Georges Bizet:
Ich denk zurück: an meine Meisterleistung.
An 'Carmen' - 'ne ganz neue Oper, hat
mich selber überrascht; 'ne starke Muse:
Ein Frauentyp, der mit Furore Dich
ganz fordert; ganz, als sei ich Don José:
Herausgefordert - zu viel Temperament?
Der Oper tut es gut, sie lebt von Carmen.
Den Künstler macht es waidwund? Ungestüm
ist ihre Art, sie hat mir den Erfolg
gebracht. Ein Welterfolg; ein Novum; Welt
gefiel es nicht in vollem Maß - es dauert,
bis dann Begeisterung sich hochgeschaukelt.
Was hätte ich für Opern schreiben können!
Mit dem Erfolg im Rücken! Schicksal nahm
mich aus dem Spiel. Nun sitz ich hier bei Engeln.
Ach, sechsunddreißig Jahre, viel zu knapp!
Ich hätt' nicht rauchen sollen ... Konjunktiv ...
Ich hätte eher eignen Wegen treu
sein müssen, eigenen Maximen heldisch
die Treue halten. Meinem Ruhm 'ne größ're,
viel breit're Basis, kräftigeren Sockel
errichten. Carmen, warum kamst Du denn
nicht eher? Muse stärkster Güte, Prachtweib.
(Carmen tippt ihm auf die Schulter.)
Carmen:
Erschrick Dich nicht! Doch hier im Himmelreich
sind auch erfundene Figuren als
Besuch willkommen. Bin ich Dir willkommen?
Ich habe Visum, Greencard. Alles ganz
legal.
(Sie umarmt ihn.)
Mein Schöpfer - ach, erschöpf' ich Dich?
Wir sollten es forcieren! Scheust Du? Komm
sei brav! Du priesest mich, das lockt mich an.
Ich könnte Lockenwickler Dir zuliebe
in meine Mähne wickeln? Bin Dir zu
sehr Sphinx? Hab Löwenmut, mit Tatzen greife
die Beute - denn die Leute wollen heute
den grimmen Mut. Sei wütend über Dein
Geschick! Es komponiert sich besser, wenn
man Zorn benutzen kann, um dem Idyll,
dem Frieden des Bisherigen Adieu
zu sagen. Apropos 'Adieu' - wo steckt
der Chef, ist Gott zu sprechen? Carmen ist
erfundene Figur - ich wäre gerne
authentischer und lebensechter. Bin
gewissermaßen nur aus zweiter Hand.
Du meinst, da ließe sich was machen? Lass
Beziehungen doch spielen - Du bist Schöpfer
bedeutender Musik. Du sitzt hier so
bekümmert. Soll ich tanzen - nur für Dich?
Georges Bizet:
Die Szenerie bekommt noch mehr Bizarres.
Der Garten Eden, der ist riesig-groß.
Es gibt die wunderlichsten Fantasie-
Geschöpfe - alles nur 'ne Fantasie.
Doch wie es meisterliche Opern gibt,
so hängt viel ab von Qualität, Bravour
des Ausgedachten. Carmen, ich bin stolz
auf Dich. Warst immer bravourös. Durch mich?
Du warst, noch ehe ich mit Notenschrift
Dir Leben eingehaucht? War endlich fertig -
ja: Achtzehnhundertfünfundsiebzig ... da galt
noch Jahr - und Wichtigkeit des Seins; wie tat
ich mich so schwer: konform zu gehen
mit Ordnung, wagte wenig Widerspruch.
Schon da wär rechter Zeitpunkt für Genie -
ich hab gewartet bis zuletzt. Zu sagen:
Bin endlich fertig mit dem Kleingeist, wage
Unendlichkeit im Geiste, bring sie aufs
Papier. Hier steht sie vor mir - könnte ja
von Deiner Sorte dutzendfach spazieren
in Weltgeschichte; Geisteskinder mittels
Couplets und Arien belebt; man lebt
in ihnen, durch sie weiter.
Carmen:
Wundersam.
Oh schau, mein Fingernagel abgebrochen.
Mit Engeln gab es etwas Remmidemmi.
Ich würde gerne chillend mit Dir Zeit
verbringen. Hast Du vor, gedankenschwer
die Worte vor Dir her zu wälzen? Sei
ein Lausebengel - Unverstand kann dem
Verstand behilflich sein. Verstand allein
schafft nicht das Unerhörte, was den Gott
verblüfft. Denn darauf kommt es an: Bezaubern,
den Zauber finden in den Noten, in
dem Sein. Musst kombinieren, komponieren,
bis alles tadellos. Ich bin perfekt.
(Carmen singt ihre Habanera.)
Die Liebe ist ein wilder Vogel,
den kein Mensch jemals zähmen kann,
ganz umsonst wirst Du ihn rufen,
er löst sich stets aus Deinem Bann.
Kein Schmeicheln hilft und keine Wut,
der Eine spricht, der Andere schweigt:
Es ist der Andere, den ich bevorzuge,
er sagte nichts, doch gefällt er mir.
Liebe! Liebe! Liebe! Liebe!
Georges Bizet:
Ich fühle mich wie Bühnen-Don-José.
Von Dir betört zu großer Leidenschaft.
Doch Du bist frei, bist nicht an mich gebunden.
Der Welt gehörst Du an, mein Geist schließt sich
Dir an. Ich hatte Glück, dass Du mich mochtest.
Und es wird heißen: Endlich fertig mit mir,
bin abgetan; vermag, die Liebe nicht
zu zähmen. Werde mich ein Weilchen grämen.
(Ein Vogel fliegt auf Carmens Arm.)
Carmen:
Ein Hupatz. Wiedehopf. Sein Schnabel wie
ein Schwert. Einst war er Bote: Überbrachte
an Salomon und seine Königin
von Saba Nachricht. Kommunikation.
Auch wir vermögen miteinander zu
verkehren. Welche Nachricht hätte er
vor Jahren mir, als ich noch Traumgebilde,
verkünden sollen?
Georges Bizet:
Temperament und Schönheit -
der Künstler schafft daraus ein Feuer, was
im inn'ren Universum hell erstrahlt -
wie Höhlenmalerei sind uns die Bilder
erkennbar, deutbar.
Carmen:
Schön, so nützlich sein
zu können. Bin Bedeutungs-Dienerin.
Ich jage gleich den Wiedehopf auf Dich.
Georges Bizet:
Kein Wunder, dass ich spät gestartet bin.
Bei so 'ner kapriziösen Muse!
Carmen:
Friemeln -
das wäre dann Plan B. Schon Don José
war stur; erst tat er so, als könnte er
sein Glück bei Micaëla finden. Kann
das Schlichte Dich befrieden? Exzessiv
und impulsiv - das bot ich auf für Dich.
Gesteh's: Was vor mir war, das war ermüdend.
Adrett, ganz artig - Micaëla-Stil.
Für Bürger mag's in Ordnung sein. Wir hätten
die Opern-Welt erobern können - vielmals.
Du spielst sehr schön Klavier, doch vom Bekannten
sich loszueisen und im Kunst-Land trotzen
den Zwängen, Widrigkeiten, der Erwartung:
Da brauchst Du Liebe - Du brauchst mich, nun sag
es schon: Ich bin die Liebe Deines Lebens.
Ich bin der Höhepunkt, wir kulminieren.
Musik-Ekstase grenzenlos - ich künde
von ... Ja, so ist die Liebe, hoffnungsvoll.
Sie akzeptiert kein Ende, keinen Schlusspunkt.
Mein Lied wird weiterschwingen - Carmen singt
noch oft. Sie singt Dir von der Hoffnung. - Windig;
ich bringe frischen Wind ins Paradies?
(Carmen setzt sich auf den Flügel, auf dem Georges Bizet Notenblätter ausgebreitet hat.)
Georges Bizet:
Ich hab' auf Dich gewartet; feuerwehr-
rot: welche Farbwahl, schönes Kleid. Ob das
zu weißen Flügeln passt? Die Sünde - nötig
für Musenauftritt; geht es Künstler so
wie Don José - dem Übermaß hält er
nicht stand? Die Eifersucht zu überwinden:
Der Muse alle Freiheit lassen; Du
bevorzugst den, der schweigt, der wartet, zuhört.
Doch Ungeduld veranlasst mich, zu sprechen.
Die Fragen drängen sich mir auf.
(Carmen singt.)
Ja, schmetter'
in diese Stille Fröhlichkeit, Verzweiflung:
Die Stille: lauter Lügen. Es kommt Anflug
von Wahrheit mit gesung'nem Wort. Die Welt
als Oper - wag's, das Sein zu transponieren:
'ne andre Tonart. Bin ich transponiert?
In anderem Bereich. Und kenne ich den Schlüssel,
kann ich die Noten dementsprechend schreiben.
Ich male Balken, Takte, Halte-Bögen, ...
Wer transportiert es runter? Notenblätter -
wie Blätter, die vorüberwehen; das Sein
es steht darin, doch wer vermag's zu lesen?
Carmen:
Ist das die Heiterkeit, mit der Du mich
zu unterhalten vorhast? Sitzfleisch, das
ist hier gefragt - doch sieh Dir meine Schenkel
genauer an. Man könnte Sinnvoll'res
in Angriff nehmen.
Georges Bizet:
War so stolz, als ich's
geschafft, ich spürte: Das wird ein Erfolg.
Und dann die Reaktion des Publikums.
Es war nicht das, was sie erwartet, kaum
Applaus. Drei Monate darauf verließ
ich dieses Jammertal. Dich, Carmen, ließ
ich dort zurück. Du warst erfolgreich. Den
Elan sich zu bewahren, Zuversicht -
ich hab's vergeigt. Ich seh's wohl zu verbissen.
Ich kau schon lange dieses Thema durch.
(Carmen nimmt sich ein Kaugummi. Reicht ihm auch eins.)
Carmen:
Die Welt hat sich verändert. Cooler und
verblüffender. Man liebt die Technik, spielt
mit Welt; gebärdet sich, als gäbe es
'ne Neue, wenn man die so aus Versehen
zerspringen ließe. Ist schon sehr verschlissen.
Ich seh' dich interessiert; noch mehr Metaphern.
Als sei die Welt ein Punching-Ball: Mit Fratzen-
geballer will man imponieren.
(Sie kickt ihn.)
Lust,
mit mir zu tanzen? Endlich fertig mit
der Trauer? Trau mir, bin an Deiner Seite.
Schraffieren wir den Garten Eden? Zeig
Umgebung, was 'ne Harke ist. Bin
fürs Rächen - wenn es sein muss, auch fürs Rechen.
Georges Bizet:
Ich glaube, der Elan ist sehr im Steigen.
Carmen:
Wie prachtvoll; wirst mir Wunderwelten zeigen.
ENDE
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Tag der Veröffentlichung: 11.09.2014
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