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Sarah Bernhardt und Nadar

Mit Fotos sind Zeitsprünge möglich, sie packen einen quasi und leiten Dich auf dem Koordinaten-Diagramm Deines Lebens zu dem Punkt, an dem die Aufnahme getätigt wurde. Man war dabei - und dennoch ist es jemand anderes, der Dir entgegenblickt, nichts wissend von alldem, was Dir später widerfahren wird, nur voll mit Hoffnungen und einer Erwartungs-Gier, man will sich auf das Leben stürzen wie ein Panther, es in seine Krallen bekommen, damit es nicht entwischt. Habe ich mein Leben erlegt? So sinniert die müde gewordene Sarah Bernhardt - bin mir nicht sicher, ob ich diese Person besser kenne als das Welt-Publikum. Eine Inszenierung - was sonst hätte ich tun sollen, als Kurtisane leben? Tat ich ohnehin, meine Mutter als Vorbild, ich eifere ihr nach, achte bei Männern darauf, dass sie freigebig sind und sich dieses leisten können.



1865 fotografierte mich Nadar in seinem Atelier in Paris; will mir in Erinnerung rufen, was er zu mir sagte; Wertschätzung schlug mir von ihm entgegen - obwohl ich zu dem Zeitpunkt die Unbekannte war, noch nicht die Gefeierte, die sich mit Welt-Tourneen, die Welt bezwang. Ich verkündete, dass das Wort das liebste Ausdrucksmedium der Seele sei, hier verkörpere sie sich in Wohlgesetztheit. Besonders die Theater-Autoren schaffen es mit ihrer Überschwänglichkeit, meiner Ausdrucksfreude Rückhalt zu bieten, das ist Material, was mich stützt; es muss angemessen sein; ich kann nicht einen Einkaufszettel deklamieren - es geriete ins Lächerliche; aber wenn mein ganzes Leben nur eine Pose, ein Zurechtrücken, dass ich der Welt als überweltlich groß erscheine ... Weltstar; was lud ich mir da auf? Mit Capricen und Eigenarten mich als Marke etablieren - oh, bürgerliche Welt, da genießt jemand die Freiheit und beugt sich nicht dem Ethos des Jedermanns - und wie reagiert Ihr? Diese sonderbare Mischung aus Verachtung, Schmähung und Anhimmelei, das ist wahrlich gewöhnungsbedürftig. Erzeugt Ekel und lässt mich umso leichter der Stern sein. Doch Ihr sitzt im Dunkeln, das Licht des Magnifiken wollt Ihr Euch nicht gestatten; festhalten am Etablierten, aber schielen zu denen, die sich erdreisten, außerhalb Eurer Moral zu existieren.



Das Foto deutet an, dass ich unverhüllt bin unter dem Tuch; ein Tuch trennt den Betrachter von dem Begehrten; ein Reiz, gut von Nadar arrangiert. Spielt ins Antike - mit der Säule, die mir Halt gibt. Halt hätte ich im Leben gebraucht - doch ich gab anderen Halt; meinem Sohn Maurice, meinem Morphin-süchtigen Mann - es war, als würde ich auch im Leben die Hosenrolle bevorzugen; sich erdreisten, ein Theater nach sich zu benennen, fordern von der Welt, dass sie meinen Lebensstil akzeptiert. Ich setze die Maßstäbe!



Vieles von dem hat mir Nadar ebenfalls empfohlen. Er sagte: "Ich bin eigentlich Karikaturist, immer auf der Suche nach dem, was einen Menschen auszeichnet; modellieren mit Grautönen - auf der Lauer liegen; wann schleicht der Moment vorbei, den es zu bannen gilt durch das Foto? Den Moment einsperren im Foto, ihn konservieren, frisch halten; aber welcher der Momente ist es wert? Man muss sich entscheiden - und darin liegt die Kunst: Es spüren, es dem Augenblick anmerken, wohin er sich wendet; eine interessante Beschäftigung und durchaus würdig einem Zeit-Künstler."



Ich war zu dem Zeitpunkt noch nicht berühmt, aber er widmete sich mir, hielt mich für würdig, ihn in seinen Gedankengängen zu begleiten. Gehörte natürlich auch zu seiner Methode, die Psyche der zu Porträtierenden besser evaluieren zu können, eruieren, wo man ansetzen musste mit den Meißeln des Lichts und des Schattens. Ich war eine willige Darstellerin; es galt, zu posieren, ohne dass es wie eine Pose wirkte - mein Theaterleben bestand darin, mit großen Gesten zu agieren, der Übertreibung zu huldigen - es ging nie darum, dem Leben einen Spiegel vorzuhalten, es hätte die Leute gelangweilt, sie wollten die erhabenen und die rührendsten Momente des Lebens kompakt präsentiert bekommen; die Summe, die Essenz eines Lebens sollte in wenigen Worten kulminieren. Und dann noch dargebracht von einer Frau: Männerrollen, den Hamlet verkörpern. Wann ist das einer Frau möglich? Sich denkerisch in so gewagtes Terrain vorzuwagen. Ja, ich verdanke Nadar einiges in dieser Hinsicht: Mich mit den Augen eines Fotografen sehen, eines Karikaturisten. Nadar sagte: "Man muss sich die Zeit nehmen fürs Begreifen; meist handelt man ohne innere Überzeugung; tut es, weil andere es vormachen, man folgt, trottet in der Menge mit. Das ist aber nicht der Weg zur Einzigartigkeit; damit wird man weder sich selbst noch dem Moment gerecht."



Das Foto verbindet uns, eine Brücke, die mir den Weg erleichtert. So ist mein früheres Ich präsent, Nadar steht neben mir und zupft das Tuch zurecht, jede Falte hat sich seinem Gestaltungswillen unterzuordnen; hier hat der Zufall keinen Zutritt, in diesem Studio steht alles unter der Direktive der Kunst; auch wenn Nadar das vehement bestreiten würde - es ist dennoch Kunst; das Künstliche nicht pejorativ gemeint, nicht als Bemühung, der Natur es gleichtun zu wollen, sondern ihr endlich gebieten zu können: Kunst als Herrin. Das entspräche auch meiner Auffassung des Theaters: Die Natur zusammenkochen, eine Essenz gewinnen, die pure Magie ist. Man hat meine Artikulationsfähigkeit gelobt; es ist die Liebe zum Wort; eine anrüchige Liebe? Doch, wo wären, was wären wir ohne die lieben Worte, wie nackt stünden wir vor fremder Natur? Denn erst Worte machen uns ja bekannt mit Natur, wir geben ihr Namen, können sie wiederfinden, haben Variablen, die wir artig in Gleichungen setzen und beherrschen dank Logik die Welt. Wir lassen die Bestie durch Reifen springen, dressieren sie, lassen sie Platz nehmen in der Manege.



Es ist eine Ehre, von Nadar fotografiert zu werden; er ist ein Meister seines Fachs. Jetzt gibt es bewegte Bilder, was wird es demnächst geben? Erstaunlich, dass das Bild von mir robuster ist als ich; man könnte es übertragen in anderes Medium, es bewahren. Gibt man einen Teil seiner Seele in so ein Bild hinein? Das Abbild als Kind von einem, es beeinflusst die Menschen auf ganz andere Art als man selber. Kommunikation in eine Richtung; das Bild spricht zu mir, es verändert mich, immer dann, wenn ich es betrachte und es zulasse, dass es Seelen-Säle betritt; doch ich verändere nicht das Bild, bin keine Zeitreisende; aber was tue ich dann hier? Meine Gedanken schweifen zum Foto, als wäre es ein Magnet; ein Wirbel, der mich zu den Fragen führt, die Nadar mir anbot; ich brauche nicht darauf zu antworten, ich könne mir aussuchen, in welche Richtung unser Gespräch gehen soll. Steuermann auf den Konversations-Ozeanen; anders beim Theater: Da geht es um vorgegebenen Text - nur die Art des Vortrags kann ich verändern; vortäuschen, dass ich es zum ersten Mal sage, empfinde; wie gelingt einem Schauspieler so ein Trick?



Nadar meinte: "Es ist wie mit meinen Modellen, den Prominenten. Sie ins rechte Licht rücken, harte Kontraste, den Mut zur Nacht, ohne das Dunkle gäbe es kein Bild. Wer nur mit Weiß auf Weiß malt, kann viel behaupten, es ist für den Betrachter nicht erkennbar; er vermag es nicht aus seiner Fantasie auf die Leinwand zu transferieren: Der Maler braucht zumindest eine andere Farbe. Und das Licht ist immer anders, es spielt mit den Objekten. Wenn Schauspielkunst sich gebärdet wie das Licht, dann ist sie stets einzigartig, würdigt, modelliert das Objekt; den Text, die Rolle, das Sein. Also gibt es wohl das Sein nur in Verbindung mit seiner Darstellung, es kann als Weiß in Weiß nicht sein, nicht da sein. Gib ihm die Nacht dazu. Nur eine andere Farbe würde genügen, doch wie ich das Sein kenne, greift es in den Farbtopf und zieht eine Unendlichkeit an Farben daraus hervor. Schade, dass wir nur so wenige davon sehen können. Unseren Sinnen erlauben, dass sie das Übersinnliche und Untersinnliche mit empfangen. Dazu sind nur einige Extras, Adaptationen nötig; es gilt aufzurüsten."



Meinem fragenden, zweifelnden Blick konterte er mit dem Argument, dass seine Welteinsichtsfähigkeit eben fortgeschrittener sei als meine. Da bestünde Aufholbedarf. Kann auch sein, er nahm mich auf den Arm, aber ich empfand es als aufregend, dass man über die bekannten Sinnesdaten hinausgehen sollte; Aufbruch in unbekanntes Terrain, aus dem ich aber seither Brauchbares für meine Schauspielerei zusammengetragen habe. Ist dieser Ausflug in die Vergangenheit nicht gleichermaßen ein Überschreiten der Zeitzone, der ich verpflichtet bin?



Neue Perspektive für die Menschheit - was den Sinnen der Menschen nicht zugänglich war: Die Welt von oben zu sehen, Paris aus dem Ballon fotografiert - Nadar ist es trotz Widrigkeiten gelungen. Aus dem Zeitfluss - so als ob man sich einen Fisch schnappen würde - Momente angeln: Mit der Fotografie war das plötzlich möglich. Die Kunst des Momente-Jagens hat Nadar perfektioniert - jedenfalls mit damaligen Mitteln war es nicht zu steigern. Kulmination - Erreichen eines Gipfels. Genau das erhoffte, versprach ich mir von meiner Schauspielerei. Sich verbeugen vor dem Talent Gottes; ist Er ein Schauspieler und die Welt Seine Kulisse?



Wie würde Nadar Ihn porträtieren? Gewiss, Du sollst Dir kein Bild machen; aber was, wenn Gott begeistert ist von Nadars Fähigkeiten und sich bereit erklärt, Modell zu sein: Will Er dann einen Schnappschuss oder das Inszenierte? Und was, wenn er sich weigert, den Heiligenschein aufzusetzen, wie soll man Ihn erkennen? Vermutlich wäre das Ergebnis: Weiß auf Weiß - Ihm ist nur das Helle zu eigen. Sind wir sein notwendiger Schatten, seine Zusatz-Farbe, damit ein Bild darstellbar ist?



Ach, jetzt meditiere ich vor dem Bild - es sind alles Ausflüchte, weil ich gerne an diese Zeit zurückdenke, als alles vor mir lag. Jetzt ist so Vieles Vergangenheit, es türmt sich, und dennoch habe ich das alles im Gepäck, reise damit ... bis die Zeit mir meine Erinnerungen nimmt, sie zärtlich oder gewaltsam mir abnimmt. Ich halte das Foto in den Händen ... Nein, Zeit, Du wirst mir das Gewesene aus meinen klammernden Händen winden müssen, ich halte törichterweise daran fest. Ich bin kein Foto, gehöre nicht dem Moment; ich bin ein Film, die Bewegung macht mich aus, so wie es das Licht ausmacht, innehalten ist nicht drin. Und dennoch Rückzug auf konkreten Moment, die Sucht, sich vom Wirbel erfassen lassen zu wollen, Sehnsucht nach dem Ich der Vergangenheit; wie beschwört man es herauf? Die Technik wird uns Möglichkeiten an die Hand geben, womit wir das Sinnen-Reich sinnreich ausbauen.



ENDE

 

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Tag der Veröffentlichung: 31.01.2016

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