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Kapitel 1

 

Kaum hat Darryl die Haustür geöffnet, würde er sie am liebsten wieder zuschlagen und davonfahren. Einen Moment bleibt er im Flur stehen, sein Blick ist auf die Treppe gerichtet. Er überlegt, ob er hinaufgehen soll oder nicht. Doch was bringt es schon, wenn er wieder einmal hinaufgeht und sich über den Krach beschwert. Gar nichts! So war es auch schon die letzten Male. Katja macht die Musik dann zwar leiser, aber das laute Lachen von ihr und ihren Freunden wird trotzdem noch durchs ganze Haus schallen und zwischendurch wird er auch immer wieder den kleinen Kevin schreien hören. Und wenn er morgen wieder nach Hause kommt, wird ihn wieder der gleiche Krach empfangen.

Darryl gibt ein verzweifeltes Schniefen von sich und beschließt, in sein Zimmer zu gehen. Als er an der Küche vorbeikommt und seinen Blick schweifen lässt, trifft ihn fast der Schlag. Der Kühlschrank steht sperrangelweit offen und sämtliche Lebensmittel sind auf dem Tisch und auf den Schränken verteilt. An der Küchentür bleibt Darryl stehen und sieht sich fassungslos um, dabei fällt sein Blick auf den Herd, dessen Kochplatten glühen. Schnell eilt er hin und schaltet den Herd aus. Das geht jetzt doch zu weit. Blitzschnell hat er sich umgedreht und hastet die Treppe hinauf. Oben in der Diele kommt ihm schon Zigarettenqualm entgegen, was ihn noch wütender macht. Ohne anzuklopfen, reißt er die Tür auf. Sofort fällt sein Blick auf das Bett, in dem sich zwei hitzige Körper in berauschender Ektase befinden. Geschwind wendet er sich zur anderen Seite und sein Blick fällt auf das Kinderbettchen, in dem schreiend der kleine Kevin liegt. Mit wenigen Schritten ist Darryl bei dem Kleinen. Sofort steigt ihm ein beißender Geruch in die Nase. „Puh! Mein Kleiner, du brauchst dringend ein Bad.“ Vorsichtig nimmt er das Baby auf den Arm. Sofort wird der Kleine ruhiger und Darryl geht mit ihm zum Tisch rüber, greift das Bier, was dort steht und geht weiter zum Bett. Ohne lange zu fackeln, gießt er es über die beiden. Entsetzt fährt Katja in die Höhe und starrt ihn verwirrt an. „Mach dich aus dem Bett und schmeiß den Typen raus. Und dann räumst du unten den Dreck auf, während ich mich um dein Kind kümmere.“ Darryl versucht aus Rücksicht auf das Kind ganz ruhig zu bleiben, was ihm in der Situation allerdings sehr schwer fällt. Eindringlich ist sein Blick auf Katja gerichtet. „Ich habe dir schon mehrfach gesagt, dass in meinem Haus nicht geraucht wird.“ Verachtend wirft er einen Blick auf den Typen, der ihn genervt ansieht. „Nimm deine Sachen und dann verschwinde“, sagt Darryl kurz und wendet sich zur Tür, dort dreht er sich noch einmal um. „In fünf Minuten bist du hier raus.“ Seine Stimme klingt leise und doch wird dem Typen bei Darryls Blick ganz anders. Schnell springt er aus dem Bett und zieht sich an. Als Darryl verschwunden ist, will Katja ihn wieder zu sich ins Bett ziehen. „Komm wieder zu mir.“

„Der scheint sauer zu sein und ich will keinen Ärger.“

„Darryl hat nichts zu sagen, er ist doch nur mein Vermieter.“ Katja greift seine Hand und zieht ihn aufs Bett.

 

Sobald Darryl den Kleinen gebadet und frisch angezogen hat, geht er mit ihm in die Küche. Fassungslos schüttelt er den Kopf, dreht sich um und geht rüber ins Wohnzimmer. Vorsichtig legt er den Kleinen in seine Krabbelbox und dann stürmt er die Treppe wieder hinauf. Blitzschnell ist er im Zimmer. Bevor der Typ weiß, was passiert, hat Darryl ihn am Kragen gegriffen und schleift ihn zur Tür. Ohne großes Aufsehen hat er ihn rausgeworfen und ist blitzschnell wieder die Treppe hinauf. Als er zur Tür reinkommt, sitzt Katja auf dem Bett und will sich gerade eine Zigarette anzünden. Eh sie sich versieht, hat Darryl ihr die Zigarette auf dem Mund genommen und auf den Boden geworfen. „Hier wird nicht geraucht!“, schreit er sie an. Er greift nach ihrem Arm und zieht sie auf die Beine. „Da unten wartet dein Sohn auf sein Fläschchen, also bewege deinen faulen Hintern.“

„Ich muss mich erst mal anziehen“, mault sie, während sie ihren Arm losmacht. Sofort greift sie ein paar Sachen und will in die Dusche verschwinden. „Wo willst du hin?“, schreit Darryl ihr hinterher.

„Duschen, was sonst?!“ Genervt verdreht sie die Augen.

„Das kannst du nachher, jetzt kümmere dich um dein Kind.“ Darryl verstellt ihr den Weg und zeigt auf die Treppe.

„Ich muss aufs Klo!“, schreit sie ihn an und drängt an ihm vorbei. Bevor Darryl es verhindern kann, hat sie hinter sich die Tür abgeschlossen. Resigniert lässt Darryl den Kopf sinken und geht zur Treppe. Von unten klingen die herzzerreißenden Schreie des Kleinen zu ihm hinauf. Schnell ist Darryl bei ihm und nimmt ihn in die Arme. „Ist ja schon gut. Ich gebe dir ja dein Fläschchen, du konntest dir schließlich deine Mutter nicht aussuchen.“ Beruhigend hält er ihn im Arm und durchsucht den Küchenschrank nach einer sauberen Flasche und dem Milchpulver.

 

Endlich ist der kleine Kevin satt und zufrieden in seinen Armen eingeschlafen und Darryl trägt ihn vorsichtig nach oben. Gerade, als er ihn in sein Bettchen legen will, kommt Katja aus dem Bad gestürmt und dreht auch gleich die Stereoanlage auf. Wutschnaubend fährt Darryl zu ihr herum. „Stell das Ding gefälligst ab und dann mach dich nach unten in die Küche.“ Sein Blick gleitet über sie und er muss sich eingestehen, dass sie wirklich ein sehr reizvolles Wesen ist. Während er sich um das Kind gekümmert hat, hat sie sich hergerichtet und steht jetzt in einem hautengen Minirock und bauchfreiem Top vor ihm. Verführerisch kommt sie einen Schritt auf ihn zu. Als sie stehen bleibt, streicht sie, mit einer anmutigen Bewegung, ihr langes, blondes Haar nach hinten, beugt sich etwas nach vor und greift nach dem Schlüssel, der auf dem Tisch liegt. Jede ihrer Bewegungen ist so gewählt, dass Darryl auch ja recht viel von ihren Reizen zu spüren bekommt. Doch wie schon so oft vorher reagiert er nicht darauf. Er sieht sie einfach nur an und zeigt auf die Stereoanlage. „Schalte das Ding aus“, sagt er kurz. Da Katja jedoch keinerlei Anstalten macht, die Anlage auszuschalten, macht er einen schnellen Schritt und schaltet sie selbst aus. Sofort dreht er sich zu Katja und greift sie am Arm. Vorsichtig zieht er sie aus dem Zimmer und schließt leise die Tür. Sie immer noch festhaltend steuert er die Treppe hinunter und schiebt sie zur Küche rein. „Du hast dich umsonst so aufgedonnert, heute wirst du nicht ausgehen.“ Er zeigt auf die ganze Unordnung. „Das ist dein Dreck, also räume ihn auch gefälligst weg.“

Katja stellt sich vor ihm hin und sieht ihn mit einem forschen Augenaufschlag an. „Ich habe eine Verabredung. Du musst heute schon mal allein putzen.“ Seelenruhig will Katja an ihm vorbei zur Haustür gehen, doch blitzschnell hat Darryl ihren Arm gegriffen und hält sie fest. „Ich habe gesagt, du sollst dein Dreck wegräumen. Ich habe dich hier wohnen lassen, weil du schwanger warst und kein Dach über dem Kopf hattest. Du hast hoch und heilig versprochen, dass du dich bessern willst. Gestern erst hast du mir versprochen, dass du dich um Kevin kümmern willst und jetzt willst du ihn schon wieder allein lassen. Hast du ihn heute überhaupt einmal gefüttert? Die Windel hast du ihm garantiert nicht gewechselt. Er ist vollkommen wund. Willst du, dass sie ihn dir wegnehmen?“ Darryl ist immer lauter geworden und zum Schluss schreit er sie an.

„Das ist einfach zu viel für mich. Den ganzen Tag muss ich für ihn da sein, da ist es doch wohl nicht zu viel verlangt, wenn ich abends ein paar Stunden ausgehe. Ich muss auch mal abschalten. Und außerdem lasse ich ihn ja nicht allein, du bist ja hier.“ Mit einem weinerlichen Blick sieht sie zu ihm auf. „Er hat heute den ganzen Tag geschrien und ich weiß nicht warum. Egal was ich gemacht habe, er hat nicht aufgehört. Und jetzt brauche ich ein bisschen Ablenkung.“ Verführerisch klimpert sie mit ihren perfekt geschminkten Wimpern. „Ich bleibe auch nur ein oder zwei Stunden.“

„Das kann nicht dein Ernst sein.“ Fassungslos starrt Darryl sie an. „Das Gleiche hast du mir gestern und vorgestern und auch bereits die letzten vier Wochen gesagt und dann warst du jedes Mal bis zum Morgen verschwunden. Damit ist jetzt Schluss! Entweder du kümmerst dich anständig um dein Kind oder ich melde es beim Jugendamt. Hast du wenigsten schon dem Typen mitgeteilt, dass er Vater geworden ist und bekommst jetzt Unterhalt für den Kleinen?“

„Ich habe dir schon mal gesagt, dass dich das nichts angeht!“, faucht sie ihn wütend an.

„Ach ja, es geht mich nichts an?! Du wohnst seit einem halben Jahr hier und hast erst einmal Miete gezahlt, und wenn ich nicht jeden Tag einkaufen würde, hättest du nicht mal was zu essen und ganz zu schweigen von dem Kleinen. Du kannst ja nicht mal die Windeln bezahlen.“ Eindringlich sieht er sie an. „Warum holst du dir nicht das, was dir zusteht?“

„Das geht dich einen Scheißdreck an!“, schreit sie ihn an und will an ihm vorbei zur Haustür. Rasch hat er ihr den Weg verstellt. „Wenn du heute gehst, schmeiß ich dich raus.“ Drohend sieht er sie an. „Wenn du schon nicht in der Lage bist, die Miete zu bezahlen, dann räum wenigstens deinen Dreck weg und kümmere dich um dein Kind. Ich bin weder dein Kindermädchen noch Kevins Vater.“

„Zum Glück bist du es nicht.“ Wutschnaubend sieht sie ihn an. „Ich bleibe nicht lange, versprochen. Aber ich muss hier raus.“ Bevor Darryl reagieren kann, ist sie an ihn vorbei und reißt bereits die Haustür auf. Erschrocken bleibt sie kurz stehen, denn Peggy steht davor und wollte soeben klingeln. „Darryl, Besuch für dich“, ruft sie über die Schulter zurück und dann ist sie auch schon verschwunden.

Kopfschüttelnd kommt Peggy rein und sieht Darryl etwas verwirrt an. „Will Katja schon wieder weg?“

„So langsam reicht es mir mit dem Weib.“ Genervt winkt Darryl ab und zeigt aufs Wohnzimmer. „Setzt dich schon mal rein. Bei mir dauert es noch ein bisschen.“

„Was dagegen, wenn ich mir ’ne Cola nehme?“ Peggy wartet erst gar keine Antwort ab, sondern geht gleich zur Küche. „Wenn du eine findest“, hört sie Darryl hinter sich sagen, doch da steht sie längst mit weit aufgerissenem Mund in der Tür und starrt auf das Chaos. Fragend dreht sie sich zu Darryl. Sie sind schon seit Jahren befreundet und sie ist sehr oft bei ihm unerwartet aufgetaucht, aber so chaotisch sah es noch nie bei ihm aus. Darryl zuckt mit den Schultern. „Katja hatte wieder mal einen Typen hier und die Schweinerei haben sie hinterlassen.“

Ohne ein Wort zu verlieren, beginnt Darryl aufzuräumen und Peggy hilft ihm mit einem angewiderten Gesichtsausdruck. Schon vor Monaten hat Peggy ihm gesagt, dass er diese Katja rauswerfen soll, aber er meinte nur, dass er doch keine Schwangere vor die Tür setzen kann. Als das Kind da war, wurde es noch schlimmer mit Katja. Zuerst hat Peggy ja gedacht, dass Darryl Interesse an Katja hat, aber inzwischen weiß sie, dass es nicht so ist, doch er mag den Kleinen.

 

Endlich ist alles wieder sauber und sie können sich hinsetzten und mit der Arbeit beginnen. Doch kaum haben sie sich ins Wohnzimmer gesetzt, ertönt aus dem Babyfon ein leises Wimmern. Blitzschnell ist Darryl auf den Beinen und hastet die Treppe hinauf. In der Zwischenzeit hat Peggy ihren Laptop hochgefahren und nebenbei hört sie Darryls ruhige Stimme über dem Babyfon. Sie ist jedes Mal erstaunt, wie sensibel er sich dem Kleinen gegenüber verhält. Peggy hat ihn schon sehr oft von seiner ruppigen Seite erlebt und die ist nicht gerade von schlechten Eltern.

Ein paar Minuten später setzt er sich zu ihr und Peggy schiebt ihm gleich einen Ausdruck hin. Geistesabwesend nimmt Darryl ihn in die Hand und schaut ihn sich an, doch er ist überhaupt nicht bei der Sache, was Peggy sofort auffällt. Kurzentschlossen greift Peggy den Ausdruck und legt ihn zur Seite. „So, jetzt sag mir erst mal, was los ist“, fordert sie ihn energisch auf. Darryl starrt sie einen Moment verwirrt an. „Was soll schon los sein?“

„Komm mir nicht so. Irgendwas beschäftigt dich. Du hast ja nicht mal gemerkt, dass ich dir den alten Ausdruck gegeben habe. Also, ich höre.“ Peggys Blick ist fest auf ihn gerichtet.

„Was soll schon sein? Es ist wegen Katja. Sie geht jeden Tag weg und kümmert sich überhaupt nicht um den Kleinen. Heute hat sie mit einem Typen im Bett gelegen und der Kleine hat die ganze Zeit geschrien. Und jetzt ist sie schon wieder weg. Sie fragt nicht mal, ob ich auf ihn aufpasse, sie setzt es einfach voraus.“ Darryl fährt sich verzweifelt durch die Haare. „Ich kann sie nicht mal rausschmeißen und das weiß sie und nutze es auch noch aus.“

„Wieso kannst du sie nicht rausschmeißen? Sie hat doch mehr als reichlich Mietschulden bei dir.“

„Ja, aber was wird aus dem Kleinen? Wo soll sie mit dem Kind hin? Ich kann sie doch nicht mit dem Kind auf die Straße schicken.“

„Was ist mit dem Vater? Kann er nicht helfen?“

„Ich habe keine Ahnung, wer der Vater ist und Katja rastet jedes Mal aus, wenn ich sie darauf anspreche.“

„Ich könnte wetten, dass sie es selbst nicht weiß.“ Eindringlich sieht sie Darryl an. Darryl zuckt mit den Schultern. „Das vermute ich schon lange, aber sie gibt es nicht zu.“

„Du wolltest dich doch erkundigen, wie es mit einem Platz in einem Mutter-Kind-Heim aussieht. Hast du da was erreicht?“

„Sie könnte dort unterkommen, aber sie müsste sich allein um den Kleinen kümmern. Es ist zwar ständig eine Betreuerin da und sie kann sich dort immer Hilfe in Form von Ratschlägen holen, aber es würde keiner auf den Kleinen aufpassen, wenn sie weg will, außer wenn es Behördengänge sind. Und dort ist absolutes Rauchverbot. Das würde sie nie durchhalten und bei ihrem Lebenswandel würden sie ihr bereits nach einer Woche den Kleinen wegnehmen.“

„Auf was wartest du noch? Schieb sie ab!“ Peggy sieht ihn auffordernd an.

„Das kann ich nicht.“ Voll Entsetzen ist sein Blick auf Peggy gerichtet. „Was soll aus dem Kleinen werden?“

„Was geht es dich an, wenn sie ihr das Kind wegnehmen? Du hast nichts mit ihm zu tun, du hast keinerlei Rechte an ihm. Sie könnte von heute auf morgen hier ausziehen und ihn mitnehmen, ohne dir zu sagen, wo sie hingeht und dann ist der Kleine ihr wirklich ausgeliefert.“ Eindringlich sieht Peggy ihn an. „Es ist für den Kleinen das Beste, wenn er von ihr wegkommt.“ Darryl sitzt da und schüttelt den Kopf. Einen Moment überlegt er, doch dann greift er entschlossen den Stapel Ausdrucke. „Los, lass uns anfangen, sonst ruft Tamara wieder an und fragt, wo du bleibst.“ Er wirft ihr einen fragenden Blick zu. Peggy hält seinem Blick stand und grinst ihn frech an. „Du kannst es vergessen. Zwischen uns läuft es sehr gut.“ Als sie sich damals kennenlernten, fiel ihr sofort auf, dass er sich in sie verliebt hat. Sie hatte ihm gleich gesagt, dass sie lesbisch ist und nie was mit einem Mann anfangen würde. Doch sobald sich die Gelegenheit bietet, startet er bei ihr einen neuen Versuch. Vor einiger Zeit hatte sie eine Krise in ihre Beziehung und er war sofort tröstend zur Stelle. Er hat sich wirklich alle Mühe gegeben, sie zu erobern, aber das hat ihm alles nichts genützt. Nach zwei Wochen war ihre Krise überwunden und sie war mit Tamara wieder glücklich. Aber die Gespräche mit Darryl sind für sie unersetzlich und haben ihr unglaublich geholfen.

 

Kapitel 2

 

Darryl fährt aus dem Schlaf hoch. Aus dem Babyfon, das auf dem Nachtschrank neben seinem Bett steht, dringen die schrillen Schreie eines Babys zu ihm rüber. Suchend tastet Darryl den Nachtschrank ab, bis er endlich seine Uhr gefunden hat. Nachdem er einen Blick darauf geworfen hat, schlägt er die Hände vors Gesicht. Gerade erst 5 Uhr, da wird Katja noch nicht in der Lage sein, nach dem Kleinen zu sehen, also schwingt sich Darryl aus dem Bett.

Ein paar Minuten später öffnet er die Tür und betritt das Zimmer. Schnell schweift sein Blick durchs Zimmer. Es ist noch genauso unordentlich wie gestern und das Bett ist leer. Kopfschüttelnd wendet er sich zum Kinderbettchen und nimmt Kevin auf den Arm.

 

Frisch gewindelt und gefüttert wiegt Darryl den Kleinen noch eine Weile in seinen Armen. Gerade, als er die Treppe hochgehen will, öffnet sich die Haustür und Katja, mit irgendeinem Typen im Schlepptau, kommt herein. Sofort macht Darryl kehrt und will ihr Kevin in die Hände drücken, doch als er sieht, wie betrunken sie ist, überlegt er es sich anders. Seinen Blick richtet er fest auf den Typen. „Schön, dass du sie nach Hause gebracht hast, aber jetzt kannst du verschwinden.“ Etwas verwirrt starrt der Typ ihn an, aber Darryl zeigt nur auf die Tür. Sobald der Typ verschwunden ist, fährt Katja zu Darryl herum. „Warum vergraulst du meine Freunde? Dazu hast du kein Recht. Wir hatten schließlich noch nie was miteinander.“

„Darauf kann ich auch verzichten.“ Angewidert verzieht Darryl das Gesicht. „Ich bringe deinen Sohn jetzt in sein Bett und du solltest dir einen starken Kaffee machen, damit du dich nachher um ihn kümmern kannst.“

„Ich geh jetzt schlafen, wenn du willst, kannst du ja mitkommen.“ Verführerisch klimpert sie mit ihren Augen. Kopfschüttelnd sieht Darryl sie an und sofort verziehen sich ihre vollen roten Lippen zu einem Schmollmund. „Was ist mit dir? Gefalle ich dir etwa nicht oder bist du vielleicht schwul?“ Ein anzügliches Lächeln erscheint auf ihrem hübschen Gesicht. „Peggy war hier und du fährst doch voll auf sie ab, aber sie ist lesbisch und lässt dich doch bestimmt nicht ran.“ Frech lacht sie auf. „Jedes Mal, wenn sie hier war, platzen dir doch gleich die Eier und du tust so, als ob nichts ist. Oh Gott, seid ihr Kerle bescheuert!“ Schwankend kommt sie auf Darryl zu. „Ich biete dir ein Geschäft an.“ Sie macht eine kurze Pause und sieht ihn hinterhältig grinsend an. „Ich geh mit dir ins Bett und du darfst dich mit Kevin beschäftigen. Du bist doch ganz vernarrt in den Schreihals.“ Abwartend sieht sie Darryl an, doch Darryl schüttelt nur fassungslos den Kopf. „Wenn du willst, verkleide ich mich auch als Peggy und du kannst mit mir machen, was du willst.“

„Du bist stinkbesoffen. Kannst du mir mal sagen, wie du dich um den Kleinen kümmern willst?“ Angewidert sieht er sie an. „Vielleicht ist es wirklich das Beste, wenn sie dir das Kind wegnehmen.“

„He, das ist mein Kind.“ Katja versucht, nach dem Kind zu greifen, doch Darryl bringt es aus ihrer Reichweite. Er greift nach ihrem Arm und schiebt sie zur Treppe. Ruckartig dreht sich Katja zu ihm und grinst ihn frech an. „Hab ich dir eigentlich schon gesagt, was für eine gute Geldquelle das Kind ist. Ich habe fünf Väter zur Auswahl. Alle haben ein Haufen Geld und drei sind verheiratet und würde eine Menge zahlen, damit ihre Frauen nichts davon erfahren.“

„Aber nur einer ist der Vater und den musst du erst mal rausbekommen, damit er endlich Unterhalt bezahlt.“ Darryl drängt sie weiter die Treppe hinauf.

„Ach, ich habe jedem mitgeteilt, dass er Vater geworden ist. Wenn einer Zweifel hat, soll er halt einen Vaterschaftstest machen.“ Lässig winkt Katja ab. Kopfschüttelnd schiebt Darryl sie ins Zimmer. Schnell hat er das Kind ins Bettchen gelegt. Als er sich umdreht, sieht er, dass Katja bereits auf dem Bett liegt und schläft.

 

Bevor Darryl zur Arbeit fährt, sieht er noch einmal nach dem Kleinen. Kevin liegt friedlich in seinem Bettchen und schläft. Darryl versucht, Katja zu wecken, aber ohne Erfolg; und so verlässt er mit einem mulmigen Gefühl das Haus. Zum Glück hat er heute nicht viel zu tun. Nur eine kurze Besprechung im Institut und den Rest kann er von zu Hause aus erledigen.

Als Darryl dann endlich wieder nach Hause kommt, hört er schon an der Haustür das laute Geschrei des Babys. Schnell ist er die Treppe hinauf und auch gleich ins Zimmer. Kevin hat die Windeln voll und stopft sich sein kleines Fäustchen, zwischen den Schreien, immer wieder in den Mund. Schnell hat Darryl den Kleinen auf dem Arm und wiegt ihn beruhigend. Ein leises Murren lässt ihn einen Blick aufs Bett werfen. Katja liegt immer noch da und schläft. „Die Mutter kannst du vergessen“, sagt Darryl zu dem Kleinen und sucht schon nach einer frischen Windel.

 

Ein paar Stunden später sitzt Darryl im Wohnzimmer über seiner Arbeit. Über das Babyfon, das bisher ruhig war, hört er jetzt ein Rascheln und gleich darauf dröhnt laute Musik auf ihn ein. Erschrocken reißt er den Kopf hoch. In Windeseile stürmt er die Treppe hinauf. Verschlafen kommt Katja ihm entgegen. „Was machst du denn schon hier?“, mault sie ihn an.

„Schalte das Ding gefälligst aus oder mach es wenigstens leiser“, fährt Darryl sie an. Genervt dreht sich Katja um und geht wieder ins Zimmer, um die Anlage etwas leiser zu stellen. Darryl ist ihr ins Zimmer gefolgt und geht gleich zu Kevin, der aus Leibeskräften schreit. Katja wirft einen Blick auf ihn und verdreht die Augen. „Bis eben war er noch ruhig. Ich habe keine Ahnung, was er will.“

„Er war ruhig, weil er geschlafen hat und das wäre er auch immer noch, wenn du ihn nicht mit deinem Höllenkrach aus dem Schlaf gerissen hättest.“ Kurz wiegt Darryl den Kleinen in seinen Armen, dann reicht er ihn an Katja. „Kümmere dich um ihn“, sagt er kurz und sieht sie eindringlich an. Ohne groß zu überlegen, legt sie den Kleinen wieder in sein Bett zurück, sucht ein paar Sachen zusammen und geht ins Bad. Darryl steht da und beobachtet sie. Er kann nicht verstehen, wie man nur so gleichgültig sein kann, es ist doch immerhin ihr Kind. Darryl nimmt den schreienden Kevin wieder auf den Arm. Sobald Darryl ihn sanft wiegt, beruhigt er sich wieder und sieht ihn mit großen Augen an. Kurzentschlossen nimmt er ihn mit nach unten ins Wohnzimmer.

Einige Zeit später hört Darryl ein Klappern aus der Küche. Erstaunt hebt er den Kopf und sieht zu dem Baby rüber. „Hört sich an, als ob deine Mama zu Vernunft gekommen ist und dir ein Fläschchen macht.“ Doch da hat sich Darryl gewaltig geirrt. Als nach einer halben Stunde alle Geräusche wieder verstummt sind und von Katja nichts zu sehen ist, geht er in die Küche.

Auf dem Küchentisch stapeln sich die leeren Verpackungen und das Brot liegt mittendrin. Eine offene Milchflasche steht auf dem Schrank und in einem Topf befinden sich noch ein paar verbrannte Überreste von etwas, dass Darryl nicht mehr identifizieren kann. Blitzschnell dreht er sich um und stürmt die Treppe hinauf. Er hat noch nicht einmal die Tür erreicht, da geht sie bereits auf und Katja kommt mit ihrem Handy am Ohr heraus. „Bin sofort bei dir“, hört Darryl sie noch sagen und dann will sie auch schon an ihm vorbei. „Wo willst du hin?“, schreit er sie an. Genervt verdreht sie die Augen. „Ich muss zu Mara, das ist ein Notfall.“

„Unten im Wohnzimmer ist dein Sohn und er hat Hunger, das ist ein Notfall.“ Wütend starrt Darryl sie an. Katja schlägt seine Hand zur Seite und stürmt die Treppe runter. „Ich bin gleich zurück“, ruft sie ihm über die Schulter zu.

„Katja! Kümmere dich gefälligst um dein Kind“, ruft er ihr noch hinterher, aber sie hört es nicht mehr, denn die Tür fällt bereits krachend ins Schloss. Resigniert lässt Darryl den Kopf sinken. Während er ins Wohnzimmer geht und sich wieder einmal um den Kleinen kümmert, beschließt er, dass jetzt endgültig Schluss ist. Er nimmt sich vor, gleich Montag beim Amt anzurufen.

 

Die halbe Nacht hat Darryl über seine Arbeit gesessen und jetzt reißt ihn das Babygeschrei aus dem Schlaf. Müde schleicht er die Treppe hinauf, und wie er bereits vermutet hat, ist Katja noch nicht wieder da und so kümmert er sich schon wieder um den Kleinen. Sobald er das Kind versorgt hat, legt er sich wieder hin, denn es ist noch nicht einmal 5 Uhr.

Das Nächste, was ihn aus dem Schlaf gerissen hat, ist das Klingeln des Telefons. Kichernd fragt Mara, ob Katja schon zu Hause ist. Ohne eine Antwort zu geben, legt Darryl auf. Genervt fährt er sich durch die Haare. Es ist Samstag und gerade 6 Uhr durch und an Schlaf ist jetzt nicht mehr zu denken. Schnell vergewissert er sich noch, ob Katja inzwischen zu Hause ist, aber wieder einmal liegt er mit seiner Vermutung richtig, denn weit und breit ist nichts von ihr zu sehen.

 

Nachdem Katja bis Sonntagmorgen noch nicht wieder aufgetaucht ist, ruft Darryl bei Mara an. Von ihr erfährt er, dass Katja einen Typen kennengelernt hat und mit zu ihm wollte. Allerdings weiß Mara nicht, wo der Typ wohnt. Darryl ist von Katjas Nachlässigkeit genervt und so drängt er Mara, ihm die Adresse von Katjas Eltern zu geben.

Als Katja Montagmorgen immer noch nicht da ist, reicht es Darryl endgültig. Er packt Kevins Sachen zusammen, verstaut alles in seinem Auto und fährt mit dem Kleinen zu Katjas Eltern.

Katja hat nie über ihre Eltern gesprochen und so weiß Darryl auch nicht, was ihn erwartet. Er macht sich einfach auf alles gefasst und rechnet mit dem Schlimmsten.

Auf sein Klingeln öffnet ihm eine freundliche ältere Frau die Tür. In kurzen Worten erklärt Darryl ihr, wer er ist und das er Katjas Sohn bei sich hat und ihn jetzt irgendwie unterbringen muss, da Katja seit Freitag nicht mehr zu Hause aufgetaucht ist. Zu Darryl großer Überraschung wussten Katjas Eltern nichts von dem Kind, aber allzu verwundert waren sie auch nicht. Doch sie haben sich sofort bereit erklärt, den Jungen aufzunehmen. Auch wollen sie sich gleich ans Jugendamt wenden, damit der Kleine bei ihnen bleiben kann. Darryl war von dem Ausgang angenehm überrascht. Er hat schon befürchtet, dass die Eltern die Verantwortung für das Kind ablehnen, dann wäre ihm nichts anderes übriggeblieben, als Kevin zum Jugendamt zu bringen.

 

Gleich von dem Abstecher zu Katjas Eltern ist er zur Arbeit gefahren. Als er abends nach Hause kommt, ist Katja noch immer nicht da. Wieder versucht er, sie auf ihrem Handy zu erreichen, und wieder ist das Handy ausgeschaltet. Später am Abend bekommt er von Katjas Mutter einen Anruf. Sie teilt ihm mit, dass sie vom Jugendamt das vorläufige alleinige Sorgerecht zugesprochen bekommen haben und somit Kevin bei ihnen bleiben kann. Darryl freut sich für den Kleinen, aber irgendwie vermisst er ihn bereits. Immerhin war er drei Monate bei ihm und er hat sich täglich um ihn gekümmert. Seine gesamte Arbeitszeit hat er für das Kind verschoben, nur um sicherzustellen, dass er auch versorgt wird. Aber wenn Katja nun überhaupt nicht mehr da ist, ist es für ihn nicht machbar. Wenigstens für ein paar Stunden muss er täglich ins Institut.

 

Am nächsten Morgen ist Katja immer noch nicht da. Doch als Darryl am Abend nach Hause kommt, wird er bereits von dem üblichen Lärm erwartet. Sofort geht er nach oben. Auf der letzten Stufe bleibt er fassungslos stehen. In seiner Diele findet eine Party statt. In dicken Wolken weht ihm der Zigarettenqualm entgegen und die Stereoanlage dröhnt durch das ganze Haus. Überall liegen Bierflaschen herum und ein Pärchen liegt schmusend auf dem Sofa. Darryl stürmt in Katjas Zimmer. Blitzschnell reißt er den Stecker der Stereoanlage aus der Steckdose und dann fährt er zu Katja, die sich mit einem Kerl auf dem Bett aalt, herum. „Pack deine Sachen und verschwinde und vergiss nicht, deine Freunde mitzunehmen.“ Drohend ist Darryls Blick auf sie gerichtet.

„He, was will der Typ“, mault der Kerl in Katjas Bett.

„Schwing deinen Arsch aus meinem Haus“, schreit Darryl ihn wütend an. Blitzschnell springt der Typ auf und will sich auf Darryl stürzen, doch schnell hält Katja ihn zurück. „Die Party ist vorbei. Ich melde mich bei dir.“

Verwirrt sieht der Typ sie an, doch Katja zeigt nur auf seine Sachen und dann auf die Tür. Als der Typ an Darryl vorbeigeht, meint Darryl noch zu ihm: „Nimm deine Freunde mit.“ Darryl beobachtet, wie sich alle drei davon machen.

„Musstest du mir unbedingt den Spaß verderben?“, faucht Katja ihn an. Darryls Kopf schnellt zu ihr herum. „Wo hast du dich die ganze Zeit rumgetrieben?“, fährt Darryl sie aufgebracht an.

„Das geht dich einen Scheißdreck an. Wo ist der kleine Schreihals?“ Katja hat es nicht einmal für nötig gehalten, vom Bett aufzustehen.

„Ich habe ihn vor dir in Sicherheit gebracht. Wenn du ihn sehen willst, musst du dich ans Jugendamt wenden.“

„Was???“ Blitzschnell ist Katja aus dem Bett gesprungen. „Wo ist das Kind? Du warst nicht beim Jugendamt, das kannst du mir nicht erzählen. Du hängst doch viel zu sehr an ihm und willst bestimmt nicht, dass er im Heim landet.“

„Was hast du geglaubt, was passiert mit dem Jungen, wenn du dich tagelang nicht blicken lässt? Soll er hier allein bleiben, während ich arbeiten bin? Und jetzt pack deine Sachen und verschwinde.“ Unnachgiebig steht Darryl da und starrt sie an.

„Du kannst mich doch nicht einfach rausschmeißen! Wo soll ich denn hin?“ Mit weinerlichem Blick sieht sie zu ihm auf.

„Von mir aus dorthin, wo du die letzten Tage verbracht hast. Du hast genau eine Stunde Zeit, wenn du bis dahin nicht verschwunden bist, schmeiß ich dich eigenhändig raus.“

„Wo ist Kevin?“, schreit Katja ihn an. „Ich will ihn sehen.“

„Dann wende dich ans Jugendamt.“ Darryl dreht sich um und geht.

Kapitel 3

 

So langsam ist wieder der normale Alltag bei Darryl eingekehrt. Von Katja hat er schon seit Wochen nichts mehr gehört, aber von ihren Eltern weiß er, dass sie immer noch von einer Party zur nächsten zieht und um ihren Sohn kümmert sie sich überhaupt nicht. Aber er braucht sich um den kleinen Kevin keine Sorgen zu machen, denn er ist bei seinen Großeltern bestens aufgehoben.

Wieder einmal hat Darryl bis spät abends in seinem Büro gesessen und will jetzt nur noch was essen und dann schlafen. Kaum hat er sich an den Tisch gesetzt, klingelt es Sturm. Müde schleicht Darryl zur Haustür. Sobald er die Tür öffnet, drängen auch schon Peggy, Tamara, Stefan und Lydia herein. „He, hast du unsere Verabredung vergessen?“, wird er von ihnen begrüßt. Verwirrt starrt Darryl sie an, er hat wirklich vergessen, dass sie heute alle zusammen einen draufmachen wollten. Entschuldigend hebt er die Hände. „Ich hab’s vergessen und bin gerade erst rein. Tut mir leid, aber heute wird’s nichts.“ Versucht er sich aus der Affäre zu ziehen.

„Das kannst du vergessen. Du schwingst jetzt dein Arsch in dein Zimmer, ziehst dich um und dann geht’s los.“ Drohend sieht Peggy ihn an, als er den Mund aufmacht und etwas dagegen sagen will, fährt sie ihm sofort ins Wort. „Zieht dich um!“, faucht sie ihn an und zeigt auf sein Zimmer. „Du hast fünf Minuten.“ Ihren Blick hat sie fest auf ihn gerichtet. Resigniert lässt Darryl die Hände sinken. „Okay! Setzt euch so lange ins Wohnzimmer.“

 

Während die laute Musik zu ihnen herüber schallt, sitzen sie alle zusammen und versuchen sich ein wenig zu unterhalten. Darryl ist interessiert, was Stefan und Lydia jetzt machen, denn seitdem Lydia mit ihrem Studium fertig ist, hat er nichts mehr von den beiden gehört. Nur Peggy hat ihm einmal erzählt, dass beide in Berlin bleiben wollen. Stefan hat dort gleich nach seinem Studium in einem Anwaltsbüro angefangen und Lydia ist ihm vor einem halben Jahr gefolgt.

Stefan beugt sich zu Darryl rüber: „Wir wollen nächstes Jahr heiraten, spielst du mein Trauzeuge?“ Grinsend sieht Stefan ihn an. Darryl wirft ihm einen abschätzenden Blick zu und dann lässt er seinen Blick über Lydia schweifen und meint zu ihr: „Bis du sicher, dass du ihn willst? Der Typ kann einem manchmal ganz schön auf den Sack gehen.“ Lachend wendet Darryl sich zu Stefan. „Wenn sie es sich nicht anders überlegt, bin ich dabei.“

Sie sitzen noch eine ganze Weile zusammen und unterhalten sich ausgelassen.

Lydia und Stefan sind schon wieder einmal auf der Tanzfläche und Tamara drängelt auch bereits eine Weile, dass sie gern tanzen würde, aber Peggy ist sich nicht sicher, ob sie Darryl allein lassen kann. Irgendwie ist er in der letzten Zeit nicht ganz er selbst. Die Sache mit Kevin und Katja hat ihn doch mehr mitgenommen, als er zugibt. Peggy wirft Tamara einen bittenden Blick zu und Tamara versteht sofort. „Ich habe da drüben einen Kumpel gesehen, ich geh mal hin“, sagt sie kurz und lässt die beiden allein.

Eindringlich sieht Peggy Darryl an und überlegt, wie sie anfangen soll, doch Darryl kommt ihr zuvor. „Zwischen dir und Tamara scheint es ja wieder ganz gut zu laufen. Ist sie nicht eifersüchtig, wenn du mit mir hier allein sitzt?“

„Auf dich war sie noch nie eifersüchtig. Sie weiß, was ich von dir halte.“ Frech grinst sie ihn an. „Was willst du jetzt machen?“, fragt sie ihn im gleichen Atemzug. Etwas verwirrt sieht er sie an. „Na du hast doch jetzt oben die drei Zimmer frei. Willst du sie wieder an Studenten vermieten?“

„Auf gar keinen Fall.“ Sofort hebt er abwehrend die Hände. „Ich habe die Nase voll. Katja war bisher das Schlimmste, was mir begegnet ist. Obwohl die Studenten vorher auch nicht viel besser waren.“ Fest sieht er Peggy an. „Ich vermiete nicht mehr. Aber wenn du ein Zimmer willst, brauchst du es nur zu sagen. Für dich habe ich immer ein Plätzchen.“ Anzüglich lächelt er zu ihr rüber.

„Du kannst es nicht lassen. Wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich lesbisch bin und es auch bleibe?“

„Vielleicht änderst du ja doch mal deine Meinung.“

„Na klar, und zwar genau in dem Moment, wenn du an dir eine Geschlechtsumwandlung vornehmen lässt.“ Herausfordernd grinst sie ihn an. „Würdest sicher ein hübsches Mädchen abgeben.“

„Bei weitem nicht so hübsch wie du.“ Sein Blick gleitet liebkosend über ihren Körper. Schon vom ersten Augenblick an war er ihr verfallen. Ihre leuchtenden Augen, ihr sinnliches Lächeln und dann erst ihr Körper. Noch nie ist ihm eine Frau mit dieser Ausstrahlung begegnet. In jede ihrer Bewegungen, schon allein, wie sie ihr langes lockiges Haar zurückwirft, ihre Art zu sprechen, im allem, was sie macht, schwingt pure Erotik mit. Selbst ihr helles Lachen ist von Erotik durchzogen.

„Lass die Scheiße und jetzt mal im Ernst. Du kannst doch nicht ganz allein in dem großen Hause wohnen, da vereinsamst du doch.“ Mit einem Stoß in die Rippen holt Peggy ihn in die Wirklichkeit zurück. Etwas verwirrt sieht er sie an. „Du brauchst Gesellschaft“, hört er sie gerade sagen.

„Ich vermiete nicht mehr, ich will meine Ruhe haben, und wenn ich Gesellschaft brauche, dann lade ich mir Freunde ein.“ Damit ist für ihn die Sache erledigt und er erhebt sich. Zielstrebig steuert er die Bar an, wirft aber noch einen Blick zurück und sieht, wie sich ein junger Mann dem Tisch nähert. Neugierig bleibt Darryl stehen und lauscht.

Der junge Mann beugt sich zu Peggy und fragt mit einem verführerischen Lächeln: „Darf ich mich an ihren Tisch setzten?“

„Ja, aber erst wenn ich gegangen bin.“ Herausfordernd sieht sie ihn an und ein verwirrtes Lächeln erscheint auf dem Gesicht es Mannes. Dann setzt er sich einfach zu ihr. Neugierig betrachtet Peggy ihn. Er ist der typische Macho. Seine ganze Art und wie er sie ansieht. Ihr Blick gleitet auf seine Hand, in der er nervös sein Handy dreht. Als er ihren Blick bemerkt, meint er großspurig: „Schönes Ding, hat ’ne Stange Geld gekostet. Kann sich nicht jeder leisten und absolut trendy.“ Kopfschüttelnd sieht Peggy ihn nur an. Immer wieder versucht der Typ Peggy in ein Gespräch zu verwickeln und irgendwann reicht es ihr. „Hey, lass mich in Ruhe, mit solchen Typen wie dich gebe ich mich nicht ab und außerdem hatte ich schon interessantere Gespräche mit meinem Wollpulli.“ Genervt verdreht Peggy die Augen. Doch der Typ gibt immer noch nicht auf. „Ach, du weißt, was ich für ein Typ bin?“

Abschätzend sieht Peggy ihn an. „Kein Mann für eine Nacht, aber ein, zwei Stunden hättest du schon Zeit.“ Herablassend grinst sie ihn an. „Da liege ich doch richtig? Weißt du, es gibt nur zwei Dinge, die ich an Männern hasse – alles, was sie tun und alles, was sie sagen. Und jetzt verzieh dich.“ Ihren Blick hat sie starr auf ihn gerichtet, plötzlich blickt sie zur Seite und ein strahlendes Lächeln zieht über ihr Gesicht. Sobald Tamara dicht genug ist, greift Peggy ihre Hand, zieht sie auf den Platz zu ihrer Rechten und küsst sie leidenschaftlich. Der Typ kann plötzlich gar nicht schnell genug verschwinden.

Darryl findet es immer wieder faszinierend, wie sie sich die Kerle vom Hals hält, aber wie sie Tamara küsst, gefällt ihm überhaupt nicht. Schniefend geht er weiter zur Bar.

Kapitel 4

 

Schnell greift Jessica noch die Mappe mit ihren Aufzeichnungen und dann verlässt sie, mit ihrer Tochter auf dem Arm, die Wohnung. Die ganze Woche geht es schon zu wie im Taubenschlag und sie kommt einfach nicht zum Lernen und Theresa bekommt Zähne und quengelt heute auch schon den ganzen Tag. Vielleicht beruhigt sie sich wieder, wenn sie die Tiere sieht, das hat bisher immer geholfen. „Komm, mein Spatz, gleich ist alles wieder gut“, redet Jessica beruhigend auf die Kleinen ein.

Auf der Treppe kommen ihr noch weitere Studenten entgegen. Jessica drückt sich, so weit es geht, an die Wand und lässt alle vorbei, dabei rutscht ihr die Mappe aus der Hand und ihre gesamten Aufzeichnungen verteilen sich über die Treppe. Verzweifelt sieht sie auf die ganzen Blätter, die schon auf dem untersten Absatz liegen. Jessica sieht die drei Mädchen kommen und in Gedanken sieht sie bereits, wie sie über ihre Blätter trampeln. Doch plötzlich bleiben die Mädchen stehen und starren auf die Blätter, dann gehen ihre Blicke nach oben und Jessica ruft nur: „Bitte nicht drauftreten!“

Lachend beginnen die Mädchen die Blätter aufzusammeln, und da sie sehen, wie bepackt Jessica ist, helfen sie ihr die Treppe noch hinunter.

Es gibt ja doch noch nette Menschen, denkt Jessica und macht sich glücklich auf den Weg zum Park.

Zuerst war Jessica im Park, dort hat sie auf einer Bank gesessen und in ihren Büchern gelesen, während sie Theresa in den Schlaf geschaukelt hat. Als es ihr zu kalt wurde, ist sie in eine Pizzeria gegangen und hat dort weiter gelesen und nebenbei einen Cappuccino getrunken. Dann war sie noch über zwei Stunden in einem Einkaufscenter. Dort konnte sie ein Fläschchen für Theresa erwärmen und sie in aller Ruhe füttern und windeln. Und jetzt muss die Kleine ab ins Bett.

Obwohl es schon spät am Abend ist, ist immer noch keine Ruhe eingekehrt. Mit dem Kind auf dem Arm steht Jessica in der Tür und sieht zu ihren Mitbewohnern, die in bester Partylaune sind, rüber. „Ich muss die Kleine jetzt fertigmachen und dann muss sie schlafen. Also bitte etwas leiser.“ Bittend sieht sie von einem zum andern. Doch ihre zwei männlichen Mitbewohner tun, als ob sie nichts gehört haben und ihre weibliche Mitbewohnerin sieht sie genervt an. „Kannst du nicht irgendwo unterkommen?“ Dann dreht sie sich um und feiert ungestört weiter. Plötzlich stehen die Mädchen aus dem Treppenflur neben ihr. Eine beugt sich zu Theresa und krabbelt ihr an die Nase, sofort fängt Theresa an zu lachen. Auch die anderen sind begeistert von der Kleinen. Nur ihre Mitbewohner finden das nicht so gut und maulen rum. „Hey! Hier ist die Party! Nadja, Tamara, Peggy, kommt wieder her.“ Langsam kommt einer der Typen näher. Als er dicht genug ist, erschrickt er die Kleine und sofort schreit Theresa los. Krampfhaft versucht Jessica sie wieder zu beruhigen, was ihr aber nicht gelingt und so geht sie in ihr Zimmer.

Peggy fährt zu dem Typen herum und starrt ihn wütend an. „Wurdest du mal zu heiß gebadet oder warum hast du sonst der Kleinen Angst gemacht?“, faucht sie ihn an.

„Peggy, die nervt nur einfach mit ihrem Balg“, mischt sich Jenny ein. „Jeden Tag das Geschrei und kaum machen wir eine kleine Party, regt sie sich auf, dass wir leise sein sollen. Wenn ihr das nicht passt, soll sie doch ausziehen.“ Jenny dreht sich um und dreht die Anlage lauter. „Du musst es nicht übertreiben und kleine Kinder brauchen nun mal ihre Ruhe.“ Energisch drängt Tamara dazwischen und dreht die Anlage wieder leiser.

„Ihretwegen lassen wir uns nicht die Party vermiesen“, schreit einer dazwischen und die anderen stimmen zu. Entschlossen sieht Peggy Tamara an. „Also ich habe genug und gehe nach Hause.“

„Ich auch“, stimmt Tamara ihr sofort zu und auch Nadja schließt sich sofort an. Von allen Seiten ertönt Gemurre und einer der Typen sieht Tamara bittend an. „Komm bleibt noch. Wenn ihr jetzt geht, hauen die anderen auch gleich ab.“ Demonstrativ wendet sich Tamara zur Tür, bleibt aber an der Wohnungstür plötzlich noch einmal stehen. „Ich will der Kleinen noch tschüss sagen.“ Und schon steuert sie die Tür an, durch die Jessica verschwunden ist. Nach einem kurzen Klopfen öffnet sie auch gleich die Tür und steckt ihren Kopf hinein. „Ist die Kleine schon im Bett?“

„Nein, aber gleich.“ Freundlich winkt Jessica sie näher. Hinter Tamara drängen auch noch Nadja und Peggy in das kleine Zimmer und alle wollen das Baby sehen.

„Darf ich sie mal nehmen?“ Bittend richtet Tamara ihren Blick auf Jessica. Als diese leicht nickt, nimmt Tamara vorsichtig das Kind auf den Arm. Peggy ist dichter zu Jessica gerückt und fragt neugierig, ob es nicht besser wäre, wenn sie sich ein anderes Zimmer suchen würde. Jessica gibt ein resigniertes Schniefen von sich. „Das ist gar nicht so einfach. Ich würde gern hier ausziehen, aber ich habe nicht viel Geld und kann mir kein teures Zimmer leisten und im Wohnheim ist kein Zimmer zu bekommen.“

„Peggy, kannst du nicht mal mit Darryl sprechen. Er hat doch genug Platz, und wenn du ihn richtig bezirzt, dann frisst er dir doch aus der Hand.“ Nadja wirft ihr einen bittenden Blick zu und von Tamara kommt ein drohender Blick auf Nadja. Als Peggy das sieht, zieht ein Schmunzeln über ihr Gesicht, sie sagt aber kein Wort.

Sobald sich die Mädchen verabschiedet haben, verschwinden auch die anderen und Jenny, die weibliche Mitbewohnerin, klopft bei Jessica an der Tür. „Um mal was klarzustellen. Jedes Wochenende machen wir eine Party, sie beginnt Freitag und endet Sonntag. Wenn dir das nicht passt, dann verschwinde. Fahr doch einfach übers Wochenende nach Hause, das habe ich dir bereits letzte Woche gesagt.“

„Und ich habe dir gesagt, dass ich das Geld dafür nicht habe.“ Vorsichtig drängt Jessica sie zur Tür raus, damit Theresa nicht wieder wach wird. „Ich würde ja gern für die Zeit verschwinden, aber wo soll ich denn hin?“

„Das ist mir scheißegal. Störst du noch einmal eine Party, schmeiß ich dich raus. Schließlich regen wir uns auch nicht auf, wenn dein Balg schreit.“ Schwankend steht Sven, einer ihrer männlichen Mitbewohner, vor ihr.

„Theresa schreit sehr selten, sie ist ein ruhiges Kind“, verteidigt Jessica ihre Tochter.

„Das ist mir egal“, schreit Sven sie an. „Ich will meine Partys machen und da will ich kein Kind hier in der Wohnung sehen. Haben wir uns verstanden?“ Drohend macht er einen Schritt auf sie zu. Jessica dreht sich um und geht wieder in ihr Zimmer, doch sie hört noch deutlich, wie Sven zu Jenny sagt: „Wir müssen sie loswerden, die vermiest jede Party.“

Jessica lehnt sich gegen die geschlossene Tür und überlegt, wo sie morgen hingehen könnte, denn morgen wird hier wieder die Hölle los sein. Wenn sie da wieder auftaucht oder vielleicht Theresa schreit, dann rastet Sven aus. Das ist er auch schon mal vor zwei Wochen. Da hat er sie angebrüllt und mit einer Tasse nach ihr geworfen. Und das nur, weil Theresa gegen Mittag mal kurz geweint hat und seine derzeitige Freundin es hörte und unbedingt mal das Baby sehen wollte. Was kann sie oder Theresa dafür, dass seine Freundin ihn einfach stehen ließ und zu ihr rüber kam? Wenn er ein besserer Liebhaber wäre, würde sie auch bei ihm bleiben, hat sie ihm dann noch an den Kopf geknallt und war dann ganz verschwunden.

Müde schleicht Jessica zum Bett rüber und lässt sich darauf sinken. Sich jetzt noch weiter den Kopf zu zermartern hat keinen Sinn mehr, ihr fällt jetzt sowieso nichts mehr ein. Morgen, wenn sie ausgeschlafen hat, wird ihr ganz bestimmt etwas einfallen.

 

Das ganze Wochenende war der pure Stress. Jeden Tag war Jessica im Park, in einer Pizzeria und im Einkaufscenter. Bis spät abends war sie jedes Mal unterwegs und dann ist sie so leise wie nur möglich in ihr Zimmer geschlichen, und sobald Theresa unruhig wurde, hat Jessica sie auf den Arm genommen und durchs Zimmer getragen, nur damit sie auch ja ruhig bleibt und nicht losschreit. Endlich ist Montag und sie kann das Kind wieder in die Kindertagesstätte bringen und dann zur Uni gehen. In der Kindertagesstätte kann ihre Kleine ein ganz normales Kind sein und darf auch mal schreien.

Seit drei Monate studiert Jessica wieder. Das eine Semester, das sie wegen Theresa aussetzen musste, stört sie nicht, aber sie hatte damals ein schönes Zimmer in einer WG gehabt. Schon im Sommer hat sie dort angefragt, ob sie wieder rein kann, aber leider waren alle Zimmer belegt und in der nächsten Zeit wird auch keiner dort ausziehen. Im Wohnheim war kein Zimmer mehr zu bekommen und so hat sie jedes schwarze Brett abgeklappert und jede Annonce gelesen. Aber die meisten Zimmer waren einfach zu teuer. Ihr steht nur ein geringer Betrag zur Verfügung und sie muss zu sehen, wie sie über die Runden kommt. Seitdem ihre Mutter gestorben ist, und das ist jetzt schon vier Jahre her, versorgt ihr Vater sie und ihre beiden Geschwister allein und kann sie beim besten Willen nicht finanziell unterstützen.

Sie ist die Älteste und wollte schon immer studieren. Als sie im ersten Studienjahr war, ist sie dann dem gutaussehenden Patrick nähergekommen. Vom Sehen kannte sie ihn schon lange, denn sie gingen auf die gleiche Schule. Schon immer war er der Schwarm aller Mädchen und sie, als ein unscheinbares graues Mäuschen, hatte nicht annähernd eine Chance bei ihm, nur aus der Ferne hat sie ihn angehimmelt. Und dann plötzlich steht er vor ihr und spricht sie an. Schon bei der zweiten Verabredung hat er sie mit zu sich nach Hause genommen. Angeblich hat er was vergessen und wollte es nur schnell holen, doch als sie dann in seinem Zimmer waren, hat er sie geküsst. Dumm und unerfahren, wie sie war, konnte sie ihm nichts entgegensetzten und hat alles mit sich machen lassen.

Nach dieser einen Nacht hat er sie nicht mehr angesehen und vor seinen Freunden hat er geprahlt, dass er eine Jungfrau geknackt hat. Tagelang hat sie ihm hinterhergetrauert und sich in ihr Zimmer verkrochen und dann, als sie merkte, dass sie schwanger ist, hat sie ihn angerufen. Das wird sie in ihrem ganzen Leben nicht mehr vergessen. Als er gehört hat, dass sie schwanger von ihm ist, hat er gelacht und ihr gesagt, dass es nicht stimmt. „Wer weiß schon, mit wem du noch alles im Bett warst?“, hat er gesagt und dann meinte er noch, sie soll das Kind wegmachen lassen, das wäre das Beste. Kurze Zeit später ist er dann nach Amerika zum Studium gegangen und sie hat nichts mehr von ihm gehört.

Als Theresa geboren war, hat sie sich an seine Eltern gewandt, doch die haben nur behauptet, dass sie lügt, um ein bisschen Geld aus ihnen herauszupressen, schließlich kommt Jessica aus einer armen Familie. Daraufhin hat sie sich sogar einen Anwalt genommen und versucht den Unterhalt einzuklagen, aber ohne Erfolg, denn Patrick war nicht auffindbar und seine Eltern haben behauptet, dass sie nicht wissen, wo er ist. Da er keine Vaterschaft anerkannt hat, sondern sie auch noch bestreitet, bekommt sie nicht mal etwas von Jugendamt, denn dort wollen sie wissen, wer der Vater ist und sie kann nicht nachweisen, dass er auch wirklich der Vater ist. Seine Eltern haben ihn als Baby adoptiert und somit kann auch nicht über sie eine Verwandtschaft nachgewiesen werden. Er ist super aus dem Schneider und sie muss sehen, wie sie das Kind durchbringt. Trotz allem liebt sie die Kleine über alles.

Jetzt ist Theresa bereits neun Monate und seit drei Monaten geht sie in die Kindertagesstätte und noch nie gab es irgendwelche Beschwerden ihretwegen, nur ihre Mitbewohner kommen mit ihr nicht klar. Bei dem Gedanken an das kommende Wochenende wird es Jessica schon wieder ganz anders. Es ist Januar und verdammt kalt, wo soll sie nur hingehen? Vielleicht hätte sie die Mädchen auf der Party fragen sollen, ob sie einen Tag bei einer von ihnen bleiben kann, schließlich waren sie von Theresa begeistert und sie schienen auch ganz vernünftig zu sein. Doch leider weiß sie nicht einmal, wie sie hießen, sie weiß nur, dass die eine mit Jenny gut befreundet ist. Vielleicht kann Jenny ihr ja weiterhelfen. Sie nimmt sich vor, gleich heute Nachmittag mit Jenny zu sprechen.

 

Erst am Abend hat Jessica die Gelegenheit mit Jenny zu sprechen. Als Jenny dann hört, dass Jessica Tamaras Telefonnummer haben möchte, fängt sie an zu lachen und meint: „Was willst du denn von Tamara?“ Unschuldig zuckt Jessica mit den Schultern. „Na, sie hat sich so gut mit Theresa verstanden und ich wollte sie fragen, ob ich am Wochenende eine Weile zu ihr kommen kann. Draußen ist es einfach zu kalt.“ Grinsend nickt Jenny. „Das stimmt allerdings. Okay ich gebe sie dir gleich.“

Als Jenny einige Zeit später zu ihr ins Zimmer kommt und ihr die Telefonnummer reicht, hört sie die Jungs in der Küche lachen. Deutlich hört sie ein paar Wortfetzen wie: „Da möchte ich dabei sein … das könnte lustig werden … die bekommt doch einen Schock … so naiv und verklemmt, wie die ist … ich frag mich, woher sie das Kind hat.“ Jessica ist sich sicher, dass sie über sie geredet haben, aber sie versteht den ganzen Sinn nicht.

 

Gleich am nächsten Tag ruft sie bei Tamara an und muss erschrocken feststellen, dass sie ja gar keine Studentin ist, sondern Köchin in einem kleinen Restaurant. Tamara ist nicht abgeneigt, das Wochenende mit Jessica und ihre Tochter zu verbringen. „Na klar kannst du vorbeikommen, aber ich muss vorher noch mit meiner Freundin sprechen, aber ich glaube nicht, dass Peggy was dagegen hat. Allerdings bin ich Freitag nicht da, ich muss arbeiten.“ Schnell gibt Tamara ihr die Adresse und sie verabreden sich für Freitagnachmittag. „Wenn Peggy schon was vorhat, rufe ich dich an“, sagt Tamara noch und dann legt sie auf und wählt gleich Peggys Nummer. Peggy freut sich riesig auf den Besuch.

 

Nervös steht Jessica vor der Tür und wartet, dass ihr jemand öffnet, doch nichts passiert. Kein Summen des Türöffners ertönt und auch die Sprechanlage bleibt stumm. Enttäuscht dreht sich Jessica zu ihrer Tochter. „Wird wohl doch nichts mit einem Tag im Warmen. Es ist keiner da, aber das macht nichts. Wir beide kommen schon klar.“ Lachend tippt sie der Kleinen auf die Nase und Theresa schenkt ihr ein bezauberndes Lachen.

Gerade als sie gehen will, hört sie jemanden ihren Namen rufen. Neugierig sieht sie sich um. Winkend kommt Peggy näher. „Tut mir leid, dass ich so spät bin, aber ich wurde wieder mal aufgehalten.“

Kaum haben sie die Wohnung betreten, zeigt Peggy geradeaus und meint: „Fühle dich wie zu Hause. Dort sind das Wohnzimmer, das Schlafzimmer und mein Arbeitszimmer.“ Peggy macht einen Schwenker nach rechts. „Hier die Küche“, dann zeigt sie nach links, „und hier das Bad.“ Jessica staunt nicht schlecht. Die Wohnung ist zwar nicht allzu groß, aber sehr gut und modern eingerichtet.

Während Peggy ihr Eingekauftes verstaut, machte Jessica es sich im Wohnzimmer bequem. Neugierig sieht sich Jessica die Bilder, die auf dem Schrank stehen, an. Auf den meisten Bildern sind viele junge Leute zu sehen. Doch auf einigen Bildern ist Peggy nur mit Tamara drauf und so, wie sich die beiden ansehen oder sich bei den Händen halten, scheinen sie nicht nur Freundinnen zu sein. „Hilfst du mir beim Tisch decken?“, ertönt plötzlich Peggys Stimme hinter ihr. Erschrocken fährt Jessica herum. „Natürlich, ich habe mir nur gerade die Bilder angesehen.“ Rasch eilt Jessica zum Tisch und deckt ihn ein, nebenbei wirft sie immer wieder einen Blick auf Theresa, die auf den Fußboden sitzt und mit ihren Bauklötzen spielt.

„Ich habe noch schnell ein bisschen Kuchen gekauft, ich hoffe, er schmeckt auch.“ Mit einer Kuchenplatte kommt Peggy ins Wohnzimmer.

 

Peggy und Jessica verstehen sich sehr gut und unterhalten sich über alles Mögliche. Jessica erfährt, dass Peggy in einem Institut der Uni arbeitet und dort ihren Doktor machen will und dass sie seit fast fünf Jahren mit Tamara zusammen ist.

Später am Abend nimmt Peggy eine Auflaufform aus dem Kühlschrank und schiebt sie in den Ofen. Jessica steht hinter ihr und schaut ihr über die Schulter, dabei fällt ihr Blick auf den Zettel, der an der Auflaufform geheftet ist. Erst als die Form im Herd ist, macht Peggy den Zettel ab und stellt den Herd nach den Anweisungen an. Als ihr Jessicas fragender Blick auffällt, zieht ein Schmunzeln über ihr Gesicht. „Tamara kocht bei uns immer. Wenn sie arbeiten muss, bereitet sie alles vor und schreibt mir genau auf, was ich machen soll. Sie ist eine verdammt gute Köchin.“ Deutlich hört Jessica den Stolz, den Peggy für Tamara empfindet, heraus.

Gleich nach dem Essen fängt Theresa an zu quengeln, weil sie müde ist und Peggy bietet an, sie ins Bett zu legen. Schnell hat Peggy einen Schutzwall um ihr Doppelbett gebaut und Jessica legt die Kleine schlafen. Während Theresa schläft, sitzen die beiden Frauen im Wohnzimmer zusammen und unterhalten sich, bis plötzlich die Tür aufgeht und Tamara hereinkommt. Sofort springt Peggy auf und geht ihr entgegen, nimmt sie in die Arme und küsst sie liebevoll.

Erschrocken sieht Jessica auf ihre Uhr. Es ist ja schon nach 23 Uhr. So langsam müsste sie nach Hause, doch bei dem Gedanken ist ihr nicht gerade wohl zumute, denn die Party in ihrer Wohnung wird noch auf Hochtouren laufen. Entschlossen steht Jessica auf und meint: „Ich werden dann mal Theresa wecken und mich nach Hause machen.“

„Bleib doch hier.“ Schnell kommt Tamara auf sie zu. „Du kannst hier im Wohnzimmer schlafen. Das Sofa ist breit genug, da habt ihr beide Platz“, drängt Tamara sie sanft und Peggy stimmt ihr munter zu.

 

Das ganze Wochenende hat Jessica mit ihrer kleinen Tochter bei Tamara und Peggy verbracht und es hat ihr sehr gut gefallen. Seit langer Zeit konnten sie und Theresa endlich mal wieder ungestört schlafen, auch wenn es auf dem Sofa nicht so bequem ist wie in einem richtigen Bett.

Sonntagabend packt Jessica ihre Sachen zusammen und macht sich auf den Weg nach Hause. Herzlich werden sie von Peggy und Tamara verabschiedet und sie musste versprechen, bald mal wieder vorbeizukommen.

Kaum hat Jessica ihre Wohnung betreten, wird sie auch schon mit Anzüglichkeiten bombardiert. Sven lässt seinen Blick anzüglich über ihren Körper gleiten und meint mit herablassender Stimme: „Na, mit wem von den beiden hast du die Nächte verbracht oder habt ihr einen flotten Dreier gemacht?“

„Vielleicht kannst du ja ganz zu ihnen ziehen?“, fragt Jenny mit einem spöttischen Grinsen.

„Du glaubst doch nicht etwa, dass die hübsche Peggy diese Vogelscheuche immer um sich haben will.“ Fassungslos wirft Sven Jenny einen Blick zu. „Peggy ist eine Augenweide und scharf dazu. Die könnte mal einen richtigen Mann vertragen.“

„Lasst doch die beiden in Ruhe, die sind anständig.“ Kopfschüttelnd geht Jessica in ihr Zimmer.

 

Peggy und Tamara sitzen am Abend noch gemütlich zusammen, da meint auf einmal Tamara: „Ich möchte gern ein Kind haben.“

Zärtlich streicht Peggy ihr über den Arm. „Ich auch“, flüstert sie ihr leise zu. Tamara richtet ihren Blick fest auf Peggy. „Wirklich? Dann bekommst du es, aber den Vater suchen wir gemeinsam aus.“ Etwas verwirrt sieht Peggy sie an. „Du siehst so verdammt gut aus und das Kind soll deine Gene tragen. Und der Vater muss perfekt zu dir passen. Er muss dich liebevoll und zärtlich behandeln.“ Tamara geht in ihre Begeisterung auf und Peggy muss sie etwas bremsen. „Nicht so schnell. Ich trage das Kind ja wahnsinnig gern aus, aber ich lass mich nicht von einem Mann besteigen. Ich dachte an eine anonyme Samenspende und an künstliche Befruchtung.“

„Nein!“, fährt Tamara in die Höhe. „Dann wissen wir doch nichts über den Vater, wie er so ist und was er für Schwächen hat.“

„Das interessiert mich auch nicht, schließlich werden wir doch das Kind erziehen und prägen.“ Schon allein bei dem Gedanken, sich von einem Mann anfassen zu lassen, stellen sich Peggy die Nackenhaare auf und dann soll sie auch noch mit einem schlafen?! Das kommt überhaupt nicht infrage. So sehr sie auch Tamara liebt, das kann sie nicht von ihr verlangen. Peggy hält es für das Beste, das Thema erst einmal zu verdrängen und so wechselt sie rasch das Thema. „Wir müssen Jessica helfen“, sagt sie zu Tamara. „Sie braucht unbedingt ein ruhiges Zimmer.“ Sofort nickt Tamara. „Ja, ich habe mir auch schon ein paar Gedanken gemacht. Wie wäre es, wenn wir ihr dein Arbeitszimmer überlassen?“

„Das geht nicht. Da sind meine ganzen Unterlagen drin und der PC und dann ist das Zimmer auch viel zu klein.“

„Wir könnten höchstens deine Unterlagen alle rausräumen.“

„Und wo willst du damit hin? Und was wird mit meinem Schreibtisch und dem PC? Den brauche ich jeden Tag.“ Peggy schüttelt entschlossen den Kopf. „Bei uns geht es nun wirklich nicht.“

„Und was ist mit Darryl?“ Tamara sieht sie eindringlich an.

„Ja, bei ihm wäre genug Platz. Doch seitdem er diese Katja vor fast zwei Jahren rausgeschmissen hat, will er nichts mehr davon hören.“ Bedauern zuckt Peggy mit den Schultern.

„Aber du kannst ihn umstimmen.“ Mit einem Schmollmund sieht Tamara sie an.

„Aus zwei Gründen wird er sich nicht darauf einlassen. Erstens: Er will seine Ruhe haben und nicht ständig ihren ganzen Dreck wegräumen.“

„Aber Jessica ist anständig und räumt ihren Dreck selbst weg“, mischt sich Tamara sofort ein.

„Ja das wissen wir, aber er nicht und er wird es uns auch nicht glauben, wenn wir ihm das sagen. Und dann kommt auch noch zweitens.“ Peggy macht eine Pause und sieht Tamara eindringlich an. „Jessica hat ein Kind.“

„Ja aber, Darryl mag noch Kinder. Er war damals ganz vernarrt in den kleinen Kevin. Und Theresa ist wirklich ein süßes Kind.“

„Er will kein Kind mehr in seinem Haus und schon gar nicht von einer Studentin. Ihm fällt sofort wieder alles Schlechte von Katja ein. Er hat einen richtigen Horror davor.“ Peggy schüttelt den Kopf. „Selbst ich werde ihn unter diesen Umständen nicht umstimmen können. Wenn sie kein Kind hätte, könnte ich es vielleicht schaffen, aber so, auf keinen Fall.“

„Du musst es versuchen“, bettelt Tamara. „Jessica ist wirklich in Ordnung und sie kümmert sich super um die Kleine. Er wird doch gar nicht merken, dass ein Kind im Haus ist.“ Tamara sieht Peggy an und ein hinterhältiges Lächeln erscheint auf ihrem Gesicht. „Du braucht ihm ja auch gar nicht sagen, dass sie ein Kind mitbringt.“ Entsetzt reißt Peggy die Augen auf, doch sofort legt Tamara beruhigend die Hand auf ihren Arm. „Du sollst ihn auch nicht anlügen, nur nichts sagen.“ Verständnislos sieht Peggy sie an. „Sag ihm einfach nur, dass Jessica dringen ein Zimmer braucht und das sie ihn auch nicht störend wird, und das wird sie ja auch nicht. Und Jessica sagen wir, dass sie sich ganz ruhig verhalten muss und wenn Darryl zu Hause ist, soll sie mit der Kleinen oben bleiben, dann stört sie ihn nicht. Und wenn alles gut geht, bekommt Darryl erst am nächsten Tag mit, dass ein Kind im Haus ist und dann schmeißt er sie nicht wieder raus. Dazu ist er doch viel zu anständig.“ Nachdenklich sieht Tamara Peggy an. „Er wäre auch ein super Kandidat als Vater für unser Kind.“

„Okay, ich werde mit ihm sprechen, aber jetzt lass uns schlafen gehen“, würgt Peggy hastig das Gespräch ab.

Kapitel 5

 

Peggy eilt über den Flur und ruft laut nach Darryl. Sobald Darryl sie gehört hat, bleibt er stehen und dreht sich um. Schnell kommt Peggy näher und drückt ihm einen Stapel Blätter in die Hand. „Das sind die neuesten Ausdrucke. Kannst du sie dir mal ansehen und mir dann Bescheid sagen?“

„Bis wann habe ich Zeit?“ Darryl überfliegt schon die erste Seite.

„Schaffst du es bis Mittag?“ Geschockt reißt Darryl den Kopf hoch und starrt Peggy an. Auf ihrem Gesicht erscheint ein spitzbübisches Lächeln. „Wenn du es schaffst, lade ich dich zum Essen ein.“

„13 Uhr beim Italiener“, sagt Darryl kurz und geht bereits auf sein Büro zu.

 

Peggy sitzt schon seit fünf Minuten beim Italiener und wartet auf Darryl. Seit Montag will sie mit ihm wegen Jessica sprechen und immer kam etwas dazwischen und jeden Abend macht Tamara ein enttäuschtes Gesicht, weil sie noch nichts erreicht hat. Heute ist bereits Donnerstag und morgen steigt wieder eine Party in der WG. Noch einmal geht sie im Kopf ihre Strategie durch und überlegt sich zum wiederholten Mal, ob sie nun das Kind erwähnt oder doch lieber nicht.

„Bin ein bisschen spät, aber hier hast du meinen Bericht, die Änderungen habe ich alle markiert, sind nur Kleinigkeiten.“ Darryl legt den Stapel vor ihr hin und lässt sich auf einen Stuhl sinken.

Nachdem sie einige Probleme, die sich im Projekt ergeben haben, besprochen haben, sieht Peggy ihn mit einem sinnlichen Augenaufschlag an. Darryl

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Lektorat: Klaus Kath
Tag der Veröffentlichung: 09.12.2013
ISBN: 978-3-7309-6817-8

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