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Prolog

»Der Glaube beginnt da,
wo das Denken aufhört.«
Søren Aabye Kierkegaard

 

 

Thomas Berend, 32 Jahre alt, Single, Journalist, arbeitete als Kriegsberichterstatter. Er hatte schon viele Orte des Grauens gesehen, wurde immer dort eingesetzt, wo es kriselte und die Welt am Abgrund stand. Zurzeit befand er sich in Syrien.

An diesem Morgen wurden wieder Angriffe geflogen und die Einschläge des Sperrfeuers trommelten rund um die bescheidene Baracke, die einmal ein Hotel gewesen war.

Nach einer ruhelosen Nacht stand Tom auf, schlüpfte in seine Sachen, die durchaus eine Wäsche hätten vertragen können, und ging in die ehemalige Lobby des Hotels.

Frühstück wäre schön, dachte er. Genau in diesem Moment traf ihn ein harter Schlag am Kopf. Dann wurde es dunkel.

Tag 1

»Der Glaube ist zu schön,
um wahr zu sein.«
Unbekannt

 

 

Tom erwachte mit dem Gefühl, eine Dampframme habe seinen Schädel getroffen. Was war geschehen? Nebulöse Bilder formten sich in seinem Kopf und ein dumpfer Schmerz hämmerte hinter seinen Schläfen.

Irgendwo klingelte es, eine ihm unbekannte Melodie wurde immer lauter.

Er rappelte sich auf und sah sich um. Er befand sich in seinem Haus in München am Starnberger See. Das konnte gar nicht sein. Er hatte doch gestern – oder war es vorgestern? – von der Zerstörung und den Luftangriffen in Syrien berichtet.

Irritiert fasste er sich an den Hinterkopf, der jedoch unverletzt schien.

Er stand auf und suchte das klingelnde Handy. Es sah nicht aus wie seines, aber er ging dran und meldete sich wie üblich:

»Thomas Berend! Wer wagt es, zu stören?«

»Ich bin es, Björn. Wo bleibst du denn? Wir wollten doch segeln gehen und dabei Bilder machen für das neue ›World Nature Magazin‹.«

Björn? Tom fiel fast das Handy aus der Hand und seine Nackenhaare stellten sich auf. Das konnte gar nicht sein. Björn war tot! Er war in Afghanistan, wegen dieses scheiß heiligen Kriegs, Opfer eines Bombenattentats geworden. Und was war das ›World Nature Magazin‹?

»Björn? Wie? Wo bist du?«

»Ich warte unten am Steg, wo denn sonst? Nun beeile dich, damit wir loskönnen.«

»Ja, ähm... Bis gleich. Ich muss mich noch anziehen.« Tom legte verstört auf.

Er schaute sich um. Trotzdem sein Handy immer noch anders aussah, war sein Haus sein Haus und dennoch war es verändert. Überall an den Wänden hingen respektable Naturaufnahmen, eine Vitrine, die er zuvor nie gesehen hatte, stand in seinem Arbeitszimmer und war gefüllt mit Preisen und Auszeichnungen für Natur-Fotografie.

Er ging ins Bad und blieb vor dem Spiegel stehen. Tom betrachtete sein ebenmäßiges schmales Gesicht, das einen Drei-Tage-Bart zierte, der jetzt eher wie fünf Tage aussah. Seine blaugrauen Augen sahen müde aus, seine kurzen braunen Haare hätten mal wieder einen Frisör vertragen können. Sein Aussehen war ihm immer wichtig gewesen, jetzt schien er einfach nur unendlich müde – und war es auch. Seine gebräunte Haut wirkte fahl und sein durchtrainierter Körper fühlte sich schlapp an. Dennoch fand er, dass ihm der Bart gut stand.

Er duschte eilig, um wach zu werden, zog sich an und überlegte, was passiert sein konnte. Hatte ihn ein Schlag getroffen und war er womöglich tot? Er fühlte fast verzweifelt seinen Puls, der schneller klopfte als sonst, aber es schien alles in Ordnung zu sein.

Mehr als beunruhigt von der Situation verließ er in Windeseile das Haus und lief zum Steg. Er hielt einen Moment inne und betrachtete Björn aus der Distanz. Ohne Zweifel, er war es: groß, muskulös, aber trotzdem schlank. Sein blondes Haar stand in alle Richtungen des Windes und sein glatt rasiertes Gesicht war von der Sonne gebräunt. Er wirkte durchtrainierter, als er ihn in Erinnerung hatte. Fast wie ein Wikinger aus grauer Vorzeit.

Björn winkte, als er auf ihn zukam.

»Mann, du Schlafmütze, da bist du ja.«

Tom umarmte spontan seinen besten Freund.

»Björn, du lebst?«

»Ja, was denn sonst, hast du zu viel getrunken oder was?« Sein Freund lachte und klopfte Tom auf die Schulter.

»Moment, langsam. Ich sehe dich. Du lebst und bist nicht bei einem Bombenattentat in Afghanistan vor zwei Jahren umgekommen? Wie kann das sein?« Tom fühlte sich wie in einem falschen Film. Da stimmte etwas ganz und gar nicht. Mit ihm?

Björn sah seinen Freund besorgt an.

»Geht es dir gut, Tom? Ist irgendwas passiert? Was sollte ich in Afghanistan? Welches Bombenattentat meinst du?«

»Na, diese Kriegsscheiße, Allah ist groß und dieser Mist.«

»Wer ist denn Allah und wieso sollte er groß sein? Ich bin groß.« Björn streckte sich und schüttelte sich vor Lachen.

»Die Auswirkungen des Religionskrieges, Björn, von dem du selbst berichtet hast. Wir sind Kriegsjournalisten«, ließ sich Tom nicht beirren.

»Religion? Was ist das? Welcher Krieg? Du sprichst wie in einem Wahn. Wir sind ausgezeichnete Journalisten, die über die Natur berichten und neue Arten entdecken. Krieg hat es schon seit Jahrhunderten nicht mehr gegeben.«

Tom hielt inne. Entweder wurde er verrückt oder er war wirklich tot.

»Ich fürchte, du bist völlig überarbeitet, Tom. Unser Segeltörn wird dich entspannen.« Björn schaute seinen Freund mitfühlend an.

Tom überlegte fieberhaft, wie er die Situation retten konnte, ohne dass sein bester Freud, der leibhaftig vor ihm stand, dachte, dass er verrückt geworden sei.

»Ich hatte einen furchtbaren Albtraum und ich habe rasende Kopfschmerzen. Ich bin zudem noch nicht ganz wach.«

»Du kannst mir gleich davon erzählen. Deine Kamera hast du auch vergessen, dann muss es dir schlecht gehen. Lass uns erst einmal zur Bucht segeln, dort machen wir eine Brotzeit und dann berichtest du mir von deinem Traum.«

*

Schweigend steuerten die Freunde auf die Bucht zu. Die Juli-Sonne schien, es war trotz leichter Brise angenehm warm, auf dem See spiegelten sich kleine Schäfchenwolken, der Tag wirkte perfekt.

In Tom wütete jedoch ein Kampf. Er war auf der Beerdigung von Björn gewesen, er hatte seine Mutter und seine Frau getröstet. Das alles war bittere Realität und kein Albtraum. Seit Jahrzehnten tobte ein Religionskrieg zwischen den Islamisten und den Christen, und das ließ sich auch nicht wegdiskutieren, das war ein realer Albtraum.

In der Bucht angekommen warf Björn den Anker aus. Er stellte den mitgebrachten Frühstückskorb auf das Vordeck und setzte sich.

Tom überlegte fieberhaft, wie er seinem Freund nun erklären sollte, dass er eigentlich tot sein müsste.

»Na, dann erzähl mir mal von deiner Illusion.« Björn sah seinen Freund mit einem verschmitzten Grinsen an.

»Tja, wo soll ich da anfangen?«

»Na, vielleicht am Anfang.« Björn grinste noch immer. Er schien sich gut zu amüsieren.

»Wir waren Kriegsjournalisten und befanden uns als Berichterstatter mitten im Religionskrieg, die Islamisten gegen die Christen und umgekehrt. Du wurdest von einer Autobombe getötet und ich musste deine Frau und Mutter trösten. Julia hat daraufhin ihren Dienst quittiert und mich verlassen, da ich meinen Job nicht aufgeben wollte. Danach bin ich nach Syrien geschickt worden. In einem heruntergekommenen, fast zerstörten Hotel traf mich ein Schlag am Kopf.«

Tom hatte mit diesen wenigen Sätzen seine letzten zwei Jahre in gekürzter Fassung wiedergegeben.

»Klingt gruselig und gleichzeitig spannend, aber wer ist Julia und was sind Christen und Islamisten?«

»Das fragst du nicht wirklich, oder? Hast du einen Schlag auf den Kopf bekommen oder ich? Julia und ich kannten uns zwei Jahre, wir wollten zusammenziehen. Du kennst sie. Die beiden anderen sind die Bekloppten aus der Bibel und dem Koran«, erklärte Tom verzweifelt.

»Bibel? Koran? Was ist das?« Björn lachte nun nicht mehr. Er schaute Tom ernst an.

»Nun stell dich nicht so blöd an! Wir haben früher darüber immer philosophiert, wenn du dich recht erinnerst. Willst du mich verarschen! Entschuldige, aber du müsstest außerdem tot sein.« Tom war laut geworden.

»Wie kann man so was träumen und auch noch glauben. Ich denke, es ist besser, du nimmst dir mal zwei, drei Tage Auszeit. Es gibt keine Bibel und keinen Koran, auch keine Christen und Islam-oder-was-das-sein-soll. Und ich lebe, wie du siehst«, entgegnete Björn resolut.

»Ja, klar! Das sehe ich, deshalb fasse ich das ja nicht. Gibt es dann auch keine Kirchen und Klöster, oder was?« Tom klang gereizt.

»Was für Dinger?«, fragte Björn. Sorge schwang in seinem Tonfall mit, was nicht oft der Fall war. Björn war ein Optimist, immer den Schalk im Nacken sitzen.

»KIRCHEN! KLÖSTER?«, schrie Tom und schnellte nach oben, sodass das Boot schaukelte.

Björn fasste seinen Freund am Arm und versuchte, ihn zu beruhigen.

»Was soll

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Henry-Sebastian Damaschke
Cover: Henry-Sebastian Damaschke, sheep-black.com
Lektorat: Sandra Krichling, Lektorat Text-Theke Iphofen, text-theke.com
Satz: Petra Weymar, P.S.-Lektorat Kulmbach, lektorat-ps.com
Tag der Veröffentlichung: 28.04.2023
ISBN: 978-3-7554-4089-5

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für dich

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