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"Margie - sie haben einen Schatten auf meiner Lunge festgestellt!“ Unter Tränen und völlig aufgelöst rief mich Elisabeth, genannt Lizzy, vom Berlingo-Krankenhaus an, welches ebenso wie das St. Martin-Krankenhaus zur gleichen Krankenhaus-Gruppe gehört in der wir beide angestellt sind. Sie als Arzthelferin in der Nephrologischen Ambulanz, ich als Arztsekretärin bei unserem gemeinsamen Chef, Herrn Prof. Dr. med. Schuster.
"Margie, sie haben einen Schatten auf meiner Lunge festgestellt!“ – „Lizzy ganz ruhig, ganz langsam – erzähl mir erstmal was war; dann sehen wir weiter und - ich komme sofort!“.

Mein Schock war so groß, man kann es kaum beschreiben. Angst, bis zur Panik, stieg in mir hoch und flachte nach Selbstberuhigung mittels tiefen Durchatmens wieder etwas ab. „Es macht keinen Sinn“, dachte ich „wenn Du Dich jetzt auch verrückt machst!“. Jedoch, leichter gedacht als getan. Ich erinnere mich dunkel, dass ich nichts mehr Gescheites zustande brachte. Es war mittags ca. 13:30 Uhr nach der Mittagspause, ich packte mein "Bündel", bin in das Sekretariat unserer Chefarzt-Sekretärin um das kurze Telefonat zu schildern und um mir frei zu nehmen damit ich sofort zu Lizzy zu fahren konnte.

Die Fahrt mit dem Auto quer durch die Stadt dauerte ca. 20-30 Minuten und obwohl die Parksituation dort vor dem Krankenhaus normalerweise sehr schlecht ist, fand ich diesmal auf Anhieb einen.

In diese Klinik war Lizzy eigentlich gekommen, weil sie im Geschäft einen Kreislaufzusammen-bruch hatte. Unsere Ambulanzärztin, Frau Dr. Brückner, hatte sie daraufhin sofort bei uns im Haus in die Kardiologie geschickt und die Kollegen sie wiederum nach einem kurzen Ultraschall weiter in das Berlingo-Krankenhaus, weil dort die Ambulanz und der Hauptarbeitsplatz unseres Kardiologie-Professors, Herrn Dr. Mertens, ist. Verdacht auf Perikarditis

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Na toll, das braucht der Mensch! Wir - die ganzen Kolleginnen und ich waren schon etwas erstaunt, wie schnell das plötzlich alles ging. Weil, gekränkelt hatte Lizzy schon ca. 1-2 Monate zuvor. Sie hatte kurz zuvor eine Knie-Atroskopie gehabt, unter deren Nachwirkungen sie immer noch litt. Außerdem hustete Lizzy und war überhaupt ständig müde. Irgendwie haben wir alle es nicht wirklich ernst genommen. Da kamen dann so Bemerkungen „Kurier dich mal aus!“ „Warst Du beim Arzt? Du weißt schon, dass man eine Grippe nicht verschleppen sollte, das kann aufs Herz gehen?!“ „Du solltest aufhören zu rauchen!“ Jede von uns hatte einen anderen guten Ratschlag.


Mit dem Rauchen hatte Lizzy dann tatsächlich nach ca. einem Monat und ständig zunehmenden Beschwerden, bis hin zu Schmerzen in der Brust, aufgehört. Alle dachten „jetzt geht’s ihr bald wieder besser!“ Und dann das - oh meine Güte. Alle die wir im Krankenhaus arbeiten, haben tagtäglich mit schwerst Erkrankten zu tun. Und wir alle, die Schwestern, Ärzte und auch wir, die Verwaltungsangestellten, können uns gar nicht erlauben krank zu werden. So die irrige Meinung. Bei einer Erkältung (auch mit Temperatur) schleppt sich jeder noch zur Arbeit – es geht schon irgendwie! Und ein jeder bildet sich ein „mir kann schon nix passieren“. Denkste! Geht schneller als man denkt.

Da war ich nun. Schnell hatte ich an der Pforte nach der Zimmernummer gefragt und fand auch gleich den Weg dort hin. Lizzy lag in einem 2-Bettzimmer mit noch einer Bettnachbarin. Als sie mich sah, fing sie sofort wieder an zu weinen. Ich musste sie erstmal drücken. Und was ich dort als Erstes erfuhr, das machte mich erst einmal sprachlos und wütend. Sie war ja dort wegen des genannten Verdachtes auf eine Perikarditis eingeliefert worden. Nach den üblichen Blutuntersuchungen machte man eine Röntgenaufnahme. Eigentlich hätte sie am selben Abend wieder nach Hause gehen sollen. Aber man hat sie hingehalten. Die Schwestern haben auf Nachfragen nichts gesagt, die Assistenzärzte haben rumgedruckst. Gegen Mittag war dann die Chefarzt-Visite und bei eben dieser hat Dr. Mertens ihr so zwischen Tür und Angel wohl mitgeteilt, und das auch mit einer ziemlich barschen Stimme, wie mir Lizzy erzählte „sie kommen noch nicht nach Hause – sie haben einen Schatten auf der Lunge!“ So und damit wird man dann als Patient allein gelassen. Sieh doch zu wie Du mit dieser Nachricht klar kommst. Passiert ja jeden Tag, dass man quasi sein Todesurteil zu hören bekommt! Ich fasse es immer noch nicht, wie herzlos dieser Arzt sich gab. Er mag es nicht so gemeint haben, er hat vielleicht auch ein Problem damit seinen Patienten solche Nachrichten zu überbringen, aber dann sollte er ein Seminar besuchen, wo er eben das lernt! Unglaublich. Lizzy ging es natürlich nach dieser, wie oben geschilderten , Nachricht sehr schlecht. Als Arzthelferin wusste sie sofort was das bedeutet, nämlich im schlimmsten Fall Lungenkrebs. Und was das heißt weiß eigentlich auch jeder von uns, der in dieser Branche arbeitet – man kann den Tod evtl. hinauszögern, das ist aber schon alles. Und trotzdem uns beiden das völlig klar war, schoben wir beide den Gedanken weit weg. Wir sprachen über alles Mögliche, nur das Thema Tod – das wurde noch nicht angesprochen.

Während ich sie noch besuchte, kam eine Assistenzärztin, die ihr noch mal Blut abnehmen sollte. Lizzy war ja Arzthelferin, hatte in ihrem Leben schon gefühlte 1.000.000 Mal selbst Blut abgenommen und ich glaube es ist was dran an der These „Ärzte und Schwestern sind die unbeliebtesten Patienten“. Sie jedenfalls schüchterte dies Assistenzärztin dermaßen ein nur mit einem sehr strengen Blick (der war ihr sehr eigen), dass diese sich nicht traute weiter zu machen und eine mit russischem Akzent sprechende Ärztin an ihr Bett kam um das zu beenden, was die Assistentin nicht vollbracht hatte – eine Ampulle Blut zu zapfen. Na das war ja was. Ich weiß nicht wirklich, was Lizzy gegen Menschen aus Polen oder Russland hatte, vielleicht hatte sie mal schlechte Erfahrungen gemacht, auf jeden Fall reagierte sie schon immer auf Menschen mit diesem Akzent sehr allergisch, ja fast bösartig. Sie hat mir leider nie erzählt, was ihr widerfahren ist. Es war halt so, dass sie diese Ärztin nur sah und sie war sauer. Das erleichterte die Situation natürlich nicht. Die Feindseeligkeit, die ihr entgegenschlug, gab sie zurück. Völlig unprofessionell wurde ihr Ton barscher und es herrschte „Zickenalarm“ und das am Krankenbett einer Krebspatientin. Die Biopsie war noch nicht gemacht, aber allen war klar, dass es eben genau das war was alle dachten: LUNGENKREBS! Und die Biopsie war nur zur Qualifizierung gedacht und um die Diagnose schriftlich festzuhalten. Wie auch immer, diese Blutabnahmezeremonie war ein einziges Desaster. Die Ärztin hat es wohl geschafft Blut zu bekommen, aber freiwillig ist diese (glaube ich jedenfalls) nicht wieder in das Zimmer gekommen.

Nachdem das leidige Procedere erledigt war, drückte ich sie und Lizzy weinte sich an meiner Brust erstmal aus – und dann sagte sie nur: „hier bleib ich nicht – bitte suche mir die Adresse von der Spezialklinik in Heidelberg aus dem Internet heraus, damit ich dort einen Termin zur Biopsie machen kann.“ „Die hier lasse ich nicht mehr an meinen Körper“. Und so geschah es dann auch. Eine einzige Krankenschwester, die Lizzy auch hin und wieder in den Arm nahm und ihr Mut zusprach gab es dort auf dieser Abteilung. Kein Psychoonkologe wurde geschickt um mal nach der Patientin zu schauen – ich kann es bis heute nicht fassen, dass es in der heutigen Zeit in unserem Land immer noch solche Abteilungen in Krankenhäusern gibt. Na ja, Lizzy war Kassenpatientin und demzufolge auch zu teuer um noch weiter betreut zu werden (außer Schlafen und Essen, den notwendigen Laborwerten wurde dort ja nichts gemacht). An der Biopsie konnte der Chefarzt dort nichts verdienen, also wurde sie auch so behandelt.

Lizzy musste noch ca. 2 Tage im Berlingo-Kranken-haus verbringen bis sie dann nach Hause durfte. Ihr Mann, Randolf – Amerikaner und Bediensteter der US-Streitmächte, holte sie am Dienstag ab und war natürlich ebenso verstört wie Ihr Sohn Ken und alle die Lizzy kannten.

In der Zwischenzeit hatte ich, so wie sie mich darum gebeten hatte, Adressen herausgesucht zur Kontakt-aufnahme zur Uniklinik Heidelberg. Lizzy hatte von der Klinik aus schon dort angerufen und einen Termin für Donnerstags ausgemacht zur ersten Untersuchung und anschließender Biopsie. Sie wollte, wenn möglich sich auch dort behandeln lassen, denn in Heidelberg sind de Koryphäen der Onkologie tätig – und Lizzy erhoffte sich dort eine Chance zum Leben.

Zu Lizzys Situation kam hinzu, dass Ihr Mann ausgerechnet 2 Wochen zuvor an einen anderen Arbeitsplatz im Bayrischen Wald versetzt worden war; ca. 500 km von uns entfernt. Und mit ihrem Sohn aus 1. Ehe, Ken, hatte sie zurzeit nur Schwierigkeiten. Er war ein Problemkind, seitdem sein „großer“ Bruder, Lizzy’s ältester Sohn Dennis, Jahre zuvor gestorben war.
Für Randolf musste eine Wohnung dort unten im Bayrischen Wald gefunden werden. Und für Ken, der sich zu diesem Zeitpunkt noch in Hoyerswerda zur Ausbildung und Therapie aufhielt, ebenso eine in Lizzys Nähe.

Zu Lizzys hervorragenden Eigenschaften gehörte nun einmal sich um Menschen zu kümmern. Ob diese wollten oder nicht - wichtig war, sie hatte das Zepter in der Hand. Das galt am Arbeitsplatz ebenso wie im Privatleben. Sie hatte das Ansagen. Und so kam es auch schon mal vor, dass sie sich mit unserem Chef, seiner Sekretärin oder auch mit mir heftig stritt, weil etwas nicht so lief, wie es ihrer Meinung nach hätte laufen sollen. Und mit Ihrem nun schon erwachsenen Sohn hatte sie ebenso heftige wie fruchtlose Auseinandersetzungen, weil seine Auffassung von Leben nicht mit ihrer Meinung konform ging.
Nun werden Sie sagen, dass kommt in den meisten Familien vor, dass sich Eltern und Kinder zoffen – ja aber solch heftige Auseinandersetzungen, wie bei den beiden, habe ich persönlich selten erlebt. Der Sohn (Stier im Horoskop) hatte nämlich durchaus seine eigenen Pläne für sein Leben (sieh an!) und war dabei mindestens genauso dickköpfig wie Lizzy. Aber Lizzy war ein Mensch, der konnte durchaus konstruktiv streiten. Hinter diesem überaus ehrgeizigen Dickkopf stand ein sehr liebenswürdiger Mensch, der für ihre Freunde, und den Menschen, die ihr am Herzen lagen nur das Beste wollte.

So, nun da sie krank war, ihr Mann sie verließ (so sah sie es), wollte sie wenigsten ihr noch einziges Kind in ihrer Nähe wissen. Also musste der Sohn seine Brücken in Hoyerswerda abbrechen und sich in ihrem Umfeld etwas suchen. Das waren Lizzys Ideen zu diesem Thema. Ich habe bis heute nicht herausgefunden, ob dies im Sinne von Ken war, oder ob er sich einmal mehr seiner Mutter gebeugt hatte.


An dem bewussten Donnerstag fuhr sie nun mit ihrem Mann in die Onkologie (Brustzentrum) Heidelberg zur Biopsie. Zuerst wurden dort eine MRT und danach eine Lungenbiopsie von der betroffenen Stelle (in der Nähe des Herzens) durchgeführt. Sie hatte (logischerweise) panische Angst davor und war dem zufolge auch sehr aufgeregt dorthin gefahren.
Am nächsten Tag rief ich sie an, weil mich ja interessierte, ob sie schon ein Ergebnis hätte. Das Biopsieergebnis war noch nicht da, jedoch in der MRT hatte sich der Verdacht auf einen Kleinzeller verdichtet – es bedarf im Grunde nur noch der Biopsie-Bestätigung, dass es sich hierbei um ein Lungen-Carcinom der übelsten Art handelte. Dem entsprechend ging es Lizzy auch sehr schlecht. Sie weinte stundenlang, bis sie sich völlig erschöpft sehr früh in Ihr Bett zurückzog um dort fasst 12 Stunden zu schlafen. "Gut", dachte ich, als ich mit Randolf darüber am Telefon sprach, "Schlafen ist gesund!" – so hat mir das meine Oma schon beigebracht. Und wenn nur ein Körnchen Wahrheit daran ist, dann war es jetzt Zeit, dass Lizzy wirklich nur an sich dachte und nicht mehr an andere.

Eine Woche bangen Wartens ging vorüber. In der Zwischenzeit hatte ich Lizzy eine „Heilerin“ genannt. Ich wusste nicht genau wie diese Dame arbeitete, hatte aber bisher nur Gutes von ihr gehört. Und, obwohl sie nicht im Telefonbuch stand, haben wir sie in Dreieich, dem Nachbarort von Lizzy gefunden. Es sollte wohl so sein. Lizzy hat sie am drauffolgenden Dienstag besucht und als wir anschließend telefonierten sagte sie „Margie das war das Beste, was Du mir in den letzten Tagen erzählt hast.“ Sie ging nun regelmäßig zu der Dame, war hinterher immer völlig aufgelöst, weinte sich dort die Seele aus dem Leib und sah von Tag zu Tag gesünder aus. Ja das war das Erstaunliche – je fortgeschrittener das Stadium, um so gesünder sah sie aus. Sie ernährte sich nur noch mit Bio-Lebensmittel, kaufte sich ein Buch ("Das Anti-Krebs-Buch“ von David Servan-Schreiber) in dem sehr viele Tipps standen, wie man sich gut ernährt und damit dem Krebs ein Schnäppchen schlagen konnte. Und es schien wirklich zu helfen…





Impressum

Texte: Copyrigth by Petra Wenzel, Neu-Isenburg, Germany (2009)
Tag der Veröffentlichung: 03.10.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Meiner Freundin Cathy Taylor, die am 24.12.2008 an den Folgen ihres Lungenkrebses verstarb

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