Cover

GAYLES ALTER

Sämtliche Personen und Ereignisse sind frei erfunden. Ähnlichkeiten wären rein zufällig.

Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung der Covermodels aus.

Alle Rechte vorbehalten.

 

Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, sind ohne Rücksprache mit der Autorin nicht erlaubt. Ebooks dürfen nicht übertragen oder weiterveräußert werden. Bitte respektieren Sie die Arbeit der Autoren und erwerben eine legale Kopie.

 

Danke!

Vorwort

Die beiden Geschichten sind eine Hommage an Sissi Kaipurgay und ihre vielen Storys, mit denen sie es schafft, uns immer wieder den Alltag zu versüßen.

 

Das bunte Leben rund um die Hamburger Flaniermeilen ist eine beliebte Umgebung für viele ihrer Geschichten, weshalb auch unsere beiden Helden an ebendiesem Ort anzufinden sind.

 

Die gesamten Einnahmen dieses Buches werden an die «Schwestern der Perpetuellen Indulgenz» gespendet. 

Inhalt

Verstand vs. Gefühl

 

Martin, einen in die Jahre gekommenen Türsteher, scheint das Leben nicht mehr viele Überraschungen bereitzuhalten. Einzig die kleinen Späßchen, die er zuweilen mit den Klubbesuchern abzieht – wobei ihn sein Arbeitskollege tatkräftig unterstützt - bringen etwas Farbe in seinen Alltag.

 

Bei einer dieser Aktionen trifft er auf Paul, der so gar nicht zum üblichen Klientel des Gay-Klubs zu passen scheint, womit dessen Schicksal besiegelt ist.

 

Ganz offensichtlich steht hier das perfekte Opfer für Martins Spielchen, der dabei jedoch die Rechnung ohne Paul gemacht hat.

 

Stolz vs. Vorurteil

 

Stefan mag seinen Job als Türsteher. Mit allen Kollegen, außer mit dem Chef, kommt er gut klar. Ist ja auch kein Wunder, denn dieser ist ein eingebildeter Schnösel, der ihn ständig von oben herab behandelt. Dabei hat Stefan ganz andere Sorgen, die in völlig aus der Bahn zu werfen drohen.

 

In seiner Not muss er ausgerechnet die Hilfe des verhassten Vorgesetzten in Anspruch nehmen. Dabei lernt er nicht nur, wie falsch man dank der eigenen Vorurteile liegen kann, sondern auch, was für ungeahnte Empfindungen in ihm schlummern.

 

Reicht es aus, wenn er diese zulässt, oder wird er dabei unweigerlich auf die Nase fallen? 

1. Martin

Verstand vs. Gefühl


Mit großer Mühe zwinge ich mich zur Ruhe und packe den besoffenen Kerl am Arm, um ihn freundlich, aber energisch zum Gehen zu bewegen. Wie nicht anders zu erwarten, will dieser natürlich erst einmal eine Grundsatzdiskussion mit mir beginnen, doch darauf lasse ich mich gewiss nicht ein. Wer pöbelt und unangenehm auffällt, wird aus diesem Klub hochkant rausgeworfen. Notfalls eben mit ein klein wenig Körpereinsatz.

Genau das dürfte auch hier nicht ganz zu umgehen sein, denn trotz mehrmaliger Aufforderung, das Lokal zu verlassen, will der Besoffene meiner Bitte nicht nachkommen. Also greife ich ihn beim Genick und dirigiere ihn zum Ausgang. Seine Freunde – ebenfalls nicht mehr ganz nüchtern – folgen uns unter Protestrufen, werden aber von Stefan, meinem Türsteher-Kollegen, ebenfalls hinauskomplimentiert.

Müde fahre ich mir daraufhin übers Gesicht. Mit meinen bald fünfzig Jahren bin ich definitiv langsam aber sicher zu alt für diesen Job, aber was soll ich tun, wenn ich nicht irgendwann von Harz IV leben will? Jobangebote sind rar geworden, vor allem für einen Mann, der seit bald dreißig Jahren nicht mehr in seinem ursprünglich erlernten Beruf gearbeitet hat.

Nach abgeschlossener Ausbildung zum Schreiner hatte ich einfach keine Lust auf den schweißtreibenden Job. Körperflüssigkeiten wollte ich viel lieber bei anderer Tätigkeit - genauer gesagt beim Sex - verlieren. Zwei Jahre lang versuchte ich es dennoch als Bauschreiner, das große Geld verdient man damit allerdings nicht.

Oh Mann, was hatte ich mit Anfang zwanzig noch für Vorstellungen. Dumm und lediglich auf Spaß bedacht, bemerkte ich früh, dass ich etwas bieten konnte, was mir schnell und ohne nennenswerten Aufwand Kohle bescherte. Mein Körper wurde zu meinem Kapital, denn der muskelbepackte Leib schien vielen Kerlen zu gefallen, sodass sie durchaus auch bereit waren, für ein Schäferstündchen mit mir zu blechen. Dass ich zwischen den Beinen ein Gerät der Extraklasse vorweisen konnte, verhalf unweigerlich zur regen Mundpropaganda, weshalb ich über Jahre hinweg verdammt gut gebucht war.

Mit Anfang vierzig änderte sich dies allerdings und ich musste zwangsläufig nach einer anderen Verdienstmöglichkeit Ausschau halten. Dem Milieu wollte ich nach all den Jahren jedoch treu bleiben, folglich kam mir die Arbeit als Türsteher gerade recht.

Inzwischen denke ich anders darüber. Die Arbeitszeiten bis in die frühen Morgenstunden bereiten mir zunehmend Mühe und das vorwiegend junge Partyvolk geht mir auf den Zeiger. Wir haben definitiv das Heu nicht auf derselben Bühne, aber vielleicht neide ich ihnen einfach auch insgeheim die Tatsache, dass sie in einer Generation heranwachsen dürfen, wo man mit Homosexualität offener umgehen kann.

Ich selbst komme ja aus der ‚Klappen‘-Generation. In meiner Heimatstadt gab es in den 80er-Jahren keine Gayszene. Gleichgesinnte trafen sich des Nachts in einem öffentlichen Park und benutzten die Toiletten, um sich dort stillschweigend sexuelle Befriedigung zu holen. Niemals hätte man sich offen geoutet, was schlussendlich für mich auch der Grund war, in die nächstgrößere Stadt, nämlich Hamburg, zu ziehen.

Die Warteschlange am Klubeingang kommt langsam wieder in Bewegung, weil einige Besucher das Lokal verlassen haben. Kritisch mustere ich einen nach dem anderen, um schon im Vorfeld auszusortieren. Bereits besoffene, bekiffte oder aggressive Kerle erhalten keine Chance, um reinzukommen.

Als mein Blick über die wartende Menge schweift, mache ich einen Typen aus, der so gar nicht der üblichen Klientel des Klubs entspricht. Aufgrund der Musik finden meist nur Kerle zwischen achtzehn und fünfunddreißig den Weg hierher. Dieser Mann aber hat die Vierzig bestimmt schon überschritten, was ich einerseits an dem grau melierten, kurzen Bart, andererseits aber auch an der unauffälligen Kleidung ausmache. Ob der sich wohl verirrt hat? Allerdings könnte es sich auch um eine dieser alten Schwuchteln handeln, die hier aufkreuzen, um einen Jungspund mit Geld zu ködern. Etwas, was mir grundsätzlich zuwider ist, nur mal so nebenbei erwähnt.

„Kann ich mal deinen Ausweis sehen?“, frage ich, als die alternde Schwuppe vor mir steht.

„Willst du mich verarschen?“, antwortet mein Gegenüber mit einer Gegenfrage und blickt mich erst überrascht, dann aber eindeutig genervt an. „Sieht man mir etwa nicht an, dass ich bereits volljährig bin?“

„Du glaubst gar nicht, wie ungesunder Lebenswandel manche Leute alt aussehen lässt“, erwidere ich grinsend und strecke fordernd meine Hand aus.

Ich kann mir nicht helfen, aber meine zuvor noch miese Laune hebt sich sofort, als ich das wütende Funkeln in den Augen des Gastes erkenne. Zugegeben, manchmal übernimmt eine kleine diabolische Ader in mir die Führung über mein Handeln.

„Gibt’s Probleme?“, will Stefan wissen und baut sich daraufhin auf der anderen Seite des Mannes auf, was diesen schließlich dazu veranlasst, meiner Bitte nach dem Ausweis nachzukommen.

„Dann wollen wir mal sehen“, sage ich leise, versuche mich an einem überlegenen Gesichtsausdruck und lese den Namen auf der Karte laut vor: „Paul Franke.“

„Kommt mir bekannt vor“, meldet sich Stefan zu Wort und zwinkert mir über den Kopf von Franke verschwörerisch zu. „Ist der nicht auf der ‚Blacklist‘ aufgeführt?“

Ich arbeite unheimlich gerne mit diesem Kollegen zusammen, weil wir denselben Humor teilen. Er ist wie ich für jeden Spaß zu haben.

„Stimmt, ich glaube, es ging um Kleindealerei.“ Mit bemüht ernster Miene packe ich Franke am Oberarm und sage mit grimmiger Miene weiter: „Dieser Sache sollte man auf jeden Fall nachgehen.“

„Sagt mal, spinnt ihr?“

Der Kerl ist außer sich vor Empörung und versucht sich aus dem Griff zu lösen, was mich unwahrscheinlich amüsiert.

„Immer mit der Ruhe. Wir checken das kurz mal ab, und wenn du sauber bist, dann ist doch alles okay. Ein Aufstand würde uns allerdings dazu zwingen, die Polizei einzuschalten.“

Diese kleine Drohung scheint zu wirken, denn Franke gibt jegliche Gegenwehr auf und lässt sich dann ganz brav in den Personalraum des Klubs führen.

„Also, leer doch mal bitte deine Taschen.“

Mit verkniffenem Gesichtsausdruck kommt der andere meiner Aufforderung nach und legt kurz darauf Geldbörse, Schlüsselbund und Kondome auf den Tisch.

„Zufrieden?“, werde ich schnippisch gefragt, während ich die Präservative mit hochgezogenen Augenbrauen spöttisch betrachte.

„So weit, so gut. Jetzt kommt die Leibesvisitation“, erkläre ich schließlich und drehe Franke in Richtung der Spinde, wo ich ihn zwinge, sich mit den Händen abzustützen, damit ich den Körper abtasten kann.

Mir gefällt, was sich da so erfühlen lässt. Zwar bemerke ich keine ausgeprägten Muskeln, aber der Leib ist fest und scheint trainiert. Gleichzeitig steigt mir der Duft dieses Mannes in die Nase, was ebenfalls nicht unangenehm ist.

Nachdem ich mein Tun beende, trete ich einen Schritt zurück und sage mit geschäftsmäßiger Stimme: „Nichts gefunden. Du kannst dich wieder umdrehen.“

„Dann darf ich jetzt endlich gehen?“

Frankes Wut ist unübersehbar. Es ist aber der verächtliche Blick, der mich geradezu herausfordert, weil er mir damit unmissverständlich zu verstehen gibt, dass er mich als Abschaum betrachtet.

„Noch nicht“, erwidere ich mit einem gespielt diabolischen Grinsen. „Es ist allgemein bekannt, dass manche Kerle Drogen im Arsch aufbewahren.“

Die sowohl ungläubigen als auch schreckgeweiteten Augen meines Gegenübers geben mir die Genugtuung, dass ich erneut die Oberhand habe.

2. Paul

Das ist eine dermaßen große Scheißidee. So richtig beschissen, beschissener geht’s nicht. Da stehe ich als halbtote Schwuppe zwischen aufgestylten, überparfümierten Jungspunden und möchte bei deren abfälligen Blicken im Boden versinken. Ja, stell dir vor, ich bin 46 Jahre alt und kann noch ohne Stock laufen. Am liebsten würde ich dem blonden Bubi, der mich gerade so mitleidig ansieht, diese Worte um die Ohren knallen, aber die Meute ist eindeutig in der Überzahl und ich will mich ja nicht noch lächerlicher machen, als meine bloße Anwesenheit es ohnehin bereits tut.

Wie konnte ich nur so blöd sein und mich zu dieser Aktion überreden lassen? Anstelle im Schritttempo auf einen Klub, den ich gar nicht besuchen will, zuzuschleichen, könnte ich gemütlich zu Hause sitzen, in meinem eReader schmökern oder an meiner aktuellen Gay-Romance-Story weiterschreiben. Meine heimliche Leidenschaft sind schwule Liebesgeschichten und seit einiger Zeit lese ich diese nicht nur, sondern verfasse selber eher die unrealistischen Happy End-Schmonzetten.

Meine zumeist weiblichen Leser lieben die starken, aber sensiblen Protagonisten, die ich erschaffe und ehrlich – ich liebe meine erfundenen Kerle auch. Außerdem ist es ein schöner Ausgleich zu meinem Job als Außendienstler. Büromöbel verkaufen macht zwar grundsätzlich Spaß, ist aber nach 25 Jahren im Job auch mit Routine behaftet, weshalb mein neustes Hobby eine wunderbare neue Welt darstellt.

Ach ja, ich wollte mich ja noch darüber auslassen, was beziehungsweise wem ich diese missliche Lage zu verdanken habe. Mein Nachbar und dummerweise bester Freund hat vor einigen Wochen mit ein paar Kollegen von der Uni – er unterhält einen Lehrstuhl in Astronomie – einen Strippclub mit Namen ‚Pulverkasten’ besucht. Dort hat er sich Hals über Kopf in einen der knackigen Stripper verguckt und den Kerl umgehend in sein Bett geschleppt. So bieder mein Freund Lenny äußerlich auch wirkt, die Sahneschnitten liegen ihm Reihenweise zu Füßen oder besser gesagt vor dem Bettvorleger. Danilo ist nun Lennys neuste Eroberung und anscheinend hat es ihn so richtig erwischt, auch wenn der Kerl schlappe neun Jahre jünger ist und als Maler arbeitet.

Wegen ebendiesem Farbpanscher stehe ich hier rum und werde immer weiter auf den bulligen Türsteher, bei dessen grimmigem Gesichtsausdruck mein Herz ganz tief in die Hose rutscht, zugeschoben. Was mache ich denn, wenn der mich nicht reinlässt, weil ich zu alt für den Schuppen bin? Gott, das wäre so peinlich, denn ich müsste durch die ganze Männertraube hindurch zurückwandern.

Shit! Nie, nie, niemals wieder falle ich auf Lennys Trauermiene herein. War doch klar, dass so ein Kerl wie sein Lover nicht treu sein kann und sich schnell Abwechslung sucht. Egal was für eine Granate mein Freund im Bett auch sein mag. Damit sind wir endlich beim Grund meines Hierseins angelangt, denn ich soll überprüfen, ob die Ängste meines Freundes gerechtfertigt sind oder nicht.

In meine Überlegungen vertieft, habe ich gar nicht mitbekommen, dass ich längst vor dem Eingang angelangt bin.

„Kann ich mal deinen Ausweis sehen?“, knurrt mich die Kante in den schwarzen Klamotten an. Obwohl er so respekteinflößend aussieht, sehe ich gar nicht ein, mich hier so anpampen zu lassen.

Allen Mut zusammennehmend meckere ich zurück: „Willst du mich verarschen? Sieht man mir etwa nicht an, dass ich bereits volljährig bin?“

Keine gute Idee, gar keine gute Idee. Er streckt betont überheblich die Hand aus, in die ich meinen Ausweis legen soll. Plötzlich taucht das zweite in schwarz gekleidete Muskelpaket auf und fragt, ob es Probleme gäbe. Um weiteren Ärger zu vermeiden rücke ich murrend die Plastikkarte heraus. Muskelheini Nr. 1 liest daraufhin doch eiskalt laut und deutlich meinen Vor- sowie Nachnamen vor, woraufhin Muskeltyp Nr. 2 für alle hinter sowie neben mir stehenden Männer verständlich erwidert: „Kommt mir bekannt vor. Ist der nicht auf der ‚Blacklist‘ aufgeführt?“ Mein Mund öffnet sich, aber irgendwie entstehen keine Töne. Die beiden haben doch den Schuss nicht mehr gehört.

„Stimmt, ich glaube, es ging um Kleindealerei“, sagt Mucki Nr. 1 ohne mit der Wimper zu zucken. „Dieser Sache sollte man auf jeden Fall nachgehen“, setzt er noch hinterher und greift mit seiner Riesenpranke nach meinem Oberarm.

„Sagt mal, spinnt ihr?“ Langsam glaube ich, dass hier irgendwo eine versteckte Kamera aufgebaut sein muss. Alle Kraft aufwendend versuche ich mich aus dem Klammergriff zu befreien und ernte mit meinen Versuchen bloß ein amüsiertes Lächeln des Türstehers.

Die Hand lockert sich kein bisschen und er droht mir zusätzlich noch mit der Polizei, wenn ich mich weiter wehre. Das junge Partyvolk hält das alles hier wohl für einen Witz, denn keiner eilt mir zu Hilfe. Ganz im Gegenteil, sie lachen sich nen Ast. Das Ganze überfordert mich völlig. Ich bin sauer, enttäuscht und fühle mich unglaublich ungerecht behandelt. Widerstandslos lasse ich mich in den Personalraum des Klubs schieben und komme der Aufforderung, meine Taschen zu leeren, wortlos nach.

Weil er die hervorgezauberten Gegenstände so blöd bestaunt, kann ich mir ein 'Zufrieden?' nicht verkneifen, auch wenn ich damit erneut seine Wut auf mich schüre. Und tatsächlich, er zwingt mich dazu, meine Hände an einem der Stahlspinde abzustützen und beginnt meinen Körper abzutasten.


Seine Hände fühlen sich gut an, aber ich werde den Teufel tun und meinem verräterischen Körper nachgeben. Das Muskelpaket ist ein Schwein und da kann er noch so verführerisch nach Moschus mit einem Schuss Zitrone riechen.

„Nichts gefunden. Du kannst dich wieder umdrehen.“ Natürlich hat er nichts gefunden, was sollte ich auch in meiner dünnen Jacke oder der viel zu engen Jeans verstecken?

„Dann darf ich jetzt endlich gehen?“ Ich mustere mein Gegenüber so abwertend, als würde gerade ein voller Müllcontainer, dessen Gestank ich nicht ertragen kann, vor mir stehen. Oh, oh, jetzt platzt ihm gleich der Kragen. Warum musste ich auch die Fresse so weit aufreißen?

„Noch nicht“, bestätigt er mit seinem nächsten Satz auch schon meine Vermutung „Es ist allgemein bekannt, dass manche Kerle Drogen im Arsch aufbewahren.“

Geschockt trete ich den Rückzug an und pralle mit dem Rücken an den kalten Stahl. Das kann er doch nicht machen? Der Kerl arbeitet hier und so etwas ist ihm garantiert nicht gestattet.

„Fass mich an und dein Job hier ist Geschichte, mein Freund. Eine Anzeige bekommst du noch obendrauf.“

Wir sehen uns schwer atmend an und ich bete zu allen schwulen Göttern, dass die Kante einen Rückzieher macht und mich gehen lässt. Im nächsten Moment knarrt die Tür und ein Mann tritt hindurch.

„Paul“, vernehme ich meinen Namen und erkenne Matthias von Roggen, den Besitzer des Klubs. „Dein Arbeitseifer in allen Ehren, aber das Aufmaß für die Planung der neuen Einrichtung hättest du auch tagsüber machen können.“

Einen Moment brauche ich, um mich zu sammeln und als mein Blick auf den geschockten Gesichtsausdruck des Muskelberges trifft, habe ich eine Entscheidung getroffen.

„Das weiß ich doch, aber du hast gesagt, dass deine Mitarbeiter die Möbel aussuchen sollen und da ist es von Vorteil, sie nach ihren Wünschen zu fragen. Also dachte ich, dass ich ein wenig Spaß mit dem Nützlichen verbinde und Herr …“ 'Speisser' murmelt mein Gegenüber an meiner Stelle, woraufhin ich mit meiner Erklärung fortfahre: „… war so nett, sich ein paar Minuten Zeit für mich zu nehmen.“

„Ja, unser Martin ist immer hilfsbereit. Ist ja auch einer meiner ältesten … äh, reifsten und vor allem fähigsten Mitarbeiter.“ Matthias grinst breit. „Sucht euch ruhig was Schönes aus, Martin. Du weißt ja, mir ist es wichtig, dass ihr euch wohlfühlt. Und, Paul, ich sag an der Bar Bescheid. Deine Getränke gehen selbstverständlich aufs Haus.“

So schnell, wie Matthias erschienen ist, so rasch ist er auch wieder verschwunden und ich verschränke die Arme vor der Brust. Tja, Muckimann, jetzt bin ich ja mal gespannt, wie du aus der Kiste wieder rauskommen willst und vor allem, wie viel dir mein Schweigen wert ist.

1. Matthias

Stolz vs. Vorurteil


Wütend und zugleich demoralisiert beende ich das Gespräch und werfe das Handy achtlos aufs Sofa, um dann aufzustehen und grübelnd in meinem Wohnzimmer auf- und abzugehen. Hätte ich doch nur nicht gestern Martin so freimütig ein paar Tage Urlaub zugesagt! Fluchend fahre ich mir übers Gesicht und suche nach einem Ausweg aus der Zwickmühle, bin dabei aber chancenlos. Es hilft nichts, ich werde wohl oder übel selbst in den sauren Apfel beißen müssen.

Im Schlafzimmer angelangt suche ich mir einen schwarzen Anzug und ein ebenso dunkles Hemd mit Krawatte heraus. In Gedanken höre ich bereits das abfällige Schnauben von Stefan, wenn er mich in diesem Aufzug sieht, doch daran lässt sich wohl kaum etwas ändern.

Nachdem ich mich umgezogen habe, betrachte ich mich kritisch im Spiegel. Elegant sehe ich aus, aber meine Begeisterung darüber hält sich in Grenzen. Ich will ja nicht den ersten Preis als bestgekleideter 'Businessman' gewinnen, sondern respekteinflößend und überlegen wirken. Ich versuche mich an einem grimmigen Gesichtsausdruck, was allerdings eher nach einer blöden Grimmasse aussieht.

Seufzend gebe ich meine Versuche, einschüchternd zu erscheinen, auf, und gestehe mir ein, dass ich niemals wie ein Türsteher aussehen werde. Aber was soll ich machen? Seit bald zwei Stunden telefoniere ich in der Gegend herum, um einen adäquaten Ersatz für Martin, meinen besten Sicherheitsmann, zu finden, kann aber so kurzfristig niemanden auftreiben. In Hamburg tagt eine Konferenz, an der bedeutende Staatsmänner aus aller Welt teilnehmen, und gleichzeitig steht eine Filmpremiere, an der Größen aus Hollywood zu erwarten sind, bevor. Alles Anlässe, die eine Vielzahl von Bodyguards benötigt, weshalb für einen unbedeutenden Gayklub kein Mann als Türsteher freigestellt werden kann.

Eigentlich hat sich bis jetzt immer Martin um solche Dinge gekümmert, was sich nun natürlich rächt, da ich nicht auf die nötigen Verbindungen zurückgreifen kann. Zudem ist er ohnehin für personelle Dinge weitaus geeigneter als ich.

Etwas mehr als zehn Jahre ist es nun her, seit ich den Klub übernahm, obwohl mir das Milieu gänzlich unbekannt war. Daran hat sich bis heute auch nichts geändert, da ich eher ein Typ bin, der gerne aus dem Hintergrund agiert.

Eine meiner ersten Handlungen damals beinhaltete die Einstellung von Martin, wofür ich wahrlich froh sein kann. Ohne ihn wäre ich wohl von zig Angestellten über den Tisch gezogen worden, da mir in mancher Hinsicht einfach das Durchsetzungsvermögen fehlt. Hinzu kommt meine Gutgläubigkeit, die man schamlos ausgenutzt hätte, wenn Martin nicht da und dort entschieden dazwischen gegangen wäre.

Resigniert kehre ich ins Wohnzimmer zurück und lasse mich aufs Sofa fallen, wo meine Gedanken unweigerlich in die Vergangenheit schweifen.

Ich war schon immer ein überzeugter Schreibtischhengst und konnte mich stundenlang mit Zahlen beschäftigen. Einige würden mich vermutlich introvertiert nennen, weshalb ich mir - vergraben zwischen Bilanz und Erfolgsrechnung - vermutlich auch nie fundierte Menschenkenntnisse aneignete. Tatsächlich wollte ich das auch gar nicht, da soziale Kontakte oftmals mit Schwierigkeiten und Enttäuschungen behaftet sind, zumindest musste ich diese Lektion lernen, als ich mich mit Mitte zwanzig unglücklich verliebte.

Damals arbeitete ich in einer renommierten Treuhandgesellschaft und verlor mein Herz an einen Kollegen, der allerdings zu den überzeugten Heten gehörte. Nachdem ich endlich meine ausweglose Situation begriff, kündete ich meine Anstellung und wagte sogar den Schritt in die Selbstständigkeit. Wider Erwarten hatte ich damit Erfolg. Neben unzähligen Kleinmandaten durfte ich bald auch etliche lukrative Kunden betreuen, die mich schließlich zum Wohlstand führten.

In jener Zeit war Arbeit mein Mantra, während ich das Privatleben schändlich vernachlässigte. Natürlich hatte auch ich sexuelle Bedürfnisse, die ich aber meist mit wechselnden Callboys befriedigte. Mein Bankkonto wuchs von Jahr zu Jahr an, doch irgendwann erkannte ich, dass mein Leben unerfüllt blieb. Ich wollte nicht als vertrockneter Buchhalter enden, sondern verspürte immer mehr den Drang, aus dem Alltag auszubrechen. Nur, wie sollte dies aussehen?

Die Lösung bot sich vor fast elf Jahren wie von selbst. Ein Kunde entschied sich, in Rente zu gehen, und suchte einen Käufer für seinen Gayklub, der allerdings die besten Jahre längst hinter sich zu haben schien. Ohne lange nachzudenken, zeigte ich Interesse, woraufhin wir uns bald auch über die Konditionen einigten. Mit fast sechsunddreißig Jahren wurde ich somit zum Klubbesitzer und hängte meine Karriere als Finanzberater an den Nagel.

Martins Einstellung war wirklich ein Glücksgriff. Ich kannte ihn noch aus seiner Zeit als Callboy - Jahre zuvor nahm ich einmal seine Dienste in Anspruch und hatte ihn als vertrauenswürdig in Erinnerung. Seine Kenntnisse des Milieus, gepaart mit meinen betriebswirtschaftlichen Fähigkeiten zeigten bald Wirkung und der Klub mutierte nach kurzer Zeit zum Insidertipp. Obwohl Martin offiziell als Türsteher fungierte, übernahm er immer mehr Verantwortung und wurde mir schließlich sogar ein guter Freund. Personelles übertrug ich ihm gänzlich, da er in dieser Hinsicht ohnehin das bessere Händchen hatte.

Genau genommen sind wir beide sogar ein 'Dream Team', das kaum zu schlagen ist. Ich bin Martin also zu Dank verpflichtet, wofür ich mich zu seinem 50. Geburtstag auch endlich erkenntlich zeigen wollte. Ein weiterer Klub steht zum Kauf und ich spiele mit dem Gedanken, ihn zu erwerben und meinen Freund dort zum Geschäftsführer zu machen. Nun aber wird er an seinem Freudentag noch nicht einmal anwesend sein und um dem Ganzen noch eins draufzusetzen, muss ich zusätzlich seinen Job als Türsteher einnehmen.

Noch immer genervt von der ganzen Situation komme ich eine halbe Stunde später beim Klub an und parke meinen Wagen. Durch den Hintereingang betrete ich die Räumlichkeiten und höre bereits vereinzelte Mitarbeiter miteinander sprechen. An der Bar ist Horst, die Chef-Tresenschlampe, wie gewohnt bei den Vorbereitungen und instruiert seine Gehilfen, während Stefan an der Theke steht und ein Wasser trinkt.

"Guten Abend", rufe ich meinen Angestellten entgegen und ernte da und dort ebenfalls Grüße.

"Hallo Chef", antwortet Horst und schenkt mir dabei ein breites Lächeln.

Ich weiß, dass der Kerl auf mich steht, wobei ... auf wen fährt Horst denn nicht ab? Seit drei Jahren ist er nun hier für den Ausschank zuständig, macht seine Arbeit auch wirklich erstklassig, aber natürlich ist mir nicht entgangen, dass er jedem Arsch - vorzugsweise den Türstehern - hinterherläuft. Für mich ist ein Techtelmechtel mit Angestellten - genauso wie mit Kundschaft - ohnehin ein Tabu, doch selbst unter anderen Umständen wäre der blonde, schlanke Mann nichts für mich.

Meinen Geschmack trifft eher ein richtiger Kerl, wie man ihn sich eben vorstellt. Ausgeprägte Muskeln lassen meine Knie weich werden, weshalb ich wohl auch vor langer Zeit ein ganz klein wenig für Martin schwärmte.

"Kommst du von einer Beerdigung?", fragt mich Stefan argwöhnisch und holt mich damit aus den Gedanken.

"Nein, ich werde für Martin einspringen müssen. Er hat sich ein paar Tage freigenommen, aber Ersatz ist im Moment nicht aufzutreiben", erkläre ich genervt, weil ich genau wusste, dass Stefan meinen Aufzug bemängeln würde.

Überhaupt lässt es der Kerl zuweilen an Respekt fehlen. Von Anfang an hat er mich einfach geduzt, obwohl ich sein Chef bin. Natürlich sagte ich nichts dazu, da ich aus verbalen Auseinandersetzungen meist als Verlierer hervorgehe und Martin in der Regel dafür vorschiebe.

"Du ... willst die Eingangskontrolle machen?", fragt Stefan und versucht nur halbpatzig seine Belustigung zu verbergen.

"Hast du etwas dagegen einzuwenden?", antworte ich mit einer Gegenfrage und kann nicht verhindern, dass in meiner Stimme deutlich Gereiztheit mitschwingt.

"Du bist der Boss", erwidert Stefan schulterzuckend, aber eben auch irgendwie herablassend, während er mich mit einem eindringlichen Blick taxiert und dann an mir vorbeigeht.

Ich kann mir nicht helfen, aber Stefan ist mir seit seinem ersten Arbeitstag suspekt. Der Kerl ist undurchsichtig, zumindest für mich. Mit Martin scheint er ja inzwischen eine Freundschaft zu pflegen, doch mir gegenüber ist er nach wie vor verschlossen, ja beinahe abweisend. Der Idiot spricht mit mir immer nur das Nötigste, und wenn es mal nichts Geschäftliches ist, dann sind seine Äußerungen kurz und gleichzeitig höhnisch. Er nimmt mich nicht für voll - das ist mir natürlich nicht entgangen - und ich habe Schwierigkeiten, ihm die Stirn zu bieten, was mich maßlos ärgert.

Es ist aber nicht nur Stefans unnahbare Art, die mich in seiner Gegenwart klein und unzulänglich fühlen lässt, sondern auch sein Erscheinungsbild. Er ist noch muskulöser und größer als Martin und gleicht somit eher einer Kampfmaschine. Die Haare sind raspelkurz geschnitten und die dunklen Augen wissen einen Gegner zu verunsichern. Das etwas grobschlächtige Gesicht kann düster wirken, doch in meiner Gegenwart verzieht der Kerl die vollen Lippen oftmals zu einem spöttischen Grinsen, weshalb ich mir immer irgendwie verarscht vorkomme.

Missmutig drehe ich mich um und folge Stefan zum Eingang. Unweigerlich präsentiert sich mir damit seine Rückseite, was mir eben auch vor Augen hält, dass ich diesen Mann nicht nur abstoßend finde, denn in den engen, schwarzen Armeehosen bewegt sich ein anbetungswürdiger, muskulöser Arsch. Ein Anblick, der mich insgeheim aufstöhnen lässt. Ich weiß genau, weshalb ich bis jetzt immer Abstand zu Stefan hielt. Er beschwört widersprüchliche Gefühle in mir hoch, die sowohl Ärger und Verunsicherung als auch latente Geilheit bedeuten. Eine Mischung, die kaum zu ertragen ist, und der Gedanke, dass ich in den nächsten Tagen mit ihm zusammenarbeiten muss ... Nun, ich könnte mir wahrlich Schöneres vorstellen!

2. Stefan

Deutlich spüre ich Matthias‘ Blicke im Rücken und muss mich stark zusammenreißen, damit ich mich nicht umdrehe und ihn vorgehen lasse. Seine aalglatte, überlegene Art lässt wie so oft meinen Blutdruck in die Höhe schnellen. Dass er keinen Ersatz für Martin finden konnte, wem will er das denn erzählen? Davon abgesehen, dass man seinen Lieblingsmitarbeiter rund um die Uhr erreichen kann, befindet sich im Personalraum eine Liste mit etlichen Telefonnummern diverser Aushilfskräfte. Bisher haben wir immer jemanden gefunden, also warum sollte es ausgerechnet diese Woche anders sein? Anstatt zuzugeben, dass er Martins Abwesenheit nutzt, um meine Arbeit zu kontrollieren, denkt er sich lieber so einen Bullshit aus.

„Nimmst du die linke Seite?“ Auch wenn ich es als Frage formuliert habe, gehe ich wie selbstverständlich nach rechts.

Je mehr Matthias den Chef inklusive seine geistige Überlegenheit herauskehrt, umso patziger reagiere ich. Für einen einundvierzigjährigen Mann albern, ich weiß, aber ich kann einfach nichts dagegen machen. Meine geringe Bildung ist und bleibt meine Achillesferse, vor allem weil kein tragisches Schicksal dahintersteckt, sondern schlicht und ergreifend bodenlose Faulheit.

Als Teenager spielte ich in der Schule lieber den Pausenclown, anstelle dem Unterricht zu folgen. Die Konsequenz: Ich bin in der siebten und achten Klasse je einmal hängen geblieben und musste die Polytechnische Oberschule nach acht Schuljahren ohne Abschluss verlassen. Zu DDR-Zeiten fiel man ja nicht komplett durchs Raster, aber mehr als eine Ausbildung zum Hilfsarbeiter konnte ich nicht absolvieren. War mir damals egal, denn solange die DDR bestand, war meine Existenz ja gesichert.

Dummerweise verschwand der Arbeiter- und Bauernstaat wenige Jahre später und wich der harten, unbarmherzigen Marktwirtschaft, in der man mit abgebrochener Schulausbildung schlechte Karten hatte.

Der Aufbau Ost sicherte mir noch einige Jahre einen Job als Ausbaumaurer, dann wurde es allerdings eng. Als glücklicher Umstand erwies sich meine Begeisterung für die Muckibude. Gleich nach der Wende meldete ich mich im ersten Studio, das in der Nähe eröffnete, an und verbrachte in dem Schuppen fast die gesamte Freizeit. Dort entdeckte ich schließlich auch meine Vorliebe zum eigenen Geschlecht, was mir bis dahin gar nicht in den Sinn gekommen war.

Ich trainierte also nicht nur exzessiv, sondern widmete mich mit ähnlicher Ausdauer dem Bettsport. Schlanke, gern auch schmächtige Typen mit geringer Körperbehaarung fickte ich am liebsten. Es dauerte ein wenig, bis ich zu dieser Erkenntnis gelangte, deshalb rutschten bis dahin die unterschiedlichsten Kerle über meine Matratze.

Na, wie auch immer. Als es finanziell im Osten bergab ging, packte ich meine wenigen Plörren und machte mich auf den Weg in den hohen Norden. Ein Kumpel hatte mir gesteckt, dass man auf der Reeperbahn muskulöse Türsteher - wofür man ja kaum Vorkenntnisse benötigte - suchte. So hat es mich in die Hansestadt verschlagen, in der ich schließlich hängengeblieben bin.

Martin lernte ich vor über fünfzehn Jahren kennen, weil er oft in den Klub ging, in dem ich seinerzeit an der Tür stand. Damals verdingte er sich noch als Callboy. Wir kannten uns nur flüchtig, hielten aber zwischendurch gerne mal ein Schwätzchen. Irgendwann verschwand er von der Bildfläche - das wird jetzt zehn Jahre her sein - und ich dachte lange Zeit nicht mehr an ihn.

Ich hatte schließlich auch genug eigene Sorgen. Bei einer üblen Schlägerei mit einer besoffenen Gruppe verletzte ich mich ziemlich schwer. Einer der verblödeten Penner stieß mir eine Glasscherbe in den Oberarm. Obwohl ich wie ein Schwein geblutet habe, überwältigte ich den Kerl und schlug ihm mit der Faust des unverletzten Armes die Fresse ein. Das hätte ich mal besser gelassen, denn die halbe Portion war HIV-positiv und hat mich somit angesteckt.

Ich habe in so vielen Ärschen gesteckt und wo hole ich mir den verfickten Virus? Bei der Arbeit, durch eine besoffene Knalltüte. Die Medikamente schlugen zum Glück schnell an und seit Jahren bin ich unter der Nachweisgrenze, trotzdem veränderte sich mein Leben durch dieses Erlebnis radikal.

Zum einen verlor ich unter fadenscheinigen Ausreden meinen Job und mit der Vögelei war ebenfalls Essig. Es verbreitete sich in der Szene wie ein Lauffeuer, dass ich infiziert bin. Dauerte ohnehin ewig, bis sich meine Libido wieder meldete, insofern war es mir relativ egal. Ärgerlicher fand ich, dass man mich auch in meinem Fitnessstudio nicht mehr sehen wollte. Es vergingen einige Wochen, bis ich ein kleines, abgelegenes Studio, deren Mitarbeiter kein Problem mit dem Virus hatten, fand.

Die Jobsuche gestaltete sich weitaus schwieriger und ich tingelte mehrere Jahre von einem Aushilfsjob zum nächsten. Das ging so lange, bis ich Martin wieder begegnete. Er arbeitete nun ebenfalls als Türsteher in einem Klub und war so was wie die rechte Hand vom Besitzer. Ich hielt mit meiner Geschichte nicht hinterm Berg, dennoch stellte er mich ein. Bis heute bin ich nicht sicher, ob Matthias davon weiß, und das ist ein Punkt, der mir hin und wieder Bauchschmerzen bereitet, denn ich möchte meinen Job auf keinen Fall verlieren. Vielleicht würde es meinen Stand festigen, wenn ich dem Chef gegenüber etwas zugänglicher wäre, aber wie ich eingangs erwähnte, bringt mich dessen überhebliche Art zur Weißglut.


„Nein, ich denke nicht, dass ihr in eurem Zustand in den Klub gehen solltet.“ Zwei angetrunkene Bürschchen, wahrscheinlich noch nicht einmal volljährig, stehen schwankend vor Matthias, der ihnen mit unsicherer Miene den Zugang verwehrt.

Ein wenig Schadenfreude ist schon dabei, als ich das Schauspiel mit vor der Brust verschränkten Armen beobachte.

„Hä, hä, wer bisten du, Opa?“, gackert einer der Halbstarken los und tippt mit dem Zeigefinger an Matthias‘ Oberkörper.

Anstelle dem Jüngelchen die Hand wegzuschlagen, geht er doch tatsächlich einen Schritt rückwärts. Tja, ein schicker Anzug und viel Grips in der Birne bringen einem eben nicht in jeder Situation einen Vorteil.

„Macht hier bitte kein Theater. Wenn ihr das nächste Mal nüchtern seid, dürft ihr auch rein.“

Jetzt schlägt sich einer von ihnen mit den Händen auf die Knie und fängt an zu wiehern. Soll wohl ein Lachen sein. Der andere plustert sich auf und will sich an Matthias vorbeidrängeln.

„Geh zur Seite, Opa! Nur weil du selber zu alt zum Feiern bist, musste uns hier nicht den Spaß verderben.“

Sieht so aus, als sollte ich langsam mal eingreifen. Mit einem lang erprobten Killerblick verlasse ich meinen Posten und bleibe breitbeinig vor den beiden halben Portionen stehen.

„Gibt es hier ein Problem?“

Das gewieherte Gelächter verstummt abrupt und das Anheben einer Augenbraue sorgt dafür, dass das Würstchen an der Jacke seines Kumpels zieht, der sich daraufhin unwirsch umdreht und blafft: „Was issn?“

Sein Freund zeigt in meine Richtung und lenkt damit die Aufmerksamkeit auf mich.

„Besoffene kommen hier nicht rein und soweit ich mich erinnere, führen wir diese Diskussion nicht zum ersten Mal. Leider wart ihr heute noch so dämlich, euch mit dem Chef anzulegen.“ Geschockt wandern vier aufgerissene Augen zu Matthias. „Das bringt euch ein halbes Jahr Hausverbot ein. Und gnade euch Gott, wenn ihr noch einmal hier auftaucht.“

Wie geprügelte Hunde ziehen die Pfeifen ab und ich nehme wieder meinen alten Posten ein.


Nachdem der erste große Andrang vorbei ist, kommt Matthias zu mir rüber und bleibt einen Moment mit hängendem Kopf vor mir stehen.

„Danke für deine Hilfe“, presst er leise hervor. „Ich hole mir was zu trinken. Soll ich dir was mitbringen?“

Ich verneine und sehe ihm hinterher, wie er schnellen Schrittes auf den Eingang zugeht. Ist es ihm peinlich, dass er das Problem nicht selber in den Griff bekommen hat, oder ärgert ihn mein Eingreifen? Vielleicht hätte er es ja lieber gesehen, wenn mir die Situation entglitten wäre? Verdammt, ich kann den Mann einfach nicht einschätzen. Liegt wohl daran, dass ich eine beschissene Menschenkenntnis besitze.

Bevor ich weiter grübeln kann, ist Matthias zurück und drückt mir eine Wasserflasche in die Hand.

„Ich dachte für später“, sagt er. Anstelle auf seine Seite zu gehen, bleibt er allerdings vor mir stehen. Fragend sehe ich ihn an. „Du hältst nicht viel von mir, habe ich recht?“

Dass er mich so unvorbereitet darauf anspricht, bringt mich ganz aus dem Konzept.

„Andersrum wird wohl eher ein Schuh draus“, brumme ich undeutlich.

„Was meinst du?“ Sein verwirrter Blick macht ihn zum ersten Mal richtiggehend menschlich. Auch wenn ich ihm das nicht ganz abnehmen kann. „Na, ich hänge bestimmt nicht ständig meine Überlegenheit heraus.“

Verdammt, was rede ich denn da? Vorhin erteile ich zwei Kerlen Hausverbot, weil sie den Chef beleidigen und jetzt lehne ich mich selber ganz schön weit aus dem Fenster. So viel dazu, wie ungern ich meinen Job verlieren will.

„Du … du hältst mich für eingebildet?“ Ach, nun ist es auch schon egal. Ich nicke. „Aber, aber …“ Er bricht ab und starrt mich einfach nur an. So eindringlich gemustert zu werden, ist mir unangenehm. „Du irrst dich“, sagt er plötzlich leise und seine Stimme klingt ganz komisch.

Ohne ein weiteres Wort dreht es sich um und rennt los, ums Gebäude herum, auf den Parkplatz zu. Keine Minute später fährt sein schwarzer Golf an mir vorbei auf die Straße hinaus. Perplex sehe ich den sich entfernenden Rücklichtern hinterher. Er kann mich doch nicht einfach alleine hier stehenlassen.

Impressum

Texte: Caro Sodar; France Carol
Bildmaterialien: 123rf.com, malestockphoto.com, Bearbeitung Caro Sodar
Lektorat: Caro Sodar; France Carol
Tag der Veröffentlichung: 23.08.2015

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