Schulwechsel und Umzug nach Ffm.-Ginnheim
In der Straße Am Tiergarten, die zu meinem täglichen Schulweg zur Uhland-Grundschule gehörte, war auch eine evangelische Jugendgruppe untergebracht. „Jungschar“ nannte sich das. Ich war katholisch, was mir aber völlig egal war. Unter Berührungsängsten litt ich damals noch nicht und deshalb habe ich mich dort eines Tages – ich war wohl so zwischen 7 und 8 Jahren – einfach selbst vorgestellt. Die Gruppenleiterin hatte wohl Mitleid mit mir und nahm mich – ein armes, einsames, herumstreunendes Mädchen – auf. Wohl damit ich nicht auf der Straße war. Mir war egal warum. Dort wurde gesungen, gebastelt und man hatte viel Spaß. Bis meine Eltern das spitz bekamen und mir diese Freude leider verboten. Weil „die“ waren ja evangelisch und könnten mich ja versauen. Ja damals war das noch so streng. Heute „Gott sei Dank“ nicht mehr.
Ja und mit meinem Freundeskreis, das war so eine Sache. Ich war sehr gesellig, ging aber wahrscheinlich meinen Schulkameraden auf die Nerven, weil ich so anhänglich war. Die meisten von ihnen hatten Geschwister – ich war ein Einzelkind. Und so habe ich meine jeweiligen Freunde immer „adoptiert“. Das kann nicht jeder gut haben. Und so hatte ich eigentlich nie Schulfreunde. Komisch, das fällt mir jetzt erst, wo ich drüber schreibe, auf.
Aber das machte mir auch nicht wirklich was aus, ich hatte ja meine Clique. Wie gesagt meistens Jungs – und meistens hab ich sie rumkommandiert. Wir sind auf Bäume geklettert, hatten Baumhöhlen, haben Rollerrennen gefahren – ich war auch meistens so lädiert wie ein Bub.
1964 bin ich in die Schule gekommen. Da war’s vorbei mit meiner „Freiheit“. Bei der Einschulung sagte mein Vater schon „sooo, jetzt fängt der Ernst des Lebens an!“
Prima – was für eine Motivation. Zurückblickend muss ich feststellen, dass ich trotz aller Scherereien, die ich während meiner Schulzeit hatte, eigentlich gerne in die Schule gegangen bin. Warum auch nicht, dort war immer was los – mir war nie langweilig.
Ich war auch nicht dumm, so dass ich über die Schulzeit an sich nur sagen kann, ich habe einiges gelernt wovon ich heute profitiere und einiges hätte ich mir schenken können. Und rückblickend war es ganz nett etwas gelernt zu haben – mit allen Vor- und Nachteilen, die es mit sich brachte. Aus mir ist immerhin „etwas anständiges“ geworden!
Nach dreieinhalb Jahren Grundschule (Uhland-Schule zwischen Ostend- und Uhlandstraße gelegen), kam ich in die Förderstufe der Dahlmann-Schule. Diese Schule lag genau soweit von unserer Wohnung entfernt wie die Grundschule – nur in entgegen gesetzter Richtung. Man musste die ganze Rhönstraße Richtung Wittelsbacher Allee laufen, diese überqueren, dann kam noch eine kleinere Straße und dann war man an der Dahlmannschule. Das tollste an dieser Schule war meine Klassenlehrerin Frau Dörfler und diese Schule hatte ein Schwimmbad im Keller.
„Meine“ Frau Dörfler hat es fertig gebracht, das ich wirklich Freude hatte jeden Tag in die Schule zu gehen und ich habe gelernt – wenn auch nur um ihr zu gefallen.
Mit dieser Klasse, die zwar hin und wieder in verschiedene Kurse ging, aber trotz allem eine Klasseneinheit bildete, waren wir auch für 4 Wochen auf der Wegscheide. Das ist das Frankfurter Schullandheim. Liegt im Nordosten von Bad Orb auf der Höhe, des Spessarts (ich glaub das ist der Spessart). Erst wollte ich nicht hin, dann nicht mehr nach Hause. Es war toll dort. Wir Mädels schliefen in einem Haus, die Jungs rechts daneben in dem andren und die Lehrerinnen in einem Extrazimmer zwischendrin. Wir Mädchen bastelten die ganzen 4 Wochen Bommeln für die Jungs und die Jungs schnitzten Herzen aus Rindenstücke für die Mädchen. Das war das erste Mal, das ich von Jungs als Mädchen beachtet wurde. Wir haben sehr gekichert – wie das für Mädels in diesem Alter normal ist. Da begann es auch, dass ich anfing mich für Jungs wirklich zu interessieren. War das aufregend. Ein Junge aus meiner Klasse hatte es mir besonders angetan, ich weiß heute nicht mal mehr seinen Namen. Aber ich wurde immer sehr verlegen, wenn er in meiner Nähe war. Wie das halt so ist wenn man verliebt ist in dem Alter.
Leider wurde "meine" Frau Dörfler ein und einhalb Jahre später mit einem herben Schicksalsschlag gestraft, der ihr den ganzen Lebensmut raubte. Soweit ich weiß, war ihr Mann Fotograf (Auslandskorrespondent oder so was) und kam während einer Reportage um. Sie trat aus dem Schuldienst aus oder wurde suspendiert. Sie hatte aufgrund des Verlustes Alkoholprobleme bekommen - das weiß ich ganz sicher, da ich sie einmal besuchte um sie zu trösten und sie wirklich heftig betrunken war. Ich war damals ein ca. 10-jähriges Mädchen, völlig hilflos und sie hat mir unendlich leid getan. Während ich in die Förderstufe ging sind wir von der Rhönstraße nach Ginnheim gezogen. Ginnheim liegt im Nordwesten Frankfurts, zwischen Bockenheim und Eckenheim. Es war eine absolut kinderfreundliche Wohnsiedlung. Wohnblocks damals vorwiegend für Postbeamte oder Eisenbahner gebaut. Einer meiner Onkel war bei der AG für kleine Wohnungen beschäftigt und hat meinen Eltern diese Wohnung damals besorgt. Sie wohnen dort heute noch. Ich hatte endlich ein eignes Zimmer! War schon klasse.
Und als meine Eltern sich die Wohnung anschauten, habe ich mir die Spielgegend angeschaut – und sie für absolut super befunden. Kinder zum Spielen gab’s da. Meinen besten Freund habe ich just an diesem Tag schon kennen gelernt – die Clique spielte auf einem abgehängten Anhänger und ich sah nur ihn – Ronald – meine Güte hatte der Junge schöne Augen – ein Traum – und schon war mir klar, wir würden heiraten! Ja ich war ziemlich verrückt, meine Pubertät begann, ohne das es mir oder meinen Eltern klar war, waren das die ersten Anzeichen. Ja hier wollte ich hinziehen. Und meinen Eltern hatte die Wohnung auch auf Anhieb gefallen. Und so kam es, wie es kommen musste – ich wurde ein Ginnheimer Mädel.
Nach der Dahlmann-Schule, kam ich auf die Anne-Frank-Realschule, die in der Fritz-Tarnow-Straße, Nähe Dornbusch liegt. Ich fuhr im Winter mit dem Bus und im Sommer mit dem Fahrrad dort hin. In dieser Schule hinderte mich meine Pubertät am Lernen. Ich hatte nur Blödsinn im Kopf und Jungs – wenn’s damals schon German’s next Topmodel gegeben hätte, ich wäre bestimmt eins geworden – so war ich drauf. Ich war der Albtraum meiner Eltern und das schwarze Schaf in der Familie. „Egal wie – Hauptsache Frau fällt auf!“ das war damals mein Motto.
Meine Klassenlehrerin, Frau Schmidt, war eine sehr zierliche, energische Persönlichkeit – anders kann man es nicht sagen. Sie hat sich in der Zeit, während ich bei Ihr in der Klasse weilte, sehr viel Mühe mit mir und meinen Lernerfolgen gegeben. Sie war eine der wenigen Menschen in meinem Leben damals, die Potenzial in mir entdeckte und versuchte zu fördern. Es gelang leider nur unzureichend, weil ich partout meinen eignen Weg gehen wollte. Dieser endete in der 8. Klasse erstmals unter Tränen, weil ich diese wiederholen musste. Leider hatte ich immer noch nicht eingesehen, dass man nichts lernt, wenn man ständig in der Schule fehlt.
Mein Problem war ja (was keiner wusste), ich fehlte ja nicht wirklich in der Schule. Ich schwänzte nicht um mich herum zu treiben, sondern um meine Freunde und Freundinnen in deren Schulen zu besuchen. Dort saß ich dann ganze Unterrichtstage mit dabei (als Gast), lernte was sie lernten und freute mich, dass ich keine Arbeit mit schreiben musste. Meine armen Eltern. Ihnen hatte ich nie erzählt, welche Probleme ich mit meiner mir zugewiesenen Schule hatte; das heißt ich hatte es einmal angeschnitten, da kam jedoch der Standardeinwand meines Vaters „das ist alles eine Sache der Einstellung“ und somit war der Fall für meine Eltern erledigt. Heutzutage würde man sein Kind eventuell in einer anderen Schule unterbringen, wo es sich wohl fühlen würde – aber damals…
Ja wie gesagt, das Wissen hatte ich, schrieb aber keine Arbeiten mit und so musste ich die 8. Klasse wiederholen. Das gelang nicht wirklich, da ich total unterfordert war und mich unglaublich langweilte. Den Klassenlehrer mochte ich auch nicht (ich weiß nicht einmal mehr seinen Namen) und selbst von den Klassenkameradinnen sind mir aus der Klasse von Frau Schmidt noch zwei in Erinnerung (eine Brigitte Nuss und eine Susanne Denke), von denen man mehr oder weniger sagen könnte „sie gaben sich mit mir ab – hatten Mitleid mit mir!“ und aus der Wiederholungsklasse gab es eine Freundin (Nicole Krüger), die ich bis heute nicht vergessen habe. Ihr Vater war Pfarrer in einer Pfarrei in der Nähe des Frankfurter Zoos und Anlagen Rings.
Als ich während eines heftigen Streits (im Herbst 1971) mit meiner Mutter und ihren abschließenden Worten: „das erzähle ich Deinem Vater und dann bekommst Du ein Jahr Hausarrest…“ nur mit meiner Jacke aus dem Fenster (wir wohnten im Erdgeschoss) des Wohnzimmers flüchtete, mich den ganzen Tag auf dem Gelände der heutigen BUGA (=Bundesgartenschau / damals noch Wald, Wiese und Au) versteckte (mein Freund Ronald brachte mir was zu Essen vorbei und „verpfiff“ mich nicht), machte ich mich in der Dämmerung auf und lief (Geld hatte ich keins dabei) von Frankfurt-Ginnheim quer durch die Stadt ca. 6 km zum meiner Freundin Nicole. Der Vater (wie gesagt Pfarrer) unterhielt sich lange mit mir und letztendlich konnte er mich überreden meine Eltern anzurufen und wieder nach Hause zu gehen.
Mein Vater holte mich ab. Er drückte mich fest. Kein Wort mehr von Hausarrest, keine Strafe, ich bekam dort meine erste Zigarette von meinem Vater – ein Zeichen, dass er mich ernst nahm. In der damaligen Zeit war das etwas Besonderes. Heute bin ich froh, dass ich nicht mehr rauche.
Fortsetzung folgt...
Texte: Copyright by Petra Wenzel
Tag der Veröffentlichung: 04.10.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Dieses Buch widme ich meinen Eltern, deren Familien sich glücklicher Weise als Flüchtlinge in Ffm. niederliessen