dir die Imagination sich doch sehr in den Vordergrund drängt."

 

William Turner: "Schon wahr. Am Ende male ich Gott als Farbe, übertreibe es mit dem Abstrahieren und gelange ins Gegenstandslose."

 

Moderator: "Ich erfahre gerade, dass Er Dir tatsächlich Modell stehen würde. Es liegen ausreichend Referenzen vor."

 

William Turner: "Prima. Scheint, dass das Thema 'Glückstag' da einiges in Bewegung gebracht hat. Man soll ja auch nicht den Teufel an die Wand malen – also Obacht, was man sagt, malt, denkt. So mal in die Runde gesagt."

 

Moderator: "Diesen Rat hören die Engel gewiss nicht zum ersten Mal, aber wir sammeln das und machen Kalendersprüche daraus."

 

William Turner: "Kein Grund für Ironie. Hier sieht es idyllisch aus – dennoch ist es Farce. Ihr habt die Probleme in die Hölle ausgelagert."

 

Moderator: "Und, wo ist das Problem?"

 

William Turner: "Ich habe in meinen Bildern immer versucht, beides zu berücksichtigen: Es ergänzt sich doch, eines kann nicht ohne das andere."

 

Moderator: "Das ist dann doch ein bisschen viel an Ehre für die höllische Fraktion."

 

William Turner: "Vielleicht fühle ich mich deshalb nur wie ein Schatten: Das dämonische Element fehlt mir. Deshalb die Begeisterung und die Faszination – ich finde nichts Kritikwürdiges, ich bin ein Lamm ..."

 

Moderator: "Das ist notwendig; im Himmel käme es zu Aufständen."

 

William Turner: "Dann ist das nur die eine Seite der Medaille? Wieso bin ich so aufsässig? Vermutlich habt Ihr Recht; trotzdem erscheint es mir wie eine Dichotomie. Etwas, was ich in meinen Bildern immer vermieden habe: Da bildeten sie eine Einheit. Das Wüten, die Leidenschaft, die Verzweiflung, die Traurigkeit – all das gehört mit in meine Bilder, die können nicht außen vor bleiben!"

 

Moderator: "Trink Deinen Cocktail – und denk nicht weiter drüber nach."

 

William Turner: "Das Erhabene ist angewiesen auf das Dunkle, wie könnt Ihr das ausradieren?"

 

William Turner ist fassungslos.

 

Moderator: "Unsere Sendezeit ist leider um. Ich bitte um einen herzlichen Applaus, der die Fragen von William Turner übertönt. Vielen Dank."

 

ENDE

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 07.08.2018

Alle Rechte vorbehalten

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