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Aufbruch

 Die Zeichen standen auf Aufbruch, es war wieder einmal so weit, Jane Enfield würde erneut eine Ortschaft hinter sich lassen. Dabei hatte sie gehofft in Brikdale etwas mehr Zeit verbringen zu können, ja, vielleicht sogar ein neues Leben zu beginnen. Ein letztes Mal überprüfte sie das Hotelzimmer, in dem sie die fünf Monate lang gelebt hatte. Die Ereignisse aus den vergangenen Jahren hatten sie Paranoid gemacht, seit ihrer Flucht vor mehr als einem halben Jahr war sie vorsichtig geworden. Sie ließ bei ihrer Inspektion keine Ecke aus, unter dem Bett - nichts, der Kleiderschrank - leer, die Schreibtischschubladen - kein Staubkorn, der Wandschrank - nichts als schiefe Schrauben. Nach annähernd einer Stunde empfand sie das Zimmer als sicher für andere Augen, das Ganze war ein lästiger Prozess, jedoch äußerst notwendig - das hatte sie zuvor aus der Zeit in Richwood gelernt. 
Kurz nach ihrer großen Flucht machte sie Halt in diesem heruntergekommenen kleinen Ort. Es dauerte nicht einmal zwei Wochen, bis die Polizisten ihr auf die Schliche kamen. Zwar konnte Jane damals gerade noch rechtzeitig das kleine Motel verlassen, in dem sie sich versteckte, jedoch vergaß sie dort ihr Adressbuch, in dem dummerweise auch ihre eigene Handynummer eingetragen war. Es kostete sie viel Kraft und Anstrengung diese aufdringlichen Beamten auf eine andere Spur zu locken, anschließend führte sie ein zermürbend langer Weg nach Brikdale. Sie musste dringend eine Weile untertauchen. 
Hier konnte sie nach langer Zeit Luft holen, um ihre Spuren sorgfältig zu verwischen. Alles was sie bis dahin noch an Geld besaß investierte Jane in eine neue Lackierung für ihren geklauten Ford Mustang, ein neues Kennzeichen und ein Handy. Sie musste ihm irgendwie Bescheid geben, dass Richwood ein zu heißes Pflaster war. Ihm mit seinen grün-braunen Augen in denen Jane jedes Mal, wenn sie ihn ansah, vollkommen abtauchen konnte ohne noch irgendetwas von dem Durcheinander um sich herum mitzubekommen. 

Jane sah aus dem Fenster ihres Hotelzimmers hinaus auf den Marktplatz, der in einem ganz und gar realitätsfernen Orange der aufgehenden Morgensonne lag. Viel zu schön um wahr zu sein. Die Zeit, die sie hier in Brikdale verbrachte war eine wahrhaft gute Zeit gewesen. Nach dem Fluchtdebakel und der schrecklichen Ereignisse der letzten Jahre, führte sie hier fast schon ein normales Leben. Sie arbeitete als Kellnerin in einem kleinen Lokal, zwar reichte das Geld gerade so um sich über Wasser zu halten, aber es war besser, als von der Polizei gejagt zu werden. Sie brachte einige Opfer für diese Normalität, einen anderen Nachnamen, einen gefälschten Ausweis und nicht zuletzt eine lupenreine Biografie, die sie auswendig lernte, nur für den Fall, dass sie sich mit jemanden unterhielt, der etwas aus "ihrem Leben" erfahren wollte. 
Doch nach einer Weile kam ihr altes Leben wieder auf sie zurück. Vor ein paar Wochen begannen abermals diese unbarmherzigen Alpträume, die Jane Nacht für Nacht aus dem Bett hochschrecken ließen. Bilder von einem Krankenhaus, Menschen in weißen Kitteln, dem Gefühl des permanenten verfolgt werdens und dieser Frau mit dem puppenähnlichen Gesicht, die ihr all diesen Ärger eingebrockt hatte. Diese Alpträume schrien aus ihr heraus wie sterbende Katzenjunge, die ihr Ende durch einen dreckigen alten Spaten fanden. Ihr Unterbewusstsein hielt ihr die Vergangenheit klar und deutlich vor Augen und erinnerten sie nach jedem Aufwachen daran, dass sie noch etwas zu erledigen hatte. In ihrem Magen formte sich eine unglaubliche Kotzwut als sie ihre Nachforschungen wieder aufnahm. Vor der Flucht untersuchte sie einen Fall von Paranoia Erkrankungen - eine Handvoll Menschen zeigten zeitgleich dieselben Symptome eines schier unheimlichen Verfolgungswahns. Jane war keine Polizistin oder ähnliches, sie war nur ein ganz normales Mädchen, das das Interesse der falschen Person auf sich gezogen hatte. Als sie der scheinbaren Drahtzieherin auf die Ferse kam, brach das absolute Chaos in ihr Leben ein und alles um sie herum verlor an Realität. Sie tat Dinge, an die sie vorher nicht einmal gedacht hatte. Sie sah Dinge, die sich im Leben nicht sehen wollte. Und jetzt, gerade jetzt, als ihr Leben wieder ein Leben war, schnitt dieser unerledigte Faden tiefe Risse in ihre Persönlichkeit. Es wurde Zeit diese Angelegenheit endgültig zu beenden. 
Jane hing sich ihre Tasche über die Schulter, alles andere war bereits sicher im Wagen verstaut und verschloss die Zimmertür ein letztes Mal. Sie ging die Treppe herunter zur Rezeption. 
"Guten Morgen Aron. Hast du die Nachtschicht gut überstanden?" 
Ein junger Mann mit kurzen, blonden Haaren, die mit reichlich Haar Gel zurückgekämmt waren blickte sie verschlafen aus kleinen Augen an. 
"Hi Jane. Eine Stunde noch, dann werde ich mich in mein Bett verkriechen und es bis zur nächsten Schicht nicht mehr verlassen." 
Jane sah ihn mit einem halbwegs freundlichen Lächeln an. 
"Du hast dich noch immer nicht an die Nachtschicht gewöhnt, wie?" 
Aron schloss erschöpft die Augen und schüttelte den Kopf. 
"Seit Amanda aufgehört hat, lässt Mr. Williams mich hier nachts schmoren. Der alte Sack. Wahrscheinlich hat er sich gerade ein Zimmer mit einer seiner Weiber genommen." 
Jane schüttelte sich, um ihren Ekel vor dieser Vorstellung zu demonstrieren. 
"Schade. Dem alten Bastard hätte ich gerne noch ein paar Worte erzählt, bevor ich abreise." 

In der Tat hätte Jane noch etwas Zunder hinterlassen. Als sie vor ein paar Monaten hier eincheckte nahm Mr. Williams, der Hotelbesitzer, sie erst einmal in Gewahrsam und prüfte in einem langen Fragespiel, ob Jane überhaupt in der Lage war das Zimmer zu bezahlen. Williams war dabei nicht um Zweideutigkeiten verlegen, zu allem Unglück schien Jane mit ihren fünfundzwanzig Jahren genau in sein Beuteschema zu fallen, doch ein paar Drohungen und verbale Schlagwechsel später klärte Jane die Fronten und hatte ihre Ruhe vor dem notgeilen Arschloch. Wenigsten schienen die anderen Mitarbeiter sehr nette Leute zu sein.
"Du willst weg? Mit wem kann ich dann so ungehemmt über unseren Hotelalpha lästern?", klang Aron leicht geschockt. Aron sucht im Computer nach ihrem Namen "Jane. Der Nachname begann mit E. Mit E..." Jane kam in Versuchung ihren richtigen Namen - Enfield - preiszugeben und Aron, der so was wie ein guter Kumpel geworden ist, ihre Geschichte zu erzählen. Doch angesichts des gefährlichen Pfades auf den sie sich wieder begab war dies keine gute Idee. 
"Etheridge.", sagte sie geistesabwesend. Dies war der Name auf ihren aktuellen Ausweis. Arons Finger glitten über die Tastatur. 
"Ok, du bist frei. Wo verschlägt es dich denn hin?" 

Jane sah ihn an, als hätte er ihr gerade unerwarteter Weise einen Heiratsantrag gemacht. Ihr ging so viel durch den Kopf, dass sie sich auf solche letzten Fragen noch keine Antworten zurechtgelegt hatte.
"Oh, ich habe einen Job als Verkäuferin bekommen, drüben in Bellefort. Dann kann ich mir endlich Mal eine richtige Wohnung leisen." 
Etwas enttäuscht sah Aron sie an.
"Stimmt, du sagtest du bist auf Jobsuche. Aber wenn du einmal Urlaub machst, musst du unbedingt wieder nach Brikdale kommen, ok?" 
Jane sah ihn liebenswürdig, belustigt an. 
"Na klar, und ich komme dann auch wieder hier her. Mach's gut Aron." Sie umarmte ihn zum Abschied liebevoll, bevor sie in Richtung Ausgang schritt. 

"Viel Erfolg Jane!", rief Aron ihr hinterher. Jane drehte sich während des Gehens um, winkte ihn ein letztes Mal zu und verließ das Hotel durch die große verglaste Doppeltür.

Draußen auf dem Parkplatz stand ihr dunkelroter Mustang. Jane schloss die Tür auf, warf ihre Tasche auf den Beifahrersitz und stieg ein. "Klar komme ich wieder, wenn ich irgendwann einmal wieder Jane Etheridge sein sollte.", flüsterte sie melancholisch vor sich hin. Anschließend nahm sie eine Karte von der Ablage, auf dem ein kleiner Ort markiert war der Chainston hieß.

Ankunft

 

Ein grauer Himmel legte sich über Chainston, als der dunkelrote Ford Mustang auf dem kleinen Parkplatz von Gwens Diner, kurz hinter dem Ortseingang, hielt. Die blaue Leuchtschrift warf einen schimmernden Glanz auf die nasse Straße. Chainston war ein ruhiger, jedoch zwiespältiger Ort die Leute drückten sich vor der Frage, ob sie in einer Stadt oder einem Dorf lebten, keiner wusste so genau womit er es hier zu tun hatte. Das Geräusch des Motors verstummte, doch es öffnete sich keine der Türen. Eine Weile lang stand der Wagen dort, ohne dass sich etwas oder jemand rührte. Hinter dem Steuer saß Jane, sie hielt einen Stadtplan von Chainston in der Hand, auf dem sie mit einem Kugelschreiber einige Orte markiert hatte. Auch wenn Jane nicht wie geplant vor einem Motel angekommen ist, so war ihr ein Diner auch ein willkommener Platz, um nach der achtstündigen Fahrt eine Pause einzulegen. Auf dem Beifahrersitz lagen verschiedene Zeitungen aus der Gegend "Mann schlug auf offener Straße um sich""Anzahl der geistigen Erkrankungen nimmt zu" und "Wieder ein neuer Fall von Paranoia" hieß es in den Schlagzeilen. Jane vermied den Blick auf diese Tagesblätter, sie hatte die Artikel über Chainston sorgfältig studiert und wusste warum sie hier war.
Doch jetzt brauchte sie erst einmal etwas Warmes zu trinken. 
Sie stieg aus dem Auto, der starke Wind wirbelte ihre schulterlangen braunen Haare wild durcheinander und riss ihre blaue Jacke, die fast bis zu den Knien reichte hin und her. Innerhalb weniger Minuten stürmten so viele gelb-orange Blätter auf ihren Wagen, dass man hätte denken können der Mustang stand seit Wochen dort. Schnellen Schrittes ging sie auf das Diner zu und rannte dabei fast gegen die Tür - diese ließ sich auch bei kräftigem Drücken nur einen Spalt öffnen. So schob sie ihren schlanken Körper durch die scheinbar defekte Tür. 
"Mädchen, da musst du aber kräftiger zupacken, wenn du rein willst.", lachte ein älterer Mann hinter der Theke sarkastisch. 
Seine kurzen braunen Haare wiesen breite graue Strähnen an den Schläfen auf, zusammen mit seinem blauen Flanellhemd, aus dem ein kleiner Wohlstandsbauch hervor wölbte, machte er den Eindruck eines typischen Kleinstädters. Das war Mik Shelter. Vor achtundzwanzig Jahren kam er aus einem Nachbardorf nach Chainston, um irgendeinen Job abzubekommen, denn er war früh von der Schule abgegangen. Nicht nur, dass die Lehrer ihm keine erfolgreiche schulische Karriere voraussagten, er selbst war ebenfalls der Meinung niemand solle länger als nötig diesen Ort nutzlos aufgewirbelter Energien besuchen. Ihm war damals egal was für einen Job er bekommen würde, wichtig war ihm etwas Geld zu verdienen und auf eigenen Beinen stehen zu können. In dieser Zeit lernte er ein Mädchen kennen, Gwen Meyer, sie zeigte ihm die wirklich schönen Seiten des Lebens und auch die Schönen Seiten seines Lebens. Sie gab der Person Mik Shelter eine wirkliche Perspektive, diese Perspektive hieß Gwen. Sie heirateten, bekamen Kinder und gründeten Gwens Diner, bis heute ist das Diner ein Ort, wo die fest eingesessenen Bewohner Chainstons gerne ihre Zeit verbrachten. 
"Oh, ich dachte die Tür wäre das einzig abschreckende an dem Laden.", sagte die vom Sturm durchpustete junge Frau während sie die missbilligenden Blicke aller Besucher des Diners auf sich zog. Mit der Gewissheit sich hier keine Freunde zu machen, setzte sie sich an den Tresen. 
"Einen Kaffee.", ihre Stimme klang erschöpft von der  Fahrt.  
Ohne ein Wort zu verlieren, drehte sich der ältere Mann zur Kaffeemaschine um. 
"Hören sie Gwen, wenn das ihr Name ist, ich wollte nicht unhöflich sein, ich hab nur eine lange Fahrt hinter mir.", versuchte die Jane wieder einzulenken. Mik drehte sich zu ihr und setzte ihr den Kaffee vor, dass die Tasse laut auf dem Unterteller klirrte, ein Wunder, dass noch etwas von dem heißen Getränk in der Tasse geblieben ist. 

"Jetzt hören sie einmal zu! Wer sind sie, dass sie glauben hier den Mund so aufzureißen. Gwen war meine Frau und sie ist vor zwei Wochen gestorben. Klugscheißer kann ich grade nicht gebrauchen.", Mik legte sein freundliches Auftreten ab und sah sie mit einem wütenden Ausdruck an.
Eine unbehagliche Stille trat ein. Jeder Besucher des Diners schien wie hypnotisiert dem angespannten Gespräch zu folgen. Jane sah ihn mit ernster Miene an und ohne ihren Blick abzuwenden nahm sie einen Schluck von dem zur Hälfte verschütteten Kaffee. Ihre Hand bildete eine Faust um den Henkel der Tasse, ihre traten weiß Knöchel hervor. Sie provozierte gerne, aber im Moment versuchte sie sich mit ihren Abfälligkeiten etwas zurück zu halten. 

"Vielleicht issie auf der Durchreise, Mik.", nuschelte eine Stimme aus dem Hintergrund. Mik Blickte hinüber zu der neugierigen Person und wollte ihm damit symbolisieren, dass er sich verdammt noch mal nicht auch noch einzumischen hatte. 
"Oder sie is ne Touristin, dann solltn wir uns nich wie die letztn Hinterwäldler benehm." Jane entnahm der Aussprache des Typen das genaue Gegenteil. Entweder, sie war in eines dieser Hinterwälderlerstädtchen geraten, wo Tante und Mutter die gleiche Personen waren oder sie hat gerade ein Exempel des typischen Stadttrinkers gefunden. Welch' eine schöne Begrüßung, dachte Sie sich und versuchte den Kerl zu ignorieren. Der Mann kam herübergeschlurft und platzierte seine magere Gestalt, die unter einem weiten Flanellhemd, dass in einer Latzhose steckte, auf dem Hocker neben ihr. Er hielt ihr seine zittrige Hand hin, aus der die Adern wie dünne Schnüre hervorschauten.

"Ich bin Patrick." 

Jane, die noch immer die Tasse in der Hand hielt, trank erneut einen Schluck. Sie starrte auf die Hand mit den dreckigen, angeknabberten Fingernägeln. 

"Du darfst Mik nich böse sein. Seine Gwenni is sehr unerwartet gestorbn. Das war schon komisch.", lallte der Mann los. Mik funkelte ihn wütend an. 

"Das reicht jetzt, Patrick! Du hast deinen Kommentar abgegeben, zieh dich wieder zurück.", der Entschluss den betrunkenen Mann gleich aus dem Diner zu werfen klang in seiner stämmigen Stimme mit. 
"Was war daran so komisch?", frage Jane, die Miks Worte scheinbar völlig ignorierte. 
"Sie war'n Engel. Niemals hätte sie sich umgebracht.", erklärte ihr Patrik. Mik schlug mit der Handfläche auf den Tresen. 

"Stopp jetzt! Oder willst du dein Bier vor der Tür austrinken?", Miks Stimme wurde zunehmend lauter. Grade wollte Jane ihren Mund zu einer zynischen Bemerkung öffnen, die sich tief in ihr anbahnte, da kam Mik ihr zuvor. 

"Das macht einen Dollar zwanzig." Wie aus einer widerwärtigen Trance gerissen kramte Jane etwas Geld aus ihrer Jackentasche, legte es auf den Tresen und sah den Besitzer mit belustigtem Gesichtsausdruck an. 

"Ich denke wir sehen uns nicht das letzte Mal. Auf Wiedersehen.", betonte sie die letzten Worte überfreundlich, stellte die Tasse ab und verließ das Diner. 

Gerade, als sie ihr Auto aufschließen wollte, schubste sie eine ältere Frau grob zur Seite. Sie war schätzungsweise um die vierzig. 
"Hey Mädchen, was hat so eine wie du hier verloren? Gehörst du auch zu denen? Hm? Wo hast du die Kameras versteckt?", ihre Stimme war von einer wilden Aggressivität getränkt. Lange strähnige Haare verdeckten Teile des Gesichtes der alten Frau, die grau-silbernen stellen ihres Haares traten deutlich hervor. 
"Du...Sie sagt, sie hat dich nicht vergessen!", tobte die Frau weiter. 
"Was reden sie da?", Jane sah sie kühl an.  
In diesem Moment wurde die Tür des Diners mit einem lauten Knall aufgestoßen, jetzt war sie wohl endgültig hinüber. Der stämmige Körper von Mik stapfte auf die beiden zu. 

"Verschwinde von hier Trisha!", brüllte er. "Habe ich dir nicht gesagt, du sollst dich vor meinem Diner nicht mehr blicken lassen?" 

Die ältere Frau fing laut an zu lachen, es war ein raues hässliches Lachen, bei dem der Speichel mindestens einen halben Meter weit auf Mik zuflog, dennoch schwang Verzweiflung in diesen Lauten "Dein Diner Mik? Es heißt doch immer noch Gwens Diner. Wo ist sie Mik? Haben sie sie in den Tod getrieben?" Trisha zeige mit dem Finger auf Jane. 

"Ich werde die Polizei rufen, sollen die sich um dein Gelaber kümmern.", Mik klang wieder vollkommen gelassen. Die ältere Frau lachte noch einmal laut, bevor sie sich abwandte und zu ihrem alten, von Rost zerfressenen Chevrolet hinüber ging.

"Alles Ok bei dir?", fragte Mik, er sah Jane besorgt an. Sie hingegen schaute Trisha verwirrt hinterher.

"Wer war das? Vor allem was ist mit ihr los?", fragte Jane.
"Das war Trisha Wulf. Sie ist seit einiger Zeit etwas abgedreht, sie glaubt alles um sie herum sei ein Film und sie würde rund um die Uhr von Kameras aufgenommen werden. Sie lungert öfters hier rum, weil sie glaubt, das Diner ist ein Zentraler Ort für diese Aufnahmen. Sie war einmal ganz normal, doch in letzter Zeit, scheinen die Leute hier ernsthaft durchzudrehen.", erklärte Mik. Ein Schweigen breitete sich zwischen den beiden aus. Mik hasste solche Situationen in denen keiner wusste, was er zu sagen hatte. 
"Wie heißt du eigentlich?", wollte er ein Gespräch beginnen, um dieser unheimlichen Stimmung zu entkommen. Die junge Frau sah ihn das erste Mal seit Ihrer Ankunft freundlich an. 
"Ich bin Jane Enfield."

Mary Preston

 

Mary Preston war eine junge Frau die an der Chainstoner Universität in diesem Jahr ein Studium in Psychologie beginnen wollte. Sie war stets eine zuverlässige Person und recht beliebt bei ihren Mitmenschen, mit ihren langen dunkelblonden Haaren und ihrer schlanken Gisele Bündchen Figur verdrehte sie den Männern oft den Kopf, doch daraus machte sie sich wenig. Sie schätzte sich selbst als eine sehr bodenständige Persönlichkeit ein. Das mochte vielleicht daran liegen, dass sie ihre Eltern im Alter von zwölf bei einem Brand verloren hatte. In ihrem Haus gab es eine undichte Gasleitung, ihre Eltern bemerkten dies jedoch erst an jenem schwarzen Tag, als ein Nachbar auf einen Besuch vorbeikam und sich eine Zigarette anzündete. Mary ist an diesem Zeitpunkt noch in der Schule gewesen. In der Zeit danach kümmerte sich ihre Tante liebevoll um sie, wodurch Mary ziemlich schnell wieder auf die Beine kam. Alles schien sich für sie zum Guten zu wenden. Bis auf die die letzten Wochen.
Mary Preston saß in einem gemütlichen Sessel, er war sehr breit und hatte eine fast schon kuschelige Rückenlehne, das war aber auch das einig positive Gefühl, der letzten drei Monate gewesen, was sie empfand. Etwas stimmte nicht mit ihr, das wusste sie, sie konnte nur nicht so richtig sagen was es war. 

"Wie geht es ihnen heute Mary?", fragte sie ein Mann in einem dunkelblauen T-Shirt mit der Aufschrift "What a wonderful world", neben der Joey Ramone im Comicstil aufgedruckt war, darüber trug er ein sportliches Jackett. Mary hatte bei diesem Mann nie das Gefühl bei einem Psychiater zu sitzen. Dafür schien er, für ihr Verständnis, einfach noch zu jung zu sein - bei einem Psychiater musste Mary immer an einen alten Mann mit grauen Haaren, weiten Geheimratsecken und einem Rollkragenpullover denken, aber dieser hier war gerade einmal Anfang dreißig. 
"Im Moment denke ich, geht es mir ganz gut. Seit fast einer Woche habe ich nicht mehr das Gefühl gehabt verfolgt zu werden.", sagte sie.  

Der Mann legte seine Ellenbogen auf den Schreibtisch vor sich. 
"Konnten sie sonst etwas ungewöhnliches feststellen? Als sie zu mir kamen, sprachen sie davon, dass sich etwas in ihrem Kopf festgesetzt hat."

Mary beugte sich in dem Sessel vor, der neben dem Schreibtisch stand und nahm eine Figur von diesem herunter. Diese Figur war ein eigenartiges Gebilde, sie hielt die Hände an den Kopf, Gesicht und Augen waren aber auf eine merkwürde Art und Weise in die Länge gezogen. Das Büro und Sprechzimmer von Dr. Stoner war ganz gemütlich eingerichtet, es erinnerte sie etwas an Wohnzimmer. Zwischen medizinischen Bücher und dicken Psychologiewälzern hing ein Foo Fighters Poster von dem Wasting Lights Album und ein eingerahmtes Poster aus dem Film Gran Torino

"Wissen sie, es ist, als würden all diese Wahnvorstellungen langsam in meine Träume übergehen. Letzte Nacht träumte ich, wie eine Frau an einem Filmprojektor stand, sie lachte ganz widerlich, während auf einer blutbefleckten Kinoleinwand ein Auge zu sehen war, das panisch hin und her blickte. Sie sagte 'deinen Film haben wir auch'." 

Mary fuhr mit ihren Fingern über das Gesicht der Figur. Jason Stoner notierte sich wieder ein paar Worte auf seinen Notizblock. 

"Was ihre Träume angeht, da werden wir im zweiten Schritt dran arbeiten. Momentan möchte ich wissen, wie es ihnen im Wachzustand geht. Gib es Situationen, in denen sie denken sie fallen in das alte Muster zurück?", fragte er sie, seine Stimme hatte einen ruhigen und angenehmen Klang. Die Finger der jungen Frau wanderten schnell und auch ein wenig zittriger über die Figur hinweg. 

"Sie meinen, ob ich noch mal so einen Ausraster hatte?", fragte sie, ohne ihn dabei anzusehen. 

Stoner blickte von seinem Schreibtisch auf und sah sie eingehend an. Mary dachte an eine Situation vor zwei Wochen, wo sie auf der Straße einen Mann anfiel und ihn unbeherrscht und hysterisch anbrüllte und schlug. 

"Nein, nur manchmal...", sie stellte die Figur zurück auf den Tisch. "Ich bin erst zweiundzwanzig Jahre alt. Mir sollte es nicht so gehen. Ich bin gesund! Aber manchmal, da ist einfach dieses Gefühl da, dass jeder Schritt, den ich tue von irgendjemanden aufgezeichnet wird. Es ist aber nicht so, als würde ich es mir selber zusammenfantasieren - es ist als setzt mir jemand diese Gedanken in meinen Kopf."

"Sie sind noch nicht lange in Behandlung, aber sie haben seither enorme Fortschritte gemacht. Ich möchte, dass sie sich zum nächsten Mal Gedanken um ihre Ängste machen, womöglich ist dies ein entscheidender Punkt. Da werden wir fortfahren.", Stoner legte den Stift beiseite und setzte sich aufrecht hin.  Mary schaute auf Ihre Armbanduhr, die Stunde war schon wieder um. 
"Ängste", sagte sie und dachte, dass dies sich wie das Klischee einer Psychotherapie anhörte. 

"Kommen sie klar da draußen?", Jason beobachtete die junge Frau einen Moment lang. Mary setzte ein leichtes Lächeln auf. 
"Sicher.", sie hielt ihm die Hand hin "Wir sehen uns nächste Woche.", daraufhin verabschiedeten sich beide voneinander.

Mary Preston verließ die Praxis von Dr. Stoner und steuerte die nächste Straßenbahnhaltestelle an. Alles was sie wollte, war jetzt nach Hause zu kommen und zu schlafen. Dieses durcheinander in ihrem Kopf war anstrengend. Kaum, dass sie die Straßenbahn betrat, fiel ihr ein Mann auf. Er blickte sich immer wieder um und rutschte unruhig auf dem Sitze hin und her, seine Arme umschlangen seinen Oberkörper, als wolle er sich selbst festhalten. Mary war sich sicher zu wissen was in ihm vorging. Beinahe wollte sie der Versuchung nachgeben, sich ebenfalls umzusehen nur für den Fall, dass sie doch jemand beobachtete. Wurde sie beobachtet? Waren all diese Leute hier Statisten, die ihr vorspielten ganz normale Menschen in einer alltäglichen Situation zu sein? Ist das alles nicht echt? Mary ging an diesem Mann vorbei, sie suchte sich einen Platz am anderen Ende des Wagons und schloss ihre Augen. Kann es sein?

Gwen's Diner

 

 Mik schloss die Türen des Diners. Seit dem Tod seiner Frau fiel es ihm schwer auch nur eine Stunde hier zu verbringen. Er drehte gerade den Schlüssel im Schloss herum, als eine Frau ihn ansprach.

"Was? Sie schließen schon? Um diese Zeit?", drangen die zarten Worte an sein Ohr.

 Mik war nicht danach zu Mute irgendwelchen Touristen erklären zu müssen, was Öffnungszeiten sind, gänzlich wollte er sich mit niemanden unterhalten. Er versuchte dennoch so neutral wie möglich zu bleiben. 
"Für heute ist Feierabend. Suchen Sie sich ein anderes Lokal.", als Mik sich umdrehte glaubte er seinen Augen kaum. Die Frau, die vor ihm stand, hätte ein Model sein können. Ihre langen blonden Haare, fielen glatt über ihre Schultern um umschlossen ein Gesicht mit der Haut einer Porzellanpuppe, ihre roten Lippen glänzten im Schein der Straßenlichter. Sie stämmte ihre Hände in die Hüften, die unterhalb der schlanken, perfekt geformten Taille saßen. Miks Blick stoppte jedoch schon weiter oben, ihre Bluse war weit genug geöffnet, um einen Aufmerksamkeit erregenden Blick in ihr üppiges Dekolletee zu erlauben. 
"Wenn das so ist, muss ich wohl wo anders feiern gehen.", ein breites Grinsen zog sich über ihr Gesicht. Mik war überrascht, so einen Anblick fand man in Chainston selten - sehr selten. 
"Ich, äh... wenn sie früher gekommen wären...", ihm blieben buchstäbliche die Worte im Halse stecken. Die Frau gab Mik einen gespielten Schlag auf die Schulter. 

"Hey nicht so verbissen, ich werde früher oder später einmal vorbeischauen. Also dann, ciao!", sie drehte sich um und verschwand hinter der nächsten Ecke. Mik brauchte ein paar Sekunden um sich wieder zu sammeln, diese Frau hatte er noch nie zuvor in Chainston gesehen und er kannte eine Menge Leute hier. 
Einen dieser Leute wollte sollte er heute noch einen Besuch abstatten.

Paul war ihm schon immer ein guter Kumpel gewesen, auch wenn sie sich nicht oft sahen oder keiner von beiden auch nur im Entferntesten daran dachten diese Verbindung Freundschaft zu nennen, herrschte doch immer eine Einigkeit zwischen ihnen. Paul arbeitete in der Bar seines Vaters, als er Mik vor Jahrzehnten kennen lernte. Er stellte öfters mal irgendwelchen Mist an. Nachdem sein Vater im Alter von zweiundsiebzig Jahren an Herzversagen starb und die Bar praktisch in den Ruin gewirtschaftet hatte beschloss Paul einen Neuanfang als Barkeeper. Das Startkapital erarbeitete er sich mit Versicherungsbetrug, als eines Nachts die Bar seines Vaters in Flammen aufging. 
Mik betrat Pauls Bar. Es war eine von den Bars, in denen das Licht eher dezent eingesetzt wurde und manchmal eine Stimmung herrschte, als würde gleich eine Massenprügelei beginnen. Heute war es ruhig, innerhalb der Woche erschienen meist nur die üblichen Stammgäste und Alkoholiker, zusammen brachten sie es auf sechs zwielichtige Gestalten. 

"Mik, du alter Mistkerl. Setzt dich ich mach dir einen Scotch fertig.", begrüßte er ihn und kramte hinter der Theke ein Glas hervor. 

"Pauli, lange nicht gesehen.", der Barmann nickte, während er Mik seinen Scotch hinstellte. 
"Ich habe das von deiner Frau gehört, tut mir leid, sie war wirklich...", sprach er mit gesenkter Stimme. Mik zog seinen Augenbrauen zusammen. 

"Ich bin nicht zur Seelsorge gekommen, alter Mann.", fiel er Paul ins Wort. "Ich brauche einen Rat."
Paul ließ seine Blicke durch die Bar streifen, er überlegte, ob irgendjemand anwesend war der von gewissen "Ratschlägen" profitieren konnte - denn wenn Leute wie Mik ihm um einen Rat baten, dann konnte es sich dabei nur um Dinge handelten, die nicht für jedermanns Ohren bestimmt waren. 
"Erst einmal bist du mindestens genauso alt wie ich. Also, was willst du?", fragte er hastig. 

Mik beugte sich etwas vor. "Gwen hat keinen Selbstmord begangen. Da bin ich mir sicher. Sie war ein lebensfroher Mensch, jeder mochte sie. Ich sage dir hier stimmt etwas nicht, mit dieser ganzen Stadt stimmt etwas nicht." 

Unbeeindruckt sah Paul ihn an, während er ein Glas abtrocknete. 
"Geh zur Polizei, schildere ihnen deine Bedenken, die werden schon wissen was zu tun ist.", erwiderte Paul. Ein belustigter Seufzer ertönte von Mik. 

"Glaubst du, dass ich das nicht schon versucht hätte? Sie sagten mir, ich solle mich beruhigen und mir professionelle Hilfe holen.", der Barmann senkte seinen Blick und begann in einer Schublade herumzukramen. Er zog eine Visitenkarte heraus. 

"Ruf bei Charles an. Er ist ein Privatdetektiv, jedoch kein offizieller, er hatte mal etwas Ärger mit den örtlichen Behörden und seine Vorgehensweise ist manchmal etwas rau.", meinte Paul und nahm daraufhin das nächste Glas zum Abtrocknen in die Hand. Mik ließ die Karte in seinem Portmonee verschwinden. 

"Ich rate dir dennoch vorsichtig zu sein.", Paul bedachte ihn mit einem ernsten Blick. Mik nickte und trank sein Glas in einem Zug leer. 

"Ich danke dir mein Freund."  

Nachforschungen

  Am nächsten Morgen fuhr Jane zum Chainston City Hospital, sie hatte in Erfahrung bringen können, dass sich hier einmal in der Woche eine Selbsthilfegruppe traf, deren Mitglieder auch von der Film-Paranoia betroffen waren. Vielleicht, so dachte sie, bekam sie hier ein paar Informationen zu diesem Phänomen. 

Jane ging auf den jungen Rezeptionisten im Eingangsbereich zu. Hinter dem großen Tisch sah der sehr junge Mann ziemlich verloren aus, er stammelte gerade ein paar unbeholfene Worte in das Telefon, als er Jane bemerkte gab er ihr ein Zeichen, dass er sich gleich um sie kümmern würde. Jane folge belustigt, der Überforderung des Jungen am Telefon. "Da müssen sie zu äh... Dr., wie hieß er doch gleich...", hektisch kramte er zwischen dem Haufen von Zetteln und Notizen, die vor ihm lagen "Dr. Jenkins, er ist für die Neurologie zuständig. Ihnen auch Tschüss."
Nachdem er das Gespräch beendet hatte und mit zwei Fingern seine Brille, einem Modell mit dickem schwarzem Gestell, zurecht rückte, wandte er sich zu Jane. 
"Kann ich ihnen weiterhelfen?", fragte er mit der gleichen Unsicherheit, mit der er das Telefonat führte. Janes Gesicht zierte immer noch ein Lächeln. 

"Guten Morgen, können sie mir sagen, wo ich die Paranoia-Selbsthilfegruppe finden kann?", der Junge nahm einen Stapel Blätter von der Tastatur seines Computers und gab mit zittrigen Fingern ein paar Worte ein. 

"Da müssen sie in die psychiatrische Ambulanz. Raum Vierundzwanzig. Aber sie sind etwas spät, die Sitzung heute ist schon fast vorbei.", antwortete er. Jane nickte kurz geistesabwesend. 

"Ok, danke. Bis demnächst, grüßen Sie Louis Tully von mir.", das konnte sie sich bei bestem Willen in dieser Situation nicht verkneifen, sah der Junge doch wie sein genaues Ebenbild aus. Er sah sie nur kurz mit großen, wirren Augen an, ehe er sich wieder dem Papierchaos auf seinem Schreibtisch widmete.

Als Jane in der psychiatrischen Ambulanz ankam, musste sie den besagten Raum nicht lange suchen, etliche Leute verließen den Raum mit der großen vierundzwanzig auf der Tür. An Jane ging eine Frau vorbei, die noch Tränen in den Augen hatte, eine andere Person starrte sie im Vorübergehen missmutig an. Jane überkam ein Gefühl der Schwere. Wenige Mitglieder der Gruppe waren noch in dem Sitzungssaal , als sie den offensichtlichen Leiter der Gruppe ansteuerte, dieser saß an einem kleinen Schreibtisch und trug Namen in eine Liste ein. 

"Entschuldigen sie, ist das die Paranoia-Selbsthilfegruppe?", fragte Jane. Der Mann nickte und sah auf. 

"Mein Name ist Dr. Hamilton, was kann ich für sie tun?", sein Blick war hochkonzentriert.

"Ich würde gerne an den Sitzungen teilnehmen.", Jane zog sich einen Stuhl an den Tisch. Hamilton dachte kurz nach. 
"Nun, unsere Gruppe ist spezialisiert auf die Art Paranoia, bei der die Menschen denken ihr Leben und alles herum um sie sei ein Film. Mit Sicherheit haben sie schon davon gehört, das geht seit einiger Zeit um wie die Grippe." 
Jane nickte. "Deswegen bin ich hier. Sie wurden mir empfohlen, da ich in letzter Zeit, sie wissen ja, damit zu kämpfen habe.", Jane zögerte einen Moment, doch ihre Neugierde war sehr stark. 
"Sagen sie, seit wann tritt diese Paranoia denn schon auf?", der gestresste Arzt trug weiterhin Namen in eine Tabelle ein. 
"Vor circa acht Monaten haben wir hier den ersten Fall verzeichnet. Vereinzelt kamen immer wieder Leute dazu. Doch erst in den letzten zwei Monaten können wir uns vor Patienten und Leuten, die in die Selbsthilfegruppe eintreten wollen kaum noch retten. Deswegen muss ich ihnen auch leider sagen, dass wir im Moment keinen freien Platz in der Gruppe haben. So leid es mir tut." 

Jane folgte seinen Worten mit voller Aufmerksamkeit. 

"Um was geht es den Leuten genau? Ich meine, wenn es bei so vielen Menschen gleichzeitig auftritt muss es doch Gemeinsamkeiten geben?", sie hoffte, dass er ihr Informationen preisgab, die sie auf ihrer Suche weiterführten. Dr. Hamilton sah die junge Frau vor sich skeptisch an. 
"Nun, bis auf das offensichtlich paranoide Gefühl gibt es kaum Ähnlichkeit. Manche reagieren aggressiv, mache selbstverletzend, manche fangen an wildfremde Leute zu beschimpfen. Aber... warten sie, hin und wieder erzählen die Patienten, sie hätten eine bildhübsche Frau gesehen. Aber wenn sie mich fragen, besteht da kein Zusammenhang.", erklärte er, während er seine Liste vervollständigte.

Janes Blick schweifte in die Ferne, sie dachte an die Frau, die sie gestern vor dem Diner traf, Trisha, aber die war nicht sonderlich hübsch gewesen. Ein Gedankenblitz. Plötzlich zog sich ein nervöses Schaudern über ihren Rücken. 

"Wie lautet ihr Name, dann kann ich sie zumindest auf die Warteschlange setzten und wir melden uns, sobald ein Platz freigeworden ist.", fügte Dr. Hamilton hinzu.  

Jane fühlte sich wie aus ihren Gedanken gerissen. 

"Ich heiße Joan Laukin. Warten sie, ich schreibe ihnen meine Nummer auf.", daraufhin verabschiedeten sie sich voneinander. Fürs erste wollte Jane unbedingt das Krankenhaus verlassen, ein paar Erinnerungen stiegen in ihr auf und formten ein Gefühl der Übelkeit in ihr.

Was sie jedoch nicht bemerkte, war die Person, die das Gespräch zwischen ihr und dem Doktor interessiert mithörte und ihr nun folgte. Janes Füße trugen Sie fast automatisch zum Ausgang vorbei an den Kunststoffblumen auf den Fluren und vorbei an dem Louis Tully Double an der Rezeption. Die frische Luft draußen bewirkte schon das ein oder andere Wunder, Jane fühlte sich gleich besser. Nachdem sie einmal tief durchatmete schlug sie den Weg in Richtung Parkplätze ein. 

"Joan Laukin? Warten Sie einen Moment!", rief eine Stimme hinter ihr. Jane drehte sich um. 

"Was ist?", fragte sie. Jane war es gewöhnt auf ihre falschen Namen anzuschlagen. Ein Mädchen mit langen dunkelblonden Haaren kam auf sie zugelaufen. 

"Mein Name ist Mary Preston. Entschuldigen sie die Frage, aber was wollten Sie in der Selbsthilfegruppe?", Jane war überrascht von der Reaktion des Mädchens. 

"Naja, mir Hilfe holen, über meine Probleme reden...", Mary sah sie mit einer Mischung aus Verwirrung und Ärgernis an. 

"Sie verhalten sich nicht so wie einer von denen. Die Fragen die sie stellen, die Art und Weise wie sie reden... Warum sind sie wirklich hier?", das Interesse der jungen Frau schien unbeirrbar. Jane seufzte resignierend. 

"Roland Emmerich hat sich an meine Fersen geheftet und hofft nun auf einen großen Blockbuster, ok? Ich habe keine Zeit für..."

"Glauben sie auch, dass es nicht an den Menschen liegt, warum hier alle so abdrehen?", viel Mary ihr ins Wort. Jane stockte, konnte es sein, dass dieses Mädchen etwas über dieses Phänomen wusste? Ist hier vielleicht endlich eine Spur zu finden? Jane schöpfte etwas Hoffnung. 

"Sagen wir es mal so: Ich beobachte das Ganze schon länger und es kommt mir so vor, als wären hier noch andere Dinge im Spiel.", antwortete Jane. 

Marys Gesicht hellte sich auf. 

"Mir geht es genauso! Es ist doch merkwürdig, dass dieses Verhalten bei so vielen Menschen gleichzeitig auftritt. Es gab Momente, da fing ich an, an mir selbst zu zweifeln, aber ich bin mir sicher, dass diese Vorstellungen nicht von mir ausgehen.", schoss es aus ihr heraus. Das Mädchen sammelte allen Mut zusammen. 

"Bitte Joan, lassen Sie uns zusammenarbeiten.", Jane dachte einen Moment nach. War es klug ihr zutrauen? Womöglich war sie selbst Patientin und spielte gerade ihre erste große Hauptrolle im Paranoiden-Wahn-Spektakel. Andererseits konnte Jane ein wenig Unterstützung gut gebrauchen, denn sie wusste im Moment nicht einmal, wo sie mit Ihrer Suche beginnen würde. 

"Mein richtiger Name ist übrigens Jane Enfield. Ich denke es wäre gut, wenn du mir hier und da etwas behilflich sein könntest."

 

* * *

 

Draußen war es bereits stockfinster. Der Herbstwind peitschte einige Teile einer Baumkrone gegen das Fenster eines Hauses am Stadtrand. Das Arbeitszimmer jenes Hauses war nur durch eine kleine Schreibtischlampe beleuchtet wurden. Etliche Bücher über Mythologie, darunter einige sehr alte Exemplare deren Einband kaum noch lesbar war, stapelten sich um einen Mann herum. Die Hände, jeweils zu Fäusten geballt, stützten den Kopf des Mannes, der angestrengt in einem dieser altertümlichen Bücher las. Erst das Telefon vermochte ihn aus seiner Konzentration zu reißen. Die erschöpften Augen, blickten in Richtung des Klingelns, ehe er aufstand und sich zu dem störenden Objekt hinbewegte. 

"Stoner.", meldete er sich. Eine kurze Pause folgte, die hin und wieder von einigen hms und ahas unterbrochen wurde. 

"Danke Bill. Das ist mir wirklich eine große Hilfe. Ich werde das Buch morgen abholen. Wie viel soll es kosten?", Jason schluckte. 

"Das ist nicht gerade wenig. Ok, ich bin morgen da.", dann beendete er das Gespräch. Jason Stoner bewegte sich weiter in den Raum hinein zu einem kleinen runden Tisch auf dem eine Flasche Jack Daniels stand und goss sich einen Schluck davon in ein Glas. 

"So kommen wir der Sache doch etwas näher.", sagte er zu sich selbst, bevor er das Glas in einem Zug leerte. Dieser Sturm draußen, er erinnerte ihn an die Zeit, als er noch in der Psychiatrie seines Vaters arbeitete. Einige Patienten verhielten sich bei einem solchen Wetter immer sehr unruhig und hielten das ganze Personal auf Trab. Etwas schoss durch seine Gedanken, wie ein heller Blitz. Eine Zerbrochene Scheibe. Tiefschwarze Nacht. Regen. Die Rücklichter von dem Wagen seines Vaters, wie sie im Unwetter verschwanden. Sein Puls schien auf einmal zu rasen - wollte ihm sein Verstand einen Streich spielen oder war es möglich, dass ihn diese eine Erinnerung noch immer so quälte? Jason kniff die Augen zusammen. 

"Jetzt nicht.", flüsterte er und versuchte sich auf das Ticken der großen Standuhr zu konzentrieren.

 

* * *



Jane parkte ihr Auto vor einem türkisen Wohnblock, sie und Mary stiegen aus dem Mustang, wobei Jane aufpassen musste, dass der Wind die Tür des Wagens nicht ruckartig mit sich riss. 

"Der Wind ist schrecklich heute Abend.", murmelte Jane. 

Ohne dem Kommentar Aufmerksamkeit zu schenken war Mary bereits auf dem Weg zur Eingangstür des Blocks in dem ihre Wohnung lag und suchte in ihrer Tasche nach dem Schlüssel. 

"Ich habe ein paar Beobachtungen gesammelt, die du dir einmal ansehen solltest.", sagte sie. Als die beiden jungen Frauen und etliche Stufen später im fünften Stock des Gebäudes ankamen, betraten sie Marys Wohnung. Voller Elan eilte Mary in ihr Wohnzimmer, während Jane noch damit beschäftigt war einen Platz für Ihre Jacke zu finden, dabei glitten ihre Blicke den kleinen Flur entlang. An den beigen Wänden hingen Bilder, Kunstdrucke mit Szenen aus kubanischen Cafés und Stränden. Jane folgte Mary in das Wohnzimmer. 

"Halte mich nicht für bescheuert.", kam Mary ihr halbwegs entgegen und zog dabei ihre Augenbrauen in die Höhe. "Aber ich habe mir schon so einige Gedanken über diese Film-Paranoia gemacht." 

Jane starrte auf ein großes Whiteboard in der Mitte des Raumes an dem ein Stadtplan, ausgeschnittene Zeitungsartikel und zahlreiche handgeschriebene Notizen hingen. Davor stand ein kleiner Tisch, Jane vermutete, dass es sich hierbei einmal um einen Couchtisch gehandelt hatte - auf ihm lagen Bücher verteilt über Psychologie und wiederum Zeitungen. 

"Du bist schon länger an der Sache dran, wie ich sehe.", sagte Jane.  

Mary wandte sich ihr zu. "Als die ersten Symptome bei mir auftraten, wollte ich unbedingt wissen, wo diese...", sie stockte für einen Moment. "...diese Störung herkam. Die ganzen Ärzte konnten mir jedoch keine vernünftige Erklärung dafür geben." Mary drehte sich zum Whiteboard um. "Lass mich dir das ganze erklären: Die Paranoia-Patienten denken nicht nur dass sie beobachtet werden, sondern dass sie gefilmt werden. Ihr Leben wird zu diesem Film, sie leben so zu sagen ein Alternativleben, dass ihnen auferlegt wird. Wie eine Art Zwang."

Jane sah sie mit ernsten Ausdruck an. 

"Aber die meisten wissen nicht, dass ihnen diese Gedanken auferlegt werden, für sie ist es die eine existente Realität und in dieser Realität, wird jeder Schritt aufgezeichnet.", ergänzte Jane. "Würde ich einen Film produzieren wollen, wäre jetzt die Phase in der die Schauspieler ihre Rolle spielen und der Schauplatz ist die gesamte Stadt.", fuhr Jane fort und betrachtete den Stadtplan. "Es muss doch so was wie einen Produktionsort geben. Wo finden wir den Regisseur? Wo wird das Drehbuch geschrieben?", Jane verschränkte die Hände hinter ihrem Kopf.

Mary drehte sich um in Richtung Tür. "Ich glaube wir könnten jetzt beide einen Kaffee vertragen. Ich komme gleich wieder."
Während Mary in der Küche verschwand, versuchte Jane ihren Kopf frei von all diesen kleinen Details zu bekommen. Manchmal half es ihr das ganze aus der Entfernung zu betrachten und das Gesamtwerk zu erfassen. Doch hier schien es einfach noch keine Gesamtheit zu geben und seit geraumer Zeit fiel es ihr schwer auch nur ansatzweise alle Gedanken zum Schweigen zu bringen. All die falschen Namen unter denen sie sich durchschlug, die Geschichten zu diesen Imaginären Images, hatten ihr Leben seit dem Beginn des Paranoia-Phänomens so rapide geändert. Janes Blick landete in einem Regal, in dem zahlreiche DVDs standen - überwiegend Thriller und Actionfilme wie "Shutter Island", "The Ward" oder "Tale of two sisters", auffällig war, dass diese Filme zum Großteil von Geisteskrankheiten handelten. Jane kam ein neuer, erschütternder Gedanke: Konnte es sein, dass Mary nach wie vor unter dieser Paranoia leidet? War diese bei ihr vielleicht so stark, dass sie nur vorgab dieses Phänomen zu erforschen und in Wirklichkeit nur die Rolle der Patientin-die-eine-unausweichliche-Wahrheit-erfährt spielt? Was unterschied sie von den anderen Paranoia-Patienten? Es ist nicht so, dass Jane sich nicht helfen lassen wollte, sie hatte mit der Zeit jedoch ein starkes Misstrauen gegenüber fremden Leuten entwickelt.
Mary kam mit dem Kaffee zurück. "Hast du schon eine Idee?", 

Jane nahm ihr eine der beiden Tassen ab. "Vielleicht sollten wir das ganze rückwärts betrachten. Wo bekomme ich den fertigen Film zu sehen?", fragte sie. 

Mary brauchte nicht lange zu überlegen. "Im Fernsehen oder in der Videothek." 

Jane nickte. "Die Premiere, der Zeitpunkt an dem der Film zum ersten Mal auf die Masse trifft, wäre allerdings im Kino." 
Marys Augen weiteten sich. "Du meinst wir könnten im Kino Hinweise finden? Ist das nicht ein bisschen sehr offensichtlich?" 
Jane atmete tief durch, natürlich war es das, aber irgendwo mussten sie mit ihrer Suche beginnen. "In jedem Kino gibt es eine Vorschau über Filme, die demnächst anlaufen. Vielleicht finden wir etwas Auffälliges." 
Eine kurze Pause folgte, bevor Jane aus ihren tiefsten Gedanken heraus hinzufügte. "Das Kino hat schon immer eine besondere Wirkung gehabt, es verzaubert die Menschen, lädt sie ein für ein paar Stunden in eine andere Welt abzutauchen."
Mary betrachtete den Boden ihrer leeren Tasse, unsicher, ob sie die nächste Frage stellen sollte oder nicht. 
"Wie bist du eigentlich dazu gekommen, dieser Paranoia Sache auf den Grund zu gehen?"
Verdutzt schaute Jane ihr Gegenüber an, diese Frage hatte sie beinahe überrumpelt. "Nun,..." Jane suchte nach Worten. Sie ging hinüber zur Couch, wo sie ihre Tasche abgelegt hatte und zog ein schwarzes Notizbuch mit ledernem Einband heraus. "Meine beste Freundin erkrankte ebenfalls an diesem Paranoia-Phänomen. Sie war anderthalb Jahre in einer Psychiatrie, weil das Ganze bei Ihr so eskalierte, dass sie sich am Ende umbringen wollte. Zu der Zeit waren nur drei oder vier Menschen davon betroffen und niemand hatte dahinter mehr vermutet, als eine psychische Erkrankung. Nach diesen anderthalb Jahren, war es mit einem Schlag vorbei und sie erzählte mir, dass sie von einer anderen Macht gelenkt wurde - das ihr diese Gedanken eingepflanzt wurden. Während der Zeit, hielt ich meine Beobachtungen fest, als ich hörte, dass dieses Phänomen hier zu einer Volkskrankheit wurde, bin ich hergekommen." Jane blätterte in ihrem Notizbuch. "Ihre Symptome waren: Paranoia, Realitätsverlust und als sie der Meinung war sie könne nur noch die Rolle spielen, die ihr auferlegt wurde, wollte sie sich umbringen."

Mitfühlend hörte Mary der der tragischen Geschichte von Janes Freundin zu. Jane fiel es hörbar schwer über diesen Vorfall zu reden, ihre Stimme klang nicht mehr so selbstsicher wie bisher und sie wurde immer leiser. Mary wollte versuchen das Gespräch auf eine andere Bahn zu lenken. 
"Was ist das für ein Buch? Sind das deine Beobachtungen.", die junge Frau beugte sich etwas vor um einen Blick darauf zu werfen, doch bevor sie auch nur einen Satz lesen konnte, klappte Jane das Notizbuch wieder zu. 

"Ja schon, es stehen aber auch einige sehr persönliche Dinge darin.", Jane schaute auf die Uhr ihres Handys. "Es ist schon spät. Ich werde morgen beim Kino vorbeischauen, sehen ob ich etwas herausfinden kann. Wie sieht's aus, kommst du mit?"

"Auf jeden Fall, wenn wir schon vormittags hinfahren, entgehen wir den ganzen Besuchern.", sagte sie. Jane verabschiedete sich. "Dann werde ich dich morgen abholen.", mit diesen Worten verließ sie die Wohnung.

Mary blieb noch eine Weile vor der Wohnungstür stehen. Irgendetwas verheimlichte Ihr Jane, das sagte ihr ihre Intuition. Gehört Jane vielleicht zu ihnen? Haben sie jetzt schon ihre Leute auf sie angesetzt, schlich es ihr durch den Kopf. Sie massierte ihre Schläfen, die Bewegungen wurden immer intensiver und schneller. "Ich vertraue ihr.", sagte sie sich selbst. "Ich bin nicht verrückt. Nicht" Marys Knie gaben nach und sie sackte vor der Tür zusammen, mit dem Rücken lehnte sie an der Wohnungstür. "Ich habe gesagt ich bin nicht verrückt." Sie vergrub ihren Kopf in ihren verschränkten Armen.

Erste Zeichen

 

Gwens Diner war heute recht gut besucht. Viele Durchreisende waren heute Vormittag hier und das bedeutete, die Leute waren zum Essen hier, nicht zum Reden. Ein gutes Geschäft für Mik und er hatte seine Ruhe, bis auf einige wenige Momente in denen Steven, der junge Koch den er nach dem Tod seiner Frau einstellte, herumwetterte, dass er in der Küche nicht seine Kreativität entfalten konnte. Er hatte kaum Erfahrung als Koch, genau genommen hat er nach der Schule ein Jahr lang gelernt in einem Restaurant klar zukommen, bevor sein ehemaliger Arbeitgeber ihn wegen seiner Meckerei rausschmiss. Doch der Junge war ein Naturtalent in der Küche, was immer er kochte es schmeckte den Leuten, das war auch der Grund, warum Mik ihn einstellte. 

"Hey Mik, wenn in diesem Kabuff kein Herd stünde würde ich in einer Abstellkammer arbeiten.", schallte es aus der Küche. Mik verdrehte die Augen. Zugegeben, er hatte ein großes Mundwerk, aber Mik mochte diese Art. Er nahm seinen Zettel mit den Bestellungen und reichte sie in die Küche, dabei setzte er sein breitestes und freundlichstes gespieltes Lächeln auf, zu dem er fähig war. 
"Stevie, du weißt ich zwinge dich nicht hier zu blieben. Deine Ma hat dein Zimmer bestimmt noch nicht entrümpelt, wenn du also Heimweh hast kannst du gerne wieder zurück zu Mami und Papi gehen." Steven, der immer noch etwas vor sich hin nuschelte, stellte sich wieder hinter den Herd und bereitete ein weiteres Essen zu. 
Mik ging wieder in den vorderen Bereich des Diners hinter die Theke. Dort bemerkte er sofort einen neuen Gast, der einzige der sich an die Theke gesetzt hatte. Seine grauen schulterlangen Haare fielen wellig an seinem schmalen Gesicht entlang, aus dem ein grauer Stoppelbart zum Vorschein kam. Er trug eine schwarze hüftlange Jacke und dunkelblaue Jeans. Mik musterte ihn genau, er wusste nicht warum aber dieser Mann hatte ein beängstigende Ausstrahlung, solche Typen tauchten für gewöhnlich erst am Abend auf und sie bedeuteten meistens Ärger. 
"Ich hätte gerne einen Whiskey", sprach der Fremde Mik an und legte dabei seine Arme auf die Theke.
"Ist das nicht noch ein bisschen früh Mister?", schoss es automatisch aus Miks Mund - er versuchte immer jeglichen Ärger aus dem Diner fern zu halten und eine solche Gestalt gepaart mit Alkohol verhießen nichts Gutes. Der Fremde begann zu lachen, für den Bruchteil einer Sekunde sah er weniger bedrohlich aus. 
"Mik, wenn ein Geschäftspartner einen Whiskey bestellt, sei doch so nett und erfüll ihm den Wunsch.", sprach der Fremde. Die Stimme kam Mik sofort bekannt vor, er hatte sie vor kurzer Zeit am Telefon gehört, dieser raue und tiefe Unterton waren sehr prägnant. 
"Du wirst doch unser Telefonat nicht vergessen haben oder?", fragte ihn der großgewachsene Mann. Miks Gesichtsausdruck änderte sich von dem normalen genervten Ausdruck zu einem erstaunten Blick. 

"Charles?", vergewisserte er sich. Sofort erinnerte er sich an jedes Wort des ominösen Gespräches, alles was Mik ihm sagen konnte war dass er in Gwens Diner arbeitete. Danach hörte er nur ein flüchtiges 'ich melde mich' bevor der Hörer am anderen Ende aufgelegt wurde. Das war ungefähr vierundzwanzig Stunden her und Mik war der Meinung, dass er nichts mehr von dem Detektiv hören würde. Mik schnappte sich ein Glas und füllte seinem 'Geschäftspartner' den begehrten Whiskey ein. 
"Ich... ich hätte nicht damit gerechnet sie heute hier zu sehen.", sagte Mik. Charles nahm einen Schluck. 
"Ich bin kein Mann der seine Geschäfte am Telefon abschließt und mein Büro ist für Fremde Tabu. Ich mag zwar Detektiv sein, aber für gewöhnlich suche ich mir meine Klienten aus. Da sie jetzt aber dazu gehören, werden wir uns wohl kennenlernen.", seine Stimme hämmerte wie Kanonenschläge durch das Diner, während Mik langsam wieder zu seiner gewohnten Fassung zurückkehrte. 
"Also gut. Es geht um meine Frau, sie starb vor zwei Wochen.", begann Mik. Charles blickte in sein Glas, das er leicht zur Seite kippte. 

"Selbstmord. Aber sie zweifeln an dieser Theorie. Das würde Gwenie nie tun.", sagte Charles beiläufig. Mik bemerkte wie er blass wurde. 

"Woher wissen Sie das?", fragte er. Charles blickte ihn aus seinen hellen, blauen Augen an. 

"Ich bin Profi auf meinem Gebiet. Sie wollen, dass ich herausfinde was wirklich passiert ist. Ich nehme tausend als Anzahlung, weitere zweitausend nach Abschluss des Falls - in Bar.", erklärte Charles. Mik beugte sich nach vorn unter die Bar, dort öffnete er ein kleines verschlossenes Schränkchen, vorsichtig zog er die doppelte Wand heraus und nahm die dort versteckte Geldkassette an sich. Dann bezahlte er den Detektiv. 

"Wie erreiche ich Sie?", fragte Mik. 

"Wenn ich Informationen habe, komme ich vorbei. Eines noch, rufen Sie mich bitte nur in Notfällen an." Charles stand auf und entpuppte sich dabei als ein zwei Meter großer Hüne. Der furchteinflößende Eindruck war wieder präsent. Der Detektiv hielt Mik die Hand hin, dieser erwiderte die Geste. 
"Ich stehe zu meinem Wort, du wirst von mir hören." danach verschwand Charles aus dem Diner. 
Mik hatte nach wie vor gemischte Gefühle was den Detektiv anging, doch er hielt sich die Hoffnung vor Augen bald zu erfahren, was mit seiner Frau geschah.
Draußen auf dem Parkplatz stieg Charles in seinen alten türkisenen Pickup und fuhr davon. Nun kam ein kleines schwarzes Auto zum Vorschein, dass die ganze Zeit hinter dem Pickup gestanden hatte. Ein wunderschönes Gesicht kam hinter der Frontscheibe zum Vorschein, rote Lippen verzogen sich zu einem breiten Grinsen auf dem Porzellangesicht. Einen Moment später startete der Motor und auch das schwarze Auto fuhr davon. 

 

* * *



Früh an diesem Morgen stand Jason Stoner mit seinem Auto vor einem alten Antiquariat in der Innenstadt. Bis auf wenige Frühaufsteher waren die Straßen der Stadt beinahe menschenleer. Jason stieg aus und ging hinüber zum Eingang des Geschäfts. Ein großes Leuchtschild mit der schlichten Aufschrift "Antiquariat" zierte den Bereich über der Tür, die gelben Buchstaben auf dem dunkelgrünen Hintergrund zeigen eine altertümliche Serifenschrift, wie sie manchmal noch bei Zeitungen verwendet wurden. In den beiden Schaufenstern lagen allerlei alte Bücher von Romanen bis hin zu Sachbüchern und Ratgebern. Jasons Blick glitt hinüber zur Tür an der von innen ein handbeschriebenes Pappschild mit der Aufschrift "Geschlossen" hing. Genervt schüttelte Jason den Kopf und betrat die kleine Gasse neben dem Geschäft. Ein paar Meter weiter an der rötlichen Backsteinwand befand sich eine weitere, schmalere Stahltür. Jason schlug zwei Mal kräftig dagegen, nach wenigen Sekunden hörte er wie die Tür von der anderen Seite aufgeschlossen wurde. Ein älterer Mann Mitte vierzig blickte durch den schmalen Türspalt, ehe er die Tür komplett öffnete.

"Jason. Da bist du ja endlich.", grüßte der Mann.

"Ich konnte es kaum abwarten. Was gibt es neues Bill?", erwiderte Jason. 

Bill war Mitte fünfzig was man ihm auch deutlich ansah, zweifelsohne hatte er in seinem Leben schon viel mitgemacht. Er stammt aus einer Familie, die sich schon immer mit übernatürlichen Dingen befasst hatte. Seine Mutter verdiente ihren Lebensunterhalt als Wahrsagerin und ihre Voraussagungen trafen grundsätzlich zu. Sein Vater reiste oft in der Gegend herum um forschte nach allem Übernatürlichem was ihm in die Hände geriet, hin und wieder traf er dabei auf finstere Gestalten, die die meisten Leute vielleicht nur aus irgendwelchen Geschichten am Lagerfeuer kannten. Bill wuchs mit diesen Einflüssen auf und ihm war schnell klar, dass er diesen Weg weiter fortführen möchte. Wie sein Vater reiste er von Ort zu Ort immer auf der Suche nach Dingen, die den normalen Verstand überstiegen. Dabei lernte er viel über Riten, Beschwörungen und jegliche Form von unheimlichen Kreaturen. Doch an einem schicksalhaften Tag schlug dieses Leben eine andere Richtung ein. Er verfolge einen Mann, der sich des Nachts immer in einen gigantisch großen Wolf verwandelte und sich an den Bewohnern eines kleinen Dorfes satt aß. Bill hatte ihm eine Falle gestellt in die er getappt war und wollte ihn gerade mit einer Schrotflinte, die mit silbernen Kugeln geladen war, zur Strecke bringen, als die Kreatur Bill in den Oberschenkel biss. Er konnte ihn noch erschießen doch diese kleine Unachtsamkeit kostete Bill sein rechtes Bein. Fortan musste er zwangsweise etwas kürzer treten, so beschloss er vor fünf Jahren nach Chainston zu ziehen und ein Antiquariat zu eröffnen. Der Buchladen war nicht nur eine Einnahmequelle für Bill, er erfüllte auch noch den Zweck, dass er an alle möglichen altertümlichen Bücher über Okkultismus, Legenden und Mythen herankam. Auch wenn er nicht mehr selbst auf die Jagd ging, so forschte er noch nach diesen Dingen.

"Ich habe schon auf dich gewartet, du bist spät dran.", Bill humpelte ein paar Schritte zurück. Jason sah ihn stirnrunzelnd an. 

"Spät? Bill es ist halb acht, das empfinde ich für gewöhnlich als sehr früh. Du sagtest, du hättest das Buch bekommen, wo ist es?", fragte Jason ungeduldig. Der ältere Mann verschloss die Tür hinter Jason wieder und humpelte auf seiner Beinprothese in sein Büro. Jason war vor ein paar Monaten zu ihm gekommen und berichtet ihm über diese Menschen mit der Film-Paranoia, Bill hatte ebenfalls davon gehört und sich damals schon auf die Suche nach Hinweisen gemacht. 

"Erst einmal war es schwer überhaupt ein Exemplar davon zu bekommen. Ich musste mich mal wieder als Leiter des Chainston Büchermuseums ausgeben um eines zu bekommen. Es gibt weltweit nur noch acht Stück.", Bill schob Jason einen Stuhl an den Schreibtisch. "So wie es aussieht haben wir dieses Mal einen Treffer gelandet." 

Jason las den Titel des Buches 'Die drei Gesichter des Schicksals' und blätterte etwas in dem Buch herum. 

"Hast du es dir schon angesehen?", fragte Jason prüfend. Bill sah Jason völlig fassungslos an "Selbstverständlich. Es ist echt." antwortete er kurz, während der jüngere Mann seine Aufmerksamkeit einer ganz bestimmten Seite widmete. 

"Das sieht für mich sehr nach schwarzer Magie aus.", meinte Jason und strich mit der Hand über die Seiten, er konnte es noch immer nicht fassen, dass das Buch tatsächlich vor ihm lag. Bill schaute sich die Seite ebenfalls an, sie zeigte verschiedene Symbole und ein Beschwörungsritual. 

"Ja aber auch für Laien anwendbar. Hier steht sogar genau beschrieben was wir dafür brauchen. Glaub mir auf dem Gebiet kenne ich mich schon eine Weile aus. Es gibt allerdings einen Gegenstand, bei dem ich nicht weiß wie wir ihn auf die Schnelle beschaffen können.", er schlug eine neue Seite auf, ein Bild von einem Runen verzierten Messer war dort abgebildet. 
"Scheiße, dass darf doch nicht wahr sein!", Jason fuhr mit der Hand über sein Gesicht, Bill beobachtete die Reaktion des jüngeren Mannes. 

"Dir kommt dieses Messer nicht irgendwie bekannt vor, oder?", fragte Bill. Jasons Gedanken überschlugen sich, er kannte das Messer, er hatte es selber mehr oder weniger besessen. 

"Als ich meine Forschungen an dem Paranoia-Phänomen begann, hatte ich eine Partnerin, das war noch in Greenbay Hill. Wir mussten uns trennen..." Jason stockte. Bill sah ihn ernst an. 

"Und sie nahm das Messer mit?", Jason nickte vorsichtig.

"Nun gut, zumindest haben wir einen Anhaltspunkt.", Bill holte tief Luft, mit der Gewissheit, dass ihr vorankommen, doch noch etwas länger dauern würde. Jason blickte auf das Buch herab ein gequältes Lächeln nahm auf seinem Gesicht platz. 
"Einen Anhaltspunkt.", wiederholte er die Worte und glaubte selbst nicht daran, dass Messer in kurzer Zeit aufspüren zu können. Erinnerungen schossen durch seinen Kopf - eine Umarmung, ein Kuss. Das Messer wie er es in die Hände einer Frau gab, die roten Rücklichter eines Wagens, wie er im Regen verschwand. 
"Jason?", Bill sah den jungen Psychiater eindringlich an, so kannte er ihn gar nicht. Für gewöhnlich war er immer etwas aufbrausend, manchmal hatte er auch einfach nur eine große Klappe. Aber heute war er sehr in sich gekehrt. 

"Wir haben eine Menge Arbeit vor uns.", sagte Jason und klappte das Buch zu.

 

* * *



An diesem Morgen holte Jane Mary von ihrer Wohnung ab und sie fuhren gemeinsam zum Kino. Auf dem Weg dorthin erklärte Jane das weitere Vorgehen. 

"Ich dachte mir wir werden getrennt auf die Suche gehen. Ich gebe mich als Journalistin aus, die eine Story über das Kino schreibt, während du dich über das kommende Kinoprogramm schlau machst. Ist das OK?", Jane versuchte ihre Reaktion aus dem Augenwinkel zu beobachten, während sie auf die Straße schaute. Mary wusste nicht so recht was sie davon halten sollte, sie hatte zwar selbst schon Recherchen betrieben aber nicht auf diese Art und Weise. 

"Wir gehen dann auch getrennt hinein, nehme ich an?", fragte sie. Jane bemerkte die Unsicherheit in Marys Stimme. 

"Ja. Offiziell kennen wir uns nicht. Ich werde auch einen anderen Namen verwenden und versuchen so viel wie möglich über das Kino herauszufinden." Jane bog auf eine breite Hauptstraße ab auf der etliche Geschäfte, Imbisse und der Gleichen zu sehen waren, sie sah sich suchend um. Mary übernahm kurzerhand die Rolle des Navigators und zeigte ihr den Weg zum Cesars Theatre. Jane stellte den roten Mustang ein paar Meter vom Kino entfernt auf der anderen Seite der Straße ab. Sie öffnete das Ablagefach auf der Beifahrerseite, wobei ihr unterschiedliche Ausweise und Pässe entgegenkamen. 

"Du scheinst das öfters zu machen, hm?", beobachtete Mary die Szene. Jane nahm eine Hand voll Ausweise heraus. 

"Als normaler Zivilist kommt man manchmal nicht weiter und man erspart sich die ein oder andere plumpe Anmache, wenn auf dem Ausweis eine höhere Position steht.", antwortete Jane. Mary konnte sich ein lautes Lachen nicht verkneifen. 

"Deswegen auch die schicke Aufmachung.", das lag ihr schon die ganze Zeit auf den Lippen. In der Tat sah Jane heute anders aus, sie trug eine weiße Bluse, darüber ein schwarzen figurbetonten Blazer und schwarze Jeans. 

"Das ist manchmal schon die halbe Miete." Jane war ganz darin vertieft den passenden Ausweis zu finden. Während Mary wartete, schaute sie aus dem Fenster hinüber zu einem alten Antiquariat auf der anderen Straßenseite. Sie sah wie Jason Stoner ein Geschäft verließ und winkte ihm freundlich zu, doch er schien sie nicht zu bemerken, scheinbar hatte er es eilig, er stieg in sein Auto und fuhr davon. Er hat sich bestimmt wieder eine neue Bettlektüre für Psychologen geholt, dachte sich Mary im Stillen oder die Biografie von irgendeinem Musiker, wer weiß das schon. 

"Ah, hab ihn.", Jane hob eine kleine eingeschweißte Karte in die Höhe. "So lange wir im Kino sind bin ich Lisa Sullivan." 

"Die Journalistin. Das ist verrückt.", Mary sah sie immer noch leicht ungläubig an. Jane zuckte mit den Schultern. 

"Aber es funktioniert."

Mary stieg als erste aus und ging hinüber zu dem Kino. Jane folgte ihr ein paar Minuten später. Sie betrat das Foyer und sah sich etwas um, alles hier sah aus wie ein ganz normales Kino, überall hingen Poster von aktuellen Kinofilmen und ein großer Pappaufsteller eines übergroßen Batmans, nahm sie in Empfang. Auch wenn im Moment noch keine Vorstellung im Gange war, roch es überall nach frischem Popcorn. Jane liebte diesen Geruch, sie hielt sich gerne in Kinos auf. Ein junger Mann kam auf Jane zu. 

"Guten Tag, kann ich ihnen weiter helfen?", fragte er. Sie sah ihn freundlich an. 

"Guten Tag, mein Name ist Lisa Sullivan. Ich bin Journalistin und würde gerne etwas über das Cesars Theatre schreiben. Mein Verlag plant das Magazin 'Public View' zu veröffentlichen, darin geht es allgemein um das Thema Lifestyle.", stellte sie sich vor. Der Mann setzte ein freudiges Lächeln auf. 

"Das hört sich sehr gut an Mrs. Sullivan. Ich sage kurz in der Chefetage Bescheid, es wird gleich jemand zu Ihnen kommen. Setzen Sie sich doch schon einmal.", der Mann deutete auf die Sitzecke, die sich gegenüber zum Eingang der Kinosäle befand. Jane nahm auf der großen Ledercouch platz. Von hier aus konnte Sie beobachten, wie Mary sich mit einer Frau unterhielt, die ihr mehrere Zettel in die Hand drückte. Jane hoffte, dass sie hier eine Spur finden würden, denn im Moment, konnte sie nicht genau sagen, wo sie sonst suchen sollten. 

Mary hatte Glück, die Frau am Ticketschalter hatte gerade nichts zu tun und nahm sich deswegen alle Zeit der Welt um ihr weiter zu helfen. 

"Auf diesem Ausdruck sehen Sie das Kinoprogramm der nächsten drei Wochen.", sie reichte Mary auch einen Flyer. "Das hier sind unsere geplanten Vorpremieren und Events, diese umfassen die nächsten zwei Monate. Bei den Events bitten wir vorher um Anmeldung, die sind nämlich recht schnell ausverkauft." 

Mary schaute sich den Flyer genau an das Datum des einunddreißigsten Oktober war mit goldener Schrift hervorgehoben, dahinter stand 'Halloween Movie-Special'. 

"Was ist denn das Halloween Movie-Special?" Die Frau vom Ticketschalter schaute ebenfalls auf den Flyer. 

"Das ist neu in diesem Jahr. In unserem Kino findet eine Halloweenparty statt mit Buffet und Getränken. Um Mitternacht wird noch ein Film gezeigt, um welchen es sich handelt wird aber noch nicht verraten. Kostüme sind übrigens auch gern gesehen. Am Ende der Veranstaltung wird das originellste Kostüm ausgewählt.", erklärte die Frau. Marys Gedanken kreisten um das Halloween-Special. Ein besonderer Film, könnte das vielleicht ein Hinweis sein? 

"Über den Film können Sie mir wirklich nichts verraten?", fragte Mary. Die Frau schüttelte mit dem Kopf. 

"Das wird eine Überraschung. Selbst die Mitarbeiter des Kinos erfahren erst an diesem Tag welcher Film gespielt wird.", fuhr sie fort. Mary ließ die Programmvorschau und den Flyer in ihrer Tasche verschwinden. 

"Ich bedanke mich bei ihnen. Das mit der Halloweenparty hört sich sehr interessant an." Mary verabschiedete sich von der Frau und verließ das Kino.

Währenddessen war im Foyer das Interview zwischen Jane und dem stellvertretenden Leiter des Kinos, Mr. Henricson, in vollem Gang. Henricson war ein Mann mittleren Alters mit kurzen braunen Haaren, bei denen die Geheimratsecken schon ihren Weg um den Kopf herum suchten. Seine korpulente Gestalt füllte den Sessel, in den er sich gesetzt hatte, komplett aus. Er war ein sehr redseliger Mensch und schien gerne über das Kino zu erzählen - er ließ kaum ein Detail aus von der Gründung bis hin zu den aktuellen Kinofilmen. Jane notierte sich immer wieder ein paar Gesprächsfetzen. 

"Sie leiten also das Cesars Theatre?", Henricson verschränkte die Hände vor seinem breitem Bauch "Nicht direkt. Ich bin Stellvertreter und übernehme das Tagesgeschäft. Die Leitung liegt bei Cloe Tafé, die erwischen Sie hier aber selten. Im Moment fördert Sie beispielsweise junge Regisseure aus der Gegend, die Ihre Filme in unserem Kino vorführen können.", erzählte Henricson. Jane kreiste sich den Namen Cloe Tafé auf ihrem Block ein. 

"Mr. Henricson, Sie erwähnten vorhin, dass Sie einmal im Monat einen klassischen Film vorführen. Verfügen Sie über ein Archiv vorort? Wie kann ich mir das vorstellen?", fragte Jane. Henricson setzte ein freudiges lächeln auf. 

"So ist es. Im Laufe der Jahre konnten wir ein Filmarchiv von über dreihundert Filmen von 1950 bis 1990 zusammen bekommen. Darauf sind wir besonders stolz, denn es ist das größte Archiv im Umkreis von fünfhundert Kilometern. Das praktische ist, dass sich das Archiv direkt unter dem Kino befindet.", erklärte er. Blitze zuckten vor Janes Augen auf, als hätte sie die ganze Zeit auf ein bestimmtes Stichwort gewartet. Unterirdische Räume beflügelten ihre Vorstellung, dass es doch noch einen nützlichen Hinweis geben könnte. 

"Das Cesars verfügt also über einen Unterbau?", ihre Stimme klang nun gezielter. 

"Zu Beginn des Baus stieß man auf diese unterirdischen Räume. Später wurden diese dann renoviert und unser Archiv konnte dort einen sicheren Platz finden.", Henricson legte seine Hände auf die Sessellehnen. Jane begann immer neugieriger zu werden. 

"Der Unterbau existiert schon vor dem Kino?", sie sah ihn hochkonzentriert an. Der stellvertretende Leiter des Kinos begann leicht zu schwitzen. 
"Als das Kino gebaut wurde ging ich noch zur Schule. Soweit ich das aber mitbekam, sollte an dieser Stelle eine Kirche gebaut werden. Dazu kam es aber nicht.", die Stimme von Henricson begann leicht zu schwanken. Jane bemerkte, dass ihr Gegenüber nervös wurde und hoffte ihm noch ein paar Details zu entlocken. 

"Sie haben also ein kirchliches Archiv.", versuchte Sie die Atmosphäre etwas aufzulockern. "Von Kirchen ist ja bekannt, dass sie unterirdische Gänge verwendeten, um sich mit anderen Gebäuden zu vernetzen. Existieren hier solche Gänge auch?" Henricson tippte ungeduldig mit seinen Fingern auf der Sessellehne, der Schweiß bildete kleine Tropfen auf seiner Stirn. 
"Das hat jetzt weniger mit dem Thema Kino zu tun.", er suchte nach Worten. "So was ist mir... nicht bekannt."

Im Hintergrund öffnete sich die große Eingangstür, Jane bekam dies nicht mit, sie war gerade damit beschäftigt sich ein paar Interessante Informationen zu notieren. Henricson blickte zu der Person hinüber, dann sah er Jane wieder an. 

"Mrs. Sullivan, ich hoffe ich konnte Ihnen genug Informationen zu Ihrem Artikel geben. Ich muss mich nun wieder um die Arbeit kümmern.", beendete er das Gespräch. Jane schüttelte Henricson noch flüchtig die Hand, bevor er hastig aufstand und auf die, soeben eingetroffene Frau, zuging. Jane packte ihre Notizen zusammen und stand ebenfalls auf. Ihr Blick blieb bei Henricson hängen, genaugenommen bei der Frau, mit der er sich gerade unterhielt. Bei diesem Anblick blieb ihr für einen kurzen Moment die Luft weg, mit der rechten Hand umklammerte sie ihre Tasche so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Ihr Puls beschleunigte sich auf ein beängstigendes Tempo. Jane kam diese Frau bekannt vor - sie hatte sie vor einer langen Zeit schon einmal gesehen. Sie wusste diese Erscheinung bedeutete nichts Gutes. Die Frau blickte herüber zu Jane für ein paar Sekunden sahen sie sich direkt in die Augen. Jane spürte, wie ihr kalter Schweiß die Stirn herunter lief, sie wollte nur noch eines - das Kino so schnell wie möglich verlassen. Die Frau grinste Jane mit einem breiten Lächeln, das fast schon bösartig wirkte, an. Ihre roten Lippen schienen immer breiter zu werden, während sie sich eine blonde lange Strähne aus dem Gesicht strich. 'Dieses Porzellangesicht', dachte Jane und eilte schnellen Schrittes aus dem Kino. 

Unendlich viele Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Angst und Aggressionen stiegen in ihr auf, vor ihren Augen tanzten Bilder aus der Vergangenheit: Eine Spritze wurde aufgezogen. Tränen flossen. Jane war vollkommen durcheinander und versuchte krampfhaft ein bisschen Klarheit zurückzugewinnen oder zumindest den Schein von Klarheit zu erwecken, schließlich wartete Mary hier irgendwo auf sie.
Jane eilte in die Richtung, in der sie vorhin ihr Auto geparkt hatte, Mary war nirgends zu sehen. Plötzlich hörte sie einen Mann laut brüllen, er klang wütend, seine Worte waren angelangt.

"Verräterin! Du hast und alle verraten!", brüllte diese Stimme boshaft durch die Straße. Jane schreckte zusammen, ihre Verzweiflung rutschte in eine tiefere Ecke ihres Verstandes. Sie ging neugierig die Straße entlang, als sie mit einem Mal sah, wie ein Mann Mary am Arm gepackt hielt und sie lautstark beschimpfte. Der Mann war eine gruselige Gestalt, er war offensichtlich blind, die Pupillen seiner Augen waren sehr stark verblasst. Er hatte außerdem einen sehr muskulösen Oberkörper, was es Mary sehr schwer machte sich aus seinem Griff zu lösen. Er verlor sich förmlich in seinen ekstatischen Beschimpfungen. 

"Seht euch diese Verräterin an! Sie wird alles kaputt machen.", der blinde Mann holte aus und schlug Mary so kräftig ins Gesicht, dass ihre Unterlippe anfing zu bluten. Jane stürmte auf diese scheußliche Person zu und verpasste ihm mit vollem Schwung einen Fausthieb in den Magen. 

"Verpiss dich bloß!", rief Jane ihm zu. Der bilde torkelte ein paar Schritte zurück, was ihn keines Wegs entmutigte. Er ließ nicht ab von den beiden und stürmte erneut auf sie zu. Jane wich ihm geschickt aus und nutzte die Wucht seines Angriffs, um ihn in eine kleine, seitwärts gelegene Gasse zu stoßen, er fiel geradewegs in ein paar Mülltonnen. Jane trat einmal kräftig auf ihn ein, bevor sie ihn auf die Beine zog und gegen die Wand drückte.

"Was sollte das eben? Red' schon.", fragte Jane mit wütender Stimme. Der Mann starrte sie mit einem ängstlichen Wandel in seinem Gesicht an. Wie konnte das sein, fragte sich Mary, er war doch blind. 

Der Angreifer Atmete schwer. 

"Jeder Verräter muss aus dem Weg geschafft werden. Ihr macht alles kaputt.", sagte er. Janes zorniger Blick schlug in Verwirrung um. 

"Wovon redest du da?", er begann zu lachen. "Das werdet ihr schon sehen, wenn es soweit ist. Jeder wird es sehen. Außer mir." Danach drückte der man mit seinen Daumen seine Augen tief in seine Augenhöhlen. Jane ließ ihn angewidert los, er sackte auf dem Boden und lachte weiter lauthals vor sich hin.

Mary und Jane machten sich auf dem schnellsten Weg zurück zum Auto. Jane umklammerte das Lenkrad. 

"Alles OK bei dir?", fragte sie. Mary wischte sich mit ihrem Ärmel das Blut von der Lippe, keine Reaktion. Jane sah sie eindringlicher an. 

"Mary?", als Antwort bekam sie nur ein Schluchzen. 

"Es fängt wieder an.", rief Mary und brach darauf in endgültig in Tränen aus. 

"Dreh jetzt nicht durch.", sagte Jane ruhig. 

"Als der Mann mich gepackt hatte, war es wieder da, dieses Gefühl, dass ich unbedingt diese Rolle spielen müsste.", erklärte sie mit einem Tränenschleier in den Augen. Jane beugte sich zu ihr rüber und nahm sie in den Arm. Mary liefen ungehalten dicke Tränen die Wange hinab. 

"Sie haben alles gefilmt. Es wurde alles festgehalten.", schluchzte sie. Jane schloss ihre Augen und überlegte, was sie jetzt tun sollte. 

"Mary, keiner filmt dich. Du hast mir genau erklärt, dass jemand versucht dir Gedanken in den Kopf zu pflanzen. Kämpf dagegen an, deine Gedanken gehören dir. In dieser Stadt stimmt etwas nicht und wir werden herausfinden was das ist.", versuchte Jane sie zu beruhigen. Mary nahm ein Taschentuch aus ihrer Tasche und wischte sich die Tränen, zusammen mit dem verschwommenen Maskara aus dem Gesicht. 

"Fahr weg von hier.", sagte sie, ihre Stimme zitter noch immer. Jane startete den Motor und schlug den Weg zu Marys Wohnung ein.

 

* * *



Am späten Nachmittag saß Ben Henricson im zweiten Stock des Cesars Theatre, in seinem kleinen Büro und arbeitete sich durch einen großen Stapel Papier. Bei jedem kleinsten Geräusch sah er auf und blickte sich hektisch um. Der Schweiß stand ihm schon wieder auf der Stirn und entließ hin und wieder einen Tropfen, der an seinen weit aufgerissenen Augen entlang lief. 'Sie studieren dein Verhalten' schallte es durch seinen Kopf. Er versuchte sich auf die vor ihn liegenden Unterlagen zu konzentrieren, da klopfte es an seiner Tür. Henricson zuckte zusammen. 

"Hi Ben.", ein wunderschönes Gesicht blickte zur Tür hinein. "Ich muss noch Mal los. Kommst du klar?", fragte die Frau. Ben nickte. Cloe war so gut wie immer unterwegs, er leitete währenddessen natürlich das Kino. 

"Ähm, Cloe?", er zögerte. Im Grunde wollte er sich krank melden, wollte erzählen, dass ihm im Moment überhaupt nicht nach arbeiten zu Mute war, doch er brachte diesen Satz nicht über die Lippen. Er wollte Cloe nicht enttäuschen, er wollte dieser wunderschönen Erscheinung mit ihrem blonden Engelshaar und den kirschroten Lippen seine Unterstützung nicht abschlagen. "Ich wünsche dir gutes Gelingen.", sagte er stattdessen. Sie grinste und warf ihm einen zuckersüßen Handkuss zu, danach drehte sie sich um und ging.

Gleich nachdem die große Eingangstür des Kinos hinter Cloe zufiel, verschwand das Lächeln aus ihrem Gesicht. Tiefe Falten legten sich auf einmal über ihre ernsten Augen, als sie in ihren schwarzen Porsche stieg. Aus ihrer Handtasche zog sie ein dunkelrotes Notizbuch, sie schlug die erste Seite auf, eine Liste von Namen war dort zu sehen. Ganz unten fügte sie "Ben Henricson" hinzu und setzte ein Häkchen dahinter. Sie blickte gebannt auf die Liste und tippte dabei unruhig mit dem Kugelschreiber auf der Seite herum. Der Kugelschreiber brachte ein J zustande, danach brach Cloe wieder ab. Sie ließ das Notizbuch wieder in ihrer Tasche verschwinden und fuhr los. 

 

* * *



Nachdem sie Mary nach Hause gebracht hatte und den ganzen Nachmittag dageblieben war, um sicher zu gehen, dass es ihr wieder besser ging, wollte Jane nur noch zu dem Motel fahren. Ein paar Stunden Ruhe würden auch ihr ganz gut tun. Gwens Diner lag direkt auf dem Weg, vielleicht könnte sie vorher noch eine Kleinigkeit trinken, der Gedanke beruhigte sie ungemein. Ihr Hinterkopf gönnte sich jedoch keine Ruhe, möglicherweise konnte Mik etwas mit dem Namen Cloe Tafé anfangen? Sie stellte ihren Wagen auf dem Parkplatz des Diners ab. Sie erinnerte sich noch an ihren ersten Auftritt mit der kaputten Tür und musste etwas lächeln. Jane schwang die Tür mit ordentlichem Schwung auf, sie schlug mit einem lauten Knall gegen die Wand. 
"Verdammt.", rutschte es Jane leise heraus. 

"Mädchen, lass die Tür heile, hier schmeißt keiner mit dem Geld um sich.", der Mann hinter der Tür warf ihr ein freundliches Grinsen entgegen. 

"Hier tut sich ja doch etwas.", meinte Jane, als sie bemerkte, dass die Tür inzwischen repariert wurde. Sie  ging zur Theke hinüber. "Wenn das so ist, lass ich zur Feier des Tages gleich etwas Geld hier.", sie setzt sich auf einen der Hocker. "Ein Caipirinah." Mik zog seine Augenbrauen in die Höhe. 

"Missis...", Mik verstellte seine Stimme, sodass er klang wie ein sehr alter seniler Mann. "Sie verwechseln das Diner mit einer Bar.", dabei drehte er sich zum Kühlschrank um, holte ein Flasche Bier heraus und stellte sie auf den Tresen. 

"Ich bin wirklich kurz davor Dad zu dir zu sagen.", nahm Jane das kühle Getränk dankbar an. Normalerweise ließ sich Mik im Moment nicht auf irgendwelche Sprüche ein, schon gar nicht, wenn die Leute ihn einfach anfingen zu duzen, doch Jane hatte etwas an sich, dass ihn aus seiner Trauerstimmung heraus hob. Auch wenn seine Kinder schon lange aus dem Haus und auch aus Chainston raus waren, drangen seine Vatergefühle ab und zu an die Oberfläche.

 "Mik, sag Mal hast du schon einmal den Namen Cloe Tafé gehört?", Jane nahm einen Schluck aus der Falsche. Mik dachte angestrengt nach. 

"Tut mir leid. Hier kommen viele Leute her, aber der Name ist mir noch nicht untergekommen." Jane senkte ihren Blick, das wäre auch zu schön gewesen. 

"Sie hat lange blonde Haare, rote Lippen, ist sehr schlank. Die Leute beschreiben sie meist als unglaublich schön.", beschrieb sie die Frau. In Miks Kopf begann es zu klingeln. 

"Halt. Diese Frau, ich glaube sie stand vor kurzem vor dem Diner. Ich habe gerade geschlossen, da verschwand sie auch schon wieder.", sagte Mik. Janes Aufmerksamkeit galt nur noch Miks Worten 

"Was hat sie zu dir gesagt?", fragte Jane. Mik schüttelte mit dem Kopf. 

"Nichts besonderes, sie wolle feiern und wenn ich jetzt schließen würde, müsse sie sich einen anderen Ort dazu suchen. Dann war sie weg.", meinte er. Jane seufze laut und resignierend. 

"Mit dieser Frau stimmt etwas nicht, sei vorsichtig Mik.", sagte sie gedankenversunken. Im Hintergrund lief das Radio, die meiste Zeit liefen dort Classic Rock Stücke. Der Moderator hatte gerade seine Ansage beendet, da begann der Song 'Nutshell' von Alice in Chains. Erinnerungen stiegen in Jane auf - eine Umarmung, ein Kuss.

"Was ist mit ihr?", frage Mik. Jane trank die Flasche in einem langen Zug leer, danach kramte sie etwas Geld aus ihrer Tasche und bezahlte. 

"Das kann ich dir noch nicht so genau sagen, aber es ist besser, wenn du ihr nicht über den Weg läufst. Ich muss jetzt erst mal los.", sie stand auf. "Bis später." Mit schnellen Schritten machte sich Jane auf dem Weg zu ihrem Auto und fuhr zum Motel. 

In ihrem Zimmer angekommen, kippte sie einen Karton aus, den sie bei ihrer Ankunft vor ein paar Tagen hier abgestellt hatte. Sie nahm eine Mappe aus dem Papierstapel hervor und blätterte hastig darin. Ein Zettel fiel ihr entgegen, er sah schon recht alt und mitgenommen aus, darauf stand J. Stoner und eine Handynummer. Jane setzte sich auf das Bett, zwischen all die Zettel und Mappen und was sonst nicht noch alles in dem Karton verborgen war. Sie nahm ihr Handy in die Hand und tippte die Nummer ein. Es folgte kein Freizeichen, lediglich drei schrille Pieptöne und eine Frauenstimme ertönten, die ihr sagten 'Kein Anschluss unter dieser Nummer'. Diese Nummer hatte sie schon unzählige mahle versucht zu erreichen, doch es antwortete ihr niemand - außer die programmierte Frauenstimme, die ebenso gut auch hätte sagen können, gib es endlich auf hier wird keiner mehr abnehmen. Trauer überkam Jane, sie ließ sich komplett auf das Bett fallen. Das war alles zu viel heute, dachte sie und vergrub ihren Kopf in dem Kopfkissen. 

Showtime

 Ein rostiger alter Pickup fuhr auf der breiten Hauptstraße durch die Innenstadt von Chainston, an seinem Steuer saß kein geringere als Charles, der gerade auf dem Weg in sein Büro war. Die Ampel an der Kreuzung sprang gerade auf Rot, als Charles mit einem Schlag ein eigentümliches Gefühl überkam. Ein paar Meter von ihm entfernt stieg eine Frau in ihr schwarzes Auto, ihre Haare leuchteten orange von den Lichtern des Cesar Theatres. Charles Hände umschlungen das Lenkrad mit eiserenen Griff, sein Puls beschleunigte sich rasant, er fokussierte nur noch das schwarze Auto. Sein Blick begann sich zu verengen, kleine Blitze umkreisten den 'anvisierten' Wagen. Einen Momentlang hörte er nichts weiter als sein Herz, dass von Schlag zu Schlag immer heftiger gegen seinen Brustkorb schlug. 

"Bist du es?", flüsterte er. Sein Gefühl trügte den alten Detektiv nie, so lange er Erinnerungen an sein Dasein hat, war seine Intuition sein treuster Begleiter. Hinter dem Fall von Gwen Shelter vermutete er, eine Spur zu finden, der ihn auf ihre Fährte locken konnte, zu ihr - der Person, die ihn hier her nach Chainston gebracht hat. Dummerweise kannte er nicht einmal das Aussehen der Zielperson, die er so fanatisch suchte. Der schwarze Porsche fuhr vor seinen Augen davon, ohne viel zu überlegen, entschloss Charles diesem Auto zu folgen, unauffällig und mit einigen Wagenlängen Abstand. Der Weg führe sie beide aus der Stadt heraus zu einem alten Farmhaus. Hier wurde es schwer unentdeckt zu bleiben, denn auf dieser Landstraße herrschte so gut wie kein Verkehr, glücklicherweise setzte die Dämmerung ein und er konnte sich die Aufsteigende Dunkelheit zunutze machen. Er sah eine Scheune in einiger Entfernung, der Porsche fuhr mit ungedrosselter Geschwindigkeit darauf zu. Charles hingegen parkte sein Fahrzeug hinter einem großen Gebüsch, von hier aus war es besser zu Fuß weiter zu laufen. Charles schlich zur Scheune, die von oben bis unten zugestellt war mit Regalen, einem Traktor und verschiedensten Werkzeugen - die mehr oder weniger alle zur landwirtschaftlichen Arbeit dienten. 
Cloe begrüßte zwei Männer, finstere Gestalten mit jeweils Oberkörpern, die einem Bodybuilder blass aussehen lassen würden. Aus der Mitte des Raumes drang ein Wimmern hervor, es klang scheußlich mitgenommen. Charles konnte vom vorderen Bereich der Scheune nicht sehen von wem diese Laute ausgingen. Er schlich an der Wand entlang bis er hinter dem Traktor angekommen war, von hier aus hatte er alles im Blick, seine kalten Augen beobachteten den gesamten Raum. Ein Mann mittleren Alters saß auf einem Stuhl seine Hände waren an der Rückenlehne festgebunden, er war es auch, dessen Wimmern die Scheune mit dieser schrecklich angespannten Atmosphäre füllte. Bei genauerem Hinsehen hatte er auch allen Grund dazu. Sein Gesicht war blutüberströmt, die wenigen Flecken an denen die Farbe seiner Haut zu sehen war waren mit Blutergüssen übersäht. Seine Nase machte einen unnatürlichen Bogen zur linken Seite, mehrere Schnittwunden zogen sich über seine Oberarme und wenn Charles es richtig erkennen konnte, waren seine Pupillen stark verblasst. Haben diese Leute hier einen blinden gefoltert? 
Cloe ging zusammen mit den beiden Männern, die jeweils die Maße eines Kühlschrankes besaßen zu dem blinden hinüber. 
"Du solltest das Mädchen zu uns bringen. Wo ist sie?", der gefesselte riss den Kopf in die Höhe. 

"Ich weiß es nicht.", stammelte er, wobei ihm ein dünner Faden Blut aus dem Mundwinkel lief. Einer der beiden Schränke ballte seine Faust, holte weit aus und ließ sie mit ungehinderter Wucht in das Gesicht des Blinden einschlagen. Selbst Charles konnte das knacken der Knochen förmlich spüren. Etwas fiel mit klickendem Geräusch zu Boden, gefolgt von einem weiteren Schwallen Blut. 

"Sie...", die Worte des Blinden hörten sich nun an, als hätte er eine Wolldecke im Mund. "Da war eine Frau. Sie griff mich an. Ich war überrascht und hatte nicht damit gerechnet. Sie hat das Mädchen mitgenommen.", nuschelte er. Einer der beiden Männer wollte erneut zum Schlag ausholen, doch Cloe hob ihre Hand und hinderte ihn daran.

Charles observierte währenddessen weiterhin den gesamten Raum. Die drei Personen standen in der Mitte der Scheune, im vorderen Bereich hatte Cloe ihre Jacke und ihre Tasche auf einen kleinen Tisch abgelegt. Es musste ihm irgendwie gelingen an den Inhalt der Tasche zu gelangen, ohne dass einer der Drei etwas davon bemerkt. Suchend sah er sich um. Erst einmal musste er etwas finden, womit er die Drei ablenken konnte. Schließlich fand er ein paar Meter hinter sich einen Sicherungskasten - nun ging alles blitzschnell: Charles legte seine Hand auf den geschlossenen Kasten, Funken sprühten, gefolgt von einem lauten Knall, das Licht in der Scheune erlosch. Das war seine Chance. 

"Was war das?", rief Cloe in die Dunkelheit. "Bringt das sofort in Ordnung! Danach sorgt ihr dafür, dass der Blinde in die Katakomben kommt, habt ihr verstanden?", befahl sie. Cloe ging ruhigen Schrittes hinüber zu dem kleinen Tisch, auf den sie ihre Sachen abgelegt hatte, sie zog ihre Jacke an und hängte sich in aller Ruhe ihre Tasche um die Schulter, die Dunkelheit schien sie nicht im Geringsten zu beunruhigen. "Und Jungs, hinterlasst keine Spuren.", sie verließ die Scheune und machte sich auf den Weg zu ihrem Auto.

Charles rannte so schnell er konnte von Gebüsch zu Gebüsch, er vermutete, dass mindestens einer der Drei nach draußen ging, um zu sehen, wer oder was den Stromausfall verursacht hat. Als er die Tür zu seinem Pickup öffnete, war nach wie vor niemand zu sehen. Charles schmiss seine Beute, die aus einem Notizbuch und einem Portemonnaie bestand auf den Beifahrersitz. Auf seinem Gesicht waren keinerlei Emotionen zu erkennen, man konnte ihn nicht einmal nach Luft schnappen hören, nach seinem Sprint aus der Scheune. Seine Bewegungen waren vollkommen lautlos gewesen, lediglich das Starten des Motors hätte etwas Aufmerksamkeit auf sich ziehen können. 
Sein Weg führte ihn zurück in die Stadt, in die Nähe des Industrieviertels, wo er den Wagen vor einem heruntergekommenen Wohnblock parkte. Das Innere des Hauses, in dem Charles eine Wohnung gemietet hatte, sah nicht viel besser aus: Der Flur mit dem schwarz-weißem Fliesenmuster war überall mit Flecken bedeckt, an einigen Stellen fehlten sogar schon Fliesen. Die Tapete, die vor langer Zeit einmal hellgrün gewesen ist und bei der Renovierung schon nicht zum Boden passte, rollte sich in Bahnen von den Wänden ab. Das Licht funktionierte ebenfalls nicht einwandfrei - die wenigen Lampen die an der Decke hingen flackerten unaufhörlich. Ganz zweifelsfrei war das ein Ort, an dem niemand freiwillig einkehren wollte. Dem Detektiv gefiel dieser Gedanke, er hielt ihm oft ungebetenen Besuch vom Hals. Charles öffnete die Tür mit der Nummer zwölf, seine Wohnung. Die Wohnung sah nicht gerade danach aus, als würde hier jemand wohnen, es gab zwar eine Grundausstattung bestehend aus einem Bett, einem Fernseher, Kühlschrank, Toilette und Dusche doch sonst wies nichts weiter auf ein wohnliches Ambiente hin. Er hockte sich in eine Ecke, in der etliche Akten, Bilder und Notizen herumlagen, vermutlich war dies sein Arbeitsplatz. Er untersuchte das Notizbuch ganz genau, besonders fiel ihm dabei die Namensliste auf, die sich über die ersten Seiten des Buches erstreckte. Die meisten Namen kamen ihn nicht einmal bekannt vor Trisha Wulf, Lisa Grape, Patrick Taylor, Gwen Shelter.", Moment, hatte er richtig gelesen? Gwen Shelter war nicht der Grund seines Besuches in der Scheune gewesen, aber ihr Name tauchte in diesem Zusammenhang auf. Charles schlug weitere Seiten des Notizbuches auf. Zu jedem Namen wurde scheinbar eine eigene Seite angelegt, diese enthielt unterschiedliche Regieanweisungen und Kommentare. Gwens Seite endete mit dem Satz 'Nacht. Einuhrdreizehn schluckt eine Überdosis Beruhigungsmittel. Öffentlichkeit wird es für Selbstmord halten'.

Charles schlug das Buch zu, das Rauschen zwischen seinen Ohren kehrte zurück und schlagartig wurde ihm bewusst wer diese Person war. Er hatte sie die ganze Zeit gesucht und hier war sie nun. Er griff nach dem Portemonnaie, das er ebenfalls aus der Tasche entwendet hatte und suchte nach einem Ausweis oder sonstigen Personalien. Schließlich fand er ihren Führerschein, darauf stand der Name 'Cloe Tafé'.

"Cloe Tafé, also. Nun gut mein Mädchen, du kämpfst mit harten Bandagen.", murmelte er.

 

* * *



Jason saß in seinem Sprechzimmer in seinem Haus, dass er für Notfälle eingerichtet hatte. An drei Tagen in der Woche arbeitete er in seiner Praxis in der Stadt und wenn außerhalb dieser Zeit jemand seine Hilfe benötigte kamen sie zu seinem Haus im Wald. Ein Patient hatte ihn heute Morgen angerufen, er klang sehr verängstigt und drängte darauf Dr. Stoner unbedingt sprechen zu wollen, Jason lud ihn zu sich ein. 
Die Morgensonne schien wie ein Flutlicht durch die großen Fenster, obwohl die Jalousien schon zur Hälfte geschlossen waren, brannte die Sonne noch immer in Jasons Augen. Er hatte leichte Schwierigkeiten seinen Patienten zu folgen, war er doch die halbe Nacht wach gewesen um das Buch, dass ihn Bill besorgt hatte zu studieren. Es begann mit einer langen Einleitung über griechische Mythologie, der Autor setzte dieses Wissen für alle folgenden Themen voraus. In Jasons Kopf drehte sich alles um diese Seiten, zu Beginn seiner Forschungen war er schon einmal auf dieses Thema gestoßen, damals konnte er jedoch keinen Zusammenhang zwischen der Geschichte und den Ereignissen um die Paranoia-Patienten herstellen.
Seine Gedanken kehrten wieder zurück zu seinem Patienten, einem sehr jungen Mann mit kurzem blondem Haar, der ihm gerade die typischen Symptome des Paranoia-Phänomens beschrieb, sie glichen den der anderen bis aufs Wort. Er saß neben Jasons Schreibtisch auf einem breiten Ledersessel, er wirkte stark verstört, seine Stimme begann hin und wieder zu zittern. 

"Ich weiß es einfach, sie beobachten mich und sie filmen alles. Verstehen Sie, ich kann mich nur noch so verhalten, wie sie es von mir verlangen.", schilderte er sein Problem. Jason zog seine Augenbrauen zu einem skeptischen Blick zusammen. 

"Erklären Sie mir, Steven, was meinen Sie mit 'ich kann mich nur noch so verhalten'", fragte Jason. Steven bohrte seine Finger in den ledernen Bezug des Sessels. 

"Ich habe das Gefühl... Ach das ist Quatsch. Das muss Einbildung sein.", der junge Mann stockte. Jason legte seine Notizen beiseite. 

"Nichts ist schlimmer, als die ganze Zeit Gedanken mit sich herumzutragen, die einen Tag und Nacht nur quälen. Ganz egal ob sie nun Einbildung sind oder nicht. Sagen Sie, haben Sie vielleicht das Gefühl, jemand pflanzt ihnen Gedanken in den Kopf, die sie sich niemals hätten vorstellen können?", fragte Stoner. Stevens Augen weiteten sich panisch und sein Körper fing zu zittern an. 

"So ist es. Jemand pfuscht in meinem Verstand herum und je mehr ich mich dagegen wehre, desto komischer wird alles.", erzählte er. Jason stand auf, er setzte sich nun auf die Ecke seines Schreibtisches vor der der Sessel stand. Seine Stimme verlor den analytischen Klang, mit denen er seinen Patienten für gewöhnlich gegenübertrat. Genauso wie Mary wusste auch Steven, dass er manipuliert wurde - sie waren die einzigen seiner Patienten die sich dessen bewusst waren. Umso mehr Interesse brachte ihnen Jason entgegen, womöglich waren sie für seine Nachforschungen der Schlüssel.

"Steven, was heißt komisch?", er hoffte der Junge könnte seinen Zustand genauer beschreiben. Der Junge beugte sich vor, als wolle er Jason ein Geheimnis verraten. 

"Dr. Stoner ich bin nichts, als ein einfacher Koch, aber wenn ich mich nicht an das halten, was sie mir in den Kopf setzt, dann erscheint diese Frau. Sie hält eine große Schere in der Hand und fragt mich, ob mein Film hier schon enden soll. Ich habe das geträumt und in diesem Traum schnitt sie mich mit der Schere am Arm. Sehen Sie." Steven schob den Ärmel seines Pullover hoch und enthüllte eine lange und tiefe Schnittwunde. "Das war diese Frau.", die Wunde zog sich über den kompletten Unterarm des jungen Mannes und war scheinbar noch komplett unversorgt, das Blut bildete schon ein Kruste um die Verletzung herum. 

"Wann ist das passiert?", frage Jason erschrocken. 

"Kurz nach dem Aufstehen habe ich sie sofort angerufen und bin hergekommen.", sagte Steven. Jason fuhr sich mit seine Hand über sein Gesicht, konnte das wahr sein, frage er sich. Immer noch erschrocken griff Jason zum Hörer seines Telefons und rief den Krankenwagen. Anschließend holte er einen Verbandskasten aus einem Schrank in der Küche und verarztete den Jungen fürs Erste. 

"Die Schnittwunde muss sich erst einmal ein Arzt ansehen. Du bist dir sicher, dass das ein Traum war?", fragte er skeptisch nach. Stevens Augen wurden leer und ausdruckslos. 

"Ich denke..., also ich... es war auf jeden Fall diese Frau. Sie hatte blondes Haar und war so wunderhübsch.", meinte Steven.

Als der Krankenwagen eintraf, unterhielt sich Jason mit den Sanitätern und stellte sicher, dass sie Steven zur Beobachtung auf die psychologisch betreute Station des Chainston City Hospital bringen. Jason stand noch eine Weile auf der Straße und sah zu, wie der Krankenwagen sich immer weiter entfernte. 

Nachdem dieser turbulente Morgen sich dem Ende zuneigte saß Jason wieder an seinem Schreibtisch, er hatte den Kopf auf den Tisch gelegt und hielt seine Augen geschlossen. Er konnte sich dieses Phänomen einfach nicht erklären. Nachdem was Bill ihm erzähl hatte, war es sogar verdammt gut möglich, dass sie es hier mit etwas übernatürlichen zu tun hatten. Genauso wie er es damals vermutet hatte, jedoch hat sich sein Verstand noch lange Zeit dagegen gewehrt. Jetzt war er bereit auch das zu glauben. 

 

* * *



Janes Handy klingelte, die Melodie von "Sweet Child O Mine" tönte durch das Motelzimmer und das Display tauchte den dunklen Raum in ein hell blaues Licht. Jane fuhr ruckartig aus ihrem Bett hoch, das Klingeln riss sie aus einem tiefen traumlosen Schlaf. Automatisch griff sie nach ihrem Handy. 

"Jane hier.", sagte sie mit verschlafener Stimme. "Was hast du?", binnen von Sekunden war die junge Frau hell wach. "Ich komme vorbei, dass gucken wir uns zusammen an." Ein lautes Klack ertönte am anderen Ende der Leitung, womit das Gespräch beendet war. Jane streckte sich und warf einen Blick auf den Wecker neben ihrem Bett, sieben Uhr fünfzehn zeige das Ziffernblatt. 

"Mary, hältst du nichts von schlafen?", fragte sie in die Leere des Raumes. Sie knipste die kleine Lampe auf ihrem Nachttisch an, als ihr gewahr wurde, dass sie gerade einmal viereinhalb Stunden geschlafen hatte.

Eine Stunde später stand sie bei Mary vor der Tür, ausgerüstet mit einem großen Pappbecher Kaffee. 

"Morgen Jane. Du glaubst gar nicht, was ich gestern Abend noch in die Finger bekommen habe.", kam ihr Mary aufgeregt entgegen. Jane konnte es nicht ausstehen kurz nach dem Aufstehen eine Schaufel voll Enthusiasmus in Gesicht gepfeffert zu bekommen. 

"Morgen.", nuschelte sie mit dem halbherzigen Versuch eines Lächelns in ihrem Gesicht. Mary bog in ihre Küche ein und wies Jane mit einer Handbewegung an ihr zu folgen. Zu Janes Überraschung fand sich hier ein gut gedeckter Frühstückstisch. 

"Du wolltest mir unbedingt deinen Frühstückstisch zeigen? Wir hätten auch ein Brunch daraus machen können.", sagte Jane. Mary sah sie entgeistert an. 

"Du bist die Morgenfrische in Person. Aber wenn ich dich schon so früh hierher beordere, dachte ich bereite ich mal ein Frühstück vor. Reine Herzensgüte. Setzt dich." Das ließ sich Jane nicht zweimal sagen und machte sich über die frischen Brötchen her. Mary hingegen legte eine Mappe auf den Tisch und nahm zwei Ausdrucke heraus. 

"Ich habe gestern, nachdem du gegangen bist, deine Notizen vom Interview mit Henricson durchgesehen, du hast sie hier liegen lassen. Danach habe ich einen Plan besorgt, der einen Zugang zu den unterirdischen Bereich des Kinos enthält.", erklärte Mary. Janes Bewegungen froher vor erstaunen einen Moment ein. 

"Wie konntest du den Plan so schnell bekommen?", fragte sie. Mary lächelte. 

"Ich war doch eine Zeit lang in der Paranoia-Selbsthilfegruppe. Dort habe ich einen typen kennen gelernt, der als Architekt bei der Stadt Arbeitet. Er hat mir schon öfter Stadtpläne besorgt.", antwortete sie. Jane nahm die Pläne entgegen und sah sie sich sorgfältig an. 

"Das sieht so aus, als wäre da untern mehr als nur ein Archivraum.", meinte Jane.  

"Was hältst du davon? Sehen wir uns das mal aus der Nähe an?", Mary sah sie erwartungsvoll an. Jane starrt noch immer wie gebannt auf die Pläne, ginge es nach ihr würde sie sofort losfahren, ohne Rücksicht auf Verluste. Dieses Paranoia-Phänomen nagte an ihren Nerven und sie war dem schon so lange auf der Spur, dass ihr jedes Mittel recht war, um dem ein Ende zu bereiten. Es war jedoch noch nicht mal ganz ein Tag vergangen, als Mary einen Rückfall erlitt. 

"Wie geht es dir? Ich meine gestern war ein wirklich anstrengender Tag.", fragte Jane besorgt. Die Begeisterung in Marys Gesicht wich einer plötzlichen Ernsthaftigkeit. 

"Du willst wissen, ob ich psychisch wieder stabil genug bin? Ich weiß nicht genau was uns da erwartet, aber ich sage dir ich werde stark genug sein mich dem zu stellen.", versprach sie mit einer allzu naiven Miene Jane nickte geistesabwesend, sie war sich nicht sicher, ob sie Mary das wirklich zumuten wollte.  

"Wir sollten uns noch ausrüsten, bevor wir dorthin fahren. Ich habe noch ein paar wichtige Dinge im Auto. Hast du so was wie Taschenlampen und..." 

Mary fiel ihr ins Wort "...Messer zur Verteidigung, ein Seil falls wir klettern müssen, ein Erste-Hilfe-Pack für unterwegs... ich habe einiges hier.", ergänzte sie. Jane staunte immer wieder über Mary, so hatte sie sie am Anfang gar nicht eingeschätzt. 

"Gut, dann bin ich gleich wieder da."

Während Jane kurz zu ihrem Wagen ging, holte Mary einen großen Seesack aus einer kleinen Abstellkammer, bei dessen Inhalt man meinen könnte, Mary würde regelmäßig ein Survival-Training absolvieren. Jane kam mit einem Rucksack wieder, den sie im Wohnzimmer auspackte, dabei sah sie Marys Vorrat. 

"Wie kommt es dass du son' Zeug im Haus hast?", fragte sie. Mary zuckte mit den Schultern. 

"Ich wollte vorbereitet sein, für was auch immer.", erwiderte sie. Jane hielt einen Moment inne. 

"Was hältst du von spiritueller Vorbereitung?", fragte sie unsicher. 

"Meinst du Zauberei? Was glaubst du erwartet uns dort?", Mary sah sie nachdenklich an. Jane verzog das Gesicht, als wäre es ihr unangenehm darüber zu reden. 

"Cloe Tafé die Besitzerin des Kinos, ich habe sie schon einmal gesehen. Ich denke sie hängt in all dem ganz tief drinnen.", sagte sie.  Mary war überrascht. 

"Warum hast du mir das nicht erzählt?", fragte sie. Jane fuhr unbeirrt fort. 

"Viele Leute erzählen, sie sehen während der Paranoia Phase eine wunderschöne Frau, die ihnen Anweisungen gibt - nenn mich verrückt aber das ist Cloe. Sie war gestern im Kino.", erzählte Jane. Mary setzte sich auf den Boden. 

"Ich habe sie auch schon einmal gesehen, in einem Traum. Ich dachte es wäre Einbildung." 

"War es nicht.", warf Jane dazwischen. Sie nahm ihren Rucksack und suchte nach etwas, schließlich kam eine Kette zum Vorschein an der ein kleiner silberner Anhänger baumelte. Darauf war eine Rune eingraviert, die wie ein N aussah. 

"Trag diese hier.", sie gab Mary die Kette. "Die schütz vor dem Bösen. Heißt es. Ich weiß nicht wie Cloe das macht, aber sie hat Zugriff auf unseren Verstand und das kann im Grunde nichts Gutes bedeuten.", sagte Jane. Mary legte die Kette an. 

"Was ist mit dir?", fragte Mary, sie hatte bemerkt dass Jane keinerlei Schmuck trug. Jane hielt ihre Haare beiseite, sodass man ihren Nacken sehen konnte, die Rune von der Kette, Haegl, war dort eintätowiert. 

"Es ist nur ein Gefühl aber ich glaube hier geschehen unnatürliche Dinge." Jane nahm ihr Messer zur Hand, dass sie immer bei sich trug und legte es zu ihrer Ausrüstung. 

"Sind das auch Schutzsymbole auf dem Messer?", fragte Mary und deutete auf die Runen, die über die gesamte Klinge verteilt waren. 

"Ein Freund hatte es mir geschenkt. Das sind auch Runen, ich weiß nicht genau was jede einzelne bedeutet, aber sie sollen ebenfalls das Böse abwehren.", erklärte Jane. 

"Wie kommt man auf solche Geschenke? Das ist alles sehr verwirrend für mich.", Mary begann ebenfalls alle Gegenstände zu sortieren, die sie mitnehmen wollte. 

"Ich habe nicht allein angefangen in dem Thema herumzuforschen.", Jane antwortete mit einem belustigten Kopfschütteln.  
"Was ist passiert? Hast du noch Kontakt zu deinen Leuten?", wollte Mary wissen.

Jane fühlte sich unwohl bei dieser Frage, sie hatte schon zu viel gesagt. Als sie nach Chainston kam hatte sie sich geschworen kein Wort mehr über ihre Vergangenheit zu verlieren, es ging ja auch niemanden was an und es war ihre Sache, dass sie manchmal nächtelang wach lag und sich fragte, ob ihr jetziges Leben eine einzige Fehlentscheidung war. Genauso war es ihre Sache, dass sie praktisch ihr ganzes Leben aufgab um diesem merkwürdigen Paranoia-Phänomen auf die Spur zu kommen. Nur Jane wusste warum sie es tat und es war besser, wenn das so bleiben würde. 

"Diese ständige Suche nach Lösungen ist sehr komplex geworden. Ich schätze wir haben uns einfach aus den Augen verloren." Jane stand auf, es wurde Zeit die Planungen für ihren Besuch im Untergrund voran zu bringen - es gab noch jede Menge zu erledigen. 

"Von wo aus kommen wir unter das Kino? Gibt es einen direkten Zugang?" Mary holte erneut die Pläne hervor. 

"Der direkte Zugang ist mitten im Kino, aber am Hinterausgang führ ein Schacht nach unten. Vermutlich ein Notausgang.", erklärte Mary. 
"Dann können wir erst loslegen, wenn die Dämmerung einsetzt. Ich bin nicht dafür entdeckt zu werden. Hausfriedensbruch ist immer so viel Papierkram.", sprach Jane ungehindert ihre Gedanken aus. Mary zog eine Augenbraue in die Höhe, daraufhin zuckte Jane mit den Schultern. 

"Nun gut!", Jane stemmte ihre Hände in die Hüften. "Showtime".

 

* * *



"Das darf nicht wahr sein!", Cloe warf ihre Tasche quer durch ihr Büro. "Wo ist es?", brüllte sie mit einer rauen Stimme. Sämtliche Schubladen ihres Schreibtisches waren geöffnet, die Unterlagen darauf lagen kreuz und quer auf der Arbeitsfläche verteilt. Cloe hing eine Strähne ihres sonst so perfekt gestylten Haares über das Gesicht. Außer sich vor Wut schnaubte sie wütend in ihr Telefon. 

"Ben? Hast du schon etwas gefunden? Dann such weiter!" Voller Zorn knallte sie den Hörer auf das Telefon. Cloe saß einen Moment lang regungslos da nur das Geräusch von hektischem ein- und ausatmen erfüllte den Raum. Dann lehnte sie sich zurück und tippelte ungeduldig mit den Fingern auf der Lehne herum. Auf ihrem Tisch stand eine Schale voll Glasperlen, die sie zur Zierde einmal dort hingestellt hatte. Cloe nahm eine Handvoll davon aus der durchsichtigen Schale. Sie ließ die erste Perle fallen, sie zersprang mit einem Klirrenden Geräusch auf dem Boden. 

"Ich hole es nicht." Danach ließ sie eine weiter fallen. "Ich hole es.", noch eine Perle landete am Boden "Ich hole es nicht." Das Spiel ging solange weiter, bis sie eine Glasperlen mehr in der Hand hielt. "Ich hole es", waren ihre letzten Worte.

Cloe sprang von ihrem Sessel auf und ging zu einem Bild an der Wand, es war eine Nachbildung von Salvador Dalis berühmten Selbstportrait. Sie nahm das Bild von der Wand und enthüllte einen kleinen Safe, mit gezielten Handbewegungen entriegelte sie das kleine Fach. Vorsichtig nahm sie ein dickes Buch heraus, der Einband war schwarz und sah schon sehr alt und abgegriffen aus, kein Schriftzug zierte dieses Buch. Rote sehr dünne Fäden waren an am Deckel befestigt, sie umgaben das Buch mehrmals und hielten es so geschlossen. Ein Tintenfass und ein Schreibgerät, das eine gewisse Ähnlichkeit mit einem angespitzten Knochen besaß, entnahm sie ebenfalls dem Wandsafe. Zurück an ihrem Schreibtisch nahm sie den Brieföffner zur Hand und striff mit der scharfen Kante leicht an ihrem Unterarm entlang. Ihr Blut tropfte direkt in das Tintenfass, danach begann sie etwas in das Buch zu schreiben. Sie murmelte ein paar Wörter in einer nicht verständlichen Sprache vor sich hin. Die Buchstaben, die sie gerade geschrieben hatte begannen rot zu leuchten, Cloe hielt ihre Hand ausgestreckt über das Buch, ein Windstoß fegte die Papiere auf ihrem Schreibtisch bei Seite, sie murmelte die Worte "Étsi, eíte prókeitai gia", außer Atem schlug Cloe das Buch wieder zu und lachte dabei ungehalten und laut in den Raum hinein. 

Dunkle Geheimnisse

 

Mik Shelter hatte heute seinen freien Tag, in den letzten Wochen war dieser Tag immer etwas Besonderes für ihn, dieser Tag gehörte Gwen. Ausnahmsweise schien heute die Sonne. Mik trug einen kleinen Spaten und frische Blumen bei sich, als er das große grüne Eisentor des Chainston West Friedhofs betrat. Dies war ein Ort absoluter Ruhe, nicht einmal die Vögel schienen hier einen Laut von sich zu geben. Der ältere Mann hielt vor einem Grab, an dem ein großer weißer Engel aus Marmor saß, er hielt ein Ahornblatt in der Hand auf dem stand 'Gwen Shelter - unser geliebter Engel ruht in ewigem Frieden'. Der Engel reflektierte das Sonnenlicht so stark, dass Mik die Augen zusammenkneifen musste, als er ihn betrachtete. Er machte sich gleich an die Arbeit und pflanzte mit liebevollen und behutsamen Handgriffen frische Orchideen an die vordere Seite der Grabstätte. Orchideen waren Gwens Lieblingsblumen, dachte Mik. 
"Die sind für dich kleine Gwenni. Nur für dich.", flüsterte er. "Ich hoffe sie gefallen dir." In seinen Augen sammelten sich Tränen.
Leise Schritte schlichen aus dem Hintergrund hervor und näherten sich dem leuchtenden Grab. Mik bemerkte sie erst gar nicht, er war ganz in seine Gedankenwelt versunken. Erst als er sich umdrehte, um nach der Gießkanne zu greifen bemerkte er eine große Gestalt, mit schulterlangen Haaren, die im Glanze der Sonne fast Weiß wirkten.
 "Charles!", fuhr Mik erschrocken zusammen. 
"Mik.", begrüßte er den Mann mit ruhiger Stimme. 
"Was führt Sie denn ausgerechnet hier her?" Unbeirrt von der Anwesenheit des Detektives fuhr Mik fort und goss die gepflanzten Blumen.Der Detektiv machte ein paar große Schritte auf das Grab zu und legte eine weiße Rose darauf. 
"Es gibt Neuigkeiten."
"Ich habe eine Person beschattet. Sie führte ein Notizbuch mit einer langen Namensliste. Der Name deiner Frau stand ebenfalls darin und ihr Selbstmord wurde darin verzeichnet.", berichtete Charles sachlich und durchgehend monoton. Schmerz legte sich über Miks Gesicht, musste er ihm das gerade hier erzählen? Jetzt wo er mit seinen Erinnerungen einen Moment lang ungestört war? Massenhaft Fragen bohrten sich durch Miks Kopf doch die unglaublich tiefe Trauer schnürte ihm die Kehle zu. Charles schien dies zu bemerken und setzte seinen Bericht fort. 
"Die Frau, die ich beschatte heißt Cloe Tafé und so wie es aussieht ist ihre Frau nicht das einzige Opfer ihrer Machenschaften geworden." Der Name traf Mik wie ein Schlag in den Magen, Jane hatte ihn gestern im Diner vor diesem Namen gewarnt. 
"Um was für Machenschaften handelt es sich dabei?", fragte Mik. Charles kalten und ausdruckslosen Augen verweilten auf dem weißen Engel. 
"Ich bin noch dabei es herauszufinden und ich werde es herausfinden.", sagte er ruhig. Mik wandte sich dem Detektiv zu. 

"Aber was kann ich denn nur tun?", er fühlte sich unendlich hilflos. Charles war schon wieder im Begriff den Friedhof zu verlassen. 

"Halte einfach die Stellung, wie du es bisher getan hast. Ich kümmere mich um den Rest. Ab hier kann es sehr gefährlich werden. Ich melde mich." 

Mik sah zum Boden. Charles Worte, wenn sie auch gleich leise in der Entfernung wirkten, hallten in Miks Kopf nach, besonders das Wort 'gefährlich' wollte ihn nicht in Ruhe lassen. Er sah sich unsicher um, Charles war verschwunden. Mik kniete sich vor das Grab, seine Hände stützen sich auf den Knien ab. 

"Gwen.", eine einzelne Träne lief ihm an seiner stoppeligen Wange herunter. "Was ist dir nur zugestoßen?"

 

* * *



Es war bereits spät am Abend und Bill war noch immer in seinem Büro im Antiquariat beschäftigt. Vor ihm war ein Stadtplan von Chainston ausgebreitet. Bill hielt ein Pendel in der Hand und war leicht über den Plan gebeugt, seine Augen waren zu dünnen Schlitzen zusammengezogen. Anfangs hielt Bill das Pendeln immer für Hausfrauen Magie und hatte sich damit nicht weiter beschäftigt, doch seine Mutter hatte ihm vor ihren Tod noch ein paar Dinge gezeigt, unter anderem das Pendeln, die ihm im späteren Leben immer mal wieder einen nützlichen Dienst erwiesen hatten. Das Pendel kreiste um eine bestimmte Stelle auf der Karte, Bill kreiste diesen Ort mit einem Kugelschreiber ein. Anschließend schlug es an anderer Stelle erneut aus. Dieses Mal wurde es schneller und schneller, das Pendel wog auf einmal das Vierfache seines ursprünglichen Gewichts, dachte Bill und hatte Schwierigkeiten es fest zu halten. Die Spitze begann rot-orange zu glühen, diese Färbung wanderte auch an der Kette hinauf, bis zu Bills Fingern. Erschrocken ließ er die heiße Kette fallen als seine Finger zu schmerzen begannen. Das Pendel hatte sich von ganz allein erhitzt. 

"Mist!", entkam es Bill. Er betrachtete die Orte auf der Karte und sprang, so gut er es mit einem Bein konnte, von seinem Stuhl auf und suchte nach seinem Handy.

Aufgeregt lief er mit seinem Handy am Ohr im Raum auf und ab, doch die Person die er hoffte sprechen zu können nahm nicht ab. 
"Jetzt geh schon ran verdammt nochmal." Das Pendel lag noch immer auf dem Stadtplan auf dem zwei Orte eingekreist waren, einer davon war Jasons Haus, der andere Kringel befand sich ganz in der Nähe. 
"Stoner.", meldete sich endlich die Stimme am anderen Ende. 
"Jason, ich versuche dich schon seit einer halben Stunde zu erreichen was machst du die ganze Zeit?", Jason dämmerte wer ihm da gerade eine Standpauke hielt. 
"Bill? Ich komme gerade aus der Dusche, Menschen tun so was von Zeit zu Zeit. Was gibt es?", fragte er. Bill setzte sich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch und betrachtete den Stadtplan. 

"Hör zu es ist sehr wichtig. Ich habe gerade eine ungewöhnliche Energiequelle ausfindig machen können. Eine so heftige Reaktion habe ich bei einer Suche noch nicht erlebt.", Bill war äußerst aufgeregt. Jason unterbrach ihn. 

"Bill hat das nicht bis morgen Zeit ich bin heute echt fertig. Ich habe es geschafft alle drei Personen mit den stärksten Paranoia Merkmalen zu befragen, die wir rausgesucht haben. Alle am heutigen Tag. ALLE!", betonte mit seiner erschöpften tiefen Stimme. Bill biss sich auf die Lippen um nicht gleich die volle Latte seiner sarkastischen Anspielungen über sein Handy zu entlassen, die er über Psychologen auf Lager hatte. 

"Das könnten wir auf morgen verschieben, wenn sich dieses Kraftfeld nicht gerade vor deiner Haustür befinden würde." 

"Was?", war alles was Jason darauf antworten konnte.

"Das Pendel begann zu glühen, das habe ich noch nie zuvor erlebt. Dieser Ort ist ungefähr einen halben Kilometer von deinem Haus entfernt. Vielleicht solltest du dir das einmal ansehen.", meinte Bill. Jason schluckte schwer, die Entspannung, die ihm die Dusche gerade gebracht hatte, war in Sekunden verschwunden. 

"Was glaubst du könnte mich da erwarten?", fragte Jason. Bill hielt einen Moment inne. 

"Das kann ich dir auch nicht so genau sagen Junge. Nimm auf jeden Fall die Schrotflinte mit die ich dir gegeben habe, OK? Sei vorsichtig.", antwortete Bill. Jason versuchte nicht so viel über die nächste Stunde und das was passieren könnte nachzudenken. 

"Mach ich Bill, ich melde mich wieder wenn ich zurück bin." Jason legte auf. 

Bill hielt seine Hände vor die Augen. Seine erste Jagd, hallte es durch Bills Kopf. 
"Ich wünschte ich könnte dir helfen", sagte er leise und starrte dabei auf sein künstliches rechtes Bein. 

 

* * *



Der dunkelrote Ford Mustang parkte einen Block vom Kino entfernt. Jane und Mary warteten beide voller Anspannung auf die Dämmerung und beobachteten, wie immer weniger Menschen auf den Fußwegen und vor den Geschäften zu sehen waren. Selbst Jane klang allmählich etwas nervös. 

"Was auch immer jetzt auf uns zukommt. Halte dir vor Augen, dass Cloe mit unserem Verstand arbeitet. Glaub also nicht alles was du siehst OK?" 

Mary hatte Jane noch nie so unsicher erlebt, sie kannte sie noch nicht lang aber bisher war sie immer die coole unnahbare gewesen. Natürlich war auch Mary sehr aufgeregt, dazu mischte sich ein ganz eigentümliches Gefühl, dass hier etwas im großen Stil aus dem Ruder lief. Sie hatte jedoch Angst dass dieses Gefühl von der Paranoia kommen könnte, daher verschwieg sie es und konzentrierte sich uneingeschränkt auf das was vor ihnen lag. 

"Du hörst dich fast so an als wüsstest du was uns erwartet. Möchtest du mir vielleicht noch etwas mitteilen?" Mary wollte Jane damit provozieren, denn eine Jane mit großer Klappe wäre ihr in dieser Nacht lieber gewesen. 

"Es liegt an dieser Cloe." Jane holte tief Luft. Spöttisch musterte Mary ihre Reaktion. 

"Sag jetzt nicht sie ist deine böse Stiefmutter.", meinte Mary. Jane schüttelte den Kopf. 

"Ich bin ihr außerhalb von Chainston begegnet." Jane spürte wie die Schuldgefühle in ihr aufstiegen, sie hätte Mary davon erzählen sollen, bevor sie in die Höhle des Löwen vorstoßen würden. "Eine Begegnung mit ihr hat immer etwas unheilvolles. Damals gab sie sich als Ärztin aus und jetzt ist sie auf einmal Kinobesitzerin.", erzählte sie. Mary kam nicht um den Gedanken herum, dass Jane ein ziemlich tiefer wandelnder Abgrund war, der viel zu verbergen hatte. Warum sprach sie nur nicht darüber? 

"Jane, wenn diese Nacht vorbei ist, schuldest du mir ein paar Erklärungen.", sagte Mary leicht empört. Jane zog ihre linke Augenbraue in die Höhe und nickte. Ein Moment des Schweigens verstrich, dann legte sich in Jane ein Schalte um. 
"Auf geht's, die Straßen sind leer, das ist unsere Chance."

Beide stiegen aus dem Wagen aus, Mary nahm eine kleine Schultertasche aus dem Kofferraum, während Jane ihre Ausrüstung nahezu in den Hosentaschen und am Gürtel verstaute. Sie gingen ein paar kleine Gassen an der Hinterseite der Geschäfte entlang, die sie direkt zum Hinterhof des Kinos führten. Dieser Hof wurde allem Anschein nach nicht mehr genutzt, die Tür des Kinos war stark verdreckt und die Wandlampen funktionierten nicht mehr, aus dem rissigen Asphalt wucherten überall Unkraut und sogar Büsche hervor. Jane nahm ihre Taschenlampe und leuchtete an der Wand entlang, doch es war kein Eingang zu finden. Mary hingegen untersuchte die verwachsenen Büsche etwas genauer, mit einer Hand schob sie das wirre Gestrüpp bei Seite. 

"Jane hier! Hilf mir mal.", sie deutete auf einen Schachtzugang am Boden, gemeinsam zogen sie an dem kleinen Griff. Nach einem kräftigen Ruck gab das rostige Schloss schließlich nach und enthüllte einen langen finsteren Abstieg. Jane leuchtete hinunter, der Schein der Taschenlampe drang durch den aufgewirbelten Staub nicht sehr weit. 
"Das sieht mehr als ungemütlich aus. Ich hoffe dass wir hier richtig sind.", meinte sie. Mary sah ebenfalls hinunter. 

"Es gibt jedenfalls keinen anderen Weg.", erwiderte sie. Jane befestigte die Taschenlampe an ihrem Gürtel. 

"Finden wir es heraus.", mit diesen Worten beugte sie sich zu der schmalen Leiter herunter und kletterte herab, Mary folgte ihr.

Der Abstieg dauerte eine halbe Ewigkeit, dachte Mary, wie weit sie wohl nach unten geklettert waren? Jane ging es nicht anders, die Dunkelheit raubte ihr jegliches Zeitgefühl und kaum dass sie unten angekommen waren, warf sie einen Blick auf ihre Uhr. 

"Wenn mich nicht alles täuscht sind wir beinahe eine halbe Stunde lang geklettert.", stellte sie fest. Mary leuchtete an den kahlen Betonwänden entlang, der Abschnitt hier war kaum größer als eine Abstellkammer. Durch eine Tür gelangten beide in einen weiten finsteren Gang. 

"Hier fehlt eindeutig die Beleuchtung." bemerkte Jane. Mary leuchtete sie mit der Taschenlampe an. 

"Wir hätten ja im Kino fragen können, ob sie uns in ihr mysteriöses unterirdisches Gägesystem führen könnten. Am späten Abend und ganz ungestört.", der sarkastische Unterton war kaum zu überhören. Janes Antworte darauf bestand aus einem langgezogenen seufzen. Nach einer Weile kamen sie an einen beleuchteten Abzweig, mehrere kleine Schilder wiesen ihnen hier den Weg. Ein Pfeilförmiges Schild trug die Aufschrift Cesars Theatre, auf dem anderen stand Archivräume. Jane tippte mit der Taschenlampe auf das letztere der beiden Schilder und ging unbeirrt weiter. Hinter einer weiteren Tür fanden sie das ersehnte Lager, dass aufgrund seiner Größe wieder nur schummerig beleuchtet war "Als Maulwurf würde ich mich hier wohlfühlen.", meckerte Jane. "Sehen wir uns um."

Ihre Suche war weniger von Erfolg gekrönt, in der Tat waren hier nur zahlreiche Filme gelagert. 

"Hast du etwas gefunden?", rief Mary aus der Ferne. Jane legte gerade die Filmrolle eines alten Western zurück ins Regal. 

"Nein, nicht wirkl..." Janes Blick fiel geradezu auf einen kleinen Raum, dessen Eingang vollkommen mit Absperrband bedeckt war. "Doch hier ist etwas. Das musst du dir ansehen." Sie schnitt das rot-weiße Band mit ihrem Messer durch. In dem kleinen Raum gab es, ganz zum Leidwesen von Jane wieder kein Licht und er unterschied sich sehr stark vom Lager. Der Raum sah wesentlich älter aus, die Wände waren aus massivem Quarzgestein und völlig unbearbeitet, alles hier erinnerte  an eine Höhle. Mary beleuchtete ein hölzerne Tür, darauf wurde, scheinbar vor langer Zeit, ein Gesicht eingeritzt. Es zeigt einen Männerkopf mit geschlossenen Augen, er streckte die Zunge heraus auf der eine Münze lag. Jane öffnete die Tür, was dann zusehen war, war für beide unerklärlich. Vor ihnen lag eine Wand aus Wasser, doch es floss nicht auf den Boden, es füllte pass genau den Rahmen der Tür aus und leuchtete weiß-violett. 

"Was ist das?", Mary nahm die Rückseite ihrer Taschenlampe und hielt sie in den wässrigen Durchgang "Schau mal, sie ist nicht einmal nass.", stellte sie fest, als sie die Lampe wieder herauszog. Jane steckte ihre Hand hinein. 

"Es fühlt sich warm an.", bemerkte sie. Mary beobachtete Janes Hand. 

"Gehen wir.", vorsichtig schritten beide durch die seltsame Pforte.

Das Wassertor sollte nur der Anfang einer Reise der Absonderlichkeiten sein. Was nun vor ihnen lag verschlug den beiden Frauen den Atem. Auf einmal fanden sie sich in einer gigantischen Höhle wieder. Die Wände bestanden aus unbearbeitetem Gestein, so wie der kleiner Raum vor der Tür, überall dienten Fackeln der Beleuchtung, die die Höhle in ein orange-gelblichen Licht erschienen ließen. Die Decke lag so weit oben, dass der Schein der Fackeln nicht ausreichte sie zu beleuchten. Überall schossen Gesteinsbrocken aus der Erde, an denen schwere rostige Ketten befestigt waren. 

"Wo zur Hölle sind wir hier?", flüsterte Jane. Mary drehte sich um zu dem wässrigen Tor, doch von dieser Seite aus war es nicht mehr da, hier war nur noch die steinerne Wand zu sehen. Jane spürte wie etwas an ihr vorbei zischte. 

"Was?", sie zuckte zusammen. Mary wandte sich wieder Jane zu, sie sah wie mehrere Schatten aus einer dunklen Ecke auf sie zusteuerten. 

"Weg hier.", rief sie und rannte mit Jane gerade Wegs in die Höhle hinein. Sie liefen hinter einen der großen Gesteinsbrocken, um sich für einen Moment zu verstecken. Leicht außer Atem riskierte Jane vorsichtig einen Blick aus der Deckung. 
"Sie folgen uns nicht.", stellte sie fest. Jane wollte sich gerade wieder umdrehen, schlagartig tauchte vor ihr das Gesicht einer grauenhaft entstellten Kreatur auf. Die Haut war so bleich, wie die einer Leiche, nur noch wenige fettige Haarsträhnen hingen ihr vom Kopf herunter, doch das war bei weitem nicht das schlimmste. Dort wo die Augen hätten sein sollen, war der komplette Bereich mit Haut zugewachsen. Der Mund war mit einer dicken, groben Schnur zugenäht und anstelle der Hände besaß es schwarze Stümpfe, mit denen es zu schlagen begann.

Jane handelte schnell, sie packte Marys Arm und rannte weiter, so schnell ihre Füße sie tragen konnten. Von weitem hörten sie die Kreatur schreien, es klang wie die Mischung zwischen einer Krähe und einer Katze, die zu lachen schienen. Diesem Schrei folgten unverzüglich massenhaft gleiche Aufschreie von überall her. 
"Verdammter Mist", schrie Jane. 
"Sie sind überall.", Mary sah sich um. In der Tat kamen diese schrecklichen Biester aus jeder Ecke der Höhle hervor. 
"Der Turm dahinten! Er führt zu einer Brücke.", Mary deutete auf einen Hohen massiven Stein, der vermutlich bis unter die Decke reichte. Eine Treppe führte bis zu einem Eingang auf halber Höhe. 
"Los!", rief Jane und sie jagten über den steinigen Boden. Mary stolperte über eine der dicken Eisenketten und schürfte sich ihre linke Hand auf. Sofort sprang eine der Kreaturen auf sie zu und riss ihren zugenähten Mund auf, sodass die Fäden das Fleisch um den Mund aufrissen. Mary trat sofort nach dem Ungetüm, derweil zückte Jane ihr Messer und stach auf das Wesen ein. Es schrie laut auf, doch statt Blut, trat ein Schatten aus der Wunde aus, der gleich darauf verschwand. Die Runen auf dem Messer begannen weiß zu leuchten. Irritiert sah Jane das Messer an, danach half sie Mary auf die Beine und sie flohen in den Turm.

Leider war ihnen auch hier keine Pause vergönnt. Eine gewaltige große und plumpe Figur aus Granit drehte sich zu ihnen, sie schien aus dem Turm heraus zu wachsen, ihre Faust war so groß wie Mary. Eine tiefe grölende Stimme donnerte den beiden durch Mark und Bein. 
"Jane und Mary ihr seid verurteilt!". 
"Aaaarh.", Mary schrie ihr Verstand wollte ihr vermutlich einen wiederwertigen Streich spielen. Sie und Jane liefen weiter zu dem Ausgang hinter dem sich die Brücke befand. Hier erwartete sie auch gleich die nächste Überraschung: Unter der Brücke floss ein Strom aus glühend heißer Lava und auf der anderen Seite der Brücke wartete schon die nächste Horde von Kreaturen auf sie. 

"Ich gehe vor und versuche so viele Biester wie möglich zu erledigen. Du folgst mir mit etwas Abstand und schnappst dir die, die mir in den Rücke fallen!", brüllte Jane und stürmte daraufhin über die Brücke. Mary wartete bis Jane ungefähr auf der Hälfte angekommen war und lief ihr hinterher. Ihr Plan scheiterte ab hier jedoch ganz schnell, als die Brücke in der Mitte abriss. 

"Genießt den Aufenthalt.", donnerte die tiefe Stimme aus dem Turm. Jane konnte sich gerade noch an einem Stück der Brücke festklammer, für Mary jedoch war es zu spät. Sie fiel hinab, dem heißen Strom entgegen. 

"Mary! Neeeeein!", schrie Jane, ihr Magen fühlte sich an wie ein Schlachtfeld und auch ihre Kraft schien sie langsam zu verlassen. 

"Mary.", rief sie noch einmal, doch sie konnte niemanden mehr sehen. Jane versuchte alle ihr noch verbliebenen Kräfte zu mobilisieren und erklimmte Zentimeter um Zentimeter die kaputte Brücke. Es fehlte nur noch ein kleines Stück, dann konnte sie mit der Hand den Boden erreichen. Da blickte sie unerwartet eine der Kreaturen von oben an und rammte ihr einen schwarzen Armstumpf gegen den Kopf. Jane verlor den Halt. Ihre Finger rutschten aus den Hölzernen Rillen der Brücke und sie stürzte den Hang herunter.

Marys Sturz endete damit, dass sie auf einmal mitten in einem dunklen Raum stand, sie war am Leben. Wie nach einem Szenenwechsel änderte sich schlagartig die komplette Umgebung. Ein heller Lichtkegel umgab sie, sonst war nichts als tiefschwarze Finsternis zu erkennen. Mary ging ein paar Schritte vorwärts aus dem leuchtenden Kreis heraus, innerhalb von Sekunden stürmten die deformierten Kreaturen an sie heran und drängten sie zurück in das Licht. Trampelnde und stapfende Geräusche hallten durch die schwarze Leere, bei genauerem Hinhören konnte sie auch ein Schlurfen ausmachen. Mary bekam es mit der blanken Angst zu tun, sie war gänzlich allein mit all diesen Wesen. Was geschah jetzt, fragte sie sich. Mit Mühe konnte Mary eine Silhouette in der Dunkelheit erkennen, sie war viel größer und breiter als die anderen Kreaturen. Das Wesen trat an das Licht heran, Mary überkam ein unsagbar starker Ekel. Zwei Köpfe teilten sich einen Körper, wobei einer der beiden Köpfe den anderen biss. Die zum Teil zersplitterten Zähne gruben sich tief in die Wange des anderen Kopfes herein. Die Arme waren lang genug, dass sie auf dem Boden schleiften und die Beine waren jeweils so breit wie der gesamte Oberkörper, um sie herum waren dünne Drahtseile gebunden, die in das Fleisch schnitten. Die Haut war komplett weiß.

"Scheiße, scheiße, scheiße!", schrie Mary und drängte sich an den Rand des Lichtkegels. Das große Monster hielt etwas in den Händen, dass aussah wie ein Körper, der in einem dreckigen Stofftuch eingewickelt war. Das Biest legte es auf den Boden und trat dagegen, durch den Schwung wurde der Körper aus dem Tuch geschleudert. Auf den ersten Blick sah es aus wie eine der zahlreichen verstümmelten Kreaturen, die um sie herum standen. Bei genauerer Betrachtung hatte das Wesen genau wie Mary lange dunkelblonde Haare, sie trug auch die gleichen schwarzen Jeans und dieselbe dunkelblaue Jacke. Mary spürte wie ihr Puls immer schneller schlug. 

"Das kann doch alles nicht wahr sein.", sie beugte sich herunter zu dem leblosen Wesen, da sah sie, dass dieses Monster ein Kopie von ihr war. 

"Nein! Nein, das bin ich nicht!" Ausnahmslos jedes der anwesenden Biester zeigt mit ihrem schwarzen Armstumpf auf sie. Ihr Monsterzwilling begann sich auf dem Boden hin und her zu wälzen. Mary glaubte den Verstand zu verlieren. 

"Aufhören!", schrie sie und sprang einen Schritt zurück. Der entstellte Körper hievte sich in die Höhe bis er vor ihr kniete und begann zu würgen. Mary beobachtete das Schauspiel mit blanken Entsetzten. Dickflüssiges dunkles Blut floss in Strömen aus der zugenähten Öffnung im Gesicht, danach brach es in der roten Pfütze zusammen. Mary sah wie etwas aus dem Mund des Wesens heraus hing, sie riss sich nach allen Regeln der Kunst zusammen und beugte sich erneut herunter. Vorsichtig zog sie ein Stück blutverschmierten Film zwischen den Fäden am Mund raus. Aus den Tiefen des Nichts tauchte erneut die Stimme aus dem Turm auf. 
"Verräter!", dröhnte es tief und langezogen. Mary spürte die schreckliche Stimme bis in ihren Magen. 
"Nichts davon ist echt.", erinnerte sie sich an Janes Worte. Die Kreaturen, die einen dichten Kreis um sie herum bildeten, kamen immer näher auf sie zu, das Licht schien keine Barriere mehr für sie zu sein. Mary ließ das Stück Film in ihrer Tasche verschwinden. 

"Nichts hiervon ist echt.", sagte sie sich laut, stürmte auf die Kreaturen zu und rammte sie bei Seite. Sie lief in die düstere Leere hinein - sie lief und lief und lief ewig lang.


Jane wurde sich ihrer anderen Umgebung gewahr, kurz bevor sie auf den Lavafluss aufschlug, sie konnte die wahnsinnige Hitze noch in ihrem Gesicht spüren. Unter ihr war ein Fliesenboden, der immer wieder mit großen Blutflecken besudelt war. Jane ging einen langen Flur entlang, an dem rechts und links schwere Türen zu erkennen waren, je weiter sie diesen Flur entlang ging, desto blutiger und dunkler wurde ihre Umgebung. Lautes Lachen schrie hinter ihr durch den Gang, es wurde zu einem Echo und schien auf einmal von überall her zu kommen. Jane blieb stehen, sie hielt sich die Schläfen. 

"Scheiße", nuschelte Sie. Durch ihren Kopf zogen sich starke Schmerzen und ihre Sicht verzerrte sich leicht. Hinter ihr humpelte eine Person auf sie zu, Jane hielt sie erst für einen Arzt, sie kniff ihre Augen zusammen um besser sehen zu können, da kam etwas auf sie zu - es war aber kein Mensch. Die Gestalt trug einen weißen Artzkittel, aber die Arme schienen ausgekugelt und über dem Kopf zusammengewachsen zu sein. Den Abschluss des rechten Arms bildete nicht die Hand, eine lange Nadel ragte aus ihm heraus und kratzte bei jedem Schritt an der Decke des Flurs. Unzählige kleinere Spritzen steckten in seinem Rücken und ließen ihn auf eine widerliche Art und Weise wie einen Igel aussehen. Das Wesen sah Jane mit dem einen noch vorhandenen Auge an, dann rannte es auf sie zu. 
"Fuck!", schrie Jane und nun jagte sie im rasanten Tempo über den Flur. Es wurde immer dunkler, plötzlich blitzte ein rotes Licht auf und sie war umzingelt von den Kreaturen, die sie in der großen Höhle gesehen hatte. Jane schlug um sich, doch nach einem kurzen Moment folgte ein zweiter Blitz und die Biester waren wieder verschwunden. Das ist purer Wahnsinn, dachte Jane. Das Arztwesen kam näher und änderte seine Haltung, es beugte sich vor, sodass die Spitze der Nadel direkt auf Jane zeigte. Jane rannte weiter, der Flur wollte und wollte einfach kein Ende nehmen und die Verzweiflung breitete sich in ihr aus.

Panisch stieß sie eine der seitlich gelegenen Türen auf. Ein normales Patientenzimmer einer Psychiatrie lag dahinter - eine Sackgasse, dachte sich Jane. Erneut blitze es rot auf, nun war die Tür fest verschlossen, die Einrichtung des Zimmers verschwand komplett und die hintere Hälfte des Raumes wurde nun mit einem gigantischen Gebilde ausgefüllt, das aussah wie ein Kopf. Die Lippen hingen knapp über dem Boden, die Stirn hingegen reichte bis unter die Decke. 

"Was zur Hölle?", erklang es heiser aus Janes Mund. Der übergroße Kopf bewegte die Lippen. 
"Fühl dich wie zu Hause", sagte es. Die Pupillen verfolgten jeden Schritt von Jane, die den Kopf aus sicherer Entfernung musterte. Ein paar Risse und einige Stellen der Verwesung zogen sich über das Gesicht. Jane blieb vor einem der Augen stehen - dort drinnen saß eine Person! Janes Sicht verschwamm hin und wieder ein wenig, sie spürte wie eine außerordentliche Kälte in ihr aufstieg. War es das, werde ich jetzt wahnsinnig? Fragte sich Jane - war das eine Retourkutsche ihres Verstandes? Die Person hinter der Pupille trug eine Zwangsjacke und saß mit dem Rücken zu ihr auf dem Boden. Jane ekelte sich vor ihrer nächsten Idee, doch es gab hier nicht viele Alternativen: Sie klopfte an der gigantischen Pupille, es fühlte sich glitschig und nass an, doch hinter dieser Schicht, schien ein hartes Material zu folgen, ähnlich einem Fenster. Die Person auf der anderen Seite drehte sich um. Janes Verstand setzte einen Moment aus, so stark traf sie dass, was sie gerade vor sich sah. All ihre Emotionen hörten vor den Bruchteil einer Sekunde auf zu existieren, Vergangenheit und Gegenwart stießen in ihrem Kopf aufeinander und wühlten einen Krater in das Nervenkostüm der jungen Frau. Janes Knie wurden wackelig. Die Person in dem überdimensionalen Kopf war sie selber, nur dass anstelle der Augen zwei schwarze Löcher saßen. 

"Hi Jane. Gefällt dir was du siehst? Vermisst du das hier nicht?", Jane verzog angewidert das Gesicht 

"Halt die Klappe!", rief sie. Ihr Abbild begann zu lachen. 

"Wie einfach war doch das Leben auf der anderen Seite, hm?"

Jane sah sich in diesem Raum um, es gab keinen Ausweg und die Tür, durch die sie herein kam, existierte nicht mehr. 

"Es gibt keinen Weg zurück Jane, du bleibst hier bei mir.", die Kopie der jungen Frau schlug mit dem Kopf gegen das Pupillen-Fenster, immer und immer wieder, bis sich Blutflecken an der Scheibe bildeten. Jane hielt sich erneut den Kopf, die Schmerzen wurden schlimmer denn je. Das Bild einer Tür zuckte durch ihre Erinnerung wie ein Blitz. Das Ebenbild von Jane hatte es geschafft ein Loch in die Pupille zu schlagen und hielt jetzt den blutigen Schädel heraus. 

"Lass mich dir helfen Jane. Ab hier mache ich weiter! Ohne Rücksicht auf Verluste, immer weiter.", schrie es. Der Klon biss das Loch nun mit den Zähnen größer, was zur Folge hatte, dass es sich den gesamten Mund aufriss. Jane beobachtete wie sich das Wesen aus seinem Gefängnis fraß, das Blut floss in Strömen zum Boden. Jane stand regungslos vor dieser Szene. Was, wenn es recht hatte, dachte Jane. War sie das? Würde sie das werden? 

Jane starrte resignierend in das Auge hinein, das ihre Nachbildung zerstört hatte, dort hinten war eine Tür. Alle Kampfgeister kehrten in Jane zurück, das musste der Ausweg sein. Sie ging auf das Wesen zu, packte es bei den Haaren und riss den Kopf in die Höhe. 

"Mir gefällt mein jetziges ich besser, ich werde nicht umziehen!" Jane zückte ihr Messer, die Runen leuchteten wieder. 

"Woher hast du das Messer?", waren die letzten Worte der Kreatur, bevor Jane ihr das Messer in die Brust rammte. Anschließend kletterte sie in das Auge hinein und öffnete die Tür. Dort war nichts als Dunkelheit. Jane rannte los - sie lief und lief und lief ewig lang.


Jane rannte auf eine Art Kreuzung zu, die wieder durch Fackeln beleuchtet wurde. Ohne langsamer zu werden, lief sie um ihr Leben. Sie wurde plötzlich gestoppt, als sie gegen jemanden gegen lief. 

"Mist!", hörte sie eine Person bei dem zusammprall sprechen. 

"Mary?",  fragte Jane verwundert nach. 

"Jane! Bist du es wirklich?", fragte Marys panische Stimme. Jane umarmte die junge Frau vor sich erleichtert.  

"Ich bin so froh dich zu sehen.", meinte sie. Mary war mindestens genauso glücklich, endlich wieder einem Menschen zu begegnen. 

"Wir sollten schleunigst zusehen, dass wir hier raus kommen!", kaum dass Jane diese Worte aussprach, begann es wieder rot zu blitzen und sowohl das Artzwesen, als auch die doppelköpfige Gestalt tauchten wieder auf. 

"Lauf!", rief Mary und sie sprinteten den einzig verbleibenden Weg entlang. Das Licht kehrt allmählich zurück, duzende von den kleineren Kreaturen hingen regungslos an schweren Ketten die Decke herab. Ein langer Treppenaufgang folgte, die Tatsache, dass es nach oben ging war für Jane und Mary die große Hoffnung diesem Alptraum entfliehen zu können. Janes Beine brannten, sie war die ganze Nacht durch gerannt und nun nahm dieser Gang absolut kein Ende. In Jane stieg erstmalig das Gefühl von Angst auf, wenn das hier wieder nur eine Täuschung war, würden sie vielleicht für immer hier unten festhängen und Jane würde zu diesem Trugbild ihrer selbst verkommen. 

"Aaaargh. Fuck!", Jane hielt sich die Stirn, ein schmerzenden Impuls zog sich durch ihren Kopf und die Worte ihrer toten Kopie bildeten ein Echo zwischen ihren Ohren 'Es gibt keinen Weg zurück Jane, du bleibst hier.' Mary legte einen Arm um ihre Schulter und zog sie weiter mit sich. Jane und Mary kamen wieder an einer Schachttür an, sie war nur leider mit einem dicken Vorhängeschloss verschlossen. 

"Das kriege ich hin.", Mary nahm einen Diedrich aus ihrer Tasche. 

"Jetzt bist du diejenige, dir mir eine Erklärung schuldet.", scherzte Jane, doch sah Mary ihr die Schmerzen im Gesicht wahrlich an. Die beiden großen Kreaturen waren ihnen noch immer dicht auf den Fersen. 

"Ich kümmere mich um die Biester." Jane zog ihr Messer hervor und ihre Verfolger blieben ruckartig stehen. Jane rannte auf das Arztwesen zu, er war recht unbeweglich wenn er seine Arme über dem Kopf hielt. Mit einer schnellen Bewegung schnitt Jane ihm die Kehle durch. Schatten wabten durch die Wunde und flohen zurück in die Dunkelheit. 

"Jane komm!", Mary hatte es geschafft die Tür zu öffnen und sie flohen in die Freiheit. Draußen war es schon lange Nacht, nur der Mond ließ sie erkennen, dass sie sich von dem Ursprünglichen Eingang weit entfernt haben mussten. Sie waren nicht mehr in der Stadt, überall waren Bäume - wie es aussah, waren sie mitten in einem Wald gelandet. 

"Warte!", rief Jane. 

"Wir können das Ding nicht einfach hier herumlaufen lassen.", rief sie. Sie sahen dass das doppelköpfige Monster bereits aus der Schachttür empor gekrochen kam. Jane machte sich kampfbereit, dieses Ding war eine Nummer größer als der Arzt und seine langen Arme bewegten sich unvorhersehbar. Jane wollte ihrem Widersacher das Messer in die Brust rammen, doch es wich geschickt aus. Im Gegenzug verpasste er Jane einen Hieb gegen den Kopf, der sie dazu brachte mehrere Schritte rückwärts zu taumeln. Sie sammelte all ihre Kräfte zusammen und raste abermals auf das Wesen zu, diesmal griff sie von unten an und fügte dem Monster eine tiefe Schnittwunde zu, wo die Hüfte hätte liegen müssen. Dummerweise nutzte die Kreatur ihre unnatürlich langen Arme und stieß Jane mit einem kräftigen Schlag von sich. Sie landete voller Wucht an einem Baumstamm, dieser Aufprall war zu viel für Jane, sie spürte wie alles vor ihren Augen dunkler wurde und alle Geräusche und Stimmen leiser wurden. Das Letzte was sie hörte war ein lauter Knall, danach verlor sie das Bewusstsein. 

Die Begegnung

 

Eine lange Nacht ging zu Ende und am Horizont tauchten die ersten Sonnenstrahlen einen einsamen Feldweg in ein oranges harmonisches Licht. Der rostige alte Pick up von Charles stand am Rande eines, in Nebelgetauchten Maisfeldes. Heisere abgehackte Schmerzenslaute störten in kurzen Abständen die idyllische Ruhe. Charles stand auf der Ladefläche seins Wagens, seine grauen langen Haare bildeten kleine Schlangenlinien in dem verschwitzen Gesicht. Aus dem rechten Ärmel tauchte eine geballte Faust auf, die einen silbrig glänzenden, mit einigen roten Spritzern verschmutzten Schlagring festhielt. 

"Sag mir wo ich Cloe finden kann, dann ist die Tortur für dich zu ende.", sagte Charles. Vor ihm lag ein Bär von einem Mann auf der Ladefläche, dessen Hände über seinem Kopf am Pick up festgebunden waren. Es handelte sich hierbei zweifelsohne um einen der beiden Handlanger von Cloe, die Charles in der Scheune beobachtet hatte. Trotz der vielen Schläge von Charles, die er im Laufe der Nacht über sich ergehen lassen musste, behielt der Mann seinen Pittbull-Gesichtsausdruck bei und kein Wort verließ seine Lippen. 

"Gut, wenn du nicht willst können wir mit wirklich schlimmen Teil anfangen.", meine Charles. Der Mann, mit dem blutigen Gesicht beobachtete jede Bewegung von Charles, als warte er darauf dass sein Peiniger einen Fehler machte. Dabei drehte er seinen Kopf soweit er konnte, denn die gebrochene Nase, die Zahlreichen Prellungen und der zersplitterte Wangenknochen, die sein Gesicht furchtbar deformierten, schmerzten schon bei der geringsten Bewegung.

Der Detektiv nahm den Schlagring von seiner Hand. 

"Du musst wissen der harmlose Teil ist jetzt vorbei." Charles streckte seinen Zeigefinger in die Höhe, kleine Blitze zuckten im Sekundentakt um seine Fingerkuppe, dabei fingen seine Augen in einem glühenden hellblau an zu leuchten. Charles hielt seinen Finger an die Schulter seines Opfers. Der Mann begann am ganzen Körper unkontrolliert zu zucken, wie ein Kaninchen, das an eine Starkstromleitung geriet. Nach ein paar Sekunden beendete Charles den Schock. Mit verstörten weit aufgerissenen Augen sah der Mann die Person vor sich an. 

"Schon gut, aufhören!", schrie er, wobei ihm unwillentlich Speichelfäden aus dem Mund flogen. "Sie ist um die Zeit immer im Kino. Cesars Theatre. Du verdammter Wichser.", schrie der Mann. Charles Gesicht zierte ein zutiefst selbstgerechtes Grinsen. 
"War doch ganz einfach!", er durchtrennte das Seil, dass die Hände des Mannes die halbe Nacht gefesselt hielt. "Sei froh, dass du mich nicht wütend gemacht hast. Und jetzt runter!" 

Nach dem der große Mann mit Mühe vom Pick up gestiegen war, setzt sich Charles ans Steuer und fuhr davon. Die Räder seines Wagens wirbelten leichten Staub auf, der seinem gedemütigten Opfer rücksichtslos ins Gesicht blies.

Charles fuhr umgehend in die Stadt zum Cesars Theatre. Eine enorme Energie, die aus Wut und Anspannung gewachsen ist, trieb ihn an - dies und der Gedanke Cloe in wenigen Augenblicken persönlich gegenüber zu stehen. Es gab nichts, dass ihn aufhalten konnte. Zornig stieß er die Türen zum Kino auf, seine Schritte stampften wie Kanonenschläge über glänzenden Boden durch das große Foyer, wodurch er die Aufmerksamkeit von Ben Henricson auf sich zog, der gerade bei seiner morgendlichen Runde zu seinem Büro war. 

"Kann ich ihnen weiter helfen?", fragte Henricson. Charles steuerte auf den dicken Mann zu. 

"Wo finde ich Cloe Tafé?", fragte er zornig. Henricson merkte wie aufgebracht der Mann vor ihm war, woraufhin seine Stimme durch Unsicherheit getränkt wurde. 

"Sie ist in ihrem Büro. Sie können dort aber nicht hinein, wenn Sie keinen Termin haben.", antwortete er. Charles brannte innerlich vor Wut, er packte Henricson am Kragen, der ein piepsiges Geräusch von sich gab und drückte ihn gegen die Wand. 

"Wo ist dieses Büro?", fragte Charles. Verängstigt, mit schweißnassem Gesicht zeigte Ben auf den Treppenaufgang am Ende des Foyers. 

"D... Der zweite Stock, d... das Zimmer am Ende des Gangs.", Henricson zeige mit dem Finger zur Treppe.  

"Sehe ich hier auch nur einen verdammten Polizisten, dann ist hier die Hölle los, verstanden?", Charles ließ von ihm ab. Henricson nickte ruckartig, was dazu führte dass sein speckiger Nacken tiefe Falten warf.
Der Detektiv stürmte die Treppen hinauf, er fieberte dieser Begegnung schon seit langer Zeit entgegen. Ohne zu zögern riss er die Bürotür auf, eine Frau mit langen blonden Haaren und kirschroten Lippen blickte ihm entgegen. Ihr Gesicht zeigte keinerlei Spuren von Überraschung, unbeeindruckt legte sie den Hörer ihres Telefons auf und wartete auf die nächste Handlung des Mannes.
"Cloe Tafé!", dröhnte seine Stimme durch den Raum. Die Frau nickte. Charles setzte ein spöttisches und künstliches Lachen auf. 

"Cloe Tafé!? Daran muss ich mich erst mal gewöhnen." Er ging auf den Schreibtisch zu und warf ihr ihren Personalausweis vor die Nase. "Was ist so falsch an dem Namen, den ich dir einst gegeben habe, Klotho?", seine Frage klang aggressiv, doch sie beinhaltete ein versteckte Gier nach Wissen. Die Ausdruckslosigkeit aus Cloes Gesicht verschwand und wich einer schockierten Miene. 

"Vater?", rutschte es ihr heraus. Sie versuchte die plötzlich Entgleisung ihrer Gefühle wieder zu verdecken und sich nichts anmerken zu lassen. "Zeus! Was machst du hier? Und noch dazu in einem solchen Körper?" 
Der enttarnte Gott setzte sich auf den Stuhl vor Cloes Schreibtisch. 

"Hör zu, Klotho! Ich bin hier um dich zu warnen. Wenn du dich schon unter den Menschen aufhalten musst, kannst du dich nicht so verhalten. Du kannst nicht einfach so einen riesigen Aufriss machen und mit den menschlichen Schicksalen herumspielen.", mahnte er sie. Cloe reagierte gereizt. 

"Kann ich nicht? Ich spinne schon seit Anbeginn meines Seins Lebensfäden, Schicksale. Ich begleite diese Leben wie sie gegenwärtig meiner Geschichte folgen nur damit meine Schwestern dem wahllos ein Ende setzten können - ganz gleich, ob ich für diese Seele mehr vorgesehen habe oder nicht.", konterte sie mit einer tiefen Empörung. Charles lehnte sich in dem Stuhl zurück. 

"Ihr seid nun einmal die drei Moiren. Ihr bestimmt - zusammen - über wichtige und große Schicksale und was noch wichtiger ist, ihr seid die einzigen, die sich gegenseitig kontrollieren können. Ich muss zugeben, ihr seid die zweifellos mächtigste Instanz da oben, aber eben nur zu dritt.", antwortete er. Cloe stand auf und drehte Charles den Rücken zu. 

"Ich habe es satt, Zeus! Ich habe es satt, Lebensfäden für die Leute zu konstruieren nur damit Lachesis und Atropos meine Werke wieder ruinieren. Ich werde hier unten selbstständig arbeiten. Jawohl, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft liegen nun in meiner Hand. Stell dir vor ich habe sogar eine Unterwelt geschaffen, die unter meiner Regie läuft!", erzählte sie stolz. Charles schreckte innerlich besorgt zurück. 

"Das kann ich nicht zulassen. Du kannst diese Welt nicht einfach unter deine Tyrannei stellen.", meinte er. Cloe nahm ein kleines Stückchen Film aus einer Hölzernen Schachtel, die in ihrer Fensterbank stand und ließ ihren Daumen mehrfach hinüberstreichen. Jede Bewegung ließ das Stück länger werden. 

"Vater, das was ich tue ist eine Kunst, ich muss mein Werk zu Ende führen. Das kannst du nicht verstehen, was machst du auch schon, außer im Olymp rumzusitzen und irgendwelchen Göttinnen zu schwängern. Meine beiden Schwestern fügen sich auch nur ihrer Arbeit, sie haben kein Auge für das Gesamtwerk, dass sie im stande sind zu erschaffen. Deshalb werde ich hier ein neues Reich des Schicksals gründen. Die Menschen werden sich meiner Kunst beugen.", ihre Augen funkelten bei den Worten. Charles erhob sich ebenfalls, er konnte nicht fassen, was seine Tochter von sich gab, sie konnte sich nicht einfach dem Olymp wiedersetzten. 

"Glaub mir, wenn der Olymp erst einmal seine Hunde auf dich Hetzt hast du richtigen Ärger. Mir ist außerdem zu Ohren gekommen, dass du zurzeit ohnehin Stress hast. Ein paar Menschen haben wohl mitbekommen, dass sie von dir ein Schicksal aufgedrückt bekommen haben und versuchen sich deinem Einfluss zu entziehen. Das ist schlampige Arbeit.", sprach er. Cloe spürte wie die Wut in ihr stärker wurde, bis ihr schließlich eine Ader auf der Stirn austrat. 

"Ich sage dir eines.", ihre Stimme klang entschlossen und verlor jeglichen Hauch von Menschlichkeit. "Überlege dir gut mit wem du dich anlegst. Gegen das Schicksal kann selbst der große Zeus nichts ausrichten." Cloe wandte sich ihrem Vater zu. "Du wirst mich erst mal in Ruhe lassen. Wie wäre es mit einem Aufenthalt in der Unterwelt?" Cloes Augen waren nunmehr vollkommen weiß, sie hielt den Film, der gerade eben ihrer Hand entwuchs, in die Höhe und begann eine Formel aufzusagen. "Kánte to drómo tou . Apostolí tou Patéra apó ton ouranó sto skoteinó kósmo. Párte to sóma na lávei to myaló kai ékleise tin pórta píso tou. Étsi, eíte prókeitai gia."

Schattenwesen tauchten um Zeus herum auf, sie umhüllten ihn vollständig, bis nichts mehr von ihm zu sehen war. Danach löste sich der Gott in Luft auf, nichts deutete noch darauf hin, dass er vor kurzem noch hier gestanden hat. Cloes Pupillen kehrten wieder an ihren Ursprünglichen Platz zurück. Sie warf einen Blick auf den Film in ihrer Hand, das Negativ zeige ihren Vater, wie er in der riesigen, mit Fackeln beleuchteten Höhle unter dem Kino stand. Ein Überlegens Lächeln zierte ihr mittlerweile wieder feines Gesicht.

Jane's Film "Jagd der Vergangenheit"

 

 Zweieinhalb Jahre zuvor.

Der Herbstwind wirbelte orange-rote Blätter vor dem großen Fenster eines hellen Krankenhauszimmers umher, sie bildeten geradezu einen leuchtenden Kontrast zu dem sonst so tristen dunkeln Himmel. Eine junge Frau Anfang zwanzig saß auf einem großen weißem Bett ihre braunen fast schulterlangen Haare hingen, nach einer chaotischen Nacht, angeplättet vom Kopf herab. Auf dem Nachttisch neben ihr stand eine kleine Uhr, die junge Frau beobachtete den Sekundenzeiger wie Schritt um Schritt davonlief. Auf der anderen Seite ihres Bettes hing ein Tropf, dessen Ende mit einer Nadel in ihrem Arm lief. Vor einer Stunde war sie hier in diesem Zimmer aufgewacht und bisher hatte noch kein Arzt mit ihr gesprochen, lediglich eine Krankenschwester war hier gewesen und hatte sich nach ihrem Zustand erkundigt. Ihr schossen ein paar Erinnerungen an den gestrigen Abend durch den Kopf, was dazu führte, dass sie sich schlagartig unwohl fühlte, sie wusste genau warum sie hier war und der Gedankte drehte ihr geradezu den Magen um.
Es klopfte an der Tür, ein älterer Mann mit weißem Kittel und einem Stethoskop um den Hals kam herein. Sein kurzes graues Haar wies schon beachtliche Geheimratsecken auf, was wohl nicht zuletzt auf seinen hektischen Alltag schließen ließ. 

"Mein Name ist Doktor Warren.", sagte der Arzt mit ernstem Gesicht. "Sie wissen aus welchem Grund sie eingeliefert wurden." 
Die junge Frau saß bewegungslos da und verfolgte die Worte des Mannes. 
"Ich habe mich mit dem Oberarzt beraten und wir sind zu dem Schluss gekommen, sie nach Greenbay Hill zu überweisen. Der Zuständige Arzt wird sie noch heute abholen.", fuhr der Arzt fort. Die junge Frau zog fassungslos ihre Augenbrauen zusammen. 

"Das ist eine Psychiatrie. Aber ich bin nicht..."

"Sie sind nach einem Selbstmordversuch hier eingeliefert wurden. Dabei hatten sie noch Glück, eine Stunde später und ihre Organe hätten einen ernsthaften Schaden davon getragen. Wir haben hier momentan nicht die Möglichkeit ihnen fachgerecht zu helfen.", unterbrach sie der Arzt. Sie hielt ihre Hände vor ihr Gesicht, als wäre ihr erst jetzt klar geworden, was für Konsequenzen der vorherige Abend gehabt hatte. 

"Das müssen Sie falsch verstanden haben, da war diese Frau, sie ließ mir gar keine andere Möglichkeit...", versuchte Jane zu erklären. Erneut fiel ihr Dr. Warren ins Wort. 

"Bitte, erzählen Sie das dem zuständigen Arzt, er wird bald hier sein."
Eine Stunde verging in der Jane sich bereit machte das Krankenhaus zu verlassen. Dieser Weg würde sie ins ungewisse führen, 'das Ungewisse' dachte sie, ihr Leben verlief schon eine ganze Zeit lang ungewiss. Es klopfte wieder an der Tür, ein junger Mann hielt seinen Kopf in den Raum. 

"Guten Tag. Ich bin auf die Bitte von Dr. Warren hergekommen um sie abzuholen. Sie heißen Jane Enfield, richtig?", fragte er höflich. Jane nickte. Das war ihr zuständiger Arzt? Der Mann war kaum älter als sie selbst noch dazu ließ sein Outfit nicht gerade auf einen typischen Psychologen schließen. Er trug ein verblichenes Guns 'n Roses T-Shirt, mit einem dunkelblauen sportlichen Jackett darüber, seine blaue Jeanshose hatte ein aufgerissenes Loch am linken Knie. 

"Ich bin Jason Stoner, ich arbeite in Greenbay Hill. Lassen Sie uns losfahren.", sagte er und hielt ihr die Hand zur Begrüßung hin. Jane schüttelte ihm misstrauisch die Hand und gemeinsam verließen sie das Krankenhaus.

Auf der einstündigen Fahrt zur Besagten Nervenklinik redeten sie nicht viel miteinander. Jane fühlte sich die ganze Zeit über fehl am Platz, sie war nicht verrückt oder gestört oder was auch immer. Sie nahm sich vor gleich nach ihrer Ankunft mit dem Leiter der Psychiatrie zu reden, dann würde auch er verstehen, dass das Ganze ein Missverständnis war. Jane warf einen Blick auf die CDs die in der Ablage vor ihr herumlagen: Foo Fighters, AC/DC, Alice In Chains - wenigstens von der musikalischen Seite her würde es ihr hier gut gehen, dachte sie. 
"Bist du nicht ein bisschen zu jung für einen Psychiater?", fragte Jane. Jason belächelte ihre direkte Art. 

"Ich bin immerhin schon siebenundzwanzig. Aber du hast Recht, ich bin noch im Studium. Meinem Dad gehört die Psychiatrie, ich arbeite hier nebenbei um auch Praxiserfahrung zu bekommen.", erzählte er. Jane sah gedankenverloren aus den Fenstern des Autos, vor ihnen lag Greenbay Hill. Äußerlich war es etwa so groß wie ein Krankenhaus, nur schien das Gebäude schon etwas älter zu sein, Jane musste bei diesem Anblick eher an ein Rathaus aus dem neunzehnten Jahrhundert denken. Das Erste was sie hinter sich bringen musste war ein Gespräch mit dem leitenden Arzt Edward Stoner. Stoner war ein mittelgroßer Mann Anfang fünfzig, sein schwarzes Haar besaß schon silbrige Schläfen. Auf seiner Nase befand sich eine kleine dezente Brille mit runden Gläsern, die wirklich gut zu dem ovalen Gesicht passte, dachte sich Jane. Sie saß mit ihrem Koffer vor dem Schreibtisch in seinem Büro und diskutierte mit ihm über den Fakt, dass ihre Einweisung ein Irrtum war. 
"Verstehen Sie doch, das war kein Selbstmordversuch, diese Frau, sie redete permanent auf mich ein und schrieb mir mein Leben vor.", erzählte sie. Edward Stoner blätterte den Bericht des Krankenhauses und der Polizei durch. Er holte tief Luft bevor ruhig und sachlich fortfuhr. 

"Hier steht, in ihrem Körper wurde eine eindeutige Überdosis des Beruhigungsmittels Xanax festgestellt, dazu hatten sie einen Alkoholspiegel von zwei Komma fünf Promille. Ihre Wohnungstür und ihre Schlafzimmertür waren beide von innen verschlossen, außer ihnen war niemand in der Wohnung.", turg er vor. Jane hielt sich ihre Schläfen, dass konnte nicht sein. 

"Da war jemand und ich werde herausfinden wer das war. Deswegen werde ich jetzt auch wieder gehen.", sagte Jane harsch. Dr. Stoner nahm den Hörer seines Telefons ab. Alles was Jane hören konnte war. "Und vergessen sie das Valium nicht." 

Jane wollte gerade zur Tür hinaus stürmen, da kamen ihr zwei Pfleger entgegen. Einer von ihnen hielt Jane an den Armen fest, während der andere ihr schnell die Spritze verabreichte. Die Welt um Jane herum wurde langsamer, sie selbst wurde binnen Sekunden langsamer bis sie nichts mehr fühlte und alles um sie herum verblasste.

Die  Wochen vergingen und draußen fiel bereits Schnee, die Welt draußen erschien so weiß und ruhig, da der Schnee alles unter sich begrub. Jane beharrte nach wie vor auf ihrer Meinung sie sei hier nicht richtig, auch vermied sie es irgendetwas über sich zu erzählen. Was sie noch mehr störte, war dass sich ihr Zimmer auf der geschlossenen Station befand, was wiederum zur Folge hatte, dass sie außer zu Dr. Stoner und den zuständigen Schwestern keinen weiteren Kontakt zu den Leuten hatte. Jane lag in ihrem Zimmer, das lediglich aus einem Bett und einem kleinen Schreibtisch bestand und starrte auf die kahlen weißen Wände. Die Einsamkeit gewann die Oberhand über ihre Gefühlswelt, ein Zustand der ihr überhaupt nicht gefiel, ihrer Meinung nach war es genau diese Abkapselung, die einen verrückt machen konnte. War es doch Zeit über alles zu reden, fragte sie sich in einem der vielen stillen Momente.
Heute stand wieder einmal ein Gespräch mit Dr. Stoner auf dem Plan. Im Gegensatz zu den vorherigen Sitzungen ging sie dieses Mal mit einem festen Vorsatz in die Sitzung, dass es Dinge gab die gesagt werden mussten. So saß sie nun auf dem dunkelblauen Sofa vor Stoners Schreibtisch. 

"Sie wollen reden? Nun, worum geht es Jane?", fragte Edward Stoner im ruhigen Ton. Jane hatte noch immer Angst davon ihre Gedanken preis zu geben. 

"Hatten Sie schon einmal das Gefühl beobachtet zu werden? Ich werde die ganze Zeit beobachtet und ich weiß dass sie jeden meiner Schritte filmen, diese Filme - es ist als würden sie mein Leben bestimmen. Ich kann gar nicht mehr ich selbst sein, ich muss einfach immer diese Rolle spielen.", erklärte sie. Dr. Stoner hörte ihr aufmerksam zu, war es doch das erste Mal, dass Jane etwas über ihren Zustand verriet. 

"Hast du einmal versucht, diese Rolle zu durchbrechen? Was passiert, wenn du einfach mal du selber bist?", fragte er. Jane senkte ihren Blick. 

"Für ein paar Tage habe ich das mal getan, ich habe mich richtig gegen die Spielerei gewehrt. Dann tauchte diese Frau auf und sagte mir, dass mein Film ein für alle Mal vorbei sei. Danach bin ich im Krankenhaus aufgewacht.", Jane klang traurig, sie kämpfte damit ihre Tränen zurück zu halten. Edward Stoner legte seine Notizen beiseite. 

"Ich bin froh, dass du dich entschieden hast zu reden. Was du mir erklärst klingt nach einer sehr starken Paranoia. Wir haben zwar noch einen langen Weg vor uns wie es scheint, doch du hast soeben einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht." Edwards Mundwinkel umfasste ein freundliches Lächeln, er freute sich immer, wenn einer seiner Patienten Fortschritte machte. Aus diesem Grund veranlasste Stoner nach ihrem Gespräch Janes Verlegung auf die offene Station. Hier war sie nicht mehr so isoliert, andererseits jedoch gab es nicht viele Patienten, mit denen man sich vernünftig unterhalten konnte - dennoch fühlte sie sich hier ein ganzes Stück wohler.

Jane saß im Aufenthaltsraum, einem großen übersichtlichen Zimmer mit mehreren Sofas und Sesseln. Ein paar der Patienten spielten Karten oder dösten in den Sesseln vor sich hin. Jane saß mit einer Zigarette in der Hand auf dem Sofa und starrte auf den Fernseher, eine Dokumentation über verstobene Rocklegenden lief gerade. 

"Hey Jane, schön dich wieder zu sehen. Hast du was dagegen wenn ich mich zu dir setzte?", Jason stand mit einem freundlichen Gesicht vor ihr. 

"Nein, mach nur.", sie deutete auf den leeren Platz neben ihr. 

"Ich wollte dich was Fragen. Für mein Studium verfasse ich eine Dissertation über verschiedene Formen von Paranoia und ich wollte wissen, ob ich dich mit einbeziehen darf?", seine Frage wirkte beinahe schüchtern und Jane glaubte dass er sie wie einen normalen Menschen ansah. Dabei bekam sie seine Frage eher am Rande mit, sie hatte sich in seinen grün-braunen Augen verloren, sie funkelten so hell in dieser grauen Welt. 

"Sicher. Dann werden wir uns bestimmt noch öfter über den Weg laufen, oder?", fragte sie aus der Tiefe ihrer Gedanken. Jason nickte. 

"Mit Sicherheit, in der nächsten Zeit werde ich auch mehr hier arbeiten.", meinte er. Jane lachte, aber nicht vor Belustigung es war ein befreiendes Lachen, das erste ehrliche Lachen, dass sie seit Monaten von sich gab. 

"Das ist wahrlich ein Geschenk, hier gibt es nicht viele Leute mit denen man normal reden kann. Die Schwestern haben immer Angst zu viel zu erzählen und von den Patienten sind nicht viele auf nette Gespräche aus.", fügte sie hinzu. Sie saßen noch eine ganze Weile zusammen im Aufenthaltsraum dabei glitt Janes Blick immer wieder tief in Jasons Augen.

Mitten in der Nacht schreckte Jane, trotz der Valium, die sie jeden Abend einnehmen musste, hell wach aus ihrem Bett hoch. 

"Nein.", schrie sie. "Ich kann nicht." Jane hielt sich den Kopf, es fühlte sich an, als hätte jemand ihr Hirn in einen Schraubstock gezwängt. "Nein, das ist kein Film mehr!" Eine immer wiederkehrende Frauenstimme drang an Janes Ohren, sie predigte ihr immer und immer denselben Satz 'Erfüll deine Rolle sonst ist es vorbei!' Jane sprang auf und rannte aus ihrem Zimmer, sie wollte vor der Stimme fliehen, die scheinbar aus einer dunklen Ecke ihres Zimmers zu kommen schien um sie zu verfolgen. Auf dem Flur verlor sie den Halt, ihre Beine sackten unter ihr zusammen, ein paar Tropfen Blut tropften aus ihrer Nase auf den schwarz weißen Fliesenboden. Zwei Pfleger liefen sofort zu Jane und wollten ihr aufhelfen. Jane jedoch schlug wie wild um sich. 

"Sie ist hier!", rief sie. Eine Schwester kam mit einer Zwangsjacke um die Ecke. Nach einigen Anläufen gelang es den Pflegern Jane die Zwangsjacke anzuziehen und sie in ein separates Zimmer ohne jegliche Einrichtung zu bringen. Die Wände und der Boden waren gepolstert und wieder war sie allein, hinter ihr schloss sich die schwere Tür, die nur ein kleines rechteckiges Fester aus Sicherheitsglas besaß. Jane lehnte ihren Kopf an das kleine durchsichtige Rechteck. 

"Sie ist hier.", flüsterte Sie in die Einsamkeit.

Ein Jahr war bereits vergangen, nachdem Jane in Greenbay Hill eingeliefert wurde. Zahlreiche Gespräche mit Edward Stoner lagen hinter ihr und langsam schien es mit ihr Berg auf zu gehen. Das war jedenfalls ihre Meinung, denn sie ist schon seit sehr langer Zeit nicht mehr ausgetickt und auch die Stimme aus vergangenen Nächten hatte sich nicht mehr heimgesucht. Jason war ihr Lichtblick in dem eintönigen Alltag in der Psychiatrie geworden. Die Wand über ihrem Bett zierten massenhaft Fotos, sie zeigten Jane wie sie eine Geburtstagstorte anschnitt, wie sie einen Weihnachtsbaum schmückte, wie sie mit Jason im Garten saß - alles spielte sich in Greenbay Hill ab.
Es war Mittagszeit, Jane saß wie so oft gemeinsam mit Jason im Speisesaal. 

"Manchmal kann ich das einfach nicht verstehen. Du verhältst dich doch im Grunde vollkommen normal und ausgetickt bist du schon seit Monaten nicht mehr. Was ist es, warum du noch hier bist?", Jason musste sich eingestehen, dass er mehr Interesse an Jane hatte, als an ihrer Krankheit, er mochte sie sehr und im lag viel daran, dass es ihr gut ging. 

"Es hat sich schon vieles geändert. Aber vielleicht liegt es einfach an meinen Ansichten über diesen Zustand. Dein Vater meint ich könne sehr schnell Gefahr laufen rückfällig zu werden, sobald ich mit meinen Gedanken alleine bin.", erwiderte sie. Jason legte seine Hand auf ihre, seine Finger streichelten sanft über ihren Handrücken. 

"Was hast du ihm erzählt?", fragte Jason. Jane legte ihre Gabel zur Seite. 

"Ich sagte ihm, dass ich glaube, dass diese Frau die ich gesehen habe, mir einen Gedanken implantiert hat. Sie setzte mir etwas in den Kopf, dass fortan mein Leben bestimmen sollte. Jay, das ist nicht irgendeine Verrücktheit, das ist die Wahrheit.", sie sah ihn eindringlich an. Jason starrte auf ihre Hand, die vollkommen ruhig unter seiner lag. 

"Pfleger! Jason!", rief die Stimme einer Schwester aus dem Flur panisch. 
"Es gibt ärger. Ich komme heute Abend zu dir, OK?", meinte Jason und zog seine Hand langsam von ihrer herunter, um den Rufen der Schwester zu folgen. Jane nickte und sah im hinterher, wie er aus dem Speisesaal verschwand.

Am besagten Abend saß Jane in ihrem Zimmer am Schreibtisch, vor ihr lag ein Notizbuch mit schwarzem ledernem Einband. Sie sammelte all ihre Beobachtungen und Eindrücke darin. Es klopfte an der Tür, Jason trat ein und setzte sich erschöpft auf ihr Bett, er sagte kein Wort und fuhr sich mit einer seiner Hände über sein Gesicht. 

"Was ist los?", fragte Jane und setzte sich zu ihm. 

"Vorhin wurden zwei Patienten eingeliefert. Sie erzählen, sie würden andauernd gefilmt werden und müssen eine Rolle spielen.", Jason sah sie fragen an. 
Jane sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an, ihre Pupillen sprangen ungläubig von einer Seite zur anderen. 

"Sie haben die gleichen Symptome wie ich, als ich eingeliefert wurde?", fragte sie neugierig. Jason nickte. Janes Gedanken überschlugen sich, sie war nicht verrückt und dies konnte der Beweis sein, dass ihr Verstand einwandfrei funktionierte. 

"Wir müssen der Sache auf den Grund gehen. Was ist, wenn die Leute wirklich manipuliert werden?", fragte Jane. Jason sah sie aus kleinen müden Augen an, scheinbar hatte er einen wahrhaft anstrengenden Tag hinter sich. Tief in seinem Hinterkopf schlug ihn die Schuld einen breiten Graben in seinen Kopf - hielten sie Jane zu Unrecht hier fest? Frage er sich seit Stunden. 

"Ich weiß kaum noch was ich glauben soll.", seine Stimme war leise. Jane strich ihm mit ihrer Hand über die Wange und drehte sein Gesicht vorsichtig zu ihrem. 

"Lass uns das gemeinsam untersuchen.", flüsterte sie und gab ihm einen langen zärtlichen Kuss. Ein vertrautes liebevolles Gefühl breitete sich in Jason aus, es war nicht ihr erster Kuss. Jane zog Jason zu sich aufs Bett, bis sie beiden nebeneinander lagen, ihre Lippen ließen nicht mehr voneinander ab.

Weitere Monate vergingen, Jane und Jason hatten nach der Einweisung des dritten Paranoia-Patienten begonnen nach Gemeinsamkeiten und Auffälligkeiten zu forschen. Jason besorgte Kopien der Patienten-Akten und arbeitete sie zusammen mit Jane durch, wobei sie immer mehr zu dem Schluss kamen, dass der Ursprung dieses Phänomens den Bereich der wissenschaftlichen Erklärungen verließ. Das führte sie dazu die Mythologie verschiedener Kulturen etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Was die Arbeit etwas angenehmer machte war, dass Jason mittlerweile sein eigenes kleines Büro besaß, dies hatte sein Vater für ihn herrichten lassen, da er früher oder später einmal Greenbay Hill übernehmen sollte.
Eines Abends saßen Jane und Jason gemeinsam in diesem Büro, die Ergebnisse ihrer Untersuchungen lagen vor ihnen auf dem Boden verteilt. 
"Ich habe etwas mitgebracht.", sagte Jason und kramte ein Buch aus seinem Rucksack mit der Aufschrift "Mythologie und Ritus". 

"Es ist teilweise etwas übertrieben geschrieben, aber der Schwerpunkt liegt auf der Thematik vorgeschriebenes Schicksal", er holte einen weiteren Gegenstand aus seinem Rucksack - ein Messer. Es hatte einen hölzernen Griff, die Klinge hatte eine Länge von ungefähr fünfzehn Zentimetern und war mit verschiedenen Runen verziert. "Das hat mich etwas Untergrundarbeit gekostet da ran zu kommen, aber von dem Ding heißt es, es halte das Böse fern und ist ein Symbol des freien Verstandes. Es schneidet ein gebundenes Schicksal vom Körper. Sinnbildlich natürlich.", erklärte Jason. Jane betrachtete das Mitbringsel sehr genau. 

"Untergrundarbeit, hm? Sieht ein wenig nach Reliquienschmuggel aus.", antwortete sie ihm. Jason zuckte mit den Schultern. 

"Wir haben schon längst eine Grenze überschritten wo man sich nach jedem Schritt fragt, wie weit man noch gehen soll. Aber wir haben noch einen weiten Weg vor uns.", meinte er. Der CD-Wechsler in der Stereoanlage sprang um und sprang auf eine andere CD - Alice In Chains begannen Nutshell zu spielen. 

"Ich hätte nie erwartet, dass mir jemand glaubt - wirklich glaubt - was mir zugestoßen ist. Jetzt im Nachhinein kling es auch unglaubwürdig und nun befinden wir uns fast schon auf einer Jagt. Das ist verrückt.", sagte Jane.  

"Dann ist das hier wohl der richtige Ort dafür, oder?", sagte er ironisch, doch Jane konnte den Gedanken nicht so richtig teilen. 

"Das ist es ja! Wenn es wirklich einmal hart auf hart kommt, dann ich dir nicht helfen. Mal ehrlich, nächsten Monat bin ich zwei Jahre lang hier und es sieht nicht danach aus, als würde ich bald entlassen werden. Es ist doch offensichtlich, dass da draußen etwas nicht stimmt, warum bin ich dann noch hier eingesperrt?" Jane flossen ein paar stumme Tränen die Wange herunter. 

"Mit ist klar, dass eine Psychiatrie nicht der richtige Ort ist um über Übernatürliche Dinge zu reden, aber was ist, wenn die Münze nach einer Million würfen doch mal auf der Kante landet?" Jason legte einen Arm um ihre Schultern und wischte ihr die Tränen aus dem Gesicht. "Wir werden zusammen abhauen. Das wird ein Kinderspiel, du bist auf der Station mit der geringsten Sicherheitsstufe und ich bin ein absolut vertrauenswürdiger Psychologe in Ausbildung - keiner wird Verdacht schöpfen. Es ist uns auch bisher keiner auf die Schliche gekommen.", sagte Jason.  

"Ich hoffe du hast recht.", meinte Jane. Sie saßen beide auf dem Boden, jeder für sich in den komplexen Gedanken versunken und versuchten wieder Ruhe in den Abend einkehren zu lassen. Im Hintergrund sang Layne Staley mit seiner melancholischen Grunge-Stimme durch die kleinen Boxen der Anlage 'An yet I find yet I find repeating in my head If I can't be my own I feel better dead.'

Als Jane am nächsten Morgen aufwachte, lag sie noch immer in Jasons Büro. Sie lag mit ihm auf seinem Sofa, seine Arme hielten sie fest umschlugen, es fühlte sich an als hätte sie ein Leben. 'Scheiße', dachte sie sich was würde sie den Schwestern erzählen, wenn sie heute Morgen nicht beim Frühstück auftauchte. 
Es klopfte an der Tür, Jane wurde plötzlich ganz flau im Magen, niemand durfte sie beide so sehen 

"Jay!", sie versuchte Jason zu wecken. Gerade als er seine Augen öffnete, wurde seine Bürotür schwungvoll aufgeschlagen. 

"Jason!", sagte eine kräftige ältere Stimme, die sich angesichts des Bildes, dass sich ihm bot, zu tiefst erschrocken klang. 

"Dad.", Jason sprang auf und zog sich blitzschnell sein sportliches Jackett über sein Offspring Shirt. 

"Das wird ernsthafte Konsequenzen mit sich ziehen, Junge.", ermahnte ihn sein Vater ernst. Ohne jegliche Spuren von Einschüchterung ging Jason auf seinen Vater zu. 

"Wir müssen reden.", sagte er ernst. 

"Das müssen wir wirklich! Ich erwarte dich in fünf Minuten in meinem Büro." Edward Stoner wandte sich der jungen Frau auf dem Sofa zu. 

"Jane, du gehst solange auf dein Zimmer, Lucy wird bei dir bleiben.", anschließend schlug er die Tür mit einem lauten Knall von außen zu. Jane legte den Kopf in den Nacken und betrachtete Jason aus dem Augenwinkel. 

"Was jetzt?", fragte sie. Jason stand noch immer am gleichen Fleck, der Schreck saß tief in seinem Gesicht. 

"Ich werde mit ihm reden!"

Jane saß in ihrem Zimmer und starrte aus dem vergitterten Fenster, ihre Gedanken hörten nicht mehr auf um den heutigen morgen und alle damit verbunden Auswirkungen auf das Vorhaben von ihr und Jason zu kreisen. Schwester Lucy saß auf einem Stuhl neben ihrem Bett. 

"Du magst Jason wirklich sehr gerne, oder?", fragte sie. Jane drehte sich zu ihr um. 

"Er ist hier drinnen immer ein Funken Hoffnung für mich gewesen." Die Schwester sah sie mit einem verständnisvollen Gesicht an.. 

"Vielleicht wird es auch gar nicht so schlimm. Ich drück euch die Daumen.", sagte sie und zwinkerte Jane zu. 

Zwei geschlagene Stunden verbrachte Jason in dem Büro seines Vaters, gleich danach machte er sich auf den Weg zu Janes Zimmer. Er ging hinein, mit niedergeschlagenem Ausdruck und setzte sich, ohne Schwester Lucy weiter zu beachten, auf ihr Bett. Lucy nickte Jane zu und verließ das Zimmer. 

"Was hat er gesagt?", fragte Jane aufgebracht. Jason stütze seine Ellenbogen auf seine Knie, er wirkte so resignierend, wie Jane ihn noch nie zuvor gesehen hatte. 

"Er hat mich ganz schön in die Mangel genommen, nicht nur als Vater, sondern auch als Psychologe. Er ist der Meinung du manipulierst mich wann immer ich mit dir in Kontakt stehe.", antwortete er. Jane sprang auf. 

"Das ist doch Blödsinn. Hast du ihn von den anderen Paranoia-Patienten erzählt, wie ähnlich ihre Geschichten meiner sind und das wir danach geforscht haben?", fuhr sie hoch. 

"Ihm ging es nicht um die anderen Patienten. Ihm ging es nur um meine Beziehung zu dir. Er will dich übermorgen nach St. Gray verlegen lassen. Du sollst abgeholt werden.", sagte Jason. Jane schüttelte erschüttert den Kopf. 

"Und wenn wir vorher abhauen?", fragte sie. Jasons Mundwinkel schnellten für den Bruchteil einer Sekunde in die Höhe, es war kein Lachen, sondern eher ein unsicheres Zucken. 

"Ich dachte an morgen Nacht. Ich soll mich nicht mehr hier blicken lassen bis du weg bist, ich bin also erst morgen Nacht wieder da, um dich abzuholen. Warte, ich gebe dir meine Handynummer, falls etwas schief geht.", er riss ein Stück von seinem Notizblock raus und schrieb seine Nummer darauf.

Am folgenden Tag hatte Jane ein Gespräch mit Dr. Stoner, er erzählte ihr von ihrer Verlegung. 

"Ich habe mich gerade mit Dr. Feat unterhalten, eigentlich sollte sie erst morgen kommen um dich abzuholen, aber bei ihr haben sich etliche Termine verschoben, sie wird als schon heute Abend bei uns eintreffen. Wir haben neunzehn Uhr vereinbart. Ich möchte, dass du bis dahin gepackt hast. Und lass meinen Sohn in Ruhe.", der letzte Satz war an sie persönlich gerichtet und versetzte Jane einen tiefen Schlag. Sie schluckte schwer, es fühlte sich an als würde ein Stein ihre Kehle herabsinken. Sie musste unbedingt Jason anrufen, dachte sie - sie durfte sich nichts anmerken lassen.  

"Dann werde ich jetzt packen gehen.", sagte sie emotionslos. Sie sah ihn enttäuscht in die Augen, Dr. Stoner war ihr auf seine Art und Weise fast schon ans Herz gewachsen und jetzt schob er sie einfach so ab. "Dr. Stoner.", verabschiedete sie sich und verließ das Büro.

Sie schaute auf die Uhr es war sechzehn Uhr 'verdammt' dachte sie das würde eng werden. Sie lief zu einem der Telefone, die in kleinen Kabinen auf dem Flur standen und rief Jason an, um ihn die schrecklichen Neuigkeiten mitzuteilen.
Es wurde siebzehn Uhr, es wurde achtzehn Uhr - Jason war nirgends zu sehen. Halb sieben wurde Jane wieder in Dr. Stoners Büro bestellt. Eine Ärztin mit langem blondem Haar saß mit dem Rücken zu Jane vor Stoners Schreibtisch. 

"Da bist du ja Jane. Darf ich dir vorstellen, Dr. Feat. Sie ist die leitende Ärztin der St. Gray Klinik.", sagte Stoner. Die Ärztin drehte sich um. Jane konnte sich nicht rühren vor Entsetzen. Ein Ekel wie sie ihn nur selten verspürte zog sich durch ihr inneres und der Schock drohte ihr den Boden unter den Füßen weg zu ziehen. Kirschrote Lippen lächelten sie mit falschem Grinsen an. Vor ihr saß die Frau, die sie während ihrer Paranoia so oft gesehen und später gehört hatte. Die Frau, die ihr eine Rolle auferlegt hatte, um sie anschließend bis in ihre Träume zu verfolgen. 

"Nein. Das ist die Frau!", rief Jane. Das Puppenähnliche Porzellangesicht sah sie mit sadistisch gespielter Freundlichkeit an. 

"Hallo Jane.", sagte sie. Die junge Frau rannte aus dem Büro, sie jagte den langen Flur entlang, bis zur Eingangstür. Diese war jedoch elektronisch Verriegelt und Jane kannte den Code nicht. Eine starke Hand schloss sich fest um ihren Arm und zog sie zur Seite. 

"Komm mit.", hörte sie Jason leise sagen. Gemeinsam rannten Sie in das Musikzimmer, das war der einzige Raum an dem sich keine Gitter vor den Fenstern befanden. Jason drückte ihr einen Rucksack in die Hände. 

"Da sind ein paar Klamotten, deine Aufzeichnungen und das Messer drinnen.", er zog einen Autoschlüssel aus seiner Jackentasche. "Die gehören zu dem blauen Ford Mustang meines Vaters, damit kannst du schnell von hier weg.", sagte er leise. Jane öffnete das Fenster. 

"Jay, was ist mit dir?", fragte sie. Er half ihr auf die hohe Fensterbank zu klettern. 

"Ich muss noch etwas erledigen. Wir treffen uns in Richwood, da gibt es ein kleines Motel - das Blackwater - fahr dort hin. Ich bin morgen oder übermorgen da.", antwortete er, seine Stimme klang hektisch. Jane sah ihn panisch an. 

"Jay, diese Frau von der ich dir erzählt habe, sie ist hier. Sei vorsichtig.", warte sie ihn. Jason nahm ihr Gesicht zwischen die Hände und gab ihr einen Kuss. 

"Du auch. Beeil dich!"

Draußen war es bereits stockdunkel und es regnete in Strömen, die Herbststürme machte das Unwetter schlimmer, als es war. Der Regen schlug Jane mit voller Wucht ins Gesicht, als sie aus dem Fenster sprang. Jason sah ihr nach und beobachtete wie die roten Rücklichter des Mustangs im Dunkel verschwanden.

Alles kehrt zurück

 

Jetzt

Trisha Wulf schlurfte durch die Innenstadt von Chainston, ihr linker Fuß, den sie mehr oder weniger hinter sich herzog machte einen unnatürlichen Knick nach außen. Sie bot einen verwahrlosten Anblick, ihre schwarzen Ballerinas waren schlammbedeckt, dass rosa Kleid mit der kleinen weißen Schleife war übersäht mit dunklen Flecken, der Rocksaumen war an mehreren Stellen eingerissen. Ihre verdreckten Fingernägel, von denen zwei komplett fehlten, waren soweit es möglich war heruntergekaut und unter ihren roten blutunterlaufenen Augen, befanden sich große dunkle Felder. Ihre Haut war bereits so blass, dass man sie für eine wandelnde Leiche hätte halten können. 

"Mädchen kamen aus der Unterwelt, Mann schießt. Mann aus Diner redet mit Detektiv.", murmelte sie in einer Endlosschleife vor sich hin. Trisha blieb vor dem Cesars Theatre stehen, sie starrte auf die Fensterreihe im zweiten Stock, dann rührte sie sich nicht mehr. Bewegungslos schien sie auf jemanden zu warten. Hinter ihr fuhren Autos auf der Straße entlang, Leute gingen an ihr vorüber und starrten sie schockiert an. Langsam setzte die Dämmerung ein. Die Kinotür öffnete sich und Cloe Tafé winkte die verlotterte Frau zu sich. Trisha ging an ihr vorbei in Richtung Foyer. 
"Mein Gott Trisha, du riechst wie ein Müllkontainer. Wir gehen in mein Büro.", sagte Cloe undging voraus, sie führte Trisha in den zweiten Stock. 
"Hast du Neuigkeiten für mich?", fragte Cloe. Trishas Stimme klang heiser und monoton, ohne ein einziges Mal Luft zu holen sprach sie wie eine Maschine. 

"Die Mädchen kamen aus der Unterwelt zurück. Ein Mann erschoss einen Wächter der ihnen folgte. Der Besitzer des Diners redete auf dem Friedhof mit dem Detektiv." Trisha schien in einer Art Trance zu sein, denn sie stand abermals bewegungslos vor Cloe und ihre Augen waren leer und dunkel. 

"Sie sind also entkommen.", sagte Cloe mehr zu sich selbst. "Wo sind die Mädchen hingegangen Trisha?", fragte sie spitzfindig. Die leichenähnliche Frau sah in die Ferne ihr ganzes Gesicht wirkte ausdruckslos und trüb. 

"Mädchen entkamen, Mann schoss. Der Boden unter meinen Füßen verschwand, ich fiel lange hinab.", ratterte sie den Satz herunter. Dies erklärte anscheinend ihren schrecklichen Zustand, dachte Cloe. Sie musterte die Frau eingängig, dabei Blickte sie auf den linken Fuß von Trisha, dieser war auf Ballon ähnliche Weise auf das doppelte der normalen Größe angeschwollen. Das Fußgelenk war bedrohlich dunkelblau verfärbt. 

"Oh.", entkam es Cloe emotionslos. "Was ist mit deinem Fuß?", 

"Gebrochen.", sagte Trisha. 

"Du warst ein guter Golem, aber in diesem Zustand nützt du mir nichts. Geh jetzt nach Hause - du brauchst wohl eine Pause.", meinte sie und wimmelte Trisha mit einer Handbewegung ab. Trisha drehte sich auf dem Hacken um und schlurfte aus dem Büro hinaus. Cloe lehnte sich in ihrem Sessel zurück und hob den Hörer ihres Telefons ab. 

"Ben, ruf einen Krankenwagen, vor dem Kino ist eine Frau zusammengebrochen.", sagte sie kurz angebunden.
Trisha öffnete die große Tür des Kinos und setzte ihr langsames Humpeln fort. Mitten auf dem Bürgersteig riss sie plötzlich ihren Kopf in die Höhe. Sie holte unsagbar tief Luft, wie ein Taucher der in letzter Sekunde vor dem Ertrinken die Wasseroberfläche errichte. Die Trübheit aus ihren Augen verschwand und Trishas Bewusstsein kehrte wieder zurück, dir Freude darüber währte jedoch nur kurz. Ein schmerzhaft gequälter Schrei wich tief aus ihrem Inneren. Ein Stechen bohrte sich durch ihren gebrochen Fuß und Trisha fiel kurzerhand zu Boden, als sie sich mit einer Hand auf dem Gehweg abstützte bemerkte sie die fehlenden Fingernägel. Der Schrei wollte gar nicht mehr Enden, genauso wie diese plötzlichen Schmerzen kein Ende mehr nehmen wollte. An ihrem ganzen Körper zeichneten sich zahlreiche Verletzungen ab. Mit der anderen Hand tastete sie nach dem piksen in ihren Rippen und musste feststellen, dass ihre Hand tief in ihren Körper hineinragte, zu tief wie sie feststellte. Was war nur mit ihr geschehen, fragte sie sich. Der Schmerz war das einzige was sie fähig war zu empfinden. Infolge dessen, brach sie nun komplett zusammen, wie ein Häufchen Elend lag sie vor dem Kino und wusste nicht wie ihr geschah. 

 

* * *



Etliche Bierflaschen und eine halbvolle Whiskeyflasche standen auf dem Küchentisch von Mik Shelter. Er setzte gerade zu einem erneuten Schluck aus der Jack Daniels Flasche an und seine Sicht begann mal mehr Mal zu verschwimmen. Jetzt war das Gefühl nicht mehr so stark, genaugenommen war keines seiner Gefühle mehr sonderlich stark, aber auch die Paranoia ließ sich damit etwas in den Hintergrund schieben. Konnte er so einen halbwegs normalen Zustand erreichen, fragte er sich beiläufig, aber wie normal konnte das Leben in diesen Zeiten schon sein. Mik erhob sich von dem Tisch, dabei stützte er sich mit beiden Händen auf der Tischplatte ab, um das Gleichgewicht zu halten, was ihm im Moment arge Schwierigkeiten bereitete. Er torkelte in das finstere Wohnzimmer, während seines Besäufnisses, war es draußen dunkel geworden. Mik blieb stehen und starrte auf seine Füße, sie schienen sich leicht zu drehen, obwohl sie stillstanden, dachte er. 

'Betrunkene Poesie kann mich auch nicht verdrängen.', flüsterte es durch den dunklen Raum. Mik riss den Kopf in die Höhe. 

"Wer ist da?", die Bewegung war so ruckartig, dass er beinahe das Gleichgewicht verlor, er musste die Arme zur Balance ausstrecken, um nicht zu stürzen. 
'Mik Shelter mache dich bereit, dein Film beginnt. Du bist ein cholerisch angehauchter alter Mann, der abends nach seiner Arbeit durch den Walt streift. Du bewachst ein kleines, aber wichtiges Tor.', erteilte die Frauenstimme ihm einen Auftrag, die Wortfolge war schnell und zielgerichtet, sie wollte Mik keine Luft zum Nachdenken lassen. 

"Was fällt ihnen ein mir in meinem Haus Vorschriften zu machen?" Mik griff nach dem Schürhaken, der an einer Wand neben dem Kamin lehnte. Er holte weit aus und schlug in die Richtung aus der er die Stimme vermutete, doch er konnte schon hören wie sein wuchtiger Schlag in die Leere ging. 

'Das hat keinen Sinn. Du wirst ein cholerisch angehauchter Mann sein, der nach seiner Arbeit durch den Wald streift und ein kleines, aber wichtiges Tor bewacht.', die Stimme klang nun aggressiver als zuvor. Mik senkte seine Arme und begann lauthals zu lachen, als hätte er gerade den besten Witz aller Zeiten gehört. Der Schürhaken fiel zu Boden, mit seinen Händen hielt er sich den Bauch, sein Mund war weit geöffnet und ließ immer lauter werdende Lacher verlauten. 

"Wer glaubst du wer du bist? Das ist wirklich lächerlich, wenn du glaubst, dass ich auch nur ein Wort von dir ernst nehme!", sprach er in den dunklen Raum hinein, der Alkohol hatte ihn scheinbar mutig gemacht. Mit einem Mal tauchte ein riesiges Gesicht vor ihm auf, es war leicht durchsichtig. Aus der Mine sprach abgrundtiefe Verärgerung, die dunklen Augen, waren zu kleinen zornigen Schlitzen zusammengezogen. Ein paar blonde Strähnen hingen wirr in das Porzellan weiße Gesicht herab und die Mundwinkel der blutroten Lippen bohrten tiefe Falten in das glatte Gesicht. 
'Du wirst mich ernst nehmen, dass schwöre ich dir, sonst endest du als erinnerungsloser Schatten in meiner Unterwelt. Wie deine Gwenni, sie gehört jetzt zu mir!', fauchte ihn das Gesicht an. Mik hatte sich über die plötzlich auftauchende Fratze so heftig erschrocken, dass er bei einem Schritt nach hinten stürzte und mit dem Rücken auf dem Laminatboden aufschlug. Für einen Moment sah er nur noch wie kleine bunte Punkte vor seinen Augen umhersprangen. Sie führten ihm einen Schmerz vor Augen, den er nicht mehr glaubte wahrzunehmen. Als sich sein Blick allmählich wieder klärte, war das Geistergesicht verschwunden. 

"Verdammt! Scheiße!", rief er. Sie beobachten dich, antwortete sein Verstand. Sein Verstand? Er fasste sich an den Kopf, die Welt drehte sich noch mehr als vorher. 

"Gwen. Was geht hier vor sich?", fragte er in aller Verzweifelung. Wieder schossen ihm die Worte der jungen Frau durch den Kopf, die ihn vor ein paar Tagen vor Cloe gewarnt hatte. Schlagartig wurde ihm bewusst, dass er es irgendwie schaffen musste Jane zu verständigen. Womöglich war sie die einzige, die ihm helfen konnte. 

 

* * *



Das erste was Jane wahrnahm, als sie ihre Augen einen Spalt öffnete war weißes, blendendes Licht, das den ganzen Raum derartig grell erschienen ließ, dass sie nichts als ein paar Silhouetten erspähen konnte. Sie blinzelte ein paar Mal, wobei ihr Kopf entsetzlich schmerzte. Zugegeben, diese Kopfschmerzen waren verglichen mit der letzten Nacht nur leichte Nebenerscheinungen, sie reichten aber aus um den bevorstehenden Tag mit Trübsal zu erfüllen. Jane hob ihren Kopf, sie blickte auf eine große Fensterfront, draußen waren nur Baumkronen zu entdecken, die ihr sattes Sommergrün langsam abstreiften und ein goldgelbes Aussehen annahmen, sofern sie dies von ihrem Platz aus beurteilen konnte. Sie hatte nicht den geringsten Schimmer in wessen Bett sie eigentlich lag, die Erinnerung an die letzte Nacht endete da, wo sie gegen einen dicken Baumstamm geschleudert wurde und ihr Bewusstsein sich verabschiedete. Sie rappelte sich auf, so dass sie in dem großen Doppelbett in dem sie lag zum Sitzen kam. Ihr Blick flog etwas benommen durch den Raum, doch außer einem Kleiderschrank, einem Fernseher und der üblichen Schlafzimmereinrichtung konnte sie nichts Besonderes ausmachen.
Jane erhob sich aus dem Bett ihre ersten Schritte waren wackelig, doch ihre Neugierde siegte über ihren angeschlagenen Zustand. Jane verließ das Zimmer und folgte einem kleinen hellen Flur an dessen Ende eine Treppe nach unten führte. Auf halbem Weg hörte sie Stimmen, erst leise, kaum hörbar, dann immer lauter werdend. Zwei Personen schienen sich angeregt zu unterhalten, eine davon erkannte sie sofort, es war Mary und sie klang den Umständen entsprechend gut. Die andere Stimme, die Stimme eines Mannes, das war... konnte das wirklich sein, frage sich Jane. Sie blieb einen Moment stehen und lauschte dem Gespräch, sofort beschleunigte sie ihren Gang in Richtung der Stimmen. Jane ging durch einen abgerundeten Tür-Bogen in die Küche des Hauses, alles war modern eingerichtet vom Kühlschrank über den Herd bis hin zu dem kleinen Esstisch, an dem ihre Augen ungläubig haften blieben. An dem Tisch saß Mary, die sie mit erleichtertem Blick ansah und gegenüber von ihr - jetzt gab ihr Verstand ganz und gar den Geist auf, dachte Jane. 

"Jason?", fragte sie zweifelnd, obwohl sie genau wusste wer vor ihr saß. Janes Gedanken stoppten jäh, so unerwartet war dieser Anblick für sie. Vor ihr befanden sich wieder diese wundervollen, hinreißenden grün-braunen Augen, die sie insgeheim so sehr vermisst hatte. 

"Jay!", die Worte flohen aus ihrem Mund, als hätten sie dort über eine lange Zeit auf eine Fluchtmöglichkeit gewartet. Jason stand auf und schloss sie fest in eine Umarmung, Jane legte ihre Hände an seiner Taille ab und lehte ihren Kopf auf seine Schulter. So oft hatte sie an ihn denken müssen und immer fraß dann die Einsamkeit und Enttäuschung ein tiefes Loch in ihr Herz. Jane stieß Jason behutsam von sich weg. 

"Wo warst du? Ich habe tagelang in Richwood auf dich gewartet.", die ersten Zweifel schossen ihr in den Kopf, anschließend wandte sie sich Mary zu. "Ich... wir...", sie fand keine Worte. Mary sah sie verständnisvoll an. 

"Jason hat mir eure Geschichte bereits erzählt.", meinte sie. Jane nickte stumm, all die Emotionen, all die Erinnerungen waren auf einen Schlag aufgetaut und drohten ihr den Boden unter den Füßen weg zu ziehen. Jane ließ sich auf den Küchenstuhl sinken.

Am Abend, als die Aufregung ein wenig verflogen war und alle drei wieder zu Kräften kamen, saßen Jane und Jason auf einer Hollywood-Schaukel auf der kleinen Terasse hinterm Haus. Mary lag auf der Couch im Wohnzimmer und schlief tief und fest. 

"Ich habe dieses Biest erschossen, das euch gejagt hat, es hat sich in Form eines Schattens aufgelöst. Danach habe ich mit Mary die Pforte verriegelt.", erzählte Jason. Jane atmete erleichtert aus und ein langes Schweigen löste Jasons ruhige Worte ab. 
"Mary sagte, dort unten wurde sie mit ihrer momentan größten Angst konfrontiert, eine dieser Kreaturen zu werden. Sag mal, hast du auch so was erlebt?". fragte Jason schüchtern. Jane sah in die Ferne, wo die Sonne gerade in die Tiefen des Horizonts hinabtauchte. 
"Ich sah eine Art Abbild von mir in einer Zwangsjacke. Es sagte mir, es wolle die Führung übernehmen und dass ich mich nach diesem Zustand sehnen würde. Ich hatte ständig dieses ätzende Gefühl, es sprach von der Zeit in der Psychiatrie.", antwortete Jane. Die letzten Sonnenstrahlen legten sich über Jasons entspannte Gesichtszüge. Auch wenn er sich nicht anmerken ließ, so war er froh, dass es Jane gut ging und sie die Zeit ihrer Trennung scheinbar heil überstanden hatte. 

 "Du hast also vor der Vergangenheit Angst? Mary hat auch schon einmal angedeutet, dass du nicht so gerne Dinge über dich verlauten lässt.", fuhr Jason fort.

"Pha!", seufzte Jane "Kennt ihr euch schon länger?", eine Hauch von Eifersucht schwang in ihrer Fragte mit. Jasons Mundwinkel verlagerten sich in die Höhe. 

"Sie war meine erste Paranoia Patientin. Ich bin hier in Chainston als Psychologe unterwegs.", antwortete er. Jane sah ihn konfus an. 

"Hast du deinen Abschluss in der Zwischenzeit noch gemacht? Bist du deswegen nicht nach Richwood gekommen? Ich habe tagelang auf dich gewartet, bis sich zwei Polizisten nach mir erkundigt haben, dann musste ich zwangsweise untertauchen.", meinte sie. Jason stand auf und blickte in den Wald hinein, der sein Haus umgab. Die Sonne, die zwischen den Bäumen hindurchschien, warf orange-rote Streifen auf sein Gesicht. 

"Nachdem du weg warst haben mein Dad und diese komische Dr. Feat mich Angezeigt. Beihilfe zur Flucht oder so was sagten sie. Wobei ich das Gefühl hatte Dad stand ganz schön unter ihrer Fuchtel. Zwei Tage habe ich in U-Haft verbracht, wurde dann aber wieder frei gelassen." Jason drehte sich wieder um zu Jane und sah sie mit einem leicht melancholischen Blick an. "Mein Studium habe ich nicht mehr weitergeführt. Ich bin gleich nach meiner Entlassung nach Richwood und habe nach dir gesucht aber da warst du schon weg. Zeitgleich habe ich von der Paranoia-Welle in Chainston erfahren und bin hierher gekommen. Das war vor sieben Monaten, ich gab mich als Psychologe aus, so konnte ich diese Sache weiter untersuchen. Wie lange bist du schon hier?", fragte er.

Jane lehnte sich in der Hollywood-Schaukel zurück, das leichte hin und her geschaukel hatte eine beruhigende Wirkung auf sie. 

"Die ersten Tage nach der Flucht musste ich mit der ganzen Freiheit erst mal wieder klarkommen. Ich bin viel in der Gegend rumgefahren, habe zugesehen dass der Ford eine neue Farbe und ein neues Kennzeichen bekam. Irgendwann bin ich in Brikdale angekommen und bin dort einige Monate in einem Hotel untergekommen. Hier und da habe ich in der Paranoia Geschichte weiter rumgeforscht, aber in Chainston bin ich erst seit drei Wochen. Es ist einiges viel in der Zeit." Jane stand auf und schaute fest in die grün-braunen Augen. 

"Dr. Feat ist auch hier. Sie heißt jetzt Cloe Tafé und leitet ein Kino. Ich habe das Gefühl, nein, ich weiß sie ist ein wichtiger Punkt in dieser Paranoia-Geschichte.", sagte sie. Jason legte eine Hand auf ihre Wange, sein Daumen strich an ihrem Wangenkochen entlang, ihre Lippen nährten sich bis auf wenige Zentimeter. Doch Jane stoppte ihre Bewegung. 

"Wir...", sie senkte Ihren Blick, sodass ihre Stirn seine Berührte. "...haben viel zu tun. Lass uns den nächsten Schritt planen."

Zurück im Wohnzimmer, war Mary bereits aufgewacht, sie breitete die Arme weit aus und streckte sich, was ein leichtes Knacken zwischen ihren Schultern hervorrief. Sie sah wie Jane und Jason sich auf der Terrasse unterhielten und ihr wurde wieder einmal die Zwiespältigkeit bewusst die irgendwo tief in Jane schlummerte. In diesem Spiel war sie Opfer und Gegner von Cloe. Auf ihre Art und Weise hat Jane sich selbst eine Rolle auferlegt, dachte Mary. Womöglich war diese ganze Unnahbarkeit und Abgeklärtheit auch nur ein Schauspiel oder Selbstschutz?
Jane und Jason kamen von der Terrasse herein und setzten sich zu Mary. 

"Weiß einer von euch wie es jetzt weiter geht?", fragte sie. Jason war sehr zuversichtlich, er holte das Buch von seinem Schreibtisch, das er von Bill bekommen hatte. 

"Es geht um eine Beschwörung. Wir beschwören Zeus.", sagte er so ruhig wie möglich und schlug das Buch auf dem Couchtisch auf. Jane und Mary waren wie hypnotisiert vom Anblick eines so alten Buches. 

"Die drei Gesichter des Schicksals", las Mary den Titel vor. Jason suchte nach einer bestimmten Seite. 

"Laut diesem Buch besteht das Schicksal aus den drei Moiren. Sie sind die Töchter des Zeus und sie sind dafür verantwortlich bestimmten Menschen ein Schicksal aufzuerlegen und es zu nehmen wenn es an der Zeit ist. Damit sind sie mächtiger als Zeus selbst. Vermutlich erklärt das warum alle Leute glauben ihnen wird eine Rolle auferlegt.", erzählte Jason. Jane sah sich ebenfalls die Seiten an, sie zeigten viele handgezeichnete Bilder von drei bildhübschen Frauen. 

"Unsere Cloe heißt also Klotho. Sie ist es.", bemerkte sie, als sie ein Bild von ihr sah.

 "Wir beschwören Zeus, gut. Bisher habe ich noch nicht einmal daran geglaubt, dass es so was wie Zeus überhaupt gibt.", Mary wandte sich verwirrt von dem Buch ab. Jane blickte zu ihr auf. 

"Bis vor kurzem dachte ich, dass Monster die einem durch die Unterwelt jagen auch nur in Filmen existieren. Hoffen wir, dass wenigstens Zeus auf unserer Seite ist.", fügte Jane hinzu. Mary war nach wie vor skeptisch, keiner von ihnen wusste wo dieses Debakel enden würde. Jason griff zu seinem Handy und tippte eine Nummer. 

"Bill Kingston gab mir dieses Buch. Seit seiner Kindheit hat er es mit übernatürlichen Dingen zu tun. Ich bin sicher, dass er uns weiterhilft." Jason ging zum Telefonieren in sein Arbeitszimmer.

"Was meinst du, ist das richtig? Angenommen wir beschwören einen Gott, meinst du er gibt sich so einfach mit Menschen ab?", frage Mary skeptisch. Jane dachte sorgfältig über ihre Antwort nach, auch sie konnte die Lage nur schwer einschätzen. 

"Uns bleibt im Moment nur die Hoffnung.", gab sie gedankenvoll von sich.

Der große Tag rückt näher

 

Der nächste Tag jagte graue Regenwolken vor dem blauen Himmel, die eine trübsinnige Glocke um Chainston bildeten. Wenn jemand es in diesen Stunden wagte hinauf zu schauen, drängte sich einem zwangsweise die Intention von einem großen Ereignis auf. Voller Spannung zogen die immer dunkler werdenden Wolken geschwind umher. Etwas würde passieren - dies lag wie ein Versprechen in der Luft. Der Oktober näherte sich dem Ende, nicht mehr lange und es begann die Zeit, in der die Auferstehung der Toten Seelen mit Süßigkeiten und Kostümen gefeiert und mit reichlich Alkohol herunter gespült würde.
Trisha Wulf sah ängstlich aus ihrem Wohnzimmerfenster, als ein Mann im dunklen Regencape ihr Grundstück betrat. Sie selbst war nicht im Stande sich allzu viel zu bewegen, ihr Fuß war bis über das Knie eingegipst und eine Vielzahl von Verbänden schimmerten durch ihre weite Kleidung. Noch immer suchten sie diese unerträglichen Schmerzen heim. 
"Mami, die Post ist da!", rief die junge Stimme. Sie gehörte ihrer vierzehn-jährigen Tochter, die geradewegs vom Briefkasten zurückkam. Trisha dachte voller Leid an die Zeit, in der sie wie ferngesteuert umherirrte, fünf lange Tage war ihre kleine Sarah alleine ohne ein Lebenszeichen ihrer Mutter. Einen Vater hatte es nie wirklich gegeben, er war nicht einmal bei Sarahs Geburt anwesend. 

"Was gibt es, mein Spätzchen?", fragte Trisha von ihrem Sessel. Sarah hielt ihr einen lila farbigen Umschlag hin. 

"Eine Einladung.", sagte sie verwundert. Trisha nahm den Umschlag an sich und öffnete ihn. Sie hatte keine Geheimnisse vor ihrer Tochter, ganz besonders nicht seit den fünf Tagen ihrer Abwesenheit. Sie war so unendlich froh, dass ihr cleveres Engelchen in dieser Zeit bei verschiedenen Freunden Unterschlupf gefunden hatte. Trisha klappte die mit Fledermäusen und Kürbissen bedruckte Karte auf. Binnen von Sekunden verdunkelte sich ihr Gesicht, dicke Tränen hingen ihr in den Augen. Sie schlang ihre Hand vor den Mund, als wolle sie einen Schrei aufhalten. Nun rollten die Tränen ihre Wange entlang.

Steven Hattkins stand in seiner Küche und bereitete sich seine ganz besonderen Spaghetti Bolognese zu. Er liebte es selber zu kochen. Zu Hause bei seinen Eltern hatte er selten Gelegenheit dazu, sein Vater ein ehemaliger Chefkoch und Perfektionist, sah ihn beim Kochen stets über die Schulter und hatte immer irgendetwas an Stevens Essen auszusetzen. Sobald Steven jedoch seinen Job im Diner antrat, konnte er sich endlich die lang ersehnte eigene Wohnung leisten und sich ein Stück mehr verwirklichen. Doch in den letzten Wochen breitete sich ein Alptraum in ihm aus. Jemand oder etwas schien ihm sein Leben zu diktieren, seine Freiheit wurde ihm mit aller Macht genommen und jetzt wurde er beobachtet - aus jeder Ecke. Er musste einen Psychiater aufsuchen und sogar vier Tage auf der geschlossenen Abteilung im Krankenhaus verbringen - sie sagten er hätte sich selbst verletzt. In dieser Zeit wünschte sich Steven manchmal seine liebevolle Ma zurück oder zumindest die kritischen Kommentare seines Vaters. Zu groß war jedoch seine Angst, dass seine Eltern ebenfalls von dieser Frau aus seinen Alpträumen heimgesucht würden, deswegen mied er den Kontakt mit ihnen lieber. Stevens Blick ruhte auf der ungeöffneten Post, die er vorhin auf den Küchentisch gelegt hatte. Die Soße würde noch etwas ziehen müssen, also hatte er genug Zeit sich dem auffälligen lila Umschlag zu widmen, der ihn die ganze Zeit schon wie ein Dorn im Auge lag. Er öffnete den Umschlag, seine Augen flogen Zeile um Zeile über die Einladung. Sein Gesicht versteinerte zusehends und er bemerkte kaum wie seine Beine unter ihm nachgaben. Mit einer automatischen Bewegung sackte er in Zeitlupe zu Boden. Der erschrockene Ausdruck auf seinem Gesicht rührte sich keinen Millimeter, nichts in ihm fühlte sich noch zu irgendeiner Bewegung fähig.

Der Mann mit dem dunklen Regencape und dem Postsymbol auf der Tasche besuchte an diesem Vormittag noch etliche Häuser und Wohnblocks. Wo auch immer er auftauchte und die lila Umschläge verteilte hinterließ er die Menschen in Angst und Benommenheit.
Jodi Adams kam gerade von ihrer wöchentlichen Sitzung in der Paranoia-Selbsthilfegruppe wieder. Seit ein paar Tagen hatte sie das Gefühl, ihr würde es seit langem wieder besser gehen, doch als sie die Einladung las, fiel ihre Welt in sich zusammen. Ein paar Worte reichten aus, sie wieder hinab in die Paranoia-Welle zu Stoßen.

Jimmy Henderson, der seit fünf Jahren bei der Chainstoner Polizei arbeitete, hatte sich vor drei Wochen krank gemeldet. Die Ärzte konnten ihm nicht mehr weiterhelfen, sie verwiesen ihn an einen Psychiater. Doch Jimmy entschloss sich zu Hause zu verbarrikadieren, er war davon überzeugt, dass dieses übermächtige Gefühl von Verfolgungswahn nicht von ihm ausging. Er schwor sich, der Sache auf den Grund zu gehen. Er war der Erste, der an diesem Morgen eine Einladung bekam. Um die Mittagszeit brachen die Officer Claire Whitefield und Don Jones seine Haustür auf, nachdem er auf eine Viertelstunde unentwegtem Klopfen keine Reaktion gezeigt hatte. Claire und Don waren gute Freunde von Jimmy, sie feierten zusammen seinen dreizigsten Geburtstag, danach haben sie ihn wochenlang nicht mehr zu Gesicht bekommen - Grund genug sich Sorgen zu machen. Als die beiden Officer die Küche betraten, erlebten sie das schrecklichste Szenario, dass sie sich vorstellen konnten. Jimmy saß auf dem Küchenstuhl, sein Körper war nach vorn gebeugt und in seinem Hinterkopf klaffte ein tiefes, blutverschmiertes Loch. Seine Dienstwaffe lag noch auf seinem Schoß. Auf dem Küchentisch lag ein lila Umschlag, der mit Blutspritzern bedeckt war.

Mik Shelter war ebenfalls an diesem Vormittag unterwegs, doch er suchte nach jemanden. Nachdem er die Einladung von Cloe bekommen hatte, wollte er unbedingt mit Jane reden, sie kam abends oft im Diner vorbei und Mik hatte die Idee, dass sie vielleicht mehr über diese ganze Geschichte wusste. Leider sind seit ihrem letzten Besuch schon einige Tage vergangen. Mik parkte seinen Wagen vor dem Grand Sun Motel, einige seiner Stammgäste hatten gehört, dass sie dort ein Zimmer hätte. Er nahm die Einladung in die Hand und las sie sich noch einmal durch, es war bereits das fünfte oder sechste Mal.
'Hallo Mik, 
wie du vielleicht schon mitbekommen hast, bekamst du von mir eine Rolle in einem großen Meisterwerk. Dem größten eurer Zeit! Ich lade dich hiermit zum überwältigendem Finale am einunddreißigsten Oktober im Cesars Theatre ein. Sie dir das Werk von mir und den auserwählten Chainstoner an. Wir beginnen um 20 Uhr.
P. S. eine Abwesenheit wird unschöne Folgen haben, also sei pünktlich!
Cloe Tafé'

Neben der Unterschrift war ein Foto von Cloes zauberhaftem Gesicht abgedruckt. Spätestens als Mik dieses Bild sah fügten sich ein paar Puzzleteile in seinem Kopf zusammen. Charles sagte sie sei gefährlich, ebenso Jane und jetzt war er mittendrin in diesem Dilemma, dabei wollte er nur wissen was mit seiner kleinen Gwenni geschehen war. Mik steckte die Einladung in einen weißen Umschlag, in dem auch ein persönliches Schreiben von ihm an Jane enthalten war, er stieg aus dem Auto und ging zu dem Zimmer mit der Nummer zwölf. Es hatte ihn sage und schreibe fünfundzwanzig Minuten seiner Überredungskünste gekostet um Tom, den Leiter des Motels, davon zu überzeugen dass er Janes Zimmernummer preisgab. Mik klopfte und klopfte, doch nach einer Viertelstunde öffnete sich nur die Nachbartür und ein genervter Geschäftsmann brüllte ihn an er solle etwas leiser sein, da er dringend schlafen müsse. Mik spürte das erste Mal wie die Verzweiflung ihren festen Griff um seinen Verstand legte. Er klemmte den Brief in den Türspalt und vergewisserte sich, dass dieser auch fest genug steckte. Dann stemmte er seinen Kopf gegen die Tür. 

"Bitte, bitte lies diesen Brief.", flüsterte er. Einen Moment später, nachdem die ersten Regentropfen auf den Boden trafen ging Mik schweren Herzens zurück zu seinem Fahrzeug.

 

* * *



Cloe Tafé stand in dem großen Kinosaal des Cesars Theatres, direkt vor der Leinwand. Das Kino besaß nur einen Kinosaal, doch dieser war groß genug, dass rund fünfhundert Besucher darin Platz hatten. An den dunklen Wänden waren längliche Wandlampen angebracht, die ein sehr dezentes und gedämmtes Licht ausstrahlten. Normalerweise hing immer ein schwerer dunkelblauer Samtvorhang vor der Leinwand, in den dünne glitzernde Fäden eingearbeitet waren, sodass es aussah als würden lauter kleine Kristalle am Vorhang kleben, wenn gerade kein Film gezeigt wurde. Im Moment jedoch war er geöffnet und enthüllte eine gigantische Leinwand, die fast die gesamte Breite und Höhe der Wand für sich beanspruchte. Cloe hielt ihr schwarzes Buch in der Hand, das sie für gewöhnlich gut verschlossen in ihrem Safe aufbewahrte. Hoch konzentriert blätterte sie durch die Seiten und schien etwas Wichtiges zu suchen. Auf der Seite mit der Überschrift "Portale" blieb sie stehen, hastig flogen ihre Augen über die Zeilen. Anschließend streckte sie die Hand aus und berührte die Leinwand, dabei las sie eine Formel aus dem Buch ab.
"Dimiourgíste mia géfyra. Chtíste ti diadromí pros to esoterikó. O drómos tou peproménou mou kai deíxte to sto átomo. Afíste ta chlomá psychés periplanitheí se esás. Párte aftés tis skiés. Pliktrologíste to senário ston Ádi Klothó. Étsi eínai."
Die Leinwand veränderte ihre Oberfläche, statt des üblichen PVC Schirmgewebes schien jetzt eine wässrige Oberfläche zu entstehen, von der ein lila-weißer Lichtschimmer ausging. Cloe hatte ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen. Mit ihrem Finger zeichnete sie einen Kreis in den scheinbar flüssig-wabernden Überzug und einen Pfeil, der aus dem Kreis herausragte. Das Symbol fing an gelb zu leuchten und Cloe fuhr mit der Formel fort 
"Dimiourgíthike os éna pérasma. Genéteira ton néon plásmata.", als sie diese Worte sprach, blitzte die gesamte wasserähnliche Oberfläche auf, für einen Moment war das Kino so hell erleuchtet, dass man hätte meinen können, hunderte von Spots wären im ganzen Saal verteilt gewesen und gleichzeitig angeschaltet worden.
Cloe klappte ihr Buch zu. Die Fläche vor ihr sah wieder aus wie eine gewöhnliche Kinoleinwand. Sie drehte sich um und sah Ben Henricson in der Tür stehen. Gelassen ging sie auf ihn zu und legte ihr freundliches Gesicht auf. Henricson, der sich nach dem Anblick dieses seltsamen Vorkommnisses kaum rühren konnte, saß der Schock tief in den Eingeweiden. 
"Mrs. Tafé... was...", stotterte er ungläubig. Cloe fiel ihm mit angenehmer und verführerischer Stimme ins Wort. 

"Ben, na nu? Sind sie schon fertig mit den Halloween-Dekorationen im Foyer?", fragte sie. Ben brachte keinen Ton heraus, so tiefgreifend war seine Angst. "Wissen sie, wir alle träumen manchmal schlecht. Kennen sie diese Alpträume, die einem voller Entsetzen hochschrecken lassen und nach denen man so weit weg war, dass man nach einem plötzlichen Erwachen nur schwer Luft bekommt, weil die Atmung auch erst mal aus dem Standby kommen muss? Ich kenne diese Träume nicht. Ich verursache sie. Und ich glaube sie haben so einen Traum.", erzählte sie. Henricson sah sie mit weit aufgerissenen Augen an, er war sichtbar aufgewühlt und stand unter großer Spannung, dass die Gefahr bestand seine Augäpfel würden mit ploppenden Geräusch aus den Höhlen fallen - so sah er Cloe an. 

"Ich träume?", fragte er leise und ungläubig. Cloe ging an ihm vorbei. 

"Scheint so Ben.", mit kaum wahrnehmbarer Bewegung berührte ihr linker Ringfinger Bens Schläfe von der Seite und er kippte auf der Stelle um. 

"Gute Nacht Ben, hoffen wir einfach, dass du gut schläfst." Grinsend setzte Cloe ihren Weg in das Foyer fort.

 

* * *



Jasons Wagen hielt in der Nähe des Cesars Theatres, er Jane und Mary stiegen aus. Jane schaute die Straße hinab und sah von weitem ihren roten Mustang am Straßenrad. 

"Er ist noch da!", sagte sie erleichtert. Jason drehte seinen Kopf ungläubig in die Richtung des Autos. 

"Das gibt es doch nicht, du hast den Mustang von meinem Vater immer noch?", fragte er. Daraufhin zuckte Jane mit den Schultern. 

"Nur dass er jetzt rot ist, ein neues Kennzeichen hat und auf meinen Namen hört.", erwiderte sie anschließend nahm sie eine kleine Tasche aus Jasons Auto. "Dann fahre ich zum Hotel, hol meine Sachen ab und checke aus. Wir treffen uns wieder bei dir.", erklärte sie Jason, dieser nickte. 

"Mary und ich gehen rüber zu Bill und sagen Bescheid.", ergänzte Jason. Mary sah wie immer etwas aufgescheucht aus, es war ihre Art sich immer mehr Sorgen zu machen, als es vielleicht nötig war. 
"Pass gut auf dich auf.", sagte sie zu Jane und ihre Wege trennten sich fürs erste.

Mary und Jason betraten den Buchladen mit der altmodisch wirkenden Leuchtschrift 'Antiquariat'. 

"Bill ist ganz in Ordnung, du wirst schon sehen.", beruhigte er Mary, die den ganzen Morgen über sehr zurückgezogen gewesen ist. 
"Von unseren letzten Sitzungen müsstest du wissen, dass ich zur Zeit die Ruhe in Person bin. Zumindest für meine Verhältnisse.", sagte Mary. Jason öffnete die Tür, die kleine Glocke am Türrahmen kündigte durch ein lautes Klingeln neuen Besuch an. Bill humpelte von dem hinteren Bereich des Ladens zu ihnen hinüber. Scheinbar hatte er gerade die Prothese seines rechten Beines neu angesetzt, denn sein Hosenbein war noch hochgekrempelt und entblößte sein metallenes Schienenbein. 

"Jason, na Junge. Gib es Neuigkeiten?", fragte er auf lockere Art und Weise. 

"Bill es ist soweit! Wir haben alles für die Beschwörung beisammen.", die Anspannung in Jasons Stimme war kaum zu überhören. Mary konnte sich nicht Helfen ihre Augen landeten immer wieder auf der Prothese. Sie wusste genau dass es unhöflich war so darauf zu starren, aber ihr kam die Szene so skurril vor, dass sie ihre Aufmerksamkeit einfach auf einen Punkt bündeln musste. 

"Hey kleine, die Prothese hat ein recht da zu sitzen, so steht es in meinem Behindertenausweis.", scherzte Bill. Mary spürte wie ihr die Röte ins Gesicht stieg, sie fühlte sich ertappt. 

"Entschuldigung. Was ist ihnen denn passiert?", fragte sie.  

"Abgebissen.", antwortete er trocken. "Von einem Loup-Garou. Einem Werwolf. Aber du weiß ja - unter den Rollstuhlfahrern ist der einbeinige König.", fuhr er fort. Mary musste unerwarteter Weise anfangen zu lachen, sie versuchte es noch einigermaßen zurückzuhalten, aber irgendwas in ihr veranlasste sie dazu laut los zu prusten, sodass auch Bill sich zu einem leichten Lächeln hinreißen ließ.

"Wann wollt ihr beginnen?", fragte Bill. Jason schaute nachdenklich drein. 

"So früh wie möglich. Je eher das Ganze ein Ende hat, desto besser.", sagte er. Bill begann ein paar Gegenstände aus dem kleinen Fach in seinem Schreibtisch zu kramen. 
"Dann komme ich gleich mit. Helft mir schnell, ich muss noch etwas einpacken.", meinte Bill. Mary nahm die Khaki farbende Armeetasche die Bill ihr hinüber warf und Pakte alles ein was er ihr gab, wie Runensteine in verschiedenen Größen, eine alte silberne Schale, die mit Fratzen unmenschlicher Wesen geschmückt war, sowie kleine Kreidestückchen. Bill schritt zur Seite und schlug einmal gegen die große Schublade in der Mitte des Tisches. Die Schublade klappte nach vorne auf und eine Pistole lag direkt griffbereit in dem versteckten Fach. Die Waffe hatte einen langen silbernen Lauf, der Griff schien aus einem teuren Holz hergestellt zu sein, dass im Schein des Lichtes glänzte. Eine handschriftliche Gravur auf der einen Seite des Laufes lautete "Desert Eagle 50AE" auf der anderen Seite des Laufes stand die Ergänzung "Hellfire". Jason staunte nicht schlecht, als er die Pistole sah. 

"Irgendwie hatte ich mir schon vorgestellt, dass dieser Moment kommen würde.", murmelte Jason. Bill humpelte hinter seinem Tisch hervor, er schnappte seinen schwarzen Gehstock und wies Mary und Jason somit den Weg zur Tür. 

"Du hast das Messer?", er drehte sich noch einmal zu den beiden um. 

"Ja. Ich erzählte dir von Jane. Sie hat es und wird nachher auch da sein.", antwortete Jason. Zu dritt verließen sie den Laden, Bill verriegelte die Eingangstür.


Nachdem Jane ihr Auto geholt hatte hielt sie vor dem Grand Sun Motel am Stadtrand. Die Räder ihres Mustangs hinterließen rillenartiges Spuren auf dem Kiesboden des Parkplatzes. So unberührt wie der Boden zuvor aussah, fuhren hier nicht oft Autos entlang. Beim Aussteigen riskierte sie einen flüchtigen Blick in den Himmel, alles war grau an diesem Nachmittag, es war weder schön noch schlecht es war schlichtweg beklemmend, wenn die Wolken an einem vorbeizogen und mit Regen drohten. Jane ging hinüber zu dem Zimmer mit der Nummer zwölf, dass in den letzten Wochen so was wie ein Zuhause gewesen ist. Sofort fiel ihr der Umschlag auf, der in der Tür steckte. Neugierig öffnete sie diesen. 
"Hallo Jane, 
kannst du dich noch an den alten Spinner aus dem Diner erinnern? Ich brauche deine Hilfe. Ich habe gehört wie du von diesem Paranoia-Phänomen gesprochen hast und über Cloe Tafé. Mich hat es nun auch erwischt. Bitte Jane, wenn du einen Weg aus dem ganzen hinaus weißt, bitte hilf mir.
Mik Shlelter"

Anschließend untersuchte Jane die Einladungskarte von Cloe, die Mik mit in den Umschlag gesteckt hatte. 

"Das klingt nach einem großen Showdown.", sagte sie und steckte den Brief in ihre Tasche. Sie betrat das Zimmer, viel würde sie hier nicht abholen müssen, denn außer Kleidung zum wechseln und Badezimmerutensilien besaß sie nur einen Karton, in denen sie sämtliche Daten und Fakten über ihre Nachforschungen aufbewahrte. Sie verstaute alles in ihrem Wagen und ging anschließend hinüber zu dem kleinen Rezeptionshäuschen.

Es wurde von Tom geführt und seinem zehn-jährigen Sohn, der ihn immer gerne unterstützte. Tom hatte es nicht leicht, seit acht Monaten blieben ihm immer mehr Gäste fern und auch seine Ex-Frau versuchte ihm das Sorgerecht für den kleinen Nicky streitig zu machen. Tom versuchte es Nicky im Motel so angenehm wie möglich zu machen, so kam es, dass Nicky zwei große Zimmer für sich bekam, eines davon war - natürlich - ein reines Spielzimmer. 
Jane mochte die beiden sehr gerne, auch wenn es hin und wieder viel zu tun gab, vermittelten sie immer eine tiefe Verbundenheit. Sie trant an der kleinen Klingel am Tresen heran und läutete einmal. Es dauerte eine Weile bis sich jemand im Hintergrund bewegte. Nicky trat nach vorne. 

"Hallo Jane. Kann ich dir weiterhelfen?", der Junge klang bedrückt, als wolle er etwas verstecken, auch sah er ungewöhnlich blass aus. 

"Ich wollte zahlen, wo ist denn dein Papa?", Jane beobachtete den kleinen genau. Nicky, der auf einem Stuhl stand, um über den Tresen sehen zu können, beugte sich vor und winkte Jane zu sich heran. 
"Hilf mir! Mein Papa ist ganz komisch. Er redet kaum noch mit mir und seit heute Morgen hat er immer ein Messer in der Hand.", flüsterte er ihr zu. Jane ging um den Tresen herum zu Nicky, griff nach ihrer Hand und zog sie hinter sich her in Richtung des Wohnbereiches. Ihr fiel auf, dass die Vorhänge an jedem Fenster zugezogen waren. Der kleine blieb vor der letzten Tür am Ende des Flurs stehen. Ein Rumpeln und Poltern drang aus dem Raum hervor, dass ab und an von einem tiefen Grunzen unterbrochen wurde. 

"Warte hier.", wies Jane den Jungen an. Sie öffnete die Tür einen Spalt, zuerst konnte sie nur ein Wohnzimmer sehen in dem ein heilloses Durcheinander herrschte. Sie öffnete die Tür weiter. Angespannt tasteten ihre Augen den Raum ab, durch ein paar Lücken in den Vorhängen schienen vereinzelte Sonnenstrahlen auf den Boden, es herrschte einen Totenstille. Jane wagte einen Schritt in den Raum hinein, ein Knurren ertönte, vor ihren Augen schwang ein langes Küchenmesser herab. Sie sprang einen weiten Schritt zurück, vor ihr stand Tom, er hatte sich stark verändert: Seine Kleidung war komplett zerknittert, mit Flecken übersäht und an einigen Stellen eingerissen. Überall an seinem Körper befanden sich Abschürfungen und seine Augen wirkten apathisch und gereizt, eine Ader trat aus seiner Stirn hervor. Er stürmte auf Jane zu. Geistesgegenwärtig zog Jane die Tür zu, doch Tom war noch soweit bei Verstand, dass er die Tür versuchte aufzuziehen. Jane hielt den Türknauf mit aller Kraft fest. 

"Nicky, gibt es einen Schlüssel für die Tür?", rief sie erschrocken. Der Junge nickte hastig. 

"Beeil dich, hol ihn!", forderte sie ihn auf. Nicky rannte in die Küche. In einer Schublade bewahrte Tom sämtliche Wohnungsschlüssel auf. Für Jane wurde es immer schwerer die Tür geschlossen zu halten, da kam Nicky um die Ecke geschossen, steckte den Schlüssel in das Schloss und verschloss die Tür. Beide sahen einander erschrocken an.

"Wir gehen erst einmal.", sie nahm Nicky bei der Hand und führte ihn nach draußen auf den Parkplatz. "Hast du irgendwelche Verwandten in Chainston? Onkel oder Tante oder so was? Wir müssen dich irgendwo unterbringen, bis es deinem Papa wieder besser geht.", Jane hielt seine Hand fest. Nicky sah sie verstört an. 

"Mein Oma wohnt in der Stadt. Wird mein Papa wieder gesund?", fragte er verängstigt. Janes Verstand ratterte auf der Suche nach einer halbwegs kindgerechten Antwort. 

"Ich werde gleich den Krankenwagen rufen. Ich bringe dich jetzt erst mal zu deiner Oma.", sagte sie. Nicky und Jane stiegen in den Mustang. Diese Beobachtung führte sie zu einer Vermutung, die sie in ihrer Zeit in der Psychiatrie schon einmal gehabt hatte. Jane glaubte, je mehr man spürt, diese Paranoia sei nicht aus dem eigenen Geist entsprungen, desto mehr treten aggressive Verhaltensweisen in einem auf und diese sind dann entweder gegen die eigene Person gerichtet oder gegen fremde Menschen. Jane startete den Motor und schaute noch einmal traurig in den Rückspiegel, bevor sie losfuhren.

 

* * *



Mary, Jason und Bill kehrten gemeinsam zurück zu Jasons Haus am Waldrand. Bill machte sich gleich daran einen Platz für die bevorstehende Beschwörung einzurichten und bereitete alles vor. Jason wollte ihm gerade zur Hand gehen, da winkte Mary ihn zu sich hinüber in die Küche. 

"Was ist los?", wollte Jason wissen. Mary rieb sich wankelmütig die Hände. 

"Als ich in der Unterwelt war, bin ich auf einen Haufen merkwürdiger Kreaturen gestoßen - habe ich dir ja erzählt. Eine von ihnen hatte ein Stück Film im Mund, ich konnte dieses Stück mitnehmen." Sie zog den besagten Filmschnipsel aus ihrer Hosentasche und überreichte ihn Jason. 

"Sieh es dir bitte an. Ich konnte mir das nicht erklären. Es hat mir aber etwas Angst gemacht.", sagte sie leise. Er hielt den Streifen gegen das Licht und betrachtete die drei Bilder darauf. Das erste zeigte eine Kinoleinwand in einem großen Saal, auf dem zweiten Bild war Jane zu sehen sie hielt das Messer in beiden Händen über ihren Kopf, als wolle sie damit zustechen. Das dritte Bild zeigte Mary wie sie mit ausdruckslosen Augen und blutüberströmt auf dem Boden lag. 

"Das stammt aus der Unterwelt?", fragte Jason noch einmal unvoreingenommen nach. Mary nickte, ihr fehlten die Worte um Jason mitzuteilen, dass sie befürchtete Jane würde möglicherweise eine Gefahr für sie darstellen. Er gab ihr den Filmausschnitt zurück. 

"Ich kann verstehen dass es für dich beunruhigend wirkt, andererseits ist dieser Ausschnitt auch ziemlich lückenhaft. Wir wissen nicht was zwischen den Bildern geschieht. Jane sollte das auf jeden Fall sehen.", unstetig blickte Jason auf die Uhr. Jane war schon ziemlich lange unterwegs. Wo steckte sie nur? Er wollte Mary nicht offenbaren, dass er sich ernsthaft Sorgen um Jane machte, weil sie in letzter Zeit wieder ein Verhalten an den Tag legte, wie damals als sie in Greenbay Hill ankam. Diese Verschlossenheit, sie wehrte sich dagegen etwas über ihre Vergangenheit zu erzählen, selbst in den zwei Jahren, die sie in der Psychiatrie verbrachte hat Jason nicht in erfahren können was genau sich in der Zeit abgespielt hat, als Jane selber zu den Paranoia-Patienten gehörte. Womöglich könnte das jetzt alles eine Bedeutung bekommen. Letztendlich schob er seinen beklommenen Zustand auf die Tatsache, dass sie heute einen der mächtigsten Götter der griechischen Mythologie heraufbeschwören würden. 'Wäre Jane doch nur hier.', schoss es ihm durch den Kopf. Trotz allem was passiert war schaffte sie es immer wieder Jason optimistisch zu stimmen, egal was vor ihnen lag.

Ich habe dich nicht vergessen

 

Officer Claire Whitefield und Officer Don Jones wurden nach  der Untersuchungen an dem Tod ihres Freundes Jimmy zu einem abschließenden Gespräch zu ihrem Vorgesetzten Sergeant Logan gerufen. Sie waren kaum fünf Minuten zurück in dem Polizeipräsidium, da bekamen sie schon die dringende Nachricht. Claire und Don machten sich auf den Weg in die zweite Etage, der sogenannten Chefetage, nur Vorgesetzte oder solchen denen ein dringendes Gespräch mit Autoritätspersonen drohte, hielten sich hier auf, einfache Officers wie Clair und Don mieden diesen Ort. Unter den Kollegen herrschte ein hoher Respekt gegenüber ihren Vorgesetzten. 

"Ich werde es ihm sagen. Ich werde es ihm sagen, dass Jimmy niemals Selbstmord begangen hätte.", sagte Claire während sie zusammen mit Don die Treppe zur Chefetage hinauf ging. Sie bogen in einen breiten Flur ein, an denen rechts und links nur Büros mit großen Fenstern zu finden waren, die Jalousien vor den meisten Büros waren jedoch zugezogen. 

"Jede Wette Logan wird dir eine erneute Untersuchung nicht erlauben. Bei der Beweislage wird er dir sagen dass es sinnlos ist.", versuchte Don seine Kollegin zu beschwichtigen. Nun standen sie beide vor Sergeant Logans Büro, Claire warf Don noch einen letzten ich-weiß-es-besser-Blick zu und klopfe an die Tür. Ein gelassenes "Herein.", drang von der anderen Seite hervor, Claire und Don traten ein. Sergeant Logan begrüßte sie mit einem stummen nicken. 
"Ich weiß, dass sie gute Freunde von Officer Henderson gewesen sind und dass sie auch die ersten waren, die seinen Leichnam am Tatort gefunden haben. Daher biete ich ihnen an, sich aus dem Fall zurück zuziehen, ich werde ihre Berichte  weiterleiten.", forderte Logen sie auf.
Claire trat entschlossen auf den Sergeant zu. 
"Sir, mir schwebt vor den Fall weiter zu verfolgen.", sagte Claire mit fester Stimmlage. Logan sah sie mit einem Ausdruck tiefer Skepsis an seine dunklen Augenbrauen zogen sich in der Mitte über der Nase zusammen. In seinem Gesicht stand ein großes "Nein" geschrieben. 

"Weiterverfolgen? In wie fern? Detective Graham hat eindeutig Selbstmord festgestellt, es gibt keine Anzeichen auf Fremdeinwirkung.", knallte ihr Logan die Fakten vor die Nase. 

"Sir, ich kenne Jim Henderson schon seit Jahren und ich hege ernsthafte Zweifel an diesem Selbstmord.", mit angespannter Haltung erklärte Claire den Sachverhalt.  Don bemerkte die missmutige Laune, die sich sichtbar bei Sergeant Logan niederließ und sah ihm förmlich an, dass Claire mit wagen Vermutungen bei ihm auf Granit biss. 
"Sir, in einer Einladung die auf Hendersons Tisch lag war ein Datum und ein Ort vermerkt. Ich bitte um Erlaubnis diese Veranstaltung untersuchen zu dürfen.", war Don dazwischen. Logan dachte eine Weile nach, das Abwägen von Zustimmung und Ablehnung war bei ihm immer ein Prozess von Geduld und Warten gewesen. 

"Sie meinen diese Halloweenfeier. Nun gut, sollte diese Untersuchung jedoch nichts bringen, möchte ich sie wieder wie gewohnt bei ihrer Arbeit sehen.", beäugte Logan Claire und Don penibel von oben bis unten.

Don und Clair verließen erleichtert die zweite Etage. 
"Donnie, ich wusste du lässt mich nicht hängen.", lächelte Claire, als sie die Treppen hinabstiegen. Der Officer ging unbeirrt neben ihr entlang. 
"Es ist für einen guten Kumpel Claire. Das schulden wir ihm."

 

* * *



Der dunkelrote Ford Mustang parkte vor Jasons Haus, mit einem Telefon am Ohr stieg Jane aus. 
"Gut dass ich dich endlich erreiche Mik.", sprach Jane. Jason kam ihr entgegen und half ihr den großen Karton und eine Tasche aus dem Wagen zu tragen. 
"Pass auf, du musst ruhig bleiben, es sind noch drei Tage bis Halloween. Wenn nichts mehr passiert, gut. Wenn doch etwas ist, rufst du mich sofort an.", eine Pause folgte, in der Jane und Jason mit allen Sachen in das Haus gingen. 

"Ok Mik, komm am einunddreißigsten ins Kino wir sind auf jeden Fall da. Verlass dich drauf. Bis dann.", sie ließ das Handy in ihrer Hosentasche verschwinden. Jason sah sie entrüstet an. 

"Wo sind wir an Halloween?", fragte er neugierig. Jane ging schnurstracks an ihm vorbei, ihr Kopf war voll von Ereignissen. 

"Erzähl ich euch gleich, es hat sich was getan.", sie folgte Jason in das Haus.

In kürzester Zeit waren auch Bill und Mary in der Küche eingekehrt und haben am Tisch platz genommen. Jane hielt einen Moment inne und deutete auf den Jäger und Antiquar. 

"Du bist Bill, oder?", fragte Jane. Die Antwort folgte im gewohnt trockenem Stil. 
"Und du bist das Mädchen mit dem Wundermesser. Ich hoffe du hast es noch.", sagte Bill. Mit gekonnter Bewegung zog sie das Messer aus einer Halterung an ihrem Gürtel, das immer gut von der Jacke bedeckt war und legte es auf den Tisch. Anschließend informierte sie die Runde über die Geschehnisse. 
"Ich habe gerade mit Mik Shelter gesprochen, dem Besitzer des Diner. Er leidet seit kurzem unter diesem Paranoia-Phänomen. Er bekam von Cloe eine Art Zwangseinladung zu einer Halloweenparty im Kino. Jane gab die Einladung herum, dass jeder sie ansehen konnte. Mary dachte sofort an jenen Tag zurück, als sie und Jane das Personal über das Kino befragt hatten, dort wurde dieser Tag auch schon angekündigt? 'Was also wurde hier geplant?', fragte sie sich. 

"Ich denke hier wird so was wie das große Highlight stattfinden, das ist das erste Mal, dass Cloe an die Öffentlichkeit tritt.", meldete sich Mary zu Wort. "Sie trommelt all ihre Statisten zusammen."

Eine unheimliche Stille trat ein, statt der gewohnten Diskussionen oder Planung für ihr Vorgehen, herrschte tiefstes Schweigen, weder Mary noch Jason oder Bill verloren ein Wort. Jane kam das etwas merkwürdig vor. 

"Was ist los? Jemand gestorben?", fragte sie. Jason legte Marys Filmstreifen vor ihr auf den Tisch. Jane betrachtete ihn eingängig. 
"Mary hat ihn aus der Unterwelt mitgebracht.", erklärte Jason. Jane legte ihn wieder zurück. 

"Warum sollte ich mit dem Messer auf Mary losgehen? Warum...", sie wollte gerade einige Vermutungen anstellen, als Bill ihr ins Wort fiel. 

"Es geht nicht darum jemanden zu beschuldigen. Mir wäre es vor allem wichtig, dass wir uns vor Fremdeinwirkung schützen, damit meine ich so was wie Zauber oder Bannsprüche.", erklärte er ruhig. Kaum hatte er dies ausgesprochen, enthüllte Jane das N-förmige Runen-Tattoo auf ihrem Nacken, Mary zeigte die Kette mit demselben Symbol um ihren Hals und Jason hatte die Rune in kleine neben seinem Bauchnabel tätowiert. 

"Ok, ok, dann werde ich mir auch mal eine Schutzrune fertig machen. Ich wollte es ja nur noch einmal erwähnt haben." Bill humpelte in Richtung des Wohnzimmers, Jason folgte ihm.
"Ich wollte dir nichts vorwerfen.", entschuldigte sich Mary. 

"Ist schon in Ordnung. Alles hier spielt im Moment verrückt.", entgegnete ihr Jane. 

"Manchmal, weiß ich kaum noch was ich denken soll.", sagte Mary. Jane setzte sich auf den Küchentisch. 

"Wenn wir das wüssten, müssten wir keine Gottheit beschwören.", meinte sie. Ihr Blick glitt hinab in ihre tiefsten Gedanken und der Hoffnung, das ihre nächster Schritt einen Erfolg mit sich brachte.

Alle vier hatte sich im Wohnzimmer versammelt, sie saßen in einem großen Kreis, der mit allerhand verschiedenen Runen, sowie einem Pentagramm gestückt war. Bill gab die letzten Anweisungen.

"Mary, sobald ich die Formel spreche legst du das Messer in die Schale und gießt Wasser darauf.", begann er. Jane sah belustigt in die Runde. 

"Hört sich das nicht mehr nach Poseidon an?", versuchte sie ihre Nervosität zu verdecken. Synchron antworteten ihr Bill und Jason. 

"Ruhe auf den billigen Plätzen.", Jason grinste Jane an und flüsterte ihr zu "Das ist sein Lieblingsspruch." 

Bill legte nun eine ernstere Miene an den Tag. 

"Wenn ich um ein paar Minuten eurer Aufmerksamkeit bitten darf. Ich fange jetzt an.", murmelte er. Das Augenmerk lag nun komplett auf Bill, der das alte Buch über die drei Moiren in der Hand hielt. 

"Gaía, stoicheiódeis dynámeis, téras. Psáchno gia éna ónoma. Días . Steílte ton se mas, boró na anaféro óti se aftón apó ton Día tou prépei Sas kaloúme, érchontai se eiríni.", las er vor. Mary ließ das Wasser über das Messer laufen.
Minuten verstrichen, nichts geschah. Jane sah vorsichtig nach rechts und nach links. 

"Was jetzt?", fragte sie Bill, der wie angewurzelt vor ihr saß. 

"Das frage ich euch.", klang eine tiefe raue Stimme durch den Raum. Ein beinahe zwei Meter großer Mann mit schulterlangen, grauen, gewellten Haaren stand hinter Jane und musterte den Kreis, in denen die vier Personen saßen. Bill starrte förmlich auf die stämmige Gestalt des Mannes und wunderte sich ein wenig, dass dieser mit seiner schwarzen Jacke und der blauen Jeans, genauso aussah wie einer von ihnen. Andererseits musste er feststellen, dass er auch sonst keine Vorstellungen hatte, was für eine Gestalt sonst hätte erscheinen können. 

"Zeus?", fragte er unschlüssig. Zeus wanderte um den Kreis herum und betrachtete ihn sehr genau. 
"Ihr hab euch ja richtig Mühe gemacht. Also, was wollt ihr von mir?", fragte der große Mann. Jason ergriff das Wort. 

"Es geht um die drei Moiren, deine Töchter. Genaugenommen um Klotho, sie ist hier in Chainston und verwandelt die Leute nach und nach in ihre Leibeigenen.", erzählte er. Zeus beendete seine Runde und setzte sich an Janes Seite. 

"Klotho oder Cloe. Ich bin ihr schon seit geraumer Zeit auf der Suche nach ihr, sie ist weggelaufen. Wisst ihr was sie gemacht hat, als ich sie vor ein kurzem zur Rede gestellt habe?", er legte eine Hand auf Janes Schulter ab, seine Erzählung klang, als redete er zu alten Kumpels, die neben ihm an der Bar saßen. 

"Sie hat mich in ihre Unterwelt gesperrt. Die Mächte des Schicksals stehen über meinen, deswegen kann ich sie nicht einfach so wieder zu ihren Schwestern bringen.", sprach er- Mary meldete sich misstrauisch zu Wort. 

"Jane und ich waren ebenfalls in der Unterwelt und konnten von dort aus fliehen. Wie kommt es...", sie klang verwundert über seine Schilderungen. Zeus unterbracht sie mit heiterem Gesichtsausdruck.

"Du meinst den Ort mit den augenlosen Tierchen und den sich auflehnenden Unterbewusstseins-Szenen?", fragte er. "Da seid ihr vor den Toren zur Unterwelt herumgelaufen. Seid froh, dass ihr nicht eine Abteilung tiefer gelandet seid.", klärte er sie auf. Den hellblauen Augen von Zeus, haftete eine starke Enttäuschung über die Tat seiner Tochter an, doch wollte er sich dies auf keinen Fall anmerken lassen.

Bill merkte wie sie langsam vom Thema abschweiften, dabei gab es noch wichtigeres zu klären. 

"Kannst du uns helfen Cloe zu vernichten?", fragte er ernst. Der Gott lachte, es klang aber mehr wehleidig als belustigt. 

"Nein. Keiner kann sie vernichten, aber wir können sie wieder dahin zurückschicken, wo sie hingehört. Ich habe auch schon eine Idee. Dazu muss ich sie aber mehr oder weniger überraschen. Das bedeutet für euch, dass ihr sie suchen müsst, erst wenn ihr  Cloe gegenübersteht, ruft ihr mich. Ich werde auch eine schöne Überraschung mitbringen.", Zeus blickte erneut über die Runde hinweg. Jane wusste schon genau wann der Tag der Begegnung sein würde. 

"Am einunddreißigsten Oktober werden wir sie im Cesars Theatre sehen. Dann rufen wir dich.", im Gegensatz zu den anderen klang Jane zielgerichteter, ihre Worte besaßen einen auffordernden Charakter. Erstaunt über so viel Enthusiasmus begann Zeus wieder zu lächeln. 

"Jane, stimmt's? Du solltest vorsichtig sein Cloe hatte dich schon einmal fast in ihrem Film.", bemerkte Zeus. Beide starrten einander tief in die Augen, Zeus schien etwas in ihr zu sehen, seine Pupillen leuchteten ein wenig heller als zuvor - Jane hatte ein flaues Gefühl im Magen so tief drang sein Blick in ihren Verstand. 

"Es ist beschlossen, am einundreißigsten Oktober sehen wir uns. Ich schulde euch was, dafür dass ihr mich aus diesem stinkenden Loch geholt habt." Damit löste sich Zeus lautlos in Luft auf und ließ Jane, Mary Jason und Bill zurück.

 

* * *



Die wenigen Tage, die bis Halloween übrig blieben verliefen außergewöhnlich ruhig in Chainston. Fast schon hätte man meinen können alles wäre wieder wie früher, jedoch wirkten die Straßen der Stadt wie leer gefegt, da ein beachtlicher Teil der Chainstoner es vorzog sich vor Angst in ihren Heimen zu verbarrikadieren. Jane war hinter dem Haus von Jason verschwunden. Momentan wohnten sie und Mary hier. Selbst Bill, der ganz nebenbei noch ein Geschäft führte war jeden Abend bei ihnen und half bei der Vorbereitung auf den großen Tag. 
Wumm-klack, hämmerte ein Geräusch durch die betäubende Stille des Waldes, zwei Holzklötze fielen von einem Podest. Jane war dabei etwas Holz für den Kamin zuhacken. Sie war vollkommen vertieft in ihre Arbeit, es lenkte sie zumindest für diesen Moment ab und sie machte sich einmal keine Gedanken über Chainston und seine Bewohner, die nach und nach alle den Verstand verloren. Vielmehr dachte sie an Jason und daran mit welcher Gefühlskälte sie ihm im Moment entgegentrat. Im Grunde sehnte sich nach der Art von Beziehung, die sie hatten, als sie noch in Greenbay Hill waren. Der rationale Teil in Jane jedoch sagte ihr, dass solche Schwächen jetzt fehl am Platz waren. Sie konnte es sich nicht leisten gegenüber Cloe noch einmal den Kürzeren zu ziehen. Damals hatte sie es weitaus mehr als nur zwei Jahre ihres Lebens gekostet. Der Gedanke an Cloe ließ die Wut in ihr zurückkehren. Klack. Mit voller Wucht, schlug sie die Axt auf das Holzstück.
Plötzlich nahm sie im Augenwinkel eine Bewegung wahr. Jane hielt die Axt fest in den Händen und ging mehrere Schritt in den Wald hinaus. Ihre Ohren folgen jedem noch so leisen Geräusch. 

"Wer ist da?", rief sie, entdeckte aber niemanden. Erneut huschte eine dunkle Silhouette am Rande ihres Sichtbereiches entlang, diesmal schien sie näher zu sein. Mit vorsichtigen Schritten und die Axt fest umklammert, ging Jane in die Richtung aus der die Bewegung kam. Ein Lichtschimmer reflektierte etwas auf dem Boden. 

"Was zum...", Jane hob es auf, es war ein altes Foto. Darauf war Jane zu sehen sie lag leblos auf einem Bett, Sanitäter und Polizisten standen um sie herum. 

"Was für ein beschissener Witz.", sagte sie leise und steckte das Foto in ihre Hosentasche. Danach ging sie wieder zurück, sammelte das geschlagene Holz ein und eilte schnellen Schrittes zurück in das Haus.

Das hämische Grinsen von Cloe Tafé tauchte hinter einem der Bäume auf, sie sah Jane wie sie gerade im Begriff war in das Haus zu gehen. 

"Ich habe dich nicht vergessen Jane Enfield. Ich warte auf dich.", flüsterte sie.

"Ich warte auf dich.", schallte ein Echo durch Janes Verstand, kurz bevor die Tür hinter ihr zufiel. Sie atmete tief durch 'bleib ganz ruhig', sagte sie sich uns setzte ihren Weg in das Wohnzimmer fort. 

Premiere

 

 31. Oktober - Halloween. 

 

Die Sonne stand wie ein oranger Ball ein paar Meter über dem Horizont und entriss dem Untergang noch einige Minuten. In den Wohngebieten liefen verkleidete Kinder mit ihren Eltern umher auf der Suche nach Süßigkeiten. Eine Clique von Jugendlichen, die sich als Clowns verkleidet hatten, ließen sich mit einer Kiste Bier an einer Kreuzung nieder und erschreckten die Leute, in dem sie mit Hilfe von kleinen roten Kapseln Blut aus ihren Mündern tropfen ließen.

Clair Whitefield und Don Jones parkten ihren Streifenwagen schräg gegenüber des Cesars Theatres, sie trugen keine Uniformen, da sie es für klüger hielten nicht gleich zu Beginn der Veranstaltung alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. 
"Bist du bereit Don?", Claire überprüfte ihre Waffe an ihrem Gürtel, wie sie es vor jedem Einsatz tat. "Don? Don!", rief sie ihn aus seinem Gedankenstrudel zurück. Ihr Partner tauchte träge aus seiner Welt der Erinnerungen auf, in der er sich immer wieder frage was sie hier eigentlich suchten. 
"Bereit für was? Jimmy war einer unserer besten Freunde, dass hier bringt ihn auch nicht wieder zurück.", sagte er schwermütig. Clair rollte mit den Augen. 

"Reiss dich zusammen. Du weißt so gut wie ich, dass er niemals Selbstmord begangen hätte. Wir müssen rausfinden wer ihn dazu getrieben hat.", hielt sie ihm die Fakten vor augen. Don nickte langsam und stieg aus dem Wagen, Claire folge ihm.

Die Autos von Jane und Jason parkten ebenfalls in der Nähe des Kinos. Sie waren mit zwei Wagen gekommen, da sie Jasons schwarzen Dodge Avenger kurzerhand in Bills Kontrollzentrale verwandelt hatten. Er war auf der umgeklappten Rückbank ausgestattet mit zwei Laptops einem Funkgerät, ein paar Büchern und einem großen Arsenal an Schusswaffen. Von hieraus behielt er das Geschehen über Minikameras im Auge, mit denen die drei ausgestattet waren. 

"Wir sind da. Bill hast du alles zum Laufen gebracht?", Jason sah ihm über die Schulter, wie er am Laptop eine Verbindung zu den Kameras aufbaute. 

"Ha! Ich mache so was nicht zum ersten Mal. Alles was ihr noch machen müsst ist die kleinen Kameras im Kino zu verteilen, dann kann ich alles beobachten. Mary stieg aus Janes Mustang aus und  verfolgte das Geschehen um den Kinoeingang. 
"Seht Mal, da tut sich was.", bemerkte sie. Ein beachtlicher Teil von den Einwohnern Chainstons kehrte vor dem Kino ein, doch sie sahen allesamt aus, als gingen sie zu einer Beerdigung und nicht zu einer Halloweenfeier. Angst und Angespanntheit bestimmten die Stimmung. Jane sah auf ihre Uhr. 

"Es ist gleich acht. Lasst uns rein gehen.", sagte sie.

Die drei mischten sich unter die übrigen Gäste und betraten das Cesars Theatre. Der lange Gang, der zum Foyer führte war komplett mit roten schweren Vorhängen behangen und verhüllte die Wände komplett. Dies schuf eine ganz eigene unbehagliche Atmosphäre. Der Kinosaal selbst war noch verschlossen, so bildete sich vor der Tür eine Ansammlung hibbeliger und unruhiger Menschen, ein leises Gemurmel schlich durch den Saal, niemand hatte die Traute sich annähernd normal zu unterhalten. Es dauerte nicht lange, da schnellten Pappfiguren verschiedener Filmbösewichte, vor der Tür zum Kinosaal, aus dem Boden. Mittendrin tauchten Ben Henricson auf, er war gekleidet wie seine Lieblingsfilmfigur - James Bond. 

"Meine sehr verehrten Damen und Herren!", er wartete einen Moment bis sein Publikum verstummt war, was nicht all zulange dauerte. "Mein Name ist Henricson, Ben Henricson. I...Ich führe sie heute durch den Filmabend. Denken sie daran, I... Ich habe die Lizenz zum Filme zeigen.", seine Worte klangen noch unsicherer als je zuvor, geradzu als hätte man ihn gezwungen sein peinlichstes Geheimnis in die Menge zu posaunen. 

"Oh man, grottiger geht es echt nicht!", klagte Jason. Die Schweißtropfen flossen in Strömen von Henricsons Stirn herab. 

"A...Also dann. Betreten sie die große Halle.", zittrig fummelte er den Schlüssel aus seiner Hosentaschen, was ein schwieriges Unterfangen zu sein schien, denn sein Bauch wölbte sich im großen Bogen über den zu engen Bund seiner Hose und setzte seine Hosentaschen unter Hochspannung. Schließlich schaffte er es doch die große Doppeltür zum Kinosaal aufzuschließen. Sehr verhalten gingen die unfreiwilligen Besucher hinein und suchten sich, von hinten beginnend, ihre Plätze. 

"Das wirkt alles wie eine Beerdigung.", bemerkte Jane und ließ eine der kleinen Kameras am Eingang fallen. Mary lotste die drei in die Mitte des Saals und befestige die zweite Kamera an einem der Sitze vor ihr. 

"Was auch immer jetzt kommen mag, Bill wird es auch sehen.", sagte sie und ließ sich erwartungsvoll auf einem der kleinen Sessel nieder. Nachdem jeder Besucher einen Platz gefunden hatte, wurde der dunkelblaue Samtvorhang geöffnet. Aus den Lautsprechern an den Wänden erklang ein Orchester, das berühmte Filmmelodien spielte, die lauten Bässe dröhnten durch den Raum und ließen die Kompositionen übermächtig auf die Hörer niederschmettern. Die Minuten vergingen, das erste Stück war vorbei und noch immer hatte der Film nicht begonnen. Jason drehte sich um er wollte sich vergewissern, ob der Projektor im Vorführraum überhaupt schon eingeschaltet war und machte prompt eine Entdeckung. Die anderen Gäste starrten wie hypnotisiert auf die Leinwand, eine Frau schreckte zusammen und hielt sich die Hand vor den Mund. Für diese Leute schien der Film schon längst begonnen zu haben. Jason tippte Jane auf die Schulter. 

"Sieh mal nach hinten, hier stimmt was nicht.", sagte er leise. Jane und ebenso Mary drehten sich vorsichtig nach hinten, auch ihnen fiel das hoch konzentrierte Publikum auf. Jason holte das Funkgerät aus der Tasche, er hoffte die Filmmusik würde das Gespräch genügend überdecken. 

"Bill, hörst du mich? Alle in dem Saal scheinen einen Film zu sehen, nur wir drei schauen auf eine leere Leinwand.", ein leises Rauschen folgte, danach erklang Bills Stimme. 

"Sekunde, ich habe es gerade vor mir.", antwortete er kurz angebunden.

Eine Frau im Publikum fing an vollkommen ungehalten zu weinen. "Ich habe das nicht getan.", schrie sie.

Die beiden Officers Whitefield und Jones, die es gleichermaßen geschafft hatten sich unter die Gäste zu mogeln, starrten ebenfalls auf eine leere Leinwand. 
"Also hier passiert nicht viel, lass uns nachsehen was draußen vor sich geht.", schlug Claire vor. Beide erhoben sich von den Sitzen, aus der Reihe hinter ihnen brüllte sie ein Mann wütend an. 

"Hinsetzten da vorne, ich kann nichts sehen!", schrie er. Don sah ihn ganz und gar konfus an. 

"Man, was willst du denn da verpassen?", fragte er angesichts der leeren Leinwand. Der Mann aus der hinteren Reihe stierte ihn wütend an, es war aber weitaus mehr als das übliche Maß an Empörung, dass in dieser Situation zu erwarten gewesen wäre. Die Adern auf seiner Stirn traten so überdeutlich hervor, dass man annehmen konnte unter seiner Haut verliefen dicke Stahlseile, er fletschte seine Zähe wie ein angriffslustiger Wolf, der Speichel hing ihm in langen Fäden aus dem Mundwinkel heraus. Noch ein weiterer Besucher neben ihm legte eine solch schauderhafte Fratze an den Tag. Ohne jede Vorwarnung sprangen sie die beiden Officers an.

Bill meldete sich endlich über Funk. "So wie es aussieht bekommt jeder Paranoia-Patient seinen eigenen Film zu sehen. Der Sage nach ist dies die Offenbarung über das Persönliche Schicksal, danach folgt der direkte Weg in die Unterwelt.", erklärte er. Jason, Jane und Mary beugten sich über das Funkgerät, sie hatten es leiser gestellt um nicht zu sehr aufzufallen. 
"Gut Bill, bleib dran.", antwortete Jason. Der laute schmerzerfüllte Schrei einer Frau zeriss die zur Hochspannung aufgebaute Stimmung im Kino. Ein Schuss aus einer Waffe wurde abgegeben. 

"Was war das?", erschrocken hob Mary ihren Kopf in die Höhe. Sie konnte beobachten wie hinter ihnen eine Massenhysterie losbrach. Etliche der Besucher sprangen in Panik von ihren Sitzen auf, apathisch und desorientiert artikulierte jeder einzelne wirre Wortfetzen vor sich hin. Ein alter Mann, der schätzungsweise um die siebzig sein musste, klammerte sich an Mary fest, seine Finger gruben sich tief in ihren Oberarm und drückten ihr allmählich das Blut ab. 
"Lassen sie mich los.", schrie sie vor schreck. Jane verpasste dem Mann einen ordentlichen Stoß gegen den Brustkorb, sodass er sofort zurück in seinen Sitz fiel. 

"Wir sollten aus dem Saal verschwinden.", gab Jason den beiden zu verstehen und ging voran. Doch sie kamen nicht weit, auf dem Weg zur Tür herrschte ein noch größeres Chaos. Alle Menschen rannten wie wild durcheinander, darunter auch solche, die in eine regelreche Raserei verfielen und unkontrolliert um sich schlugen. Jodi Adam hockte geistesabwesend auf einem Stuhl, sie wiederholte ständig den Satz "Ich war es nicht - ich kann es nicht gewesen sein." 

Steven Hattkins stand auf einem der Kinosessel und schrie und brüllte die Leinwand an, seine Stimme drohte dabei schon zu versagen.

Jane, Mary und Jason wurden zwangsweise in die Richtung der Leinwand gedrängt, in der anderen Richtung war kein Vordringen mehr möglich. Jason wollte eine junge Frau vorsichtig beiseite schieben, er legte seine Hände auf ihre Schulter. Ruckartig drehte sich die brünette Frau um und jagte ihm einen gewaltigen Schauer über den Rücken, als sie ihr blutverschmiertes Gesicht preisgab. Die Frau hatte angefangen an ihrem Unterarm zu nagen, vereinzelt hingen Fleisch- und Hautfetzen aus der Verletzung heraus - sie ließ sich von Jason aber nicht abbringen und vergrub ihre Zähne wieder in der Wunde. Jane nahm einen Mann wenige Meter von sich entfernt wahr, er versuchte ebenfalls sich nach vorne durchzukämpfen. Bei näherer Betrachtung stellte sie fest, dass es sich hierbei um den Besitzer von Gwens Diner handelte. 

"Mik! Mik, hier!", rief sie ihm zu. Der Mann drehte sich um. 
"Jane, ich bin so froh dich zu sehen.", stieß er erleichtert aus. Zu viert kamen sie am vorderen Ende des Raumes an und kletterten auf das Podest vor der Leinwand, von hier aus hatten sie die Meute besser im Blick.

"Claire, nein!", grölte Don verzweifelt durch den Saal. Die abgrundtief zornigen und aggressiven Menschen hatten Claire gebissen und dabei ihre Halsschlagader getroffen. Don schoss sofort auf den Angreifer, dies schien ihn auch kurzerhand außer Gefecht zu setzten, doch dann geschah etwas Sonderbares. Ein Schatten stand plötzlich vor dem Angreifer, eine schwarze, menschliche Silhouette. Sie schüttelte sich, sodass ihre Gliedmaßen - insofern man von Gliedmaßen sprechen konnte - zuckten, wie Laub im Wind umherzitterte. Das schattenartige Etwas verschloss das Einschussloch in dem Körper des Mannes und der Angreifer schlug umgehend seine Augen wieder auf. Die schwarze Gestalt umschloss ihn nun in Form von kleinen Nebelfeldern. Entsetzt flüchtete Officer Jones in Richtung der Leinwand, so schnell wie es überhaupt möglich war.
Jason, Mary, Jane und nun auch Mik hatten alle Hände voll zu tun sich die wildgewordenen Leute vom Leib zu halten, immer öfters waren jetzt auch aggressive Exemplare unter ihnen, die vor nichts mehr Halt machten, sie schlugen sogar andere Gäste nieder, wenn diese zwischen ihnen und ihrem Begehren standen.

"Jane, ich habe Gwen auf der Leinwand gesehen. Sie sagte ich hätte alles verbockt.", rief Mik ihr zu, während er einen wütenden Mann von dem Podest stieß. 

"Du darfst nicht glauben was du hier gesehen hast. Für all das ist Cloe Tafé verantwortlich. Sie ist eine durchgedrehte Schicksalsgöttin.", antwortet Jane. 
"Grundgütiger!", Mick blieb für einen Moment fassungslos stehen, diese ganze Situation fühlte sich an wie die Summe all seiner Alpträume. Mary griff nach dem Funkgerät. 

"Bill, siehst du was hier passiert? Überall aus dem Boden steigen merkwürdige Schatten auf und sie scheinen die Menschen zu besetzen. Was sollen wir machen?", schrie sie in das Funkgerät. Ein Rauschen knisterte durch die Leitung. 

"Jane soll es mit dem Messer probieren, es ist ein altes Artefakt mit reinigender Wirkung.", antwortete er. Mary hob ihren Kopf. 
"Jane, das Messer!", rief sie. Jane zog die Klinge aus der Halterung ihres Gürtels es leuchtete abermals auf, wie in der Nacht, in der sie und Jane vor den Toren von Cloes Unterwelt gefangen waren. Sie sprang auf den nächsten Angreifer zu und verpasste ihm einen tiefen Schnitt in den Oberarm. Mit einem zischenden Geräusch entwich der Schatten aus dem Körper. Die vier beobachteten hoffnungsvoll das Geschehen, doch die Zuversicht hielt nicht lange an, der entsprungene Schatten suchte sich sofort einen neuen Körper.

"Verdammt!", brüllte Mik eine der schwarzen Silhouetten hatte ihn in einen eisernen Griff gewickelt. Jason stand bei ihm und versuchte Mik aus dem schwarzen Nebel zu befreien. Doch es war bereits zu spät, innerhalb von Sekunden brach Mik zusammen, sein ganzer Körper war umhüllt von dem dunklen Dunst. 
"Gwen ich kämpfe.", flüsterte er bevor sein Körper anfing zu zucken, als hätte er einen epileptischen Anfall. Jane wollte gerade zu Mik hinüber spurten, als sie hinter sich ein höhst verdächtiges Klicken hörte. Es war das Geräusch, dass eine Pistole machte, die entsichert wurde. 

"Messer runter.", befahl ihr eine mechanisch-monotone Stimme. Jane riskierte einen Blick über ihre Schulter: ein Polizist, den sie nur an der Marke an seinem Gürtel erkennen konnte, zielte mit einer schwarzen Pistole auf ihren Kopf. Jane überlegte was von ihr übrig blieb, wenn der Mann den Abzug betätigte und entschied sich doch das Messer fallen zu lassen. Officer Jones trat es bei Seite, sodass es direkt vor der Leinwand zum liegen kam. 

"Auf die Knie", befahl er ihr tonlos. Mary kam der Polizist seltsam vor, seine Augen waren voller Angst und seine Bewegungen wirkten so steif, wie bei einer Marionette. Sie konnte erkennen, dass hinter seinem Rücken ein gewaltiger Schatten saß. Danach durchfuhr sie ein unangenehmer Schauer, eine Kälte breitete sich in ihr aus und ihre ganze Wahrnehmung geriet ins Wanken. Für Mary wirkte alles plötzlich zeitverzögert und sie stellte fest, dass ihre Beine drohten nachzugeben. Jason fing sie auf, erst jetzt bemerkte Mary dass sich kleine schwarze Nebelfelder überall um ihren Körper gebildet hatten. 

"Neeein! Jane, Jason, helft mir!", klang es voller Entsetzen aus Marys Mund.

Jane wurde sich der Gefahr in ihrem Rücken immer weniger gewahr, gerade eben musste sie mit ansehen wie die Schattenwesen Besitz von Mary ergriffen und sie konnte nichts tun. Ihre Verstand versetzten ihr einen Stoß, sie musste etwas tun - Mary helfen, aber wie? 

"So Jane, höchste Zeit, dass du deinen Film bekommst, dich schiebe ich schon viel zu lange vor mich hin. Ganz ehrlich, du hättest wirklich eine Hauptrolle verdient!", sagte der Officer. Spätesten jetzt war ihnen klar, wer eigentlich vor ihnen stand - Cloe Tafé. 
Officer Jones zielte nach wie vor mit seiner Glock 21 auf Jane, die Menschenmenge im Hintergrund schien dieses Ereignis ebenfalls zu beobachten, auf einmal kehrte etwas Ähnliches wie Ruhe ein. Jeder einzelne von ihnen fixierte den Polizisten oder das was hinter dieser Maske steckte. Immer mehr und mehr Schatten stiegen empor und okkupierten ihre bewegungslosen Opfer, der Kinosaal wurde zu einer einzigen finsteren Masse. Im Augenwinkel bemerkte Jane, wie die Leinwand anfing zu flackern, Stück für Stück setzte sich ein bleiches Standbild zusammen. Sie kniff die Augen zu, was auch immer dort gerade entstand, Jane wollte es nicht sehen, sie hatte eine Wage Vermutung von dem was sie zu Gesicht bekommen könnte und das Reichte ihr voll und ganz. 'Ich bin geheilt, seit langem.', blitzte es in Janes Gedanken auf. Kaum einen Gedanken verschwendete sie an die Zeit, in der sie auf der Seite der Paranoia-Patienten stand; kaum einen Gedanken verschwendete sie an die Zeit, in der sie beinahe den dümmsten Fehler ihres Lebens begannen hätte; kaum einen Gedanken verschwendete sie an die Zeit, in der sie sich fast auf Cloe Tafé eingelassen hätte. Der besessene Officer packte Jane grob im Nacken und riss sie aus ihrer Position, sodass sie nun unmittelbar auf die Leinwand sehen musste. Sein Mund näherte sich ihrem Ohr und nun konnte Jane Cloe überdeutlich wahrnehmen, es war ihre unverkennbare furchteinflößende Art und Weise. 
"Sie es dir an, das ist dein Film. Ich habe ihn extra für den Schluss aufgehoben.", flüsterte sie ihr ins Ohr. "Sie es dir an!", brüllte Cloe und drückte ihr Jones Pistolenlauf an den Hinterkopf. Jane öffnete die Augen. 

"Jane, nein. Sieh weg, schnell!", rief Jason aus der Ferne, doch es war bereits zu spät, sie erblickte das Standbild voller aufkeimender Schuldgefühle und allen Erinnerungen die sie verdrängt hatte. Das Bild zeigte Jane wie sie bewusstlos auf einem Bett lag, Polizisten und Sanitäter standen um sie herum. Jones packte Jane kräftig an den Schultern und schleuderte sie mit unmenschlicher Stärke in Richtung der Leinwand. Entgegen ihrer Erwartung prallte Jane jedoch nicht gegen den Stoff, dort wo sie den Wandschirm berührte, wurde die Oberfläche wässrig und schimmerte in einem hellen violett. Die Zeit schien sich stark zu verlangsamen, als Jane in den Film eintauchte, dies und ein Adrenalin geputschter Reflex ermöglichte es ihr nach dem Messer zu greifen, dass Jonson mit einem Tritt vor die Leinwand gestoßen hatte.

Nun stand sie auf der anderen Seite, inmitten der eingefrorenen Szene, in der sie ohnmächtig auf dem Bett lag. Es herrschte eine Totenstille kein einziges Geräusch war zu hören. Ein Sanitäter war über sie gebeugt und schien sie zu beatmen, die Polizisten im Hintergrund schienen den Raum zu untersuchen. Allesamt standen sie bewegungslos da. Jane erinnerte sich genau an diesen Ort, es war ihre Wohnung, ihr letzter vernünftiger Wohnsitz, bevor ihr ganzes Leben mit einem Schlag umgekrempelt wurde. Plötzlich kippten die ganzen Personen um, wie kleine Zinnsoldaten, der ganze Raum schien an Farbe zu verlieren, zurück blieb ein matter Grauschimmer. Danach lief eine schwarze Flüssigkeit die Wände hinauf und tauchte alles in tiefe Finsternis, alles wurde schwarz.

Eine neue Szene fügte sich vor ihr zusammen: Eine große Stadt, rechts und links befanden sich verschiedene Geschäfte und auf dem breiten Bürgersteig tummelten sich unzählige Menschen. Janes Film-Ich ging auch auf diesem Fußweg entlang, sie sah sich oft hastig um und schien den kläglichen Versuch zu unternehmen ihre komplette Umwelt im Auge zu behalten. In immer kürzeren Abständen drehte sie ihren Kopf abwechselnd nach rechts und links. Die reale Jane war wie hypnotisiert von dem Anblick ihres früheren Ichs - seit diesem Vorfall hatte sie niemals wieder an diese Zeit zurück gedacht. Ein herannahender Bus fuhr dicht vor Jane entlang, er beendete ihre Beobachtung, denn als dieser vorüber gefahren war, wechselte die Szene ein weiteres Mal.

Janes Film-Ich und Cloe Tafé saßen zusammen in einer Bar, sie schienen sich schon seit einiger Zeit zu unterhalten. 

"Du bist nicht Paranoid, stell dir vor du spielst eine wichtige Rolle in einem Film und du bist schon mittendrin. Das Set ist die Welt da draußen und die Kameras nimmst du praktisch gar nicht wahr. Du hast die Chance in einem realen Meisterwerk mitzuwirken.", schallte Cloes Stimme durch die Szene. Die Film-Jane ließ das Angebot eine Weile auf sich wirken. 
"An sich klingt das ja ganz interessant. Aber das Gefühl die ganze Zeit beobachtet zu werden, macht mich fertig. Das ist auf Dauer nichts für mich.", antwortete die Film-Jane. Cloe strich mit einer Hand an Janes beinahe schulterlangen braunen Haaren entlang, ihre Augen folgten dieser Bewegung mit obsessivem Ausdruck. 
"Sei unbesorgt an den Zustand wirst du dich schon gewöhnen. Du wirst meine Hauptrolle - hübsch genug bist du zweifellos.", gab Cloe zurück. Die Film-Jane schlug Cloes Hand unsanft weg. 

"Von dem Ufer komme ich nicht und ich gebe meinen Verstand nicht für irgendein Projekt auf. Ich will das nicht mehr!", die Film-Jane klang wütend. Cloe grinste nun auf eine gequält wirkende, bösartige Weise, ihre Augen funkelten vor dem Gefühl der Überlegenheit. Auf einmal blieb die Szene stehen und als wäre der Projektor kaputt, ruckelte das Bild in kurzen, harten Abständen hin und her. Die reale Jane hatte nun das Gefühl, diese Cloe würde sie direkt anstarren, durch die Ruckler wirkte es fast schon so, als würde sie ihr zuzwinkern.

Daraufhin folgte ein wahres Feuerwerk an kurz aneinandergereihten Szenen: Jane rannte durch die Straßen. Jane brach in einem Restaurant zusammen. Jane rastete auf offener Straße aus und prügelte auf einen Polizisten ein, den sie als Kameramann beschimpfte. Jane schreckte aus jedem Traum auf, in der ihr Cloe erschien und sie heimzusuchen. Jane mit einer Flasche Bacardi und mehreren Päckchen Pillen in ihrem Schlafzimmer. 

Die reale Jane wollte und konnte das nicht mehr mit ansehen, ihr Herz raste unaufhörlich durch all diese Erinnerungen. 
"Stopp! Aufhören!", schrie sie in den Film hinein. Cut. Nun stand sie vor ihrer alten Schlafzimmertür, sie wusste was sie dahinter erwartete, dies war der Abend, an dem sie sich umbringen wollte. Jane ging vorsichtig in das Schlafzimmer hinein, ihr Film-Ich saß auf dem Bett, dunkle Schatten umgaben sie und ließen sie nicht mehr los. Die Film-Jane sah der realen Jane mit einem Tränenschleier vor den Augen an. 

"Sie dürfen mich nicht kriegen, lieber sterbe ich. Mein Verstand, meine Gedanken, sie gehören doch mir!", die Film-Jane weinte bitterlich. Jane ging zu ihr hinüber, ihr Film-Ich beobachtete sie mit müden Blicken, rührte sich aber nicht. Jane zog das Messer, danach nahm sie den Arm ihres Alter Egos und schnitt eine dünne Spur hinein. Während sie dies tat, färbten sie die blauen Runen in ein leuchtendes und kräftiges Orange. Mit einem Lauten Knistern, wie das eines Feuers und einem verzerrtem Schrei, der unmöglich von einem Menschen zu stammen schien, löste sich der Schatten auf. Er verschwand. Endgültig. Die Film-Jane sah die reale Jane verwundert an, ihre Augen waren weit geöffnet, danach schloss sie ihre Arme um ihr reales Abbild. 
"So kannst du Cloe wegschicken. Danke.", sagte ihr Film-Ich. Jane sah zur Schlafzimmertür. Statt des Flurs war dort der Kinosaal zu sehen, allen voran aber fiel ihr Blick auf Mary und Jason, der immer noch versucht die Schatten von Mary zu verscheuchen. Jane stand auf und eilte zur Tür hinüber. Sie warf einen letzten Blick über ihre Schulter die Film-Jane war verschwunden, danach schritt sie durch die Tür - zurück in die Realität - in das Hier und Jetzt.

Officer Jones lag mittlerweile am Boden, seine Augen waren geschlossen, es war schwer zu sagen ob er noch am Leben war. Im Kinosaal hatten einige der Besucher bereits die letzte Stufe ihrer schrecklichen Verwandlung erreicht. Sie bekamen leichenblasse Haut und ihre Augenlider verschmolzen mit der Haut, es sah so aus, als hätten sie niemals Augen besessen. Ihre Hände und Unterarme liefen schwarz an.
Jane rannte hinüber zu Mary, sie war zum Großteil mit Schatten bedeckt, allmählich stellte sich auch bei ihr ein Zittern ein. Sie lag mit ausdruckslosen Augen in Jasons Armen. Jane zog das Messer mit den orangen Runen. Jason sah Jane fragend an, das erste Mal spiegelte sich Angst in seinem Gesicht wider, jedoch raste dieser Augenblick in einem solchen Tempo vor seinem Verstand hinüber, dass er kaum zu einer Bewegung fähig war. Jane schnitt Mary in den Arm und wir zuvor bei der Film-Jane folgte ein Knistern und ein Schrei, der Schatten verschwand. Mary kam wieder zu sich. 
"Jane, was?", sie war außer Atem. 

"Lasst uns von hier verschwinden.", meinte Jane. Jason half Mary auf die Beine und zusammen stürzten sie sich in die Menge. Den Besessenen genügte schon der Anblick des Messers und sie wichen panisch zurück. Die Tür war schon in naher Sicht, doch ein großer Mann, der bereits zu einer augenlosen Kreatur geworden war versperrte ihnen die letzten Meter. Seine Arme waren Muskelbepackt und holte zu einem Schlag aus. Jane handelte sofort sie stieß ihm das Messer mit voller Wucht in die Brust. Kein Blut floss, nur die schattige Konsistenz verließ schreiend den Körper. Jason sprang währenddessen zur Tür, die er mit einem lauten Knall aufstieß. Zu dritt flohen sie aus dem Saal.

Mary sah sich nach etwas um, womit sie die Tür versperren konnte, ihr Blick hastete durch den das Foyer, sie wollte gerade zu der Couchgarnitur hinüberlaufen, als sie im Eifer des Gefechts mit einem Mann zusammenstieß. Es war kein geringerer als Bill Kingston, bewaffnet mit seiner Desert Eagle 50AE und einer abgesägten Schrotflinte, die um seine Schulter hing. 

"Ich kümmere mich schon darum.", sagte er in einem lässigen Tonfall. "Geht ihr zu Cloe." 

Jason eilte zu ihnen hinüber. "Einige sind schon verwandelt, für sie kommt jede Hilfe zu spät.", sagte er. Bill nickte. 

"Ich habe es gesehen. Ich werde sie zumindest eine Weile in Schach halten können. Beeilt euch.", sagte er- Die Drei liefen nach oben in den zweiten Stock.

Wenige Minuten später standen sie vor Cloes Büro, jetzt kam es drauf an, dass sie keine Fehler machten, schon die kleinste Unachtsamkeit konnte ihren ganzen Plan zu nichte machen. 
"Hast du alles griffbereit?", fragte Jane Mary. Zur Antwort klopfte Mary gegen ihre Tasche, die um ihre Schulter hing. 

"Schicken wir sie nach Hause!", antwortete sie. Jason verstand dies als sein Stichwort und er trat die Tür zum Büro mit einem wuchtigen Tritt auf.

 

* * *



Bill hörte die Schritte seiner Freunde, wie sie schnell die Treppe herauf rannten. Er fokussierte nun die halbherzig verschlossene Tür, die geradewegs zum Kinosaal führte, lediglich ein Sessel stand davor. Dahinter schlug schon eine der Kreaturen heftig dagegen, es würden nur noch Sekunden dauern, bis sie hindurch brachen. Bill senkte den Kopf, er sammelte all seine Sinne zusammen, nichts fand mehr Platz in seinen Gedanken, bis auf den bevorstehenden Kampf. Er ging humpelnd ein paar langsame Schritte auf die Doppeltür zu, sein künstliches Bein ließ er laut auf dem Boden krachend durch das Foyer stampfen. Sie sollten wissen, dass er hier ist und dass keinerlei Angst vor ihnen hatte. Er hatte in seinem Leben schon eine Menge merkwürdiger Dinge gesehen, die an den Grenzen seines Verstandes tiefe Einschnitte hinterließen. Genug um jetzt keine Angst vor ein paar wildgewordenen möchtegern Zombies zu haben.
BROCH. Wurde die Tür aufgeschleudert und eine der Kreaturen sprang heraus, ein kleinwüchsiges Exemplar, das seine hässlichen schwarzen Pranken ausweitete, als wolle es nach Bill greifen. Trotz der fehlenden Augen schien es genau zu wissen, dass sich ein Mensch vor der Tür befand und setzte zu einem Sprung an. Bill hob seinen Kopf und im Bruchteil einer Sekunde zielte mit seiner Desert Eagle in das Gesicht seines Gegners. Die Gravur "Hellfire", blitze in dem kurzen Schein des Feuers, das aufleuchtete als der den Abzug durch drückte. BAM. Der Schuss traf das Wesen genau über der Stelle, wo das rechte Auge hätte sein sollen und zwang sie in die Knie, zwei weitere Schüsse folgten und die kleinwüchsige Kreatur ging zu Boden. 

"Friss Blei du Bastard", sagte er und ging an dem Körper des Monsters vorbei.

"Lass mich du verdammtes Mistvieh.", rief eine Stimme aus dem Kinosaal heraus. Bill vernahm den menschlichen Schrei, in ihm keimte die Hoffnung auf, dass es dort drinnen noch ein paar überlebende gab. 

"Also doch die Tour durch die Hölle.", raute er sich selbst zu. Er wechselte zu seiner abgesägten Schrotflinte, dort drinnen wäre es wohl besser für den Nahkampf ausgerüstet zu sein. Die Waffe vorausgestreckt näherte er sich vorsichtig der Tür. drinnen war es recht dunkel, was es erschwerte aus der Entfernung Gegner zu erkennen. Kaum dass er einen Schritt in den Saal hinein machte, bekam er einen heftigen Schlag gegen den Kopf, erneut griff ihn eines dieser Monster an. Bill zögerte nicht lange, obwohl mächtig viele Sterne vor seinen Augen tanzten, machte eine schwerfällige Hechtrolle zur Seite, dabei zog er seine Schrotflinte und durchsiebte den Brustkorb seines Angreifers. Dieser taumelte erst ein paar Schritte rückwärts, fing sich jedoch schnell wieder und holte ein weiteres Mal mit seinen schwarzen Gliedmaßen aus. Schwarze Nebelfelder drangen aus seiner Brust. Bill schoss noch einmal auf die Kreatur, diesmal traf er den Kopf und feuerte ihm die linke Kopfhälfte weg, das Monster fiel zitternd auf den Boden. In Bill stieg der alte Jagdinstinkt auf und er kämpfte sich seinen Weg in die hintere Hälfte des Saals frei, von dem er aus die Stimme vernommen hatte. Hier und da stürzten sich einige der scheußlichen Gestalten auf ihn, die er jedoch schnell aus dem Weg räumte. 
"Nimm das du Drecksding!", hörte er einen junge männliche Stimme rufen, er musste sich in unmittelbarer Nähe befinden. 

Bill drehte sich ruckartig um, hinter ihm wollte sich gerade eine weibliche Ausgabe dieser Bestien an ihn heranschleichen, doch bekam sie einen heftigen Schlag auf den Kopf und stolperte einen Schritt zur Seite. Bill trug seinen Teil dazu bei und schoss noch einmal hinterher. Dann hob er die Waffe in die Richtung aus der der Schlag erfolgte. Ein ängstlicher junger Mann hob die Hände hoch. 

"Nicht schießen! Ich bin keiner von ihnen!", rief er panisch und umklammerte mit seiner rechten ein altes Stück Rohr. Bill musterte ihn flüchtig, er schien noch ein Mensch zu sein. 

"Kannst du mit einer Waffe umgehen?", fragte er während er noch immer auf den jungen zielte. 

"Ich habe ein paar Mal auf leere Dosen geschossen.", antwortete der Junge hektisch. Bill reichte ihm die abgesägte Schrotflinte und etwas Munition aus seiner Tasche. 

"Mein Name ist Bill. Ich will dir raushelfen.", sagte er. Der Junge griff nach der Waffe. 

"Ich bin Steven Hattkins. Dort in der Ecke sind noch überlebende, wir müssen sie herausschaffen!", meinte er panisch. Ein Mann trat aus der Ecke heraus, er stütze eine verletzte Frau, ihr rechtes Bein war von einem schweren Gips umschlossen. Bill starrte sie ausdruckslos an. 

"Das wird nicht einfach.", blickte er ihr tief in die Augen. Einen kurzen Moment schoss ihm das Bild jenes Abends durch den Kopf als Cloe ihm gegenüberstand. Der Schuss den Steven aus der Schrotflinte abgab holte Bill wieder zurück in das Geschehen. Zwei weitere Frauen kamen ebenfalls aus der Dunkelheit hervor. 

"Wir müssen hier raus!", schrie eine von ihnen, die Angst schien ihr tief in das Gesicht gemeißelt. 

"Bleibt zusammen. Ich gehe voraus!", rief Bill ihnen zu. Gemeinsam bahnten sie sich den Weg aus dem Kinosaal. Draußen im Foyer machte Bill eine erschreckende Entdeckung. Die kleinwüchsige Kreatur, die er zuerst glaubte erschossen zu haben, war verschwunden. Er blieb kurz stehen und sah sich um. Steven, der ihn dicht gefolgt war sah ihn fragend an. 

"Was ist los Bill? Wir müssen weiter zum Ausgang.", der Junge deutete mit dem Lauf der abgesägten Schrotflinte auf den mit Vorhängen verzierten Gang. 

"Etwas stimmt hier nicht. Ich habe hier vorne schon einen von ihnen erschossen - er ist aber weg. Wir müssen vorsichtig sein. Das stinkt nach einem Hinterhalt.", warte er die überschaubare Gruppe Überlebender. Leise schlichen sie sich an den letzten Gang heran, der sie vom Ausgang trennte. Darren, der die verletzte Frau stützte, in dem er einen Arm um ihre Taille legte und mit dem anderen ihre Hand festhielt, ließ seine Augen nicht von dem Gang, er hoffte, wenn er sein Ziel nicht aus den Augen ließ, mussten sie es einfach schaffen. "Vorsicht Trisha, jetzt kommt eine kleine Stufe.", wies Darren sie an. Er nahm flüchtig eine Bewegung des Vorhangs wahr, die ihn unerwartet aufzucken ließ. Dies hatte jedoch zur Folge, dass er Trisha für einen Moment nicht richtig festhalten konnte. Sie trat mit ihrem gebrochen Fußgelenk hart auf dem Boden auf. 

"Aaaaahh.", schrie sie auf. 

Zwei der Bestien sprangen aus den Vorhängen heraus, einer von ihnen musste einmal ein Bodybuilder oder etwas in der Richtung gewesen sein, er hatte muskulöse Arme und ein unmenschlich breites Kreuz. Neben ihm stand die kleinwüchsige Kreatur, die Bill schon einmal erschossen hatte, ein finsterer Schatten umgab seinen Kopf. 

"Verdammte scheiße!", brüllte Bill. "Das ist das Ding, das ich erschossen hatte." In der Tat zierten drei Einschusslöcher die Stirn der Bestie. 

"Zurück. Wir müssen zurück.", rief Steven. Doch kaum, dass sie sich umdrehten mussten sie feststellen, dass bereits drei weitere Monster aus dem Kinosaal stürmten. Bill schaute in die einzige Richtung die ihnen noch zur Verfügung stand. 

"Los, ab in das Foyer.", rief Bill. Darren nahm Trisha auf die Arme und zu fünft rannten sie zu den Tischen und Sofas. 
"Hey ihr!", wandte Bill seinen Befehlston an und deutete auf die beiden anderen Frauen. "Dreht die Tische um. Wir brauchen eine Deckung!" Amber und Piper gehorchten und bauten in Windeseile einen geeigneten Unterschlupf auf. Bill und Steven verkrochen sich hinter den vordersten Tischen. Von hier aus nahmen sie die aggressive Meute unter Beschuss. Trisha lag neben Bill auf dem Boden, sie stützte sich auf ihre Ellenbogen und reichte ihnen im Eiltempo die Munition nach. Darren, Amber und Piper waren damit beschäftigt allerlei Gegenstände nach ihren Gegner zu werfen um sie zumindest etwas zu verwirren. 

Trisha sah zu Bill mit großen Augen an, Verzweiflung dominierte ihr Gesicht und ihre Stimme. 

"Bill, es sind nur noch zwei Magazine und fünf Patronen für die Schrotflinte übrig.", stellte sie erschrocken fest. Bill schluckte schwer. Er machte Anstalten etwas zu sagen, sein Mund öffnete und schloss sich wieder während er seine Gegner nicht aus den Augen ließ. Sie konnten sie nicht töten. Bill konnte nur hoffen, dass Jane, Mary und Jason schnell ihren Plan ausführten, sonst sehe es für die paar Überlebenden und ihn selbst mehr als düster aus. 

 

* * *



Die Tür flog mit einem Lauten Krachen auf. Drinnen saß Cloe hinter ihrem großen Schreibtisch, sie versuchte halbwegs überrascht zu wirken. 

"Wie schön, ich hatte gehofft ihr würdet kommen. Vor allem du Jane, hat dir der Film gefallen?", sie klang äußerst erwartungsvoll. Jane betrachtete sie mit einer Wut, die sich während ihrer Wanderung durch den Film, bis zu einem ungesunden Maß angesammelt hatte. 
"Lausige Vorstellung, das hab ich alles schon einmal gesehen.", erwiderte Jane. Cloe lächelte ihr hübsches, einstudiertes Lächeln, in dieser Nacht wirkte es noch aufgesetzter als je zuvor. 
"Ihr müsst aber zugeben, als ich den Officer auf die Bühne geschickt habe, habt ihr es wirklich mit der Angst zu tun gehabt, oder Jason? Hattest du Angst um Jane? Oder hättest du sie lieber sterben sehen, als weiterhin die Befürchtung zu hegen, sie würde früher oder später wieder durchdrehen.", die Frage traf Jason genau an dem wunden Punkt, den er die ganze Zeit lang verborgen hielt. Er ging empört einige Schritte auf sie zu. 
"Du Miststück! Du kannst nicht mehr als Leute manipulieren!", raunte er. Cloe tat diese Bemerkung mit einer gelangweilten Handbewegung ab. Sie erhob sich von ihren Schreibtisch und ging wenige Meter in den Raum hinein, in die Richtung, in der Mary stand. 
"Was ist eigentlich mit dir Mary? Denkst du immer noch es wäre besser gewesen diese Paranoia, oder wie ihr es nennt, niemals hinterfragt zu haben?", Cloe versuchte erneut in ihre Gedanken einzudringen. 

"Das reicht jetzt!", schrie Jane in einem äußerst rauen Wortlaut. Sie zog ein Messer aus ihrem Gürtel und stürmte auf ihre Widersacherin zu. Cloe erhob ihre Hand. 

"Malakó píso", rief sie und löste damit eine Druckwelle aus, die sie gegen ihre Angreiferin richtete. Jane ging mit dem Gesicht voran vor Cloe zu Boden. Ihre Stirn machte dabei eine harte Landung auf dem rauen Teppichboden, dabei ließ sie das Messer fallen. Cloe hob es auf, ihr hübsches Gesicht wurde zu einer verstörten, ernsten und nun auch hässlichen Fratze, in der sich tiefe Falten bildeten 

"Das ist nicht das Moira-Messer!", stellte sie erschrocken fest. Jane sah sie mit einer Selbstsicheren Mine an. 

"Stimmt.", sagte Mary, sie hielt das Original in der Hand und ließ eine Flasche Wasser darüber laufen. 

"Días emfanízetai. Tha sas tilefonísoume.", sprach sie. 

"Das hast du wohl nicht kommen sehen, was?",  sagte Jane, immer noch am Boden liegend und betrachtete Cloes eingefallenes Gesicht

Zeus erschien unmittelbar vor Cloe, mit ihm zwei weitere Frauen. Auch sie waren bildhübsch, genauso wie Cloe. 

"Sag hallo zu deinen Schwestern.", sagte der Mann mit den silbernen Haaren. Zorn legte sich auf Cloes Gesicht nieder, sie streckte erneut die Hand zu einem erneuten Angriff aus. 
"Malakó píso" , die Druckwelle fegte durch den Raum, Zeus wurde ein paar Meter zurück geschleudert, doch die beiden gerade erschienen Frauen ließ diese Attacke unberührt. Währenddessen versammelten sich Jane, Mary und Jason um Zeus herum.

"Lachesis, Atropos, das hier ist mein Werk, es trägt meine Handschrift, nur meine. Und das wird so bleiben!" Cloe beobachtete die beiden mit weit aufgerissenen Augen. 

"Diesen erbärmlichen Haufen von Chaos schimpfst du dein Werk?", Lachesis schüttelte verachtend ihren Kopf. 

"Komm mit uns zurück. Wir drei sind das Schicksal, alleine sind wir nur Handlanger eines unvorhersehbaren Weges.",  Atropos hielt ihr die Hand hin. Wütend stapfte Cloe mit ihrem Fuß auf den Boden. 

"Dann bin ich nur eure dumme kleine Schwester. Dabei erschaffe ich den Faden im Leben eines Menschen, den sie alle Schicksal nennen. Ein Vorgang höchster Konzentration und Kreativität. Dann kommt ihr, nehmt mir alles aus der Hand und macht damit was ihr wollt.", brüllte sie. Atropos schaltete sich ein, sie war die Älteste der drei Schicksalsgöttinnen. 

"Es ist nicht so, dass du eine Wahl hast. Keine von uns lenkt das Schicksal allein, damit wird verhindert das ein Tyrann über die Lebenswege Herrscht. In den Augen des Olymps lastet dir langsam der Ruf einer Frevlerin an. Du weißt wo Götter landen, den ein solcher Ruf anlastet?", erinnerte sie Cloe an die Konsequenzen ihres Handelns. Cloe sah sie ungläubig an. 

"Es ist meine Arbeit, mein Werk.", blieb sie stur auf ihrer Meinung bestehen. Zeus der sich mittlerweile wieder aufgerappelt hatte, sah seine Tochter mit besorgtem Blick an. Irgendwo tief in seinem Inneren, über tausende von Jahren in seinem Herz verborgen, war sie einmal seine kleine Tochter. 
"Sie wollen dich in den Tartaros schicken! Dem Göttergefängnis tief unter den Toren des Hades. Du wirst verdammt zu einer Ewigkeit in Qual und Sinnlosigkeit, da kommst du so schnell nicht mehr heraus. Klotho, geh zurück zu deinen Schwestern.", sagte er beklommen. Cloe sah für einen Moment überwältigt aus. Seit etlichen Jahrhunderten hatte sich nicht mehr so viel empfunden wie in diesem Augenblick. Alles wandte sich gegen sie. Cloes Augen schienen so leer und eine Eiseskälte legte sich über ihren Rücken.

Zeus nahm Mary das Runen verzierte Moira-Messer ab und drückte es Jane in die Hand. 
"Jane bei deinem Selbstmordversuch wärst du normalerweise gestorben. Atropos ist die jenige, die Art und Weise zu sterben entscheidet und sie beschloss, dich gegen den gewohnten Lauf am Leben zu lassen. Ich soll dir von ihr ausrichten, sie wacht Momentan über dich und du wirst heute nicht sterben.", flüsterte Zeus. Janes Magen zog sich zusammen, wie konnten heute nur so viele Dinge gleichzeitig auf ihren Verstand einprügeln? Entschlossen griff sie nach dem Messer, sie hielt es fest in der Hand. Sie betrachtete Cloe, die gerade in einem Trance ähnlichen Zustand vor ihren Schwestern stand. Dies war der war der entscheidende Moment. Ihr Puls  wurde schneller und schneller, sie konnte ihr Herz immer lauter gegen ihren Brustkorb hämmern hören. Jetzt griff Jane abermals an. Sie sprintete auf Cloe zu, die Runen auf der Klinge strahlten gerade zu und tauchten Jane in einen hellen orange Ton. Sie holte weit aus und gerade in dem Moment als Cloe ihre Hand heben wollte, stach Jane die Schneide des Messer zwischen die Rippen der Göttin. Jane spürte wie das Messer knackend zwischen den Knochen verschwand. Cloe legte ihre Arme um Jane, eine Hand packte ihren Nacken und zog ihr Ohr zu ihrem Mund. 

"Du wärst die einzigwahre Hauptrolle gewesen. Nur du!", Cloe fiel zu Boden. Lachesis und Atropos eilten zu ihr. Atropos sah Jane tief in die Augen. 

"Danke.", flüsterte sie. Mehrere Blitze zuckten durch den Raum, sie umgaben die drei Moiren und im nächsten Moment waren sie verschwunden.

Jason ging zu Jane hinüber und er legte seine Arme um sie. 

"Alles ist gut.", flüsterte er ihr ins Ohr, seine Worte klangen erschöpft und dennoch liebevoll. Jane ließ das Messer fallen und erwiderte die Umarmung. 

"Sie ist weg! Sie ist endgültig weg, oder?", sie legte ihren Kopf auf seine Schulter und wünschte sich dieser Moment würde noch eine Weile anhalten. Bei all den Erinnerungen die in ihr aufgebrochen wurden und allen Gefühlen die in ihr aufgerissen wurden war dies er wahrhaftigste und ehrlichste Augenblick seit ihrer Flucht aus der Psychiatrie. 

"Ist jetzt alles vorbei?", Mary stand noch immer wie angewurzelt neben Zeus. 

"Unser Plan ist vollendet. Die drei Moiren sind wieder vereint. Solange dies so bleibt ist eure Welt wieder...", er stockte kurz als müsse er nach dem richtigen Wort suchen. "...normal." Mary schaute zur Tür, ihre Gedanken wanderten ein Stockwerk tiefer wo vorhin die grausigen Kreaturen im Kinosaal wüteten. 

"Was ist mit den Leuten im Kino, was geschieht mit ihnen?", fragte sie. Zeus senkte seinen Kopf, als würde er für diese Menschen etwas empfinden, er tat dies jedoch nur um die Situation für Mary menschlicher wirken zu lassen. 

"Wer gestorben ist, wird tot bleiben. Sie wandern jedoch nicht in Klothos Unterwelt, diese gibt es nicht mehr. Alle anderen werden ganz und gar von der... wie habt ihr es genannt?", fragte er nachdenklich. 

"Film-Paranoia.", fügte Mary leise hinzu.

"Sie sind von Klothos Einfluss befreit. Wir werden uns noch einmal wiedersehen.", sagte er. Mit diesen Worten verschwand Zeus im Nichts.

Jason ließ seine Augen durch den fast leeren Raum wandern, er entdeckte den geöffneten Wandsafe, vorsichtig schritt er durch das Chaos im Büro und nahm das schwarze Buch heraus und blätterte durch die Seiten. Der erste Eindruck verriet ihm nicht viel. 

"Sieht irgendwie mystisch aus. Ich glaube das wäre etwas für Bill.", sagte er. Jane hob das Moira-Messer auf und steckte es zurück in die Halterung an ihrem Gürtel.

"Apropos Bill, wir sollten nachsehen was er da unten so getrieben hat. Ich hoffe es geht ihm gut.", meinte sie sorgenvoll. Die drei schlugen den Weg nach unten ins Foyer ein, dort bot sich ihnen ein entsetzlicher Anblick.
Die Tür zum Kinosaal war aus den Angeln gerissen, zehn oder zwölf augenlose Wesen lagen auf dem Boden, sie waren förmlich durchsiebt von Pistolenkugeln. Am anderen Ende des Foyers hatte sich eine Handvoll überlebender hinter umgekippten Tischen verbarrikadiert, vorsichtig schaute Bill aus seiner Deckung empor. 

"Jason? Mary? Jane?", rief er zu ihnen rüber. Steven Hattkins, der Bill mit dessen abgesägter Schrotflinte unterstützt hatte kam ebenfalls aus dem Versteck hervor, genauso wie Trisha Wulf, die mit ihren ganzen Blessuren am Boden gelegen hat und Bill und Steven die Munition reichte. Jason war der erste, der auf die überlebenden zu ging. 

"Bill, ist bei dir alles OK?", Bill sah ihn erleichtert an. 

"An mir ist noch genau so viel dran wie vorher. Diese Kreaturen...", er deutete mit den Finger auf die Ungetüme, die überall auf dem Boden verteilt lagen. 
"Sie sind komplett ausgeflippt und haben angefangen alles um sich herum totzuprügeln. Ein paar Leute haben es heraus geschafft. Sie sind erst gar nicht gestorben, selbst als wir das fünfte und sechste Mal auf sie schossen. Doch vor ein paar Minuten sind sie dann umgekippt.", erzählte er. Mary dachte an Zeus Worte. 

"Das muss der Zeitpunkt gewesen sein, als wir Cloe zurückgeschickt haben. Wir müssen in den Saal sehen, ob noch überlebende dort drinnen sind.", wies sie die anderen an.

Als erstes schlug ihnen jedoch das ganze Ausmaß der Schrecklichkeit dieses Abends entgegen, der süßlich-saure Gestank von Tod hing in der Luft und das schwache Licht der Wandbeleuchtung enthüllte den Grund dafür. Etliche Menschen und Kreaturen lagen in den Gängen, sie waren zum Teil stark verstümmelt. Einer Frau wurde der Brustkorb aufgerissen, die Rippen ragten in die Höhe. Eines der blassen Biester hatte sich selbst die Hand abbeißen wollen, sie hing nur noch an einem dünnen Faden am Unterarm Einem Mann wurde der Schädel zertrümmert, sein blutbeschmierter Kopf lehnte an einem der Stühle. Mary schlug sich vor Entsetzen die Hand vor den Mund, soviel Gewalt hatte sie noch nie an einem Ort gesehen. Jane entdeckte Miks Körper, dieser lag unverändert vor der Leinwand. Im Anbetracht der Umstände hatte sie keine Hoffnung dass er noch lebte. Sie ging hinüber und beugte sich über ihn. 

"Es tut mir leid Mik. Ich hatte gehofft dir helfen zu können.", sagte sie und drückte ein letztes Mal seine Hand. Sie war nicht kalt. Aufgeregt prüfte Jane sofort seinen Puls, er war schwach, aber er war immer noch zu spüren. Dann öffnete Mik die Augen. 

"Jane.", brachte er mit Mühe hervor. 

"Mik, du lebst. Wir holen dich hier raus und dann schuldest du uns ein Essen. Einverstanden?", ein unendliches Gefühl der Erleichterung trieb ihr dünne Tränen in die Augen. Miks Mundwinkel umspielte ein schwaches Lächeln.

Credits... wie das Schicksal seinen Lauf nimmt

 

Die Wochen zogen über Chainston hinweg, Wochen in denen langsam das Gefühl von Normalität zurückkehrte. Es war bereits Dezember und die kalten Temperaturen zauberten ihre Frostgemälde an die Fenster und auf die Dächer der Stadt. Es war Sonntag, überall herrschte eine harmonische Ruhe, alle Geschäfte waren geschlossen, außer Gwens Diner. Aus dem Schornstein des Gebäudes stieg Rauch auf und in der Küche schien sich einiges zu tun. Eine Hand voll Personen saß vorne an einem der runden Esstische, Mik hatte Bill, Mary, Jason und Jane zu einem Essen eingeladen, Steven war auch mit dabei, er half Mik in der Küche. 

"Ich bin froh, dass das Ganze ein Ende hat.", meinte Mik, als er die letzten Speisen an den Tisch trug und sich zu seinen neu gewonnen Freunden setzte. Seit zwei Wochen war er aus dem Krankenhaus entlassen wurden und seither führte er das Diner mit neuer Energie. 

"Da bist du nicht der einzige.", sagte Jason. 

"Ich frage mich, ob wir Zeus nochmal zu Gesicht bekommen. Er wollte sich schließlich noch einmal blicken lassen.", warf Mary ein, während sie ihr Essen genoss. Aus dem Nichts tauchte der fast zwei Meter große Donnergott auf, sein Gesicht ließ auf einen entspannten Zustand schließen, das hieß bei dem sonst emotionslosen Zeus nicht viel.
 "Ich habe euch nicht vergessen.", er nahm sich einen Stuhl vom Nachbartisch und stellte ihn zwischen Bill und Jane. 
"Klotho, oder Cloe wie ihr sie nennt, arbeitet wieder mit ihren Schwestern zusammen. Sie steht zwar unter Beobachtung der Götter, aber sie erledigt ihre Aufgaben.", erklärte er.

Jane flogen seit dem Abend im Kino so viele Fragen durch den Kopf und jetzt, wo Zeus neben ihr saß, fanden sie keinen Weg aus ihrem Mund. Vorsichtig wagte sie sich an den Gedanken, der ihr über die ganzen Wochen keine Ruhe ließ. 

"Zeus, was meinte Cloe, als sie sagte ich wäre ihre Hauptrolle gewesen?", die Frage klang beinahe schüchtern. Der Gott nahm sich eines der Baguettestücken von der Mitte des Tisches. 

"Zu Beginn dieses schrecklichen Theaters hat sie wohl eine Assistentin gesucht. Sie wollte etwas wie ihre persönliche Marionette. Jemanden der die ganze Zeit an ihrer Seite steht und alles tut was ihr in den Sinn kommt.", erklärte Zeus.

"Das heißt, ich war die erste mit dieser Paranoia?", fragte Jane erstaunt. 

"Scheint so. Sie wollte dich anscheinend als wandelndes Beispiel an ihrer Seite. Doch wenn man sich ihrem Willen so sehr wiedersetzt wie du, wird sie echt wütend. Ihre Wut äußert sich so, dass sie die Menschen dazu bringt freiwillig ihr Leben zu beenden, dann muss sie sich nicht die Hände schmutzig machen.", seine Worte klangen ruhig und gelassen.  

"Und ich wären an dem Abend meines... Selbstmordversuchs gestorben?", fragte sie beklommen. Zeus schnaubte ein besserwisserisches Lachen heraus.

"Na, hör Mal! Eine große Flasche Whiskey und drei Päckchen Xanax in fünf Minuten. Wie soll man das überleben? Lachesis und Atropos haben dich auf der Stelle zurückgeholt, weil sie wussten, dass Cloe eine Art Bindung zu dir aufgebaut hat.", sprach Zeus.

Jane spürte wie ihr Herz ein letztes Mal von diesen Vorkommnissen ergriffen wurde. Es war ihr Gelungen die damaligen Ereignisse loszulassen, dieses Schreckgespenst aus der Zeit wich langsam von ihr und sie war sich bewusst, dass diese Zeit bald nichts mehr als ein paar schreckliche Erinnerungen waren. Erinnerungen mit denen sie fertig werden konnte. 


Mik starrte Zeus mit leichter Verwirrung an. "Charles... ähm Zeus, ist es Gwen genauso ergangen?", fragte Mik. 

"Sie hat sich vehement gegen die Paranoia und Cloes leeren Versprechen gewehrt.", bestätigte Zeus seine Vermutung.  
Mary hob ihr Glas das Mik zuvor mit seinem besten Wein gefüllt hatte. 

"Wir sollten darauf anstoßen, dass alles anders gekommen ist.", sagte sie. Die Gläser klirrten und die Stimmung hellte sich in Sekunden wieder auf. Zeus, der sich mit Bedacht an Bills Seite gesetzt hatte ließ seiner Gefühlskälte freien Lauf und gab sich gewohnt sachlich. 

"Ich bin gekommen, weil ich Cloes schwarzes Buch holen wollte. Du es dabei, stimmt's Bill?", fragte Zeus spitzfindig. Bill schaute etwas enttäuscht drein, hatte er doch noch einiges vorgehabt mit diesem mystischen und uralten Schriftstück. Er holte es aus seiner Tasche. 

"Ich bin nicht ganz schlau daraus geworden, um was geht es in dem Buch?", fragte Bill neugierig. Zeus nahm das Buch an sich. 

"Wir nennen es das Buch der Unterwelt. Mein Bruder Hades hat es geschrieben, als er die Unterwelt und Tartaros schuf. Es ist so was wie eine Formelsammlung zum Wandeln zwischen den Welten. Nichts für Menschenaugen.", sagte Zeus. Jane beobachtete den Donnergott einen Augenblick, sie war verwundert, dass er so friedlich bei ihnen saß. 

"Was wirst du jetzt machen?", fragte sie. Zeus hob eine Augenbraue, mit einer solchen Frage zu seiner Person hätte er nicht gerechnet. 

"Klotho hat da oben ein ganz schönes Chaos angerichtet und die eine oder andere Gottheit verärgert. Ich bin dabei alles wieder in seine Bahnen zu lenken. Es geht immerhin um meine Töchter.", sagte er, wobei dieser Satz durchweg menschlich klang. Ein Moment des Schweigens trat ein, dies nutzte Zeus als Stichwort und erhob sich. 

"Vielleicht werden sich unsere Wege noch einmal kreuzen. Lebt wohl." Ohne großes Aufsehen verschwand der Gott.

Jason grinste Bill in einer sarkastischen Laune an, er ahnte etwas als Bill das Buch ohne Protest an Zeus übergab. 

"Du hast eine Kopie des Buches erstellt, oder?", Jason konnte diese Frage einfach nicht mehr zurück halten. Bill konnte es kaum noch verbergen und musste ebenfalls anfangen zu grinsen. 

"Der Beruf eines Antiquars hat durchaus seine Vorteile.", war seine Antwort darauf. Jason nahm einen tiefen Schluck aus dem Weinglas. 

"Du hast wieder vor Mysterien nach zu jagen. Das sehe ich dir förmlich an.", erwiderte Jason. Bill schaute zur Fensterfront hinüber, die den Blick auf den Parkplatz freigab. 

"Vielleicht nicht mehr in dem Ausmaß wie früher, aber mit dem richtigen Team könnte ich mir das schon vorstellen.", sagte er. Jane, Mary und Jason sahen einander entschlossen an, Jane tippte mit ihrem Zeigefinger gegen ihre Stirn. 

"Auf jeden Fall haben wir eine Vorstellung von dem war uns erwartet."

Nach dem Essen entschlossen sich die vier aufzubrechen. Mik, der sich überaus dankbar zeigte, verabschiedete sich bei jedem persönlich. Auf dem Parkplatz nahmen nun auch die vier soeben selbst ernannten Jäger abschied voneinander. 

"Jason, ich melde mich bei dir sobald es wieder etwas Interessantes gibt."sagte Bill und schüttelte ihm die Hand.

"Gut, du weißt ja wo du mich findest.", antwortete Jason.

Jane und Mary standen etwas abseits von den beiden anderen. 

"Ist bei dir auch alles OK?", fragte Jane. 

"Wir sehen diese ganze Welt mit anderen Augen und wir leben nun wohl auch ein anderes Leben. Ich bin froh ein Teil davon zu sein.", erwiderte Mary. Jane lächelte sie verstohlen an. 

"Ich bin auch froh, dass ich damals auf dich gestoßen bin, das war wohl...", begann Jane. 

"...Schicksal?", fuhr Mary fort. Beide mussten herzlich anfangen zu lachen, obwohl sie wussten, dass diese Worte eine gewisse Wahrheit verbargen. 

"Ich muss los, Bill nimmt mich noch mit in die Stadt.", sagte Mary. Jane umarmte sie zum Abschied. 

"Bis bald.", sagte sie und beobachtete wie Mary in Bills Wagen stieg und sie zusammen weg fuhren. Jason legte seinen Arm um Janes Taille. 

"Es ist komisch, seit wir uns damals verloren haben, dachte ich das Leben wird niemals wieder so werden wie früher.", sagte er. Jane drehte sich zu ihm und sah ihn tief in seine blauen Augen, was sie so gerne tat. 

"Wie gut, dass du recht behalten hast." Sie gab ihn einen Kuss, den er auf der Stelle leidenschaftlich erwiderte. Sie stiegen in Janes roten Mustang, die angehende Wintersonne hatte ihre Runde für heute schon zur Hälfte hinter sich gebracht und ließ die Schatten auf dem Boden immer länger werden. Das Auto startete und fuhr durch den kalten Wind davon.

Impressum

Texte: Alex Payne
Cover: Alex Payne
Lektorat: keines: ich schreibe, weil es ein Hobby ist, das mir einen riesen Spaß bereitet und das ich gerne teilen möchte. Ich veröffentliche gerne meine Texte kostenlos. Was aber auch bedeutet, dass ein Lektorat über meinen finanziellen Möglichkeiten liegt.
Tag der Veröffentlichung: 15.07.2018

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