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BookRix Autoren-Mix

Leseproben, Storys, Gedichte von BookRix Autoren

 

BookRix-Community - wenn Autoren sich zusammenfinden: Man kann diskutieren, in Wettbewerben sich vergleichen, um Unvergleichliches zu leisten. Gruppen, Foren - es lebe die Autoren-Bühne - dass ein jeder sich erkühne, das Wort zu ergreifen und es so zu platzieren, dass es überrascht, amüsiert, ...

 

17 Autoren bieten in diesem Sammelband eine Auswahl ihrer Texte.

 

Phil Humor

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K. P. Hansen

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Dr. Andreas Fischer

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Dirk Juschkat

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René Deter

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Fia-Lisa Espen

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Goldie Geshaar

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Mona Lida

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Cecilia Troncho

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Matthias März

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Loreley

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Rita Bittner

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Rebekka Weber

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Mike Sterren

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Michel Pinball

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Signe Winter

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Leahnah Perlenschmuck

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Gretel und die Hexe


Phil Humor

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Gretel: "Wie jetzt, das Lebkuchenhaus ist nur ein Trick, um Kinder anzulocken? Hier?! Mitten im Wald? Kannste das nicht zentraler platzieren; an einer Hauptstraße?"

Gretel reinigt den Tisch und schnappt sich gelegentlich ein Stück des Mauerwerks. "Gutes Zuckerwerk; ein bisschen süß nach einer Weile womöglich - aber momentan stehe ich da voll drauf. Boah, wir sind echt voll ausgehungert. Kannst dir ja denken, dass ein Holzfäller weniger Holz vor der Hütte hat als du ... der Graf will nicht, dass man wildert und das Holz hat er rationiert."

Hexe: "Wieso kennst du solche Ausdrücke? Gebildete Kinder - du könntest mir etwas vorlesen. Meine Augen sind zwar noch super, aber ich komme hier um vor Einsamkeit. Menschliche Stimme hören - nicht nur das Tirili der Waldvögelein und das Schrubben der Waschbären. Ach, ich werde sentimental. Das passt jetzt aber gar nicht zu meiner kannibalistischen Ader. Ist der Mensch nicht ambivalent?"

Gretel: "Könnte sein. Wenn wir philosophieren wollen, dann müsste ich allerdings eine Garantie bekommen, dass Hänsel Aussicht hat, aus seinem Mast-Käfig wieder rauszukommen - wir könnten es hier so nett haben. Lebkuchen alle Tage. Nicht nur zur Weihnachtszeit. Aber immer kommt einem die eigene Gier dazwischen; bei dir ist es ein mir nicht nachvollziehbares Verlangen nach Kinder-Rezepten. Hast du mal in deiner Kindheit recherchiert, ob du da einen Grund findest für dieses Gelüst? Ein Gespräch mit einer Therapeutin kann da sehr aufschlussreich sein. - Ich könnte diesen Part auch noch übernehmen. Aber wie gesagt, das hängt alles ab von Zugeständnissen ..."

Die Hexe unterbricht sie. "Ja ja! Ich bin ambivalent, verstört, wahllos meinen Gelüsten nacheifernd. Eine traurige Existenz! Und ja, hier mitten im Wald meine Basis anzulegen mit dem Lebkuchen-Ensemble - eher meschugge als maliziös, oder? Hat Euch das weiße Waldvögelein nicht genau hierher zu mir geführt? Hah! Nein, es ist keine Mitarbeiterin von mir. Die Nachtigall - warum sie weiß ist - keine Ahnung. Vielleicht eine Botin des Himmels. Mahnerin? Mich gemahnen daran, dass ich in Sünde wandle, bzw. da durchstapfe? - Es hat seinen Plan - aber nicht der Meinige. Achtung, jetzt kommt der philosophische Part: Ist meine Bosheit systemimmanent? Wird sie benötigt für tolles Heil? Ich weiß es nicht. Ich futtere weg, was hier so vorbeikommt; ist inzwischen Gewohnheit. Ist die Nachtigall dann auch Teil des Bösen oder agiert sie als getarntes Engelein - wo wäre das Gute dann als Resultat? Warten darauf, dass ich mich ändere, meine Schlechtigkeit einsehe? Ach, Gretel, reich' mir mal den Rum. Am besten, ich besaufe mich."

Gretel nimmt vorher einen kräftigen Schluck aus der Buddel. Gretel: "Gestatte mir, mir Mut anzutrinken, um dir was zu verklickern! Das hätte mein Vater auch bei meiner Mutter machen sollen! Statt vor ihr zu zittern! Was für ein Holzfäller - wie eine Axt im Moral-Wald! Uns im Wald aussetzen! - Ich überlege gerade, wer bösartiger ist, herzloser? Momentan stehst du noch ganz gut da. Langweile ich dich?“ Hexe: "Nur zu! Bin's zwar nicht gewohnt, dass mir mein Festschmaus vorher einen Vortrag hält, aber es könnte ja appetitsteigernd sein - nur nicht zu viel Moralinsaures, das schlägt mir auf den Magen."

Gretel: "Kontraste. Hier der Überfluss - bei uns der Hunger. Kein Ausweg? Nur der Holzweg? Ich glaube, es gibt immer einen Weg, der aus tiefem Wald uns hinausführt – na, sagen wir zu einem Lebkuchenhaus, dessen Funktion als Segenshaus noch offenbar werden könnte."

Hexe: "Tolle Optimistin! Na, das ist doch mal ein Schlag ins Gesicht des Pessimismus'! Der Glaube an die Macht des Gespräches. Setzt voraus, dass man noch alle beieinander hat; kann ich von mir nicht behaupten. Knusper, knusper, kneischen, wer knuspert an meinem Verstandes-Häuschen? Ich überdenke Deine Antwort: der Wind, der Wind, das himmlische Kind. - Himmlisches Kind trifft auf höllische Sünd'. Plauder weiter. Fühl dich ganz wie zu Hause."

Gretel: "Lieber nicht! Ich muss etwas Besseres finden als ein Zuhause; einen Ort, wo Zusammenhalt Wert hat, bedeutend bleibt auch bei extremster Belastung. Wo man anderen so viel bedeutet, dass sie unter allen Umständen zu einem halten. Und einen nicht im Wald aussetzen. Alleine. Untröstlich."

Hexe: "Man muss schon nicht bei Trost sein, um hier Trost zu suchen. Doch genau das versuchst du!"

Sie trinken abwechselnd aus der Rum Buddel. Gretel: „Statt uns zu fragen. Uns Kinder miteinbeziehen. Dann haben die Sorgen es mit vier zu tun; die sollen sich in Acht nehmen! Ich hätte den Grafen auf kindliche Art breitschlagen können. Meine Mutter hat unserem Charme nicht vertraut, ihn nicht ernst genommen. Dabei ist es eine Stärke der Kinder: ihre Natürlichkeit. Nun ja, man kann natürlich die Natürlichkeit betont kess einsetzen - dann ist es wieder Berechnung - steigert aber nur die Wirkung."

Gretel setzt sich bei der Hexe auf den Schoß. Hexe: "Zutraulichkeit? Soll ich dir etwa wie eine Märchentante Märchen erzählen?"

Gretel: "Was hat es mit dem Lebkuchenhaus auf sich? Was ist seine Story? Ich meine, man wohnt doch nicht in Hungersnot-Zeiten in einem Lebkuchenhaus - was ist mit dem Regen, wieso tropft er nicht durch das Zucker-Dach?"

Die Hexe lacht. "Du bist ein cleveres Ding. - Ich kam hierher vor Jahren. Das Haus stand schon hier. Es lebte eine Hexe darin. Die wollte mich vernaschen. Ich besiegte sie. Behielt ihr Haus. Blieb. Wartete. Übernahm ihre Eigenarten. So, als ob man ein Organ von jemandem eingepflanzt bekäme - und würde sich nicht mehr ganz selbst gehören. Was ist noch fremd - was mein? - Könnte dir auch so ergehen, Gretel, wenn du mich übertölpelst, schachmatt mich setzt. Es erben sich die Laster und die Gelüste fort - wie sie bezwingen? Geistesverwandte."

Sie streicht Gretel das Haar nach hinten. Sie deutet auf einen großen Spiegel. Hexe: "Ähnlichkeit. Auch wenn die Jahre uns trennen. Vielleicht bist ja du es, die ein Selbstgespräch führt - mit ihrem Alter Ego, dem, was sie in Jahrzehnten sein wird? Dieses Haus ist verflucht! Es wiederholen sich Dinge! Man kehrt ein; man tritt verändert daraus hervor - bleibt ... wartet ... auf Opfer, was man selber ist. Sehr mystisch? - Ach, im Grunde ist es ganz simpel. Bin völlig kirre worden in der Einsamkeit."

Sie kichert. Gretel betrachtet sie genauer. Streicht ihr gleichfalls das Haar nach hinten.

Gretel: "Für eine Hexe bist du sehr hübsch. Könntest direkt auf Lebkuchenhaus verzichten und statt Kinder Männer anlocken mit deinem eigenen Seelenhaus - hast aber Sorge, es sei nicht nach dem Geschmack der Leute - machtest es deshalb zuckersüß? Überzuckert, ein Zuviel - ein Naschwerk-Gebäude, dessen Kulissenhaftigkeit solange nicht auffällt, bis man sich ins Innere begibt?"

Hexe: "Das Haus hat mich gestohlen! Wo bin ich?! Plan, Auftrag, Order - alles übernahm ich von meiner Vorgängerin!"

Sie packt Gretel. "Folge mir nicht nach! Flieh, auf hinaus ins weite Land! - Sollen weiße Tierchen dir Türchen zeigen, die zu Orten dich verleiten, wo du Rettung findest oder Verzweiflung. Es lag ja an mir, musste nicht folgen."

Sie legt die Hände aneinander. "Beten! Als ob es dafür noch einen Platz gäbe in diesem Haus."

Gretel: "Was ist nun mit Hänsel? Wäre doch eine schöne Geste, wenn du ihn freiließest. - Und lass dir gesagt sein: Das Haus stiehlt nicht, es versteckt. Mit deiner Einwilligung, mit deiner Bereitschaft versteckt es deine Seele vor dir selbst."

Hexe: "Meine Schätze nicht geraubt; lediglich verborgen - meiner Kenntnisnahme entzogen - wenn ich recht vermute, dann müsstest du jetzt symbolisch bedeutsam in allen Ecken und Winkeln Perlen, Edelsteine und die üblichen Preziosen finden - was man so bei einem Piratenschatz anzubieten hat. Nur diesmal ist die Piratin eine Hexe und die Schatzinsel ist ein Lebkuchenhaus. Läuft alles auf dasselbe hinaus."

Ein weißer Vogel kommt hereingeflogen. Hexe: "Wie romantisch. Wenn die Nachtigall jetzt zu singen anfängt, dann ist meine Rührung wohl der letzte Tropfen, der mein Wahnsinns-Fass zum Überlaufen bringt. - Könnte sein, dass eine intelligente Person wie du mich aus meinem Stumpfsinn herausziehen könnte ... so, wie man einem im Morast Steckenden einen Ast hinhält oder zumindest den kleinen Finger reicht. Willst du mich hinhalten - übers Ohr hauen - fliehen? Könntest meinen Platz einnehmen - oder aber, ich erlöse uns alle, indem ich den Sprung in die geistige Gesundheit wage. Fürchte mich vor zu viel Realitäts-Gehalt. Das Zuckersüße - es erscheint mir jetzt wie Baby-Behausung - und meine Geburt steht bevor? Sehr symbolreich meine Umgebung - da muss man ja assoziieren bis zum Kollaps."

Die Hexe hält sich am Mauerwerk fest. Das Mauerwerk gibt nach; die ganze Seitenwand stürzt ein. "Komm bloß schnell raus hier! Habe das Gefühl, das Haus blieb nur so lange stabil, wie ich es mit meiner Bedürftigkeit stützte. - Bin frei. - Und ihr sollt es auch sein."

Die Hexe geht zum Stein-Käfig und schließt ihn auf. "Hänsel, deine Schwester Gretel hat ganze Arbeit geleistet als Therapeutin. Und das mit acht Jahren. Ein Wunder!"

Hänsel jumpt aus dem Käfig. "Give me five! Hab ich 'ne coole Schwester oder was?! - Dann brauchen wir den Ofen-Plan gar nicht mehr? - Plan B gefällt mir weitaus besser. Das Mästen nach einer Fastenzeit ist aus diätischer Sicht nicht tolerabel. Wundere dich nicht, dass wir oberschlau reden - mag sein, das war der eigentliche Grund, warum sich unsere Eltern im Wald davongeschlichen haben. Wir haben einen doppelt so hohen IQ, wie man es gerade noch aushalten kann als Mitmensch, ohne kirre zu werden. Aber da du das Kirresein echt gut drauf hast, bist du quasi immun dagegen."

Hexe: "Schön, wenn sich 'ne Kirre und Verstoßene zum traulichen Gespräch finden - dann wollen wir das Thema Kannibalismus ad acta legen. Mal sehen, was die Zukunft bringt. Sagt mal, könnte ich bei Euch einziehen? Die Gespräche mit Gretel würden mir guttun."

Hänsel: "Na klar! Ist vielleicht ganz gut, wenn unsere Mutter sieht, dass Intelligenz was einbringt: Und sei es eine Hexe im besten Alter. Du siehst scharf aus."

Die Hexe macht einen Knicks. Gretel: "Boah, echt krass unser Abenteuer. Man tafelt demnächst bei uns ganz exquisit: Denn den Schmuck, die Perlen, die nehmen wir doch mit?"

Hexe: "Pack ein. - Und eines Tages kann ich Lebkuchen vielleicht wieder was abgewinnen. Momentan hängen die mir echt zum Hals raus."

Hänsel und Gretel unisono: "Na besser, als wir."


ENDE



Der Nachlass Buch I - Jan

 

K. P. Hansen

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XXL Leseprobe aus 'Der Nachlass Buch I - Jan

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[05.2000 Das erste Wochenende]

- wie alles begann (oder Jans ‚perfekte‘ kleine Welt)

 

Anfang des letzten Jahres (2009) erhielt ich einen Anruf, in dessen Folge ich die verrücktesten Monate meines bisherigen Lebens verbrachte. Ich habe lange mit mir gerungen, ob ich überhaupt jemandem davon berichten sollte, da der Anlass für die Niederschrift der folgenden Ereignisse der Tod eines guten und langjährigen Freundes war. Ja ich möchte sogar sagen, dass Jan zeitweise für mich so etwas wie ein Vorbild darstellte. Vielem von dem, was geschehen ist, stehe ich auch heute noch sehr ambivalent gegenüber. Versteht das bitte nicht falsch - ich bereue nichts von dem, was passierte, und nehme es als einmalige Erfahrung, aber es war im Nachhinein betrachtet nicht meine Welt.

 

Zum besseren Verständnis der Geschichte muss ich ein ‚bisschen‘ ausholen. Ich lernte Jan während meines Studiums Anfang der 80er in den USA kennen. Jan war knapp sechs Jahre älter als ich und studierte Chemie. Er war schon damals ein Bär von einem Mann, 2,02 m groß, knapp 150 Kg, mittellange, schwarze, gewellte Haare, van Dyke Bart, laut und mit einnehmendem Wesen, kurz ein Pirat, klassischer Mantel & Degen Held oder holländischer Pfeffersack. Jan war zwar in Äthiopien geboren, aber durch seinen Vater holländischer Staatsbürger. Leider starb seine Mutter nur wenige Monate nach seiner Geburt.

 

Ich selbst sah zu dieser Zeit aus, wie ein etwas zu dünn geratener Rasputin: 1,84 m, lange braune Haare, 68 Kg, langer Vollbart und eher ruhig. Wir wohnten zu neunt, fünf weibliche und vier männliche Mitbewohner, in Cambridge (Boston MA), nahe der Uni, in einem gemieteten Haus. Wir haben damals nicht wirklich viel Party gemacht, aber wenn, dann richtig. Schließlich hatten wir als Europäer im prüden Amerika einen Ruf zu verteidigen, auch wenn die EU damals noch kein Thema war. Es war buchstäblich eine geile Zeit. Wir haben das mit dem Sex, den Drugs (zwei bis drei Meter hohe Pflanzen auf dem Südbalkon waren dort Usus) und dem Rock and Roll, ersatzweise Jazz Rock oder Tangerine Dream, ziemlich wörtlich genommen, doch das ist eine andere Geschichte!

 

Nach zwei Jahren war die schöne Zeit vorbei. Jan ging vorzeitig zurück nach Amsterdam, da sein Vater schwer erkrankt war. Wir telefonierten ab und an mal; sein Vater starb 16 Monate später und ich hörte lange Zeit so gut wie nichts von Jan. Mittlerweile war ich wieder zurück in Deutschland, arbeitete neben meinem zweiten Studium als Programmierer, was dem Studium nicht wirklich gut tat und es dementsprechend lange dauerte. 1986 lernte ich meine spätere Frau kennen, etwa zu dieser Zeit bekam ich eine Einladung von Jan zu seiner Hochzeit. Überschwänglich stellte er uns Rieke vor. Ich mochte Rieke von Anfang an nicht. Kennt Ihr den Film Hangover, die Freundin vom Zahnarzt? Dann habt Ihr Rieke an einem guten Tag. Wir vier kamen jetzt häufiger zusammen, alles lief ‚normal‘ Heirat, Nestbau, erstes Kind, Scheidung. Jan war mittlerweile ein Schatten seiner selbst. Rieke nahm ihn aus wie eine Weihnachtsgans, er verlor alles – bis auf seine Patente. Jan war schon, seit ich ihn kannte, ein brillanter Chemiker.

 

Nach der Scheidung hörte ich wieder mehrere Jahre nichts von ihm. Ich muss gestehen, dass ich es habe schleifen lassen, da es auch bei uns zu kriseln begann und es letztendlich kam, wie es kommen musste. Kurzum, mit einigen Ausnahmen waren die 90er absolute Scheiße. Eine dieser Ausnahmen war die Geburt meiner Tochter. Ich liebe meine Tochter und habe ihretwegen lange an der Ehe mit meiner Frau festgehalten, aber irgendwann war Schluss. Bei mir war dieser Punkt erreicht, als ich merkte, dass, egal was wir auch versuchten, Charly unter unseren Streitereien mehr und mehr zu leiden begann und anfing, sich zurückzuziehen. Charly hat die Trennung gut verkraftet und mir hat sie letztlich ein neues Leben ermöglicht. Was Katja anbelangt, nun, auch ihr geht es bestens, auch wenn sie als Ursache hierfür etwas völlig anderes ausmacht. Charly hat jedenfalls ein gutes Verhältnis zu uns beiden, da wir uns einvernehmlich und gütlich trennten.

 

Anfang 2000 traf ich Jan durch einen, wie ich glaubte, Zufall wieder. Ich war im Rahmen eines Auftrags in Süddeutschland und sichtete Unterlagen, um mir ein Bild über das Projekt zu machen, als ich in den Verträgen Jans Namen und Unterschrift erkannte. Klar, dass ich sofort zum Telefon griff und ihn anrief. Am anderen Ende nahm eine Frau ab, die sich als Mara vorstellte und mir mitteilte, dass Jan geschäftlich unterwegs und schwer erreichbar sei.

 

Des Weiteren sagte sie mir, dass Jan bereits darüber informiert worden war, dass ich die Projektleitung übernommen hätte. Und im Übrigen sei ich ihr nur um Minuten mit meinem Anruf zuvorgekommen, da Jan ihr aufgetragen habe, mich für das Wochenende einzuladen - um die Fertigung zu besichtigen und über alte Zeiten zu plaudern, wie sie noch hinzufügte. Normalerweise lehne ich solche Einladungen ab, um mich nicht dem Vorwurf der Vorteilsnahme auszusetzen. Aber ich kannte Jan oder glaubte ihn noch zu kennen, er war immer ohne Arg und eine ehrliche Haut. Also sagte ich zu, buchte einen Flug nach Amsterdam und mailte Ankunftszeit und Flugnummer an die auf dem Vertrag vermerkte Adresse.

 

Zwei Tage später kam ich auf dem Flughafen Schiphol an und wurde, kaum dass ich meinen Koffer vom Gepäckband nahm, ausgerufen. An der Information angekommen, stockte mir der Atem! Vor mir stand das mit Abstand schönste Mädchen, das ich bisher gesehen hatte, ca. 1,78 m, traumhafte Figur, schätzungsweise 23-24 Jahre alt (wie ich später erfuhr, war sie damals 25), leicht dunkler Teint, im wahrsten Sinne des Wortes exotisch. Sie stellte sich als Mara vor und drücke mir, welch angenehme Überraschung, recht fest die Hand. Erst jetzt nahm ich einen jungen Mann wahr, der etwas von uns entfernt stand und abwartend zu uns herüberblickte. Mara bemerkte meine Blickrichtung und stellte den Mann als Peer vor. Peer kam näher, begrüßte mich freundlich und bat um meinen Koffer und meinen Rucksack. Ich benutze für meinen Laptop und meine Unterlagen immer einen Rucksack - ist bequemer.

 

Auf dem Weg zum Wagen erzählte mir Mara, dass Jan mich ihr gegenüber schon häufiger erwähnt hatte und sie ihn selten so aufgeregt erlebt habe, wie in den letzten Tagen. Was mich ehrlich etwas wunderte: Warum rief er mich dann nicht an?

 

Die Fahrt dauerte knapp 40 Minuten, während der Fahrt sagte Peer kein Wort. Mara hingegen erzählte, dass sie, Meike die Haushälterin, und Eva die Köchin schon sehr neugierig auf den Gast waren. Was hatte Jan alles erzählt und warum seinen Angestellten? Auch fiel mir auf, dass Maras Erscheinung, strenges Business Outfit und kurze schwarze Haare, sehr in Kontrast zu ihrem Wesen zu stehen schien. Mir sollte erst Jahre später ein Licht aufgehen. Egal, ich fühlte mich jedenfalls von ihr gleichsam irritiert und angezogen. Ich kann mich noch erinnern, dass ich, kurz bevor wir Jans ‚Haus‘ erreichten, dachte: Oh Jan, was geht hier ab?

 

Wir kamen zu einem zweigeteilten, von altem Baumbestand eingefassten Grundstück, die erste Auffahrt war ein ganz normales Werkstor. Mehrere helle, fensterlose, annähernd würfelförmige Gebäude waren zu erkennen. „Labors, Fertigung, Lager und Versand“, kommentierte Mara. Einzig ein Gebäude, in der ungefähren Mitte der würfelförmigen Hallen, wich zumindest in der Verkleidung von den anderen ab. Es war zweigeschossig und komplett verglast, man konnte Arbeitsplätze erkennen und eine Vielzahl von Grünpflanzen. Teilweise schienen sich diese über beide Stockwerke zu erstrecken. „Entwicklung und Verwaltung“, ließ sich Mara wieder vernehmen, und das mit einer gehörigen Portion Stolz in der Stimme. „Sehr beeindruckend, was Sie hier aufgebaut haben!“, ließ ich verlauten, denn ich war wirklich etwas von den Socken. Ich wusste, dass Jan die Fähigkeit besaß, etwas aufzubauen und zu führen, aber ehrlich, das hier war ein paar Nummern größer als alles, was ich ihm zugetraut hätte.

 

Etwas mehr als 500 Meter weiter erreichten wir die zweite Auffahrt. Kies, niedrige Lampen aus Edelstahl, Rasen, ein Teich, das Haus ein Bungalow, zweiflügelig, wahrscheinlich U-förmig, auf dem Mittelteil, etwas nach hinten versetzt, ein Glasaufbau. Zwei Dinge registrierte ich sofort: Die Auffahrt wies eine Steigung auf, ungewöhnlich für die Niederlande, und das Haus war groß, richtig groß, niedrig zwar und nicht protzig, aber groß. Als einzige Fenster zur Auffahrt hin waren rechts und links des schlichten Eingangs, der etwas nach innen versetzt war, nur zwei bodenlange Fenster zu erkennen.

 

Jan stand winkend in der Tür, rechts und links von ihm, etwas vor dem Eingang, zwei Frauen. Aha ein Test - Erklärung folgt später. Linkerhand eine Blondine Mitte/Ende 20 ca. 1,65-1,70 üppig aber schlank, süßes Gesicht, verhaltend lächelnd. Rechts eine Brünette Ende 20, Anfang 30, ca. 1,80-1,85, drall, ein Prachtweib (und das war/ist wirklich nicht abwertend oder respektlos gemeint, ganz im Gegenteil), glaubhaft herzlich lächelnd. Ich konnte Jan innerlich richtiggehend lachen hören: Na wen wird er zuerst begrüßen? Weder Jan noch ich sind mit sonderlich viel Empathie gesegnet, deshalb sind wir immer auf kleine Tricks angewiesen, um Leute in nichtgeschäftlichen Situationen ‚lesen‘ zu können.

 

Ich ging also auf die Brünette zu, streckte ihr die Hand entgegen und sagte: „Sie müssen Eva sein“, was mit einem offenen Lachen und einem wiederum erstaunlichen festen Händedruck quittiert wurde. Ohne auf Jan zu achten, wandte ich mich nun an die Blondine: „Und Sie sind Meike.“ Das Lächeln wurde breiter und sicherer und es folgte ein: „Herzlich willkommen Paul, Jan spricht schon seit Tagen nur noch von Ihnen.“

 

Ich bedankte mich für das Willkommen und wandte mich Jan zu, den es nun nicht mehr an seinem Platz hielt. Mit einem lauten: „Paul – Alter“, kam er die 3-4 Schritte auf mich zugestürmt und schloss mich in die Arme, sodass mir fast die Luft wegblieb. „Mann, Scheiße zehn Jahre sind definitiv zu lange!“ Er sprach Deutsch, ich war mir jedoch sicher, dass die restlichen Anwesenden genau verstanden was er sagte.

 

Nachdem mir mein Zimmer gezeigt worden war und ich die obligatorische Hausführung hinter mich gebracht hatte, saßen Mara, Meike, Jan und ich im Wohnzimmer und unterhielten uns über alte Zeiten und darüber, was wir heute so trieben. Jan war fast wie früher, ich konnte aber auch nicht umhin zu bemerken, dass die beiden Frauen über sein Verhalten oder das was er von sich gab, gelinde gesagt erstaunt waren und mich/uns mit Blicken förmlich sezierten. Jan war nicht authentisch, klar da war der alte Jan, aber da war auch noch etwas anderes. Er versuchte, Reaktionen zu provozieren und mich zu lesen. Okay - wenn man jemanden, und sei es ein guter Freund, fast zehn Jahre nicht sieht, versucht man herauszubekommen, ob er noch so tickt wie früher. Aber das, was Jan hier trieb, war zielgerichtet und nicht beiläufig, so als wenn er dringend etwas in Erfahrung bringen müsste. Auch die Damen schienen das zu bemerken und verabschiedeten sich unter einem Vorwand.

 

Um Jan eine Brücke zu bauen, fragte ich ihn auf den Kopf zu, was los sei. Er druckste noch einen Augenblick und fragte dann: „Ist das so offensichtlich?“ Ich lachte: „Du bist mir in Vielem über, aber etwas vor mir zu verbergen, wirst du nie schaffen!“ Er seufzte tief: „Ich möchte, dass du nicht schlecht von mir denkst!“ „Wie kommst du auf den Trichter?, fragte ich ehrlich erstaunt. „Ach komm, ich kenne dich, ich sehe doch, wie es in deinem Kopf rattert!“

 

Erwischt! Schuldbewusst sah ich ihn direkt an: „Und verdenkst du es mir, dass ich mich wundere, dass du dich mit so viel geballter Weiblichkeit umgibst?“ „Ich möchte, dass du das alles hier richtig verstehst. Du hast mich damals gewarnt und ich wollte es nicht wahrhaben; glaube mir, ich habe daraus gelernt! Außerdem kenne ich deinen Ruf!“ Jetzt war ich doch etwas verwirrt und beunruhigt.

 

„Das hier ist doch rein privat“, setzte ich an. Jan unterbrach mich, was mir zeigte, dass es ihm wirklich wichtig war, da wir es beide absolut hassten und es als respektlos empfanden, wenn wir unterbrochen wurden. „Das hier ist jetzt meine Familie, ich vertraue diesen Menschen und ich bin für sie verantwortlich.“ Das klang fast schon verzweifelt. Ich verstand immer weniger, ich denke, dass mir dies unschwer anzusehen war, denn Jan sagte: „Okay, egal, belassen wir es vorerst dabei! Versprich mir, dass du keine voreiligen Schlüsse ziehst, deine Zeit hier genießt und wir wieder mehr zusammen machen!“ Etwas verdattert willigte ich ein. In diesem Moment rief uns Eva zum Essen.

 

Ich erinnere mich noch an jedes Wort und jede Minute, denn die nächsten 36 Stunden waren in vielerlei Hinsicht ein einziger Rausch und sollten mein Leben radikal und nachhaltig verändern.

 

Das Esszimmer, wie auch einige andere Räume, war in der Hausführung nicht enthalten. Dominiert wurde dieser Raum von einem vom Boden bis zur Decke reichenden Aquarium. Eine Riffszene, sehr aufwendig gestaltet und ausgewogen besetzt. Das Zweite, was mir auffiel, war die Einrichtung: viele Pflanzen, eine Anrichte aus Acrylglas, Tisch und Stühle aus dem gleichen Material, Sitzflächen und Rückenlehnen mit durchsichtigen, leicht bläulich gefärbten Gelkissen belegt. Durch die indirekte Beleuchtung wirkte der Raum jedoch nicht kalt, sondern auf eine undefinierbare Weise gemütlich/behaglich, ich weiß es nicht, jedenfalls fühlte ich mich hier gleich richtig wohl und entspannt.

 

Eva und Mara waren bereits anwesend, Meike und Peer trafen kurz nach uns ein. Peer sah mich verstohlen und irgendwie erwartungsvoll an. Ich sollte mich schon sehr wundern, wenn ich mit meiner Vermutung hinsichtlich Peers Aufgaben falsch liegen würde. Also sagte ich ihm, dass ich noch nie in meinem Leben ein so fantastisches Aquarium gesehen hätte. Es dämmerte draußen und die Gartenbeleuchtung ging an. Wie bei allen Räumen im Mittelteil des Hauses war auch hier die Wand zum Garten vollständig aus Glas. Ich hatte, weil ich durch Jan und Mara abgelenkt war, den Garten zuvor gar nicht richtig wahrgenommen. Aber was ich nun sah, verschlug mir ehrlich gesagt die Sprache, das Areal war groß circa 3500-4000 qm, zu etwa einem Drittel mit Teichen durchsetzt, leicht japanisch angehaucht und in eine offensichtlich künstliche Topologie eingebettet. Es gab mehrere kleine Ruheplätze und sorgfältig gekieste Wege. Das alles sah so schön und harmonisch aus, sodass man den Blick kaum abwenden konnte. Hier war ein leidenschaftlicher, visionärer Mensch am Werk. Ich war wirklich absolut sprachlos und drehte mich zu Peer um; der Stolz in seinem Gesicht war unverkennbar. Ich suchte nach passenden Worten, brachte aber nur ein: „Ich bin sehr beeindruckt, Sie sind ein echter Künstler“, heraus. Aber selbst das schien ihn, in Kombination mit meinem Gesichtsausdruck, privat bin ich nicht gerade als Pokerface zu bezeichnen, ein wenig in Verlegenheit zu bringen, er wurde tatsächlich ein bisschen rot.

 

Das Essen war einfach aber sehr lecker: Steaks mit Zwiebeln, Pilzen und Fritten, als Nachtisch Flan mit Früchten. Eva freute sich sichtlich über meinen Appetit und legte mir zweimal ungefragt nach, als wenn sie meine Gedanken lesen konnte. Zu trinken gab es Selters und Bier - gute Wahl.

 

Wir unterhielten uns über alles Mögliche und so erfuhr ich, dass Jan nach der Scheidung zwei seiner Patente verkauft hatte, um wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Von dem Erlös erwarb er das Haus seines Vaters zurück. Klar, Rieke hatte es einen Tag nach der Scheidung verscherbelt. Jetzt, da Jan wieder ein Zuhause hatte, brauchte er Abstand von allem anderen. Vor gut sieben Jahren fing er an zu reisen. So lernte Jan im Laufe der nächsten 12 Monate zuerst Mara, dann Peer kennen; unter welchen genauen Umständen habe ich auch bis heute nicht herausgefunden. Ich weiß nur, dass sie wohl recht dramatisch waren. Etwas später stieß Meike dazu. Wie ich erfuhr, trafen die vier in einem Hotel in München aufeinander. Eva war die Letzte im Bunde und seit ca. 3 Jahren dabei. Alles in allem war ich jedoch am Ende des Essens nicht viel schlauer als vorher.

 

Jan und Mara wie auch Meike und Peer verabschiedeten sich nach und nach und verzogen sich in ihre Zimmer. Eva frage mich, ob ich noch mit in die Sauna kommen oder eine Runde schwimmen wollte. Ich war zwar müde, denn es war ein langer Tag mit vielen Eindrücken, Fragen und Emotionen, aber es war auch gerade mal 22:00 Uhr durch und somit nicht meine Zeit zum Schlafengehen. Auch muss ich gestehen, dass mich der Gedanke, ein bisschen mehr von Eva zu sehen, sehr reizte. Sie trug Jeans und ein grobes, sandfarbenes Leinenhemd. Für ein Abendessen mit Gästen hatte sie eigentlich einen Knopf zu viel geöffnet. Ihre Schuhe hatte sie schon vor einiger Zeit von den Füßen gekickt. Als Eva meinen Blick bemerkte, wackelte sie mit den Zehen (sehr gepflegt, nicht lackiert, nicht deformiert) und meinte: „Na dann bis gleich“, stand auf und verschwand.

 

Ich ging auf mein Zimmer, zog mich aus, warf mir den Bademantel aus dem Bad über, nahm ein Handtuch und wickelte darin Badehose, Duschgel, Zigaretten und Feuerzeug ein. Dann machte ich mich auf den Weg nach unten zum Pool. Die Eingangshalle mit dem Baum war schon gedimmt, doch von unten drang das Licht der Terrasse und des Pools die Treppe herauf. Der Sauna- und Poolbereich war durch eine Glasschiebetür vom Flur getrennt; diese stand nun halb geöffnet. Ich ging hindurch und zog sie zu. Linkerhand befand sich die Sauna, dahinter zwei Duschen, Kübel und Brause, ein japanischer Waschplatz und ein Sitzbecken. Es gab sechs Liegen: drei aus Holz und drei aus Acrylglas, alle mit Auflagen aus diesmal rötlich eingefärbten Gelkissen. Der Pool, circa sieben mal zehn Meter, war von Pflanzen eingefasst. Rechts ging es durch verschiebbare Glaselemente auf die Terrasse und in den Garten. Das Dach und die Stirnseite des Raumes waren ebenfalls verglast.

 

Und dann sah ich Eva: Sie hockte hinter der Sauna auf einem Schemel an einem weiteren japanischen Waschplatz und wusch sich mit einem weißen Frotteetuch den Seifenschaum vom Körper. Als sie mich hörte, drehte sie sich zu mir um und lächelte mich an.

 

 

Die Wandernde 7

 

Dr. Andreas Fischer

http://www.bookrix.de/-homo.nemetiensis

 

Leseprobe aus „Die Wandernde 7: Krimiparodie“

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Nachdem die vielen Türen zugefallen waren, begann der Zug langsam davonzugleiten. Was er von sich zurückließ, waren einige eilige Personen, die entweder schweigend oder miteinander lachend den Treppen entgegengingen, welche vom Bahnsteig herabführten.

Ein Mann in einer etwas altmodischen Lederweste hatte für eine Weile seine schwere Tasche abgestellt, um kurz zum Himmel aufzublicken und festzustellen, dass die vielen Gerüchte über das Wetter in dieser kleinen Stadt nicht alle frei erfunden sein konnten, strahlte heute doch die Sonne, wie er sie während der Wintermonate am Bodensee nur selten zu Gesicht bekam.

»Leo?«, hörte er hinter sich auf einmal eine Frauenstimme, und als er sich verwundert umschaute, wusste er zunächst nicht, ob er seinen Augen trauen sollte.

»Leo, sind Sies wirklich?«, erkundigte sie sich nochmals, da es ihr offenbar ähnlich erging wie ihm.

»Uschi!«, rief er darauf aus. »Für eine Sekunde wusste ich nicht, ob ich richtig sehe.«

»Leo!«, kam die erfreute Antwort. »Und wie Sie richtig sehen! Sagen Sie, das muss ja eine Ewigkeit her sein.«

»Nun, lassen Sie mich mal nachdenken«, schmunzelte er, »vielleicht waren es vier Jahre.«

»Vier Jahre, ja«, die hochgewachsene Frau mit den kurzen blonden Haaren schien für einen Moment etwas ernster zu werden, doch dann rief sie: »Wie gehts Ihnen?«

»Also, mir gehts ganz gut«, gab er zurück.

»Wissen Sie was«, fiel es ihr plötzlich ein, »warum kommen Sie nicht schnell auf eine Tasse Kaffee vorbei? Ich kann Sie dann auch heimfahren.«

»Das wäre nett. Und außerdem könnten wir noch etwas über die alten Zeiten plaudern.«

»Genau!«, antwortete sie strahlend, worauf sich die beiden in Bewegung setzten.

Unterhalb des Bahnsteigs lag ein Parkplatz, auf dem Uschi sich einem dunkelblauen Wagen zuwandte, welcher es veranlasste, dass Leo zu grinsen begann: »Wie ich sehe, fahren Sie noch immer das gleiche Auto.«

»Ja«, entgegnete sie, »Walter wollte sich mal ein neues kaufen, aber das Geld liegt bei uns eben auch nicht vor dem Hauseingang.«

Die beiden stiegen ein. Der Weg führte sie einen Berg hinauf in ein eher ruhiges Wohnviertel, in welchem Uschi in einer Seitenstraße vor einem Einfamilienhaus anhielt.

»So«, rief sie sichtlich erfreut, nachdem die beiden wieder ins Freie getreten waren, »dann kommen Sie erst mal rein.«

Sie schloss die Tür auf und führte ihn ins Wohnzimmer.

»Machen Sie sichs bequem!«, bat sie ihn, während sie nach nebenan verschwand.

»Sagen Sie«, begann dann Leo seiner Neugier nachzugeben, »was ist denn aus dem Campingbus geworden?«

»Oh«, hörte er sie in der Küche herumfuhrwerken, »den benutzen wir draußen noch als Gartenlaube, nachdem ... na ja, Sie wissen schon.«

Jetzt kam sie zurück und die beiden setzten sich an den Tisch.

»Was machen Sie denn so?«, wollte sie wissen.

»Ich bin mittlerweile Dozent für Literaturwissenschaft in Konstanz an der Uni«, erzählte er, während ihm die ersten Fetzen von Kaffeeduft in die Nase stiegen. »Da gibt es immer viel zu tun. Ich wohne aber noch hier. Und wie gehts Ihnen?«

»Ach, ich bin wieder als Lehrerin tätig und versuche, den Kindern Mathe etwas näherzubringen«, meinte sie. »Ansonsten hat sich bei uns seit damals nicht allzu viel verändert, nur Walter hat endlich mal selber ein Chemieheftchen geschrieben.«

»Und, wissen Sie etwas über die Anderen?«, fragte jetzt Leo ein bisschen ernster.

»Über manche mehr, über manche weniger«, kam die Antwort. »Frank, unser Arzt, arbeitet als Assistent in Villingen bei Dr. Hämmerle. sehr renommierte Praxis. Claudia

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Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Bildmaterialien: Bigstockphoto
Tag der Veröffentlichung: 09.10.2014
ISBN: 978-3-7368-4827-6

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