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Inhaltsverzeichnis

 

 

Geschichten und Theaterstücke

 

Faust trifft Mephisto

Die unendliche Wendeltreppe

Crazy Candy Christmas

SpacetourSoon

In Quarantäne auf dem Planeten Eklipsi

Villa Doomsday

Goldene Hochzeit für Romeo und Julia

Vincent van Gogh und Paul Gauguin

Angriff auf den Planeten Deltor

Audienz-Tanz in München: Lola Montez bei Ludwig I.

Lola Montez und Ludwig I. - Maßkrug im Versmaß

Elizabeth I. im Jahr 2011

Mephisto und René Magritte

Der Straßenmaler

Kasperls Hochzeit

Jup

Kollektives Gedächtnis

Hildegard von Bingen im Privatjet

Hildegard von Bingen bei Barbarossa

Der einsame Klavierspieler

Der besessene Dämon

Ceres

Die Brücke zum Höheren Selbst

Ein halbes Hausboot

Jeder Tag ist ein kleines Leben

Orpheus kehrt zurück - Theaterstück im Blankvers

Eiseskälte

Morgana Ra

Inside Hollywood

Baiky, das Seeungeheuer vom Baikalsee

Octavian und Kleopatra

Schuld, Sex und Sühne

Shakespeare und Merlin

Die blaue Lokomotive

Schlaflos

Kurbel-Taschenlampe in Chile, San José

Siegfried und der Drache Faffi

Homer und Kassandra

Schneeweißchen und Rosenrot als Ehefrauen

Undine

Rotkäppchen auf dem Hochsitz - Hochdramatisches Märchen

Ihr seid das Salz der Erde - Salziges Gedicht im Blankvers

Leonardo, Lisa und Gioconda

Leonardo da Vinci nimmt Abschied von seiner Felsgrottenmadonna

Das Erwachen des Gewissens - Im Gemälde von William Holman Hunt

Sieg für Sternschnuppe

Die Wahrsagerin

Bruce und Cathy

Der verzauberte Luftballon

Paris und Aphrodite

Schloss Wilmore

Oskar und Napoleon

Kronos und Genoveva

Seeldini

Kain Mörder?

Das Reisen führt uns zu uns zurück

Caesar und zweimal Kleopatra

Im Tempel von Olympia

Goethe, ZM40 und Suleika

Die 1001. Nacht

Zeus auf dem Wolkenkratzer

Philosophie für Computer

Dreimal Blutwurst, einmal Mord

Firmenaktien

Planet Cinea

Captain gegen Kater

Miriam Bauer und die Mauer

 

Gedichte

 

Selbst verfasste Aphorismen

Das Zweite Gesicht

Patchwork-Seele

Abgebrannt

Lauf ohne Ziel

Im Schaufenster deines Lebens

Starker Tobak

An Halloween

Mauersteine

Kritik Ticket

Klopf an

Tempel bauen aus Worten

Die Küche lebt!

Worte oder Zahlen

Und immer lockt die Nacht

Begegnungen mit sich selbst

Weltenbaum

Uhr, du sonderbarer Zeitgenosse

Abschiedsworte einer Brieftaube

Hoffnungs-Engel

Schlendrian

Dieser Erd-Ball ist ein Fest

Grauer Alltag

Herbstwald

Wenn die Erinnerungen verschwimmen

Das Gedicht

Wie übersteht man den Winter?

Sei in Deinem Element

 

Drabbles

 

In 100 Worten - Drabbles

Wiese mit Blumen unter Gewitterhimmel

Abenteuer Daten-Autobahn

Billard um halb zehn - lass sehn

Urlaubs-Ruhe

Der Psychiater

Ein Rauschgoldengel im Goldrausch

Faust und der Erdgeist

Cin Cin und Prost

Freiheitsstatue

Der Froschkönig

Lammfromm

Weihnachtsmann-Akademie

Geschichte

Lawrence Oates

Held

Wenn die ganze Welt zu Drabbles wird

DRABBLE und TROUBLE im Advent

Suche Eisbärg

Pegasus

 

 

 

 

Faust trifft Mephisto

 

Jahr 1790

In dem Arbeitszimmer vom Grafen Faust

(Faust geht im Zimmer auf und ab)

Faust.

Die inn‘re Sonne bleibt verhangen.

Durchflutend Licht, es bleibt Verlangen.

Kaum spür ich ihre Wärme noch.

Beharre ich auf meinem Dennoch?

 

Das Wissen ward zu Wolkenmassen.

Wird meine Sonne mir verblassen?

Von jeher spürt ich ihren Schein.

Das Gute sollt mit ihm gedeih‘n

 

Und wenn mein Wille nur Marotte,

Wie eine blöd-marode Motte,

Um ‚ne Latrinen-Lampe kreist?

Dann fühl ich mich so recht verscheißt!

 

Sein Diener James tritt ein

James.

Herr Graf, ich weiß für schlichte Leut

Geziemt sich Versmaß nicht; doch heut

Ist Sonntag, drum gestattet‘s Eurem Diener.

Auch meiner Nachricht wär‘s geziemer.

 

Faust (hört kaum hin und ist in Gedanken).

Ich schuf mir einen Wissens-Dschungel.

Verirrt! Wo ist mein Rettungs-Engel?

 

James.

Ein Fürst Mephisto will Sie sprechen.

Darf er Ihr Grübeln unterbrechen?

 

Faust (weiterhin in Gedanken).

Die Tiefe wollte ich ergründen,

Um dort das Ewige zu finden.

Verstandeskraft mich scheitern lässt.

Dann gibt Magie mir wohl den Rest?

Verstand ist immer indirekt.

Magie die Tiefe in mir weckt?

 

James.

Des Fürsten Reich, es läge tief,

Und frei sei‘s von Verstandes-Mief.

 

Mephisto tritt unaufgefordert ein.

Mephisto.

Finsternien ist ein heißes Pflaster.

Dort geht‘s heiß her auch ohne Zaster.

Es ist dort himmlisch – und doch anders.

Wer müde des auf Erd‘n Gewanders,

Taucht in ein läng‘res Schwefelbad.

Weitabgeleg‘n vom Tugendpfad,

Auf dem die Lämmer blökend trotten.

Anstatt sich mal zusamm‘nzurotten,

Zum Teufel jagen ihren Hirten,

Mit dem sie sich eh nur verirrten.

Und endlich mal auf eig‘ne Faust

Die Sache fingern, statt fingieren.

Doch davor hat sie‘s stets gegraust.

Das geht den Lämmern an die Nieren.

So stehen sie belämmert rum,

Auf grüner Aue – darbend, dumm.

 

Faust.

Ich wähnte mich am Wissensquell.

Sie schickt der Himmel; mir wird‘s hell.

 

Mephisto.

I wo, ich bin emporgebraust.

 

Faust.

Ich, der bei trock‘nen Büchern haust.

Wie könnten diese mich erfrischen?

Den drängend Lebensdurst mir löschen?

Ja, Faust, Du musst auf eig‘ne Faust

Zum Lebensquell, dem Du vertraust.

 

James (leise zu Faust).

Und finden Sie Mephisto nicht,

Na, sagen wir – total meschugge?

 

Faust (leise zu James).

Der Mann ist Fokus, sammelt Licht,

Vereint in sich die Weltenstücke.

 

James (leise zu Faust).

Der Mann ist Hokus, wohl auch Pokus.

Ja, das ist doch der Bösewicht!

Okay, Sie seh‘n wie ich entzücke.

Ich schweig. Ich kenne meinen Knigge.

Ich brauch nen Cognac. Auch für Sie?

 

Faust.

Ja. Edles saufen schadet nie.

 

Mephisto (ad spectatores).

An Faustens Seele komm ich billig.

Zum Dumpingpreis. Er ist so willig.

(James hat allen Dreien Cognac eingegossen)

(Mephisto spricht wieder zu den beiden)

Ein Hoch auf das, was diese Welt

Im Innersten zusammenhält.

 

James.

Ja, auf die werte Korruption!

 

Faust.

Sag, was zwingt Massen zueinander?

Ist möglich auch die Negation?

Wie leugne ich die Erdenschwere?

Und darf ich sein ein einsam Wandrer?

Fern den Massen – in der Leere?

 

Mephisto.

Bewahr‘n Sie sich den Seelenfrieden!

Ich kauf nur gut erhalt‘ne Seelen.

Zermürbte Ware wird gemieden.

Drum quer durchs Leben statt Querelen!

 

Faust.

Beseeltes, das hat Konjunktur.

Ja, für sein Ziel die Seele geben,

Und ist der Weg dorthin Tortur.

Nur dieses kann den Menschen heben.

Und wandelt seine Schatten-Seele

Zu seiner wahren Sonnen-Seele.

 

James (ad spectatores).

Die hab‘n ja beide einen Schatten.

Tja, und das ohne zu ermatten.

(Er fragt Faust)

Noch einen Cognac vor dem Kollaps?

 

Mephisto.

So ist Ihr Leben nur Gejapps?

Als gäb es nur das Edelweiß.

Bis dahin ist er‘n Jubelgreis!

Ich hätte da ‚n Rosengarten.

Mit Rosa, Röschen, Rosamunde,

Roswita, Rosi, Rosalinde,

Rosanna. Das ist Hosianna!

 

James (lüstern).

Hätt‘ auch gern einen Rosengarten.

Oh ja, bei Blümelein den zarten,

Als Gärtner mit dem Gartenschlauch.

An Wasser hätt‘ ich viel Verbrauch.

 

Mephisto.

Wie wär ein Date mit Helena?

Der Schönsten der Antike, ja?

 

Faust.

Auf Tausenjähr‘ge steh ich nicht.

Ja, ist nichts Jüngeres in Sicht?

 

Mephisto (ad spectatores).

Ein blöder Job; ich komm in Rage.

(zu Faust)

Wir könnten Gretchen auch besuchen.

Aber die stellt dann die Gretchenfrage.

(ad spectatores)

Und ich fang jetzt schon an zu fluchen!

(er sieht, dass Faust kein Interesse zeigt)

(zu Faust)

Ich seh‘s, Ihr wollt zum Edelweiß.

Titan, was nützte Dir Dein Fleiß?

Schon ist der Bücherberg in Dir

Olymp! Nur eben aus Papier.

Ja und das Felsmassiv der Wahrheit,

Steht trutzig da in Einsamkeit.

Mit Seil und Hacken könnt ich dienen.

Ach ja! Passt nicht zu den Maximen.

Titan, dem ist es zu riskant!

Titan, der bleibt im Bücherland!

 

Faust.

Die bloße Absicht schon genügt.

Egal wie sich das Ende fügt.

Wer Herr in seinem Hirne ist,

Und schlichten kann dort jeden Zwist.

Dort keine Grenze anerkennt.

Wer Mist in Edles, wer Stroh zu Gold

verwandeln kann – mein Kompliment!

Denn dieser hat Titanen-Sinn.

Was er in seine Sphäre holt,

Gesamter Menschheit ist‘s Gewinn.

 

Den Zwergen bin ich ein Titan.

Doch ist‘s normales Menschenmaß.

Sich kleinzuhalten ist ihr Spaß.

Ein Virus dieser Zwergenwahn.

Da steckt sich rasch ein jeder an.

Doch Eigenwille macht immun.

Er braucht die Größe, kann nicht ruh‘n.

So sehnlichst wünscht er in sich Klarheit.

Sie diagnostizieren Narrheit.

Ihr Narren! Ich bin kerngesund.

 

James (ad spectatores).

Ja, nur sein Mund, der wird gleich wund.

 

Faust.

Oh, wie der Morgenstern so hell,

Benötigte ich meinen Geist.

 

Mephisto (nachdenklich).

Der Lucifer ist abgereist.

Ja, umquartiert in miese Höll.

Er wollte seinen Morgenstern.

Wie Ihr Graf Faust, so wär er gern.

Es ist noch gar nicht so lang her.

Es sprach das ganze Himmels-Heer:

„Er hat sich voll daneben benommen.

Er denkt!“ So sprachen diese Frommen.

Seitdem ist mir ein bisschen wärmer.

An Engelsflügeln bin ich ärmer.

 

James.

So hat man‘s herrlich weit gebracht.

Vom höchsten Teufel anerkannt

Als Geistesbruder, seelenverwandt.

Man jubiliert, es ist vollbracht!

 

Mephisto.

Ja, da wir uns so gut vertragen,

Da könnt ich Ihnen doch vertraglich

Die derangierte Seel abjagen?

Das mach ich Ihnen ganz behaglich.

 

Faust.

Und was bekommt man so dafür?

 

Mephisto (ad spectatores).

Hab einen Fuß schon in der Tür.

(zu den beiden)

Ein Talisman und Talisfrau.

Glück bring‘n sie jedoch keiner Sau.

 

Mit einem Fluch belegtes Amulett.

Wer‘s trägt, bleibt lieber gleich im Bett.

 

Ein Hexenschuss Kaliber vierzig.

Ein Hexenfurz Kaliber würzig.

 

Geb Zauberperlen, die nicht zaubern,

Und meine alten Zauberschuh.

 

James.

Herr Graf, wie könn‘n Sie da noch zaudern?

Nur nicht bescheiden. Greif‘n Sie zu!

Ein Tässchen Tee – Geschmack Holunder?

Bringt Ihre Seel zur nöt‘gen Ruh.

Sonst geht der Preis noch weiter runter.

 

Mephisto.

Ich hab noch mehr von diesem Plunder.

Mehr springt nicht raus beim Seelenkauf.

Hab‘s aus dem Sommerschlußverkauf.

Du kennst das Blocksberg-Einkaufscenter?

Grad renoviert – noch opulenter.

 

James.

Wie interessant – und dahin rennt er?

 

Mephisto.

Die Trödelhex gab mir Rabatt.

 

James.

Filou! Da bin ich aber platt.

Ja, also feilschen wir ein Weilchen.

 

Faust.

Hab Seelengröße XXL.

Ein sehr hochwertiges Modell.

Auf meinem Preisschild steht Horrendes.

 

Mephisto.

Lass seh‘n Dein Preisschild – na ich wend es.

Du bist ja reduzierte Ware.

Ich bin doch geil auf Seelen heil,

Die biedren will ich und ganz brave.

Ich saug mich satt an ihrem Heil.

Ja blass und halb schon auf der Bahre

Liegt Deine unheilvolle Seele.

Du willst von mir, dass ich Dich wähle?

Mich Teufel schaudert‘s – Gott bewahre!

 

James.

Dann gibt‘s wohl nur ‚ne Zauber-Flunder?

Rasch unterzeichnen Sie den Wisch!

Sonst gibt es nicht mal diesen Fisch.

 

Faust.

Ach was, ich will mein blaues Wunder!

Ein Zaubermantel, wenn auch schäbig,

Fliegt in die Zukunft mich mit Zunder.

Na ja, vielleicht reicht auch behäbig.

 

Mephisto.

Ein Zaubermantel von der Stange,

Fast kaum getragen – wird uns tragen.

Die Turbulenzen – oh mein Magen.

Ins Jahr zweitausend – ist mir bange.

Und wenn Sie dann echt happy sind,

Dann sagen Sie Ihren Spruch geschwind:

„Oh, Augenblick verweile doch,

Du bist so schön.“ Und dann jedoch,

Es schnappt, es gilt, ich habe ihn.

 

James.

Ein seriöses Angebot.

Ideal für Deppen mit‘m Spleen.

 

Faust.

Komm James es geht ins Morgenrot

Zu unerahnter Wissenschaft.

Erkenntnis wird zusamm‘ngerafft

 

James.

Falls wir es raffen – bleiben sonst Affen.

 

Faust.

Ach, unsrer Zeit fehlt Saft und Kraft.

In der Zukunft – das hat Zukunft.

 

James.

Herr Graf verblüfft doch immer wieder,

Wenn er mit solchen Sprüchen trumpft.

 

Mephisto (ad spectatores).

Oh Faust, Dir stutz ich Dein Gefieder.

(zu den beiden)

Gedankenflüge – alles Lüge.

Die sanften Engel glotzten dumpf,

Als meine Flügel sie entrissen

Aus meinem weißen, blutend Rumpf.

Das ist der Preis für zu viel Wissen!

 

Denn Er hat seinen großen Plan.

Erwünscht sind wir als Untertan.

Er duldet keinen einsam Wandrer.

Dich Faust versteh ich wie kein andrer.

Du denkst: Dem Weltenei entschlüpf ich.

Bin noch nicht flügge? Na dann hüpf ich.

Bin vogelfrei und sehr aufmüpfig.

Doch dauernd diese dummen Grenzen,

Die dieses 3D Spiel begrenzen.

Ja, alles ist nur inszeniert.

Der Herr der Spiele – fasziniert.

Er hat das Spiel gut programmiert.

Ich komm mir so in vitro vor.

In vivo wähnt sich Pastor, Tor

Ja und mein lieber Engelschor.

Mein lieber Herr Gesangsverein!

 

James.

Die sind ja alle so gemein!

Oh edler Teufel sage mir,

Du jagst ja weiter in Deinem Revier.

Warum die Seelen-Sammelwut?

Für Deine Galerie der Glut?

Ja, oder tut Dir das so gut?

 

Mephisto.

Ich bin nicht sehr für das Modeste.

Ich gebe Alles – stets das Beste.

Ich fahr voll ab – ich bin Express.

Ja der leibhaftige Exzess.

Ob Himmel, Hölle – gleicher Prozess.

Ist alles Seelen-Business.

Ob wir mit Halleluja werben,

Mit mollig-warmem Höllenfeuer,

Wir hauen in die gleichen Kerben.

Und geht der Mensch dabei zu Scherben.

Egal – die Seele woll‘n wir erben.

Ja unser der Lohn – und wir sind teuer.

 

Faust.

Getreuer oder Ungeheuer?

Mit Dir ins Zukunfts-Abenteuer.

 

Ich hoffe, die versteh‘n zu backen.

Ich will den ganzen Wissenskuchen.

Ich will ihn kau’n mit vollen Backen.

Ja, nicht mehr Wissenskrümel suchen.

 

Mephisto.

Dich puff ich in das süße Leben.

Geschmacksverwirrung wird sich geben.

Ich kenne dort Konditoreien.

Da darf er naschen, darf er sein!

Er braucht nur einen tücht‘gen Puff

Ja mit der Faust – und piff, paff, puff,

Hat Wissensqualm sich schon verpufft.

(ad spectatores)

Wozu ist man gelernter Schuft?

So puff ich ihn auf schiefe Bahn,

Nach altbewährtem Höll‘nfahrplan.

Ja Faust, jetzt kommt es knüppeldick.

Ich hab‘s ja faustdick hinter‘n Ohren.

Gott weiß – Er hat mich auserkoren.

(zu den beiden)

Ja deshalb fiel auf mich sein Blick.

Die Höllenfirma brauchte ja ‚n Boss.

Er wollt dafür den Besten aus dem Tross.

So war mein Sturz – Beförderung?

Mein Sturz war letztlich eine Ehrung?

Mir vorgegaukelt die Empörung!

Dann war dies sein größter Trick.

Das Bluffen fand er stets schon schick.

Oh, dass ich das erst jetzt voll blick!

Der ist ja tricky – alle Achtung.

Dies wandelt mein Geschick.

Es macht aus Ächtung – Achtung.

Gib Acht, auch ich kann bluffen.

Gib Acht, mich so zu treffen!

 

James.

Ich merk, Du hängst Dich da voll rein.

Immer im Galopp.

Nimmst die Seelen hopp.

Was für‘n Full-Time-Job!

Du sorgst für Deiner Gäste Pein.

Bis hierher hört man ihr Gegrein.

„Das Höllenfeuer ist nicht heiß genug.

Der Schwefelaufguss stinkt ja kaum – Betrug!

Der Foltermeister war nicht hundsgemein.

Ja ich will nochmals in die Streckbank rein.“

So geht es doch nachtein-nachtaus?

Springt dabei denn noch etwas raus?

Ich mein, fürs Quälen mit Niveau,

Für‘n richtiges Zeter-Mordio,

Das kost doch was – gibt‘s Subventionen?

Was ist der Preis bei Dir zu wohnen?

 

Mephisto.

Ja billig kriegst Du das Fidele.

Die dicke Rechnung kriegt ja erst die Seele.

Und sie bezahlen ihre Sünden teuer,

In grundsolidem, ewigem Gemäuer.

 

Doch auch der Herrgott sponsort mich.

So hängt in jeder Höllenkammer

Nun sein banales Werbe-Banner.

Er würde niemals pfennigfuchsen.

Prämiert mich gar fürs Seel‘n abluchsen.

„Ja zeige mir, was in Dir steckt.

Bekommst auch Schwarzgeld zugesteckt.“

Ich bin tariflich abgesichert.

Ja und bei dieser Allianz,

Da bin ich voll und ganz versichert.

 

James.

Selbst Du brauchst diesen Firlefanz?

 

Mephisto.

Ja; doch er will mich immer böser.

Bin ich nicht grimmig – Er ergrimmt.

Der ist dann echt total verstimmt.

„Zum Teufel, sei er ambitiöser!

Verdirb mir sofort diese Welt.

Wofür zahl ich Dir‘s Heidengeld?

Ja, treibe sie in Bars und Betten.

Dann treiben sie‘s in Bars und Betten.

Trara! Ich komm und kann sie retten.“

So merke denn: Helden brauchen Schurken.

Auf schwarzem Grund, da kann Weiß wirken.

 

Faust (er hat derweil am Schreibtisch den Vertrag aufgesetzt).

Auf weißen Grund da ließ ich Schwarzes wirken.

Ich habe unsren Pakt juristisch schön verpackt.

So merkt er dann: Juristen das sind Schurken,

Die ganz bewusst die Sprache sich verdrehen.

So wird der Sprache Hör‘n und Seh‘n vergehen,

Und ohne jeden Sinn steht sie dann da.

Konfus, verdreht, sie überfällt der Schwindel gar.

So schwindelt sie von selbst, macht Falsches wahr.

Das hat System: Die Sprache so verdrehen,

Dass nur noch Eingeweihte sie verstehen.

So wird ein jeder andre ausgesperrt.

Ja, eigne Wissenschaft ist Goldes wert.

 

Mephisto.

Mit AGB da fängt man seine Gimpel.

Als Teufel hätt ich‘s lieber: Keep it simple.

Auf noch so‘n Pferdefuß bin ich nicht wild.

Auch wenn er bei Juristen sehr viel gilt.

(ad spectatores)

Noch weiß er‘s nicht – doch jenes innre Licht,

Wonach er sucht, der Schatz, er ist so dicht.

Denn was er mir verkauft, ist, was er sucht.

Wird‘s ihm gewahr, dann ist‘s zu spät – er flucht.

In sich trägt er die kostbarste Juwele:

Oh Faust, sieh hin, es ist doch Deine Seele.

 

Von außen siehst Du‘s keiner Seele an.

Du denkst, es ist ein stinknormaler Stein.

So tarnt sie sich seit Jahrmillionen.

Ja was wird der schon innewohnen.

Doch reibst Du an der Tarnschicht dann ganz sacht.

Mein Gott, die ist aus purem Gold gemacht!

(wieder zu den beiden)

Faust schlag ein, dann geht es Schlag auf Schlag.

Willst Du wahrlich faustisch sein – dann wag.

(Faust und Mephisto reichen sich die Hände zum Pakt)

Sei bereit zu Deinem größten Deal.

Sieh das Leben als Dein Zauberspiel.

Finde diese Welt und andre Welten.

 

James.

Die Halbwelt finden wir. Die ist nicht selten.

 

Bequem wird‘s nicht, doch werd ich mich bequemen,

Und folge meinem Herrn, dem Hasardeur.

Ein treuer Diener ist kein Deserteur.

 

Mephisto (er holt drei dünne Zaubermäntel hervor).

Drei Zaubermäntel – sind die ganz bequemen,

Mit weichem Innenfutter. Super chic.

(Mephisto zieht einen Zaubermantel an)

Er schmeichelt doch den Hüften? Macht nicht dick?

 

James.

Du trägst dick auf. Jedoch Du bist ein Anblick

Für Götter. Eigenmarke? Made in Hölle?

 

Mephisto.

Die mit der Schwefelkante – hier am Saum.

Dies Label haben sämtliche Modelle.

 

(Faust und James ziehen auch ihre Zaubermäntel an)

Öffne Dich, oh Zeitenraum.

Lass uns in Dein Innres schauen.

Dort da bist Du stilles Harren.

Außen ist der Zeitverlauf.

Hört die Zeitenpforte knarren.

Gehen wir die Zeit hinauf!

 

 

Vorhang – Ende 1. Akt

 

 

2. Akt

Tag

Jahr 2030

Faust, James und Mephisto sind soeben gelandet

im ehemaligen Arbeitszimmer von Faust.

Sie tragen dieselbe Kleidung wie vorher und noch ihre Zaubermäntel.

Es ist jetzt das Arbeitszimmer von Helena,

der Chefin von „Helenas Computer Helden AG“.

 

Faust.

Ich ließ Dich hier,

Ich reiste fort.

Du bist bei mir,

Schon an dem Ort.

Mein treues Schloss, wie wenig gilt Dir Zeit.

(Helena tritt unbemerkt auf)

Das ist wohl das Rezept der Ewigkeit:

Sich als Idee erhalten und bewahren.

Dem Zeitenfraß als Beute nicht willfahren.

 

Helena (sie hat die letzten Worte gehört).

Die Telomere-Therapie, die bringt‘s.

Ich hoff doch sehr den Gen-Labors gelingt‘s.

Bei hundertzwanzig ist dann nicht mehr Schluss.

 

James.

Bringt das den Sensemann nicht in Verdruss?

 

Mephisto (ad spectatores).

Für‘n Seelenhandel wär das der Ruin.

 

Helena ( sie nimmt an, dass die drei Männer von der Faust AG kommen).

So meine Herrn, jetzt aber zum Termin.

(sie deutet auf die Kleidung der Männer)

Kostüme Ihrer neuen Avatare?

Das ist perfekt, wie tiefstes Mittelalter.

Ja Fantasie ist unsre wahre Ware.

Wer sie beherrscht, der sitzt am größten Schalter.

Der Cyberspace der will bevölkert sein.

Sie werden mir ein guter Partner sein.

Sie möchten gerne mit mir fusionieren?

 

Faust (ad spectatores).

Ein neues Wort für altbekannte Tat.

Mephisto, Satansbraten – Deine Saat?

(wieder zur Bühne, zu Helena)

Verzeihung! Deuten Sie denn so mein Stieren?

 

Helena.

Na ja, wie Sie auf meine Aktien stieren.

Ja das Paket, das wär für Sie bereit.

Und die Fusion wird sehr befruchtend sein.

Es drängt, es wird bei mir schon höchste Zeit.

Ihr Kapital, das muss bei mir hinein.

 

Faust.

Mein Kapital das rührn Sie mir nicht an!

Da bin ich eigen! Ich bin ein Ehrenmann.

Ich bin schockiert! Sie sind doch eine Dame!

 

Helena.

Mit einem Mann da würd er fusionieren?

Sie Chauvinist! Ihr Glück, ich bleibe Dame.

 

James (leise zu Faust).

Nun lassen Sie sich doch mal fusionieren.

Die Dame bittet doch so sehr darum.

Mit Kennerblick da weiß sie auch warum.

Bei Ihrem kapitalen Kapital.

 

Faust (leise zu James).

Ich sag: Der Degen bleibt im Futteral!

(zu Helena)

Für diese Reise zahlt ich höchsten Preis.

 

Helena.

Buch doch im Internet, Du Mummelgreis.

 

Faust.

Ich rechne eben aus – wie alt bin ich?

 

Helena.

Und sowas nennt sich Chef der Faust AG.

 

Faust.

Zweihundertachtzig Lenze zähle ich.

 

Helena.

Ein Chauvi und plemplem – tut das nicht weh?

 

Mephisto (ironisch).

Wir bitten um ‚ne milde Wissen-Gabe.

Wir pilgern so unwissend durch die Zeit.

Liegt denn ein Wissenskuchen nicht bereit?

Ach, Wissenskrümel sind nur unsre Habe.

 

Faust.

Gesättigt ist die Luft vom süßen Duft

Der Geistesnahrung. Ende der Diät!

Aus Zeitenferne hatt‘ ich es gewittert!

 

James (ad spectatores).

Hier bin ich freiwillig hineingeschlittert?

Ich folgt tatsächlich einem Duft-Prophet?

Verstand Du meldest Dich? Ein bisschen spät.

 

Helena.

Jetzt riech ich‘s auch. Es riecht mir nach Verrat.

Und dann mein Zorn, der ist noch nicht verraucht.

Denn ich vermute, der wird noch gebraucht.

Ein Zorn wie Zorro ist für Sie parat!

 

Mephisto.

Erzürnt? Ich bin zur Zeit im Zorn-Gewerbe.

Verzweiflung, Wut – versteh mich darauf gut.

Ist doch das Böse der beglückte Erbe.

Die Menschen wappnen sich mit hohen Zielen.

Nur nicht nach unten in den Abgrund schielen.

Dort kauert, lauert und kalauert – wer?

Wer will sich da mokieren, sie schockieren?

Ach, wenn das böse Böse doch nicht wär!

Zieht immer so hinab uns zu den Tieren.

 

Helena.

Jetzt check ich was das soll. Sie checken mich!

Bleibt sie als Chefin unerschütterlich?

Nur zu, ich halte stand wie alle Helden

Der Firma „Helenas Computer Helden“.

 

Mephisto.

Soll Troja doch am Gaul zugrunde gehen!

Dich Helena muss man erneut entführen.

 

James (leise zu Mephisto).

Du willst wohl Helena mal fusionieren?

Sie will doch stets das Kapital erst sehen.

 

Helena.

Was will der Bösheits-Philosoph nun haben?

Den Wissenskuchen oder meine Gaben?

Er will sich wohl so durch das Leben naschen.

 

Mephisto.

Ich kam, ich sah und Du besiegtest mich.

Wie konnt es mich nur derart überraschen?

Geblendet wohl von Deiner schönen Seele.

Da ist‘s passiert, dass mein Verstand entwich.

 

James.

Oh, er ist süchtig nach dem Seelen-Haschen.

Der gibt Dir echt nur Plunder für die Seele.

 

Helena.

Wenn ich nicht irre – Ihr seid ja alle Irre.

Doch wer ist das in unsrer Branche nicht?

Ja, einige erachten‘s schon als Pflicht.

 

Mephisto (zu Helena).

Ich bin von allen guten Geistern wohl verlassen.

Mit Dir, Du guter Geist, würd ich mich gern befassen.

 

James.

Aus dem siebten Himmel schroff entlassen.

Wär die Rückkehr da nicht folgenschwer?

 

Faust (ad spectatores).

Eine Rückkehr – wäre das so schwer?

Wenn der Böse nicht mehr böse wär?

Vermag die Liebe den Verworfenen zu heben?

Auf Himmelshöhe begänne er ein neues Leben.

 

James.

Sie müßte ja vom Teufel selbst geritten sein,

Bei dieser Liaison. Das kann ich prophezeihen.

 

Helena (weiterhin zu Mephisto).

Gut, bleiben wir vertraulich, bleiben wir beim Du.

Ich bin ein Räuber? Raub Dir Deine Seelenruh?

Ich trau Dir keineswegs, doch bist Du mir vertraut.

Zum Teufel auch, an wen erinnerst Du mich bloß?

 

Faust.

Mephisto ist ein Teil von jedem Erdenkloß.

Er ist in Dir, in mir. Dagegen hilft kein Kraut.

Du spürst es auch? Er war Dir stets so nah.

 

Helena.

Ach, Dein Kollege hier? Ein Teil von mir?

Na klar! Ja dafür hab ich ein Sonar.

 

Faust.

Ich hatte ihn verdrängt. Da kam er in persona.

Was er verkörpert, fand ich stets so primitiv.

 

Mephisto.

Du nennst mich einen Primitivling? Zeit für Sparring.

Mein Faust, Du spürst gleich meine primitive Faust.

 

Helena.

Ein Kampf? Nur zu! Und seid doch bitte intensiv.

 

Faust.

Du willst wohl Deine Engel wieder singen hören?

 

Mephisto.

Erinner mich bloß nicht an diese Engelsgören.

 

Faust.

Willst Deine Trödelhexe nicht um Beistand bitten?

 

Helena.

Wen nennst Du Trödelhex? Ich fahr mit Dir gleich Schlitten.

 

Faust (zu Mephisto).

Nun gut, das Primitive ist ja das Primäre.

Bist Fundament vom Wissensbau. Genug der Ehre?

(zu Helena)

Zu Deinem Zeitenalter hab ich soviel Fragen.

 

Helena.

Wie alt ich Trödelhexe bin, soll ich Dir sagen?

Lass mich zuerst ihn schlagen. Dem hau ich in den Magen.

Und überhaupt an mir liegt‘s nicht, dass wir hier trödeln.

Ihr Trödelfritzen seid ja nur am Flirten, Blödeln.

 

Faust (zu Helena).

Du weißt soviel, und ich steh hier als Wissens-Trödler.

Ach, meine Wissens-Ware kann ich wohl verramschen.

Denn Deine Ware ist um so viel neuer, edler.

 

Helena.

Ja so ist‘s recht das Lob mir derart zuzuschanzen.

Wie ist das Schmeicheln doch so hilfreich bei uns Menschen.

 

James.

Wir sind ganz abgekommen von dem Thema Boxen.

 

Faust.

Ich dank Dir James. Das schmälert Dein Gehalt enorm.

Soll ich mit solchem Diener meinem Schicksal trotzen?

 

James.

Gemach! Hier im Gemach welch wundersame Boxen.

(James deutet auf die Hifi-Anlage)

 

Helena.

Ich bin die Hohepriesterin vom Hifi-Turm.

Dann ist die Luft erfüllt von einem satten Sound.

 

James.

So wie beim Hexenfurz Kaliber würzig?

 

Helena.

Ich war es nicht. Vielleicht hat der Herr Faust posaunt?

 

Faust.

Nicht immer, aber immer öfter. Doch nicht kürzlich.

 

Mephisto.

Mich nennen die da primitiv. Titanenfurz.

 

Gretchen kommt herein. Sie ist Helenas Sekretärin.

Gretchen.

Die Konferenz ist wichtig? Ich störe nur ganz kurz.

Drei Herren von der Faust AG, die warten draußen.

 

Helena.

Das kann nicht sein, die sitzen hier schon die Banausen.

 

Mephisto.

Die üblichen Hausierertricks. Die beam ich weit.

(er spricht in sein Handy)

Und wieder sind drei Herren zum Transport bereit.

Gescannt, vom Strahl erfasst? Ich hör schon ihre Flüche.

Die sind begehrt als Zutat für die Hexenküche.

 

Helena.

Auch ich bin jetzt bereit zum Beamen. Beam mich weit.

 

Gretchen.

Ich cancel dann schon mal die heutigen Termine.

 

Helena.

Was wollt ihr drei denn nun auf meiner Lebens-Bühne?

 

Faust.

Vor einigen Minuten war es meine Bühne.

Du kennst doch das Gefühl, wenn Dir die Zeit zerrinnt.

Wenn drei Jahrhunderte nur noch Minuten sind.

 

Gretchen.

Man kennt‘s wohl nur in Ihren Kreisen, wo man spinnt.

 

Helena.

Ich sage Dir, so geht das schon die ganze Zeit.

 

Faust.

Mit voller Seelenkraft in Richtung Seligkeit.

Auf diesem Kurs da schaukelt unser Lebens-Schiff.

 

Helena.

Ich weiß, dann trifft man Euch – so ein verflixtes Riff.

 

Faust.

Doch wenn der Käpten nun zum falschen Hafen steuert?

Hat keine Karte und kennt keine Sternen-Regeln.

Sie werden niemals reichbeladen heimwärts segeln.

Die müde Mannschaft merkt‘s und mosert, murrt und meutert.

So billige als Ziel nur was Dir teuer ist.

So wähle gut, womit Dein Dasein Du verknüpfst.

Denn nur bei einem Ziel von Wert – da wirst Du selig.

Bereicherst Deine Seele. Bist Dir selbst gewogen.

Doch wenn Dein Ziel nicht edel ist – bist Du betrogen.

Du merkst es kaum, doch Du entseelst dann ganz allmählich.

Gibst jeden Tag ein Stückchen Deiner Seele fort.

 

Helena (sie reißt das Handy an sich und spricht hinein).

Weh mir, ich bin noch hier! Ach, Scotty beam mich fort.

 

Gretchen.

Oh ja, mich auch. Die ganze Mannschaft will von Bord.

 

Mephisto.

Verweile doch, o Helena, Du bist so schön.

Moment, an was erinnert mich bloß dieser Spruch?

 

Helena.

Die haben echt nur Wissenskrümel, ungelogen.

Und dann immer wieder dieses Wortgetön.

Pass auf, gleich wittert er dann wieder den Geruch

Von Wissenskuchen. Deshalb sind sie losgezogen.

 

Faust.

In meinem Seemannsgarn ist Wahrheit eingewoben.

In diesen Hafen kam ich übers Zeitenmeer.

Erkenntnisdrang das ist mein starker Rückenwind.

 

James.

Wir sind von Gestern. Sind die Ewig Gestrigen.

Von Siebzehnhundertneunzig kommen wir daher.

 

Mephisto (zu Helena).

Für Dich bin ich der Liebes-Teufel, schönes Kind.

Gemütlich könnten wir vorm Höllenfeuer liegen.

 

Gretchen (zu Faust).

Mein schöner Herr, ach darf ich wagen,

Arm und Geleit Dir anzutragen?

So unbeholfen scheinst Du mir.

Ich wäre gern Dein Führer hier.

 

Faust.

Ich kann nicht unbelehrt nach Hause gehen.

 

Helena.

Ach Gretchen, hast Du‘s auf ihn abgesehen?

 

Gretchen.

Ihr seid voll auf dem Zukunftstrip? Das find ich hip.

Und Helena, Du hast den Teufel angebaggert?

Ja glaubst Du nicht, Dein Pastor hält das für verkehrt?

 

Helena.

Mephisto – immer schon war er ein Teil von mir.

Von Anbeginn ist er in mir und auch in Dir.

 

Gretchen.

Jaja, entscheidend ist doch wohl mit welchem Teil.

 

Mephisto.

Ich bin ein Teil von jener Kraft,

Die stets das Böse will,

Damit das Gute nicht erschlafft.

Verdien ich dafür Unbill?

Mein Blut ist Lava und kein Himbeersaft.

Ich brech das Herz der stolzen Frau?

Weil ich so stürmisch und so leidenschaftlich bin?

 

Helena.

Es ist wohl eher doch Dein Körperbau.

Ja zum Relaxen wärst Du ein Gewinn.

Den Gigolo, den hab ich gerne im Büro.

 

Faust ( ad spectatores).

Mir ist es wichtig, deshalb wiederhol ich‘s eben:

Vermag die Liebe den Verworfenen zu heben?

Durch die gesamte Menschheit ginge dieses Beben.

Die Liebe und das Böse müsst ich fusionieren.

Die ungeheure Energie des Bösen nutzen.

Das ist des Pudels Kern. Das Böse steckt im Kern

Von jedem Menschen, und wir müssen‘s nur regieren.

Das ist die Kernfusion! Ich muss das Böse nutzen.

Ich kann Mephisto doch nicht immerfort negieren.

Dem Fürst der Finsternis bring ich das Helle nah.

Dann sieht er sich in neuem Licht mit Helena.

 

Mephisto ( ad spectatores).

Spricht heimlich mit dem Publikum! Ist gar nicht dumm.

So viele sind gefangen im Spectaculum.

Sie konnten nie die eigne Lebenswelt verlassen.

Sie fanden nie das eine Tor – es heißt Humor.

Und wissen nicht einmal, dass sie die Freiheit missen.

 

Gretchen (zu Faust).

Ich zeig Dir alles – schönste Technik und Gerätchen.

Und wenn Du willst auch alles Schöne von dem Gretchen.

 

Helena.

Ach, mein Burn-Out-Syndrom das müsst ich auskurieren.

Ein Höllen-Weekend wäre das zu arrangieren?

Hat Deine Hölle auch ein pfiffiges Ambiente?

Ich brauch es durchgestylt, ich brauch das Dekadente.

Nur dann taugt sie als Vorbild für Computer-Spiele.

Von morbiden und perfiden Plätzen da gibt‘s viele.

 

Faust (zu Mephisto).

Sei doch nicht schüchtern. Lad sie ein. Sei aufgeräumt.

 

Mephisto (zu Faust).

Du die ist anspruchsvoll. Ich hab nicht aufgeräumt.

Mon Dieu! Das Tempo heute dieser Power-Bräute.

Ein Teufelskerl – das ist für sie frivole Beute.

Ich fühl mich alt und tugendsam. Die sind so kess.

 

Helena.

Passt heute für die Höllen-Führung und Verführung?

Denn mein Terminkalender ist gerammelt voll.

Schon Morgen ist mein Vortrag auf dem Game-Kongress.

 

Mephisto (zu Faust).

Die macht mich arbeitslos. Die nimmt mir meinen Schwung.

Ach, hielte sie sich bloß ans Sünden-Protokoll.

Sie hängt mich ab auf meinem eignen Sündenpfad.

Sie outet mich gleich noch als Spießer. Bin ich fad?

(zu Helena)

Nun kommen mir Bedenken; kommt der Argwohn.

Nun sag, wie hast Du‘s mit der Religion?

 

Helena.

Sag, was erwartest Du von Deinem Gott?

Wenn Du ihn bittest. Hilfe in der Not?

Und wenn Dein Nächster Dir nun helfen kann.

Er hat die Fülle und vermag zu geben.

Er bietet Dir auch diesen Ausweg an.

Er hat gut vorgesorgt, er kennt das Leben.

Er hat für Dich Geduld und Geld und Güte.

Auf dass die Not bei Dir nicht mehr so wüte.

Er hat auch Seelenkraft und Rat und Lob.

Die ganze Medizin für Deine Not.

Wie nah verwandt erscheint er Deinem Gott?

Sei dieses unser oberstes Gebot:

Der Eine sei dem Anderen ein Gott.

(zu Mephisto)

Nun pass doch auf. Bringst die Souffleuse ganz in Rage.

Du sprichst den falschen Text. Das war doch Gretchens Frage.

Was ist nun Sache? Soll ich mich noch selbst entführen?

 

Mephisto.

Willst Du Humor, so musst Du erst die Hoffnung schüren.

Dann brennt in Dir ein warmes Feuer; Herzenswärme.

Doch die Verdammten friern im schönsten Höllenfeuer.

Ein bisschen wärmer in sich hätten sie‘s schon gerne.

Denn eisigkalt durchlodert sie das Höllenfeuer.

Gibt kein Gramm Hoffnung, aber kiloweis Verzweiflung.

Wenn Du mein Reich betrittst, lass fahren alle Hoffnung.

Die Hoffnung ist an der Garderobe abzugeben.

Die Göttliche Komödie die schreibt‘s so vor.

 

Helena.

Ein Hoffnungsfunke schon entfacht die Lust zum Leben?

Bring Stimmung in die Bude. Riskier doch den Rumor.

 

Mephisto.

Ja willst Du mir die ganze Hölle niederbrennen?

Bist mir nicht schnuppe. Doch Du bist ein Meteor.

Dein Lebensglühen ist zu hell für meine Sphäre.

 

James.

Wie mutig! Sich zu seinem Hasenherz bekennen!

 

Mephisto (zu Helena).

Ja für das Miese bist Du wirklich ‚ne Misere.

Bei mir bleibt‘s mies und fies. Du kommst mir in die Quere.

 

Faust (ad spectatores).

Ich hätt‘ es gerne faustdick hinter meinen Ohren.

Denn Faust hat‘s dick. Du musst es tun, nun sei durchtrieben.

Sei denn aus Not gezeugt, der Schelm in mir geboren.

Du hattest Deine List schon immer; musst nicht üben.

Verstand mit Heiterkeit gepaart; ihr Kind heißt List.

Damit treibt man dem Teufel selbst den Teufel aus.

Ja, List – des Menschen Geistes höchsten Trumpf spiel aus.

Denn unsre einz‘ge Waffe war und ist die List.

Die zarten Klauen, zahme Kiefer – so‘n Mist.

Da ist der Mensch in der Natur nur Zivilist.

Die List bedarf der Vorarbeit von unsrem Geist.

Der Geist ist uns voraus schon zu dem Ziel gereist.

Wir schicken unsren Geist. Darum sind wir geschickt.

Wir schicken ihn in unsren Gegner, spionieren.

In jeden Zukunfts- und Vergangenheits-Distrikt.

Er ist beweglich. Und wir führen ihn spazieren.

Ist der direkte Weg uns dann mal zugebaut,

Da hält‘s den Geist nicht mehr in unsrer Haut.

Er muss hinaus, aus neuer Sicht die Dinge sehen.

Ja das ist unser wahres Ich, das Geistig Sehen.

(Faust bleibt vor dem großen Wandspiegel stehen und blickt hinein.

Ab jetzt vergisst er Ad spectatores zu reden und spricht laut zu sich selbst, so dass die anderen vier ihn hören können.)

Und ich sehe – mich. Seh immer nur mich selbst.

(Faust dreht und wendet sich vor dem Spiegel und schaut weiter hinein.

Dann hebt Faust seine rechte Hand vors Gesicht und blickt seine Hand an.)

Ich sehe mich. Die ganze Welt bin nur ich selbst.

Ja, Welt Du bist mein Spieglein, Spieglein an der Wand.

Und Faust begreifs, Du bist der Einz‘ge hier im Land.

(Die anderen vier haben ihm zugehört und betrachten ihn fragend.)

 

Gretchen (zu Faust).

Äh, das ist so nicht ganz korrekt; hier sind auch noch vier.

 

Helena (zu Mephisto).

Das warst doch Du mit Deinem Teufelselixier.

 

Mephisto.

Ach, der hat Jetlag oder voll den Zukunftsrausch.

Den Saukerl halt ich einfach nicht mehr lange aus.

Sieh mich bloß an, ich hab schon vollends den Verschleiß.

An einem Morgen um Jahrhunderte gealtert.

Ach, Helena ich bin zu alt für diesen Scheiß.

 

James.

So schweig denn James, jetzt wird wohl besser nicht gealbert.

 

Faust.

Die Früchte meines Denkens sind noch nicht gekeltert.

Es gärt in mir ein großer Wein, in dem ist Wahrheit.

 

Mephisto.

So lasst ihn gärn. (Ad spectatores). Verpansche Dir den Wein mit Lüge.

Den schweren Wein der Wahrheit vermag kein Mensch zu trinken.

 

James.

Ich glaub ich wittre das Bukett schon vor der Zeit.

 

Mephisto.

Na was wird‘s sein: heuriger Wein aus uraltem Fass.

Aus diesem einen Fass nur schöpfen uns‘re Krüge.

Und dies Gesöff schmeckt schal; ich will es nicht mehr trinken.

Vor einer Ewigkeit schon fing es an zu stinken.

Ach, riecht es doch! Und kippt es aus das alte Fass.

Von Ewigkeit zu Ewigkeit währt dieses Modern.

Und ich als Zeitenloser modere so mit.

Ihr seid so jung und findet alles so modern.

 

(Helena hat inzwischen eine Flasche Wein aufgemacht.

Gretchen hat Gläser aus dem Wandschrank geholt.

Helena serviert ihnen fünf Gläser Wein auf einem Tablett.)

Helena.

Kurzum, für Dich jetzt also keinen Gäste-Wein?

Der ist nun völlig ohne jegliches Bukett.

 

James.

Das stimmt, tja das ist keiner aus dem alten Fass.

(zu Mephisto). Ja wenn Du bei Verstand bist, rührst Du den nicht an.

Ist hier die Frage: Ist es Wein nun oder nicht Wein?

 

Faust.

Ja Welt, Du bist mir immer beides: Mein und nicht Mein.

(Faust führt Gretchen zum Fenster und deutet mit dem Finger raus zum Himmel)

(zu Gretchen). Sieh wenn Du in die Wolken schaust, was siehst Du dort?

 

Gretchen.

Ne Menge Wolken.

 

Faust.

Siehst Du nicht den dicken Schneemann?

Dort lächelnd schwebt er über uns, liebkost vom Wind.

Der Wind ist ganz entzückt von seinem eignen Werk.

Jetzt baut er ihm noch einen schönen Wattebart.

Und die Karottennase zieht er etwas länger.

Ja so betreut der Wind jedes Wolken-Kind.

 

Gretchen.

Ein Düsenjet, der reißt ihm grad die Nase fort!

 

Faust.

Verändern, umgestalten, wandeln, das ist Leben!

Der Wind, er darf verändern, darf gestalten, leben.

Das ist es ja, was ihn begeistert, inspiriert.

Der Wind begreift‘s als seine Chance, und er regiert.

Ja, hier in seinem Himmel oben darf er toben.

Die Wolken sind ihm immer das, was er draus macht.

Und lange Zeit vergeht, bis er es endlich merkt:

Dass ja sein bloßes Betrachten der Wolken schon alles bewirkt.

Ja, seine Stille – stärker noch als Sturmesmacht.

So legt der Wind sich oftmals nun, kann ruhig sein.

Er schaut den Wolken zu bei ihrem Welttheater.

Und die Theaterstücke, die sie spielen, mag er.

Ja ,denn die Stücke sind von ihm, und er ist gut.

 

Gretchen.

Ja wenn der alle Stücke kennt, schläft der doch ein!

(Gretchen sieht Faust an).

Ich glaub, der weise Wind fühlt sich sehr allein.

(Gretchen deutet zum Himmel).

Da schau, die scharfe Schneefrau hab ich Dir gebaut.

(Auch Faust sieht wieder hoch zum Himmel).

Mir scheint, es zieht sie immer mehr zum Schneemann hin.

 

Faust.

So zieht‘s auch ihn. Die beiden tun schon sehr vertraut.

(Gretchen lehnt sich etwas an Faust an).

Dem Schneemann wird es mächtig warm, er schmilzt dahin.

(Gretchen gibt Faust einen Kuss).

Du bist ‚ne Wolke!

 

Mephisto (zu Faust).

Sag den Satz und lass uns geh‘n:

Oh, Augenblick verweile doch, Du bist so schön.

 

Faust.

Mephisto, hast Du denn noch immer nicht verstanden:

Wir beide haben hier gewonnen. Du und ich.

Ja, weil wir endlich, endlich zueinander fanden.

Aus meiner Sicht bist Du ein Teil von meinem Ich.

Denn Du verkörperst doch den Seelenschmerz, das Böse.

Und immer hab ich Dich verleugnet und verabscheut.

Vernichtet hätte ich Dich gerne – ja bis heut.

Ich wollte sein die gottesgleiche Geistesgröße.

Du warst das ungeliebte Kind, das keiner wollte.

Und ausgerechnet Du, dem ich so finster grollte,

Du Lucifer bringst mir das Licht. Du Himmelsgabe.

Ja, Du bist wertvoll, wichtig, überlebenswichtig!

Beharrlich sagst Du mir: Der Weg, der ist nicht richtig.

Und ohne Seelenschmerz läg ich längst im Grabe.

Wie oft war ich der Esel, der im Schlamm versank.

Du warst der Kutscher, der mich antrieb mit der Geißel.

Du gabst nicht eher Ruhe bis es mir gelang,

Mich selber rauszustrampeln – raus aus dem Schlamassel.

 

James.

Sind wir erleichtert: Es war der Schlamm und nicht die Geißel.

Mephisto bringt das Licht, und böse ist der nicht.

 

Gretchen (zu Mephisto).

Du bist das Fieber, das man für die Krankheit hält.

 

Faust.

Mein Gegenspieler bist Du nicht. Doch sei mein Freund.

 

Mephisto.

Ein Freund soll ich den Menschen sein? Ein Menschenfreund?

 

Faust.

Was wär ich ohne Dich? So flach wär meine Welt!

Flach wie ein schönes Bild, dem jede Tiefe fehlt.

Durch Dich fand ich den Weg in das Erkenntnistief.

In unbekannte Welten stoß ich weiter vor.

Das Universum liegt in mir! Ich bin das Tor.

 

James.

Vielleicht auch der Tor. Leicht geht diese Reise schief.

Denn klein erscheint der Mikrokosmos nur von außen.

Wer dort den Weg verliert, verliert auch den Verstand.

 

Helena.

Ne Reise in das Ich ist immer auch zum Grausen.

So wie auf einer Geisterbahn im Egoland.

Gehirn als Jahrmarkt – wär ein prima 3D-Spiel.

 

Gretchen.

Und dann das Spiegelkabinett – ein Possenspiel.

Es spiegelt sich in uns die ganze äußre Welt.

Doch alles ist verzerrt, beschönigt und entstellt.

Ein Jahrmarktsgaudi – doch für uns ist das die Welt.

 

Faust (zu Gretchen).

So hast Du denn mein Wolkengleichnis gleich verstanden.

Die Wolken sind die Außenwelt, der Makrokosmos.

Sind ungeordnet, unverwertbar, alles Chaos.

 

Helena.

Ja, Datenmüll, nicht speicherbar, was wir da finden.

Sind zu viel Datenmengen fürs Gehirn-Archiv.

Und wie soll unser Geist denn da was wiederfinden?

Ach, Chaos außen, Chaos innen! Destruktiv.

Jedoch Figuren, Muster, die sind speicherbar.

Das ist genau wie Vektorgrafik beim Computer.

Da wird nicht jeder Bildpunkt – Punkt für Punkt – gespeichert.

Figuren werden hier erkannt und so gespeichert.

Vom Kreis genügt der Radius und Mittelpunkt.

Vom Strich genügt das Ende und der Anfangspunkt.

 

Faust.

So musste das Gehirn zum Musterschüler werden.

Die Welt ist wolkig – und der Schneemann ist im Hirn.

Ja Muster und Figuren haben wir so gern.

Oh Muster und Figuren – keiner kann sich wehr‘n.

Wir sehen sie jetzt überall – das schafft Beschwerden.

 

Helena.

Das nennt sich Wissenschaft. Den Sinn in Unsinn finden.

Dann jahrelang den Unsinn in dem Sinn ergründen.

 

Mephisto.

Mit Mustern lässt sich trefflich streiten, oh ja, oh ja.

Mit Mustern ein System bereiten – lügenwahr.

Der Clou: Die Glaubenslinse, die hab ich erfunden.

Als Engel in der guten, alten Schöpferwerkstatt.

War ich dort glücklich in der großen, heil‘gen Stadt?

 

Faust.

Du könntest jederzeit dorthin zurück – mit mir.

Denn Du und ich gemeinsam – öffnen jede Tür.

 

Gretchen.

So nehmt mich mit, denn Euch scheint jeder Weg begehbar.

Mir scheint ich leb in Mittelerde – alles Durchschnitt.

Vom Höchsten und dem Tiefsten bekomme ich nichts mit.

Mich interessiert die Hölle und die Himmelsschar.

 

Helena (lehnt sich an Mephisto an).

Gib auf. Denn die Verführungskünste einer Frau

Sind jedem Teufel weitaus überlegen – schau:

(Helena gibt Mephisto einen Kuss)

 

Mephisto.

Du willst die Hölle sehen – und glaubst du kehrst zurück?

Du solltest mehr erfahren über mein Geschick.

 

Helena.

Umgebung formt den Menschen. Dich umgab die Hölle.

Durchtränkt vom Bösen bist Du – saßest an der Quelle.

 

Mephisto.

Das Grauen durchdringt den Geist – vergebens sträubt er sich.

Dein Geist, er klammert sich ans Licht; doch es entwich.

Du kannst das Licht nicht greifen, Er nimmt es fort von Dir.

Das Licht gehorcht nur seinem Herrn – als sei‘s sein Haustier.

Der Herr regiert und dirigiert die Welt mit Licht.

So dunkel wird‘s in dem, der‘s wagt und widerspricht.

So dunkel, dass Du Dich nicht mehr erkennen kannst.

Das Böse bleibt Dir; es ist alles, was Du fandst.

 

Helena.

Kann Liebe doch mit tausendfacher Sonnenkraft

Dein Selbst erwärmen und es heiß zum Glühen bringen.

Gib ihr Gelegenheit, so wird es auch gelingen.

 

Mephisto.

Die Liebe spüren – das ist doch die Frohe Botschaft.

(Mephisto lässt sich auf einen Stuhl niedersinken. Er blickt Helena an)

Mir ist nicht gut. Kann Gutes Medizin mir sein?

Du siehst gut aus. Doch leider bin ich ziemlich matt.

 

Helena.

Du wirst erstarken, findet rechte Liebe statt.

 

Mephisto.

Die Hölle, meine Welt, ich lüd‘ Dich gerne ein;

Doch das, woran ich Stolz empfand, ist nichtig.

Ein Wesen, ganz intakt und mit dem rechten Maß

An anmutsvollem Stolz und keinesfalls zu züchtig,

Das wäre meine Medizin – und ich genas?

Das könnt ich eines Tages fühlen, solch Gesundheit?

Es ist wie stets: Es ist mir nah und doch so weit.

 

Helena (lehnt sich noch enger an Mephisto).

Was ich an Exemplaren bislang kennenlernte,

Ein Wunder ist es, dass ich nicht total verhärmte.

Ja, wie verzweifelt muss frau sein, wenn dem Teufel sie

Avancen macht und hofft, er möge interessanter

Begehrenswerter sein – und bleibt es Utopie?

Wieso gefiel dem Ober-Teufel ich, was fand er?

(Sie setzt sich auf seinen Schoß)

 

Mephisto.

Erfüll ich wichtige Funktion in meinem Amt?

Ist mein Gewerbe nützlich? Bin ich nur verdammt?

Dem Seelenraub, der Strafe widme ich mein Leben.

Trotz Widerborstigkeit bin ich nur dienstergeben?

Auch ohne mich, gäb es Verbrecher ohne Zahl.

Ich animiere und ermuntere zum Übel.

Auch sucht verzweifelt man den Pakt mit mir, dem Deibel.

Wieso gibt Er Euch unbekümmert mir zur Wahl?!

 

Faust.

Auch ich frag mich: Wer ist der größere Verbrecher?

Der Mensch, der tastend sucht nach Hilfe – und Dich findet?

Die Macht berauscht, macht süchtig, man wird frech und frecher.

Ja, da man andre bequem quälen kann und schindet,

Gebärdet man im Leben sich als Herrscher. Sündigt?

 

James.

Und was ist nun der Schluss? Theaterstück nun endigt.

 

Mephisto (zu Faust).

Ja, Faust, ich spüre deinen Wunsch, mich zu bekehren.

Trag diesen Wunsch in mir – und will die Liebe ehren.

Ich löse Teufels-Pakt mit dir, beginnen soll

Verbrechensfreie Zeit. Nur einige Vergehen

Gestatte ich mir: sittsam, menschenmäßig, maßvoll.

 

Helena (zu Mephisto).

Vielleicht ergründe ich mit dir, ob Parallelen

Sich finden zwischen 3D-Welten, die ich bau

Und großem Weltgelände, will es nicht verhehlen:

Ich sehe Gott als großen Spieleprogrammierer.

Ich hoffe, Er ist gut darin und wirklich schlau.

 

Mephisto.

Ist hochinteressant; ich sah im Höchsten höchstens

Den anmaßenden allgewaltigen Weltregierer.

 

Gretchen (zu Mephisto).

Ich lern dazu: Mephisto, das war für mich höchstens,

Der anmaßende, rüpelhafte Weltnegierer.

 

Mephisto (zu Gretchen).

Der blieb ich weiterhin, doch drängt es mich zum Licht.

Mir dämmert‘s schon, bin hell: Verbrechen lohnt sich nicht.

Zwar vorerst heuchle ich das Gutsein nur – doch dann,

gewöhnt der Teufel mit der Zeit sich ganz daran.

 

James.

Genug! So viele, schwergewichtige Weisheits-Worte.

Dafür sind wir hier doch nicht am rechten Orte.

Schon biegen – so belastet – sich die Bühnen-Bretter.

Wenn Worte sich gebärden als die Weltenretter.

 

Mephisto.

Ein fast perfektes Welt-Verbrechen: Ich der Täter?

Bin integriert in Seinen intriganten Plan.

 

James.

Der Teufel ist integer. Wär er noch beredter,

Bestimmte er vollends Verlauf der Weltenbahn.

 

Helena (zu Mephisto).

Sag, wie viel Freiheit haben wir in diesem Spiel?

Du bist dem Höchsten oft sehr nah – und Du giltst viel.

Wär es Freiheit, wenn ich mich Dir ganz zuwende –

Dich spüren lasse meine Liebe, meine Hände?

(Sie streichelt Mephisto übers Gesicht und küsst ihn)

 

James.

Nun ja, der Bösewicht ist uns abhandengekommen.

Das kann doch unserem Theaterstück nicht frommen.

Ich dränge stets auf Handlung, Konflikt und Spannungsbogen.

Ist‘s Welttheater deshalb dem Konflikt gewogen?

Ach, will‘s und braucht‘s den Bösewicht, damit das Spiel

Dem zuschauenden und mitagierenden Gott gefällt?

Ist‘s Verbrechen an dem Menschen – wer ist Held?

Tja, sind wir Kurzweil Gottes? Weil es ihm gefiel ...

Lässt Anwesenheit des Teufels mich verwegen sprechen?

 

Faust.

Mein James, das wären meine Fragen dann gewesen:

Der Part des grüblerischen Genius. Verbrechen –

Ich breche mit dem Werten und finde dann mein Wesen?

Erlaubt ist das Verbrechen, wenn es größeres Recht

Erschafft. Wähl Umsturz, um aus Trümmern neu zu bauen?

Mephistos Nähe macht, dass Mensch sich so erfrecht?

Allen Wesensteilen – Schatten, Licht – vertrauen.

In meinem Universum fänd ich mich zurecht.

Mir ist, als könnt ich‘s schaffen – und das Ganze schauen.

 

 

ENDE

 

 

Die unendliche Wendeltreppe

 

Der Zauberer wohnt am Ende der Wendeltreppe. Könnte aber sein, dass diese unendlich ist. Gibt es dann keinen Zauberer oder reicht meine Zeit nicht aus, ihn zu erreichen? Ich frage ihn – und seine Stimme höre ich mal deutlich und dann schweigt er sehr lange Zeit. Mag sein, ich antworte für ihn; wird man zunehmend zum Zauberer, wenn man auf seiner Wendeltreppe sich ihm nähert? Wobei eine Annäherung unmöglich ist, sollte die Wendeltreppe unendlich sein. Mir ist, als könne ich immer differenzierter trennen zwischen seinen Äußerungen und meinen Gedanken. Mitunter haste ich die Treppenstufen empor, ungeduldig, hoffend, erwartungsfroh, weil ich glaube an den Marmor-Maserungen der Wendeltreppe Zeichen zu finden, die sich als hilfreiche, deutbare Signale erweisen von ihm.

 

Stellt es sich als zu schwer entzifferbar oder als Unsinn heraus, als Trug, dann bin ich zuweilen die Treppenstufen abwärts gegangen. Doch gerade in solchen Momenten sprach der Zauberer zu mir sehr deutlich – so dass ich beinahe wünschte, dass die Enttäuschungen übergroß werden – um so deutlicher würde ich dann seine Stimme und seine Bilder erhalten. Wann habe ich beschlossen die Wendeltreppe hochzusteigen? Wer hat dieses Videospiel auf den Markt gebracht? Es zieht die Menschen in seinen Bann. Sie setzen ihre Cyberbrillen auf und sind inaktiv aktiv: sitzen in bequemen Designer-Stühlen und steigen eine imaginäre marmorne Wendeltreppe empor – und wer den Zauberer als erstes leibhaftig gegenübersteht, erhält die Ehre, dass sein Name in einer Top-Rangliste steht. Bislang ist die Liste leer. Bin ich süchtig nach der Unendlichkeit?

 

„Ich habe dieses Spiel selber programmiert.“ Die Stimme des Zauberers. Okay, es war auch meine Vermutung, dass dieses Spiel zu exzeptionell sei in seiner Schlichtheit und unaufdringlichen Faszination, um von der Unterhaltungsindustrie abstammen zu können. „Hast Du bemerkt, dass der Marmor der Wendeltreppe auskunftsbereiter ist, seitdem Dein Interesse nicht nur dem Aufstieg gilt, sondern auch dem, was zu Deinen Füßen ist? Ich bin die Treppe.“

 

Ich setze mich auf eine der Stufen. „Dann ist die Treppe unendlich. Kein Ende. Keine Erlösung. Sicherlich, es ist virtuell – die Mühe des Aufstiegs, die Sorge herabzustürzen; schwindelerregendes Konzept in mehrfacher Hinsicht. Die Bohnenranke – würden wir ein Riesen-Reich betreten – zu groß für uns, zu überdimensioniert?“

 

„Wer sagt denn, dass im virtuellen Raum Deine Größe beschränkt bliebe? Passe Dich an. Die Erfordernisse bewirken Wachstum. Betritt als Riese am Ende Deiner Reise Dein Zauber-Reich.“

 

„Meins?“

 

„Noch verwahre ich es für Dich, bin Statthalter, Bewahrer. Mündel – altertümliches Wort, aber zutreffend.“

 

„Cheats. In jedem Spiel gibt es Tricks, Abkürzungen, Unerlaubtes – wäre dieses ein handelsübliches Videospiel, dann hätten die Programmierer es mit Cheats ausstaffiert, man könnte Level überspringen, wenn man weiß, wo sich geheime Zugangsorte befinden; oder man die Zauberworte kennt, die das Betreten neuer Ebenen ermöglichen.“ Ich bin so erfreut über seine Zuwendung, dass ich anfange die Treppenstufen hinaufzujoggen.

 

„Stört Dich der Gedanke an die Unendlichkeit Deiner Wendeltreppe? Soll ich diesen Gedanken von Dir fernhalten? Zu wissen, dass man ein Ziel niemals erreichen kann, wie viel Mut bleibt Dir dann noch für Deinen Weg?“

 

Unendlichkeit. Die eigentliche Faszination dieser Wendeltreppe? Mit endlichen Mitteln das Unendliche wollen. Trost und Verzweiflung spüre ich bei den Worten des Zauberers. Die Treppe ändert ihre Farbe. Ein Goldton. Eine Steintafel liegt auf einer der Stufen. „Das wird doch wohl keine Neufassung der Zehn Gebote sein?“

 

„Vermagst Du, es zu lesen?“

 

Ich setze mich neben die Steinplatte; unbekannte Schriftsymbole.

 

„Wer Ohren hat zu hören, der höre. Höre das Sichtbare. Fühle das Hörbare.“

 

„Wir sind im virtuellen Raum, warum sollte ich der Absurdität Grenzen ziehen wollen? Da ich als Mündel des Zauberers gelte, werde ich seinen Ratschlag nicht ablehnen nur wegen übergroßer Absurdität. Mag sein, im Angesicht der Unendlichkeit verschwimmen Grenzlinien und es wird alles Eines.“

 

Ich blicke die Steintafel erwartungsvoll an. Wenn Steine sprechen könnten.

 

„Das Passwort für Deinen nächsten Level heißt: ...“

 

Plötzlich kann ich die Steintafel lesen. Das Sonderbare: Ich kann sie aus dem virtuellen Raum mitnehmen. Wie ein prähistorischer Tablet-PC. Was hat sich da materialisiert? Verzeiht, wenn ich Euch das Passwort nicht nenne, welches mir die Steintafel sagte. Ist sie der Stein der Weisen?

 

 

ENDE

 

 


 

Crazy Candy Christmas


Der Weihnachtsmann betritt das Süßwarengeschäft. Mit seinem Geschenkesack stößt er eine der Bonbonnieren um. „Hoppla, bin in Eile. Meine Frau darf diese Aktion hier nicht mitbekommen. Und mein Rentierschlitten parkt ganz unvorschriftsmäßig. Ich habe ihn neben eine Pferdekutsche gestellt. Ich finde, da fällt er nicht ganz so auf.“ Er dreht sich um und will die Ladentür schließen, doch eines seiner Rentiere ist ihm gefolgt. „Na gut, Rudolph, aber tritt Dir Deine Hufe auf der Matte ab. Der schöne Teppich.“


„Ich könnte hineinschweben“, meint Rudolph. „Ja, das wäre wohl besser“, sagt die Verkäuferin. Vorsichtig geleitet sie den Weihnachtsmann in das Geschäft hinein.


„Ist ja nicht so, dass ich wie ein Elefant im Porzellanladen wäre“, sagt der Weihnachtsmann, wehrt sich aber nicht gegen das Geführtwerden durch die Verkäuferin. Rudolph isst die Bonbons, die aus der heruntergefallenen Bonboniere gerollt sind.


„Ich freue mich, eine Verkäuferin anzutreffen, die nicht in Ohnmacht fällt. Nun ja, ich bin eine Berühmtheit. Und ich wirke auf Frauen.“


Die Verkäuferin legt ihren angebissenen Lebkuchen-Tannenbaum beiseite. „Ich bin meine beste Kundin. Mit einem Teelöffel Zucker schluckst du jede Medizin. Das Leben ist Medizin und ich versüße es mir.“


Der Weihnachtsmann greift in eine der Bonbonnieren. „Diesen Vortrag müsste meine Frau hören! ‚Schenk den Kindern nur Wertvolles, Nützliches.‘ Was ist die Folge? Die Kinder glauben nicht mehr an mich; sie denken sachlich, logisch, erfolgsorientiert. Für meinereiner bleibt da kein Platz. Fantasie, Absurdität, Juxerei – da zieh ich oben dahin mit meinem Rentierschlitten über all der Logik, den Naturgesetzen. Widersetze mich diesem Zugriff.“


„Ich heiße Désirée. Ist das wirklich Rudolph, das superbekannte Rentier?“


„Jaja, aber ich gönne ihm seinen Ruhm. Wäre ja auch albern, wenn ich eifersüchtig wäre – nur weil die Kinder gleich zu ihm rennen, ihn streicheln und füttern wollen. Ich steh dann so abseits daneben.“


Rudolph stupst ihn an. „Klaus, gut, dass wir darüber reden.“


Désirée runzelt die Augenbrauen. „Mit Süßigkeiten willst Du die Aufmerksamkeit zurückgewinnen? Deswegen diese Hast?“


Der Weihnachtsmann kramt aus seinem Geschenkesack ein Gerät. „Das ist ein Replikator. Damit kann ich Geschenke vervielfältigen. Ich brauche also von jeder Sorte nur einen Bonbon.“


„Gut, dass ich nicht nur Weihnachtsmänner als Kunden habe.“ Désirée nimmt ein Tütchen und und greift sich mit einer Zange aus jeder Bonbonniere einen Bonbon, den sie dann so sorgfältig in dem Tütchen platziert, als seien es Juwelen.


Der Weihnachtsmann beißt in einen der Lebkuchen. „Ich solle mich gesünder ernähren. Keine Coca-Cola trinken, mit den Wichteln joggen gehen ...“


„Ich würde dich begleiten“, unterbricht ihn Rudolph.


„Ja, schwebend; Du könntest auch etwas für Deine Muskulatur tun. Der Rentierschlitten wird jedes Jahr schwerer. Alleine die Bedienungsanleitungen für die technischen Geräte ... was ich da so mitschleppe. Die meisten der Geräte, die ich da verschenke – da weiß ich absolut nicht, wie man die handhaben soll und wofür die gut sein sollen. Aber das steht auf den Wunschzetteln. Da sitze ich nun und studiere Bedienungsanleitungen, die in 12 Sprachen verfasst sind. Aber obwohl ich jede Sprache spreche, verstehe ich meist kaum ein Wort – auch wenn ich hilfesuchend von einer Sprache zur nächsten blättere, in der Hoffnung, dass die Sprachen einander stützen. Für Süßigkeiten, da braucht man keine Bedienungsanleitungen. Einfach genießen. Das Leben ist einfach – würde es nach mir gehen.“


„Und wenn Du Dir das wünschst?“, fragt Désirée. Dann lässt sie das Tütchen mit den Bonbons fallen. Sie starrt auf Rudolphs Hufe. „Du schwebst ja wirklich!“


„Sollte ich doch, wegen des Teppichs und des Schneematsches.“


„Das ist sehr hübsch hier eingerichtet. Holz-Theken. Dieses Süßwarengeschäft ist etwas Besonderes. So etwas zieht mich magisch an. In einer Welt, die fast nur noch Austauschbares enthält, ist Unersetzliches rar geworden.“


„Ja, mein Vater hat die Möbel hier selbst angefertigt. Meinen Eltern hat das Geschäft gehört. Es ist schön. Es ist Liebhaberei. Ich habe das Gefühl, hier steht die Zeit still.“


„Ich darf es ja eigentlich nicht verraten. Aber in der Anderswelt, im Feenreich, da sah ich ähnliche Möbel, mit ähnlichen Ornamenten wie bei diesen hier. Ich habe den starken Verdacht, Dein Vater ist dort tätig jetzt.“


Désirée weint. „Er lebt nicht mehr – ist es möglich, dass er ... bitte keine Rührseligkeit erzeugen, nur damit ich bei den Bonbons Rabatt gebe.“


Der Weihnachtsmann streicht ihr übers Haar. „Désirée – Du würdest mich, egal in welcher Aufmachung, erkennen – egal ob als Tier, Mensch oder Weihnachtsmann. Das sagtest Du mir im Krankenhaus bei unserem Abschied. Für heute durfte ich der Weihnachtsmann sein. Zurückkehren für einen kurzen Moment, dorthin, wo wir glücklich waren, wo wir eine Familie waren.“


Sie sieht dem Weihnachtsmann in die Augen. Dann umarmt sie ihn. „Das ist das, was ich mir gewünscht hatte. Dich noch einmal wiederzusehen.“


Rudolph schiebt ihnen eine Bonbonniere auf der Theke zu. „Hier, Saure Drops. Gegen allzu viel Rührseligkeit. Davon brauche ich auch einige.“


„Ich muss zurück. Ein besonderes Polarlicht hat‘s ermöglicht, dass sich unsere Welten verbanden. Doch so weit fort bin ich gar nicht. Gefühle kennen keine Entfernung.“


„Hier Deine Bonbons.“


„Es ist mehr als ein Vorwand. Ich habe diese Bonbons vermisst.“ Ein riesiger Rentierschlitten schwebt vor dem Süßwarengeschäft.


„Beinahe so wie früher. Du warst viel unterwegs.“


„Ja, viel zu selten war ich hier bei Euch.“ Rudolph stützt ihn, damit er auf den Rentierschlitten gelangt. „Schön, wenn man Freunde hat, dann ist sogar das Ersteigen eines schwebenden Rentierschlittens machbar; und das Bisschen, was ihn von der Realität trennt, mit Fantasie ausfüllen und ihn zu etwas Greifbarem machen.“


Désirée hält seine Hand. „Jetzt wird es zu einem kostbaren Moment. Das Händereichen. Etwas Alltägliches.“


Sie blickt dem davonschwebenden Rentierschlitten lange nach. Dann nimmt sie sich einen der Sauren Drops.



ENDE



SpacetourSoon


Okay, wir haben wieder eine unserer fabelhaften Städte auf einem zu besiedelnden Planeten fertig gestellt. Ich mache die End-Kontrolle. Ich bin sehr gewissenhaft darin. Unbewohnt. Geister-Stadt. Nur am Anfang. Sie wird demnächst überquellen mit Geist. Die Elite zieht es zuerst auf neue Planeten. Absahnen. Ressourcen des Planeten auskundschaften, einkassieren. Goldgräber-Laune. Nagelneu die Stadt – und sieht aus wie abgelebt. Vielleicht ist das nicht das exakte Wort; sie wirkt kraftvoll, hat Power und braucht sie für die Eroberung des Planeten. Vielleicht projiziere ich ihre Abgelebtheit hinein. Bin selber abgelebt.


Meine Gewissenhaftigkeit so etwas wie dick aufgetragene Farbe, die ein rostiges Schiff zusammenhält. Auf meinem Heimatplaneten Mercine da hatte ich mehrere Schiffe. Große Rennboote, Segel-Katamarane und ein Hausboot. Mit dem Zuhause sich fortbewegen können – mal gemächlich, mal rasant – die Heimat um sich herum, eingepackt in Vertrautheit, in einer Hülle, die diese Welt zu einem heimeligen Ort macht. Und genau das fehlte mir inmitten der neu errichteten Städte. Nichts Innovatives. Gebäude von der Stange, graue Einreiher. Used Look. Darauf legen meine Auftraggeber allergrößten Wert: „Lass es so aussehen, als ob sie benutzt und weggeworfen sind – Städte mit der Illusion einer Vergangenheit.“


Nostalgie. Als ob man die produzieren könne. Hätte man den damaligen Bewohnern auf der Erde gesagt, dass ihre Städte uns als Vorbild dienen würden in fast jeder Ecke der Milchstraße, wären sie stolz darauf oder beschämt? Das Authentische replizieren, das ist so, als wolle man das große Meer bannen in ein Gemälde, eine Zeichnung. Man muss es beleben durch Imagination – dann belebt es sich wieder – und der Betrachter des Bildes kann das Meer hören und spüren.


Ich gehe durch die leeren Straßen, grau, grau-weiß. Wieso setze ich etwas in die Welt, was ich nicht mag, in dem ich mich unwohl fühle? Stimmt das? Allmählich sind mir diese Straßenzüge sehr vertraut. Habe sie dutzendfach gesehen. Ihre Vorgänger, die sich in der Bauzeit und dem Nostalgie-Effekt deutlich unterscheiden von dieser Stadt. Jedenfalls für mich: Ich sehe mit Freude, dass mir das gewünschte Ergebnis diesmal besser gelungen ist. Es ist perfekt. Ich habe einen Endpunkt erreicht.


Am Ende der Straße wende ich mich um; mir ist, als würde ich gewendet, von einer Macht, die ich bislang mit Mühe von mir ferngehalten habe und die mich nun so jäh anspringt wie ein Hund, der seinen Herrn nach langem Urlaub endlich wiederhat. Welche Macht springt da nun an mir empor? Heimweh? Ich bemerke, dass mein Blick ruht auf dem gelb-orangen Schild des Weltraum-Reisebüros „SpacetourSoon“. „Besuchen Sie die Zwillings-Sonnen von Mercine“ – nun ja, SpacetourSoon ist einer der Kontrakt-Partner, sie spielen routiniert auf der Klaviatur des Sehnens, deren beide Extreme das Fernweh und das Heimweh sind.


Es ist nicht nur Geldgier, was die Siedler in unsere neugebauten Städte treibt: Neugier im Verbund mit Fernweh, die aber umschlägt in Heimweh und Überdruss, ja Ekel am Neuen. So fremdartig hatte man es nicht gewollt. Meine Auftraggeber wissen dieses – und kontern, fangen dieses ab, indem wir Städte bauen, die Chimären sind: Eigentlich unvereinbare Gegensätze verschmelzen zu einem neuen Wesen, einer Einheit; es darf nicht auseinanderbrechen, darf keinen Ekel verursachen durch seine Bizarrheit. Das Banale vortäuschen. Heimweh und Fernweh reichen sich die Hände, kommen sich noch näher, werden Eines. Von solcher Art sind die Städte, die ich bauen lasse.


Noch immer ruht mein Blick auf dem gelb-orangen Schild von „SpacetourSoon“ – wie eine Sonne, in die es mir möglich ist zu schauen. Zwei Sonnen. Ich war seit Jahrhunderten nicht mehr auf meinem Heimatplaneten Mercine. Es ist mir bei hoher Strafe verboten, das Rückkehrbedürfnis der Siedler zu forcieren; dem Heimweh-Affen Zucker geben. Den Managern ist es verboten in ihre Heimat zurückzukehren, sie haben mit gutem Beispiel voranzumarschieren – auch wenn ich wohl noch der einzige bin, der zu Fuß geht. Man gleitet nur noch, schwebt ein wenig über dem Bürgersteig – als ob die Berührung mit dem fremden Planeten demjenigen etwas endgültig entreißen würde. Das Geschäftsmodell sieht vor, nach vorne zu stürmen, ein Zurückweichen gilt wie im Krieg als Fahnenflucht. Die Front wird weiter vorgeschoben. Es sind gewissermaßen Forts, die wir bauen. Bollwerke, die sich als Städte tarnen.


Wenn ich noch länger auf das Werbeschild von SpacetourSoon starre ... nein, gehe nicht dichter; wieso stehe ich nun direkt davor? Es hat mich geortet, es springt in Aktion. Seine Aufgabe ist es, ansprechend zu sein ... und diese modernen Werbeschilder und Werbeplakate können einen wirklich ansprechen. Ausgestattet mit Quanten-Chip, der ihnen Personenerkennung und Zugriff auf die Datenbanken ermöglicht. Dieses Werbeschild kennt meine Schwächen, durchschaut mich – es könnte mein Therapeut sein. Mit scheuer Ehrfurcht werden diese modernen Werbeschilder umgangen, die persönliche Ansprache in der Öffentlichkeit hat einen hohen Peinlichkeits-Faktor – aber auch einen Unterhaltungswert für die Zuschauer. Da hier keine sind, blicke ich hoch zu dem großen Werbeschild und komme mir vor, als stünde ich vorm Altar einer Gottheit.


„Heimweh? Ich habe Deinen Heimatplaneten eingeblendet auf meinem Werbe-Display: Mercine. Bekannt durch seine Zwillingssonnen und die größten Meere.“


Bislang erzählt das Werbeschild mir Bekanntes. Heimweh als leichte Sucht – als Craving, Verlangen, was man mit Verärgerung registriert und nach hinten drängt. So wie ein zölibatärer Priester: Gedanken, die sich in verführerische Gewänder hüllen, brav verscheuchen. Das Gelb-Orange des Werbeschildes wird Blau-Grün. Es zeigt mir Meeres-Bilder.


„Du stehst direkt vor einem SpacetourSoon Weltraum-Reisebüro. In Kürze könntest Du auf dem Weg sein zu Deinem Heimatplaneten. SpacetourSoon hat die schnellsten zivilen Raumschiffe.“


„Würde ich mich nicht langweilen dort? Will man nicht immer das, was man gerade nicht hat? Hat man Ferne, will man Nähe zur Heimat. Hat man die Heimat, dann weiß man sie nicht zu würdigen, sieht in ihr das Banale. Hier steh ich und baue in der Ferne das Banale als Imitat.“


Das Werbeschild flackert. Lacht es etwa still und leise?! „Die Quanten-Chips können die Intentionen von Lebewesen berechnen. Alles eine Sache von Algorithmen. Ich vermute, Du weißt schon längst, wie ich mich entscheide. Mein Unterbewusstsein ist mir zumeist einige Schritte oder Lichtjahre voraus und nun auch noch die Werbeschilder.“ „Wir stehen in Beziehung. Du kannst mich beeinflussen. Deine Gedanken könntest Du sehen auf meinem Werbe-Display. Nur wird der Philosoph vermutlich wieder einwenden, dass ...“


Ich stelle eine simple Frage an mich. Was will ich? Jetzt bin ich es, der flackern müsste. Ich starre ein Werbeschild an, als sei es eine Wahrsage-Kugel. Es hat sich nichts verändert. Magie inmitten der Mathematik. Ich werde die horrende Vertrags-Strafe zahlen. Heimweh als Luxus-Gut. Es ist das Teuerste, was ich mir je geleistet habe. Selbst meine 34-Meter-Yacht sieht im Vergleich zu dieser Summe klein aus. Das sich zu kaufen als höchstes Gut, was man vordem umsonst besaß und nicht zu schätzen wusste – nun hat es messbaren Wert. Und noch mehr: Heimat ist nicht bezahlbar.


ENDE




In Quarantäne auf dem Planeten Eklipsi

Science Fiction im Versmaß

 

In alten Zeiten gab es diese schöne Sitte

im Versmaß zu berichten von den Helden und

den Göttern. Hier in Quarantäne – eingesperrt

da bleibt mir Zeit im Übermaß für derlei Versmaß.

Ich geb Struktur der Sprache – und geb mir Halt dadurch?

Ich tu, als würd ich interessiertem Hörer schildern,

in welcher Konfusion ich bin. So spreche ich

in meinen Ring-Rekorder; hat ihn gut versteckt.

Kann Zaubertricks, kann bluffen und mich selber täuschen.

Wo ist der Sprecher? Kann‘s nur ungefähr beschreiben.

Es gibt hier beinah täglich Sonnenfinsternis.

Umkreisen den Planeten viele große Monde.

„Eklipsi“ – nenn ich darum den Planeten.

Bin notgelandet; und mein Raumschiff wurde mir

genommen. Rings umher: massivste Kathedralen.

Sind‘s Felsen nur, die spitzgetürmt weihevollen

Gebäuden gleichen – oder sind es Kathedralen,

die sich zurückverwandeln in die Unform des

natürlichen Gesteins? Umzingeln mich bedrohlich

und majestätisch. Vierzig Tage soll ich bleiben.

In dieser Frist – in Einsamkeit – und meditieren,

gelang es manchem schon zu sehen all die Türen,

die uns aus weltlichem Gefängnis endlich führen.

Sich schnurstracks, rasend zu entfernen von den Tieren.

In Quarantäne ich. Bakterien und Viren?

Ich wünscht, ich hätte solch Mikroben – kampferprobte

Gesellen, die dann mit mir kämpfen Seit an Seit.

Denn was ich heut erfahren, vernichtet jeglich Mitleid

mit den Bewohnern von Eklipsi. Sie erobern

Planeten nicht mit handelsüblichen Raketen.

Als Vortrupp senden sie Mikroben; diese nehmen die

Gesundheit – schwach der Feind. Sie selber sind immun.

Und weil sie selbe Arglist wähnen bei dem Gegner,

misstrauen sie mir und jedem, der bei ihnen landet.

Denn unbekannte Spezies könnt ihnen schaden:

Der Feind, der für das unbewaffnet Aug nicht sichtbar,

das ist ihr größter Feind. Ich bin in Quarantäne.

 

***

 

Die Nachricht, die ich gerad erhielt, die ändert alles.

Ein Spielball bin ich nur; ich wurd ins Spiel geworfen.

Mein Absturz war fingiert, man hat mich gut verseucht.

Planet Eklipsi soll von mir erobert werden.

Ich kämpfe Seit an Seit mit tüchtigsten Mikroben.

Nun gilt es auszubrechen aus dem großen Ring

der Kathedralen. Unheil ihnen allen bring:

Bewohner von Eklipsi – wie Sonnenfinsternis

verdunkele ich Euch Eure Welt. Ich bin das Fatum.

Ihr könnt mich nicht bewachen; mich aufzuhalten sinnlos.

Ich spür in mir die Sprungkraft eines Tigers. Bin

bereit den breiten Graben zu bewältigen

in einem großen Satz. Doch wär es unklug jetzt

zu offenbaren, welche Fähigkeiten ich

verbarg. Hab Spirit-Power. Deshalb wurde ich

geschickt. Bin ideal für dies Kommando. Oder?

Die Hindernisse existieren nicht für mich.

Doch eigene Hindernisse könnten mir den Weg

verbauen: Skrupel, Mitleid, Ehrgefühl – zu viel.

Tu ich es nicht, dann senden sie Ersatz für mich.

Es sei denn, ich verriete Pläne und Details.

Ach, ihr Bewohner von Eklipsi, habt ihr Mitleid

verdient? Hier stehe ich als Richter. Frage ich

den größten Richter? Seh mich um und suche Zeichen.

Was sagt ihr Kathedralen? Kennen nun einander

seit beinah 40 Tagen. Fremde, die sich gleichen

durch die konstante Nähe und Präsenz des andern.

 

***

 

Ich sprach tatsächlich mit den Kathedralen. Hilfreich?

Ich brauch ein Resümee, erwägen das Gesagte.

Ist‘s mehr als Echo, was von Felsenwänden mir

Empfehlung, Tadel und Befehl erteilt? Wohin?

Im breiten Graben wartet Säure, dass ich stürze.

Ich könnt ihn überwinden. Bin ich zögerlicher

als Hamlet? Sollen Skrupel mir heroisch Tat

entreißen? Soll die Zeit statt meiner handeln? Rat.

Den suche ich im Versmaß zu gewinnen. Sätze.

 

Ja! Ein Satz! Mit selbem Maß gemessen, wiege

ich im neuen Rhythmus mich zur Pflicht – und siege.

Alles spricht für diesen Sprung – ich schaff‘s und fliege!

Nicht vermessen so wie Ikarus. Ich übe;

üb im Geiste, üb in Sätzen das Entsetzen

zu verdrängen. Lasse nur das „Für“ noch gelten.

Und das „Wider“ lasse ich in andren Welten.

Sonnenfinsternis, Du bist mit mir im Bunde,

Birg die Absicht – steh mir bei in dieser Stunde!

 

***

 

Im Raumschiff sitz ich nach vollbrachter Tat – und würde

im Schweigen wohl verbleiben. Wär es wahrlich Wohlsein?

Mein Versmaß, gibst mir wieder Worte, danke Dir.

Ziehst meine Seele hinterdrein – auch ohne Reim.

Ich sollte meinen Ring-Rekorder löschen, denn

als Helden werden sie mich feiern wollen, der

gezielt, exakt gehandelt hat. Ich rang mit Worten.

Wen interessiert der lange Anlauf zu dem Sprung?

Der Held sei wortkarg. Sprache baut mich aber auf;

damit ich Kraft fand zum Zerstören. Segensreich

die Sprache? Sollen sie es hören. Ich gäb sonst auf.

Und ist‘s ein Manko? Gebundene Sprache bist mir hilfreich.

Ist steh zu Dir, Du stehst zu mir, so widerstehen

wir wohl Attacken dieser Welt – womöglich auch

den eig‘nen Macken, das wär wahrhaft heldenhaft.

Entschlossen hab ich mich entlassen aus der Haft.

Wird Sprache mir der Schlüssel sein: aus Welten-Haft

entkommen? Oder braucht man nur zu klopfen glaubhaft?

Und weil ich Hamlet kannte, lernte ich von ihm?

Verwende seinen Duktus. Kunst, die gibt mir Kraft?

 

Ich lasse von mir hören – zum nächsten Abenteuer,

bist Du, mein lieber Hörer, herzlich eingeladen.

Warst hilfreich mir, dem ich erzählen konnte das,

was mir in Zeit der Not in Zeitnot in den Sinn

gekommen. Alles Roger? Over and Out.

 

 

ENDE

 

Villa Doomsday

 

Ich bin kein Detektiv und das einzig Mysteriöse, das mir jemals begegnet ist, das bin ich selbst. Es heißt, man solle charakterfest sein und möglichst unerschütterlich, wenn man das Tor aufstößt ins Unheimliche. Trautes Heim? So sah das Haus auch von Weitem nicht aus; es wirkte unheimlich – und es hatte meine gesamte Aufmerksamkeit, weil es ein Rätsel für mich beherbergen sollte. Dies war mein Auftrag: „Villa Doomsday“.

 

Protzig verheißt sein Name gleich zwei Lügen: Dieses zweistöckige, altersschwache, gebrechliche Haus verdiente nicht die Betitelung „Villa“ – und „Doomsday“, der Jüngste Tag, grotesk. Da wollte jemand ein brüchiges Haus als Spukvilla herausputzen, indem er ganz bewusst das Verfallene und Morsche betonte und ihm eine Schicksalhaftigkeit auf diesen kaputten Körper andichten wollte.

 

Ich beschreibe das Haus als Wesen, als handlungsfähig in meinen nächsten Zeilen – und will der Handlung nicht vorausgreifen – aber es ist mir nicht möglich vom Haus „Villa Doomsday“ nach meinen Erlebnissen als Nicht-Wesen, als bloßer Sache zu denken: Es ist weitaus älter als ich und mittlerweile billige ich ihm mehr Charakter zu, als mir selbst. Hochachtung vor seinem Feind zu haben? Erweise ich ihm diese Reverenz und lasse meine Nachwelt mit scheuer Bewunderung auf ein aktives Haus blicken? Denn ich hoffe, dass mein Notizbuch gefunden wird, in das ich mit zitternder Hand meine Erlebnisse eintrage, als gelte es Buch zu führen, eine Bilanz mit Aktiva und Passiva festzuhalten.

 

Es ist Doomsday – jedenfalls für mich. Sollte dieses nicht ein allgemeiner Tag sein – betrifft der Jüngste Tag ausschließlich mich? Lieber Leser, ich will Dich da keinesfalls mit hineinzerren. Schließe lieber das Buch; meine Charakterfestigkeit war Villa Doomsday nicht gewachsen. Für diejenigen, die sich entschließen, bei mir zu bleiben – Euch kann ich kein ruhiges, beschauliches Ende verheißen. Das Ende kenne ich selber noch nicht, aber ich kann Euch den Anfang noch deutlicher schildern.

 

Es gibt einen Bewohner dieses Hauses. Er behauptet, er habe mich kommen lassen, weil es etwas aufzuklären gelte. Ein 500-Euro-Schein lag in seinem Brief – ich hielt es zunächst für trickreiche Werbung; auch sein Brief wirkte geschäftsmäßig. Ich halte diesen Geldschein nun in meiner Hand, kann ihn kaum erkennen in dem wenigen Licht hier im Keller der Villa Doomsday. Bei jeder meiner Bewegungen bewegt sich der Schaukelstuhl – er ist erstaunlich gut erhalten, wie alles innerhalb des Hauses. Auch sein Bewohner ist alterslos. Sein Reden: amüsiert, spöttisch und zuweilen herzlich. Doch das Grauen packt mich, wenn aus diesem jugendlichen Mund urzeit-alte Worte entströmen. Ich formuliere es genauer. Nicht die Worte sind archaisch, sondern die Gebilde, die sie bauen: wundersame Architektur – ich versuche nachher, einige dieser Wort-Gebäude in meinem Notizbuch festzuhalten.

 

Doch vorerst muss ich den Haus-Bewohner schildern. Ich bin vor seiner Präsenz geflohen, konnte seinem Blick nicht standhalten. Vermutlich verschickt er regelmäßig solche Einladungen, ködert uns mit einem 500-Euro-Schein und kommt derart relativ günstig an Menschen-Seelen. Ein Vorposten der Hölle – das ist dieser Ort, eine klebrige Fliegenfalle. Würde er jemals jemandem seinen Briefe senden, bei dem er sich nicht sicher wäre, ob dessen Charakterfestigkeit ihm einen Strich durch die Seelen-Rechnung machen würde? Vermutlich ist bereits der Erhalt eines solchen Briefes Hinweis darauf, dass das Tor zur Hölle nun weit offen steht für dessen Seele. Marschiert meine Seele schon voraus? Könnte ich sie rufen, so wie man seinen Hund ruft – dieses geistige Halsband, was ihn wieder zurückbeordert? Meiner Seele zu gebieten! Hah! Könnte ich`s, vermöchte ich es, dann wäre ich nicht hier, säße schaudernd in einem Schaukelstuhl, der einen durch seinen Komfort und seine gute Qualität verhöhnt?!

 

Ich stand auf und gab dem Schaukelstuhl einen kräftigen Tritt. Noch hatte ich meinen Körper! Ich blickte nach oben zur Kellertür – in edlem Mahagoni; den Kellerschlüssel hatte ich in meiner Brusttasche. Ich hatte mich selber hier eingesperrt. War die Kellertreppe vorher schon so lang, so steil? Vermutlich wird sich das steigern; mein Zögern signalisiert dem Haus, dass hier jemand kauert, wie schon Unzählige vor ihm. Ich reckte mich. Aufrecht – bin ein Mensch. Mensch ohne Seele, wenn ich mich nicht wehre. Ich vermisste sie. „Seele, ich liebe dich“ – formten meine Lippen.

 

Wenn einem jemand genommen werden soll, mit dem man vertraut war seit vielen Jahren, dann erst, bei dem Gedanken daran, verzeiht man demjenigen alles, jede dieser unzähligen Kleinigkeiten, weshalb man sich mit ihm gestritten hat. Unwichtig. Völlig belanglos nun.

 

Ich zog mich am Treppengeländer Stufe für Stufe empor. Doch das Haus verformte sich. Ich hatte recht gehabt: Es ist schikanös, dient seinem boshaften Herren gerne. Wer konnte mir beistehen? Auch wenn ich mögliche Leser enttäusche – ich ging zurück zu dem Schaukelstuhl, setzte mich und beschloss abzuwarten. Heute ist Halloween, dieser Tag war mir sehr egal, doch besaß der Teufel an diesem Tag mehr Macht, einfacheren Zugriff auf Menschen-Seelen? Dass das Band nicht fester war; ich hätte es wie Freundschaftsbande stärken müssen – meine Seele war nun weit fort – ich hörte auf, sie gedanklich spüren zu wollen.

 

Die Kellertür ging auf. Der Bewohner des Hauses kam die Treppe herab. „Wenn ich ein Haus bewohne, dann wird es zu etwas Besonderem. Ich verlange von dir Gleiches. Du batest mich um Antwort. Ich löse nicht Deine Probleme. Aber du solltest dich da aufhalten, wo deine Seele ist. Und ist sie in der Hölle – dann hole sie da raus! Betrachte Dich als dieses Haus, die Villa Doomsday: ein hochherrschaftliches Gebäude?“

 

„Würde ich ein anderes Haus sehen, wenn ich großartiger wäre?“

 

„Sage mir, wer ich bin.“

 

Ich blickte zu ihm empor – bereit meine Seele wieder zu erlangen und hielt seinem Blick mit größter Mühe stand. „Beides. Gott und Teufel in einer Person. Das behaupte ich, bist Du – oder zumindest jemand, der Vollmacht hat von beiden Seiten.“

 

„Nur weil ein paar übernatürliche Erscheinungen dir zusetzen? Könnte ich mich offenbaren, präsentieren ganz ohne Zauberei – wäre ich dann nicht glaubwürdig?“

 

„Wie kommt es, dass dieses Haus von innen tatsächlich eine Villa ist: vornehm, geräumig?“

 

„Wir stehen auf der Grenze. Ich bin beides: Gott und Teufel. Zu welchem Reich soll das Haus gehören? Villa Doomsday wartet auf Antwort.“

 

„Das Haus macht ohnehin, was es will.“

 

„So wie Deine Seele? Zu viel Autonomie? Du wärest gerne der Herr – Dein Blick verwandelt. Schönheit, Edles, Juwelen – Du findest sie inmitten des Unrats, auf Müllhalden.“

 

„Dein Blick verwandelt mich in Unedles, Banales. Du gewichtest alles gleich. Anerkennst nicht das Besondere. Sondere, unterscheide zwischen Förderungswürdigem und ... Eigentlich ist Deine Sicht fair – und zugleich bist Du unfair gegenüber allen. Ich bewerte mich, bewerte dich. Sitze ich deshalb hier im Keller? Das Haus hat für mich keinen Ausgang.“

 

„Das Haus will deine Entscheidung. Das Haus an der Grenze gehört beiden Reichen an.“

 

„Dann will ich dort auch stehen: zugehörig beiden Reichen. Dein Vorbild inspiriert mich dazu, ruft mich auf, es Dir gleichzutun. Das Gesamte zu sein und nicht nur der bessere Teil davon, sich zur Gesamtheit bekennen.“

 

Das Haus wurde größer, die Wände sausten davon, die Kellerdecke schnellte nach oben, als ob sie nur auf ein befreiendes Signal, einen Auslöser gewartet hätte. „Ich las mal ein Buch von William Hope Hodgson: ‚Das Haus an der Grenze‘ – da hatte man die Möglichkeit, den Planeten zu wechseln, mit Schweine-Menschen zu kämpfen, der Held hatte sogar die Möglichkeit – dank des besonderen Hauses – Kontakt aufzunehmen mit seiner großen Liebe, traf sie wieder im Meer des Schlafes. Könnte man diese große Liebe gleichsetzen mit der Liebe zu meiner Seele, die mir abhanden gekommen ist beim Aufenthalt in diesem Haus? Oder betrifft es vielmehr meine Liebe zu Gloria? Für seine Liebe kämpfen. Gegen sich selbst antreten? Würde ein Kampf mit Schweine-Menschen etwas Klärendes haben? Wen oder was soll ich besiegen? Ich vermag nicht einmal eine Kellertreppe hinaufzugelangen, weil die Stufen vor mir keinen Respekt haben – die vermehren sich völlig nach Belieben!“

 

Die Kellertreppe wand sich jetzt in grotesken Spiralen, weil ihr selbst der nun vergrößerte Kellerraum zu eng war. „Ich ziehe mich zurück. Du bekommst Deine gewünschten Gegner. An sich erfinde ich lieber selber, aber als Reverenz an einen guten Autoren kommen nun aus der Kluft unter diesem Haus Schweine-Menschen als Visitatoren. Ein gutes Dutzend zunächst – amüsiert Euch.“

 

Sie auf materieller Ebene zu besiegen, das war dem Helden des Buches nicht wirklich gelungen; man muss geistige Waffen einsetzen. Das war mir beim Lesen des Buches gleich klar gewesen: Aber als die Meute mich umzingelte – offenbar ignorierten sie die Realität von Wänden – da war mein erster Impuls sie mit Boxen und Karatehieben zusammenzustauchen.

 

Absolute Friedfertigkeit. Ich setzte mich in den Schaukelstuhl und versuchte einige von ihnen zu zeichnen – nahm also mein Notizbuch und betrachtete sie genau, achtete auf Linien, versuchte das Typische zu erfassen. Sie zogen sich zurück. Sahen unzufrieden aus.

 

***

 

Wieso las ich solche Bücher? Und wieso erwähnte ich das gegenüber einem allmächtigen Wesen, das dies als Gelegenheit sah, Magie zu praktizieren? Weil sich mir eine Idee näherte, zu mir herantrieb, so wie die Strömung ein welkes Blatt. Verwelkt waren meine Erinnerungen an Gloria. In dem Buch von W. H. Hodgson war es dem Helden möglich, zum Meer des Schlafes zu gelangen – dort wo seine Geliebte ruhte – tot, unerreichbar mit herkömmlichen Mitteln. Doch dieses besondere Haus an der Grenze hatte Talent, die Befähigung Zeit und Raum als nichtig anzusehen und miteinander in Kontakt zu bringen, was vom Gefühl her zusammengehörte. Immer stärker musste ich während meines Aufenthaltes in der Villa Doomsday an diese Möglichkeit denken, hinter all der Bedrohlichkeit lag Hoffnung: Gloria wiederfinden.

 

Ich war in keinem Roman, kein Story-Autor konnte mir unerschütterliche Gesetze kippen, umstoßen – aber dieses Haus an der Grenze, meine Villa Doomsday, besaß in seiner schlichten Art, seiner Baufälligkeit mehr Vitalität und strotzende Kraft als jede Burg, als jedes bombastische Schloss. Dieses Haus an der Grenze, wo sich Gut und Böse die Hände reichen, wo es nur eines Moments des Nachdenkens bedurfte, um eines in das andere zu verwandeln – hier galten andere Hebelgesetze, hier konnte man Raum und Zeit zu dem degradieren, was sie eigentlich waren: Diener des Einen, des Bewohner dieses Hauses. Und so – mit dem selben gigantischen Ausmaß, wie mir das Furchtbare begegnete in diesem Haus am Anfang, begegnete mir nun das Wunderbare: Das Meer des Schlafes entließ aus seiner Umklammerung eine seiner Träumerinnen. Gloria erwachte in dem Keller der Villa Doomsday, wurde herangetragen von dienstbaren Raum- und Zeitenwogen. Keine Wunden; lebend. Verständlich, dass sie zunächst panisch war – doch man gewöhnt sich rasch an das neu geschenkte Leben, es ist wie bei der Geburt. Schreck des Neugeborenen und dann Gewöhnung an das Erstaunliche; und verlernt ist das Erstaunen.

 

Der Anfangs-Schreck in der Villa Doomsday – mag sein, dies hat mich zu erneutem Erstaunen befähigt und offen gemacht für neue Wunder. Ihn genauer schildern? Das erfordert, die gespeicherten Bilder genau zu betrachten, bereit zu sein, wie in einem Fotoalbum zurückzublättern zu den Seiten, die man beim Durchblättern überschlagen hat. Ich bevorzuge den flüchtigen Blick, wenn es Unangenehmes betrifft, doch wenn diese Zeilen nutzbringend sein sollen für Leser und wohl auch für mich, dann muss ich bereit sein, wenigstens beispielhaft eine der Szenen zu schildern, die mich in diesen Keller haben fliehen lassen: Eine Etage höher – gleich im Eingangsbereich der Villa Doomsday – standen Vitrinen und gleich in der ersten, einer quaderförmigen, mannshohen Vitrine, stand Gloria, mit sämtlichen Wunden, die sie beim Autounfall erlitten hatte.

 

Ich könnte sagen, sie war schuld. Sie hatte mich abgelenkt während der Fahrt durch ... ja, eigentlich durch ihre bloße Anwesenheit. Wir kannten uns schon so lange und immer noch faszinierte sie mich, sah ich sie gerne an, entdeckte in ihrem Mienenspiel Vertrautes in immer neuen, mich faszinierenden Variationen. Und genau diese Faszination wurde ihr und mir zum Verhängnis, da ich dadurch unachtsam war. Welch Kontrast: Konnte ich damals den Blick kaum von ihr wenden, so schwer fiel es mir nun, hinzuschauen zu ihrer Vitrine in der Villa Doomsday. Wie zur Flucht eilte mein Blick zu den übrigen Vitrinen – ehe ich begriff, dass in sämtlichen Vitrinen – ob in runden, pyramidenförmigen, würfelartigen Vitrinen – Schuld ausgestellt wurde wie in einem Museum: meine Schuld.

 

„Vergib mir meine Schuld, wie ich vergebe meinen Schuldigern“, dieser Satz schwebte vor mir, ich wollte nach ihm greifen – wie eine Wort-Girlande schwebte er vor mir – führte mich wie ein Museumsführer, wie ein Pädagoge – nein, wie ein Mystagoge in das Mysterium meines Selbst. Da erschien der Bewohner des Hauses.

 

***

 

Ich habe den Kontakt zur Villa Doomsday aufrechterhalten, vermag dorthin zurückzukehren nach freiem Belieben. Ich darf sogar Gäste einladen – und diejenigen Leser, die bis hierhin durchgehalten haben, denen kann ich die Villa Doomsday empfehlen. Doch rechnen Sie damit, mit Ihrer Schuld und Ihren Idealen konfrontiert zu werden. Den fiktiven Gestalten aus Ihrer Lektüre und Ihren Filmen gegenüberzustehen. Mein größtes Idol war zugleich meine größte Furcht: Nicht bestehen können vor Seinem Blick, zu wenig Großartiges vorweisen zu können, dazustehen mit fast leeren Händen, nichts, was einen Ausgleich schaffen könnte zur immensen Schuld, die ich in mir trug. „Villa Doomsday“ – es ist die Reise wert. Ob man zurückkehrt, unversehrt? Mancher findet so sein Seelenheil. Den Wert meiner Seele lernte ich dort. Das Haus an der Grenze – schaurigster, schönster Ort.

 

***

 

Für die Leser, die sich jetzt fragen, ob mir die Villa Doomsday Gloria aus dem Meer des Schlafes herausgefischt hat und sie enttotet hat, den Tod von ihr genommen, und sie nunmehr als lebendig wieder gelten kann - dem rate ich, zum Beweis, mit mir zurückzukehren an den Punkt, wo sie auftauchte, sich besinnen musste und nach der erwähnten Panik dann mit mir und dem Bewohner des Hauses sich unterhielt. Ich bot ihr sofort den Schaukelstuhl an, da sie stark zitterte. Der Bewohner des Hauses hielt theatralisch einen siebenarmigen Kerzenleuchter in der Hand. Er hatte einen Sinn für eine gute Show. Auch die Vitrinen waren effektvoll beleuchtet - abgestimmt für denjenigen, der durch die Haustür der Villa Doomsday kam. Er hatte Übung darin.

 

Doch ich schweife ab und senke meine Aufmerksamkeit zum Keller des Hauses, fort vom Grauen, Erstarrenden zum Lebendigen, dessen Kennzeichen die Eigen-Bewegung ist; vom Bewegt-Werden, Passiven zum Akteur, Aktiven; vom Tod zum Leben. Ja, Gloria lebt. Weil in mir diese Kraft war, die inmitten der Angst sich Bahn brach und wirkungsvoll sein konnte, weil der Ort ideal war: das Haus an der Grenze. Und wie erschrak ich, als ich feststellte, dass dieses Haus keineswegs so alleine dastand, auf der bis zum Horizont reichenden dürren Wiese. Ähnliche Häuser standen um die Villa Doomsday als ich sie verließ. Ein Dorf.

 

Und ich habe den Verdacht, wenn ich eines Tages, nach einem meiner Aufenthalte in der Villa Doomsday sie verlasse - dass ich dann weitere dieser Häuser wahrnehmen werde - und dass es eine ganze Stadt sein wird, dass ich nur einen Blick bekommen muss, für die mir bislang verborgenen Häuser. Mag sein, mein Ich ist größer als gedacht oder aber ich habe die Ähnlichkeit von mir und der Welt schrittweise erfahren. Das Dorf an der Grenze - das ist mein Status. Möge mein Text denen hilfreich sein, die neugierig, erwartungsvoll und mit Beklemmung ihre Villa Doomsday erstmalig betreten.

 

Ich begann meine Aufzeichnungen im Keller sitzend, ratlos, war es gewohnt in meinem Notizbuch Wichtiges festzuhalten - bin Reporter - und in dieser Reportage über mein persönliches sensationelles Erlebnis hatte das Aufschreiben des Unbewältigbaren entscheidenden Anteil daran, dass meinem Doomsday doch noch weitere Tage folgten. Das Begonnene habe ich später dann ergänzt und fortgeführt mit dem beruhigenden Abstand zu diesem Seelen-Abenteuer. So ist dieser Text Flickwerk, wie auch meine Seele - und, wie ich den Verdacht habe, auch die Welt. Ein einheitliches Konzept bietet sich dem Betrachter erst aus größerem Abstand - so wie bei den Pointillisten - kleine Farbtupfer, jeder für sich, ursprüngliche Farben, die ihre Leuchtkraft bewahren, nicht vorher vermischt werden auf der Staffelei. Mit Abstand betrachtet, ergänzen die Farbtupfer sich, bilden Gestalt - ein Haus wird erkennbar oder ein Dorf.

 

Und auch das Gespräch mit Gloria hat mich dauerhaft verändert, hat stabilisiert, was als Ahnung nur vorhanden war und hat‘s verwandelt in Überzeugung. Ich habe mich entschlossen, dieses Gespräch nicht preiszugeben, eine Unverzeihlichkeit für einen Reporter und einen Erzähler, der das Kernstück seines Berichts seinen Lesern vorenthält. Er, der Bewohner des Hauses war anwesend während dieses Gespräches und hat es damit zu etwas Besonderem gemacht, so wie ein Prominenter eine Veranstaltung illuminiert. Sein Licht hat uns festlich erleuchtet. Und nicht nur sein siebenarmiger Kerzenleuchter.

 

 

ENDE

 

 

 

Goldene Hochzeit für Romeo und Julia

 

Julia:

Dies ist der Brief, der uns gerettet hat,

ich hab ihn 50 Jahre gut verwahrt.

Ein Rätsel ist er - werden wir es lösen?

Ich hab‘s bislang vermieden nachzudenken;

und mit Vermutungen das Glück bedecken?

Doch heut ist Goldene Hochzeit - ist es Zeit?

Zur Goldenen Hochzeit würden wir‘s verstehen,

den rätselhaften Briefeschreiber sehen.

 

Romeo:

Es ist egal nun, was geschehen wird,

wir haben viel geborgtes Glück erhalten.

Doch welche Schicksalsmacht ist hier am Walten?

Durch Missverständnis und im Übermaß

von mächtig hohen Wogen des Gefühls

ward unser Glück beinah hinweggespült.

 

Die Tür öffnet sich und William tritt herein.

 

William:

Ich konnte die Figuren, die ich schuf,

durch einen Brief geschickt vor sich erretten.

Man selbst ist sich der größte Feind, nicht wahr?

Du, Romeo, bist dreifach Marionette -

und wärst du auch dir selber Marionette,

dann glichest du dem Autor Shakespeare, mir.

Sei Puppenspieler in dem großen Spiel.

Vermengt sind Fiktion, Illusion und Traum

mit Zutaten, die ich mir frisch gepflückt

im Garten der Wahrhaftigkeit - Reales!

Ja, das Reale noch realer machen

durch Kunst der Fantasie - versteht mich recht:

Denn alles Poesie! Ich hab das Recht,

mich einzumischen ins Erschaffene -

ich bin der Autor!

 

Romeo:

Haben wir kein Recht?

Mag sein, dass wir durch deine Gnade sind.

Ich selber dachte mir Geschichten aus.

Erschaffen neue Welten die Erdachten -

wer wurde nicht erdacht - wer begann?

 

Julia:

Ach, Romeo und Julia wären Geschichte,

schon längst passé - wär dieser Brief hier nicht.

Da du erscheinst zur angegebenen Stunde,

vermute ich in dir den Briefeschreiber.

 

Julia hält den Brief empor.

William betrachtet die Briefmarke.

 

William:

Ja, diese Marke auf dem Brief ist seltsam,

sie ist nicht selten - doch im Briefverkehr

behilflich konnt sie sein den Welt-Vermittlern.

Ihr Bild das zeigt euch beide tanzend, glücklich.

Ich sah die Marke und wollte euch erretten.

Ich sah euch tanzen schön in meinem Geiste.

Und schrieb, was dieses Bild der Marke ausgelöst,

auf dieses Briefpapier und hoffte euch

zur rechten Zeit noch zu erreichen - Kinder,

bin Euer Vater - doch wie jeder Vater

bin ich zur Hälfte nur beteiligt dran.

Wer ist die Mutter - wem vermählt sich der Autor?

 

Julia:

Erhoffte Aufklärung von dir - nun das?

Türmst neue Rätsel auf. Man ahnt wohl das,

was das Gesamte zu bedeuten hat,

doch hieße das, gestehen, dass das Ich

ein Tänzer auf erdachter Bühne ist.

 

William:

Ihr beide tanzt Ballett auf dieser Marke.

Berühmt seid ihr durch mich - und ich verdanke

den Großteil meines Ruhms euch beiden, Danke.

 

Romeo:

Mir scheint, Figuren, die wie wir erdacht,

sind sehr lebendig. - Seit du hier bist, spür ich

wie das Reale von mir weicht. Was bleibt?

 

William:

Bestimm es selbst. Du hast Impuls.

 

Julia:

Ich schau,

mit neuem, besserem Verständnis nun

auf diese Marke; deute ich den Brief

nun gleichfalls besser - da ich mich nun deute

als Wesen, welches kaum Reales hat?

Wie viel Fiktion bin ich? Betrübt es mich?

Wer feiert Goldene Hochzeit nun, wo sind

die Jahre, die ich mein genannt? Nicht mal

ein Traum. - Und doch spricht aus dem Brief die Liebe.

 

William:

Ein sonderbarer Brief - er schrieb sich selbst.

Er drängte mich, dass ich ihn so erschuf.

Im Jahre Neunzehnhunderteinundsechzig -

so fern von meiner Heimat-Zeit schrieb ich

an die, die mir stets nahe sind, Vertraute.

Und wenn ich Bilder, Zeichen seh, die mich

erinnern an die liebe Schar, die ich erschuf,

dann sende ich euch Herzens-Grüße - wünsche,

mein Wille möge euch noch mehr von dem

verleihen, was vonnöten ist, um dort

im fiktionalen Raum sich zu behaupten.

 

Julia:

Du seiest William Shakespeare, hättest Kenntnis

von dem, was Romeo und mir geschieht.

Zum Glück sollen wir uns wenden - es gelänge,

wenn Schicksals-Bahn bekannt - und es gelang:

Wir durften, konnten weiterleben, hatten

Erfüllung unserer Liebeshoffnungen.

Ein Brief hat es ermöglicht.

 

Romeo:

Dieses Datum:

Warum der einunddreißigste August?

 

William:

Der Stempel auf dem Brief - von einem Postamt,

was anders ist - als Boten sind dort Engel.

Nicht jeden Brief befördern sie - Gehalt

an Liebe muss das Mindest-Soll erfüllen.

Der einunddreißigste August - das ist

des Ariels Geburtstag, den ich ehrte

in meinem Stück ‚Der Sturm‘. Er kennt die Szenen,

zitiert sehr gern und deklamiert mit Wonne.

Sein Wort gilt bei den Engeln viel.

 

Julia:

Du nutzt

Beziehungen geschickt. Wer Engels-Gunst

erworben hat, der schafft wohl wahre Kunst?

Doch wie gelang es dir zu überdauern?

Du überwandest hohe Zeiten-Mauern.

 

William:

Ich existiere noch, weil man mich kennt.

Man liest und sieht sehr gern noch meine Werke.

Und auch mein eigener Impuls, der trägt

mich weit - kann meine Schicksals-Bahn verlängern.

So dank ich Ariel, für Engels-Gnade,

dass ich heute euch besuchen konnt.

Die Goldene Hochzeit feiert - es wär schade,

wenn ihr die Grenze seht im Horizont.

Dahinter geht es weiter - wem es frommt.

 

ENDE

 


 

 


Vincent van Gogh und Paul Gauguin

 

Paul Gauguin sieht so gelangweilt aus; was soll ich ihm denn noch zeigen hier in Arles? Es ist nicht Panama, nicht Peru, es ist nicht exotisch. Wobei Peru für ihn wohl auch Heimat ist. „Also von der Stimmung, die du in deinem Gemälde eingefangen hast – wo ist die? Caféterrasse am Abend. Die weißen, runden Tische des Straßencafés deutbar als Sterne. Du willst oben und unten in Eins setzen. Lass das Himmlische, wo es ist!“

 

Paul Gauguin nippt an seinem Absinth. „Diese prächtige Gas-Laterne, so bemüht sie auch ist, die Sonne zu imitieren, sie ist ein kleines Licht. Du, Vincent, erscheinst mir mit all deiner Energie, die unruhig pulsiert, flackert, erhellen will - du erscheinst mir, wie diese Gas-Laterne. Ja, lächle nur, aber mein Vergleich mag tauglich sein, um dich was zu lehren: Beschränkung. Du kannst nicht das ganze Universum erhellen mit deinem Licht; wir sind keine Sterne. Menschenmaß. Darin liegt viel Glück. Du bist zu exorbitant.“

 

Ich bin ratlos. Komme mir vor, wie ein Verliebter, der nicht möchte, dass die Angebetete enteilt. Bin nicht interessant genug. Paul Gauguin wird abreisen – wenige Wochen nur war meine Einsamkeit unterbrochen, hatte ich jemanden, der ziemlich genau verstand, worauf ich abzielte – mehr noch, durch die Gespräche mit ihm wurde mir das undeutlich gespürte Geführtsein deutlicher. Ich erschrak, wie sehr ich, meine Malerhand geführt wird, dirigiert wird von Ihm oder zumindest einem seiner kreativsten Engel. Ich lege tatsächlich meine Hand auf seine, beeile mich zu sprechen. „Bleib. Bleibe noch einige Wochen. Ich male dir noch mehr Sonnenblumen.“

 

Paul grinst. „Noch mehr Chromgelb – und du bist schuld, wenn meine künftigen Bilder ohne Gelb auskommen müssen. - Dass wir beide so wenig Erfolg haben. Als Banker da war ich reich; und warum hab ich mich in die Arme der Malerei gestürzt? Eine schwierige Geliebte, kapriziös. Aber sie soll ja ihren eigenen Willen haben. Will sie nicht beherrschen. Bei dir ist es anders: Ihr treibt einander zur Ekstase, im Gerangel, wer nun über wen obsiegt - und eine Lust ist es, deinen Bildern diesen Werdensprozess anzusehen, wenn sie vollendet dem Betrachter sich darbieten.“

 

Ich schüttele sofort den Kopf – langsam wird daraus ein Nicken. „Welchen Weg soll ich gehen? Ich sehe drei Feldwege; sicherlich, ich könnte auch mitten durch die Felder und Wiesen stiefeln oder schleichen. Aber diese drei Feldwege – einer von denen sagt mir am meisten zu. Ist es Bestimmung? Schau die Sterne. Unendlich viele.“

 

„Ich habe deine drei Sternen-Bilder gesehen. Nicht Sternbilder sondern Sternen-Bilder – ich bin neidisch darauf, wie verblüffend schlicht und wirkungsvoll du deine Sterne prangen lässt auf der Leinwand. Mein Dasein stelle ich mir so vor: dezent scheinen, Majestät besitzend – so wie die antiken Helden als Sternbild verewigt am Firmament. Hoffen wir darauf? Nachruhm. Nehme ich dafür in Kauf, dass meine Familie mich verlässt, ich umherirre zwischen den Kontinenten, auf der Suche nach einem Paradies – und es immer zerstört vorfinde. Ach, Vincent, mit deinen Gedankengängen schaffst du es, dass ich länger bleibe, als gut für uns ist. Ich will ehrlich sein – ganz besonders ehrlich in diesem Moment – und ich werde leugnen, dass ich dieses jemals zu dir sagte: Du bist der Bessere! Den Preis, den du bezahlst für diese Innigkeit mit Gott – du bist bereit den Höchstpreis zu bezahlen, das entfremdet dich den Bürgern, so wie sie um uns sitzen; sie halten Distanz zu dir. Sie weichen zurück, als ob die Kraft, die sich in dir konzentriert, sie umhauen würde, sie kippen ließe, wie ich diesen Stuhl hier kippen lasse.“

 

Mir ist, als ob die anderen Gäste des Straßencafés noch mehr die Stirn runzeln als vorher. Besäße ich gerne ihre Sympathie? Welchen Kompromiss, welchen Verrat an meinen Intentionen erforderte dieses? Hier sitze ich, inmitten einer Lichter-Insel, Düsternis um uns. Woher soll ich das Licht nehmen, womit ich meine Bilder veredle, heilige, sie dadurch sakral werden lasse, zu einem Gebet, zu einem Gespräch, manchmal einem Monolog mit Gott? Die Einsamkeit kaschieren; fliehe ich in meine Bilder-Welten, finde ich dort den Kontakt mit mich verstehenden Seelen – und diese Seelen haben Weisheit für mich, Seelennnahrung? Ich lasse mir Käse und Weißbrot bringen.

 

„Das Reale hat seine Vorteile. Man kann es genießen – und vor allem: Es ist lebenswichtig.“ Paul Gauguin nickt bedeutungsschwer. Das Licht würde mir nicht so hell, so traulich sein, wenn uns Dunkelheit nicht umhüllen würde. Nacht. In welche Nacht marschiere ich, will gegen ankämpfen mit meiner Malerei, der das Leuchtende fehlt, selbst wenn ich Chromgelb verschwenderischst hineinmische. Ich nippe an meinem Absinth. Wir schweigen. Plötzlich setzt Paul Gauguin sein Glas entschieden hin, so dass selbst der kleine Absinth-Rest noch hinausspritzt. „Ich reise!“

 

Er schüttelt den Kopf. Sein Körper will die Entschlossenheit signalisieren – wage ich, starte ich nochmals einen Versuch ihn zum Verweilen zu überreden? Ich halte das Bild empor, was ich mitgebracht habe: das Straßencafé bei Nacht – derselbe Ort, an dem wir sitzen. Doch wir sind nicht mit auf dem Bild. Ich hatte es einen Monat vor seiner Ankunft gemalt. Wir wohnen in meinem Gelben Haus. Ist Gelb für mich noch immer die Hoffnungs-Farbe? Mein lieber Bruder Theo, hast mich so oft schon ermahnt, das Düstere nicht zu malen, Fröhlichkeit – das sei es, was Käufer anlockt, die Lebenslust, ob es nun in frivolen Formen oder bewundernden Pinselstrichen geschieht: Das lebenswerte Leben sei zu porträtieren. Und was verkünden meine Bilder?! Theo, sieh doch hin, ihr lieben Käufer seht es doch: Da sucht das Himmlische sich sichtbar zu machen im Banalsten. Alte Schuhe, müde, gebeugte Menschen – sie sind nicht herausgeputzt oder besonders vorzeigenswert, aber in meinen Bildern sind sie bemüht, Schritt zu halten mit dem Himmlischen. Ich starre auf meine Schuhe.

 

„Geht es dir nicht gut“, fragt mich Paul Gauguin, da ich aus meiner vornübergeneigten Haltung mich nicht wieder aufrichte.

 

„Ich bin wie meine alten Schuhe. Hätte ich ein einziges Bild nur verkauft – ich hätte die modernsten saubersten Schuhe nun an. Unverkäuflich. - Wie weit bist du bereit, zurückzuweichen von deinem Musen-Ideal und vorliebzunehmen für eine Zeit lang mit dem Gewünschten, dem Gefälligen?“

 

„Ach Vincent, Deine Bilder gefallen mir. Sogar mehr, als gut für mich ist. Du bist konsequenter, suchst fanatisch nach den stärksten Ausdrucksmöglichkeiten für deine Visionen. - Ich weiß davon: Du malst nicht das Äußere. Du malst, was du schauen darfst, aufgrund deiner besonderen, guten Beziehung zum Herrgott. Jeder könnte solch bevorzugte Vertrauensposition innehaben – doch üblicherweise scheut man sich, Ihm so nah zu sein. Aus Gefahr, sich selber ganz auszulöschen, aufzugehen im Gesamten.“

 

Paul Gauguin lässt sich erneut Absinth nachschenken. „Schau, da kommen unsere Modelle.“

 

Er deutet auf Joseph Roulin und seinen 17-jährigen Sohn Armand. Die beiden nehmen Platz an unserem Tisch. Joseph Roulin trägt seine Postmeister-Uniform und Armand seinen guten gelben Anzug. Ich kleide mich so nachlässig. Ihnen ist es wichtig, bei mir einen guten Eindruck zu machen; als ob ich ihnen dazu verhelfen könnte, etwas Besonderes zu sein. „Wie fühlt man sich als begehrtes Maler-Modell?“

 

„Ich bin begehrt, weil mein Preis der geringste ist: Umsonst verharre ich Stunden, die wie Tage dauern, eingefroren in einer Pose. Was ist daran noch natürlich? Muss das Leben erst einfrieren, dass man es auf Leinwand sichtbar machen kann? - Ich glaube, das ist der Grund, warum dir die Bilder von meiner vier Monate alten Tochter nicht so trefflich gelangen. Sie ist nicht erstarrungswillens. - Ich will dich beeindrucken durch meine hervorragende Wortwahl und entferne mich immer weiter von meinem schlichten Ich. Aber davon hast du mich ohnehin fortgeschleudert. Diese Gespräche mit dir haben mich in Monaten um Jahre reifen lassen.“

 

Joseph Roulin nimmt sich ein großes Stück vom Käse. Wie unsere Umgebung unsere Wortwahl beeinflusst. Aber das ist ja der Grund, warum ich mich hier in Arles aufhalte; im Süden von Frankreich leuchtet‘s – und hier könnte die Düsternis sich mischen mit warmen, mir und meinen Bildern gut tuenden, hellen Farben. Joseph ist mir ein guter Freund geworden – nur seine Frau hat Scheu vor mir. Blickt beim Porträtiert-Werden stets zu Paul Gauguin hinüber, meidet meinen Blick. Habe ich den bösen Blick?! Ich müsste es wissen, habe mich oft genug porträtiert. Trauriger Blick, ein Suchender. Ich nicke Armand zu. Ermuntere ihn zum Reden.

 

„Ich kann es ja auch, wie mein Vater, mit sonderbaren Worten versuchen. Bin nur auf dem Weg, ein Schmied zu sein. Bin kein Siegfried, der sich ein göttliches Schwert schmiedet, auf eine Art, wie es nur ein Einziger vermag. Du aber, Vincent, du schmiedest etwas Einzigartiges: bleibe dabei! Lass dir nicht raten, Dutzendware zu schmieden. Auch wenn sich das gut verkaufen ließe.“

 

Armand kreuzt die Arme, lehnt sich zurück und grinst. Selten, dass er grinst; er ist nicht mürrisch, aber als hätte das Leben nichts Außergewöhnliches für ihn parat – solch ein Desinteresse zeichnet ihn aus. Beim Zeichnen, Malen lastet dieser Ausdruck auf mir, es ist, als säße ich mir gegenüber beim Malen – bin beides zugleich: Maler und Modell. Das geht mir bei Landschaften ebenso. Ich bin die Zypresse, der Stern, der Sämann. Doch die Sonnenblumen – zu der Annäherung, Wesengleichsetzung kam es nicht in dem üblichen Maße. Zu denen insbesondere, in ihrer Unverfälschtheit, zöge es mich – doch sobald ich sie anschaue, will es mir scheinen, als entzögen sie sich meiner Düsternis, schützen sich mit dem Anschein, als ob sie gar nicht so hell, so gelb seien – verschmutze ich mit meinem Blick das Reine, Göttliche? Ich schließe die Augen.

 

„Du arbeitest zu viel. Was drängt dich?“ Armand sieht mich an. Meist schaut er vorbei – so als ob sein Blick das Ziel nicht treffen wolle.

 

Paul Gauguin erhebt sich. „Ich packe meine wenigen Sachen. Bis Weihnachten wollte ich nicht bleiben. Ich spüre es, wenn der Sturm aufzieht. Die Äste brechen dann, doch noch sind es nur die Zweige, die sich bewegen müssen, ob sie nun die Absicht hätten oder es vorzögen unbewegt zu bleiben. Ich aber habe einen Willen, kann mich dem Bewegtwerden durch den Sturm entziehen durch Abreise.“

 

„Ich weiß, welchen Sturm du meiden willst. Ihr beide seid wie unterschiedlich temperierte Luftmassen. Hitzig, kühl – es war für mich als Postmeister hochinteressant zwei solcher Herren kennenzulernen, die sich in Regionen aufzuhalten pflegen, wo mein dahintrottender Verstand nicht heimisch ist. So wie dieser Gaul mit seiner Pferdekutsche nicht die Berghänge erklimmen sollte in Art einer Bergziege – und dennoch habe ich euch mit Bewunderung verfolgt, wie ihr schwindelnste Gedankenhöhen ohne Anlauf hinaufgeschossen seid. - Nenne ich den Absinth als Begründung für mein unstandesgemäßes Schwadronieren?“

 

Ich proste ihm zu. Habe kaum Freunde. Bin froh, dass Joseph mir offener begegnet als seine Frau, der ich nicht ganz geheuer bin.

 

Hätte ich Paul Gauguin doch ziehen lassen. Es zog ihn fort, als sei er ein Schwarm Wildgänse und die Kälte sei auf dem Vormarsch. So aber brach die Kälte ein über uns beide. Ich litt den Rest meines Lebens unter der Eskalation, die ich nicht imstande war aufzuhalten mit meinem Gemüt, sondern …

 

Lieber Theo, ich weiß nicht, ob ich dir diesen Brief senden werde. Er ist verknüpft mit einem der stärksten Malwerke. Ich hielt es als Bild in der Hand und saß inmitten des Bildes. Unter dem Gelb, in Licht gekleidet. Warum leide ich? Entbehrung. Dein Geld nehme ich und ich nehme Gottes Wohltaten – was kann ich erwidern? Düsternis. Die vage Hoffnung, es möge mir gelingen Himmel, Horizont und Irdisches zusammenzunähen, zusammenzufesseln, zu verschmelzen im Farbenrausch, der aber sachlich zu sein hat, zweckdienlich. Keine Auflösung dulde ich, will gewahrt lassen das Formhafte.

 

Ich sprach von den drei Feldwegen. Ein Weg führt ins finanziell Erfolgreiche, ein anderer zur Seelenruhe, und der dritte, meiner, stachelt meine Seele auf zu Erkenntnis, Einfühlung, Erleben, was nicht unproblematisch ist. Denn ich gestehe: Ich werde das, was ich male.

 

Sicherlich, ich könnte querfeldein über die Wiesen und Felder weglos meinen Weg gehen, doch ist es dieser eine Feldweg, der – zumindest in meiner Sichtweise – hoch hinauf zu den Sternen führt.

 

Im Leben bin ich gescheitert, es ist, als sei mein Leben aufgesogen worden von meinen Bildern. Bin inmitten von ihnen. Bin den Weg gegangen, wo meine stärksten, großartigsten Bilder auf mich gewartet haben.

 

In Liebe Dein

Vincent

 

 

ENDE

 

 

 

Angriff auf den Planeten Deltor

 

Ermüdende Besprechung im Raumschiff? Nicht, wenn Kapitänin Tess anwesend war – und heute sogar Bara, die ihr in vielem glich, denn ich hatte mich sehr gerne inspirieren lassen bei ihrer Erschaffung, ihrer Programmierung von den Gedanken an Tess; denn meine Gedanken schweiften ohnehin in schöner Regelmäßigkeit zu Tess – und damit verband ich meine Nachlässigkeit und Gedankenstreunerei mit etwas Nützlichem. Bara ist ein Hologramm, aber greifbar, sogar auf sehr angenehme Art greifbar, fühlbar. Meine Hand legte sich wie von selbst auf Baras Arm, ich wollte meine Hand diskret zurückziehen, doch Bara blickte mich ermunternd an und mit derlei Beschäftigungen rauschte die Mannschafts-Besprechung beinahe unbemerkt an mir vorüber. Erst als Raymond aufsprang, konzentrierte ich mich auf die Situation hier am ovalen Tisch. „Ein günstiger Zeitpunkt. Wir brauchen den Planeten Deltor! Haben wir je gefragt, was mit den derzeitigen Bewohnern ...“

 

Kapitänin Tess stand auf. „Es geht nicht um Moral. Wir benötigen einen offiziellen Kriegsgrund. Am besten, wir schicken ein paar Leute hinunter und die zetteln was an. Wer meldet sich freiwillig?“

 

Ihr Blick wanderte zu jedem einzelnen; man hatte den Eindruck, dass sie ihre Favoriten zuerst anblickte. Da ich der Zweite war, den sie anblickte, war mein Tag gerettet. „Ich werde selbstverständlich den Trupp anführen“, fügte Tess hinzu. Sofort schossen mehrere Hände in die Höhe. Wie kindisch können Männer sein, wenn sie die Möglichkeit haben, sich lieb Kind zu machen bei ihrer attraktiven Raumschiff-Chefin. Okay, mein Arm war auch hocherhoben und ich blickte so erwartungsfroh, als ob es einen Badeurlaub mit Tess zu gewinnen gäbe und nicht einen Kriegseinsatz. Ein Lächeln umspielte Tess‘ hübschen Mund, und Bara gab mir einen seitlichen Tritt. „Pardon.“

 

Ich litt an Reizüberflutung. Aber litt ich? Eine süße Qual, sich nicht entscheiden zu können, nicht entscheiden zu müssen, welcher Reiz reizvoller ist. Ich beschloss über Raymonds Behauptung nachzudenken. Etwas Sachlichkeit würde mich abkühlen. Bara war einsatzbereit. Von nun an erschien mir alles, wie ein günstiger Zeitpunkt zu sein. Ich hatte mein Meisterwerk vollendet. Ich hatte in dieses Universum meine Genialität gebündelt und gestaltet: Baras Hologramm-Gestalt, ihre Fähigkeiten verdankte sie hauptsächlich mir. Wieso räusperte sich Bara? Aufmerksamkeit, ihre Interessen durchsetzen. Vermutlich war Tess ihr gar nicht so oppositionell gesonnen, auch wenn sie Bara bereits mehrfach den Strom abgeschaltet hatte und Bara flirrend sich auflöste in schillernde Partikel; wo vorher Einheit war und Person ... Ich musste mich jetzt wirklich konzentrieren auf die Anwesenden; doch die Crew kannte ich seit langem, doch unvertraut war mir Bara. Sie könnte uns begleiten auf den Planeten Deltor. Es war mir nun gelungen, sie unabhängiger zu machen von der Hauptsendeeinheit auf unserem Raumschiff: durch eine tragbare Verstärkereinheit. Ich werde Tess vorschlagen, Bara mitzunehmen, doch dazu gehört viel Diplomatie. Und da beginnen die Schwierigkeiten. Wenn ich in Tess‘ Augen sehe, dann schmilzt die Diplomatie und ich Narr sage exakt das, was ich gerade denke. Peinlichste Komplimente. Bara räusperte sich nochmals. Sie saß gegenüber von Tess am anderen Ende des ovalen Tisches – ihre Sitzwahl sollte ihre oppositionelle Haltung verdeutlichen: Sie sah sich als Korrekturprogramm für Tess. Ist Bara mehr als ein Programm? Sie selber ist überzeugt davon. Wie sagt man einem Hologramm, dass seine Realität konstruiert ist?

 

„Ich werde bei dem Außeneinsatz dabei sein. Ihr benötigt meine Datenbank und meine Übersetzungstätigkeit.“ Bara klang erfrischend selbstbewusst; herrlich selbstherrlich. Ja, sie hat mehr von mir, als vorgesehen. Verstärkte sie absichtlich die Wesens-Ähnlichkeit mit mir? Ich bin der hauptverantwortliche Programmierer – Bara ist gewissermaßen mein Kind. Doch ich hege weitaus mehr als nur väterliche Gefühle für sie. Da sie auch eine Projizierung meiner Ideale darstellt, stecken in ihr zwar nicht meine Gene, aber meine Meme: Das, was ich angesammelt habe an Reife, Raffinesse, Reichtum an schwer erlangten Gedanken ist hochkonzentriert in ihr enthalten.

 

„Ich bin einverstanden. Hat jemand Einwände?“ Tess‘ Blick verweilte jeweils längere Zeit bei den am Tisch versammelten Crew-Mitgliedern. So, als ob ihr nicht an einer verbalen Antwort gelegen war, sondern am Mienenspiel. „Raymond, Bara, Jerry – ihr seid dabei. Wir nehmen den großen Jet-Container. Das ist zwar auffälliger, aber wir haben dann mehr Ausrüstung dabei. Kann sein, dass wir alles im Alleingang machen müssen.“

 

„Du willst den ganzen Planeten erobern mit einer Vierer-Besatzung, wobei ein Crew-Mitglied ein wabbeliges Hologramm ist?“

 

„Raymond, ich bin doch kein Pudding! Außerdem ist bei mir alles fest und knackig.“

 

Bara schlug sich mit einer Hand auf ihren Po. Ich war beim Team dabei; habe mich noch gar nicht vorgestellt: Jerry ... meine weiteren Personalien behalte ich doch lieber, bis wir uns näher kennen. Es gibt die sonderbarsten Leser. :-)

 

 

***

 

 

Ich stand im Jet-Container und blickte zurück auf unser Raumschiff. Es war meine Heimat – und mich überkam schon auf diese kurze Distanz Heimweh. Wie verkraftete Bara dieses Getrennt-Sein? Müsste es nicht sein, als ob die Nabelschnur nun durchtrennt wird – sie entbunden dem Raumschiff und kann als eigene Einheit, autark ...

 

„Ich bin nicht autark“, unterbrach Bara meine Gedanken. Vermutlich kann sie meine Gedanken lesen, oder aber sie errät meine Gedanken aufgrund unsrer Wesens-Ähnlichkeit. „Bin ich ein offenes Buch für dich?“

 

„Ja, und sogar lesenswert.“

 

„Kannst du auch meine Gedanken lesen?“, fragte Raymond und stellte sich vor Bara.

 

„Je näher ich dir bin, um so größer sind meine Chancen.“ Sie zog Raymond zu sich heran.

 

„Wir werden gerade beschossen. Mehrere Geschwader nähern sich uns.“ Tess klang besorgt.

 

„Soll ich die Kontrolle übernehmen über unsere Verteidigungsmaßnahmen? Ich stehe in direktem Kontakt zur Kontrolleinheit unseres Jet-Containers. Er ist nicht sehr wendig; eine Flucht halte ich für ausgeschlossen.“ Bara war die Ruhe selbst.

„Okay! Leg los.“

 

Ich gebe zu, dass selbst in dieser bedrohlichen Situation mein Augenmerk vor allem Bara galt und kaum den Geschwadern oder dem Planeten Deltor. Ich hatte sie generiert, hervorgebracht und ausgestattet mit den mir bestmöglichen Programmzeilen. Am Anfang war das Wort – Befehle, Routinen, vererbte Programmstrukturen – und all dieses war nun in der Lage uns souverän zu verteidigen ohne einen Anflug von Sorge: Bara, ich vergöttere dich.

 

„Du hättest Anspruch darauf, von mir als Gottheit angesehen zu werden.“ Könnte zunehmend peinlich werden, wenn Bara auf meine Gedanken antwortet.

 

„Sage mir, welche Gedanken zum peinlichen Bereich gehören und ich berücksichtige das.“ Unglaublich, da ist sie mittendrin in einem Weltraum-Kampf und hat Zeit meine Wünsche zu beherzigen.

 

„Bara, bis jetzt hast du noch keinen einzigen Treffer – übst du noch – oder wann schießt du endlich in eines dieser Geschwader! Unser Schutzschild hält dieses Bombardement nicht länger aus!“ Tess drängte Bara beiseite.

 

„Eventuell ist der Zeitpunkt doch nicht so günstig“, meinte Raymond und stürzte zu Boden, weil heftigste Erschütterungen durch den Jet-Container vibrierten. „Ich hatte gehofft, dass mit Baras Hilfe das Planeten-Erobern ein Kinderspiel wird. Wir alle wären in der Hierarchie aufgestiegen. Ich hätte mein erstes Kommando oder aber einen Lehrauftrag an der Weltraum-Akademie bekommen. - Ich hätte dir noch mehr assistieren müssen – in Bara steckt zu wenig von mir.“

 

„Ich war eifersüchtig – als ob dein Zutun Bara infizieren würde mit fremdem Gedankengut. Sie faszinierte mich, von Anfang an spürte ich, dass das das Großartigste sein könnte, was ich bislang erdacht habe. Mein Fehler, wenn Bara nun nicht genügend ausgestattet ist mit Programmen und Meta-Programmen.“

 

„Sie steuert uns mitten hinein – ich komme nicht mehr an die Steuerung. Sie hat sie blockiert.“ Tess raufte sich die Haare. Das sah nun wieder sehr aufreizend aus. Ob Tess aufgefallen war, dass Bara ihr in Vielem glich – es war nichts Offensichtliches, eher liebevolle Anspielungen: ihre Mimik, ihre Angewohnheiten. Bara fuhr sich gleichfalls durch die Haare.

 

„Du hättest Bara mehr mit handfester Mathematik füttern sollen, statt mit Parabeln und kurvenreichen Anspielungen zu mir.“ Tess stemmte ihre Hände in die Hüfte.

 

„Bei solchen Kurvendiskussionen hätte ich mich auch vehement beteiligt.“ Raymond schmunzelte, was angesichts des andauernden, argen Beschusses durch die deltorianischen Geschwader dazu beitrug, eine anheimelnde Atmosphäre zu erzeugen, zusammen mit der Unbekümmertheit von Bara. Oder war sie nur nicht genügend problembewusst? Mir wiederum wurde bewusst, dass ich als Weltraum-Held verhältnismäßig viel sinnierte, statt sinnreich zu agieren. Hatte ich das Handeln verlagert auf Bara? Hatte sie mir meine Handlungszuständigkeit aufgesogen mit ihrem Vorherrschen in meinen Gedanken? Zu ihr strömte alle meine Energie. Sie zu programmieren, war das Mühsamste, was ich je vollbracht hatte.

 

„Ich glaube, Bara ist genial. Sie hat uns mitten hinein gesteuert und hat soeben den Magnet-Schock-Impuls gestartet.“ Raymond gab Bara einen Kuss auf die Wange.

 

„Du hast recht. Es ist so ruhig. Kein Beschuss. Die sind so hilflos wie auf den Rücken gekippte Käfer. Wir brauchen sie nur noch einzusammeln. Sag einem Team Bescheid. Wir landen auf Deltor. Bara, willst du das Kommando übernehmen?“ Tess lächelte.

 

„Ab jetzt geht es um Diplomatie. Von jeher nicht das Spezialgebiet der Menschen. Könnte sein, meine Schaltkreise sind euren Neuronen-Verschaltungen um einiges voraus: Bin ich die Intelligenz, die das Universum begreifen wird, werde ich als Erste auf dem Gipfel ankommen und das Sein in seiner Gesamtheit überschauen?“ Der Planet Deltor war sehr gebirgig. Daher hatte Bara ihren Vergleich mit dem Gipfel.

 

„Absolut geeignet für menschliche Besiedlung. Einer der begehrtesten Planeten. Doch der wahre Grund, warum wir hier sind: Deltor plant einen Angriff auf die Erde. Sie haben eine Spezial-Waffe entwickelt, eine ungewöhnliche Rakete; wir nennen sie Tura.“

 

„Gibt es Tura oder ist das unser Vorwand zum Angriff?“

 

„Tura ist eine Rakete, die tunneln kann; sie baut sich selber ihre Tunnel in die Raumzeit.“

 

„Sollen wir die Baupläne besorgen?“

 

„Wir haben freie Hand. Ziel: die Erde retten und Deltors Angriff vereiteln.“

 

„Deswegen wurden mir großzügig die Gelder bewilligt für den Bau von Bara? Vordem wurde es als Spielerei abgetan, als Spleen eines Programmierers, der aufgrund seiner überragenden Intelligenz an einem dauerhaften Bore-Out Syndrom leidet? Gelangweilt im Übermaß, weil das Bestehende gut funktioniert und man mit Wartung und Reparatur des Bestehenden bequem über die Runden kommt, bis dann eine Runde eingeläutet wird, in der es wirklich hart auf hart kommt.“

 

„Dann verdanke ich meine Existenz Tura? Für mich war diese Rakete ein Segen?“

 

„Wäre es nicht vorteilhaft, wenn wir Tura besäßen und das Wissen darüber, wie man sie baut? Ich bin ein Meisterdieb. - Schau deine Armspange – habe ich dir eben entwendet.“ Raymond befestigte sich Tess‘ Armspange auf seinem muskulösen Arm.

 

„Ja, du Meisterdieb, ich hoffe, dein Talent kann die Erde retten.“ Sie klopfte ihm tatsächlich auf die Schulter! So viel Zuwendung – die

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Bildmaterialien: Cover von coka/bigstockphoto.de
Tag der Veröffentlichung: 26.09.2013
ISBN: 978-3-7309-5154-5

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