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Matthias Claudius und Paul Gerhardt im Mondschein

"Es sind die Reste meines Tempels. Ich komme gerne hierher. Habe sonst nur Mond als Begleiter. Schön, dass Ihr beiden wieder bei mir seid. Unser letztes Gespräch verlief recht heftig. Mich, Luna, dürfe es ja gar nicht geben. Heidnisch sei ich! Ihr Pietätsvollen! Gestattet Eure Frömmigkeit kein Abweichen, kein Erweitern ins Universelle? Ach, wie ich unsere Streitereien vermisst habe." Luna, die Mondgöttin, rekelt sich auf einer Marmor-Bank, die beinahe wie eine Couch aussieht. Sie deutet links und rechts neben sich. "Setzt Euch. Gebt mir Halt. Matthias, Du hast mir damals ein sehr schönes Geschenk gemacht mit Deinem 'Abendlied'.

'Der Mond ist aufgegangen,

Die goldnen Sternlein prangen'

Ich habe es eben gesungen. Vielleicht auch als Lockruf. Ich weiß, Du kannst diesem Ruf kaum widerstehen. Er hat Dir Weltruhm, Lumineszenz verschafft. Ich spüre Deine Strahlkraft." Sie betastet seinen Oberarm. Matthias Claudius meint: "Nun wäre ich doch gerne alleine mit Dir hier auf dieser Bank, die mir von Mal zu Mal weicher scheint. Ist's immer noch derselbe Marmor?" Er knufft Paul Gerhardt in den Rücken. Luna: "Das habe ich gesehen! Vertragt Euch!" Paul Gerhardt:

"'Nun ruhen alle Wälder,

Vieh, Menschen, Städt und Felder,'

Auf meinem Text ruht Dein Erfolg. Gut, Du hast den Mond ins Spiel gebracht. Und die überraschende Erkenntnis, dass, um das Ganze wahrzunehmen, unsere Wahrnehmung nicht ausreicht. Etwas muss hinzukommen: Verstand, Überlegungen, Glauben. Sehr schön und treffend formuliert. Ich habe Beifall geklatscht aus dem Elysium - oder wie auch immer man diesen Ort bezeichnen mag, der so wenig gemein hat mit dem, was ich und Pietisten sich ausgemalt hatten. Tempel stehen hier! Und heidnische Gottheiten. Synkretismus habe ich gemieden! Wollte die reine Lehre. Und wo stecke ich nun? Inmitten einer Vielheit, die mich wie ein Jahrmarkt dünkt und dennoch heilig.

'Seht ihr den Mond dort stehen?

Er ist nur halb zu sehen,

Und ist doch rund und schön!

So sind wohl manche Sachen,

Die wir getrost belachen,

Weil unsre Augen sie nicht sehn.'"

Die drei sehen zur Mondsichel, die in den Innenhof eines riesigen Schlosses zu blicken scheint. "Ist's Walhalla? Blicke da nicht durch. Auch dass Du, Luna, in Abendgarderobe, fließender rosa Seide, lasziv bei uns weilst, erscheint mir unpassend und hochwillkommen zugleich. 'Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust.' Die Lust am Lustigen, das, was uns Welt offeriert und wir brauchen's nur anzunehmen - oder sollen wir Eremiten-Weisheit uns erkaufen durch Schweigen, Ruhe-Bestreben?" Paul Gerhardt springt auf und geht zwischen den gigantischen Marmorsäulen auf und ab. "Welt ein Tempel? Umherwandernd zwischen Säulen - und ist jede Säule eine Religion? Bilden sie zusammen neues Gebäude?" Er rauft sich die Haare. Matthias Claudius: "Tja, gibt hier keine Allongeperücke, um Schönheit vorzutäuschen. Echte Haare, echte Religion - darauf läuft es hinaus: Was um uns und in uns ist Schein? Mir ging es in meinem Gedicht um das Vorhandene, dessen wir uns nicht gewärtig sind. Was ist Gegenwart? Nur der Bereich, den mir meine Sinne abstecken? Sinnliche Welt. Uns beiden ging es um das Jenseitige - nun stehen wir inmitten des Jenseitigen und ahnen, dass da weiteres Jenseitiges verborgen ist. Wir machen uns erneut auf, es zu erspüren mit Worten; reimen; wollen Schönheit der Welt im Gedicht sich wiederfinden lassen. Und dennoch schlicht. Aufwand vermeiden. Soll nicht herausgeputzt aufmarschieren wie Parade." "Oder wie eine leichtlebige Dame?", ergänzt Luna. Sie rückt dichter an ihn heran. "Wie sehr scheine ich - und wie sehr werde ich beschienen von männlicher Schaffenskraft? Dichter. Die Mondgöttin angewiesen auf Euch, wie trojanische Helden auf ihren Homer, dass er sie in marmorne Worte haue, die die Stabilität haben, ein Äönchen zu überstehen." Matthias Claudius:

"Luna, angestrahlt von Dir,

möchte ich Äonen wachen.

Sehe dich in voller Pracht."

Luna:

"Bist erbaut von halben Sachen?

Wer bescheint nun wen, Du Dichter?

Schönheit ganz, erträgst Du sie?

Seid Ihr meine Sterne? Wacht!

Nacht-Begleiter. Wohlvertraut.

Was ist uns Entfernung!? Lacht!"

Sie tanzt im Mondlicht. Paul Gerhardt setzt sich zu Matthias Claudius auf die Marmor-Bank, sagt: "Haben wir durch Gedichte Wunderbares in die Welt gesetzt? Ging es uns darum? Der Frömmigkeit den Weg bahnen durch Beiseiteschieben des an sich Unleugbaren: Die Welt ist roh, vulgär, bestialisch. Dreißigjähriger Krieg hat mich geprägt - ich bin geflohen in Liederrausch. Dort soll Hoffnung sein! Ich habe sie hineingeschrieben! Jesus als Garant. Wo ist er? Sind wir in Frühform eines Jenseits-Stadiums? Müssen wir uns hocharbeiten zu christlicher Ära? Reichen unsere Worte? Können sie dort hingelangen?" Luna singt 'Der Mond ist aufgegangen'. Matthias Claudius: "Kann es sein, dass die Wolken tanzen? Wie oben, so auch auf unserer Ebene: Gleichnis suchen im Sichtbaren für das Mysterium. Adlerflug deuten. Wolkensprache übersetzen. Sind wir Zeichen-Süchtige geworden dadurch? Der Schein trügt. Aber wenn der Schein so lieblich ist, sie so reizend umschmeichelt: Mondenschein tändelt mit Luna. Selbstliebe? Sie ist es hier wie dort: zum einen Symbol, Inkarnation zum anderen das Gemeinte." Luna wirft ihnen zwei Allongeperücken zu. "Kostümiert Euch! Wir gehen auf den Ball. Ja, ins große Schloss! Und Einlass wird dem gewährt, der Schein und Sein fein unterscheiden kann beim Test. Alles Test. Jede Stufe. Jeder Palast. Jedes Äon erneut." Paul Gerhardt: "Wozu dann Dreißigjähriger Krieg? Pietismus als Chance, durch Empfindsamkeit Gefühl für Welt zu bekommen?

'Wir spinnen Luftgespinste

Und suchen viele Künste

Und kommen weiter von dem Ziel.'

Ich bediene mich Deinem Gedicht - hier sitzen wir - verweilen wir, weil unsere Gedichte, Lieder sich bewährt haben? Volksgut. Man wird zitiert. Kinder in den Schlaf gesungen mit Deinem Mond-Gedicht." Matthias Claudius: "Ist vieles darin von Dir. Inspiration. Das Vorhandene verwenden, fortführen. Vielleicht ist Universum eine Entwicklung, ein Voranschreiten zu immer raffinierteren Epen, alles erdichtet?" Luna: "Meine Helden!" Luna wirft ihnen zwei Degen zu. "Duelliert Euch mit gewitzten Worten statt mit gewetzten Waffen? Wie viel Witz braucht man, um den Spaß des Ganzen mitzubekommen? Eventuell ist alles dies ein Maskenball? Und jeder hat Vergnügen daran, in die ihm gerade gefällige Rolle zu schlüpfen. Sich zu amüsieren und um Verständnis zu ringen. Ist es nicht ein Spaß, sich zu kostümieren, um der Wahrheit auf den Zahl zu fühlen, zu erkunden, wie viel Wahrheit im neuen Schein sich auftut? Immer wider neu - aus diversen Perspektiven Szenerie beleuchten - als ob man herumginge um Tempel-Säule, verstehen, dass sie nicht flach ist, sondern Dimension hat ... wer weiß, wie viele Dimensionen, wenn man sich erneut und erneut kostümiert!" Währenddessen hat Luna ihr Kostüm gewechselt: Sie trägt einen Lendenschurz. "Wenn ich so die Arme ausstrecke vor der Tempel-Säule - erinnert's Dich an jemanden? Jemanden, den Du suchtest? Bedichtet hast? Könnte ich's sein? Trügt der Schein? Ich in heidnischen Kostümen. Ich in Frauengewand. Ich ohne Gewand. Leih mir Deine Rednergabe, dichtest dann für mich." Matthias Claudius und Paul Gerhardt sagen unisono: "Jesus?!"

 

ENDE

Impressum

Bildmaterialien: Alan Ayers http://www.alanayers.com/Scenes/09_Kiss-The-Moon.html
Tag der Veröffentlichung: 10.09.2013

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