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Jesus und das Thomasevangelium

 Petrus bringt Jesus einen Becher Wasser. Petrus: »Du bist wahrlich wieder hier. Gesund, unversehrt. Wie geht das zu? Du hast uns vieles gesagt und angedeutet. Ich selber deute unentwegt Deine Sätze, Sprüche, Gesten. Du bist mir nach wie vor ein Rätsel. Woher kommt Deine Überzeugung? Deine Kraft Dich hinauzudenken über das Althergebrachte und Bewährte? Es sind viele Fragen auf einmal, und ich weiß, Du wirst keine davon beantworten. Du wirst die Menge meiner Fragen noch um eine weitere vermehren und ich werde noch ratloser vor Dir stehen. Bist Du deswegen zurückgekommen? Um mich, um uns, noch mehr zu verwirren, auf dass wir wachgerüttelt werden aus dem Vertrauten und uns aufmachen das Unvertraute zu erforschen mit wachem Blick? Ich bin von solchen Gedanken schon ganz müde. Wo soll das hinführen? Du hast ein Wunder vollbracht oder an Dir vollbringen lassen. Wie sollen wir Dir nacheifern, folgen können, wenn wir nicht einmal die Hälfte verstehen von dem, was Du planst oder sagst? Denn ich gestehe: Wir Jünger nicken oft zu Deinen Worten und tun so, als hätten wir verstanden. Doch hinter Deinem Rücken gestehen wir einander ein, dass wir nichts verstanden haben; nicht einmal eine Ahnung haben, wovon Du wieder geredet hast. Ich bitte Dich, flehe Dich an, sprich deutlicher zu mir nun; dieses eine Mal. Und verzeih mir meinen Unverstand. Wie soll ich die Menschen etwas lehren, was ich selber nicht begreife? Du sagst, der Heilige Geist würde mir helfen. Ich vertraue darauf. Aber ich ahne doch, dass Du nicht mehr lange bei uns bleibst, nicht mehr ansprechbar sein wirst in dieser Unmittel- barkeit. Du wirst dann noch weiter entfernt sein als zuvor.«

Petrus nimmt einen Schluck Wasser von seinem eigenen Becher und blickt Jesus an. Jesus legt ein Holzscheit nach auf das Lagerfeuer und blickt auf den See. Maria von Magdala kommt aus dem Wäldchen und setzt sich zu ihnen. Sie trägt einige Äste und Zweige. Diese legt sie neben das Lagerfeuer.

Petrus: »Das ist typisch; immer wenn ich die belehrende Nähe meines Meisters suche, erscheinst Du, Maria. Ich wäre so gerne ungestört, nur ein einziges Mal. – Das stimmt nicht, eigentlich viele Male, denn die Unmengen, die ich an Fragen habe, die lassen sich nicht erschöpfend behandeln in einem kurzen Plaudergespräch.«

Maria: »Du bist seit Jahren in der Nähe von Jesus. Beklage Dich nicht bei mir, wenn Dein Verstand nicht fassen kann, was Dein Meister spricht. Ich habe hingegen fast alles verstanden. Doch mich würdest Du ja niemals fragen, ob ich Dir beim Deuten behilflich sein könnte. Ich bin nur eine Frau, eine Handbreit entfernt von dem Sklavengesindel; so siehst Du mich doch, nicht wahr? Der Reichtum meines Vaters, meine Bildung, meine Belesenheit, meine Anmut – das alles erhebt mich nicht in Deinen Augen auf Augen- höhe mit Dir, Du großer Petrus. Großer Fels, der Du bist, männliches Urgestein, an dem dennoch die weisen Worte abperlen wie Regenwasser. Dringt keines dieser Worte in Dich hinein? Öffne Dich der Weisheit, sei weniger ein Stein, ein Fels, sei vielmehr wie das Moos oder das Gras, was das Wasser aufsaugt, in sich aufnimmt – und das Wasser wird ein Teil von ihm. Vielleicht ist es Deine Felseneigenschaft, die das Wasser abperlen lässt. Diese rhetorische Frage stellt eine unwissende Frau. Überhöre einfach meine Frage, wenn sie Dir zu lächerlich erscheint oder ich Dir zu unwürdig.«

Sie gießt sich einen Becher Wein ein und fragt Jesus: »Möchtest Du auch einen Schluck Wein? Ich habe diesen Weinkrug eben geschenkt bekommen von den Fischern dort drüben.«

Petrus: »Du siehst doch, dass er meinen Becher Wasser mit Behagen trinkt. Warum willst Du meinen Becher verdrängen durch Deinen Wein? Willst Du mich auf jedem Gebiet verdrängen? Ich kann es Dir nicht verübeln. Kühn habe ich mich nicht benommen. Dreimal habe ich Dich verraten, Jesus, so wie Du es mir geweissagt hast. Jetzt frage ich mich, ob ich Dich deshalb verraten habe, weil Du es mir geweissagt hast. Denn empfänglich bin ich für Deine Worte und Einflüsterungen. Du steuerst uns mit Deinen Suggestionen, dass es über das erträgliche Maß hinausgeht – manchmal. Sei nicht aufbrausend deswegen, aber Judas Ischariot hast Du gehörig zugesetzt mit Deinem Reden von Verrat und Verräter und wer es denn sei, der Dich verraten würde und wann; und mit jedem Detail hast Du es ihm unter die Nase gerieben, was er zu tun habe zum rechten Zeitpunkt. Wenn das keine Suggestion war, dann will ich nicht mehr Petrus heißen; dann suche Dir einen anderen Felsen; oder suche Dir Moos und Gras, auf das Du Deine Kirche bauen kannst. Doch ob sie dann noch so feste steht? Man darf’s bezweifeln. Ich wäre gerne der große, mächtige, dauernde Fels. Doch kleinmütig bin ich geworden durch meinen Verrat an Dir; und meine Unwissenheit erscheint mir übermächtig groß; größer als je zuvor, wo ich nun vor Dir sitze, dem größten Wunder, was Die Menschheit erlebt hat bis hierhin. Wie soll es nun weitergehen? Ich war Deiner Weisheit nicht gewachsen und Deinen Wundern stehe ich ratlos gegenüber; staunend wie ein kleines Kind. Ich soll aufstehen und die Menschen lehren? Predigen? Was? Kein Heiliger Geist kann aus einem unwissenden Kinde einen weisen Redner machen, der auszuschütten hat aus der Fülle seiner Weisheit. Ich bin kein lebender Quell, wie Du es von Dir behauptest. Die letzte Hoffnung ist bei mir am Versiegen. Schau zu Maria: Sie scheint begriffen zu haben, worauf es ankommt; sie ist frohen Mutes und ich bin gedankenschwer; aber alle diese Gedanken ergeben keinen Sinn, keinen Zusammenhang. Sie schwirren lose umher wie Mücken im Abendlicht umeinender kreisen. Ich schaue ihrem Tanze zu mit Erstaunen; so viele Mücken, gesteuert von unsichtbarer Hand, scheinen sie gefesselt zu sein, eingesperrt auf einen kleinen, beengten Raum. Schwirren umeinander, kommen voneinander nicht los.«

Maria: »Also ist da doch ein Zusammenhang. Deine Gedanken gehören zueinander wie ein Mückenschwarm, es verbindet sie etwas. Sie gehorchen einem Gesetz. Es ist Struktur in ihrem Treiben, in Ihrem Schwirren. Entdecke die Zusammenhänge, die Beziehungen zwischen den Dingen. Sie sind das wirklich Bedeutende. Die Beziehungen sind es, die die Realität formen. Du siehst mich jetzt von der Seite, aus einer bestimmten Perspektive. Deine Ansicht von mir ist real. Jesus sieht mich von meiner anderen Seite, auch das ist real.«

Petrus: »Jetzt redest Du auch so verwirrend. Ich benötige ein Gespräch mit den Fischern dort drüben. Ein einfaches Gespräch über Fische, Wetter und die Getreidepreise. Etwas Normales, Verständliches. Danach sehnt sich mein Hirn. Aber ich will nicht jammern und klagen, ich freue mich auf die Mission, die Du mir zugedacht hast. Doch entweder ist mein Verstand nicht ausreichend oder ich habe die Zeit mit Dir schlecht genutzt. Da sitze ich vor diesem Rätsel von Mann und werde einfach nicht schlau aus ihm. Dass Du außergewöhnlich bist, das habe ich gleich gewusst; und deshalb bin ich mit Dir mitgezogen ohne Zögern. Doch das Ausmaß Deiner Außergewöhnlichkeit hat mit erschauern lassen. Und ich bin eventuell immer noch am Schaudern und Erschauern. Das wird es sein: das beeinflusst meinen Verstand und wirbelt ihn durch- einander, dass ich meine Gedanken nicht ordnen kann und den Zusammenhang nicht erkenne.«

Jesus: »Erkenne, was vor Dir ist – und was Dir verborgen ist, wird Dir enthüllt werden.«

Jesus hält Petrus den Weinkrug vor das Gesicht. Petrus: »In dem Weinkrug befindet sich Wein. Er ist mir verborgen. Aber ich sehe den Weinkrug und folgere daraus auf den Inhalt.«

Jesus dreht den Weinkrug herum. Er ist leer.

Petrus: »Kein Wein. Ich weiß, Du kannst Wasser in Wein verwandeln, aber Wein verschwinden zu lassen, erscheint mir nicht so praktisch. Da gibt es nützlichere Verwendungen für Dein Talent. Ich habe mich oftmals gefragt, warum wir nicht in Saus und Braus leben, statt bettelnd von Hütte zu Hütte zu ziehen.«

Maria: »Wir betteln nicht. Die Leute geben uns freiwillig, von sich aus, Brot und Wein. Sie tun es gerne, weil wir Ihnen auch etwas geben: Rat, Trost, Hoffnung; eine neue Sicht auf sich selbst und ihre Welt. Das ist eher ein Tauschgeschäft als Betteln. – Nun ja, ein wenig absonderlich finde ich es schon, dass ich Dir nicht helfen durfte mit dem Reichtum meines Vaters. Wir hätten es behaglicher gehabt.«

Jesus: »Der Reichtum meines Vaters ist um Unendliches größer.«

Petrus: »Das sind doch kindliche Streitereien. Mein Vater ist reicher als Deiner. Wo soll das enden? Wir sollen sein, wie die Kindlein, um ins Himmelreich, ins Königreich zu gelangen. Ich habe das bislang so gedeutet, dass ich offen sein soll, neugierig, nicht wertend mit gelehrtem Verstand, sondern unbefangen die Dinge nehmen, wie sie sind. Doch wie schwer ist es die gewohnte Sichtweise aufzugeben, sich zu verabschieden von Maß und Regel. Ich habe es bislang nicht geschafft zu sein wie ein Kindlein. Das Himmelreich werde ich wohl niemals sehen.«

Petrus lässt einen flachen Stein über das Wasser des Sees springen. Dreimal springt der Stein auf der Oberfläche des Wassers auf, dann versinkt er. Petrus sagt zu Jesus: »Du bist länger auf dem Wasser gewesen als dieser springende Stein. Ich habe Dich gesehen: auf der Oberfläche des Wassers bist Du auf dem See gegangen. Für Dich ist unsere Welt anders. Sie gehorcht anderen Gesetzen, wenn Du da bist. Wenn ich den Menschen es erzähle, dann starren sie mich ungläubig an. Einige auch gläubig. Und das macht mir Sorge. Woran fangen Sie an zu glauben? Dass die bisherige Ordnung der Dinge aufgehoben ist? Dass Wasser nicht flüssig ist? Muss ich gleichfalls über unflüssiges Wasser laufen können, um Kranke heilen zu können? Sind diese beiden Gaben miteinander verknüpft?«

Maria Magdalena lässt auch einen flachen Stein über das Wasser des Sees springen.

Petrus: »Viermal gesprungen. Besser als ich. Ich habe es nicht anders erwartet. Wenn ich wenigstens Redegabe hätte. Aber Moses war ja bekanntlich auch kein guter Redner. Gestottert haben soll er. Aaron musste für ihn sprechen zu dem Volke Israel. Doch Moses hatte guten Kontakt zum Herrn. Ich hingegen bin nur verwirrt. Ich könnte die Gebote und Sätze, die Du uns gesagt hast, niemals knapp und präzise zusammenfassen in 10 Gebote. Übersichtlich, merkbar, begreifbar. Ich habe nur einen Mückenschwarm anzubieten.«

Maria: »Und wo ist der Wein nun? Könntest Du ihn bitte wieder erscheinen lassen. Es hat mich Mühe genug gekostet ihn von den Fischern zu bekommen. Ich musste charmant sein, musste viel lächeln. Vom Lächeln habe ich jetzt noch Kieferschmerzen. Soll das alles vergeblich gewesen sein? Der Weinkrug war voll bis obenhin.«

Petrus: »Lachhaft. Du hast den Wein nur bekommen, weil Du dafür bezahlt hast mit drei Münzen. Ich habe es gesehen aus der Ferne. Der Reichtum Deines Vaters ist mit Dir, mein gutes Kind. Wie schön.«

Jesus wendet den Weinkrug und reicht ihn Petrus. Petrus: »Sapperlot, der Krug ist voll. Ist das nun transformierter Wein, oder der Original-Wein? Ich probiere ihn einfach. Wenn er himmlisch schmeckt, dann ist er von Deinem Vater.«

Petrus gießt sich etwas Wein in seinen Becher und trinkt. Petrus: »Fischgeschmack. Scheint hiesiger Wein zu sein und nicht aus dem Himmelreich. Oder gibt es dort auch Fische?«

Jakobus kommt von den Fischern herüber und setzt sich zu ihnen ans Lagerfeuer. Er hat einige Fische bei sich.

Jakobus: »Wir können nicht lange hierbleiben. Es hat sich herumgesprochen, dass Du wieder hier bist. Zurück aus dem Reich der Toten. Sieht man auch nicht alle Tage. Es gibt nur wenig Neuigkeiten; und bei einer solchen Neuigkeit – das will man mit eigenen Augen sehen. Ich kann die einfachen Leute verstehen. Auch ich starre Dich immer wieder an. Und kann es einfach nicht fassen. Mein Bruder zurück: frisch, munter. – Doch so munter scheinst Du mir gar nicht. Ist die Tatsache Deines Hierseins nicht Grund genug für Munterkeit? Du wirkst verändert. Gramvoller. Entrückter. Du warst schon immer weit in Gedanken entrückt von unsereins. Aber nun trennen uns wirklich Welten. Kann ich etwas tun, um Dich zu trösten? Denn des Trostes scheinst Du mir bedürftig – auf einmal. Es ist überstanden, und doch – Du bist verzweifelt; kann das sein?«

Jesus: »Ich sende Euch den Tröster, den Heiligen Geist. Doch Du hast recht, bedarf ich selbst nicht auch des Trostes? – Einsamkeit. Ich spüre Seine Einsamkeit. Die Einsamkeit Unseres Vaters. Hat Er nicht Söhne und Töchter die Menge? All diejenigen, die Seine Werke tun und Seinen Geboten folgen: Es sind Seine Kinder. Doch Seine Kinder leben in einer anderen Welt; Seine Welt ist leer. Der Schöpfer ist einsam. Die Schöpfung lange her. Es hat sich wenig verändert seitdem. Das Gleichmaß ist ermüdend, einschläfernd. Der Schöpfer hat Sorge einzuschlafen, zu entschlummern für alle Zeit. Lasst ihn teilhaben an Euren Werken, bietet ihm Erfreuliches, Neues. Zeigt ihm, dass seine Schöpfung wertvoll ist und nicht vergebens. Habt Freude am Sein.«

Jakobus: »Du klingst anders. Besorgter. Magst Du sprechen darüber, was Du erlebt hast fern unserer Welt?«

Jakobus legt die Fische, die er mitgebracht hat, ins Lagerfeuer. Jesus nimmt Marias Hand und hält sie fest.

Jesus: »Ich bliebe gern bei Euch. Der Mensch braucht ein Gegenüber, um zu erfahren, was Liebe ist. Maria hat recht. Das Reale, das Wirkliche, das sind die Beziehungen. Das sind die Dinge zwischen den Dingen. Ihre Verbindung. Die Liebe schwingt von mir zu Dir. Wie das Licht. Es hat nur Bestand in der Beziehung. Einer sendet, der andere empfängt. Geben und Nehmen. Wenn Du einsam bist, bist Du fern der Liebe.«

Maria gibt Jesus einen Kuss.

Maria: »Du willst die ganze Welt trösten und ihr die Liebe Gottes bringen, doch Du zitterst. Es ist nicht kalt. Das Erlebte lässt Dich frösteln. Es war eine unvergleichliche Tat. Unerhört und noch nie dagewesen. Ein Opfer unglaublich groß und edelmütig. Gestatte Deiner Seele zu schaudern vor der Unendlichkeit des Nichts. Wer den Abgrund gesehen hat, die Tiefe, die unendlich ist, dessen Seele sehnt sich nach Geborgenheit und der Nähe eines Seelenverwandten. Ich rühme mich, Dir seelenverwandt zu sein. Nicht verwandt wie Dein Bruder Jakobus. Aber vertraut miteinander durch gemeinsame Jahre. Du hast mir vieles anvertraut, was Du Deinen Jüngern nicht erzählt hast. Soll ich es auf immer für mich behalten, bei mir verwahren? Ich tue es, wenn Du es wünscht. Doch wichtig erscheinen mir Deine Gedanken und gern möchte ich sie mitteilen der Welt; und die Menschen bedürfen der Deutung Deiner Taten und Deines Wirkens. Lass sie nicht ratlos stehen. Ich weiß, Du verlangst viel von Deinen Gefolgsleuten. Eigenes Verstehen und Begreifen. Eigenes Denken und Schlussfolgern. Doch die Menschen sind nicht wie Du unablässig bemüht gewesen um Erkenntnis und Einsicht in Gottes Wirken und Tun. Sie haben ihren Alltag, ihre täglichen Sorgen. Da kann der Blick nicht unentwegt gerichtet sein in die Ferne; sondern auf die Nähe konzentriert sich ihr Blick, auf das Naheliegende, auf die Pflicht des Tages. Sie könnten Deinen weitreichenden Plänen und Gedanken nicht folgen. Es fehlt ihnen die Übung, die Gelegenheit und die Zeit. Wer Dich erkannt hat, der hat alles stehen und liegen lassen und ist Dir gefolgt; doch erwarte das nicht von jedermann, erwarte es nicht von der ganzen Welt.«

Jesus lächelt und sieht Maria an. Jesus: »Du bist die Welt für mich. Wenn ich verzweifelt war, der Widerstand der Welt mich traurig stimmte, dann warst Du bei mir: in Dir erblickte ich die Hoffnung, das Licht, was ich manchmal aus den Augen verlor. In Dir erblicke ich Gott. Gott kann alles sein, jedermann, jede Frau. Denke Ihn Dir als das, was Du liebst und begehrst. So ist es, als ob Gott sich selbst gegenüber steht: zweigeteilt und doch als Eines. Geteilt und doch nur Eines. Wie ein Ginkgo-Biloba-Blatt. Oder wie meine beiden Hände.« Jesus legt seine beiden Handflächen flach aneinander wie zum Beten.

Jakobus: »Sie haben Dich alle verraten. Nicht nur Judas. Die Menge, jeder Einzelne. Gelehrt hast Du sie jahrelang. An Deinen Lippen haben sie gehangen. Gehofft auf ein Wunder von Dir, dass Du sie errettest aus Seelennot und Seelenqual. Ihre körperliche Pein hast Du ihnen genommen, sie geheilt, die unheilbar waren. Doch sie alle haben Dich verraten. Keiner stand zu Dir in Deiner Stunde der Not. Als Du sie am bittersten brauchtest, da waren sie fern von Dir. Haben Dich mit Ihrem Hass und Spott übergossen. Weshalb? Es war nicht befohlen. Kein Römer kann so etwas anordnen. Das Kreuz hat Dich getötet. Was hat Dich auferstehen lassen? Doch nicht die Liebe der Menschen. Du warst am Kreuz der Liebe der Menschen so fern, wie nur einer sein kann. Und doch ist mir, als spüre ich nicht unendliche Verbitterung und Ohnmacht in Dir. Du hast triumphiert über Menschenseelen und ihren Hass. Ist ihr Hass von Dir abgeperlt wie das Wasser von einem Fels? Ist kein bisschen von diesem Hass in Dich hineingedrungen und hat Deine reine Seele vergiftet und verunreinigt? Wenn dem so ist, dann ist das für mich das größte Wunder, was Du bislang geleistet hast.«

Jesus: »Ich bin mir nicht sicher. Ich habe es erwartet, wie ich alles im Voraus gewusst habe. Mein Vater hat mir diese Gabe gegeben: die Vorausschau, die Sicht auf das, was mich erwartet und was die Menschen erwartet. Wünsche Dir nicht diese Gabe. Denn sie ist verknüpft mit der Bedingung gehorsam zu sein, seinem Schicksal nicht auszuweichen. Kann man auf das Übel vorbereitet sein, sich wappnen wie ein Krieger sich wappnet für die Schlacht? Welche Rüstung lege ich an, welchen Brust- panzer und welches Schild wähle ich, was mich schützen kann vor dem hasserfüllten Blick einer johlenden, kreischenden Menge? Wie wappnet man sich davor, auch wenn man es Jahre im Voraus weiß, dass es geschehen wird?«

Jakobus: »Keiner hätte es besser ertragen als Du. Die Entwürdigung ist es, was uns Menschen zerstört. Schneller, erfolgreicher als jede Seuche. Wir suchen den Beifall, die Zustimmung unserer Mitmenschen, wollen geborgen sein in ihrer Liebe. Die Liebe zu unseren Nächsten, die ist es, die uns abhält das Böse zu tun, ihnen zu schaden. Du forderst, dass ein jeder unser Nächster sei. Um jedermanns Liebe sollen wir uns bemühen: die Nächstenliebe sei unsere wichtigste Pflicht. Machen wir uns nicht abhängig von dem Wohlwollen unserer Mitmenschen? Doch Dein Beispiel lehrt mich, dass dem nicht so ist: ungeniert und ungehemmt stößt Du alle Welt vor den Kopf. Und besonders die Pharisäer haben unter Deinen wortreichen Angriffen zu leiden. Sie haben sich jahrelang geduckt, wenn Du sie überschüttet hast mit Deiner Wortmacht und mit Deiner Bildersprache. Deine kraftvollen Bildern hatten sie nichts entgegenzusetzen. Die Pharisäer sind wie die Hunde im Futtertrog der Rinder. Sie fressen nicht und lassen die Rinder nicht fressen. Mit solchen Vergleichen macht man sich Feinde. Du hast es darauf angelegt. Warum hasst Du diese Schriftgelehrten? Ist kein Platz in Deinem Herzen für sie?«

Petrus: »Wir haben die Pharisäer in uns, nicht wahr? Unser wertender Verstand, der vorgefertigte Meinungen und fertiges Wissen nutzt, um zu urteilen: Das sind unsere inneren Pharisäer. Habe ich recht? Die Rinder sind die Kinder. Sie könnten aus dem Futtertrog das Wissen fressen wie Heu.«

Maria: »Das wird den Kindern nicht schmecken.«

Petrus: »Kinder, die ins Himmelreich wollen und Pharisäer- Hunde, die das verhindern. Eine spannende Geschichte.«

Jesus: »Ich sollte meine Gleichnisse nicht zu knapp formulieren. Sonst steht Ihr hilflos davor und ich bin fern und kann Euch keine Hinweise geben, wie sie zu deuten wären. Könnte ich doch bei Euch bleiben. Ich habe meine Zeit schlecht genutzt. Das Meiste blieb ungesagt. Ich befürchte, Ihr könnt aus dem Wenigen, was ich Euch anvertraut habe, nichts rechtes anfangen. Ihr werdet mich missverstehen. Warum ist Erkenntnis so schwer zu vermitteln? Es ist kein Fisch, den ich Dir einfach hinüber- reichen kann von meiner Hand zu Deiner Hand. Erkenntnis muss in Dir selber wachsen.«

Petrus: »Ich soll einen Fisch in mir wachsen lassen? Womöglich einen großen Hecht, der mich verdrängt aus mir selbst heraus. Gewiss, ich bin ein toller Hecht. Aber das ist mir zu wortwörtlich.«

Jesus seufzt. Jesus sieht Petrus an und sagt: »Ich werde Deine Späße vermissen, Deine Sehnsucht das Unfassbare zu fassen, mir nachzufolgen, mich zu begreifen. Du hast den rechten Verstand dafür, auch wenn es Dir nicht so scheint. Dein Humor wird Dir helfen die verborgenen Zusammen- hänge zu erkennen und die Weisheit Gottes zu erlangen.«

Petrus: »Das traust Du mir zu? Ich hoffe Deine Suggestion wirkt auch diesmal. Dieses Mal wäre es mir sehr recht. Zu gerne würde ich den Menschen berichten von Dir und deinen außergewöhnlichen Taten. Ich will dies auch ganz getreulich tun und nichts hinzufügen aus eigenem Gutdünken oder weil es mir unterhaltsamer erschiene. Doch so wirken zu können wie Du, segensreich und unerschütterlich, das wird mir wohl nicht vergönnt sein. Ich bin nicht ungeschickt darin Dich nachzuahmen, dein Tun zu kopieren. Doch die Menschen werden merken, dass ich nur eine Kopie bin, nicht das Original; nur ein Schatten, der nicht wirken kann, wie es das Licht vermag. Denn Du bist das Licht. In Dir scheint es hell und unvermindert – auch nachdem sie Dich ans Kreuz gehängt haben in ihrer Boshaftigkeit und in ihrer Unwissenheit. Ich kann Jakobus nur recht geben: dass das Licht unvermindert stark in Dir leuchtet, ist das allergrößte Wunder überhaupt. Du hast die Welt besiegt.


ENDE von Leseprobe

Jesus und das Thomasevangelium
Historischer Roman
ISBN-10: 3940445827
ISBN-13: 978-3-940445-82-7
170 Seiten, Taschenbuch, EUR 10,90

http://www.amazon.de/Jesus-das-Thomasevangelium-Phil-Humor/dp/3940445827/

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Leseprobe als PDF Dokument:

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Info: http://www.phil-humor.de/Jesus_und_das_Thomasevangelium.htm

 

Als YouTube-Video vorgelesen
Teil 1: http://www.youtube.com/watch?v=aOsftigBm4c
Teil 2: http://www.youtube.com/watch?v=uHJ1oCOtflQ
Teil 3: http://www.youtube.com/watch?v=joxyv9yEzPE

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 27.09.2009

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