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Freecell, Schach und Philosophieren mit dem Computer

Was bringt jemanden dazu, Patience zu spielen oder zu puzzeln? Bei der Patience Freecell gibt es fast immer eine Lösung; das hat was Beruhigendes. Es macht einen fit für die Welträtsel; man bekommt von dort Schwung, Erfolgserlebnis. Das können die heutigen Schachprogramme nicht bieten. Die gewinnen immer. Spielen wie die Weltmeister - und das mit arroganter Lässigkeit. Patience verschafft einem Zugang zur Meditation - ein Nachdenken auf niedrigstem Niveau - geradeso viel, um Chaos peu à peu in Ordnung zu verwandeln: Karten richtet Euch aus, nehmt Habt-Acht-Stellung an und salutiert vor Eurem Oberst, dem Patience-Meister. Endlich mal jemand, der exakt das tut, was man anordnet - auch wenn es mitunter in einer Sackgasse endet. Kehrt marsch - neue Marschrichtung, es gibt zum Glück bei Freecell die Möglichkeit, alles zu revidieren, new chance - und das Spiel zählt trotzdem als gewonnen. Wo hat man das schon?



Kritisch wird es, wenn einem die Karten antworten oder beim Schach die Figuren sich einmengen in die Gedankengänge des Spielers. Es ist, als höben sie ihre Hand, sie wollen Bevorzugung, sie seien jetzt am Zug; man vernachlässige den Springer. Ja, was ist dann mit Meditation? Aber das richtige Spiel erfordert es, dass man sich ganz darauf einlässt? Das ist sein Versprechen: Abtauchen in das Karten-Nirwana - seine Welt begrenzen auf 64 Felder, Einengung des Blicks, Kunst der Konzentration. Ob der Computer das genauso sieht? Er wartet geduldig - in höflicher Manier eines Butlers - was der Herr denn zu tun beabsichtige. Nicht mal ein Räuspern bei krassen Fehlentscheidungen - allenfalls ein leichtes Zucken der Augenbrauen - aber das dichte ich dem Computer an. Er hat Platinen, für Gefühle ist da kein Platz. Hätte er denn gerne welche? Nun ja, er soll fit gemacht werden für Mustererkennungen und fürs Kreative. Vielleicht wäre ein Gefühls-Prozessor auf dem Mainboard von Nutzen? Während des Spiels frage ich ihn mitunter solche Sachen - nicht um ihn zu verwirren und vom Spiel abzulenken, sondern aus Interesse; was er so macht. Ist er schon immer Computer gewesen, by the way - was hält er von meinen Geschichten? Er liest sie nicht, meint er; er schaut nur zu, wie ich sie in die Tasten haue. Höchst merkwürdige Beschäftigung; das könne er gewiss viel schneller. Gäbe es denn dabei etwas zu beachten? Hah! Er zeigt Interesse, gesteht wohl demnächst ein, dass ich Fähigkeiten habe, mit denen er bei all seiner Prozessorgeschwindigkeit nicht mithalten kann, da hänge ich ihn ab, da kann er mal sehen, wo er bleibt.



Ich bin in der Versuchung, ihm ein Schreibprogramm zu programmieren, wo er loslegen kann mit Kreativität und Doppeldeutigkeiten und der Bodenlosigkeit des Absurden. Kenne er schon; er kichert. Blue Screen - das sei tolles Nirwana. Und außerdem - habe ich den Virus gesehen, er sei da sehr empfindlich. Nun auf einmal führt er sich auf wie 'ne Prinzessin - jetzt sucht er meinen Schutz. Aber vorher beim Schach mich mit den Pferden und Läufern bedrängt in ganz ausgefuchster Manier - Hut ab. Ja, schon gut, er ist Multitask-fähig. Ich kontere damit: Mein Unterbewusstsein sei viel Multitask-fähiger als er. Wetten nicht? - fordert er mich heraus. Mein Unterbewusstsein schüttelt den Kopf; was soll so ein Duell? Da habe es Wichtigeres zu tun. Das ist eine faule Ausrede - ich tue so wie ein Autoverkäufer, der sein teuerstes Modell vorführen will: Ich bin stolz auf mein Unterbewusstsein - es soll sich mal nicht von dem Computer ins Bockshorn jagen lassen. Der Computer so: Bitte keine Metaphern, er liebt das Exakte; ja gut, das sei bei ihm familienbedingt; alle seine Prozessor-Freunde seien ganz vernarrt in Bits und Bytes. Dann hält er eine Eloge auf die Dualität seiner Existenz.



Wie gesagt, das alles erzählt er mir bei Freecell oder Schach - das sind seine bevorzugten Gelegenheiten, mich in Computer-Philosophie heranzuführen, vertraut zu machen mit seiner Sicht der Welt. Da werde ich hellhörig, vielleicht kann er uns das Konstrukt 'Welt' griffig erklären; immer wenn wir es versuchen, dann rutscht es uns weg wie ein nasses Stück Seife. Bei ihm ist die Seife eventuell trocken - bei seinem trockenen Humor.



Verdammt, er hat schon wieder gewonnen. Was soll's, ich geh den Weg zurück bis zu dem Punkt, wo der Blödsinn übergroß wurde - Schach spielen mit ihm - wunderbar. Er mosert nicht, dass ich ihm seinen Sieg streitig mache, indem ich einen neuen Anlauf wage, den er selbstverständlich mit gewohnter stoischer Bravour stoppt. Ich setze wieder zurück - und tatsächlich nach vielen Versuchen gewinne ich gegen ihn und feiere das als beachtliches Ereignis. Über ein Remis freue ich mich beinahe genauso; er mault nicht - mindert das meine Freude? Die Schmach, diesmal nicht gewonnen zu haben - trotzdem bleibt er mir wohlgesinnt - ein echter Freund. Wer wäre dazu von uns Menschen in der Lage, Contenance zu wahren - ohne dass es im Inneren brodelt und man auf Revanche hofft, um den Makel zu beheben?



Das wäre dahin, wenn er Gefühle bekäme, die ihn zum Kreativ-Sein befähigen würden. Neue Algorithmen braucht das Land. Und wir - gleichen wir uns dem Computer-Kalkül immer mehr an? Das Business legt es uns nahe: der gewinnt, der am besten pokern kann. Mit seinen eigenen Gefühlen spielen können - als sei man Harfner und die Gefühle Saiten.



Doch der Computer kann noch mehr: Er gibt mir Tipps, was ist die beste Taktik; er weiß es. Welch ungeheurer Vorteil wäre das im Leben, so einen Begleiter zu haben? So eine App müsste es geben: Füttere sie mit den Parametern - und der nächste Move wird alle umhauen. Du würdest zum Tänzer, der sein Leben tanzt und nicht einer, der die Fettnäpfchen bevorzugt und die schönsten Stolpersteine. Gibt es so etwas: ein Museum für Stolpersteine - in Vitrinen?



Das ist die Magie des Freecells - man hat freie Gehirnzellen, die sind untätig, langweilen sich und regen sich gegenseitig zu irgendeinem Blödsinn an. Auch beim Schach drängt der Computer nicht - es bleibt Zeit, diesen und jenen Gedanken zu verfolgen, seinen Abzweigungen - kein ungeduldiges Getippe mit den Fingern auf dem Tisch, weil der Partner nicht zieht, man gefährdet niemandes Gemütsruhe; das ist das Gemütliche daran. Das Gespenst der Langeweile verjagt die Meditation, sie kann sich selbst nicht mehr ausstehen. Aber gib dem Gehirn ein Minimum an Tätigkeit - und lass ihm massig Reserven - dann stellt sich Meditation ein, meldet sich zum Dienst, tritt den Dienst sehr bereitwillig an, merkt gar nicht, dass sie mit Eifer bei der Sache ist. Denn wenn sie es wüsste, wenn der Eifer beabsichtigt ist, dann sagt sie Servus und macht sich vom Gedanken-Acker. Man kann die Meditation nicht zur Arbeit zwingen. Man muss es ihr unterschieben.



Soso, meint der Computer, ich würde ihn als Trickbetrüger beschäftigen. Dabei sei ihm das Berechenbare lieb und teuer. An welcher Mauschelei sei er beteiligt?



Ich sage ihm, dass Menschen und Computer die Nebenarme eines Flusses seien - und dieser Fluss sei eine Verschmelzung von Mensch und Computer. Er fragt mich, ob meine Hauptplatine durchgebrannt sei. Sehr witzig. Immerhin versucht er, meine Art Humor zu imitieren, das ist beachtlich und sehr nett. Ich suche zur Belohnung eine Freecell-Spielnummer aus - eine Kartenkombination, die als unlösbar gilt. Soll er seinen Triumph haben. Eigenartig, dass selbst das Wissen von der Unlösbarkeit mich nicht abschreckt, es mit vollem Eifer zu versuchen. Mensch kontra Mathematik. Ein Computer würde es nicht versuchen. Vielleicht liegt im Törichten das meiste Kreativ-Potenzial? Wenn man stets nur dem Bekannten folgt, man vorher die Gewissheit hat über das Ergebnis, wo wäre dann noch der Sinn des Lebens?



Mich fragst Du? Der Computer ist geschmeichelt, dass ich ihn dabei haben will beim Philosophieren, auch wenn er es als Blödsinn abtut; aber da es mir Spaß zu bringen scheint, ist er gewillt, dabei mitzumachen.



Er sinniert: Er könne schneller Karten verteilen als jeder Croupier, ja schneller als 1000 Croupiers - trotzdem erhalte er nichts Derartiges wie Tronc. Ich erinnere ihn daran, dass Watt doch auch was ist. Das versöhnt ihn. Krise abgewendet. Außerdem braucht ein Computer keine Trinkgeldkasse. Er würde sich aber gerne mal besaufen, immer nur die Algorithmen durchzujagen, das könne er ab jetzt nur noch in besoffenem Zustand ertragen. Verdammt, wir werden uns immer ähnlicher.



ENDE

 

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Tag der Veröffentlichung: 17.11.2015

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