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König Saul und die Hexe von Endor

König Saul: "Ich bin da in einer misslichen, prekären Situation. Einerseits weise ich die Weisen, Zauberer, Hexen, Wahrsager außer Landes, da Gott es so will, andererseits benötige ich so hin und wieder den Rat eines dieser Jenseits-Experten. Von dort kommt doch alle Weisheit, strömt uns zu. An sich wäre es meine Aufgabe, auch einiges von diesem Wahrsage-Zustrom zu empfangen, doch es tröpfelt nicht mal. Ein Wadi - ausgetrocknet. Von woher soll ich Weisheit beziehen, wenn mein zuständiger Prophet, der gute Samuel, über den Jordan gegangen ist, ohne mir Nachricht zu hinterlassen, wie ich ihn kontaktieren könnte? Da kommst Du ins Spiel, meine liebe Hexe von Endor. Ich darf Dich doch so nennen?"

 

Hexe von Endor: "Nein. Was Du darfst und was nicht, das bestimme für den Moment ich. Und ich genieße es! Hah! Der große König Saul kommt zu mir, erbettelt, erfleht meinen Beistand, meine Beschwörungskunst. Was nun, wenn ich gar nichts vermag, wenn alles nur Blenderei ist, Gaukelei, so wie es die Priester im Brustton der Überzeugung allen verkünden, ob man es nun hören will oder nicht? Jedem drängen sie ihre Ansicht von Wahrheit und Gottesbild auf. Dieses will Gott und jenes. Und dann straft Er, wenn man es mal wieder nicht getroffen hat, sich versündigt hat. Ja, man hat es schwer gegen das Begehr, es weiß, wo es uns packen kann, wo die Schwachpunkte sind, da setzt es an, trickst die Lauterkeit aus. Ach, man wäre so gerne geläutert, verklärt - aber irgendwas macht man stets verkehrt; und das Begehr lacht sich ins Fäustchen - hat überall seine Hand mit im Spiel. Und sei es das Begehr, als einzig dazustehen, da duldet man andere Lieblinge des Volkes nicht, verfolgt sie, jagt sie, misstraut dem David, obwohl er manches Gute Dir erwiesen und manches Zeugnis seiner Rechtschaffenheit vorweisen könnte - doch Du lässt das alles nicht gelten, es erscheint Dir suspekt, willst ihn zu Fall bringen."

 

König Saul: "Ich bin nicht hier wegen David! Bevor ich mich einlasse auf die Schelte - was bekomme ich als Gegenleistung? Ich weiß, mit Bitten komme ich bei Dir weiter als mit Einschüchterung. Hätte aber gerne Garantie, Gewährleistung, dass Du Dein Handwerk verstehst. Danach fahre fort mit Deiner Tadelei - ich habe das seltsame Gefühl, es richtet mich auf. Du Richterin."

 

Die Hexe von Endor macht mehrere Öllampen an; sagt: "Die fromme, züngelnde Flamme, die dabei sein möchte beim großen Feuer: Zugehörig zur weltdurchstrahlenden Sonne; dazugehören zum Einen; und jeder Wunsch ins Separate führt uns weg davon? Wie verstehe ich dann aber Dein obstinates Verhalten, Dein Aufbegehren gegen Gottes-Gebot, die Hexen zu meiden, ihren Rat, ihre Hilfe ja nicht in Anspruch zu nehmen? Du brauchst mich; siehst Du es vielleicht an als Umweg: Über den Aberglauben doch noch den Kontakt herstellen zum innigen Glauben daran, dass Er Dir versichert, wie prächtig es bestellt ist um Dein Seelenheil?"

 

Sie legt ihm die Hand auf die Stirn; sagt: "Bin ich etwa der Schatten, rücke ich Dir zu nah, wird Dir vom Dämonischen ganz kalt? Soll ich Dir eine Decke holen, mein lieber König Saul? Du zitterst? - Hah! Und ich habe noch nicht einmal begonnen mit meiner Séance! Du wirst hören, sehen, was Dich erschaudern lässt; auf die Knie mit Dir! Ja, so ist es gut. Ich habe Dich im Griff. Ich bin die Brücke, die Dir als letzte geblieben ist. Alle anderen hast Du abgerissen. Wollte Gott das wirklich? Frage ihn! Du kannst ihn gleich fragen. Oh, erschaudere nicht, weil Du Fehler angehäuft hast; übergroße Schuld, die sehe ich aufgetürmt neben Dir, wo Du so dahockst als ein Häufchen Elend. Da braucht es keine große Seherin, muss man nicht die Jenseits-Wesen hinzubitten, das sieht man ganz von allein: Du bist ratlos. Die große Schlacht steht bevor gegen die Philister. Trage doch die Bundeslade vor Dir her als Schutzschild! Verstecke Dich dahinter! Wozu die ganzen Gesetze, Regularien - oh, wenn man sie exakt einhält, dann gibt es als Belohnung Sieg und Ehre? Ein Handel wie auf dem Markt; ist Gott von solcher Natur, dass Du Dich wähnst, feilschend teilzuhaben am Verschachern des Gottes-Reiches?! Oh, wie ich es genieße, Dir hier die Leviten lesen zu können, da Du meine Freunde nicht nur des Landes verwiesest, sondern sie schnurstracks über den Jordan gesendet hast; wegen was? Dass sie sich erdreisten mit Losorakel und Versenkung sich hineinzufinden in das Visionäre? Na und, wenn man Hilfsmittel dafür benötigt? Was ist verkehrt daran? So sträflich? Wovor hat Euer großer Gott Angst? Dass wir ihm auf die Schliche kommen, wenn wir mit ihm auch auf anderen Wegen kommunizieren als mit den von ihm dafür vorgesehenen und beauftragten Propheten? Dein Prophet Samuel. Ein Nasiräer. Als ob das Wachsenlassen der Haare und des Bartes etwas verändert, außer dass man ein wenig ungepflegter in Erscheinung tritt. Du bist überrascht, mich so adrett gekleidet zu sehen. Hattest Du erwartet, ich sei in der Gesellschaft von Ratten, Ungeziefer? So kommst Du Dir wohl vor? Der letzte Ausweg; Verzweiflungsgang, vermummt, nicht zu dem stehend - komm setz Dich. Ich werde ja beginnen mit der Beschwörung; sollst Deinen Samuel, Deinen Propheten, konsultieren können. Was soll meine Vorrede? Und dennoch stimmt sie Dich ein auf das Kommende; erzeuge Schwingung, bringe Dich ins Ungewisse. Boden muss sich verschieben, verbiegen, dass Erdspalten sich auftun - nicht real - aber den Geistern ermöglichen, dass sie Zugang haben in diese Sphäre; denn verbockt bist Du, vernagelt; öffne, sei offen für Einflüsterungen, Dämonen: Sie bringen das Gute und das Bedenkenswerte; die Sorge schultern sie; erwarten, dass Du ihnen Last abnimmst. Unterstütze sie; unterstütze mich beim Beschwören!"

 

Sie küsst ihn. Er springt auf. Sie sagt: "Ja! Sei außer dir! Denn dort, wo Du Deinen Gedanken Heimstatt gibst, da herrscht vor lauter Gewohnheit das Normale; sei außergewöhnlich! Dazu bist Du berufen als König! - Nun ja, in diesem Punkt entspreche ich sehr wohl Deiner Erwartung: wirres Zeug murmelnd, Dir dienstbar mit Visions-Erzeugnissen, dass ich helles, gleißendes Licht verstärke, das aus Dir emaniert, um daraus zu modellieren, wen Du zu sprechen begehrst. Diese Magie kann Grenzen durchschreiten, durcheilen."

 

König Saul: "Aus Licht modellieren?"

 

Hexe von Endor: "Das ist der Vorteil bei Hexen: Sie können Dir zu Diensten sein mit fantastischem Geist; brauchst nicht einmal daran zu glauben." Sie nimmt seine Hände und streckt sie nach oben; sagt: "Wende sie, drehe sie, bemühe Dich mit mir, das Licht zu formen, dass es für einen Moment zu dem wird, was Du benötigt. Sei tätig. Vertraue mir. Ich betrüge Dich nicht. Wann hat man schon Gelegenheit, einem König nützlich zu sein? Auch wenn da Gefühle mitschwingen, die momentan stören. Ich verbanne sie für eine Weile; was soll ich denken an Deine Verbannung meiner Schwestern und Brüder - im Geiste verwandt durch unsere Gabe, unseren Glauben, den direkten Weg wählen zu können. Was schweifst Du umher auf Umwegen! Beauftragst, bemühst Samuel, den Propheten, er möge sich umschauen, umhören, was Gott so plane, an Intentionen hortet und die Du begehrst, als seien es Dir die schönsten Schätze: Zu schauen, was Gott im Sinn. Dabei könntest Du teilhaben daran. Direkt. Selber. Musst Dich bemühen. Hättest es mit mehr Inbrunst versuchen sollen. Meistere Deine Gefühle, die Aufwallungen des erhitzten Gemütes. Meine wahre Furiosität verberge ich. Bin extrem wütend auf Dich; kann mich beherrschen, will es tun. Und auch Dir wäre es besser ergangen, wenn Du Deine Eifersucht auf David und auf Deinen Sohn Jonathan besiegt hättest. Stattdessen trittst Du mir gegenüber, als jemand, der das Gefühl hat, dass Gott schon Ausschau hält nach dem nächsten König; ob David genauso viele Fehler begehen wird? Ach, es wiederholt sich: Irgendein starkes Begehren, etwas, was man über das Gesamtwohl stellt, und man hat es sich verscherzt mit seinem Bündnispartner? Krieg und Frieden - darüber hat Gott zu befinden, alles seine Entscheidung; was aber, wenn man ihn nicht befragen kann, er zwar zu einem spricht, aber der Weltlärm alles übertönt? Zu laut. Seien Gefühle, Gedanken still. Lass sie sich ausruhen. Deine Eifersucht, Deine Begierde, Dein Bemühen, Deinem Volk zu beweisen, dass Du der beste König bist; wähle Dir andere Philosophie; der Macher zu sein, wenn in Wahrheit der Prophet Dich als Spielzeug ansieht, eine Puppe, die bewegt wird. Du lässt ihm seine Bühne, seine Zauberzone; und wundert's Dich, dass nach der von Dir zugelassenen Gewöhnung an seine Vermittlungstätigkeit Du unvermittelt die Brücken nicht wahrnimmst, die Dich in die ersehnten Länder bringen können? Er hat Dich geführt: Prophet Samuel - in seinem Sinne dorthin, wie es ihm gefiel. Oder wie er Dich glauben ließ: Wie es Gott gefällt. Hast Du dafür Gewähr? Sollte man sich nicht selber davon überzeugen, ob's der rechte Weg - zumindest es wagen, abzuweichen vom System-Weg? Wie willst Du siegen im Kampf, wenn jede Deine Aktionen vorhersehbar, durchschaubar? Mache es so wie David gegen Goliath: Wage etwas! Verlasse Dich auf das, was Du besonders gut kannst, setze es gezielt ein. - Hier ist Samuel. Wie versprochen. Gehüllt in weißes Gewand. Ich habe ihn heraufbeschworen; nutze die Zeit und sei nicht unnötig verwirrt. Fass Dich doch. Ja, es ist Geistererscheinung und mächtig Spuk-prächtig. Bin sehr stolz auf mein Werk; Deine Anwesenheit - sehr hilfreich."

 

König Saul: "Vielen Dank für Deinen Vortrag. Ich nehme es Dir nicht übel, dass Du die Gelegenheit genutzt hast, mich zu rügen - Du hast es verbunden mit Ermahnungen. Ich bin überrascht; hätte so viel Gutherzigkeit nicht erwartet. Bin am Ende. Ja, ich hätte ohne Umwege immer zugehen sollen auf Gott, auf mich. Ließ Samuel, den Propheten, dazwischentreten. Ließ es zu. Kein Wunder, dass er sich aufspielte als Königsmacher. Ja Du, Samuel! Auch wenn Du hier erscheinst lediglich als Geist, ich habe an sich Dich um Rat fragen wollen; doch die nette Hexe aus Endor hat es gewagt, mir Wahrheit anzubieten. Da ich ihr zusicherte, dass sie ungestraft bliebe. - Das Gotteswerk liegt jenseits des Üblichen. - Wie ungern ich mich aufmache ins Verstörende, Unübliche. Die starke Kraft, die Sehnsucht, die mich hinzieht zum Normalen - aber dort werde ich nicht fündig! Wende ich mich dem Verbotenen zu; soll Magie ihre Kunst zeigen! Meine Kräfte sammeln, nur nicht straucheln; mich aufmachen, den direkten Weg zu beschreiten."

 

Samuel: "Wo wir von Umwegen sprechen: Ich selber hätte herrschen sollen; aber steht es dem Propheten, dem Richter zu, sie zu einen, ihnen das große Symbol zu sein, dass sie zu einem Volke macht? Du hast gut reden vom Unüblichen: Finde Dich erst mal zurecht als Geist - man ist aus den bisherigen Dimensionen herausgewachsen, man hat ja Gefühl, man fülle Universum aus mit seinem Fluidum. Aber was rede ich von mir - Dir ist daran gelegen zu erfahren, wie Du Deine Beziehung zu Gott kittest. Frage ihn doch. Er steht neben mir. Für Dich nur sichtbar, wenn Du in die Ferne schaust. Das Ferne und das Nahe treffen sich in einem Punkt: Deiner Seele. - Die Philister sind zornig; die Bundeslade hat ihnen kein Glück gebracht - wohl auch, weil wir etwas nachgeholfen haben. - Lass David Dich mit Harfenmusik beruhigen. Dein Misstrauen erzeugt Klangspitzen, so dass Du die Harmonie nicht so recht genießen kannst. Die Musik, die Du hörst, das sind Engelsharfen. Zwei Cherubim, die denen auf der Bundeslade gleichen, haben mir bei meinem Auftritt hier geholfen."

 

Gott: "Saul, wie ein Kirschblütenblatt im Sturm ist Dir zumute: Frühling inmitten dunkler Wirrnis, wo findest Du in Deiner Verzweiflung das Gute? Wirfst Du mir vor, ich hätte Dir besser beistehen sollen? Dich insbesondere hinzuziehen, wenn es um die Frage geht, worauf läuft das Ganze hinaus, denn davon hängt es ja ab, wie man sich entscheidet. Dem Guten zum Sieg verhelfen, der Intelligenz, einfach Spaß haben? Bin ich zielorientiert? Was, wenn meine Ziele sich miteinander verkanten, verhaken? - Mal sehen, wie David sich so macht als König. Du hattest Deine Chance."

 

König Saul: "Wie konntest Du mir das Amt anvertrauen?! Aus Angst, aus Eifersucht, aus Trübsinn habe ich falsche Entscheidungen getroffen. - Da verstoße ich aufs Vehementeste gegen die Gottes-Gesetze und komme Dir nun um so vieles näher. Rücke zu Dir vor. Bin auf einmal erfüllt mit göttlicher Gleichgültigkeit. Wenn ich anders vorgegangen wäre, dann stünde mir jetzt David zur Seite - wir würden die Philister gemeinsam besiegen. Ich dachte, mir allein gebühre besonderer Platz an Deiner Seite. Neidete es ihm, dass er sich vordrängen konnte, Gehör fand bei Dir. Selbst meine Kinder - Jonathan und Michal - ganz vernarrt in ihn. Die Liebe des Volkes floss ihm zu. Nein, ich war nicht nur verschnupft, das war kein Schnupfen, das war heißes Fieber, Fieberwahn; wie klar ich es jetzt erkenne. Auch David wird Umwege machen. Könnte ich ihn noch beraten; doch er würde jeden Rat von mir als Betrugsversuch ansehen. Da erwache ich zu Weisheit, Lebensklugheit - und kann gleich wieder schlafen gehen: Wieso muss das Leben gerade jetzt sich von mir verabschieden - ist noch Zeit für eine Umarmung?"

 

König Saul geht auf Gott und Samuel zu. Gott legt ihm die Hände auf die Schultern. Hexe von Endor: "Na, habe ich mich gut ins Zeug gelegt, um meinen königlichen Gast zu beeindrucken? Dass ich dazu fähig bin, mittels Lichtermodulation nicht nur Samuel, den Propheten, sehr schön in Szene zu setzen, sondern auch Gott - ja ich bin kühn genug, zu behaupten, dass ich Gewichtiges geleistet habe bei dieser Inszenierung. Dem Licht Gewicht zu verleihen, dass es nicht flüchtig ist, sondern sich Zeit nimmt, uns zu erhellen. - Ja, wärest Du nur eher zu mir gekommen. Was lernen wir daraus? Die Hexen und Zauberer können den Initiierungsfunken bereitstellen; warum in der Kälte starrsinnig brüten - und das Lagerfeuer missen?"

 

Samuel: "Ich freue mich auf die Dispute, als Geist ist man immer geistreich - kein Wunder, wir haben Zugang zum göttlichen Archiv. Und als Sahnehäubchen kann ich Dir die Neuigkeit servieren: vorzügliche Sicht auf die Zukunft. Das Jenseitige bietet die Informationen, die uns befähigen, die besten Entscheidungen zu treffen - allerdings haben wir als Geister nicht mehr allzu viel zu entscheiden. Ein Ausblick: Auf David folgt sein Sohn Salomon als König. Mit 1000 Frauen verheiratet. Ja, Salomon ist ein großer Schürzenjäger vor dem Herrn. Und faszinierende, neue Worte erwarten uns in immer neuen Jenseitsreichen, gestaffelt nach Erkenntnistiefe. Stell Dir eine Blüte vor, die Zugang erlangt zu wundersamem Wasser, das bewirkt, dass sie nimmer welk - so ist es, wenn Deine Wurzeln fest verankert im Gottes-Reich."

 

König Saul: "Ich glaube, noch nie ist jemand so zuversichtlich in sein sicheres Verderben gegangen - auf in den Kampf mit den Philistern! Ich danke Dir."

 

Er verbeugt sich vor ihr.

 

ENDE

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 02.04.2014

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