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Vincent van Gogh malt Das Nachtcafé

Drei Nächte investiert in ein Gemälde. Das ist viel für mich. Vorarbeit, Planung, wohin soll es gehen? Wird es religiöse Aussage beinhalten, kann ich sie darin entdecken? Der Mann in Weiß - hinter dem Billardtisch - kann ich ihm Bedeutung andichten, zuschreiben? Ich schreibe mit dem Pinsel, brauche Realität als Modell, weiche davon ab, lasse mir doch nicht aufoktroyieren, welche Farbe ich zu verwenden habe; welche Freiheit. Da steuere ich mich hinein in Einsamkeit, male, porträtiere die Einsamkeit und schwärme von Freiheit. Wie gerne wäre ich Teil dieser Welt; ich stehe außen vor, bin ihr Maler; ich halte ihr einen Spiegel vor, damit sie was erkennen? Die Leute sehen mich als zerlumpten Gesellen, meiden meine Nähe, fliehen mich. Ha, ich bin nicht einfach - ich würde auch meine Gesellschaft vermeiden, wenn es möglich wäre, so aber bin ich mein Schatten, bin bei mir, warte darauf, was ich als Nächstes zu tun beabsichtige. Wer bestimmt? Ach, die Malerei bietet mir zu viel Zeit zum Grübeln. Konzentriere Dich auf Dein Meisterwerk. Nein! Es nicht denken! Damit nehme ich mir nur die Leichtigkeit; ach, ich täusche mich, ich trage zu dick auf, nehme das alles viel zu wichtig. Hätten meine Gemälde Leichtigkeit. Der Billardtisch hypnotisiert mich; ich will ihm eine Bedeutung zuspielen. Mein Pinsel als Queue? Über Bande trickreiche Kombination? Ich bin nicht der Trickser, ich bin der Träumer; bin wie die, die ich male: die Männer im Nachtcafé. Auf was warten sie? Froh darüber, dass sie einen Platz haben, wo sie verweilen können, während die Zeit vorübergeht; sie lassen sie passieren, ducken sich vor ihr. Ist sie eine Gebieterin? Eine strenge Herrin? Verlangt sie Rechenschaft, was man mit ihrer Gabe angestellt hat?

 

Ich war fleißig. Hunderte von Gemälden, aber wird das jemals als Gemälde durchgehen? Zu schnell hingepfuscht, werden sie sagen; ein Meisterwerk, das benötige Monate. So, das sieht schon sehr schön aus. Ich bin zufrieden? Bin ich es je? Doch, es sieht gut aus. Es ist so, wie ich es mir gedacht hatte: Der honigfarbene Boden, die grüne Decke - gib es zu, Du bist im Farbenrausch, Du liebst Deine Farben, liebst es, sie zu kombinieren. Was ist meine Komplementärfarbe, wo ist mein Komplementär-Kompagnon? Einsamkeit. Ich habe zu viele Süchte. Tabak, Prostituierte, Absinth; schlechte Ernährung. Es wäre so einfach, gesund zu leben. In der Provence ... was bin ich düster, inmitten der Erleuchtung. Alles wird erfasst von Seinem Licht. Ich wollte es deutlich machen, habe mich bekehrt zu den hellen, freundlichen Farben: Und dennoch, da fehlt etwas; so sehr ich mich bemühe, so dick ich die Farbe aufwringe, es ist noch kein Predigen mittels der Farben, sie stehen im Raum, haben sich so wenig zu sagen. Farben, unterhaltet Euch! Sprecht mit mir. Rot, Blutrot, ja Du bist gemeint; Du zierst die Wand, was begrenzt Du? Ich habe die hintere Tür als Fluchtpunkt gedacht, dort wieder das Honiggelb; was mache ich mir vor? Will ich Menschheit solch einen Ausweg herbeimalen?! Ich wünsche es mir ja auch für mich selber. Noch kein einziges Gemälde an den Mann gebracht. Theo, mein Bruder, Du leihst mir, Du borgst mir. Ich bleibe auf immer in Deiner Schuld. Ich kann es Dir nicht mit Gold aufwiegen, würde es gerne; so schreibe ich viele Briefe an Dich, da selbst, wenn wir zusammen sind, mein Streit-Talent sich Bahn bricht; ja wider meinen Willen! Wieso bin ich so unleidlich? Wille allein genügt nicht; warte ich auf Gnade? Wie kann ein Nachtcafé-Bild alles das beinhalten? Ich überlade, überfrachte es damit; nimm Dich zurück, aber ich kann nicht! Wo wäre Abstellraum für meine Gaben? Wo soll ich damit hin? Dennoch muss äußerste Freiheit bei jedem Pinselstrich sein, er muss sich selber malen. Gebiete mir, ist es hier recht, willst Du woanders hin? Jetzt rede ich bereits mit meinem Werk; aber es soll ja mitteilsam sein; mehr sein, als die Summe meiner Bemühungen. Bislang ist es mir gelungen. In fast jedem meiner Gemälde - ich bin wohl der Einzige, dem es so erscheint. Werden jemals in Galerien, in Museen Neugierige meine Bilder befragen, wird dann nach Jahrhunderten über solch eine Zeitepoche Gespräch möglich sein? Es sind nur Farben, von mir platziert, gemäß etwas Realem - und über dieses Reale soll es hinausdeuten; wie greife ich in das Jenseitige? Wo ist die Komplementärwelt? Spiegelwelt. Ich male jetzt gerade den Spiegel. Wie Fenster. Bin ich froh, dass die Gäste dösen. Ich will nicht gestört werden. Die Gedanken jagen sich; wie beim Billard: Impuls-Weitergabe. Wo ist Freiheit in meinem Bild? Wie stelle ich sie dar? Die Lampen - die Sterne der Stube? Die Uhr mit grünem Zifferblatt; der grüne Schimmer - hier Symbol für übles Werk. Draußen - da ist Grün Leben, wenn auch Unbewusstes. Muss erhöht werden: Menschen - sie brauchen Blau des Himmels, Grün der Pflanzen, Gold der Sonne. Ich biete ihnen nun Honiggelb des Fußbodens, und Blau kommt nur vor als Grün-Blau; ich vergrüne die Szene; aber so erlebe ich es: Über mein Leben zog Grünschleier; lästig. Dass man doch einfach befehlen könnte, dass man sich andere Farbe wünsche: In meinen Sälen sei es ... Ja, wenn es dort so wäre wie in diesem Nachtcafé? Schrecklich. Aber ich male es mir gerade und geradewegs in meine Seele. Achte darauf, welche Farben Du zu Dir nimmst. Aber ich bin ja das Milieu - was beschwere ich mich, dass um mich herum die Mattigkeit? Dies Gemälde - ich setze es in die Welt, bin sein Erzeuger, sein Vater. Wird es sich verändern? Ist es bereit, dass es erwachsen werden kann mit Hilfe der Generationen, die in ihm immer neue Seiten ihm zeigen, es ist angewiesen auf die Zwiesprache mit den Menschen.

 

Es ist fast vollendet ... sage mir, wenn der Moment gekommen ist. Sollte man selber auch so ein Gemälde sein? Den Schöpfer malen lassen - oder aber selber sich größtmögliche Mühe geben? Wird so artifiziell. Macht Er vorher Kohlezeichnung? So, der Spiegel ist jetzt zweimal. Real und gespiegelt in einem bedeutenden Gemälde. Ich setze das mal voraus. Spaßeshalber. Tun, als ob, es Bedeutung hätte, was ich in meiner Verzweiflung kopiere. Ja, ich brauche die Realität; aber transformiere ich sie wirklich zu etwas Aussagekräftigem, zu Schönheit, etwas Immerwährendem? Habe ich diese Macht? Es wäre Magie. Dem Moment solche Dauer verleihen, dass er gebannt ist, und selber gespannt ist, wie lange er diesen Ton halten kann, Meistersang. Verdammt, meine Modelle bewegen sich; es wird Morgen; ich hätte überprüfen sollen, ob es stimmig ist. Später, da wird man alles arrangieren, vielleicht wird es bewegte Bilder geben, wo die Akteure eingeweiht sind in den Abbildungsprozess. Sie schauspielern dann für die Ewigkeit, man könnte solche Momente inszenieren - doch ich habe nur immer einen Moment, ein Standbild; sie stehen, sie sind unbewegt, sie verharren. Ich habe die Zeit angehalten. Es wäre wohl eine Zeitreise möglich an solchen Zeitpunkt, wie ich ihn markiert habe. Das Nachtcafé in Arles - es wird sein Original übertrumpfen - das Gemälde höherwertiger als die Realität. Ist das was Göttliches? Bislang war Realität das Maß aller Dinge. Was ist, wenn Künstler sich erdreistet und es komprimierter anbietet, in hochwertiger Manier? Veredelung des Moments; selbst die Stühle stehen über dem Zufall, ich habe sie dem Chaos entnommen und sie hineingestellt in Geordnetheit, sie haben Funktion; sind Symbol, Bedeutungsträger. Ach, wäre ich auch ein Bedeutungsträger; es würde mir mein Leben leichter machen. Man meidet mich. Ich baue im Inneren, es ist die Eigenart des Künstlers, dass er seine Kräfte fokussiert, abzieht von der äußeren Front auf die innere Front, dort wo Gedankenheere aufmarschieren, miteinander sich messen wollen ... Und der Sieger darf das nächste Bild-Sujet bestimmen und wie es zu gestalten sei. Freue mich auf Sonnenblumen, Felder, Brücken, ... Mal sehen, was an jenseitigem Material in ihnen steckt. Ich werde danach suchen, man muss schon genau hinsehen. Wie bei diesem Mann in Weiß. Ich habe drei Nächte hingeschaut - und immer deutlicher - wie ein Geist - malt er sich selber auf die Leinwand. Er bringt sich selber in das Bild. Ich lasse ihn gewähren. So ist es gedacht. Das war meine Einladung, die ich ausgesprochen habe.

 

Museumsbesucher, werden sie unterscheiden können, was jenseitig ist und was profan? Habe ich es hineinmalen können, habe ich es genügend deutlich gemacht, dass das Jenseitige erwünscht ist, sich hinzugesellen darf zu den übrigen Leinwand-Dingen? Was, wenn ihm das zu wenig ist? Welche andere Fläche hätte ich anzubieten, welche Bühne? Ich befürchte, dass ich meine Exkursionen teuer bezahle: Mein Verstand flackert - hatte doch eigentlich gehofft, es würde verträglich sein; aber als Grenzgänger ... Ich wage mich zu oft aus der Realität, will das alles in meine Bilder retten, finde dort Schätze, als sei es Ali Babas Höhle. Ich habe das Sesam-öffne-Dich gehört, kenne es, die Losung ist mir bekannt ... ach, die Schätze, die ich mitbringe, sind für die Welt gedacht. Vincent, sei ein Held und ertrage die Mehrdimensionalität, die plötzliche Weite, ... Wieso weine ich dann? Ich bin erschöpft. Das Gemälde ist fertig. Ich werde noch zuhören, was der Mann in Weiß mir anvertraut, das tun sie immer, wie in einem Traum sprechen meine Figuren zu mir, wenn ich sie darum bitte. Ich könnte ihm eine Sonnenblume schenken. Oder ich spiele Billard - mein Verstand als Queue - und die Impuls-Erhaltung ist mittels meiner Fantasie neuen Gesetzen unterworfen. Ich gebe den Anstoß, ich bin die Bande - nur leider bin ich auch das grüne Tuch. In meinem Seelensaal vermisse ich das Blau des Himmels. Wird der große Maler mir diese Farbe leihen - wahrscheinlich muss ich mir dafür einen Vorrat aus dem Himmel holen. Die grüne Fee, der Absinth, zieht in die andere Richtung.

 

 

ENDE

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 30.07.2014

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