Jahr 1790
In dem Arbeitszimmer vom Grafen Faust
(Faust geht im Zimmer auf und ab)
Faust.
Die inn‘re Sonne bleibt verhangen.
Durchflutend Licht, es bleibt Verlangen.
Kaum spür ich ihre Wärme noch.
Beharre ich auf meinem Dennoch?
Das Wissen ward zu Wolkenmassen.
Wird meine Sonne mir verblassen?
Von jeher spürt ich ihren Schein.
Das Gute sollt mit ihm gedeih‘n
Und wenn mein Wille nur Marotte,
Wie eine blöd-marode Motte,
Um ‘ne Latrinen-Lampe kreist?
Dann fühl ich mich so recht verscheißt!
Sein Diener James tritt ein
James.
Herr Graf, ich weiß für schlichte Leut
Geziemt sich Versmaß nicht; doch heut
Ist Sonntag, drum gestattet‘s Eurem Diener.
Auch meiner Nachricht wär‘s geziemer.
Faust (hört kaum hin und ist in Gedanken).
Ich schuf mir einen Wissens-Dschungel.
Verirrt! Wo ist mein Rettungs-Engel?
James.
Ein Fürst Mephisto will Sie sprechen.
Darf er Ihr Grübeln unterbrechen?
Faust (weiterhin in Gedanken).
Die Tiefe wollte ich ergründen,
Um dort das Ewige zu finden.
Verstandeskraft mich scheitern lässt.
Dann gibt Magie mir wohl den Rest?
Verstand ist immer indirekt.
Magie die Tiefe in mir weckt?
James.
Des Fürsten Reich, es läge tief,
Und frei sei‘s von Verstandes-Mief.
Mephisto tritt unaufgefordert ein.
Mephisto.
Finsternien ist ein heißes Pflaster.
Dort geht‘s heiß her auch ohne Zaster.
Es ist dort himmlisch – und doch anders.
Wer müde des auf Erd‘n Gewanders,
Taucht in ein läng‘res Schwefelbad.
Weitabgeleg‘n vom Tugendpfad,
Auf dem die Lämmer blökend trotten.
Anstatt sich mal zusamm‘nzurotten,
Zum Teufel jagen ihren Hirten,
Mit dem sie sich eh nur verirrten.
Und endlich mal auf eig‘ne Faust
Die Sache fingern, statt fingieren.
Doch davor hat sie‘s stets gegraust.
Das geht den Lämmern an die Nieren.
So stehen sie belämmert rum,
Auf grüner Aue – darbend, dumm.
Faust.
Ich wähnte mich am Wissensquell.
Sie schickt der Himmel; mir wird‘s hell.
Mephisto.
I wo, ich bin emporgebraust.
Faust.
Ich, der bei trock‘nen Büchern haust.
Wie könnten diese mich erfrischen?
Den drängend Lebensdurst mir löschen?
Ja, Faust, Du musst auf eig‘ne Faust
Zum Lebensquell, dem Du vertraust.
James (leise zu Faust).
Und finden Sie Mephisto nicht,
Na, sagen wir – total meschugge?
Faust (leise zu James).
Der Mann ist Fokus, sammelt Licht,
Vereint in sich die Weltenstücke.
James (leise zu Faust).
Der Mann ist Hokus, wohl auch Pokus.
Ja, das ist doch der Bösewicht!
Okay, Sie seh‘n wie ich entzücke.
Ich schweig. Ich kenne meinen Knigge.
Ich brauch nen Cognac. Auch für Sie?
Faust.
Ja. Edles saufen schadet nie.
Mephisto (ad spectatores).
An Faustens Seele komm ich billig.
Zum Dumpingpreis. Er ist so willig.
(James hat allen Dreien Cognac eingegossen)
(Mephisto spricht wieder zu den beiden)
Ein Hoch auf das, was diese Welt
Im Innersten zusammenhält.
James.
Ja, auf die werte Korruption!
Faust.
Sag, was zwingt Massen zueinander?
Ist möglich auch die Negation?
Wie leugne ich die Erdenschwere?
Und darf ich sein ein einsam Wandrer?
Fern den Massen – in der Leere?
Mephisto.
Bewahr‘n Sie sich den Seelenfrieden!
Ich kauf nur gut erhalt‘ne Seelen.
Zermürbte Ware wird gemieden.
Drum quer durchs Leben statt Querelen!
Faust.
Beseeltes, das hat Konjunktur.
Ja, für sein Ziel die Seele geben,
Und ist der Weg dorthin Tortur.
Nur dieses kann den Menschen heben.
Und wandelt seine Schatten-Seele
Zu seiner wahren Sonnen-Seele.
James (ad spectatores).
Die hab‘n ja beide einen Schatten.
Tja, und das ohne zu ermatten.
(Er fragt Faust)
Noch einen Cognac vor dem Kollaps?
Mephisto.
So ist Ihr Leben nur Gejapps?
Als gäb es nur das Edelweiß.
Bis dahin ist er‘n Jubelgreis!
Ich hätte da ‚n Rosengarten.
Mit Rosa, Röschen, Rosamunde,
Roswita, Rosi, Rosalinde,
Rosanna. Das ist Hosianna!
James (lüstern).
Hätt‘ auch gern einen Rosengarten.
Oh ja, bei Blümelein den zarten,
Als Gärtner mit dem Gartenschlauch.
An Wasser hätt‘ ich viel Verbrauch.
Mephisto.
Wie wär ein Date mit Helena?
Der Schönsten der Antike, ja?
Faust.
Auf Tausenjähr‘ge steh ich nicht.
Ja, ist nichts Jüngeres in Sicht?
Mephisto (ad spectatores).
Ein blöder Job; ich komm in Rage.
(zu Faust)
Wir könnten Gretchen auch besuchen.
Aber die stellt dann die Gretchenfrage.
(ad spectatores)
Und ich fang jetzt schon an zu fluchen!
(er sieht, dass Faust kein Interesse zeigt)
(zu Faust)
Ich seh‘s, Ihr wollt zum Edelweiß.
Titan, was nützte Dir Dein Fleiß?
Schon ist der Bücherberg in Dir
Olymp! Nur eben aus Papier.
Ja und das Felsmassiv der Wahrheit,
Steht trutzig da in Einsamkeit.
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Bildmaterialien: Faust im Studierzimmer (Gemälde von Georg Friedrich Kersting, 1829)
Tag der Veröffentlichung: 12.10.2011
ISBN: 978-3-7309-6313-5
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