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Dating-Storys

 

42 Storys übers Daten. Rendezvous - voulez-vous? Das fragen sich die Protagonisten. Sie zetteln damit oft mehr an, als ihnen lieb ist. Humorvoll, wagemutig; und mehr Leidenschaft, als gut für sie ist.

 

Jagd-Date * Der gemietete Hund * Gruppensex * Bouldern und Flirten * On Fire - Zirkus Held * Alster * Angel cries - Der Schutzengel des Stuntmans * (N)ICE * Game-Date * Computerheldin hautnah * Date mit Artemis * Die blaue Lokomotive * Eremit * Escape Room Boom * Mein Fahrstuhl-Date * Botina * Isabel, die Prinzessin auf der Erbse * Dornröschen und Prinz Richard - Dreamteam * Die Prinzessin, Baba Jaga und der Frosch * Frozen Heat * Fit für Graffiti * Mein Date mit Jane Austen * Spontan-Kreuzfahrt * Krimidinner * Landpartie * Die Marktfrau * Der Surrealist und die Muse * Date auf der Kunstmesse * Aurora * Nachtclub * Bewusstheit trainieren beim Sex * Rettungsinsel-Date * Schuhe * Parkour und Courschneiderei * Isabelle und Schaufina * Das Cosplay Speed-Dating * Date mit der Lady of Shalott * Undine * Urwald-Date * Weiße Weihnacht - Mission Mistelzweig * Der Skipper und die Lady * Spion und Spionin

 

Jagd-Date

 

Ich verstand mich immer eher als Glücksjäger, Schürzenjäger, Schatzjäger - dass eines Tages der echte Jäger gefordert sein würde, das kam überraschend. Veronika hat mich zur Jagd eingeladen und ich stelle fest: Was für den einen ein Date ist, ist für den anderen der Versuch, möglichst viele Mutproben an einem Tag abzulegen, wobei einen Keiler mit dem Saufänger anzugehen, noch die harmloseste Variante zu sein scheint. Auf was habe ich mich bloß eingelassen. Sie will ihrem Vater, der anerkannter Jäger und Großwildjäger ist, beweisen, wozu eine Frau in der Lage ist. Er hat sich immer einen Sohn gewünscht. Also aktiviert sie das Martialische in sich. Meine Schießerfahrung beschränkt sich auf Computerspiele - das ist so, als würde man versuchen, eine Boeing landen zu wollen, weil das auf der Xbox One ja auch so gut klappte. Hoffentlich machen sich die Hirsche rar, ich will keinem von ihnen was zuleide tun, und wenn sie mir nichts zuleide tun, umso besser. Aber vielleicht ist das eine gute Übung, um den Jäger in mir zu wecken; da muss doch archaisches Material vorhanden sein? Eine Million Jahre Jagd auf Wild gemacht, immer präzisere Waffen entwickelt - und alles, was ich an Jagd-Erfahrung vorzuweisen habe, ist der Schuss mit einer Zwille auf eine Ratte? Wie armselig ist das denn? Ich möchte mir auch solche Kriegsbemalung wie Veronika übers Gesicht schmieren: grüne Streifen; Tarnung. Mehrere Millionen Wildschweine in Deutschland - die haben keine natürlichen Feinde. Erst mal das Moralische klären. Orgelt da ein Hirsch? Toll, die sind in der Brunft - und ich muss mich beherrschen. Eigentlich ist es im Hochsitz ganz gemütlich.

„In England machen sie sich Sorgen, weil seit 400 Jahren wieder einige Wildschweine unterwegs sind - immerhin bis zu 50 Stundenkilometer schnell; Spezialität: rasiermesserscharfe Hauer.“

Ich versuche, diese Info möglichst gleichgültig zu registrieren, denn wie ich Veronika verstanden habe, will sie sich nicht so sehr auf Flinte und Büchse verlassen, sondern auf Jagdmesser und Speere. Back to the Roots. Ich deute an, dass die Wildschweine ja nicht nur eine Gefahr für den englischen Rasen seien, sondern womöglich auch für Menschen, die vor ihnen davonrasen. Nichts läge mir ferner, als Fersengeld zu geben - muss toll sein, dem Keiler wie Tarzan entgegenzustürmen. Ihr mokantes Lächeln gefällt mir gar nicht.

„Hatzhunde hatten ein festes Halsband zum Schutz der Kehle und Panzerjacken. Für unser nächstes Date besorge ich mir so etwas“, äußere ich meinen Wunsch. „Nicht mal eine Kapelle ist in der Nähe. Wie sollen Helden so arbeiten? Das tapfere Schneiderlein war damit aus dem Schneider.“

Sie sagt: „Wir wollen das Wild nicht einfangen, wir wollen es killen.“

Klare Ansage.

„Wie wäre es zum Warmwerden, wenn ich einem Hasen den Krieg erkläre? Das sind gewitzte Burschen, und soweit ich weiß, gelang es dem Hasen im Struwwelpeter, Jagd auf den Jäger zu machen.“

Ich sollte mehr zum Paarungsverhalten gehörende Verhaltenssequenzen zeigen, das bewährte Repertoire - ich rufe mir in Gedanken das imposante Bild eines Platzhirsches auf meine mentale Leinwand; kann er mich inspirieren? Vielleicht verweile ich zu oft in der Meta-Ebene? Der moderne Mensch reflektiert, spekuliert, dabei wäre ein Instinkt-getriebenes Leben um so vieles einfacher. Konkurrenten auf die Hörner nehmen, sich suhlen - und jeden Tag zwischen acht und zwanzig Kilogramm futtern. Mir genehmes Vokabular verwenden - das Gespräch mehr in Richtung Date und Laszivität bringen.

„Das Reh ist ein Schlüpfertyp - durch seinen Körperbau kann es prima durch das Dickicht durchschlüpfen.“

„Ich glaube nicht, dass das der richtige Zeitpunkt ist, um über Schlüpfer zu reden. Bislang hast Du mich noch nicht beeindruckt. Leiste was, dann könnte die Leistengegend Thema sein.“

„Eine gekrümmte Körperhaltung wird bei Rothirschen als Paarungsaufforderung verstanden.“

„Soll ich mich krummlachen über Dich? Ich habe Dich gebeten, mich zu begleiten, weil Du der mutigste von all den Schlaffis bist: Ich bin umgeben von angepassten Gentlemen - sie haben einen Grad an Kultiviertheit erreicht, der es ihnen nicht gestattet, wild zu sein, leidenschaftlich auch auf dem Gebiet der Jagd nach dem Glück. Sie verlassen sich auf die Kultur, stützen sich darauf - keiner von ihnen geht den Keiler direkt an so wie Herkules oder eben auch das tapfere Schneiderlein.“

Was ist das für eine merkwürdige Versessenheit auf Keilereien? Wider alle Vernunft starte ich eine gezielte Verbal-Entgleisung. Auf ein Neues.

„Der Schnepfenstrich bietet gute Jagdmöglichkeiten. Die Schnepfe lockt mit leisen Pieptönen und ihre Verehrer machen sich auf zum Balzflug.“

Veronika greift zur Flinte. „Bist Du nun aus echtem Schrot und Korn - oder muss ich nachhelfen?“

Ich komme mir vor wie ein lebensmüder Casanova, der trotz widrigster Umstände seinen Kurs beibehält.

„Rammelwolle - witziger Ausdruck - ausgerissene Haarbüschel von Hasen oder Wildkaninchen während der Begattungszeit.“

Sie zerrt an meinen Haaren, als gelte es, den Hochsitz mit Haarbüscheln zu bedecken.

„Was hast Du erwartet - dass ich das Meeting mit einem Keiler dem Zeitvertreib mit Dir vorziehe? Um uns her die Rausche - Paarungszeit des Schwarzwildes - und mir soll nicht gestattet sein, zu schwärmen von der lieblichsten Diana, der Inkarnation der göttlichen Jägerin?“

Ich bin tatsächlich von Inbrunst ergriffen - scheint ansteckend zu sein diese Stimmung, in der sich der Wald befindet.

„Rauschsynchronisation - ein lustiges Treiben aller Beteiligten.“

„Manche sind aber auch hochflüchtig - fliehen im Galopp, wenn der Jäger sie verschreckt. Jetzt vergleich ich mich schon mit einem Reh - ich muss aus diesem Kontext ausbrechen, das Jägerinnenhafte in mir aktivieren.“

„Die Tiere haben keine Wahl: Sie spulen ihr Repertoire ab - für jede Situation hat die Natur bereits was vorgesehen; es sind keine eigenen Entscheidungen - sie sind verstrickt in dieses Muster - und auch wir können die Maschen nicht lösen, wir sind stolz auf unsere Meta-Ebene, können immerhin darüber brüten, aber wir entschlüpfen nicht dem allgegenwärtigen Zugriff der Natur, sie hält uns nach wie vor gefangen, packt uns mit eiserner Klaue.“

„Soll das Dein unablässiges Anbaggern rechtfertigen? Du vergrämst mich - so kommst Du nicht zum Schuss.“

„Vielleicht solltest Du mit mir erst zum Tontaubenschießen? Es ist, als würdest Du von mir verlangen, ich solle ad hoc einem Tyrannosaurus rex die Leviten lesen. So etwas bedarf der Vorbereitung.“

„Das will ich sehen. Aber nicht die Brunftrute und die Brunftkugeln! Zieh die Hose wieder an!“

„Wusstest Du, dass kopulierende Böcke in Sicherheit sind? Es ist mit jagdlicher Ethik nicht vereinbar, auf sie zu schießen. Schieß den Bock nicht von der Ricke.“

„Die Ricke knallt Dir gleich eine vor den Latz. Deine Beschlagenheit in allen Ehren, aber kein Hirsch beschlägt hier im Hochsitz ...“

Weiter kommt sie nicht, denn ich versuche eine Kussattacke. Wenn Erfahrungswerte vorliegen, könnte sie das von der Qualität der Ware überzeugen.

„Wie schmecken die Küsse?“

Ich lasse den Hieb in die Magengrube als Unzufriedenheitsbekundung gelten.

Sie sagt: „Ich hätte für Dich einen Stun Belt mitnehmen sollen - bei diesem Gürtel wird bei Bedarf ein Hochspannungsgenerator ausgelöst. Vielleicht bei unserem zweiten Date.“

„Andere Paare sind da direkt harmlos mit ihren Handschellen. Elektroschockwaffen, Gummigeschosse: In diesem Sektor bewegen wir uns“, sage ich, da ich sehe, dass sie ihre Waffe durchlädt.

„Steinsalz statt Bleikugeln hat den Vorteil, dass es keine Narben gibt - das Salz wird resorbiert.“

„Vielleicht sollten wir uns doch dem Keiler zuwenden? Die Aggression nach außen lenken; machen wir ihn gemeinsam fertig!“

Ich bin sehr enthusiastisch; erstaunlich, wozu einen Liebesverzicht bringen kann - man wächst über sich selbst hinaus; vermutlich ist das das Geheimnis der Heroen: Entsagung, Aussicht auf die Prinzessin, das spornt an. Kein Wunder, warum die Hirsche richtig loslegen. Ich werde den Keiler mit bloßen Händen würgen. Dummerweise läuft da gerade einer. Wird die Realität mir einen Strich durch meine Visions-Rechnung machen?

„Der gehört mir!“, ereifert sich Veronika. Als wenn es darum ginge, wer sich eher ins Unglück stürzen dürfe. Wir stürmen an den Bachen vorbei - da taucht auch noch ein kapitaler Hirsch auf. Jagdlust überfällt mich, als ob ich ein Vampir sei - in völliger Überschätzung meiner Möglichkeiten. Selbst mit einem Bumerang würde ich jetzt einen Elefantenbullen bewerfen - und dann schnell zurück zum Hochsitz. Jagd macht süchtig - und ich habe zu diesem Zeitpunkt nicht mal einen Hirschkäfer erlegt. Der Keiler wartet geduldig; welche Verrückten da wohl von ihm aufgeschlitzt werden wollen? Grinst er etwa? Vorfreude? Was soll ich mit der Saufeder, dem Sauspieß, wenn er mir nicht entgegenstürmt?

„Der hält sich nicht an die Spielregeln“, japse ich.

Sollte ich mich an seinen Bachen zu schaffen machen, Provokation? Ich bewerfe ihn mit Bucheckern. Wird das eine Fütterungsaktion? Die Bucheckern sind völlig ungeeignet als Wurfgeschoss - ähnlich ungeeignet bin ich wohl als Waidmann, das hier ist fern von allem Waidgerechten. Aber ich rufe zuversichtlich „Horrido!“ Der Hirsch kommt neugierig näher. Völlig verkehrte Welt; wirke ich so harmlos mit meinem martialischen Kriegsgeschrei? Ein anderer Schlachtruf? „Für Frieden und Freiheit“?

„Wusstest Du, dass sich Wildschweine mit Hausschweinen paaren können?“

„Warum bist Du so paarungsbesessen?“

Wir erreichen beide gleichzeitig den Keiler, er blickt von einem zum andern, unschlüssig, wem er die Ehre des ersten Angriffs zuteilwerden lassen soll.

„Deine Schnauze nennt man Gebrech“, belehre ich ihn.

Unterrichtsstunde für Waldbewohner - die haben ja gar keinen Begriff von den korrekten Bezeichnungen - mit Worten machte sich der Mensch die Welt untertan - nur er hört nicht aufs Wort.

„Sitz!“

Wieso dieser Gesinnungswandel? Na ja, wenn man so direkt vor ihm steht, dann sind 150 Kilogramm ein schwerwiegendes Argument; haben wir eigentlich einen Verbandskasten dabei? Ihn scheint unser Mut in Schach zu halten - aber ich fühle mich matt. Ich schwenke in Gedanken um zum Hirsch - die Gewissheit, dass man ihn mit der Büchse überlegen wäre, gibt einem ein Hochgefühl; Überlegenheit inmitten des Bestialischen - wobei die hier vorhandenen Bestien einen eher fragenden Ausdruck haben. Sie rätseln wohl, was sie mit uns anstellen sollen. Ich belasse es dabei, ihm Bucheckern zuzuschieben. Könnte man ja als Friedensgeste deuten - wenn da nicht Veronika ihn mit der Saufeder piesacken würde.

„Dein Vater wäre bestimmt stolz auf Dich“, sage ich mal so, obwohl bisher noch keine verwertbaren Ergebnisse vorliegen. Es scheint ihn eher zu kitzeln; der amüsierte Ausdruck verschwindet nicht, obwohl sie ihm ganz schön zusetzt. Sind wohl eher Mückenstiche für ihn. Das ist mit Abstand die bescheuertste Mutprobe, bei der ich je sekundieren durfte.

„Ein Hund wäre nicht schlecht.“

Als ob der hier noch was reißen könnte. Amateur-Liga. Selbst die Tiere merken, dass sie mit uns verhandeln könnten - treue Blicke, eine gewisse Niedlichkeit, das sind Pfunde, mit denen sie wuchern können. Ich wünschte, mir stünden bei Vorstellungsgesprächen solche Mittel zur Verfügung. Der Hirsch - völlig unartgerecht - äst bei uns in der Nähe; ist das hier der Garten Eden? Fuchs nimmt Hasen huckepack - würde mich nicht überraschen. Ein verzauberter Wald.

„So kommen wir hier nicht weiter, ich erschieß den jetzt.“

„Wie Du meinst, Schatz.“

Ich gestatte mir diese vertrauliche Anrede - und hoffe, sie überhört es bei ihren Vorbereitungen zur Liquidation des Schweins. Oder sind wir die Schweine?

„Er ist kein Delinquent. Was wirfst Du ihm vor? Soll er Dir zu Ehre verhelfen - dass Dein Vater Dich mehr respektiert? Sei, was Du bist.“

Der Hirsch sieht aus, als wolle er sagen: „Hier ist ein qualitativ hochwertiges Äsungsangebot.“

Und wir sind Prädatoren - eigentlich - aber wir sind ja gar nicht auf Beute aus.

„Wir sollten öfters Kommentkämpfe ausführen, so wie Du“, sage ich zum Hirsch, „schön ritualisiert, kaum Beschädigungen. Stattdessen am laufenden Band Kriege, Scharmützel, Gefechte - und sind es nicht die Waffen, sind es die Worte.“

Ich weiß nicht, ob er mich versteht, aber er hört mir geduldig zu.

Veronika fragt: „Hast Du Dich jetzt genug mit den Tieren angefreundet? Wollen wir auch noch einen Steinadler hinzubitten?“

Ich halte tatsächlich Ausschau nach einem - in ihrer Nähe ist Magie, ich bin ein anderer. Es ist, als würden die Tiere das spüren, nur sie spürt es nicht. Sie könnte ohne weiteres eine Waldgöttin sein, zwar nicht mit Diplom, aber in der Ausbildung. Sie macht große Augen, als ich ihr das sage.

„Vielleicht haben manche Menschen Feenblut in sich - sind der Natur besonders verbunden? Gibt ja auch den grünen Daumen. Pflanzen merken, wenn es jemand gut mit ihnen meint.“

„Aber es wirkt doch eher so, als hätte ich Arges im Sinn, wenn ich ihn mit dem Sauspieß piesacke.“

„Umso erstaunlicher. Vielleicht bist Du das genaue Gegenteil der Jägerin? Eine Beschützerin? Jemand, dessen Wohlwollen sich auf alles erstreckt, sich dem nicht entziehen kann?“

Wie zur Bestätigung trifft der Steinadler ein.

„Das ist ja unheimlich. Wir könnten ihn zur Beizjagd auf Wölfe abrichten.“

Der Adler sieht nicht abgeneigt aus, vermutlich macht er sich noch kein Bild davon, wie riskant die Sache ist.

„Dann verkaufen wir ihn an Rotkäppchen; Rotkäppchen als Falknerin - dann ist sie nicht auf den Jäger angewiesen.“

Ob sie meine Anspielung versteht?

„Bei den Greifvögeln ist das Weibchen oft größer als das Männchen. Aber ich würde nicht die Achtung Deines Vaters abhängig machen von Jagderfolg und inwieweit Du kompatibel mit einem Sohn wärest. Ein Hoch auf den Sexualdimorphismus. Und es lebe der kleine Unterschied - auch wenn es groß in Mode kommt, ihn zu ignorieren.“

„Na, davon kann bei Dir aber nicht die Rede sein; Du konfrontierst mich die ganze Zeit mit meinen Eva-Attributen. Sollen sie zum Einsatz kommen.“

Ich singe: „Ein Bett im Kornfeld.“

„Oder auf dem Hochsitz; ein Blick über mein Reich. Ich fühle mich in der Tat wie eine Waldgöttin in spe - lass uns mit der Ausbildung beginnen. Was ist da so vorgesehen?“

„Du darfst Deinen Zauber bei mir testen. Horrido!“

 

ENDE

 

Der gemietete Hund


Ich habe einen Golden Retriever als Wingman engagiert; bis jetzt macht er sich hervorragend. Ich bin dabei, die Tipps aus der Flirtschule in die Praxis umzusetzen. Im Speziellen geht es darum, einer superattraktiven Frau näherzukommen, die die schöne Angewohnheit hat, mit ihrem Hund im Park zu flanieren, als sei der Spazierweg ein Catwalk. Unbegleitet kann ich da nicht erscheinen - da heißt es gleich 'Zieh Leine'. Hier kommt Chap ins Spiel, ein Golden Retriever, der schon diverse Fernsehauftritte hinter sich hat, supertrainiert - und wenn ich darüber nachdenke, mit Charaktereigenschaften ausgestattet, die ich auch gerne hätte: Ausgeglichenes Wesen, gute Verträglichkeit mit fremden Menschen, ruhig, geduldig, aufmerksam - ein freudig arbeitender Zeitgenosse, dem auch extreme, nasskalte Witterungsbedingungen nichts ausmachen. Donnerwetter, ich bevorzuge Madeira-Klima, also Raumtemperatur im Freien - trotz alledem schildert man mich eher als griesgrämig, unverträglich - und als freudig arbeitend würde ich mich nicht bezeichnen, meine Chefin auch nicht, wie ich ihren Standpauken entnehmen kann. Was soll ich mit so einem freundlichen Hund? Da gerate ich doch ins Abseits, der heimst alles Lob ein, ihm streichelt man über den Kopf. Ich will auch getätschelt werden - habe ich das jetzt laut gesagt? - die Lady und ihr Hund schauen mich konsterniert an. Hat ein Hund solche Mimik drauf? Wie es der Zufall und meine Planung so wollen, hat sie gleichfalls einen Golden Retriever, etwas heller im Fell, aber gewiss nicht heller vom Verstand, wie ich in meiner Vorfreude vermute. Ich habe eine Liste bei mir, mit all den Kommandos und Handbewegungen, die Chap aus dem Effeff kennt - ich konnte mir davon kaum welche merken. Einigermaßen irritiert verfolgt er meine Gestik - so wie ein aufmerksamer erster Geiger auf einen Dirigenten achtgibt, nur dass dieser Dirigent keine Musikhochschule besucht hat und den Taktstock nach eigenem Ermessen schwingt. Das würde jetzt im Normalfall ein Desaster - aber Chap rettet die Lage, er macht so etwas wie eine Verbeugung.


"Goldig", meint die Lady - und nach einer Weile erkundigt sie sich, ob ich ihrem Hund auch solche Höflichkeit beibringen könnte. Er sei zuweilen sehr frech. Das wäre ich auch gerne, tue aber so, als hätte ich lebhaftes Interesse daran, ihrem Hund Privatunterricht zu erteilen. Wir tauschen Adressen. Ging aber flott. Ich zeige Chap 'Thumbs up' - und er nickt wissend. Lässig ziehe ich eine Frisbee-Scheibe hervor - mir wurde versichert, dass Chap das vorzüglich beherrsche; damit kann man punkten. Andererseits soll ihr Hund sich nicht allzu dämlich vorkommen, also werfe ich mit Absicht so, dass es fast unerreichbar ist - aber da kenn ich Chap schlecht - stimmt, ich kenne ihn fast gar nicht - er saust davon wie ein geölter Blitz; der Hund wäre eines Superman würdig: Ich fühle mich beschämt; ich habe so gar nichts von The Flash an mir. Verdammt, der Hund soll dafür sorgen, dass ich mich gut fühle, ich zahle horrende Mietgebühren. Aber irgendwie ist mir, als begänne sein Charakter auf mich abzufärben - man sagt ja, Hund und Herrchen würden sich charakterlich und äußerlich immer ähnlicher - nun ja, es sind Stunden, keine Jahre, die wir zusammen sind, aber es ist Quality time, Qualitätszeit - ich widme mich ihm voll und ganz - vor allem, um von ihm zu lernen. Es heißt zwar, der Golden Retriever habe die Intelligenz eines zweieinhalbjährigen Kindes, aber heißt es nicht: Seid wie die Kinder? Also wenn sie Chap mit seinen Charaktereigenschaften das Himmelstor vor der Nase zuschlagen, ja dann weiß ich auch nicht. Dann ist irgendwo in der Hölle ein Platz in der ersten Reihe für mich reserviert. Macht das Anbaggern einen zu einem besseren Menschen? Immerhin bemüht man sich, ist einfallsreich ... Ich verspreche Chap die doppelte Portion Frolic - und er scheint das zu verstehen; er ist gewillt, sich mit dem Hund von der Lady anzufreunden.


Inzwischen weiß ich, dass sie Sylvia heißt und ihr Hund Sylvio. Das gibt zu denken. Dränge ich mich da in eine gut funktionierende Beziehung? Sie ist Single - so viel habe ich erfahren. Ob ich ihr jetzt schon einen Heiratsantrag mache? Sie sieht so glücklich aus, dass ihr Hund die Frisbee-Scheibe so souverän gefangen hat - Chaps Aura scheint das zu bewerkstelligen - er strahlt Zuversicht aus und eine Lässigkeit, wie sie absoluten Profis zu eigen ist. Zur Demonstration springt er mühelos über Mammut-Zäune, Mammut-Hecken; Sylvio will es ihm nachmachen - und bleibt jaulend im Gestrüpp hängen. Wir haben einige Mühe, ihn da rauszubekommen - kommt mir vor wie bei Pu dem Bären, der in Rabbits Höhleneingang feststeckt, da er zu viel Honig gegessen hat. Aber auch unsere Konversation stockt, ihre Frisur ist zerzaust; offensichtlich betrübt es sie, dass ihr Hund nicht mithalten kann. Tja, wenn sie wüsste. Ich tröste sie und verspreche, Sylvio zu einem Meister-Springer zu machen - insgeheim hoffe ich, dass Chap dieses Traineramt übernimmt, aber er dackelt einer Pudel-Dame hinterher. "Bei Fuß!", rufe ich versuchsweise, bin selber neugierig, ob er eine Befehlsverweigerung in Betracht zieht, da Amors Pfeil ihn getroffen hat. Aber der hat mich auch getroffen, muss sehen, dass ich klarkomme; Sylvias Lachen versetzt mich in himmlische Sphären, ich habe das Gefühl, ich schwebe an ihrer Hand wie ein Helium-Ballon. Ich höre ein 'Wuff' und Chap meldet sich zum Dienst zurück, mit Leidensmiene - als ob er seine Leichtführigkeit zum Teufel wünsche. "Geht mir auch so", bin ich gewillt, ihm zu sagen, ich befolge Kommandos - bei Weitem nicht so erfolgreich wie er - und wohin hat mich das gebracht? - nicht mal eine eigene Hundehütte habe ich, nur ein gemietetes Appartement.


In einem Straßencafé essen wir Käsekuchen und ich nutze die Zeit für Selbstvorwürfe, hadere mit mir ... Die Stimmung scheint sich auf Chap zu übertragen, er legt seinen Kopf in meinen Schoß und ist zum ersten Mal melancholisch; was richte ich nur an?! Ich sorge dafür, dass ein Fernsehstar-Hund zum Psychiater muss. Sylvia fragt mich, was ich so mache. Ich winke einem Straßenmusiker zu, ob er Tanzmusik spielen könne, ich lasse auch was springen - alles das, nur erst mal sämtlichen Fragen ausweichen, die mich betreffen. Viermal geschieden - das trägt nicht zu meinem Renommee bei. Wobei es zweimal dieselbe Frau war. Manche Fehler sind so gut, die verlangen nach Wiederholung. "Willst Du meine fünfte Frau sein?" - mit dieser Frage warte ich besser, bis nach dem Käsekuchen, nichts übereilen. Sie tanzt göttlich; Chap hätte mir das Tanzen beibringen sollen; er dreht sich tatsächlich sehr elegant, als hätte er sein Leben lang nichts anderes gemacht, als hätten Film und Fernsehen nicht ihren Tribut gefordert. Ich versuche, seine wiegenden Bewegungen nachzumachen.


Sylvia schaut mich verblüfft an. "Du scheinst, Deinen Hund sehr zu bewundern; nun ja, jeder sucht sich seine Vorbilder. Ich wollte immer so aristokratisch wie unsere Nachbars-Katze sein - nicht hochnäsig, aber so, als hätte ich einen Stammbaum, der sich zu den pharaonischen Katzen zurückverfolgen ließe. Historische Tiefe kombiniert mit katzenartigen Reflexen."


"Ein seltsamer Wunsch", diagnostiziere ich - und ich habe Gelegenheit, beim Tanzen ihren Puls zu fühlen. Aha, erregt, sehr erfreulich; das lässt sich steigern. Ich erbitte mir vom Straßenmusikanten einen Flamenco - irgendwie muss ich Chap abhängen - mal sehen, welches Wissen ich aus meiner Tanzschule noch zusammenkramen kann. Aber die Leute applaudieren Chap und seinen erstaunlichen Bemühungen, die Musik auf vier Pfoten als Performance-Kunst kühn zu interpretieren. Ich überlege ernsthaft, es ihm gleichzutun, mit vier Pfoten ist man viel wendiger ... Auf zwei Beinen fühl ich mich wie Lütt Matten, de Has' - op de achtersten Been. Sylvia fragt mich, was ich da auf dem Straßenpflaster mache - aber Chap und Sylvio finden das klasse, endlich auf Augenhöhe, willkommen im Rudel.


Sylvia vermutet: "Gehört das zu Deinen Trainingstechniken - hast Du deshalb so viel Erfolg mit Chap? Vielleicht sollte ich mich auch darum bemühen - Du hast recht, Körpersprache ist wichtig, man signalisiert damit dem Tier, dass man sich um seine Sprache bemüht; ihm entgegenkommen, Verständnisbarrieren abbauen."


Oha, ihre Mutmaßungen laufen in die Irre, aber es läuft irre gut mit ihr. Ich sollte Chap Anzug und Krawatte kaufen - Partnerlook. Ich frage Sylvia, was sie dazu meint. Ihre Augenbrauen gehen in die Höhe - aber da ich in der Art von Chap hechel, fasst sie es als Scherz auf. Dabei übe ich nur seine Mimik, er bringt es fertig, dabei intelligent auszusehen; welcher Mensch schafft das mit heraushängender Zunge? Nicht mal Albert Einstein. Ich überlege, ob ich eine Randerscheinung in ihrem Leben zu sein gedenke oder das Mega-Ereignis.


Es dunkelt; der Mond am Himmel und im See; wir füttern die Enten. Sie hat sehr viel Zeit mit mir zugebracht, als ob es ihr schwerfiele, mich ziehen zu lassen; der wahrscheinlich längste Gassi-Spaziergang der Welt.


Ich reiche Chap zum Abschied die Pfote, ich würde ihn gerne auszeichnen für besondere Leistungen, aber für ihn ist das Routine. Es ist, als ob er sagen will: "Das war doch kein Durcheinander, das lief alles geordnet ab."


Ich schreibe Sylvia einen Liebesbrief - versiegle ihn mit Kerzenwachs, komme ihrem Wunsch entgegen nach historischer Tiefe. Was die Wahrhaftigkeit betrifft - da komm ich ein bisschen in Erklärungsnöte; z. B. wo mein Hund geblieben ist? Genau das fragt sie mich beim nächsten Treffen im Park - auch Sylvio läuft suchend um mich. Kein Chap? Ich fühle mich um Welten uninteressanter, nicht mehr der Hundeflüsterer, den die Magie umschwebt.


"Chap ist zu Besuch bei seiner Tante", meine ich leichthin, "er fährt da immer gern allein hin, er kennt sich mit dem U- und S-Bahn-Netz aus." Also zuzutrauen wäre es ihm, er hat jedenfalls mit Interesse die Bus-Fahrpläne studiert, wenn ich mit ihm spazieren ging.


Sylvia hat Einwände: "Das kauf ich Dir nicht ab - sogar ich habe Schwierigkeiten, den Fahrkarten-Automaten zu bedienen - und ich habe ein Staatsexamen. In Tiermedizin. Zwei weitere Examina erwarten mich noch." Aha, sie rückt mit Fakten aus ihrem Leben heraus. Wie soll ich da mithalten, ohne Zuflucht zum Münchhausen-Modus zu nehmen? Am besten vorbereiten, darauf hinarbeiten, sich der Wahrheit peu à peu nähern - oder den Komfort der Lüge erbarmungslos nutzen?


Mal testen: "Was man heutzutage alles so mieten kann; das sind ja beileibe nicht nur die herkömmlichen Dinge wie Boot, Diener, Luxusauto - es soll sogar vorkommen, dass sich Menschen versuchsweise Tiere mieten - mal sehen, wie sie mit ihnen klarkommen, wie verträglich sie sind oder wie verträglich man selber ist. Man mutet ja ohnehin seinen Mitmenschen schon einiges mit seiner Gegenwart zu; aber wie verträglich ist man in Bezug auf Tiere? Manche sollen ja sehr übellaunig sein, grimmige Zeitgenossen - denen könnte ein liebenswertes Tier sehr zum Vorteil gereichen - ich meine auch charakterlich. Rent-a-dog - das ist doch ziemlich naheliegend, man könnte lustige Dinge mit ihm erleben, neue Bekanntschaften knüpfen ..."


"Man mietet sich doch auch keine Freunde - nein, davon halte ich nichts", kontert Sylvia. Ich würde mich von ihr mieten lassen - gar keine Bedenken. Ihr Hund Sylvio beäugt derweil die noch nicht gemeisterte Hecke.


"Du musst mehr Anlauf nehmen", rate ich ihm - als ob ich was davon verstünde. Aber mutig mache ich es ihm vor - komme sogar halbwegs elegant da rüber. Sylvia beeindrucken - das ist schon die halbe Miete. Der Hund landet wieder mitten im Gestrüpp. Hah, ich bin besser als der Hund! Vielleicht sollte ich mir meinen Triumph-Tanz sparen, denn Sylvia betrachtet mich, wie man wohl ein ungezogenes Kind anblicken würde. Nur nicht schuldig gucken - sie auf andere Gedanken bringen. Ich schenke ihr ein Brillant-Collier - richtig vermutet, es ist gemietet; von einem befreundeten Juwelier. Muss sie ja nicht wissen. Ich bin auf den Geschmack gekommen - man kann sich alles hinzumieten, alles, was einem so fehlt, Defizite auffüllen - alles kein Problem. Ich sollte eine Miet-App programmieren - all you can rent - exorbitante Möglichkeiten. Name eventuell: Miet-too. Ich würde ihr gerne von meiner Idee erzählen, aber da schwebt so viel Ungesagtes zwischen uns - z. B. ein gemieteter Golden Retriever. Sie wird mich als wüsten Anbagger-King verunglimpfen ... Wie erwartet, lehnt sie mein Geschenk ab, meint, so ein teures Collier brächte sie in die Lage, mir das irgendwie vergelten zu müssen. Ja, so war es gedacht. Eine Hand wäscht die andere oder gleich den Körper. Ich träume davon, sie einzuseifen - beschließe aber, solche Pläne hinauszuschieben, bis Chap mir assistiert. Er ist so niedlich, herzensgut, dass meine Charaktermängel nicht so ins Gewicht fallen, er kaschiert das; prima.


In den nächsten Tagen unseres Zusammenseins lerne ich viel von Chap - ich musste gehörigen Aufschlag zahlen, denn er war ausgebucht. Wenn ich mal so begehrt wäre; mich will keiner buchen; würde allerdings auch in jeder Hundeschule durchfallen; was die da alles können - stoisch bleiben, wenn eine Mieze vorbeischlendert - also ich könnte das nicht. Ich bin von Grund auf ein Befehlsverweigerer - obstinat, rebellisch - und im ständigen Clinch mit meiner Chefin. Sie fand die Idee mit der Miet-App gar nicht so übel - ihr gehört die Software-Firma und sie hat sich diesem Unternehmen mit Leib und Seele verschrieben, erwartet dasselbige von ihren Mitarbeitern; ich habe ihr geantwortet, da könne ich ja gleich meine Seele dem Teufel verschreiben; fand sie gar nicht witzig. Chap könnte das glattbügeln; hah, die Idee! Ich stolziere mit ihm zur Arbeit ... Aber erst mal Boden gutmachen bei Sylvia; Touchdown. Da fällt mir auf, was alles zum Touchen ist: der Touchbildschirm, das Touchpad ... Und es funktioniert, das Tätscheln unserer Hunde schafft zwischen Sylvia und mir eine Verbindung, bei der wir unweigerlich in die Tatsch-Liga aufsteigen. Ich gebe Chap einen High five - und auch die Ghettofaust pariert er lässig.


"Das musst Du Sylvio unbedingt beibringen!", drängt mich Sylvia - und ich habe keine Ahnung, wie ich ihrem Hund Coolness antrainieren soll - weiß das ja nicht mal bei mir selbst.


ENDE


Gruppensex



Erwartet man so ein Angebot von einer Archäologie-Professorin? Fröhlichen Gruppensex inmitten olympischen Ambientes. Willkommen auf dem Olymp!

„Ich wollte schon immer als Artemis durchgehen“, bettelt sie, als ob es hierbei um ein braves Kostümfest gehen würde. Hmm, wobei der Gedanke, als blitzeschleudernder Zeus oder als lasziver Hermes in Aktion treten zu können, durchaus seinen Reiz hat. Sähe ja anders aus, wenn wir seit Jahren ein Paar wären - aber ich kenne sie erst seit gestern; flottes Tempo; entweder inspiriere ich sie, oder aber sie will mir signalisieren, dass ich allein ihr nicht genüge; gibt es das auch im Dutzend? Soll ich mich nun über ihren nymphomanischen Enthusiasmus freuen? Vielleicht ist das zeitgemäß - man swingt - Kuschelpartys sind en vogue - oder die härtere Version mit Crystal Meth & Co. Während ich noch überlege, welche Gangart ich präferiere, stehen wir schon vor ihrem begehbaren Kleiderschrank.

„Ich suche Tüll, Naturseide, durchscheinende Gewänder.“

Da sie nichts Passendes findet, wendet sie sich ihren Vorhängen zu. Das erinnert mich jetzt an Scarlett O’Hara aus „Vom Winde verweht“ - wobei Scarlett eventuell weitaus mehr Erfolg bei Rhett Butler erzielt hätte mit blickdurchlässigem Stoff - das ist der Stoff, aus dem Träume gemacht sind, ihr grünes Kleid glich ja eher einer Festung. Wäre doch auch ein Gangbang-Thema, meine ich leichthin, Südstaaten-Ambiente.

Doch Sylvia hält unbeirrt an ihrem Kurs fest: „Mir ist nach fließenden Gewändern, andeuten, mehr zeigen als üblich; Verlockung pur. Heute bin ich die Jägerin, der Mond sei mein Bogen - nimm Dich vor meinen Pfeilen in Acht.“

„Okay, ich werde auch zunehmend schussfreudig; habe aber Sorge, dass ich es nicht mehr bis zum Olymp schaffe. Ich könnte auch als Dionysos gehen.“

Ich rupfe Blattwerk aus ihren Vasen und mache daraus einen annehmbaren Kranz, den ich mir auf den Kopf setze.

„Selbstkrönung - die unbescheidenste Art, Karriere zu machen.“

Höre ich da Kritik heraus? Das erinnert mich an unsere Diskussion über das rechte Maß; ich hatte ihr vorgeworfen, zu festgefahren zu sein, keine Wagnisse einzugehen; man müsse unmäßigen Appetit auf das Leben haben. Und deswegen jetzt dieses Bemühen um Unkonventionalität? Sollte ich als Patent anmelden: Wie überredet man eine unbekannte Frau zum Gruppensex. Von mir könnte Casanova noch was lernen. Sie dreht sich vorm Spiegel, ein mit Gold besticktes Tuch dient als Schärpe.

„Wie kleidet mich die Tüll-Gardine?“ Sie wartet meine Antwort gar nicht erst ab. „Die haben da auch Liebesschaukeln, jede Menge Erotic Furniture.“

Sie wedelt mit dem Prospekt. Als ob es um einen Freizeitpark-Besuch ginge. Dann erzählt sie was von Daisy Chain.

„Man steht im Kreis und einer befriedigt den anderen.“

„Wow. Kreisverkehr.“

Ich finde mich witzig; sie aber schaut mich an, als ob es mir an dem nötigen Ernst fehlen würde.

Sie doziert: „Es ist ein grundlegendes Problem: Langzeit-Paare gehen sich zunehmend auf den Keks und die Attraktivität verkrümelt sich. Kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen.“

Sie beißt so vehement in einen Keks, dass die Schlussfolgerung naheliegt: sie jetzt besser nicht auf ihren Ex ansprechen. Werde mich hüten.

„Ich bin ja auch ein Libertin, ein Freigeistiger.“

Hört sich jetzt an, als sei ich ein Dschinn, der gerade seiner Flasche entstiegen ist. Aber ich will doch deutlich machen, dass sie mit mir den genau richtigen Compagnon und Spießgesellen hat für alle Unternehmungen jenseits der Spießigkeit.

“Partnertausch ist voll mein Ding. Zu viert, zu fünft - können gar nicht genug beteiligt sein.“

Ob ich jetzt Goethes Wahlverwandtschaften erwähne und Shakespeares Sommernachtstraum? Literarisch abgesegnete Polyamorie. Witzigerweise kommt sie mir zuvor, es erklingt Mozarts „Così fan tutte“.

„Partnertausch ist in aller Munde - das Thema scheint allgegenwärtig.“

„Ich habe hier Speed, Crystal Meth, GHB und Ketamin - such Dir was aus.“

Sie ist toll ausgestattet - in jeder Hinsicht.

„Ist Dein Ex Apotheker?“

Autsch, großer Fehler, den erwähnt zu haben. Ihr Gesicht verzieht sich, als hätte sie in eine genoptimierte Riesen-Zitrone gebissen. Ich lobe ihre Verführungskunst, ihre Bereitschaft, sich dem Transparenten hinzugeben.

„Crystal Meth macht 36 Stunden lang geil. Ich habe es vor einer halben Stunde genommen“, meint sie mit einem Blick von unten.

Ich befürchte, die olympischen Götter müssen ohne uns anfangen.

„Eine Zweier-Orgie ist mathematisch gesehen auch Gruppensex.“

„Hat aber nicht diese Gruppendynamik.“

„Gut, sei meine Bacchantin, rase für Dionysos. Wein soll in Strömen fließen.“

Ich gieße ihr Rotwein über ihre Füße.

„Bist Du wahnsinnig?! Wozu geht man außer Haus für eine Orgie - weil man da rumsauen kann. Mein schöner Teppich!“

„Ich wollte Deinen nackten Füßen beim Keltern zusehen.“

Trotzig schleuder ich ein Bündel Trauben auf den Boden, als seien es Knallerbsen.

„Nicht jeder Knallfrosch ist ein Prinz.“

Die hat aber Sprüche.

„Poppen wir jetzt, oder was?“

Ich werde ungeduldig; hätte Casanova das anders formuliert?

„Der eigentliche Sinn einer Orgie ist ohnehin die mystische Vereinigung, Verschmelzung mit den Göttern; und diese Chance willst Du mir nehmen?“ Sie faucht richtig.

„Das sind keine Götter, das sind Freaks - zugedröhnte, sexsüchtige Perverslinge!“

Ohne die gesehen zu haben, bin ich eifersüchtig; die Gangbang-Show hat nicht mal angefangen - und ich kämpfe bereits mit dem Gespenst Eifersucht.

„Dann lass Dich doch nehmen a tergo; reih Dich ein in die Daisy Chain - Blümchen-Sex für Fortgeschrittene.“

„Willst Du mir durch die Blume sagen, dass Du mich liebst, dass ich Dir etwas bedeute?“

„Kannst Du knicken. Eifersucht ist eine Bestie, die nicht mal Herkules so eben besiegt; wie Nebel, der aufsteigt, alles umhüllt.“

Ich schmeiß mir jetzt doch zwei, drei Pillen rein - sie hält mich davon ab.

„So wütend gefällst Du mir ausgezeichnet. Eifersuchtswogen umbranden mich. Ich mach jetzt Jagd auf das tobende Biest.“

Sie springt auf mich rauf.

„Ich spreche mehrere Liebes-Sprachen. Du hast die Wahl zwischen Thailändisch, Französisch, ...“

Weiter kommt sie nicht, denn ich habe bereits Spanisch gewählt.

„Titjob, gute Wahl.“

„Es wogt der Busen;

Üppigkeit eröffnet viele Möglichkeiten.

Solche Pracht wünscht man den Musen.

Nicht nur die Blicke gleiten,

welch ein Gleitflug!

Davon kriegt man nie genug.“

Sie pflichtet mir bei:

„Wenn die Gewänder volle Sicht erlauben,

beurlaubt man den Ernst sehr gern.

Und man gewinnt an Optimismus, stärkt den Glauben.

Was soll man sich gegen den Lehrmeister Sex wehr‘n?“

Die letzte Zeile dichtet sie nicht ganz so formvollendet, sie ist anderweitig zu sehr beschäftigt. Es gibt den Ausdruck „vorglühen“ - wir werden in völlig überhitztem Zustand bei ihrer Sexparty aufkreuzen - ein ähnlicher Gedanke beschäftigt sie wohl auch.

„Schon mal was von Tease and Denial gehört - Reizen und Verweigern? Ich muss Dir weitere Aktionen vorerst verwehren; eilen wir zum Olymp!“

Ich wünschte, mit stünden Hermes‘ Möglichkeiten zur Verfügung - geflügelte Schuhe - und ab die Post - irgendwie eilt auf einmal alles, doch sie packt noch einiges an Sexspielzeug ein.

„Sehr praktisch: Butt-Plug mit Tierschwanz, ideal für die Tierliebenden.“

Mir geht das jetzt zu weit. Ich will ja permissiv sein; aber schwingt, swingt das Ganze nicht zu sehr ins moralisch Bedenkliche?

„Kann es sein, dass unsere Religion uns unfreier gemacht hat als beispielsweise die Japaner? Es ist gewissermaßen eine Schmalspur-Erotik; die ganze Bandbreite scheuen wir. Das Schicksal von Sodom und Gomorrha und der Hure Babylon soll uns einschüchtern; Lustfeindlichkeit als Standard-Programm. Kein Mut zum Senderwechsel? Was wird uns das Switchen bringen - volles Programm, Langeweile auf allen Kanälen?“

Sie antwortet: „Ja, es war schon geschickt, die Moral mit der Religion zu verknüpfen, so dass man denkt: Gibt man das eine auf, geht auch das andere zum Teufel? Welch Überraschung, dass Amoral sogar mit Religion einhergehen kann - und dass Selber-Denken höheren moralischen Wert beanspruchen könnte - das meinte zumindest Nietzsche.“

Das tut gut, ihre Ausführungen geben mir Gelegenheit, mich abzukühlen.

„Was hältst Du von Spanking?“

„Leg die Reitgerte weg!“

Ich versuch, sie ihr aus den Händen zu winden.

„Erzieherische Rollenspiele haben ihre Berechtigung. Das Flagellieren könnte Stress abbauen.“

Wie ist die denn drauf?

„Als Flagellant erhofft man sich ja eigentlich Sündenvergebung“, gebe ich zu bedenken.

„Dafür muss man ja erst sündigen“, und schon fesselt sie meine Hände und kündigt englische Runde an.

„Wahrscheinlich können wir hier gleich Gruppensex haben - denn mein Ich spaltet sich gerade lustig in mehrere Personen auf.“

„Das ist gut so - dann gibt es multiple Orgasmen.“

Sylvia ist ganz in ihrem Element - wobei ich mich frage, ob das meinem Lebensraum entspricht - ich meine, einer Nixe zu folgen, das will gut überlegt sein, wenn man z. B. wasserscheu ist. Wieso sträube ich mich so - ist es wirklich 08/15-Moral, die mir im Wege steht, brauch ich ein Upgrade meiner Moral? Wo ist die Escape-Taste?



Gleichwohl stehe ich eine Stunde später auf dem Olymp - zumindest steht ein Teil von mir; tolle Deko im Swingerclub; zur Begrüßung gibt es Nektar und Ambrosia - sieht aber aus wie aus dem Supermarkt. Die Götter führen sich auf, als sei das ein Selbstbedienungsladen, man packt Erotik pfundweise in seinen Einkaufskorb, schiebt und drängelt sich durch das Angebot. Die günstigsten Angebote müssen nicht die besten sein. Wie bei Melonen daran klopfen? Ich bin ein Pfundskerl, diesen Eindruck gewinne ich, da man von allen Seiten nach mir greift. Hmm, begehrt, super. Mein Dionysos-Kostüm verheißt Rausch. Man diskutiert meine Überlegungen zu Zarathustra und inwieweit er ein Freigeist sei. Sylvia reagiert unwillig.

„Ich will ficken!“

Sie hat sich sogleich auf die Liebesschaukel gestürzt. Ja, das ist was anderes als das Katheder, das sie als Professorin gewohnt ist.

„Staubtrockene Kathederweisheit kann nicht mithalten mit der Fülle der Erfahrung.“

Man ist bereit, ihr diesen Wunsch zu erfüllen.

„Man muss ein Thema bis auf den Grund durchdringen, Penetration als ultimative Seinserkenntnis.“

Selten wurde der Fick so schön umschrieben, dem stimmen die anderen zu. Doch sie verflucht ihre Beredsamkeit. Sie will sich dem Augenblick überlassen, doch ihr Verstand lässt es nicht zu, er lässt nicht los.

„Gruppensex ist schwieriger als gedacht. Vielleicht fang ich lieber mit einer Kuschelparty an. Mich hocharbeiten, bis ich die Tabu-Meisterprüfung bestehe. Gibt es ein Sündenpfuhl-Examen? Man sollte es als Unterrichtsfach einführen.“

Voll krass ihre Gedanken. Während mir Aphrodite den Hintern versohlt, versuche ich, Sylvia das Widersinnige einer Kuschelparty zu erklären.

„Das ist ähnlich wie bei Lachclubs, Lachyoga: Auf Befehl und ohne Anlass zu lachen, hat was Deprimierendes. Man schaffe sich Anlass zum Frohsinn. Das Kuscheln braucht das zugehörige Setting. Selbst ein Designer-Schemel kommt nicht an die Kuschelqualität eines Lieblings-Sessels heran.“

Sie fängt an zu weinen. Ich finde auch immer die richtigen Worte. Die Treue-Karte hier auszuspielen, ist eventuell ein bisschen fies.

„Ich bin ein Luder.“

Ja, aber ein geiles, würde ich am liebsten antworten, sage aber: „Artemis würde Dich gewiss um Deine Freizügigkeit beneiden. Sie ist gekettet an den Göttinnen-Kodex, uns steht es frei, zu variieren.“

„Dann bitte ich um Deine gesamte Variationsbreite. Sei einfallsreich.“

„Was ist Sex anderes, als Variationen eines urtümlichen Themas? To be continued ... Trumpfkarte der Evolution und immer wieder eine Chance, der Lust ein Hohelied zu singen.“

„Zuweilen singt man eine Arie, ein Duett - oder eben im Chor.“



ENDE



Bouldern und Flirten



Alle Welt ist am Klettern, alle so sportlich - und ich kletter aus meinem Bett. Weiß gar nicht, was in mich gefahren ist, als zweites Date ausgerechnet Bouldern vorzuschlagen, also Klettern in Absprunghöhe, alles gesichert durch Crashpads - die werde ich auch bitter nötig haben; aber Versuch macht klug - und auf ausgeklügelten Pfaden ausgekugelte Gelenke. Wenn die Ladenpreise klettern können - was soll mich abhalten? Aber möglichst Indoor - wollen doch kein Schneegestöber riskieren - auf Alpinist mach ich erst beim dritten Date - wenn alle Stricke reißen. Beim Bouldern braucht man keine Sicherung, selbst Kinder können das. Apropos, als ich Jess das vorschlug, waren ihre beiden Kinder gleich Feuer und Flamme. Muss aufpassen, wo ich derlei Vorschläge mache. "Juhu, klettern! Dürfen wir mit?" Wie kann man da Nein sagen? Habe es trotzdem versucht, habe sie lang und breit vor den Gefahren und möglichen Blamagen einer Sportart gewarnt, die nicht so sehr die Qualifikationen eines Spiderman erfordert, als die eines 08/15-Schimpansen. Vergebens, sie waren noch begeisterter, nicht zu bremsen. Ich habe es versucht, wollte sie ausbremsen mit dem taktischen Manöver, dass ich ihnen ein ultracooles PlayStation-Game schenkte. Alles vergebens - sie sackten das Spiel zwar ein, richteten aber ihre Aufmerksamkeit sogleich wieder auf uns. Jess zuckte mit den Schultern; von wegen, da kann man einiges machen; aber Begeisterung dämpfen?



Nolens volens wird dieses Date zu einem Familienausflug - so stehen wir in der Boulder-Halle; ich hätte zuerst üben sollen; wieso bin ich so ein Optimist, das Leben gibt sich doch die größte Mühe, mir das auszutreiben? Es sieht sehr farbenfroh aus - die Kletterwände sind bemalt, gaukeln Leichtigkeit vor, warten darauf, dass man darauf reinfällt. Auch die Griffe haben unterschiedliche Farben, das hat mit Schwierigkeitsgraden zu tun - aber die größte Schwierigkeit ist es wohl, Jess davon zu überzeugen, dass sie mit mir einen guten Griff getan hat. Eigentlich war es meine Absicht, hinter ihr zurückzubleiben, ihr das Gefühl vermitteln, dass sie eine unglaublich geschickte Kletterin ist - aber dann packt mich der Ehrgeiz und ich hangle mich da wie ein ausgehungerter Urwald-Affe hoch, der eine Banane gesichtet hat. Oben angekommen würde ich am liebsten den Tarzan-Schrei mit auf die Brust einhämmernden Fäusten bringen; aber macht das ein moderner Hedonist? Auf alle Fälle. Jess macht ihre Sache auch nicht schlecht - allerdings sorgt mein Tarzan-Schrei dafür, dass sie den Halt verliert. Macht nichts; wofür sind die Bouldermatten da? Mit einem Satz bin ich bei ihr, fühle mich wie ein entsprungenes Känguru. Das Klettern scheint uns mit den Urkräften in Kontakt zu bringen - hier kann der Bürohengst Wildpferd sein. Aber die Stute sorgt sich um ihre Fohlen - ihr Blick schweift immer wieder von mir weg; ungenügende Beachtung kann ich gar nicht ab - ich zieh sie am Pferdeschwanz.



Sie meint: "Das hast Du davon, wenn Du eine Alleinerziehende datest - wir werden selten allein sein. Wenn man der Gerüchteküche Glauben schenken darf, lässt Du nichts anbrennen. Ich befürchte, ich muss Dich noch schmoren lassen."



"Du bist eine Sonne, in der man gerne schmort", versuche ich ein Kompliment - aber da fragen die Kinder bereits nach ihr, besser gesagt, sie brüllen. Sie wollen ihr unbedingt zeigen, wie super sie sind, dabei hängen sie in einem halben Meter Höhe; was ist daran spektakulär? Ich bin geneigt, meine sozialen Maximen infrage zu stellen: Von wegen viel Lob spenden bei läppischen Leistungen.



"Ich finde es gut, dass Du so eine Geduld hast", lobt mich Jess; ein berechtigtes Lob - immerhin fällt mir meine Heuchelei gar nicht so leicht. Man schauspielert um sein Leben, um der Star in ihrem Film sein zu können. Ich sehe das hier als Casting-Show. Ich mache für Jess den Spotter - also derjenige, der aufpasst, dass der Kletterer gut fällt, wenn er fällt. In diesem Fall werde ich dafür sorgen, dass sie in meine Arme fällt; habe ich mir da zu viel zugemutet? Ich wanke ganz schön, als sie mir aus drei Meter Höhe entgegenstürzt - Adler im Sturzflug - und eine Punktlandung auf meinem großen Zeh hinlegt. Autsch! Ich hebe mir das Schreien für später auf - Gentleman nimmt das gelassen, verkneift sich unartikulierte Laute. Ich sammle so einiges an ungeäußerten Flüchen im Laufe dieses Nachmittags - na, meine Nachbarn werden ja was zu hören kriegen. Ich bin ohnehin auf Kriegspfad mit ihrer Heimkinoanlage - schöne Gelegenheit für Revanche. Ich sag ja, hier lernt man es, seinem Affen Zucker zu geben - ein Paradies für Affen, schaukeln, hangeln - ausbaldowern, wie der Boulder zu bezwingen sei. Fels ist bezwungen, frei atmen Lungen - aber vorher zolle ich noch ein paar Mal der Gravitation Tribut - sie gibt nicht klein bei, zerrt an mir - wie ein Drachen, den die Schnur daran gemahnt, dass er gebunden ist. Freiheit, dort oben - ich komme - hier bin ich dem inneren Sternenhimmel vermutlich näher, als je zuvor. Ich jubiliere, greife nach den Sternen, die seltsamerweise die Form von gelben Griffen haben. Jess und ich greifen nach demselben Stern - na, wenn das kein gutes Omen ist - allerdings bringt uns das Omen beide zu Fall. Zu zweit stürzt es sich viel witziger, im freien Fall sich nah zu sein - das ist schon eine aufgeplatzte Augenbraue wert. Wir pudern uns mit Magnesia ein - ihre Nase bekommt auch einen Stups - sieht aus, als ob sie sich Kokain reingezogen hat. Sie ist zumindest genauso high. Toll, ich schaffe es, ihr einen Endorphin-Schub zu verabreichen durch meine Gegenwart; was will man mehr? Z. B. fummeln? Es gibt beim Bouldern Topgriffe und Bonusgriffe - als Ziel und vorläufiges Ziel - mir scheint, auf meinem Datingpfad bin ich nicht allzu weit davon entfernt, zumindest im Kopfkino scheinen bei uns dieselben Filme zu laufen - man sollte das ausleben, die Drehbücher mit Starbesetzung verfilmen. "Morning star", trällere ich - und hoffe, dass sie in mir auch einen Star sieht - keinen Weltstar, mehr so auf privater Ebene. Aus dem Süßigkeitsautomaten holen wir uns Leckereien - ganz ohne schlechtes Gewissen, Kalorien wurden verbraucht.



"Sex soll ja auch enorm Kalorien-verbrauchend sein." "Wenn das der einzige Grund ist ... Denk Dir einen besseren Grund aus", fordert mich Jess auf. "Hat auch was mit Jagdinstinkt zu tun." Ich jage sie die Wand hinauf. Das ist der Vorteil beim Bouldern - der Gipfel ist kein Fünftausender, nach fünf Metern ist man am Ziel. Und die raffinierte Grifftechnik, die man für die Vertikale gelernt hat, lässt sich ohne Weiteres 1:1 auf das horizontale Besteigen übertragen. Gute Griffigkeit ist wichtig, das perfekte Koordinieren der Extremitäten erlaubt extreme Höchstleistungen. Vielleicht sollten wir so ein Crashpad mitnehmen - mal was anderes, Matratzen-Akrobatik kann jeder.



"Ja, wir sollten uns so ein Crashpad kaufen - dann kann ich mit Dir auch Outdoor üben." Wie meint sie das jetzt? Hoffentlich ist das Sexuelle mitgemeint, ich will nicht jeden Tag bouldern - andere Freizeitaktivitäten aus der Spaß-Liga verlangen auch nach ihrem Recht. "Keine Sorge, das war zweideutig", beruhigt mich Jess.



"Wenn man nicht richtig zugreift, fatzt man ab", philosophiere ich, "die Liebe ist aber auch kein Speedklettern, sie hat was vom Bouldern - sorgsame Planung wird über den Haufen geworfen, weil man am Limit angelangt ist. Und der Partner ist kein erratischer Block, der gemeistert werden will. Aber eine Herausforderung ist jeder, man muss alles über die Ecken und Kanten wissen, dann meistert man am Ende wohl sich selbst."



Jess antwortet: "Sich selbst erklimmen - ein schöner Gedanke, eines Bergsteigers würdig. Und so ein Findling ist ein ehrenwerter Vergleich, da liegt er seit Äonen, vom Gletscher dahingebracht, wartet auf Weiterbeförderung. Er hat Zeit, die Witterung macht ihm nicht allzu viel aus, er trotzt ihr. Ich bin zu sensibel für Wetterumschwung - eine Schönwetter-Seele." Das sagt sie ganz freimütig, in der Hoffnung, dass ich mehr so der Sonnenschein-Typ bin. Dabei hätte sie mir beinahe das Date verhagelt. Gott sei Dank machen ihre Kinder gute Fortschritte beim Klettern und sind schon beinahe außer Sichtweite. Jetzt bedauere ich es, dass es kein Fünftausender ist - soll der Yeti doch die Nanny spielen. Mein Yeti-Traum zerplatzt, als die Kinder wieder auf der Matte stehen und uns fragen, warum wir reden, statt zu klettern. "Weil das ein Date ist", würde ich am liebsten antworten, "da kombiniert man Techtelmechtel mit Mechteltechtel." Ich bin verwirrt, Flirt-Abstinenz macht mich schwindelig; wie soll ich da eines klaren Gedankens fähig sein? An sich würde sie

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Bildmaterialien: Cover von inarik/bigstockphoto
Tag der Veröffentlichung: 29.01.2017
ISBN: 978-3-7396-9588-4

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