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Alster

Es fing schon mit der Wahl des Bootes an, wo es ins Lächerliche abglitt: Ich bevorzugte ein Ruderboot der Romantik-Klasse, Vivian war hellauf begeistert von einem Tretboot in Schwan-Optik. Wie soll man da auf einen gemeinsamen Nenner kommen? Wir einigten uns dann auf eine Gondel - inklusive Gondoliere; die traute Zweisamkeit verpufft gleich zu Beginn, na wunderbar; wozu habe ich an den Rudermaschinen geübt? Da will man sich ins Zeug legen - und findet sich wieder in der Rolle eines Dandys, der chauffiert wird. Eigentlich ganz bequem. Ausflug auf der Alster - venezianisches Ambiente - die Schwäne sehen wieder sehr würdig aus, sind sich wohl ihres Wappentier-Status bewusst. Es ist ausdrücklich verboten, sie zu beleidigen; ich habe das Gefühl, die werden besser beschützt als die Hagenbeck-Tiere - selbst die Kaiserpinguine haben gegen Majestätsbeleidigung nichts einzuwenden, wenn das in Kombination mit Tintenfisch-Snack geschieht.

Im Zentrum von Hamburg meditieren, freie Fläche haben, Ausblick, Überblick; was wäre, wenn man so eine Freifläche in seiner Seele hätte - nicht alles zugerümpelt mit Obliegenheiten? Sich im Mittelpunkt befinden und sanft dahingleiten ... Das hat was. Warum muss ich das zu einem Date umfunktionieren? Aber Vivian fragt sich gewiss schon, warum ich nicht ihre Hand halte, warum keiner meiner blöden Anmachsprüche kommt - ich bin meinem Image was schuldig. Von wegen Hamburger Schmuddelwetter, selbst mit Wolken hat das was; finden auch die Schwäne, die im Winter auf den Eppendorfer Mühlenteich eskortiert werden; der wird eigens für sie durch ne Unterwasserpumpe eisfrei gehalten. Das ist ein Service; als ob das Glück der Stadt verknüpft sei mit 120 Schwänen. Andere haben Raben. Leben im Komfort - der Preis: gestutzte Flügel. Nicht abhauen können. Haben Kaufleute das nötig - um gleichziehen zu können mit den Vornehmen, denen es vorbehalten war, Schwäne zu besitzen? Hamburg will weltoffen sein - zogen einst 5 wilde Schwäne - aber nicht von Hamburg aus. Bindungspflicht; man will ja gerne verbunden bleiben - aber kann es sein, dass einem so eine dominante Stadt die Flügel stutzt, dass Heimatverbundenheit so einen großen Stellenwert bekommt? You’re in my mind, you’re in my soul. Ich meine, sich von irgendeinem ungeliebten Kaff loszueisen, sollte nicht schwerfallen, aber wenn die Heimat schön ist, behaglich - man bewundert sie, besonders ihre Vergangenheit, wie sie im 30-jährigen Krieg allem standgehalten hat, nicht klein beigeben, stolz sein auf Autonomie, Selbstverwaltung - sogar dem Adel das Hausrecht verweigern - hanseatisch sein.

Das erzähle ich tatsächlich einem vorbeiziehenden Schwan, aber er schien interessiert - vermutlich wollte er aber keine Informationsbrocken, sondern leckeres Brot. Ist aber nicht gesund für ihn - sorry. Vielleicht sollte ich auch gründeln - zurück zur Natur; viel zu viel Kohlenhydrate - und man lässt sich bedienen, trinkt Prosecco. Der Schwan will mit ins Boot. Er wirkt so zuversichtlich, als gäbe es eine Beförderungspflicht - hey, wir sind kein Alsterdampfer! Ich muss an Petra, den schwarzen Schwan denken, die sich in ein Schwan-Tretboot verguckt hat. Die Gondel hat was Schnittiges; so stilvoll reisen - wer kann das dem Schwan verdenken. Ich mache für ihn Platz. Vivian fragt mich, ob ich Dr. Dolittle in meiner Ahnenreihe hätte, denn wir verstehen uns großartig: Komme mir vor wie Lohengrin - im besten Einverständnis mit der Magie. Nutz das doch für die Magie der Liebe - für ein zweites Date hinke ich dem Soll ganz schön hinterher. Knutschattacke auf 12 Uhr - sieht so mein weiteres Vorgehen aus? Das ist ja keine militärische Übung - und Gefechtsposition einzunehmen, ist schon wegen des Gondoliere prekär.

Jetzt holt der Schwan auch noch seine Angetraute zu sich ins Boot - uns beachtet er schon gar nicht mehr. Sieht so das Entern aus? Schwäntern? Könnte bald zum Terminus technicus in Hamburg gehören. Hah, ein Doppel-Date, kommt es mir in den Sinn, aber mir schwant, dass wir nicht so lange zusammenbleiben werden wie die lebenslang Verbundenen: Kein Wunder, bei denen sieht ein Schwan aus wie der andere - warum sollte man wechseln? Vivian mit meinen Überlegungen vertraut zu machen, halte ich in diesem Stadium unserer Beziehung für verfrüht. Kam Lohengrien deshalb mit dem Symboltier Schwan, damit seine Würde auf ihn abfärbt? Ein Kolibri hätte nicht diesen Effekt, ganz abgesehen davon, dass der Energieverbrauch eines Kolibris exorbitant wäre, sollte er versuchen, einen Kahn zu ziehen.

Da die Alster nur beinahe Badewasser-Qualität hat, bewegen wir uns nur mit Vorsicht im Boot, aber das Tanzbein zu schwingen, sollte gutgehen. Hoppla, Vivian über Bord. Die Schwäne stieben auseinander - sind auch keine große Hilfe, die sollten sich ein Beispiel nehmen an den Delfinen, die eilen meist fürsorglich herbei. Vielleicht sollte Hamburg künftighin Süßwasser-Delfinen den Vorzug geben - kann man ja genetisch aufpeppen und den nordischen Verhältnissen gemäß designen. Die klitschnasse Vivian ist eine Spur unfreundlicher als die im trockenen Zustand. Sie gereizt zu erleben, ist vielleicht eine gute Gelegenheit, um jetzt noch abzuspringen. Ich hab eine Yacht und wenn sie da bei unachtsamen Bewegungen von mir jedes Mal so ein Theater macht, wenn sie ins Wasser stürzt, das verdirbt die Partylaune. Mein Leben soll einer Party gleichen; schwofen, High Life ... Mir fällt der Satz von Douglas Adams ein, wie nützlich ein Handtuch sei - Towel Day am 25. Mai - als Ersatz gebe ich ihr meinen Pullover. Zum Glück ist genug Prosecco da, wir stoßen mit den Schwänen an.

Vivian will tatsächlich umsteigen in ein Segelboot, selbst ein Kanu winkt sie heran - als ob sie meiner überdrüssig sei. Kann sie mich verklagen, wegen entgangener Fummelei? Ich hatte das bisher versäumt, war in Anspruch genommen vom Ambiente. Tja, wie soll sie damit konkurrieren: Hamburg ist eine Schönheit. So betrachtet, ist sie eifersüchtig - das Panorama hat was Bezwingendes - es geht nicht in die Höhe wie in New York - geschichtliche Tiefe, auch wenn der Zweite Weltkrieg vieles in Schutt und Asche verwandelt hat. Ich stimm das Lied an „Ick heff mol en Hamborger Veermaster sehn“ und erzähl ihr ein paar Klein-Erna-Witze - ich halte es für eine gute Idee, sie mit was typisch Hamburgischem zu unterhalten, Lokalkolorit. Als ich dann noch zusammen mit dem Gondoliere schmettere „An de Eck steit’n Jung mit’n Tüdelband“, verlässt sie erneut das Boot, diesmal aber aus freien Stücken. Hamburg-Schock - vielleicht muss ich das behutsamer dosieren. Quiddje über Bord. Ich verspreche ihr, auch keine Shantys mehr zu singen. Sie antwortet: „In Hamburg sagt man tschüß.“

„Hamburg hat 7000 Straßennamen“, mache ich den Fremdenführer, „und 2500 Brücken.“ Als ob diese Information sie dazu bewegen könnte, mich interessant zu finden. Sie schwimmt davon, als würde sie für den Triathlon üben. Ich veranlasse den Gondoliere, ihr zu folgen - im Grunde könnte sie auch das Boot ziehen. Ich mache ihr einen entsprechenden Vorschlag, weise sie aber darauf hin, dass man 8 km/h, also 4,3 Knoten, nicht überschreiten dürfe. „Das Date fällt ins Wasser“, witzelt der Gondoliere. Vielleicht will sie auch nur angeben, wie gut sie kraulen kann; ich geselle mich zu ihr und versuche, an ihr vorbeizuziehen. Der Gondoliere chauffiert nur noch die beiden Schwäne. „Ausgebootet.“ Ich verspreche ihr „Birnen, Bohnen und Speck“ wenn sie an der Fortführung unseres Dates ein gewisses Interesse zeigt. Mit Speck lockt man Mäuse. Ich mache sie auf die Patina der Kupfer-Dächer aufmerksam, das sei ein guter Schutz. Ob rüdes Verhalten auch eine Art Selbstschutz sei? Sie antwortet höflich, dass sie weit von jeder Ruppigkeit entfernt sei, das würde ich dann schon rechtzeitig mitbekommen. Ein Kanute erkundigt sich, ob er helfen könne, sie zischt ihn an, als ob sie Parsel beherrschen würde, die Schlangensprache. Das macht sogar den Schwänen Angst. Ich wollte mit ihr noch in die Einkaufspassagen, davon hat Hamburg jede Menge - so kann man trockenen Fußes einkaufen. Aber der Wunsch nach Trockenheit scheint bei ihr nicht so ausgeprägt.

Ich bringe das Gespräch auf Lessings Neuinterpretation der aristotelischen Dramentheorie: Zur Furcht soll sich das Mitleiden gesellen. Appelliere ich jetzt tatsächlich schon an ihr Mitleid? Du trauriger Casanova. Aber bürgerliches Drama allerorten, der Bürger wollte die Charakterrollen, er wollte den Adel verdrängen - Leistung soll zählen, Errungenschaften - dem Adel keinen Fußbreit Boden überlassen - nicht in dieser Stadt! Wie auf Bornholm - da dürfen auch nur Einheimische Grundbesitz haben. Wahrscheinlich rede ich deshalb so viel von Grund und Boden, weil mir der zu weit weg ist, was strample ich mich hier ab, ist ja nicht mal Gründeltiefe. Aber die Schwäne gesellen sich zu uns, sie betrachten mich zunehmend als einen von ihnen. Schön, so akzeptiert zu sein. „Aber mit ins Winterquartier folge ich Euch nicht.“ Unnötig, ihnen das zu sagen, das hätten sie ohnehin nicht zugelassen. Manche von ihnen erscheinen dort von selbst, sie kennen ihren Fahrplan, wandern rüber zum Eppendorfer Mühlenteich.

Apropos wandern. „Wie wäre es mit Jogging? Der Kurs um die Alster hat 7,3 Kilometer.“ Das kommt dem Triathlon-Gedanken doch immer näher. Sie würdigt mich keines Blickes. Erst als sie einen Krampf im Bein hat und sie kurz vorm Ertrinken steht, duldet sie wieder meine Nähe. Na also, geht doch. Ich hieve sie in die Gondel, wogegen aber die darin sitzenden Schwäne protestieren, als ob sie den Fahrpreis bezahlt hätten. Mit Kekskrümeln mache ich den Weg frei; hat die Volksbank das auch so gemacht? „Auf zum Jungfernstieg!“, gebe ich unser Fahrtziel an. Klamotten kaufen. Die Sonne bricht hervor - als ob sie ein Empfinden für Stimmigkeit hätte.

Leutselig sage ich: „Wusstest Du, dass sie 1190 die Alster für den Mühlenbetrieb gestaut haben und deshalb verwandelte sie sich in einen See?“ Vivian stößt Verwünschungen aus, dass ich mich gleichfalls verwandeln möge - und sie schwingt die ihr von mir überreichte Rose wie einen Zauberstab. Ich muss das ergründen, hier liegt ein Kommunikations-Engpass vor. Ich fläze mich wieder in den Bootssitz, rückengepolstert, die Sonne als persönlichen Freund; vielleicht habe ich zu viel hanseatische Selbstgewissheit, wie soll man da die Kraft hernehmen für kritische Distanz? Ach, ich frage sie ganz einfach, welche Laus ihr über die Leber gelaufen ist. Wie ich zu Recht vermutet habe, will sie mehr Zuwendung; ich sei so gefesselt von unserem Dating-Ort, dass sie ins Hintertreffen geraten würde.

„Ich will nicht erst die Hamburg-Hymne singen müssen, damit Du Dich hingebungsvoll mit mir beschäftigst.“ Ich singe „Stadt Hamburg an der Elbe Auen“ und der Gondoliere unterstützt mich nach besten Kräften.

Vivian schüttelt den Kopf. „Ich date einen Hamburg-Fanatiker. Wieso hat mich meine Mutter davor nicht gewarnt?“, klagt sie.

Wir fahren an der Alsterfontäne vorbei - ist jetzt auch schon egal, nasser als nass geht nicht. „Selbst Heinrich Heine und Hans Christian Andersen waren vom Jungfernstieg sehr angetan. Damals war der Jungfern-Bestand aber auch weitaus höher.“ Ich füge hinzu, da Vivian wieder apathisch erscheint: „Der Jungfernstieg ist die erste Straße in Deutschland, die asphaltiert wurde - 1838.“

„Aha“, meint Vivian.

„Und die Alsterfontäne wird finanziert durch Public Private Partnership.“

„Unsere Public Private Partnership ist noch nicht in trockenen Tüchern“, gemahnt sie. So betreten wir die Flaniermeile wie Abenteurer oder vielmehr wie ein Paar, dem auf den ersten Blick anzusehen ist, wie nötig es eine Paartherapie hätte.

Jetzt singt auch Vivian: „De Masten so scheef as den Schipper sien Been.“ Ich helfe ihr, sich aufrecht zu halten. Gar nicht so einfach, da ich auf allen vieren gehe. Zum Ausgleich lade ich sie auf meine Yacht ein, die sei auch in besserem Zustand als „De Hamborger Veermaster“. Als ich uns ein Alsterwasser bestelle, meint sie, davon habe sie noch genug intus.

 

ENDE

 

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Tag der Veröffentlichung: 11.10.2016

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