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Peter Marnet

Verlegt euch selbst !

Published by Peter Marnet at Smashwords

Copyright 2011 Peter Marnet

Peter Marnet
Verlegt euch selbst !
Published by Peter Marnet at Smashwords
Copyright 2011 Peter Marnet
I.0 Vorwort zu Teil I
I.1 - Drei Arten von Autoren
I.2 - Nachgestelltes Vorwort
I.3 - Text, Text, Text
I.4 - Blog oder Ebook?
I.5 - Welche Schleier soll es sein ?
I.6 - Fake-Ich oder Klar-Ich ?
I.7 - ¤ 0,86 - mehr nicht ?!
I.8 - Der 'grüne Zweig'
I.9 - Selfpublishing wird Volkssport
I.10 - 'Copyright' = Recht zur Kopie
I.11 - Frühling aus tausend Trieben
I.12 Buchblog - Blogbuch - Ebook
I.13 Wo ist mein Team?
I.14 Es gibt Dinge, die es nicht gibt
I.15 All das Bestsellerzeug ...
I.16 Sofort-Publishing
I.17 Piraten - Freund oder Feind?
I.18 Wir sind die Zukunft!
I.19 Die Magie der kleinen Zahl
I.20 Das ¤ 0,00-Ebook
I.21 Lesen in der Wolke
I.22 Flatrates für die Indies
I.23 Was für eine Welt!
I.24 Die Odyssee
I.25 Der Traum des Schmetterlings
I.26 Hase und Igel
I.27 Ebooks sind 'Vote'-books
I.28 Wir schreiben für unsere Kritiker
II.0 Vorwort zu Teil II
II.1 Gut und Böse, A und B
II.2 Das Tarnnetz der Unterstruktur
II.3 Das Geheimnis der Medea
II.4 Innenschau und Außenbühne
II.5 Vom Abschreiben zum Schreiben
II.5 Neben- zu Hauptstrang
II.6 Genremix
II.7 Label- und Supraserie
II.8 Für wen schreiben wir?
II.9 Namen und Eigenarten
II.10 Sprach- und Bildliteratur
II.11 Die schräge Idee
II.12 Das ausgelagerte Ich
II.13 Die innere Zeit, die äußere Zeit
II.14 Erzähler oder Dramaturg
II.15 - Sofortpublishing ist kürzer
II.16 Nachwort zur Güte
III.0 Vorwort zu Teil III
III.1 Eingabeformat
III.2 Zwischenformat
III.3 Ausgabeformate
III.4 Ein Cover - muss das sein?
III.5 Preisfindung
III.6 Smashwords
III.7 Amazon
III.8 Die deutsche Plattformen
III.9 Thema: Rezensionen
III.10 Promotion
III.11 Massenboard oder Einzelblog?
III.12 Leser gesucht
III.13 'Discoverability' - ein Platz am Licht
III.14 Anderwelt und Real Life

I.0 Vorwort zu Teil I

Ein Self-Publisher ist ein verlagsunabhängiger Schriftsteller, ein Indie-Autor. 'Indie' steht dabei für 'Independent'. Bei Amazon und anderen lädt er eigene Werke als Ebook hoch. In Amerika, wo mittlerweile mehr Ebooks als Papierbücher verkauft werden, ist das Self-Publishing sehr populär. Aus nicht wenigen Self-Publishern sind Bestsellerautoren geworden.
In Teil I stelle ich Bedingungen und Möglichkeiten des Self-Publishing vor, die Gegenspieler wie Buchpiraten und Verlage und wage einen Ausblick in die Zukunft. Ausgehend von der engen Verknüpfung zwischen Self-Publisher und Internetpublikum, stelle ich mir die Frage, was das Schreiben dieser Indie-Autoren auszeichnen wird.

I.1 - Drei Arten von Autoren

Verächtlich betrachtet die Buchindustrie das neue Kindle Selfpublishing Forum von Amazon. Verletzung des geistigen Eigentums wird denen unterstellt, die bei der Veröffentlichung ihres Buches die Verlage überspringen.
Um diese Vorwürfe einzuordnen, will ich drei Arten von Autoren bei den Buchverlagen unterscheiden:
Zum ersten gibt es die Autoren, deren Buch wirklich neu ist. David Forster Wallace hat mit "Unendlicher Spaß" ein Buch geschrieben, das es vorher noch nicht gab. Die Zahl dieser Autoren ist sehr klein.
Zum zweiten gibt es Autoren, die nur ein wirklich neues Werk geschrieben haben und alle weiteren Bücher bei sich selbst abschreiben. Beispiele sind Günter Grass mit der "Blechtrommel". Aber auch viele Bestseller-Autoren schreiben eigentlich nur ein originelles Buch, der Rest fällt unter Verletzung des eigenen Copyrights. Die Gruppe dieser Autoren ist trotztdem überschaubar.
Das Verlagsangebot besteht hauptsächlich aus der dritten Gruppe der Autoren. Diese schreiben komplett alles ab, versuchen Stil, Konstrukt und Handlung ein wenig abzuändern, um nicht aufzufallen. Ist eigentlich wie in der Schule, wo ich in der Klassenarbeit nicht wortwörtlich bei meinem Tischnachbar abschreiben sollte. Die Gruppe dieser Autoren ist riesig. Sie arbeiten kaum anders als Übersetzer. Von der x-ten Vampirserie, zur eingedeutschten Pathologin bis zum entschwedeten Kommissar - Beispiele kennt jeder zuhauf.
Ein Selfpublishinger dürfte - zumindest anfänglich - der dritten Gruppe zuzurechnen sein. Wir Selfpublishinger oder Indie-Autoren (beide Begriffe bezeichnen dieselbe Sache) sollten geistiges Eigentum wie die Buchverlage respektieren - nämlich gar nicht. Das geistige Eigentum wird von den Verlagen so massenhaft und systematisch verletzt, dass es uns erlaubt ist, vorhandene Werke und Ideen zu benutzen.

I.2 - Nachgestelltes Vorwort

Seit 05.2011 kann sich jeder Autor direkt an die Leser wenden, indem er sein Buch als Ebook bei Amazon im Selfpublishing-Portal hochlädt. Die Verlagsebene, die entweder alles ungelesen zurückschickte oder höflich um Vorauskasse bat, gehört der Vergangenheit an. Damit haben sich die Bedingungen des Schreibens völlig geändert. Zwischen Schreiben und Lesen steht nicht mehr der Buchdruck. Leser und Autor sitzen in demselben Raum an demselben Schreibtisch.
In diesem Buch beziehe ich mich auf die Möglichkeiten, die das Kindle-Selfpublishing bei Amazon bietet. Verlage wie Droemer Knaur mit neobooks.com, die jetzt auf den Zug aufspringen sind, lasse ich beiseite liegen. Groß ist der Unterschied nicht. Für mich ist 'Selfpublishing' gleich 'Amazon'. Google, Apple werden in diesem Bereich zukünftig auch eine Rolle spielen, sicherlich nicht die deutschen Verlage.
Dieses Buch wendet sich an die Autoren, welche die neuen Möglichkeiten nutzen wollen, um ihren Roman, ihre Kurzgeschichtensammlung selbst zu veröffentlichen. Manches wird in der Schublade liegen, einiges im Hinterkopf. Für jeden Autor, für jeden, der gerne schreiben würde, wird ein Traum wahr.
Noch sind technische Hürden zu nehmen. Vornweg gesagt, diese Hürden sind nicht hoch. In welchem Format fange ich mein Buch an? Wie behandele Kapitel, Text? Alles Fragen, auf die ich eingehen werden. Wobei ich es möglichst einfach halten will. Wichtig für einen Autor ist das Schreiben selbst, nicht das Formatieren. Das ist meine Haltung.
Auch sehe ich zwischen einem gedruckten Buch und einem Ebook große Unterschiede, was den Stil betrifft. Diese will ich ausarbeiten. Manches wird kontrovers sein. Einige Beispiele: Im Internet sind Rechtschreibfehler fast Stilmittel, Kürze ist vorzuziehen, stilistische Freiheiten sind unterhaltsam.
Unterschiede sehe ich auch bezüglich des Inhalts. Die Leser sind flüchtig, sprunghaft, abgelenkt. Wir schreiben nicht für Germanisten, sondern für Leser, die auch Musikhörer oder Filmegucker sind. Was langweilt, hat keine Chance. Die zweite Bedeutungsebene wird nicht mehr wahrgenommen. Der Erzählfluss ist wichtiger als das Konstrukt. Die geistigen Besitzverhältnisse sind eindeutig geregelt: Es gibt keine! Alles Dinge, die ein Ebook von einem Papierbuch unterscheiden.
Jede Zeit hat ihre Bücher. Unsere digitale Zeit hat die Bücher gerade entdeckt. Noch nie waren die Autoren so frei! Vergesst die trostlose Nachhut der Papierbücher: die Besprecher, die Schnelldeuter, die Tabuzonen-Kartografen, legt einfach los! Dies Ding ist wirklich neu!

I.3 - Text, Text, Text

Mein Buch erscheint im Epub-Format. Es ist das gültige Fließtextformat. Das bisherige amazoneigene Format Mobi unterscheidet sich nicht wesentlich von diesem Standartformat. Epub zeichnet sich dadurch aus, dass es sich der jeweilige Größe des Ausgabegerätes (EReader, Tablet-PC, Handy) anpasst, es ist größenflexibel, daher der Name 'Fließtextformat'.
Mein Worddokument wird von mir in Epub umgewandelt (dazu später) und ist jetzt auf jedem Ausgabegerät einwandfrei lesbar. Dies ist eine immense Erleichterung. Schwierigkeiten bereiten Fotos, Tab-Sprünge, Tabellen, Rahmen etc. - alles Dinge, die einen festen Platz und eine feste Größe im Dokument einnehmen, also nicht fließen.
Für das Selfpublishing eignen sich Texte ohne weitere Anreicherungen. Wenn ich nicht ein halbes Dutzend Abstimmungsschwierigkeiten bekommen will, muss ich mir mein Buch als reinen Text in einheitlicher Schriftgröße und in gebräuchlicher Schrift wie Arial und Times New Roman vorstellen können. Kinderbücher, Fachbücher, Comics etc. eigenen sich nicht für das Selfpublishing. Wer Bilder, besondere Schriften, sichtbare Strukturen benutzen will, schreibt am besten im starren PDF-Format, das eine Verwandlung in Epub nicht zulässt. Eine professionelle Unterstützung wird dabei nötig sein.
Bleiben nicht viele Möglichkeit für's Selfpublishing: Von der Kurzgeschichte bis zum Roman, von der kurzen bis zur langen Lebensbeichte ist alles erlaubt, aber eben nur: Text, Text, Text.
Damit haben wir aber ein Problem: Wir leben in einer anderen Welt: Bild, Bild, Bild. Wer liest noch drei Sätze in Folge? Musik ohne Video ist mutig! Text ohne Buntes unzumutbar! Da stehen wir nun mit unseren Möglichkeiten in einer Welt von Bildern. Wir haben ein elegantes, kompatibles Format und damit ein richtig großes Problem.
Wenn wir überhaupt mit Lesern in Kontakt treten wollen - und ich rede nur von Blickkontakt - dann müssen wir Textleute uns den Bildmenschen anpassen. Dann müssen wir kurze Sätze gebrauchen. Dann müssen wir eine bildreiche Sprache benutzen. Dann muss das Erzählte den Erzählten sofort packen. Wenn wir nicht nach 10 Sekunden im Kopf des Lesers drin sind, dann bleiben wirdraußen.
Von dieser Annahme gehe ich aus. Was unseren Text auszeichnen muss, werde ich dementsprechend herausarbeiten.

I.4 - Blog oder Ebook?

Dieser Blog wird kapitelweise zu einem Ebook. Dann werde ich über meine ganz praktischen Erfahrungen mit dem Selfpublishing bloggen. Das veröffentlichte Ebook wird ergänzt und nachveröffentlicht.
Dies zeigt die neuen Möglichkeiten, die sich uns Selfpublishern bieten. Im Augenblick schreibe ich einen Thriller, den ich vorab nicht veröffentlichen will, weil viel nachzuarbeiten ist. Mit ein wenig Routine, mit Übersicht ist aber durchaus vorstellbar, dass selbst ein Roman kapitelweise in einem Blog vorveröffentlicht wird.
Ich spreche hier von neuen Möglichkeiten, die aber so neu eigentlich nicht sind. Sie sind einfach vergessen worden: Viele Schriftsteller des 19. Jahrhunderts haben ihre neuesten Werke - nicht den Nach-Taschenbuch-Aufguss - in Tageszeitungen veröffentlicht. Die haben wirklich jeden Tag ein Kapitel neu geschrieben, sonst wären sie verhungert!
Kurze Texte, Erzählungen, Reiseberichte sind perfekt zum Bloggen. In meinen Blog kann ich auch mediale Inhalte wie Kurzfilme, Bilder oder Karten einbringen, die ich im Ebook nicht verankern kann. Eigenes Hintergrundmaterial, Links, Kommentare fassen das Ebook wie in einem zweiten Rahmen ein. Im Ebook selbst wird auf die Blog-Adresse verwiesen.
Mag am Anfang unserer Schriftstellerei vermessen klingen. Nach ein paar Werken aber wird durchaus Interesse bestehen. Der Blog ist umsonst. Alles, was im Internet umsonst ist, wird gerne angeklickt. Jemand, der unentschlossen ist, kann sich vor dem Download im Blog ein wenig nach uns umsehen. Werke, die nicht mehr runtergeladen werden, können hier umsonst als Einstieg angeboten werden.Der Buchpreis richtet sich nach der Nachfrage, nicht nach der Bindung.
Der Blog sammelt alles über mich ein. Hier habe ich einen zentralen Link, der zur mir führt, ob von Facebook, Twitter oder meinen und anderen Blogs. Nebenbei kann ich hier auch über Flattr die Besucher anbetteln. Hätte Charles Dickens diese Möglichkeit gehabt, er hätte sie sicherlich genutzt!
Solange die FAZ oder Spiegel Online nicht über mich berichten, kann ich mich bloggend als die Person hinter dem Schriftsteller darstellen. Ich kann Interviews mit mir selbst führen, ich kann eine Biographie schreiben, ich kann mir Preise verleihen - was immer mir einfällt. Der Wahrheitsgehalt ist nebensächlich. Ein erfundener Schriftsteller, der über erfundene Personen schreibt - warum nicht? Die Internet hat wenig Geduld mit Langeweilern. Witzig 'muss' es sein, wahr 'kann' es sein!

I.5 - Welche Schleier soll es sein ?

Ein paar Kleinigkeiten zur Technik des Verschleierns im Internet:
Grundlage allen offenen Verkehrs im Internet ist meine IP. Auf der Seite wieistmeineip.de kann ich sehen, was an jeder Schaltstelle von mir zu sehen ist. Selbstverständlich lässt sich über meinen Internet-Provider meine Identität abfragen. Jeder meiner vielen Schritte im Internet ist sichtbar.
Grundlage allen anonymen Verkehrs im Internet ist ein VPN-Server wie zum Beispiel hidemyass.com. Wenn ich mich ins Internet einwähle, gehe ich erst durch den 'Tunnel' des VPN-Servers. An dessen Ende wird mir eine andere Identität zugewiesen. Damit bin ich unsichtbar geworden.
Es gibt vier Möglichkeiten, wie ich mit meiner Identität als Schriftsteller umgehe:
1. Ich erstelle über einen VPN-Server z.B. einen neuen Googlemail-Account mit erfundenen Daten, mit dem ich mich bei Amazon anmelde und mein Buch hochlade. Damit bin ich - auch für Amazon - komplett unsichtbar.
2. Ich erstelle ohne VPN-Server einen Googlemail-Account mit erfundenen Daten. Für Amazon bin ich unsichtbar, aber meine Identität ließe sich bei meinem Internet-Provider erfragen.
3. Ich benutze meinen eigenen Mail-Account und gebe beim Hochladen des Buches ein Pseudonym als Autor an. Damit bin ich für Amazon sichtbar, aber für niemanden sonst.
4. Ich benutze meinen eigenen Mail-Account und meinen Namen für die weitere Anmeldung. Damit bin ich für jeden sichtbar.
Für eine von diesen vier Möglichkeiten muss ich mich vor dem Hochladen meines Buches entscheiden.

I.6 - Fake-Ich oder Klar-Ich ?

'Peter Marnet' ist ein Fake-Name, erstellt mit einem VPN-Server, soviel vorneweg. Nicht einmal Amazon weiß, wer 'Peter Marnet' ist. Dagegen eine Indie-Bloggerin wie XY versteckt sich nicht. Vom Foto bis zur Anschrift ist alles vorhanden. Das sind die Grenzen, zwischen denen alles möglich ist.
XY hat gute Gründe, sich nicht zu verstecken. So offen, wie sie im wirklichen Leben auftritt, so offen tritt sie im Internet auf. Das wirkt sympathisch. Eine solche Person ist ansprechbar. Sie kann ihre verschiedenen Auftritte bei Facebook, Twitter und den Blog-Links als XY koordinieren. Jeder kann ihre Blogbeiträge kommentieren. Sie kann ihren Bekanntheitsgrad nach und nach erhöhen.
'Peter Marnet' ist nicht ansprechbar. Es gibt keinen Account in den sozialen Medien. Allein über die Mail-Adresse ist ein Kontakt möglich. Meinen Bekanntheitsgrad kann ich so nicht erhöhen.
Ebooks schreiben und Kontakt zu den Lesern halten sind zwei Dinge. Gehören sie nicht zusammen? Nun ja, am Anfang schon. Die Indie-Szene ist eine Baby-Szene, gerade mal geboren, eigentlich ein 'Frühchen', noch im Brutkasten von Amazon. Zu diesem Zeitpunkt tut ein Indie-Autor gut daran, einen Kontakt zu den wenigen Lesern herzustellen. Das ist richtig, wenn aus 10 Lesern 100 Leser werden sollen.
Was aber ist - und das geht viel schneller! - wenn aus 100 Lesern 1.000 Leser werden? Wer dann Kontakt halten will, kann nicht beides leisten: Schreiben und Kontakt halten. Der Zeitaufwand ist viel zu groß. Klare Sache also: Wer viel Zeit für das Schreiben braucht oder wenig Zeit zum Schreiben hat, sollte sich gut überlegen, wieviel Kontakt er zulässt. Diese Überlegung sollte am Anfang stehen.
Wenn XY 100 Leser hat, dann werden - sagen wir mal - fünf davon einen netten Kontakt zu ihr herstellen. Wenn sie 1.000 Leser hat, weil aus dem Frühchen ein dralles Babykind geworden ist, dann hat sie ein neues Problem: Unter den 53 Lesern, die dann Kontakt mit ihr herstellen wollen, ist mindestens ein Vollpsychopath und zwei, die auf bestem Wege sind. Diese haben einen siebten Sinn selbst für die kleinste Internet-Bühne!
Dann muss sie die Kommentarfunktion ganz deaktivieren oder jedenKommentar zulassen. Einzelne Kommentare zu löschen, ist nicht möglich. Gerade diese Leute sind im Internet zuhause und würden alle Kanäle für eine Zensur-Kampagne nutzen. Dann wird der Vollpsychopath zum Endpsychopath und die Indie-Autorin zum Nervenwrack!

I.7 - ¤ 0,86 - mehr nicht ?!

¤ 0,86 wird dieses Ebook kosten. Das ist der Mindestpreis bei Amazon. Darunter geht es nicht. Die Tantiemen, die ich bekomme, sind 35 % (= ¤ 0,26), nicht 70 % wie bei Ebooks, die mit mindestens mit ¤ 2,60 angeboten werden.
Welchen Preis kann ich verlangen? Stellen wir zuerst die Frage, wieviel das Schreiben eines bekannten Schriftstellers im Internet wert ist. Davon ausgehend lässt sich besser einschätzen, welchen Wert das Schreiben eines unbekannten Autoren hat.
Der neue Nele Neuhaus-Bestseller kostet als Ebook ¤ 12,99. Schön und gut - kostet er tatsächlich soviel? Machen wir die Probe. Wir googlen 'Nele Neuhaus Wer den Wind sät Ebook' und finden bei den ersten fünf Ergebnissen: 3 x den Preis von ¤ 12,99 und 2 x den Preis von ¤ 0,00. Wer aber gibt ¤ 12,99 für ein Buch aus, das er in gleicher Qualität für piratenmäßige ¤ 0,00 bekommen kann? Vermutlich sehr wenige. Also liegt der real erzielte mittlere Preis pro Download für den Nele Neuhaus-Krimi vermutlich bei ¤ 3,00 - nicht höher.
Das ist ein bisschen Kaffesatzleserei - ähnlich des Ausmaßes der Schwarzarbeit in Deutschland. Eine 'schwarze' Größe lässt sich nicht seriös schätzen. Trotzdem: Der Anteil der Ebooks an den legalen Buchverkäufen ist in Deutschland sehr gering. Auf der anderen Seite sind die EReader teilweise ausverkauft. Was machen die Leute aber mit den vielen EReadern, wenn sie nicht Ebooks lesen? Eben - sie lesen die illegalen Ebooks! Meine Schätzung, dass Nele Neuhaus nicht mehr ¤ 3,00 pro Download erzielt, ist von daher nicht ganz unbegründet.
Wenn eine bekannte Autorin wie Nele Neuhaus nur ¤ 3,00 für ihr Ebook pro Download bekommt, dann ist der ausgerufene Preis von ¤ 0,86 für das Ebook eines unbekannten Autoren reichlich hoch. Welchen Preis kann ich verlangen? Die Antwort zu der Frage von oben lautet: Vernünftigerweise dürfte ich - solange ich unbekannt bin und es Buchpiraten gibt - nicht mehr als ¤ 0,00 für mein Ebook verlangen.

I.8 - Der 'grüne Zweig'

¤ 0,26 bekomme ich für jeden Download dieses Buches. Es sei denn, ein Buchpirat lädt es hoch. Dann bekomme ich nichts (= ¤ 0,00). Die augenblickliche Situation ist trostlos für mich. Ein 'grüner Zweig' ist nicht in Sichtweite.
Immerhin kostet mein Ebook nur ¤ 0,86. Das ist ein kleiner Lichtblick. Eine Kleinstsumme tut nicht weh und hält viele davon ab, das Angebot der Buchpiraten anzunehmen. Auch bei den Buchpiraten ist das Hochladen von Ebooks, die fast umsonst sind, unüblich. Die Kleinstsumme steht also einer großen Anzahl von Downloads nicht im Weg. Unter den Ebook-Top-20 in Amerika sind mehrere bis dahin unbekannte Autoren mit $ 0,99 als Preis - sehr zum Ärger der Platzhirsche.
Ich veröffentliche das Ebook und habe - sagen wir mal - 100 Downloads. Verdient habe ich ¤ 26,00 - mehr nicht. Dadurch wird mein Blog bekannter. Auf diesem schalte ich Werbung und einen Flattr-Button. Wieder Kleinbeträge, die dann eingehen.
Mein nächstes Ebook verkaufe ich für ¤ 2,60, für die ich ¤ 1,82 (70 % Tantieme) erhalte. Jetzt bekomme ich etwa soviel, wie ein Autor für sein ¤ 9,99-Papierbuch bekommt. Wir hatten vergessen, dass Papierbuch-Autoren fast nichts bekommen, der Rest geht drauf: für den Verlag, den Buchhandel, die Ladenmiete, die verschiedenen Dienstleister.
Das erste Buch hat mich eine bisschen bekannt gemacht. Das zweite Buch macht mich noch bekannter, hat 500 Downloads und höhere Werbeeinnahmen zur Folge. Bei ¤ 1.000,- bin ich jetzt - immerhin. Nicht abwegig, dass ich bei dem dritten Buch zufrieden mit dem Ertrag bin. Weil ich nur mit Amazon teile, bekomme ich für einen Download relativ viel Geld. Weil der Preis niedrig ist, habe ich viele Downloads.
Nicht wenige der Platzhirsche werden über kurz oder lang bei Amazon, Google, Apple anheuern und die Verlage und den Buchhandel komplett umgehen. Ein ¤ 19,90-Papierbuch, das sich 10.000 mal verkauft, ist ein Bestseller. Ein Autor bekommt dafür etwa ¤ 40.000 - wohlgemerkt für einen Bestseller! Er kann sein Werk für ¤ 5,70 anbieten, wenn er dieselbe Summe bei Amazon erwirtschaften will. Vermutlich wird er dann deutlich mehr Leser finden, weil sein Werk nur etwa 1/4 kostet.
An dem Beispiel vom unbekannten Schriftsteller und vom Bestsellerautor zeigt sich, welche finanziellen Möglichkeiten das Selfpublishing bietet. Der unbekannte Autor hat die Chance, sich selbst schrittweise bekannt zu machen. Einen seriösen Verlag mit langem Atem - der es nicht auf die Vorauskasse abgesehen hat - hätte er nicht gefunden. Der bekannte Autor profitiert von seinem Werk, weil er nicht mit Agent, Lektor, Drucker, Buchhändler, Kreditgeber, Ladenlokalbesitzer teilen muss. Da ist er - mein 'grüner Zweig'!

I.9 - Selfpublishing wird Volkssport

Wer viel liest, hat sicherlich schon einmal daran gedacht, ein eigenes Werk zu schreiben. Hat er solche Wünsche öffentlich gemacht hat, hielt ihn seine Umgebung schnell für hirnkrank. Das Schreiben war im Wirkunsgkreis und Eigentum der Verlage. Wie wäre dieser Olymp jemals erreichbar gewesen? Doch nun ist ein kleiner, mutiger Schritt nötig. Vielleicht wird ein Selfmade-Schriftsteller in Deutschland immer noch merkwürdig angesehen - in Amerika ist Selfpublishing bereits Volkssport.
Eigentlich ist das Bloggen eine Art von Selfpublishing. Ratet, wieviel Blogger es in Deutschland gibt. Ein Blog lässt - anders als ein Epub - die Einbindung von Bildern zu. Ein Blog wird vorzugsweise am PC gelesen, ein Epub oft auf kleineren monochromen Ausgabegeräten. Bloggen erlaubt Themensprünge, kann in die Breite gehen, während Selfpublishing, thematisch eingegrenzt, in die Länge arbeitet. Mein Blog-Buchprojekt ist ein Beispiel dafür, wie aus dem Bloggen das Selfpublishing werden kann. Es gibt etwa 1,5 Millionen Blogger in Deutschland und vielleicht 100 Selfpublisher. Letztere Zahl wird explodieren - das ist keine Hellseherei!
Doch wer werden diese Selfpublisher sein?
Die neuen digitalen Schriftsteller werden sicherlich aus den Reihen der Bücherfans kommen. Schreiben ist eigentlich nicht schwer. Phantasie, vor allem Zeit und Ruhe brauche ich - mehr nicht. Nicht umsonst ist Amanda Hocking - die bislang erfolgreichste Indie-Autorin - eine Altenpflegerin. Als OP-Schwester wäre sie kaum zum Schreiben gekommen!
Das Epublishing werden viele Autoren nutzen, die sich an ein spezielles Publikum wenden, das nicht mehr als ein paar Dutzend Interessierte umfasst. Verlage haben immer Auflage machen wollen. Dabei blieb viel liegen: seltene Hunderassen, Kuriossportarten, Vereine und Vereinigungen, eigene Kochrezepte. Gerade im Randbereich der Randthemen sind ja auch die Blogs sehr stark vertreten.
Es gibt antiquarische Schätze aus dem frühen Familienerbe, die sich heben lassen. Die Leute früher konnten richtig gut schreiben: lange Briefe, Tagebücher, Lebenserinnerungen. Vieles ist mit den alten Fotos aufgehoben worden. Was für unsere Angehörigen Alltag war, lässt uns heute staunen. Ich habe eine Ur³-Tante, die beschreibt, wie elektrisches Licht zu ihnen ins Haus kommt. Zumindest für die Familie ist das interessant. Für's Selfpublishing mit einem Foto als Cover reicht das allemal - Speicherplatz hat Amazon genug.
Es wird einen neuen Berufszweig geben - den professionellen Schreiber für Senioren. Jeder in Deutschland wird sein Leben und seine Ansichten öffentlich machen können. Die Alten, die den digitalen Medien fern sind, werden einen Mittler finden, der ihr Mitteilungsbedürfnis bedient. Geld genug haben die meisten, nur wenig Zuhörer. Jedem Autobiographen wird so das Gefühl gegeben werden: Ich stelle mich dem Internet, den jungen Leuten vor. Neben dem Hörstudio und dem Sanitätshaus werden wir Firmenschilder lesen wie: 'Meine Ansichten - Die Zeit ist da!', 'Ihr Leben - Wir hören zu!' oder 'Der Biograph - Sie sind es wert!'. Wer weiß: Lebensinnenansichten sind vielleicht nicht für uns interessant, aber für unsere Enkel womöglich doch.
Selfpublishing wird Volkssport. Es wird viel Absonderliches, Abwegiges, Schrulliges, Wahnhaftes dabei sein. Warum nicht? Viele von uns lesen nicht die Artikel von Spiegel Online, sondern die Kommentare. Sie werden reichlich Training für ihre Lachmuskeln haben. Es wird aber auch neue Bestseller-Autoren jedglicher Gattung geben - die augenblickliche Überheblichkeit der Verlage wird nicht lange vorhalten.xxx

I.10 - 'Copyright' = Recht zur Kopie

Vom Zeitpunkt der Veröffentlichung an besitze ich das Copyright an meinem Werk. So ist das Gesetz. Es schützt mich in dem unwahrscheinlichen Fall, dass jemand ein 1:1-Plagiat von meinem Werk unter seinem echten Namen öffentlich macht und mich davon in Kenntnis setzt. Es ist ein totes Gesetz - eine Debatiervorlage für Ahnungslose!
Jegliche Art von digitaler Ware wird der Internetgemeinde von Heerscharen namenloser Gönner kostenlos zur Verfügung gestellt. Alles was Geld kostet, wird 'enteignet'. Wenn es eine Moral gibt, dann die, dass nichts etwas kosten darf. Ebooks als solche sind sehr kleine Dateien. Sie sind daher besonders schutzlos. Eine gutsortierte Piratenbibliothek von 1.000 und mehr Ebooks kann leicht als 500 MB-Mail-Anhang versandt werden. Eine Gegenwehr gibt es nicht. Alle die diversen Schutzmaßnahmen dienen nur den Firmen, die sie entwickeln. Kopierschutz ist für die Piraten kein Hemmnis, für die ehrlichen User ein Ärgernis. Der DRM-Schutz von Adobe ist der Hauptgrund, warum die Ebooks sich so schlecht verkaufen.
Aber nicht nur mit namenlosen Buchpiraten habe ich zu rechnen. Wandelt jemand mein Werk unter seinem Namen nur leicht ab, bin ich machtlos. Zu Zeiten der Schreibmaschine und des Papierdrucks war Abschreiben mühevoll, aufwändig und kostenintensiv. Der Abschreiber war gegenüber dem Abgeschriebenen eindeutig im Nachteil. Das ist heute anders. Mit ein bisschen 'Textverarbeitung' kann meine Abschrift wenige Tage später im Netz stehen, ohne dass ich eine Entdeckung fürchten muss, ohne dass mir Kosten entstanden sind.
Jeder, der digital veröffentlichen will, sollte wissen, dass seine Schöpfung mit der Wahl dieses Mediums allen gehört, eine Abgrenzung von 'eigen' und 'fremd' nicht mehr möglich ist. Er sollte ehrlichen Herzens damit einverstanden sein. Das Internet bietet tolle Möglichkeiten, sich bekannt zu machen. Die Kehrseite ist, dass sich jeder bei jedem bedient. Es ist eine Gemeinschaft - all die Ideen und Schöpfungen sind bereits Gemeinschaftswerken oder werden es sein.
Wer digital publiziert, sollte sich keine Gedanken machen, sein Werk zu schützen. Ist es nicht eine Anerkennung, wenn meine Ideen aufgegriffen werden? Auch ich habe die Möglichkeit, Ideen aufzugreifen. Es ist ein sich schnell drehender Kreislauf von Ideenklau. Alles kehrt zu sich selbst zurück. Ist es nicht eine schöne Vorstellung, dass ich über kurz lang meine eigenen Ideen stehle!?

I.11 - Frühling aus tausend Trieben

Die wahren Künstler sind nicht die Schriftsteller, sondern die Verlagsmanager! Sie wählen ein Buch unter Tausenden aus, schneiden es serienreif, schleifen es für den globalen Vertrieb glatt, erweitern seine Verwertbarkeit zum Film, Hörbuch, Werbeträger, Modelabel, Online- und Offlinespiel, zum Schulheftcover und Schlüsselanhänger. Was für ein banaler, eindimensionaler Vorgang dagegen das Schreiben von Bücher ist!
Die Zusammenarbeit mit diesen Künstlern verlangt den Schriftstellern einiges ab. Er konzentriere sich bitte auf das Genre, auf die Schublade, auf das Kästchen, in dem genau für ihn ein Platz gelassen wurde. Er stelle sich einen Süßigkeitenautomaten vor, wo alles seine gekühlte Ordnung hat. Er verfalle nicht dem Wahn, sich für unentbehrlich zu halten. Die ersten 100 Seiten - sagen wir 43 Seiten - waren nicht schlecht, nun aber überlasse er das Schreiben dem Team, den Serienprofis. Er achte darauf, dass er nicht zu sehr dem Alkohol zuspreche, denn sein Gesicht wird gebraucht: für die Buchmesse, die Fernsehtalks, die Lesungen in Buchhandlungen und Autohäusern, für Kulturbeilagen und Promiblätter.
Wir Selfpublisher werden kaum jemals einen solchen Magier des Buchvertriebs zu Gesicht bekommen. Das hat Konsequenzen für unser Schreiben.
In den Schubladen der Buchgenres toben sich bereits die erfolgreichsten der Indie-Schriftsteller aus. Sie stecken die Kästchen um oder beseitigen sie ganz. Nach Neuerung steht ihnen nicht der Sinn, wohl aber nach Unordnung. Oft nehmen sie einen Schriftsteller als Vorbild und schreiben nach 100 Seiten - sagen wir 43 Seiten - ihren eigenen Stil, ihre eigene Sache. Es fällt ihnen nicht schwer, authentischer zu wirken als ein Schreibprofi, der vor der Buchserie Politikerreden schrieb oder Rat gab in der 'Apotheker-Rundschau'.
Die Grenzen zwischen den Schubladen werden verschwinden. Die Genremischung wird ein Wesenszug des Selfpublishing. Mit der gewonnenen Freiheit werden schnell Misch- und Neugenres entstehen. Ein Schreibprofi, der punktgenau auf die Tränendrüse der 45-jährigen euroamerikanischen Akademikerin drückt, ist ein Techniker, kein Pionier. Die Selfpublisher werden schnell das Genre wechseln können, was dazu führt, dass sie auf Entdeckerreise gehen können, bis sie ihr eigenes Ding gefunden haben. Dort angekommen und heimisch geworden, können sie es mit jedem angemieteten Schreibteam aufnehmen.
Neben den Mars-Snickers-Kühlautomaten der Verlage werden plötzlich - Seite an Seite - die windschiefen, naiv-fröhlichen Stände der Selfpublisher stehen. Der Global Player trifft auf den Erzeuger vor Ort.

I.12 Buchblog - Blogbuch - Ebook

Ein Sachbuch wird mit jeder Auflage stufenweise einem veränderten Wissensstand angepasst. Selbst ein Fachbuch - von der Persönlichkeit des Autors geprägt - wird für eine neue Auflage umgeschrieben. Nur belletristische Werke sind unveränderlich auf das holzige Papier gebannt.
Muss das sein? Ein digitales Buch kennt keine Auflage, lässt sich stufenlos umarbeiten. Warum also diese Möglichkeit nicht nutzen? Die Postings eines Blogs sind die Kapitel eines Buches. Dieser Blog ist nichts anders als die übergangslose Zwischenfassung meines Buches. Mein nächster Buchblog wird ein Thriller sein. Belletristik ist sicherlich schwieriger, setzt eine klare Struktur voraus, ein paar Vorgedanken - ist aber einen Versuch wert.
Die Bedingungen des Schreibens haben sich geändert. Wenn mich die Leser beim Schreiben des Buches begleiten, kann ich mir Irrwege ersparen. Das setzt voraus, dass ich weiß, was ich will. Eigentlich sollte ich in groben Zügen wissen, wie mein Buch aussehen soll. Davon sollte ich mich nicht abbringen lassen. Wenn die Leser alle Mauern einreissen können, dann können sie meine Burg schleifen. Ein On-the-Blog-Autor muss darauf gefasst sein, von der ersten Zeile an Widerspruch zu ernten. Am Ende - falls er nicht überrannt wurde, falls von den Mauern noch Reste stehen - wird sein Buch besser sein, nicht schlechter.
Das Wort des Lesers hat Gewicht, weil es von den anderen Lesern gesucht wird. Die Kundenrezensionen bei Amazon haben die - durch Werbung bezahlten - Buchkritiken überflüssig gemacht. Ein Werk, das von den Lesern nicht mehr als 2 Sterne bekommt, ist unverkäuflich. Die Kritik an einem Papierbuch ist immer endgültig. Im Fall der Digitalbücher ist Kritik aber ist kein Fallbeil mehr, weil ein Umschreiben, eine Revision jederzeit möglich ist. Wenn die Leser solchen Einfluss haben, warum gebe ich nicht nach, ehe es zu spät ist. Diese Flexibilität ist ein Vorteil, kein Nachteil.
Unsere Leser erleben jede Veränderung am Buch bloglive mit. Es wird eine sich austauschende Form des Lesens entstehen. Diese Dinge kommen aus dem Nichts. Auch die Leser werden lernen müssen, wo 'ihr' Autor Unterstützung und Lob braucht. Ich sollte keine Angst wecken: Die übergroße Mehrheit der Beiträge wird schwammig, aber positiv sein. 90 % der negativem Beiträge werden sehr hilfreich sein, 10 % der negativen Kommentare sind schlichtweg eitel und destruktiv. Es wird Zeit brauchen, aber am Ende wird euch der Leser nicht mehr mit dem Holzhammer gegenüberstehen, sondern mit Blumenstrauß und Nagelfeile.
Halt! Nur keine Angst vor destruktiven Beiträgen! Die Leser gehen gegen egomanische Zerstörer sehr entschieden vor. Diese oft heftigen Auseinandersetzungen werden als 'Flamewar' bezeichnet. Grundsätzlich sei gesagt: Ich habe als Autor in den Leserkommentaren nichts zu suchen. Da sollte ihr euch auf keinen Fall selbst einschalten. Lasst die Kommentare laufen. Die Grundregel ist: Die Unterstützung kommt immer dann, wenn euch die Tränen bereits in den Augen stehen.
Habe ich das alle zu Ende gedacht? Das Schreiben als Duo - durchaus üblich bei den Historischen Roman - bietet sich geradezu an. Das Schreiben einer Serie von verschiedenen Autoren ist möglich. Es gibt nichts zu teilen - warum sollten wir uns nicht richtig gut vertragen? Zusammenarbeit mit den Lesern ist möglich. Ihr könnt Vorschläge sammeln, wenn ihr nicht weiterkommt. Das kann so weit gehen, dass ein Autor bewusst das Ende weglässt. Er lässt seine Leser ein Buch zu Ende schreiben. Am Ende steht eine Leserabstimmung im Sinne von: Ein-Thriller-sucht-seinen-Autor!
Von einem bin ich fest überzeugt: Wo wir jetzt staunend vor den neuen Möglichkeiten stehen, werden wir in zwei Jahren nicht glauben wollen, welche Möglichkeiten wir übersehen haben.

I.13 Wo ist mein Team?

Ich gebe zu, wir blicken schon in die Zukunft. Die Gegenwart ist trostlos und entmutigend. Nirgendwo eine Seele, die mich lesen will. Nur am Samstag abend ein paar Surfer, die meinen Blog anklicken. Nicht jeder wird völlig nüchtern sein, der hier landet. An manchen Tagen schaut nicht einmal der Google Crawler vorbei. Was rede ich da von einem Team, das mir zur Seite steht?
Für die einen ist es selbstverständlich, die anderen Autoren schütteln ungläubig den Kopf: Auf allen Ebenen, in den vielen Boards des Internets bekommt ihr zu jedem Thema Hilfe. Jeder, der ein Problem hat, findet jemanden, der ihm hilft. Je mehr ihr euch auskennt, desto hochkarätiger ist die Unterstützung. Ungnädig sind die Helfer nur mit denen, die sich absichtlich blöd anstellen oder einfach nur bequem sind. Voraussetzung ist oft die Mitgliedschaft in einem dieser Boards. Kostet nichts, dient dem Zweck, die Themen zu ordnen, die Verantwortlichen festzulegen, den Kontakt untereinander zu erleichtern.
In kürzester Zeit wird es ein Indie-Forum geben. Das Neue, Spontane zu organisieren - darin ist das Internet wirklich gut. Die Boards entstehen auf Grundlage einer einheitlichen Board-Software, die für alle gleich ist. Daher unterscheiden sich viele Boards nur in der Farbe, in den Kategorien und im Grad der Illegalität. Der ganze sonstige Aufbau ist vorgegeben. Ein einzelner kundiger User reicht, um ein Board zu erstellen. Speicherplatz gibt es anfangs umsonst, später für kleines Geld. Ein Indie-Forum wäre ein legales Forum - keine Notwendigkeit also, russische Server zu benutzen, sich in Panama zu registrieren und hinter jedem Kontakt einen Rechtsanwalt zu vermuten. Amazon-Werbung könnte geschaltet werden. Für die Einnahmen reicht das gute, ehrliche Postbankkonto. Jeder könnte mitmachen. Daher: Ein Indie-Forum wird sehr bald kommen!
Was ein Lektor leistet, können auch die Leser leisten. Als die Buchpiraten die Bücher noch eingescannt haben - lange bevor die Verlage den Digitaldruck entdeckten - waren Scannen, Rechtschreibprüfung und Korrektur drei Vorgänge, an dessen Ende ein - oft perfektes - Ebook stand. Die Gruppen gingen arbeitsteilig vor. Die Arbeit wurde nach Aufwand, aber auch nach Fähigkeit verteilt. Es gab Meister, Gesellen und Lehrlinge. Niemand wurde ausgelacht, wenn er sich ernsthaft bemühte. Jeder konnte und wollte aufsteigen. Nebenbei gab es nur Ebooks zu lesen, wenn ich selbst Ebooks für andere erstellte - auf welcher Ebene auch immer.
Wir Indie-Autoren werden auf Leser treffen, die auch mit dem Gedanken spielen, 'independent' zu schreiben. In den verschiedenen Stadien unseres Buches ist Mitarbeit und Mitsprache möglich und von Vorteil. Das gilt für Formatierung und Rechtschreibung, aber auch für den Aufbau und die Idee des Buches. Hier geht es um Mitarbeit, die über punktuelles Kommentieren hinausgeht. Aber auch unsere Mitsprache wird erwünscht sein und einforderbar sein. Stellt euch also darauf ein, selbst Hilfe zu leisten. Für jemanden, der nur von der Arbeit der anderen profitiert, gibt es das Wort 'Leecher' - eine in gewissen Kreisen 'tödliche' Beleidigung.
Wie die Verlage werden wir in Teams arbeiten können. Wir haben die gleichen Bedingungen, wenn wir wollen. Den Buchpiraten wird von Fachleuten eine - für die Verlage - erschreckend professionelle Qualität nachgesagt. Warum soll dies nicht für Indie-Autoren gelten?

I.14 Es gibt Dinge, die es nicht gibt

Buchpiraten!? Die gibt es nicht. Falls es sie doch gibt, dann wegschauen und das Thema wechseln! Das Internet von außen und das Internet von innen: Zwei Wirklichkeiten, die wenig gemeinsam haben. Uns Autoren im digitalen Eigenverlag gibt es nur durch das Internet. Mit dem Wegschauen ist anderen gedient, uns nicht. Wir sind Teil des Internets mit allen seinen Freiheiten, Respektlosigkeiten, seiner Unmoral und den Zonen, die es nicht gibt.
Dass wir digitalen Autoren eine andere Art von Büchern schreiben müssen, leite ich in all diesen Kapiteln aus unserem Umfeld her. Wir sollten den Tabubruch zum Stilelement machen. Wir können an Aufmerksamkeit gewinnen, was wir im Außenfeld des Internets an Respaktibiltät verlieren. Die Internetuser sind einiges gewöhnt. Kein Spieleentwickler, der nicht in Auseinandersetzung mit Spielern seine Ideen entwickelt. Die Kids geben den Ton an, nicht die Produzenten. Wir befinden uns mit unseren Ebooks in einem Umfeld, dass süchtig nach Grenzüberschreitung ist.
Uns sollte klar sein, dass es in den Piratenboards bei den Ebooks und Audiobooks eigentlich nur 4 Genres gehen: Vampirromane, Fantasy, Liebesromane (junge Kreditkartenfrau sucht ehrlichen Lover) und Pornos (meist Soft-SM). Nur interessehalber solltet ihr euch Seiten wie boerse.bz, buecherkiste.org und mygully.com ansehen. Das wollen die Leute lesen! Das Projekt Gutenberg ist wie eine massige Kirche. Es gibt sie zwar, aber keiner geht hin. Wenn wir schreiben, sollten wir zumindest wissen, was die Leute im Netz lesen. Mehr will ich nicht sagen. Ich fordere niemanden auf, über Lustsklavinnen, Erdzwerge und das Berufskolleg 'Zaubern und Bluttrinken' zu schreiben.
Immer noch sind die Ebooks nicht bei den Leserinnen um die 50 angekommen. Der Buchhandel versteckt die EReader geradezu. Illegale Boards findet die Frau um die 50 nur, wenn sie einen Enkel um die 16 hat. Der hat aber extrem wenig Zeit, weil bei 'Call of Duty' der neuste Patch ... Die Tante schaut ihm über die Schulter und glaubt nicht, was sie sieht.
Solange die ältere Generation nicht die Ebooks entdeckt hat, wird sie auch nicht die Self-Publisher entdecken. Schreiben wir einfach eine Zeit lang für die jungen Leute, die geklaute Ebooks, Filme und Games runterladen und - ich fürchte mal - alles gleichzeitig konsumieren.

I.15 All das Bestsellerzeug ...

Der BMW X3 fahrende Collegevampir, der 96. Serienmörder aus Ystad, die vershoppten Amerikanerinnen, diverse Killermönche, der endgültige Islamistenjäger - sie alle bevölkern die Ebook-Szene. Das sollte uns klar sein.
Die Gestalten sind eindimensional, sie handeln schnell, überlegen wenig. Sie sind triebgesteuert und moralschwach. Es herrscht Gewalt und Unlogik. Die Gesichtszüge sind kantig und grob, Smiley-Mimik reicht ihr völlig. Kein Roman findet ein Ende. Jeder Markenheld ist allzeit bereit, von den Verlagen erneut zu den Waffen gerufen zu werden. Den Film, der gedreht werden wird, kann der Leser vor seinem geistigen Auge schon sehen. Die Werbepausen sind angedacht und bereits ausgeschrieben.
Wir befinden uns auf einer Kirmes. Alle Handlungen in einer Endlosschleife. Die Rollen sind klar verteilt: die Rosen werden geschossen, die Geister angedunkelt, 'hui hoh', 'hah hih' und 'uih uuh'. Niemand wird auf die Geister schießen, keine Achterbahn fette Würstchen verkaufen, die Hellseherin nicht mit dem Boxen anfangen.
Vielleicht werden wir eine neue Blüte des Flüsterns erleben, eine große Symphonie der Zwischentöne, eine Orgie der Andeutungen? Mitnichten! Es kommt eine neue Kirmes, im neuen Jahr zur selben Zeit am selben Ort! Niemand wartet auf Neues. Das Alte noch schneller, noch lauter, noch brutaler. In den Serienkiller setzen wir alle unsere Hoffnung. Von ihm allein könnte das Wort kommen: ' Schluss mit dem Kirmeszeug!'
Es ist Zielgruppenschreiben. Die Frage: 'Wer soll das lesen?' ist keine Frage, die ein Autor sich gerne stellt. Doch sie ist wichtig, weil die Leser nicht mehr auf der Suche sind. Sie sind medial übersättigt. Jeder ist einfach nur froh, wenn er nicht platzt. Die jeweilige Zielgruppe wird von drei Richtungen aus bedient. Die Hauptrichtung kesselt die geistigen Dauerabonnenten ein. Zwei Nebenrichtungen fangen einerseits die Vorauseilenden und andererseits die Zurückblickenden ein. Das ist ein ziemlich perfektes System. Auch wir Self-Publisher müssen deshalb lernen, unser Publikum zu verstehen. Uns muss klar sein, wer am Ende unser Buch lesen soll.
Selbst anspruchsvolle Leser sind froh, wenn sie alte Bekannte treffen, die sich nicht groß geändert haben. Der Kommissar in der Scheidungs- und Alleinerziehungs-Endlosschleife! Wer denkt, nur Vampire seien eindimensional, soll sich die Schriftstellerinnen ansehen, die immer genau dann einen Roman aufwärmen, wenn der andere vergessen ist. Ach, da ist sie ja wieder, unsere Donna Leone! - Wie war das noch bei ihr? - Ach ja, dieses schöne Venedig, das eigentlich ganz schmutzig ist! Nicht anders die vielen Frauen, die sich immer aufs Neue aufmachen, ihre Kinder lokalkoloritär aus den Händen von pakistanischen, iranischen, usbekischen und schaurig schwarzafrikanischen Ehemännern zu befreien - gerade dann aufbrechen, wenn alle Tränen all ihrer Leserinnen geweint sind.
Wir sind zu einer Bestsellerkultur verkommen. Ich lese, weil die Nachbarin liest. Ich lese, was die Nachbarin liest. Die große Gemeinschaft der Konsumentinnen - niemanden lässt sie ratlos oder gar unentschieden zurück. Der Schwund der Leserschaft - entweder sie sterben oder sie laden Ebooks runter - sowie die hohen Ladenmieten lassen sich nur über Steigerung des Kaufdrucks oder über eine Ausweitung des Angebots ausgleichen. Wo früher Literatur angeboten wurde, stehen jetzt die 'Non-Book'-Artikel: die süßen Stoffhasen aus chinesischen Lagern, ausreichend witzige Teetassen und die pädagogisch wertvollen Von-der-Oma-für-den-Enkel-Spiele.
Dagegen trete ich an mit meinem Selbstverlag. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte ich vor Lachen heulen. Ich will hier keinem von euch den Mut nehmen. Aber ein bisschen wie Don Quijote werden wir am Ende dastehen. Dem Ritter von der traurigen Gestalt. Alles ist gebrochen, was zu brechen war. Unseren Stolz und unsere Ideale aber haben wir nie verloren! Ein Kampf gegen Riesen, die nichts weiter als Windmühlen sind. Wer mutlos ist, bleibe zu Hause. Es gibt Kämpfe, die werden nicht geführt, um sie zu gewinnen!

I.16 Sofort-Publishing

Was schreibe ich zuerst fertig: Meinen Thriller oder dieses Fachbuch?
Klare Sache: Das Thema Self-Publishing ist in aller Munde. Ein Buch liegt in der Luft - geschrieben von einem Self-Publisher. Meinen Thriller kann ich später schreiben. Das ist keine Herzenssache, sondern eine Angelegenheit des Verstandes. Wann je wieder habe ich die winzig kleine Chance die Aufmerksamkeit des Internets, dieses riesigen Ozeans zu bekommen? Beeile ich mich also - ein paar Self-Publisher waren schon da, andere schreiben mit mir um die Wette.
Ein On-The-Blog-Buch eignet sich fürs Sofort-Publishing ganz besonders. Es ist ein Format, das mir erlaubt, schon in der Entstehung zu winken und zu rufen: 'Hallo, hier bin ich! Hallo, seht ihr mich!?'. Ich habe Bedenken - da bin ich ganz ehrlich - dass mir jemand zusieht und schneller als schnell alles abschreibt. Hätte diese Bedenken nicht jeder Autor? Trotzdem: Ich darf die Aufmerksamkeit nicht fürchten. Ich muss mich entscheiden: Will ich die Aufmerksamkeit? Die Aufmerksamkeit von möglichst vielen, möglichst bald? Dann darf ich die Aufmerksamkeit meines Konkurrenten nicht fürchten. Das On-the-Blog-Buch ist quasi die Twitter-Form eines Ebooks.
Das Internet ist süchtig nach Aktualität. Die Nachrichten sollen in Echtzeit bei uns sein. Wieder zeigt Twitter nicht nur, was möglich ist, sondern auch, was gewünscht wird. Die User haben sich an das Tempo der Veröffentlichung gewöhnt. Filme sind bei kino.to (Nachfolger), ehe sie im Verleih sind. Das Internet soll schneller als schnell sein - klickschnell in allem! Dass die legalen Ebooks Monate nach den Pbooks released wurden, hat sie zu einem Oma-Produkt in den Augen der User gemacht. Die Scans der Buchpiraten dagegen waren nicht nur umsonst, sondern auch topaktuell. Mittlerweile haben die Verlage dazugelernt. Sehr spät - manche Beobachter sagen, zu spät.
Nebenbei gilt dies nicht nur für Nachrichten und Releases, sondern auch für Belletristik. Wieder will ich niemanden dazu auffordern, den Markttrends hinterherzuschreiben. Ich entwickele nur aus den Wesenszügen des Internets, wie ein Schreiben in diesem Medium aussehen könnte. Die Self-Publisher sollten zumindest wissen, dass auch Papierschriftsteller hektisch den Markttrends hinterherschreiben. Eine Autorin wie Kerstin Gier versucht sich - sogar auflagenerfolgreich - in jedem Medium, das ihr unter die feine Nase kommt.
Wer aktuell sein will, hat ein Ideal: Das geschriebene Wort erscheint zeitgleich auf dem Bildschirm des Autors und des Lesers. An dieses Ideal kommt das Digitalbuch heran. Das On-the-Blog-Buch nähert sich der Idealform bis auf wenige Minuten, Twitter bis auf wenige Millisekunden. Das Papierbuch ist von Aktualität Monate entfernt. Nutzen wir die Chance! Zeigen wir, was unser Format zeitnah leisten kann!

I.17 Piraten - Freund oder Feind?

Schreiben wir ein bisschen, wie alles anfing mit den Ebooks in Deutschland. Kramen wir ein bisschen in einer weitgehend unbekannten Geschichte. Danken möchte ich 'Unbekannt', der meine Recherchen entscheidend ergänzt hat.
Die Buchpiraten waren lange unter sich. Im Austausch wurde digitalisiert und gelesen. Wenig drang nach außen. Es war eine heile Welt. Dann entdeckten die deutschen Verlage das Thema 'Ebook'. Das heißt, eigentlich entdeckten sie nur, dass der Verkauf von Ebooks in Amerika Rekord nach Rekord aufstellte. Wer jetzt gedacht hatte, dass die deutschen Verlage auch einsteigen würden, sah sich getäuscht.
Wenige Verlage, meist internationale wie Random House, aber auch Droemer und Knaur setzten auf die Digitalisierung ihrer Inhalte. Die anderen Verlage diskutierten den neuen Trend weg. Als das nichts half, schickten sie ihre Rechtsanwälte auf die Buchpiraten los. Von vornherein sahen die deutsche Verlage die Ebooks als Bedrohung ihrer Existenz an.
Das alle Aktivitäten vereinigende, damals halb legale DocGonzo-Forum machte dicht, nachdem der Gründer ein Interview bei heise.de gegeben hatte. Die Kulanzzeit von 2 Jahren (!!), die für neue Werke zum Schutz der Autoren galt, fiel. Die vormals idealistischen Buchpiraten wanderten in die Anonymität der Warez (= Piraten) Szene ab. Die Hörbücher - nicht Musik oder Film - waren das digitale Medium, welches die Piraten von seiner Entstehung an beherrschten. Ein riesiger Markt ohne erwähnenswerten Anteil des Buchhandels! Heute noch sind kaum Audiobooks in den Regalen zu finden, obwohl sie sich großer Popularität, besonders bei den männlichen Konsumenten erfreuen. Die Warez Szene der Audiobooks aber war gegen Rechtsanwälte bestens gerüstet. Ab jetzt marschierten Audio- und Ebooks Seite an Seite.
Was sollten die Verlage machen? Auf der einen Seite scannten die Buchpiraten die allerneusten Bestseller. Jeder, der einen der neuen EReader sein eigen nannte, und googlen konnte, wandert zu den Piratenboards ab. Das war aber nur die eine Seite der Medaille - gar nicht mal die entscheidende. Die Buchpiraten erfuhren auf vielerlei Art Unterstützung von den digitalen Global Playern wie Amazon, Google und Apple. Deren Kalkül war einfach: Wenn wir die Buchpiraten jeden Bestseller machen lassen und dafür sorgen, dass möglichst viele EReader verkauft werden, dann wird den Verlagen nichts anderes übrig bleiben, als ihre Paperbooks auch als Ebooks zu releasen. Den Verlagen entgeht sonst das neue Geschäft und die Paperbook-Verkäufe brechen - wegen der Buchpiraten - über kurz oder lang ein.
Denn es wird manchmal vergessen: Die Großen Drei haben ein Problem. Sie haben keine eigenen Ebooks. Die Schriftsteller waren und sind alle bei den Verlagen. Gerne würde Amazon Rabattaktionen wie in Amerika und England fahren, aber die Buchpreisbindung und das Inhaltsmonopol der deutschen Verlage verhindern es. Sie müssen lieb und freundlich tun und die Ebooks von der Herstellern erwerben. Noch sind sie reine Weiterverkäufer, die am Gängel der deutschen Verlage hängen.
Genau da kommen die Indie-Autoren ins Spiel! Wer sich gewundert hat, dass eine Szene in atomarer Größenordnung soviel von sich reden macht - hier ist die Erklärung. Amazon und Co. müssen Inhalte von eigenen oder übergelaufenen Schrifstellern anbieten, wenn sie Ebooks zu eigenen Preisen verkaufen wollen. Das ist der Grund, warum das Kindle Direct Publishing (= KDP) durch die Medien gegeistert wird. Durch Aufbau einer eigenen sympathischen Indie-Szene geht Amazon Schritt für Schritt in Richtung eigener Ebooks, während die deutschen Verlage sich selbst auf den Füssen stehen. Der Verzicht auf 70 % der Tantiemen ist ein sagenhaftes Einstiegsangebot, auch und gerade für Bestsellerautoren. Sie zu gewinnen ist das eigentliche Ziel von Amazon.
Wir unbekannten Indie-Autoren sitzen neben den anonymen Buchpiraten im Beiboot von Amazon. Solange wir von Nutzen sind, zieht das große Schiff uns mit. Könnte das nicht der Beginn einer überraschenden Freundschaft sein!?

I.18 Wir sind die Zukunft!

Der Autor blättert stolz durch sein neues Buch. Auch eine Hörbuchedition ist bereits geplant. Das macht ihn stolz. Berühmte Sprecher bringen ihm Ehre und Ruhm. Aber ein Ebook - muss das wirklich sein?
In 5 Jahren - mehr nicht - wird die Szene eine andere sein. Stolz klickt der Autor auf sein Ebook. Das Hörbuch wird von einem digitalen Stimmprogramm gesprochen. Mehr als ein paar Silben haben die berühmten Sprecher nicht von sich gegeben. Ein Stimmprogramm für jedes vorstellbare Hörbuch. Das papiergedruckte Buch hat sich der Verlag geschenkt. Auch eine Handschrift von Mönchen wurde nicht gefertigt. Papierdruck und Handschrift sind ein wenig aus der Mode gekommen. In 5 Jahren wird -
- Halt! Das gibt es schon! Aber ja: Bei uns Indie-Autoren ist die nahe Zukunft schon angekommen. Wir verzichten auf eine Papierausgabe unseres Werkes. Ein virtuelles Vorleseprogramm für Ebooks gibt es bereits - für die Autofahrer und die Freaks. Es funktioniert, habe ich mir sagen lassen. Die Stimmen sind ein wenig künstlich. Nach 2 Stunden spricht der aufmerksame Zuhörer wie das Programm. Er muss nur durchhalten. Dann gewöhnt sich seine Umgebung schnell daran.
Wir sind die Zukunft, wir schaffen das Idealprodukt, wie es sich die kühlen Rechner von Amazon und Apple erträumen. Ein Digitalbuch hat anders als ein Papierbuch keinerlei Beschränkungen: keine Auflagen, keine Lieferengpässe, keine Verkehrsstaus, keine Kassenschlangen. Die Chefs von Amazon und Co. planen schon lange, ein Buch nur als Ebook erscheinen zu lassen. Für die Verlage und die meisten Leser immer noch eine befremdliche Vorstellung. Im Self-Publishing bereits Wirklichkeit.
Wir Indie-Autoren sind Vorreiter in vielerlei Hinsicht. Den ganzen Vorgang, vom Schreiben bis zum Verlegen hat sich Amazon bei uns gespart. Amazon stellt uns Speicherplatz zur Verfügung, das Webdesign und sein Publikum. Alles weitere leisten wir und unsere freiwilligen Helfer. Ein Bestsellerautor wird in Zukunft sein Buch nicht anders verlegen als wir. Er hat professionelle Unterstützung für Inhalt und Stil, für das Cover, für das Marketing. Alles seine Leute, die von ihm bezahlt werden. Das Prinzip wird gleich sein. Ihm, dem Bestsellerautor, wird Amazon nicht mehr zur Verfügung stellen als uns.
Gönnen wir ihm seinen Ruhm. Seien wir großzügig, denn wir sind bereits da, wo die Zukunft begonnen hat.

I.19 Die Magie der kleinen Zahl

'Der indische Herrscher Shihram tyrannisierte seine Untertanen und stürzte sein Land in Not und Elend. Darum erfand der weise Hofbrahmane Sissa ein Spiel, in dem die wichtigste Figur, der König, ohne Hilfe anderer Figuren und Bauern nichts ausrichten kann. Um sich für die lehrreiche Unterhaltung zu bedanken, gewährte der König dem Brahmanen einen freien Wunsch. Dieser wünschte sich Weizenkörner: Auf das erste Feld eines Schachbretts wollte er ein Korn, auf das zweite Feld die doppelte Menge, also zwei, auf das dritte wiederum doppelt so viele, also vier und so weiter.
Als sich der König einige Tage später, belustigt ob des unweisen Wunsches, erkundigte, ob Sissa seine Belohnung in Empfang genommen habe, meldete der Vorsteher der Kornkammer, dass er die Menge Getreidekörner im ganzen Reich nicht aufbringen könne. Auf allen Feldern zusammen wären es 264−1 oder 18.446.744.073.709.551.615 Weizenkörner.'

Soweit eine alte Geschichte, die viel mit dem Internet zu tun hat. Da das Netz ein immaterielles Ding ist, gelten räumliche Beschränkungen und zeitliche Verzögerungen nicht. Aus der kleinsten Zahl von Usern kann sich eine riesige Zahl entwickeln, wenn sie sich verdoppelt und verdoppelt und ...
Letzte Woche hatte ich 1 Klick pro Tag, diese Woche schon 2 Klicks pro Tag. Nach nur 10 Wochen - wenn ich weiter verdoppele - bin ich schon bei über 1.024 Klicks pro Tag. Und dann nimmt die Sache erst richtig Fahrt auf. Heißt für uns Indie-Autoren, dass wir uns von kleinen Zahlen nicht entmutigen lassen sollten. Jeder, der erfolgreich eine Seite im Internet aufgebaut hat, wird bestätigen, dass nicht die Zahl als solche wichtig ist, sondern das Tempo, in dem sie zunimmt. Mit einer großen Zahl, die gleich bleibt, bin ich chancenlos gegenüber jemand, dessen winzig kleine Zahl rasant wächst.
Um unser kleines Indie-Ding steht es nicht schlecht. Die Bedingung der kleinen Zahl erfüllen wir spielend. Schwierig ist nur die Null. Aber auch die lässt sich ja verdoppeln. Wie steht es mit der anderen Bedingung? Was ist mit den 64 Schachfeldern? Was ist mit dem rasanten Wachstum?
Dafür ist gesorgt. Und ich pflege hier keinen Zweckoptimismus. Für unsere kleine Szene spricht, dass wir Teil der Amazonstrategie sind. Wir liefern die kleine Zahl, das erste Weizenkorn - die liefern die Wachstumsdynamik und den Rest vom Getreide. Ein perfektes Zusammenspiel. Auch Google will ins Self-Publishing einsteigen. Der größte Ebookhändler und die größte Suchseite - mehr braucht es nicht! Für das rasante Wachstum werden die beiden schon sorgen - macht euch keine Sorge! Viele Indie-Autoren, die in den nächsten Jahren den Durchbruch schaffen, werden das nur zum Teil ihrem eigenen Werk zu verdanken haben. Den Rest haben die beiden Schnellzüge Amazon und Google besorgt.

I.20 Das ¤ 0,00-Ebook

Ich weiß, die Bepreisung eures Ebooks habe ich bereits kapitalisiert. Ich weiß. Aber ¤ 0,00 ist kein Preis, genauso wenig, wie die Null verdoppelt werden kann. Große Teile der Mathematik beschäftigen sich mit der Null. Ich will dem ¤ 0,00-Preis zumindest ein eigenes Kapitel widmen.
Hier die Meinung von Mark Coker, dem Gründer von smashword.com, der ich mich voll anschließen möchte:
"More and more publishers realize they're competing against (= im Wettbewerb stehen gegen) free already. The most valuable thing they're competing for is the reader's time and attention."
Ich wundere mich tatsächlich, wie viel über die Höhe des Preises diskutiert wird, wie wenig ein Preis als solcher überhaupt in Frage gestellt wird. Ich kann für alles einen Preis angeben, selbst meine Emails kann ich mit Preisen versehen. Das ist nicht die Schwierigkeit. Wie finde ich einen Preis, zu dem tatsächlich Verkäufe getätigt werden? Das ist die Schwierigkeit!

[Einschub] Es ist ein verbreiteter Trugschluss, dass höhere Preise zu höherem Gewinn führen: Jemand verkauft 0 Ebooks für ¤ 19,99, ein anderer 1 Ebook für ¤ 0,01. Wer hat mehr verdient? Wieder so eine Banalität.
Da wird eingewandt, dass ich mich zum Billigheimer machen, wenn ich meine Ebooks für ¤ 0,99 verkaufe. Gut, dann wäre es ja das Beste, ich biete mein Ebook für ¤ 99,99 an. Das wäre doch eine schöne Aufwertung! [Einschub]

Es ist so banal, dass ich es kaum zu schreiben wage. Wenn ich etwas anbiete, dann hängt der Preis davon ab, wo ich es anbiete, nicht was ich anbiete. Für 1 Liter Wasser am Bodensee kann ich weniger verlangen als für 1 Liter Wasser in der Wüste. Kann ja sein, dass ich das Wasser vom Müggelsee zum Bodensee gebracht habe. Das spielt aber für die Käufer keine Rolle. Kann ja sein, dass ich an meinem Roman 3 Jahre geschrieben habe. Das ist aber den Käufern völlig egal. So einfach ist das.
'Aber ich kann davon nicht leben!' wird eingeworfen. Natürlich wäre es schon, wenn alle meine Wünsche in Erfüllung gingen. Sterntalerregen, fliegende Teppiche, geküsste Frösche, Indie-Ebookverkäufe - alles tolle Sachen! Leider ist das Internet kein Märchenland. Es ist schlicht gesagt eine riesige zusammenhängende Freibierzone.

I.21 Lesen in der Wolke

Alle eure Indie-Ebooks für ¤ 0,00 - das ist mein Appell an euren gesunden Menschenverstand!
Doch ehe ihr die Berufung wechselt und zum Wanderprediger umschult - es gibt Hoffnung! Die Dinge sind im Fluss, wie der Philosoph sagt. Wir befinden uns in einem Zwischenstadium. Dazu muss ich ein wenig ausholen.
Die Hersteller der Games machen es vor. Sie lassen die Spieler auf ihrem Server spielen. Bisher haben die Spieler das Spiel runtergeladen und auf ihrem PC gespielt. Leider war der ein oder andere schlimme Finger darunter, der das Spiel nicht nur auf seinem PC gespielt, sondern dort auch gehackt hat. Jetzt bleiben die Games aber auf dem Firmenserver. Setzt riesige interne Investitionen und Glasfasernetze voraus, aber mit ein paar Millionen Spielern, die bisher alles umsonst hatten, mit ein paar Millionen Omas, die noch nicht angezapft wurden, lässt sich sicherlich Geld verdienen. Auch 'Cloud-Computing' gehört zu diesem neuen Konzept. Die Firma mietet bei Amazon einen virtuellen Firmenserver. Amazon sorgt für Rechenleistung, und die Telekom für die Netze. Gespielt wird in der Cloud, in der Wolke.
Filme, Musik, Audio- und Ebooks werden nicht mehr komplett runtergeladen, sondern nur noch gestreamt. Der User bekommt immer nur einen Ausschnitt über eine Art Guckloch zu sehen. Es ist noch nicht ganz klar, ob dieser Schutz wirksam ist. Sehr komplexe Anwendungen wie Games und Softwareanwendungen können wohl geschützt werden, weniger komplexe Anwendungen wie Indie-Ebooks eventuell nicht. Ich will hier nur sagen, dass die Anbieter große Hoffnung in diese neue Technik setzen.
Für uns hieße es - wenn sich diese Technik nicht als Fehlschlag erweist - dass wir Indie-Autoren ein Problem weniger haben. Wenn der neue Bestseller von Nele Neuhaus wirklich ¤ 14,99 kostet und nicht von 'Unbekannt' für ¤ 0,00 angeboten wird, dann können wir für unser Indie-Ebook auch ¤ 0,99 verlangen. Das ist vertretbar. Dieser Preis wird auch in Amerika erzielt, wo die Leute offensichtlich zu blöd sind, illegale Sachen runterzuladen.
Die Wolken-Technik wird bereits eingesetzt. Das ist keine Zukunftsmusik. Es schimmert uns Indie-Autoren eine Hoffnung.

I.22 Flatrates für die Indies

Flatrates für Ebook-Leser erscheinen plausibel, wenn wir ein wenig in die Zukunft blicken.
Während bei den Games wie World of Warcraft Flatrates üblich sind, befindet sich ein solches Angebot für Musik und Filme noch im Aufbau. Dafür müssen noch die technischen Voraussetzungen geschaffen werden. Den Anbietern vorstellbar ist, dass ihr Angebot über eine Cloud relativ geschützt verteilt wird. Das ist die Bedingung für das Angebot von Flats.
Die Popularität der Flats bei den Mobilfunkern zeigt für mich, wohin die Reise gehen wird. Bleiben wir bei den Ebooks. Es wird alle möglichen Flats geben, von der Minutentaktung, zur Tages- bis zur Monatsflat, vermutlich nach Genre, Alter, Geschlecht und Verlag aufteilbar. Sicherlich wird es auch eine Indie-Flat geben für die ¤ 0,99-Ebooks. Entscheidend für uns ist, dass sich die Auswahl des Lesestoffes völlig ändert. Ich wähle nicht ein Buch zum Lesen aus, sondern ich wähle eine Zeiteinheit aus, in der ich lesen will.
Leicht vorstellbar, dass dies gravierende Konsequenzen für das Leseverhalten haben wird. Das Lesen von Büchern wird sich dem Surfen und dem Zappen annähern. Nicht ein Buch wird von Anfang bis Ende gelesen, sondern mehrere gleichzeitig, und keins zu Ende. Lassen wir die Kulturkritik mal bei den Kulturkritikern. Die Autoren haben sich Gedanken zu machen, wie sie schreiben müssen, um dieses Lesepublikum zu erreichen.
Auch die Kunden einer Buchhhandlung suchen sich ein Buch aus. Meist entscheidet die Pressewerbung und das Cover, welches sie nehmen. Haben die Leser Flats gebucht, wird es weniger oberflächlich zugehen. Die Leser haben die Möglichkeit, sich einzulesen. Der Layouter wird wieder eine Nebenrolle einnehmen. Das macht es leichter für alle, die keinen professionellen Layouter beschäftigen.
Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass es günstige Flats für Bücher von nachrangigem Interesse geben wird. Gerade hier, im Bereich der 'Mängelexemplar'-Buchhandlungen, macht das Reinlesen und Herumlesen ja Sinn. Die Verlage verdienen eigentlich nur noch mit den Bestsellern richtiges Geld. Die Bücher, die verzichtbar sind, könnten sie so bündeln und in die Zweitverwertung geben. Vielleicht werden hier die ersten Verlagsflats angeboten werden.
Insgesamt sehe ich auf die Buchpiraten, unseren größten Konkurrenten, ein Existenzproblem zukommen. In einer Flat wird der Zugang zu allen Ebooks angeboten. Das Angebot ist riesig, die Abwicklung professionell. Das Geld spielt keine Rolle, da die Oma als Fullsponsor für das Lesen ins Zimmer rollt. Wer geht dann noch zu den Buchpiraten?
Auch der Buchhandel würde schwer getroffen sein. Der Lesestoff, der uns zur Verfügung steht, wird mit einem Mal explodieren. Wer braucht da eine Buchhandlung oder eine Bibliothek? Mit einem Mal sind die EReader richtig attraktiv. Das ist sicherlich gut für uns reine Ebook-Autoren. Ich denke mal, ein solch innovatives Geschäftsmodell kommt nicht von den deutschen Verlagen, sondern von Amazon. Die UMTS-Anbindung des Kindles macht nur so richtig Sinn.
'Das ist Zukunftsmusik!' werdet ihr einwenden. Gut, aber wir wollen in dieser Zukunft gelesen werden. Gerade wir Indie-Autoren haben diese Zukunft auf unserer Seite. Die Bücher, die wir schreiben, müssen zu jeder Zeit die Aufmerksamkeit der Viel-Buch-Surfer fesseln. Die Zeiten sind vorbei, in denen wir uns darauf ausruhen konnten, dass ein Volltrottel unser Buch gekauft hat und es nun lesen muss. Unsere Leistung wird über die Zeitspanne abgerechnet, in der wir einen Leser fesseln konnten.

I.23 Was für eine Welt!

Wer lädt auf Facebook Fotos aus dem Familienalbum hoch? Keiner. Niemand im ganzen Netz mit einem Mutter-danke-für-alles-Lächeln. Die bravsten Mädchen: schrill, spontan, wild. Die bravsten Jungs: betrunken, kopfstehend, anzüglich. Ich muss 'auf'fallen - nicht 'ge'fallen!
Eine Welt der Posen. Eine Welt der Verkleidungen. Mein Ich ist eine Gestalt auf Zeit, auf Minutenbasis. Langeweile ist Rollenwechsel. Kann ich 400 Seiten lang Händchen halten mit meinem Ich? Und flösse die Sprache von innen heraus leuchtend wie bei Peter Handke - es würde an Versuchte Körperverletzung grenzen. 'Versuchte' Körperverletzung, weil kein Internet-User klaren Verstandes sich dem aussetzen würde.
Es ist eine Welt, die keinen Ernst kennt. Derart verklemmte Stimmung setzt ein Ich voraus, das über einen längeren Zeitraum, sagen wir ein paar Stunden, kontaktierbar ist. Wenigstens ein Nachsendeantrag sollte möglich sein. Selbstzweifel setzen ein Selbst voraus. Ablenkung ist der natürliche Feind der Abneigung. Wer brächte noch Geduld für ein durchschnittlich haltbares Hassgefühl auf? Schreibe ich also handlungsbetont, nicht gefühlserweckend. Grüblerische Kommissare, weltverlassende Tragödinnen, beschildertes Siechtum - all das gehört auf gelbholziges Papier. Stauballergiker greifen zum Ebook.
Wer wandert auf Ländergrenzen? Das Internet hatte viele Stimmen, aber eine Antwort: Niemand. Wer steckt die Slalomstangen der Moral? Für welche Fahrer? Entweder Kultur oder schnelles Internet - beides 'geht einfach nicht klar'. Wer braucht Vergangenheit? Wenn ich historisch schreibe, nehme ich eine Userin, schicke sie auf wikipedianische Zeitreise, verliebe sie in einen User, mische Deko - Wandtapetenstädte und Durstwüsten, Dunkelgrafen und Finsterfrauen. Ein Schicksalsmahl, ein leichtes, soll es dem Leser sein.
Es ist eine Welt ohne Wissen. Ich weiß nichts, das Netz weiß alles. Ich weiß, weil ich klicke. Schreiber, bleib mir fern mit allem, was ich mir merken muss. Die Namen, die Orte, die Fremdsachen - übertreib es nicht. Wer will sich das alles merken - denkt an die Demenz der Alten, denkt an die Demenz der Jungen.
Es ist eine Welt ohne Moral. Das Internet spricht mit tausend Stimmen. Moral spricht immer mit einer Stimme. Internet ist Drehbühne, Rollbühne. Moral ist Struktur, aus der Vergangenheit gelebte Gegenwart, gemenschte Langsamkeit. Für das Internet hat die Menschenzeit keine Ordnung. Fantasy und Science Fiction - nur das Bühnenbild ist grundverschieden. Als Self-Publisher habe ich alle Freiheit. Ich darf nur nicht der Tempodrosselung das Wort schreiben.
Was für eine Welt ist das!? Aber sie ist mein Lektor. Ich habe niemanden sonst: Keinen Mann mit wenig Haar und viel Brille, keine Frau mit gutem Herz und zuviel Arbeit. Mein Lektor ist das Internet - Millionen von Usern, die in Glasfaserkabeln unterwegs sind.

I.24 Die Odyssee

Dieses Buch besteht aus Einzelkapiteln. Ich könnte sie so oder anders aneinanderreihen. Ich habe keine Struktur. Teil I schreibe ich vor dem Publishing, Teil II über Publishing folgt nach. Das ist alles. Keine höhere Ordnung, kein Plan - nichts. Kapitel nach Kapitel, bis mir nichts mehr einfällt. Das Internet hat auch keinen Plan, sage ich. 'Unsinn!', höre ich rufen.
Gut, es gibt allerlei Ideenarchitekten, Gesellschaftsplaner und Welterklärer im Internet. Natürlich gibt es sie. Aber das Internet löst sie auf, hat zu jeder klaren Position eine ebenso klare Gegenposition, dazu 5 flüssig formulierte Unklarpositionen und mindestens 10 äußerst populäre Scherzpositionen. Wer im Internet ernsthaft Ideologie verbreiten will, wird nicht glücklich werden.
In den großen und kleinen Boards kann jeder ein Thema aufstellen. Alle sind eingeladen, in diesem Thread (engl. Faden, Gewinde) Beiträge zu verfassen. Die Beiträge sind kurz. Klick - sind sie eingestellt. Die Humoristen schreiben immer - die anderen bei Interesse oder Langeweile. Geschrieben wird viel von vielen. Gelesen wird nichts von keinem. Wäre zu mühselig, weil in einem Thread locker 100 völlig verquirlte Beiträge zusammenkommen. Alles wird nacheinander auf den Faden gezogen. Eine Ordnung gibt es nicht. Irgendwann wird der Thread vom Moderator geschlossen - der Faden oben zugeknotet. Es entsteht ein geselliges Stimmungsbild, ein kleine Bühne Witzaustausch. Vermutlich weiß am Ende keiner, worum es ging.
Solch ein Diskussionverlauf wäre im Real Life nicht möglich. Es würde unweigerlich eine Hierarchie entstehen zwischen Zuhörern und Rednern, zwischen Rednern und Hauptredner. Am Ende stände eine klare Position. Kann sein, dass Irrsinn hier Gestalt angenommen hätte. Aber am Ende wüßte jeder, was er zu denken hat.
Die Papierbücher sind ähnlich aufgebaut. Kein Schreiber beginnt, ohne eine klare Struktur zu haben. Diese wird mit Ort, Handlung, Tempo und Personen befüllt. In diesem komplexen Geflecht hat alles seinen Platz. Eins wächst aus dem anderen hervor. Kein Ding könhte ohne Sinnverlust umgetopft werden.
Muss das so sein? Nun, ein Computerspiel ist völlig anders aufgebaut. Ähnlich dem Ostereiersuchen gibt es ein paar Regeln und Grenzen, ansonsten kann jeder dezentral loslegen, wo und wie er will. Das Finden der Ostereier gehorcht keinem Plan. Jede Spielfigur kann auf viele Wege ans Ziel kommen.
Kann ich so Bücher schreiben? Ohne Frage. Große Bücher sind so geschrieben worden. Die 'Odyssee' folgt einem Mann, der Abenteuer besteht, um irgendwann nach Hause zu seiner Ehefrau zurückzufinden. Klasse Idee, aber die Struktur ist sehr simpel, läßt sich mit jedem beliebigen Abenteuer für die Leser (und für die Ehefrau) füllen. Die 'Odyssee' ist ganz ähnlich einem Computerspiel aufgebaut. Wenn wir die Sache mit der Ehefrau weglassen - was wäre der Unterschied zu 'Call of Duty' oder 'World of Warcraft'?
Jeder Autor hat seine Stärken. Wenn euch der Aufbau leicht fällt - bitte sehr. Wenn das nicht eure Stärke ist, macht es wie das Internet - legt los, irgendwo, irgendwie, ohne Ziel und ohne Plan!

I.25 Der Traum des Schmetterlings

Ein chinesischer Philosoph erzählte seinen Zuhörern folgende Geschichte:

'Ein Mann fiel eines Nachmittags in einen sanften Schlaf. Er begann zu träumen und träumte davon, ein Schmetterling zu sein. Als Schmetterling flog er dann von Blume zu Blume. Als ein sanfter Wind wehte, ließ er sich im Wind treiben. Dann aber wachte der Mann auf. Er stellte verwundert fest, kein Schmetterling, sondern ein Mensch zu sein.
Aber wer ist er nun wirklich? Ist er ein Mensch, der geträumt hat, ein Schmetterling zu sein, oder ist er ein Schmetterling, der träumt, ein Mensch zu sein?'

Im letzten Kapitel habe ich einen Roman beschrieben, der sich wie eine Collage aufbaut, den ich irgendwo beginne, irgendwie zusammenmische und in die Länge erzähle. Wie Odysseus, der Märchenehemann. In diesem Kapitel aber rede ich von Doppelidentität, von Mr. Jekyll und Dr. Hyde.
Das ist schwieriger. Es ist eine Spezialität des Thrillers. Ich bin gleichzeitig mein Gegenteil. Im Internet sind die Kräfte der Anziehung und der Abstoßung unwirksam. Es ist ein luftleerer Raum ohne äußeres Kraftfeld. In diesem Raum entstehen - neben Zufalls- und Übergangsexistenzen - auch Doppelexistenzen.
Ich finde meinen Spaß nicht in der Bandbreite des Rollenspiels, sondern außen, in der Polarität. Es ist der Unterschied zwischen Demenz - dem Kontinuum der Erinnerungslosigkeit - und einer Multiplen Schizophrenie. In ersterer bin ich ein austauschbarer Jedermann, in letzterer exakt mein Zwilling.
Ihr werdet sagen, dass dies Spezialfall sei. Ich werdet denken, ich habe zuviele Kapitel geschrieben und mich nun versehentlich im Heizungsraum meines Buches eingeschlossen. Kein entschlossener Einspruch von mir. Vielleicht habt ihr Recht. Wäre natürlich schade um dieses halbe Kapitel. Aber noch gebe ich nicht auf.
Wir haben über VPN-Server gesprochen, den Tunnel, durch den ich gehe, um mich meiner Identität zu entledigen. Das Internet ist ein staatlich belauschter Raum geworden. Ich muss mich meiner Identität entledigen, wenn ich mich frei bewegen will. Doch setze ich keine Tarnkappe auf, mit der ich unsichtbar bin. Ich bin schon sichtbar, nur eben als ein anderer. Der Anbruch der Nacht zwischen Mr. Hyde und Dr. Jekill ist nicht anders als dieser Tunnel.
Ich wähle ein Bild von mir, einen Avatar. Das ganze Netz ist voll von diesen Selbstbildern. Ich wähle einen Nickname, ein sinntragendes Pseudonym. Der Weg ist nicht weit, eine Persönlichkeit zu wählen, die dazu passt. In den Boards wird diese Persönlichkeit anerkannt, solange ich mich selbst darin zurechtfinde. Real Life hat keinen sehr hohen Stellenwert im Netz. Mr Hyde? Wer ist das?
Die Romanfiguren in den Papierbüchern tragen oft Gutes und Böses in sich vereint. Diese Menschen ringen um die Entscheidung, ihr Schicksal verläuft an der Gradlinie der Unentschiedenheit. Sie ringen mit sich selbst. Es sind komplex aufgebaute, mehrdimensionale Gestalten mit Untiefen und Geheimnisse.
Was aber ist mit König Lear und seinem Narr. Der König redet Unsinn, der Narr Sinn. Es ist eine Zwillingsrolle. Dreimal wird getauscht. Was ist mit den zwei Brüdern Karamasov? Kleist hat mit Zwilligsrollen gespielt. Vorbild sind die griechischen Gottmenschen und Menschengötter.
Sehen wir uns einen Thriller an. Ich teile den Serienmörder in zwei Schriftformate auf - Standard- und Kursivschrift. Ich kann eine Frau schildern, die liebt und zweifelt. Mache ich lieber zwei Schwestern draus. Fantasy kürzt radikal. Niemand fliegt und zaubert. Ist auch egal, wenn das nicht stimmt - ihr wisst, was ich meine. Ehe eine Figure an Komplexität zulegt, wird abgespalten. Und so weiter und so weiter.
Das ganze Internet ist voll von liebevoll gewählten Bildchen und Nicks. Denkt an die Avatare, wenn eine Figur mit euch Verstecken spielt. Ärgert euch nicht lange rum - schneidet sie in mundgerechte Portionen.

I.26 Hase und Igel

Bei einer zufälligen Begegnung macht sich der Hase über die schiefen Beine des Igels lustig, woraufhin ihn dieser zu einem Wettrennen herausfordert, um den Einsatz eines Goldstückes und einer Flasche Branntwein. Bei der späteren Durchführung des Rennens auf einem Acker läuft der Igel nur beim Start ein paar Schritte, hat aber am Ende der Ackerfurche seine ihm zum Verwechseln ähnlich sehende Frau platziert. Als der siegesgewisse Hase heranstürmt, erhebt sich die Frau des Igels und ruft ihm zu: "Ich bin schon da!". Dem Hasen ist die Niederlage unbegreiflich, er verlangt Revanche und führt insgesamt 73 Läufe mit stets demselben Ergebnis durch. Beim 74. Rennen bricht er erschöpft zusammen und stirbt.
In diesen Tagen wurden die (vermeintlichen) Betreiber von kino.to verhaftet. Angriffe auf Polizeistationen, Laserattacken am Berliner Flughafen, brennende Rathäuser, Sitzblockaden auf der A2 - mitnichten. Stattdessen: 20 neue kino.to aus dem Stand. Fast schon gelangweilte Reaktion der Szene. Der Inhalt wird zur Hülle. Die Hülle zum Inhalt. Das Internet häutet sich ständig. Der Name ist Schall und Rauch.
Nachdem ich vorangegangenen Kapitel über Doppelexistenzen geschrieben habe, geht es hier um das spurlose Verschwinden von Existenzen. Da die Identität an sich schon verschleiert ist - wie wenig bleibt übrig nach ihrem Verschwinden. Ein beliebtes Spielchen in den Boards ist die passive Deaktivierung meines Nicks. Bei Nichtgefallen, bei Schwierigkeiten stelle ich die Benutzung ein. Für die Deaktivierung gibt es keine andere Möglichkeit: Löschung ist nicht vorgesehen. Also verlasse ihn. Ich ziehe aus. Ich ziehe um ohne Nachsendung.
Ist es nicht ein schlechter Schreibstil, wenn ich eine Figur deaktiviere? Gut, ich hätte es mir vorher überlegen sollen, was mit der Figur passiert. Ich denke, es spricht nicht für mein Buch, wenn ich Lücken hinterlassen muss. Eine Nebenfigur, die zu dominant wird, fahre ich in Urlaub. Aus zwei Frauen mache ich eine unschwangere und eine schwangere Frau. Einen Verdächtiger, der mir zuviel wird, lasse ich anschießen. So einfach ist das. Passiert in jedem guten Roman und Film.
Es gibt zwei Herangehensweise. Ich kann für mich schreiben. Dann habe einen hohen Anspruch an meine Werk. Mein Buch muss vor mir selbst bestehen. Die Frage ist: Stört 'mich' die Lücke? Wenn sie mich wirklich stört, fange ich am besten ganz neu an. Schlechter wird mein Schreiben dadurch nicht. Diese Herangehensweise ist ehrgeizig, denn ich kenne mein Buch wirklich gut. Ich kann aber andererseits mein Schreiben auf meine Leser abstimmen, seine Aufmerksamkeit und seinen Überblick. Die Frage ist dann: Stört die Lücke 'meinen' Leser? Fällt es meinem Leser überhaupt auf?
Ebooks werden von einem anderen Publikum gelesen als Papierbücher. Das sage ich mal so. Die User sind Sprünge gewöhnt. Ein Spurwechel stört sie nicht weiter. Sie sind gewöhnt, Dinge nicht weiterzuverfolgen, Interesse abzustreifen. Das ist ein Wesensmerkmal des Surfens. Ihnen, diesen Buchsurfern, ist die Spannung des Romans wichtiger als seine Schlüssigkeit. Die Handlung soll abwechslungsreich sein, nicht folgerichtig.
Natürlich ist es besser, eine Handlung vorzulegen, die so spannend und auch schlüssig ist. Dennoch ist Spannung eine Muss, während die Schlüssigkeit nebenrangig ist. Um auf das Märchen zurückzukommen: Der Igel hat darauf spekuliert, dass der Hase zu atemlos ist, um genau hinzusehen. Machen wir es ihm gleich. Hetzen wir den Leser über den Acker, wenn wir zurückliegen!

I.27 Ebooks sind 'Vote'-books

Seht euch an, wie Ebooks bei der boerse.bz/dokumente/unterhaltung gelistet werden (Runterladen ist illegal - Ansehen legal)! An oberstes Stelle, fett markiert, ist das Buch, welches gerade von einem registrierten User angeklickt wurde. Wenn niemand erneut darauf klickt, sackt es nach und nach die 30 Plätze der 1 Seite herunter. Dann weiter zu Seite 2 und so fort. Die aktuellsten EBookz werden immer wieder angeklickt, bleiben 2 Tage lang auf Seite 1, um dann zu verschwinden.
Es gibt keine alphabetische Ordnung, keine Anordnung durch Bibliothekare, keine Kritikerlisten. Nichts. Alles entscheidet der Geschmack der Leser. Eine wirkliche echte Klickparade. Ich stellt ein Buch ein - habe ich mir von 'Unbekannt' sagen lassen - und nach kurzer Zeit ist es 30 Stellen runtergerutscht, damit auf Seite 2, quasi unsichtbar und dann geht es abwärts und abwärts. Eine Suchfunktion (Sufu) gibt es, wird aber wenig benutzt. Jedes Ebook hat seinen Tag Aufmerksamkeit, um dann im Ozean des Vergessens zu verschwinden.
Das Internet hat ein Gedächtnis, höre ich. Das ist schon richtig. Alles ist für alle Zeit abrufbar. Nur ruft es niemand ab. Stellen wir uns eine Bibliothek vor, Hunderte von Metern Bücher. Selbst im Buchhandel, wenn ich mich an den Spiegellisten vorbeigekämpft habe, öffnet sich mein Sichtfeld. Mein Blick wandert die Reihen entlang. Jedes Buch hat seine fast gleichen Chance, alt oder neu.
Im Internet hat nur das neuste Buch eine Chance. Ganz einfach wegen der Beschränkung unseres Sichtfeldes. Geht zu libri.de oder der boerse.bz, legal oder illegal, Ebooks oder Bookz, das Wort 'Neu' verbindet sie alle. Wir blicken durch das Fenster unseres Bildschirms, als führen wir in eine Drive-In-Buchhandlung. Die ersten 30 Ebooks bekommen wir zu sehen, dann steht der Warenkorb vor uns oder der Hoster-Button.
Das Internet ist süchtig nach Neuem. Klar, weiß jeder. Ich stelle hier heraus, dass die Struktur des Internets diese Sucht fördert. Die Aufmerksamkeit entscheidet über die Plazierung, diese beeinflusst wiederum die Aufmerksamkeit. Daher sind immer 95 % der Artikel oder Beiträge neueren Datums. In einer Buchhandlung bleiben unverkaufte Bücher in den Regalen stehen. Was wäre, wenn der Buchändler die unverkauften Bücher wöchentlich zurückgeben könnte. Die Zeitschiene hätte sich mehr als halbiert, 80 % der Regale wären verzichtbar.
Bei den Ebooks - legal oder illegal - geschieht das Absinken auf tiefste und dunkelste Meeresgründe des Vergessens schnell und endgültig. So ist das nun mal, weil die Struktur so ist. Das Voting ist eine ehrliche Sache, führt aber in der Konsequenz dazu, dass nur die neusten Ebooks in einem sehr schmalen Angebot zu finden sind. Die Zeitgleise verzweigen sich in die Unendlichkeit. Leider gibt es nur einen Zug, und diesen halten johlende Vampire und betrunkene Zwerge belegt.
Das hat für uns Self-Publisher Konsequenzen. Es ist sinnlos, die Entstehung eines Werkes auf Jahre anzulegen, um nach 2 Tagen aus dem Blickfeld der Leser verschwunden ist. Halten wir unsere Werke also kurz, schreiben wir schnell. Tut mir leid, ich sehe uns Self-Publisher als Egoshooter, die geduckt von Mauervorsprung zu Sandsack zu Türrahmen laufen, immer das Ziel von Sperrfeuer und Heckenschützen.

I.28 Wir schreiben für unsere Kritiker

Deutscher Kritiker können uns egal sein. Keiner von ihnen würde einen Indie-Autoren besprechen. Papierschriftsteller dagegen sind auf die Kritiker fixiert. Unsere Indie-Ebooks treffen ohne vorfilternden Kritiker direkt auf die ungeordnete Masse der Leser. Für diese schreiben wir, nicht für Einzelkritiker. Das ist ein wichtiger Unterschied.
Kritiker der deutschen Papierbuchautoren lesen nur, was andere Kritiker und Buchprofis lesen. Es ist ein geschlossener Kreis von Feuilleutonisten, von Buchpreisverleihern, von Magazinbloggern. Alle haben eine durchaus einheitliche Erwartungshaltung und wollen diese nicht enttäuscht sehen. Da sich sowohl die Leser als auch die Autoren danach richten, entsteht ein geschlossener Kreis von seit langem abgestimmter deutscher Literatur. Sollte ein deutscher Autor die ausgetretenen Pfade verlassen und sich durchs Unterholz kämpfen?
Neues kommt aus dem Ausland, wo dieser Kreis aufgebrochen ist. Neue Themen, neue Stimmen. Viele junge Autoren kommen aus den jungen Demokratien. Völlig neue Herangehensweise entstehen auf dem Boden gewaltiger Umbrüche. Nicht umsonst kommen soviele aufsehenerregende Bücher aus Osteuropa. Ein Kritiker- und Buchpreiswesen, eine Verlagshierarchie hat sich nocht etabliert. Das Altüberkommene ist nicht heilig gesprochen. Derart gute Literatur wächst auf 1.000 Rissen. Ich will dort nicht geboren sein, aber für das Schreiben wäre es gut.
Meine Vorbilder als reiner Ebook-Autor sind nicht die deutschen Schriftsteller - viel besprochen und wenig gelesen. Mein Vorbilder sind auch nicht die jungen Stars aus Osteuropa. Das ist - nebenbei gesagt - auch gut so, denn die sind 'wirklich' gut. Ich als Ebookautor habe es mit einer globalen Literaturszene zu tun - einer Globalbelletristik eben.
Meine und eure Kritiker sind die Ebookleser. Wenn ich für die Ebookleser schreibe, dann muss ich feststellen, dass sie ziemlich viel Sch... lesen. Darauf bin ich bereits eingegangen. Noch nicht gesagt wurde, dass diese Ebooks - was immer ich davon halte - absolut international sind. Jedes dieser Bücher lässt sich wie eine genügsame Pflanze umstandslos in fremde Erde eingraben. Sie gedeihen unter allen Bedingungen. Am ehesten brauchen die Thriller und Krimis eine Pflegeanleitung.
Ein nationaler Schriftsteller - ob nun altväterlich aus Deutschland oder jungendfrisch aus Osteuropa - braucht keine Struktur. Er arbeitet mit Details. Diese bilden sein Konstrukt. Bücher, die eine klare Struktur haben, werden von den Kritikern recht schnell der Unterhaltungsliteratur zugeordnet. In der Sprache der Friseure: Scheitelfrisuren sind out, verwuselte Geldrisure sind in. Rückblickend betrachtet ist diese Wertung willkürlich und falsch: Große Literatur folgte oft einem klaren, vielfach benutzten Schema: 'Dr. Schiwago' ist ein Liebesroman, der zur Zeit der Russischen Revolution spielt.

'Es waren zwei Königskinder,
die hatten einander so lieb,
sie konnten beisammen nicht kommen,
das Wasser war viel zu tief.'

Es gibt zahllose Beispiele in der Weltliteratur für Scheitelfrisuren. Dennoch gibt es im Augenblick, im aktuellen Buchangebot, tatsächlich nur zwei Arten von Büchern, strukturlos und schematisch, klein-klein und groß-groß. Letztere sind tasächlich überwiegend im Bereich der leichten Leseunterhaltung zu finden.
Weil mein Self-Publishing-Buch aktuell sein soll, beschäftige ich mit den Arten von Ebooks, die im Augenblick tatsächlich gelesen werden. Kann sei, dass sich das ändert, wenn ein großer Konsumentenblock - wie z.B. Frauen um die 50 oder Senioren - von holzhaltig auf digital umsteigt. Im Augenblick ist das noch nicht der Fall. Aktuell habe ich es mit drei Genres zu tun: Fantasy, Liebe (gebissen, geküsst), Thriller-Krimi. Die Historischen Roman zähle ich nicht, weil darin die drei vorgenannten Genres nur eingekleidet werden.

[Einschub] Den sehr nachgefragten Bereich der Sach- und Fachbücher blende ich völlig aus, weil hier das Schreiben vom Thema bestimmt wird, und es unüberschaubar viele Möglichkeiten gibt. Auch Kurzgeschichten lassen rausfallen, weil ich sie als Romanvorstufen ansehe. [Einschub]

Bei den typischen Ebookautoren aber wird immer eine sehr einfache Struktur sichtbar, auf die ich im nächsten Kapitel gesondert eingehen werde. Hier sei nur soviel gesagt, dass uns Indie-Autoren der Einstieg ins Schreiben durch eine klare für alle vorgegebene Struktur leicht gemacht wird.
Für meinen Roman brauche ich keinen Aufbau zu entwickeln. Dieser Herausforderung stellt sich kein bekannter Autor der Unterhaltungsliteratur. Wieviel weniger sollten wir Jungautoren uns damit abplagen. Gestalten wir die vorgegebene Gattungsstruktur aus. Dazu noch behutsame, verstohlene Anleihen bei unserem Lieblingsautor. Mehr sollte nicht nötig sein, dass unser Kind das Laufen lernt.
In den anschließenden Kapiteln von Teill II geht es um die praktische Seite des Schreibens.

II.0 Vorwort zu Teil II

Das Internet hat unseren Schreibstil verändert. Um nur drei Veränderungen zu nennen:
Zum Ersten ist unser Schreibstil individueller geworden. Wo es früher darum ging, sich einer sozialen Schicht zugehörig zu zeigen, geht es heute darum, schwarmzugehörig zu sein und sich dennoch abzugrenzen - ein schwieriger Blanceakt. Es gibt viele Schwärme im Internet, und sie sind kurzlebiger.
Zum Zweiten ist unser Schreibstil kürzer geworden. Wir haben weniger Zeit und Ruhe zu lesen, daher sind die Texte allesamt kürzer. Wenn Floskeln wegfallen, wenn Wortgewandtheit nervt, dann bleibt nur übrig, was mitteilenswert oder lustig ist. Der Sender der Worte muss sich nach dem Empfänger richten. Dessen Aufmerksamkeit ist begrenzt.
Zum Dritten verändert sich unser Schreiben rasend schnell. Unsere Väter schreiben nicht viel anders als ihre Großväter. Es hat noch nie eine Generation in Deutschland gegeben, die so vollständig und vor allem so schnell von der Generation nach ihr abgehängt wurde.
Ich will niemandem in die Feder greifen. Ich will nur zeigen, wie das Internet die Lesekultur verändert. Als Indie-Autor, als reiner Ebookschreiber, bin ich Teil dieser Kultur. Wenn ich gelesen werden will, muss mein Schreibstil zum Internet passen.

II.1 Gut und Böse, A und B

In den Vampirbüchern ist die Welt aufgeteilt in Blutsauger und Blutgesaugte. Dazwischen ein Mädchen, ein Kombiprodukt - jungfräulich liebend und erosmächtige Vampirin. Das ist die ganze Struktur. Fantasyromane dagegen sind gefahrvolle Reisen zu einem Erlösungsgegenstand (zaubergewaltig) und einer Unerlösten (blond). In Thrillern erfasst das Böse jeden Winkel. Der rationale Aufklärer wird vom Irrationalen fortgerissen.
Diese Strukturen kann ich unbesorgt benutzen. Ich nehme keinem lebenden Autoren etwas weg. Die untoten Blutsauger stammen aus slawischer Mythologie. Heute beißen die Collegemädchen, früher die Grafen. Das 'Nibelungenlied', die 'Odyssee' ist Fantasy. 'König Ödipus', 'Hamlet' sind Thriller. Alle diese Werke beziehen sich wieder auf Urformen aus vorschriftlicher Zeit.
Hier noch mal für euer Clipboard:
Alle Romane als horizontales Schreiben leben von der (quasi elektrischen) Spannung. Ohne A-Pol und B-Pol geht es nicht. Es gibt einen C-Pol nur als Verbindung von A und B. Freud hat Es (=Trieb), Ich (=Vernunft) und ÜberIch (=Erziehung) unterschieden. Das Ich ist das Verbindungsglied zwischen Es und ÜberIch. Das Diagramm ist also nicht A - B - C, sondern A - AB - B. Eine Verteilung in der Ebene darunter ist zulässig. Das Vampirmädchen hat auch A-, AB- und B-Freunde. Eigentlich ist erklärlich, dass es nur dieses Grundmuster gibt. Innen und Außen gibt es, und eben die Grenzlinie. Jeder Mensch hat ein Innenleben und eine Außenwelt. Er selbst steht mit seinem Bewussstsein dazwischen. Drei Möglichkeiten, keine vier.
Im modernen Vampirroman bilden das Böse und das Gut im Vampirmädchen eine spannungsvolle Einheit. In Fantasyromanen tritt das Gute eine Reise in die Welt des Bösen an, um das Gute zu befreien. Im Thriller verschwinden die Trennlinien zwischen Gut und Böse. Diese Konstellationen sind stark von der Religion geprägt.
Durchaus ist eine Konstellation auch ohne religiös-moralische Ausprägung darstellbar. Im Liebesroman steht die Liebende zwischen Verlockung und Vernunft. Soll Scarlet O'Hara einem Abenteuerer wie Captain Rhett Buttler nachgeben oder ihrem Pflichtgefühl gehorchen und den Langeweiler - wie hieß er noch? - heiraten? Das ist eine deutlich Freudsche Konstellation, der für die religiöse Unterteilung Hölle - Erde - Himmel neue Begriffe geprägt hat.
Auch in Krimis geht es weniger religiös zu als im Thriller. Auch hier haben wir Opfer, Täter und den Aufklärer, aber der Abstand zwischen ihnen ist größer. Man denke nur an die Heile-Welt-Krimis von Agatha Christie. Im Thriller ist das Böse ausgeprägter. Bei Tom Clancy kommen sich Islamisten und Weltretter bedrohlich nah. Es wundert also nicht, dass es in einem Kuhdorf wie dem schwedischen Ystad mehr Serientäter als Falschparker gibt. Wer Thriller schreibt, braucht einen Serientäter. Gerade wenn die Bedrohung der Aufklärungsneugier weichen will, geschieht ein neuer, schrecklicherer Mord. Und so fort und so fort, bis der Autor seine 400 Seiten für ¤ 19,95 zusammengeschrieben hat.
Fantasy wie auch viele Historische Romane sind Reiseromane. Nachgestellt ist eine Menschenzeit. Die Hauptperson ist erst im Zustand der Unschuld, sickert dann nach und nach in die unmittelbare Kampfzone ein, um dann im Alter zurückzublicken. A, AB, B sind also Phasen, nicht Personen.
Gewöhnt euch an, jedes Buch, das ihr gelesen habt, nach einer Struktur abzusuchen. Erkennt ihr das Grundmuster, dann versteht ihr auch, warum so geschrieben wird. Es dient dem Ausbreiten des Romanstoffes. Tom Clancy braucht eine starke Wäscheschnur, um seine ganzen Armeeklamotten aufzuhängen. Die Odyssee besteht aus Kurzerzählungen, die nur durch die Ehefrau ein Ende findet. Wäre es ein Ende gewesen, wenn Homer ihn bei Kirke hätte verwahrlosen lassen? Scarlett O'Hara und 1.000 Seiten Rhett Butler? Das wäre ein kurzer Krimi geworden, kein langer Liebesroman. Wir sehen, die Struktur eines Romans ist wie das Stangengerüst von einem Zelt.

II.2 Das Tarnnetz der Unterstruktur

Gut und Böse sind für einen Romanschriftsteller keine Frage der Moral. Für ihn sind Gut und Böse eins, nämlich eine Sackgasse. Es gibt nicht den Bösen oder die Gute. Nicht weil es sie nicht gibt, sondern weil es sie nicht geben darf. Alles im Roman bewegt sich durch die Spannung zwischen Gegensätze. Wegen der Strecke, die er zurückzulegen hat, ist für einen Roman Bewegung das oberste Ziel.
Deshalb ist die Struktur des Romans überzogen mit einem feinen Gespinst von Unterstrukturen. Jede Figur - sei sie böse oder gut - ist in sich gespalten, kämpft mit sich. Sie ist selbst Verbindungsglied von Gut und Böse. So entsteht ein immer feineres Netz, dass zwar sehr einfach aufgebaut ist, sich der Durchsicht, der Erkennbarkeit von außen entzieht. Eine Art Tarnnetz.
Wenn euch eine Figur herzgründlich unsympathisch und zuwider ist, dann seid ihr in einer Sackgasse gelandet. Rhett Butler ist Abenteuerer und Kriegsprofiteur, aber er liebt Scarlett. Er lebt einen Widerspruch. Ein Serientäter ist zwar böse, aber er lässt uns in einer Innenschau mitansehen, wie er ein Opfer seiner selbst ist. Ein Kommissar ist zwar Aufklärer, aber durch sein Privatleben tappt er ohne Licht.
Auch äußerlich kann sich dieser Widerspruch auftun. Der Held will nicht auf die Reise gehen, aber äußere Umstände zwingen ihn nach und nach zu einem Umdenken. Auf der Reise selbst muss er Hindernisse überwinden, Gefahren bestehen. Je eindimensionaler der Held ausgelegt ist - man denke an den darin unübertroffenen Tom Clancy - desto größer muss die Gefahr sein. Der Held und die äußere Gefahr bilden die beiden Pole.
Es kann auch ein Zeitfaktor dazukommen. In dem Fall bildet sich ein Spannung zwischen der benötigten und der verfügbaren Zeit. Thriller sind oft so angelegt. Ein Serienmörder ist abgrundtief böse, ein Islamist weltbedrohend, aber es bleibt wenig Zeit sie zu stoppen. Denkt nur an den Agenten 007.
Der Widerspruch kann auch zwischen der Figur und ihren Eigenschaften liegen. Die Prinzessin ist zwar ein Lichtwesen, aber arm. Eine Heirat widerspricht jeder wirtschaftlichen Vernunft. Was wäre, wenn diese Prinzessin reich wäre? Blick, Kuss, Heirat, Ende. So aber funktioniert kein Roman.
Auf allen Ebenen finden sich zweipolige Strukturen, die sich immer feiner verästeln. Erst wenn ihr zu Ende kommen wollt, verknotet ihr diese Ende. Bis dahin aber müsst ihr die zweipolige Spannung aufrechterhalten und ausbauen. Je feiner euch die Verästelung gelingt, desto schöner ist euer Werk anzusehen. Ein Romanschriftsteller ist nichts anders als ein Goldschmied.
Seht euch ein Märchen an. Alle Figuren sind einpolig. Das funktioniert, solange das Märchen kurz ist. Denkt euch zur Übung für jede Figur eine Widersprüchlichkeit aus. Ihr seht, hinter dem Märchen entsteht sofort neuer Erzählraum.

II.3 Das Geheimnis der Medea

Medea wird von ihrem Mann Jason verlassen. Sie schickt der neuen Frau Jasons ein wunderschönes Kleid aus purem Gold, welches bei der Anprobe zur Hochzeit in Flammen aufgeht. Dann tötet sie die beiden Kinder, die sie mit Jason hat.
Es ist wichtig, welche zwei Pole wir wählen. Die Pole können auseinander liegen, sodass eine unüberbrückbare Schlucht zwischen ihnen liegt. Ein Geheimnis, das sich jeder Erklärung widersetzt. Verständlich - sagen wir nachvollziehbar - ist, dass Medea ihre Nebenbuhlerin tötet. Warum aber tötet sie ihre Kinder? Will sie Jason treffen? Zeigt sie ihm, dass sie ihn mehr liebt als ihre Kinder? Will sie sich selbst vernichten? Ist sie wahnsinnig geworden? Tötet sie ihre Kinder, weil sie schutzlos geworden sind?
Die Pole können auch enger beieinander liegen. In 'Vom Winde verweht' ist Captain Rhett Butler Geliebter und Kriegsprofiteur, Scarlett ist Geliebte und mittellos. Gefühl und wirtschaftliche Interessen überlagern sich so. Die Pole liegen nicht weit auseinander. Scarletts Liebe ist widersprüchlich, aber nachvollziehbar, während Medeas Liebe sich einer Erklärung entzieht.
Es gibt viele Spielarten, die Pole anzulegen. Goggelt mal das Märchen 'Von einem der auszog das Fürchten zu lernen'. Warum möchte der jüngere Bruder das Fürchten lernen? Bei den Brüdern Grimm will er das Fürchten lernen, weil er dumm ist. Denken wir uns eine andere Erzählweise aus. Der jüngere Bruder könnte ein Stiefbruder sein - er will dorthin, wo ihm sein älterer Bruder nicht nachstellt. Er könnte hässlich sein - sucht die Nähe der Hässlichen. Er könnte Schlafwandler sein oder aus einem uralten Vampirgeschlecht stammen. In allen Fällen wäre sein Mut erklärlich.
Nehmen wir einen anderen Fall an. Er besteht die Mutprobe und verleitet seinen ängstlichen Bruder, es ihm nachzutun. Um Mitternacht verlässt der ältere Bruder sein Bett und kehrt nicht wieder zurück. An sich verständlich ist, dass der Jüngere die Mutprobe besteht. Aber warum aber überredet er seinen ängstlichen Bruder? Hier hätten wir eine Medea-Polung. Die Ende der Spannung berühren sich nicht. Wir als Leser können uns viel denken, wissen aber nichts sicher.

II.4 Innenschau und Außenbühne

Das Internet macht jede Person, die sich darin bewegt, öffentlich. Keine Person verbirgt sich. Wer sich verbergen will, kommt nicht auf die Bühne. Mit allem, was wir sichtbar sind, treten wir auf. Das Internet selbst ist eine hell ausgeleuchtete Bühne. Ich gehe in meiner Rolle auf. Lampenfieber haben wir alle, aber das geht vorbei. Ich horche nicht nach innen, sondern nach außen. Wir sind Schauspieler. Wir stehen alle unter Strom. Trenne niemals die Verbindung.
Selbstzweifel und Ängstlichkeit. Es gibt sie im Real Life. Dort geht es beschattet zu und beschützt. Vorsicht und Umsicht sind wertvolle Eigenschaften, weil Gefahren und Wagnisse real sind. Die Innenschau dient der Verarbeitung von Erlebtem und der Erholung. Ich verarbeite Dinge, überdenke meine Entscheidungen in mir selbst. Der Mensch stellt sich selbst in Frage. So entwickeln wir uns weiter. Ich ziehe mich in den Halbdunkel zurück, aus der Gemeinschaft zurück, um mit mir allein die Dinge zu regeln, die mich selbst angehen. Ich verarbeite und finde meine Ruhe, ziehe mich in meine Burg zurück. Ich bin kompliziert, langsam, treu, wunderlich.
Wie anders die Person von mir, die ständig unter Strom steht: Mein 'Ich-mich-mir24.de'. Von allen Seiten belagert, habe ich nirgendwohin eine Rückzugsmöglichkeit. Deshalb mache ich es mir und anderen nicht kompliziert. Ich will mich zurechtfinde, weil ich schnell entscheiden muss. Dazu brauche ich eine flache Persönlichkeit. Schnelle Beine brauche ich, was nützt mir der Raum hinter der Grübelstirn. Ich bin spontan, sprunghaft. Wie schnell sind Namen vergessen. Seht mich auf der Bühne, wie ich mich bewege. Ich verstehe nicht mehr von mir als ihr.
Habt ihr schon bemerkt, dass die Figuren in einem Buch immer auf derselben Wellenlänge funken? Denkt ihr, es hat mit dem Autoren zu tun, der sie sich erfindet? Nein, es hat mit der Technik des Schreibens zu tun. Wenn alle Personen sich im selben Tempo bewegen, kann ich gut und viele unterbringen. Wenn einer sich schnell bewegt, der anderen langsam, ein dritter herumsteht - was ist dann? Schnell tritt einer dem anderen auf die Füße oder stolpert über den, der bereits gestolpert ist. Die Personen in einem Buch unterscheiden sich nur äußerlich, nach Namen, Geschlecht und Alter. Meist aber sind sie im Gleichschritt und singen falsch dieselben Lieder.
Stellt euch erst vor, ihr sei ein Autor, der sich vorstellt, er sei kein Autor. Lasst den Figuren ihre Freiheit! Können Sie nicht selbst über sich bestimmen? Am besten, ihr haltet euch völlig raus. Schafft ihr das!? Stellt euch nun zwei Türen vor. Auf der einen steht 'Ebook', darunter 'Internet', auf der anderen 'Papierbuch', darunter 'Real Life'. Lasst die Gestalteten selbst entscheiden. Lasst sie selbst entscheiden, durch welche Tür sie einschreiten. Was denkt ihr, wer tritt in welche Tür ein?
Alle, die sich vorgedrängt haben, versuchen sich durch die 'Ebook'-Tür zu quteschen, schieben von hinten, rufen nach vorne ihre Freunde, springen hoch, um alles zu sehen. Ein Wehrmachtssoldat grüßt militärisch. Ein Riese schlägt sich den Kopf auf. Zwei Vampire umflattern seine Schultern. Jemand schießt Löcher in den Türrahmen. Überall regnen Visitenkarten herab.
Von außen muss die 'Ebook'-Tür schließlich zugeschoben werden. Zwei Zwergen mit rostigen Bärten arbeiten schwitzend daran, blockieren endlich, zwei quadrig schartigen Steinen gleich davorsitzend. Und die andere Tür? Stille davor. Der Lärm der Ebooker dringt nach draußen, bewegt den Teppich der weiß-bunten Karten. Sonst ist es still. Die Figuren, die eingelassen werden sollten, sind verschwunden. Spaltbreit um Spaltbreit öffnet sich die Tür von innen. Eine durch die Nase geführte Stimme: 'Dort niemand?' Ein Hauch von Haarwasser. Die Tür fällt klicksend ins Schloss zurück, als der Papierbuchautor die glotzenden Zwerge erblickt. Erschreckt fliegen kleine Fledermäuse aus den roten Bärten auf. Über den Zwergenzwillingsköpfen hängt nebelig der verdampfende Schweiß.

II.5 Vom Abschreiben zum Schreiben

An welchem Ende steht mein eigenständigstes Werk: am Anfang oder am Ende? Diese Frage ist leicht zu beantworten, wenn sie so einfach gestellt wird. Fangen wir also uneigenständig an. Das scheint vernünftig, weil es uns hilft, einen Anfang zu finden, der sich sehen lassen kann.
Ich habe eine ungefähre Vorstellung, was ich schreiben will. Gehe ich also an den Regalen entlang und schaue, was im Angebot ist. Ich beschließe, dass mein erstes Werk zwischen diese Bücher passen muss. Kein neues Regal will ich - nur einen Platz zwischen den vorhandenen Büchern.
Ich entscheide mich also für ein bestimmtes Buch. Es soll mir gefallen. Sein Autor soll bei anderen Büchern Anleihen genommen hat. Ein typischer Genre-Bestseller also. Dann male ich mir einen Plan von dem Buch auf, indem ich die Fragen: Wann? Wo? Wer? - Was? Warum? Wie? beantworte.
[Einschub] Selbst wenn ich nichts als die Namen ändere, wird mein Buch eigenständig sein. Wenn ich flüssig aus meiner Phantasie heraus schreibe, wenn ich mit Herzen dabei bin, dann wird das vorliegende Buch mein eigen geworden sein. Meine Erfahrungen, meine Träume, meine Ängste, meine Lebenswirklichkeit werden das vorhandene Werk völlig verändern. Keine Sorge. Am Ende werdet ihr als eigenständiger Autor dastehen. Niemand wird euch sagen können, dass ihr mehr als branchenüblich abgeschrieben habt. [Einschub]
Fangt einfach an. Schnappt euch ein Buch, lest die erste Seite des ersten Kapitels. Verändert darin nur die Namen und schreibt los. Ihr könnt jederzeit auf den fremden Text schauen. Legt ihn daneben, wenn ihr wollt. Kein Problem. Klappt's? Nun nehmt ihr die nächste Seite. Lest sie durch und legt sie ganz weg. Ihr seht, was ich meine? Wir beginnen das Schreiben mit dem Abschreiben. Dann lösen wir uns langsam Schritt für Schritt davon.
Nun verändern wir auch die Orte. Diesmal schreiben wir ein ganzes Kapitel. Aus dem amerikanischen Zaubercollege wird unser Berufskolleg oder was auch immer. Natürlich müssen wir die Sprache der Örtlichkeit anpassen. Keine Scheu - der Übersetzer hat vor euch die gesprochene Sprache geändert. Im Amerikanischen klingt sie völlig anders. Schreibt freiweg, wie die Leute sprechen, die ihr kennt.
Vielleicht ist euch aufgefallen, dass die Personen durch die neue Sprache ihren Charakter verändert haben. Übertreibt ruhig ein wenig. Keine Angst, ihr schreibt nur für euch selbst. Blamieren könnt ihr euch nicht. Die Personen blamieren sich, werdet ihr feststellen. Im Miteinander und Gegenüber der Personen klingt es nicht richtig. Eure Dialogsprache wird von allein glatt und flüssig, sonst seht ihre Brüche.
Nun seid ihr schon mittendrin, die dritte Frage nach dem Wer? anzugehen. Auch hier wollen wir Veränderungen vornehmen. Schreibt für jede Person die äußeren Eigenarten auf. Mischt einfach Eigenarten von Leute ein, die ihr kennt. Ihr seht, wenn ihr zuviel reinmischt, zerfällt die Person. Ihrem inneren Zusammenhalt dürft ihr nicht zu nahe kommen.
Kommen wir von den Eigenarten zu den inneren, den charakterlichen Eigenschaften. Da sehen wir, dass die Frage: Wer? ohne die Frage: Was? nicht vernünftig beantwortet werden kann. Die ersten drei Fragen: Wann?, Wo? ,Wer? stecken den Erzählrahmen ab. Die Fragen: Was? Warum? Wie? zeichnen die Wege im Erzählraum nach. Es ist leicht, die Fähnchen der ersten beiden Fragen umzustecken, schwieriger ist es, den Verlauf eines Weges zu ändern, ohne die anderen Wege ändern zu müssen.
Viele Reihen-Belletristiker ändern nichts an den Wegen. Sie führen neue Figuren ein, tauchen die Orte in ein anderes Licht, fügen dem Wer?äußere Eigenarten hinzu, nehmen aber an seinen inneren Eigenschaften und dem Was? Warum? Wie? keine Veränderungen vor. Lassen wir es dabei. Sie werden die Gründe dafür kennen.
Schaut euch die Kapitel in eurem Buch an. Sie sind unterschiedlich. Beschreibend, handelnd, streitend, zärtlich, ruhend. Ihr erkennt schnell, das jeder Autor seine Stärken und Schwächen hat. Versucht selbst herauszufinden, was euch liegt. Vielleicht fragt ihr wen anders. Mädchen sollten Mädchen fragen, Jungens andere Jungens. Auch in der Belletristik schreiben Frauen für Frauen, Männer für Männer. Es gibt selbstverständlich bedeutende Ausnahmen. Versucht nicht bei eurem ersten Leser herauszufinden, ob ihr zu diesen Ausnahmen gehört.
Habt keine Scheu. Schreiben und Lesen unterscheiden sich nicht groß. Beim Schreiben erzählt ihr euch selbst, beim Lesen erzählt euch ein anderer. Sonst gibt es keinen Unterschied. Schreiben ist mühevoller. Das liegt daran, dass ihr das Erzählte festhalten müsst, während beim Lesen diese Arbeit bereits ein anderer gemacht hat. Stellt euch vor, ihr müsstest nichts eintippen und korrigieren - wie leicht wäre das Schreiben dann?
Wichtig ist, dass ihr euch nicht verhakt oder verbeisst. Wichtig ist, dass ihr den Fluss, den Erzählspaß nicht verliert. Das ist der Grund, warum ihr euch vom Abschreiben zum Schreiben langsam vortasten solltet.

II.5 Neben- zu Hauptstrang

In 'Bis(s) zum ersten Sonnenstrahl' schildert Stephenie Meyer das Leben vom Vampirmädchen Bree Tanner, das hier von einer Nebenfigur zur Hauptfigur mutiert wird.
Ich schätze mal, Stephenie Meyer fällt nicht mehr viel ein. Ihr Größe aber zeigt sich darin, dass nicht ausspurt oder verkantet. Sie erkennt, dass sie in einer Schaffenskrise ist. Was macht sie? Sie starrt nicht in die Sackgasse, lässt sich nicht vom Anblick der Wand hypnotisieren. Nein, sie verkrampft nicht, bleibt locker und beweglich. Sucht ihre Chance. Die Frau hat einfach Mumm. Das Schwerste an guten Ideen ist die Leichtigkeit. Das sollte uns ein Vorbild sein.
Abgesehen von einer äußerst erfolgreichen Form von Stoff-Recycling, haben wir hier auch eine schöne Fingerübung für Indie-Schriftsteller. Nehmt eine Nebenfigur aus einem Buch, das euch gefällt. Schildert von diesem Außenposten aus mit neuer Perspektive einen Übergangszustand der Haupthandlung. Die Dinge sollten im Fluss sein, da eure Nebenfigur keine eigene Dynamik hat. Entwickelt hier einen Erzählraum, dockt quasi am Haupterzählschiff an. Lasst euch ziehen, ernähren, aber seid ein autarkes kleines Raumschiff.
Mit den inneren Eigenschaften der Hauptfiguren habt ihr nichts zu tun. Mit der Haupthandlung geht ihr in den Standby-Modus. Entwickelt eure kleine Welt, wählt einen Ausschnitt, eine bekannte Figur, zwei, drei Unbekannte, einen direkten Kleingegenspieler. Reist auf einem Nebenarm, breitet ihn aus, zoomt ihn ran. Denkt euch eine Gefahr aus, ein Leben mit dieser Gefahr, ein Kampf dagegen und schließlich ein Sieg, der traurig macht. Schlussendlich wagt ihr nebelhafte Ausblicke auf einen Großgegner. Letzteres muss sein - wer weiß, ob ihr nicht gerade eine Serie begonnen habt.
Wagt euch was! Ich bin der Meinung, dass ihr jetzt, wo ihr kleinere Buchprojekte schreibt, die Namen, die Orte, alle sichtbaren Fußspuren tilgen solltet. Der Vorteil des Indie-Schreibens ist, dass ihr euch um die Verlage nicht zu kümmern braucht. Es spricht wenig dagegen, mit einem gelungene Bändchen an die Öffentlichkeit zu gehen. Ihr habt nichts zu verlieren als eure Ängstlichkeit!

II.6 Genremix

Die frühen Vampirromane wie 'Carmilla' und 'Dracula' waren eindeutig erotische Romane, soweit das in der damaligen Zeit darstellbar war. Stephenie Meyer mischte den Vampirroman mit dem Jugendroman. Die Bände von 'Skullduggery Pleasant' sind Fantasy mit Elementen des Italowesterns. Das aktuelle 'Göttlich verdammt' mischt Griechische Mythenwelt ein, die Panem-Bände Polit-Science-Fiction.
Grundlage ist immer der Jugendroman, Beilage jeweils etwas anderes. Stellt euch einen Barmixer vor. Die Drinks unterscheiden sich nach Trinkgefäß, Beilage, Kältegrad, Getränkefarbe, was weiß ich alles. Eine unüberschaubare Vielfalt für den Bargast. Der Barmixer aber hat einen anderen Blickwinkel. Wichtig ist, dass ihr von einem Grundstoff ausgeht. Daraus entwickelt ihr alles wie einen Wurzelbaum weiter. Mischgetränke entstehen am Clipboard, nicht am Würfeltisch.
Natürlich gibt es bereits viele witzige, gelungene Mischungen. Aber es stimmt nicht, dass alles schon dagewesen ist. Nehmt mal 'Der Club der unsichtbaren Gelehrten' von Terry Pratchett. Das ist ein Fantasyroman mit zugemischtem Sportroman. Ihr seht, die Möglichkeiten sind lange nicht ausgeschöpft. Terry Pratchett hat seinen Stil gefunden, dabei bleibt er. Weil er festen Boden unter den Füßen hat, kann er gefahrlos experimentieren. Denkt nur mal an die Historischen Romane. Die Kostumschränke bergen unendliche Möglichkeiten. Wenn ihre Griechische Mythologie beimischen könnt, warum nicht die Arabische Märchewelt?
Stellt euch ein Mädchen vor. Sie ist euer Vampir. Das ist der feste Boden. Nun kommt die Beimischung. Hakt die Mädchenthemen ab. Was bleibt noch? Warum kein Dschungelcamp (okay, gibt es schon bei 'Panem'), kein Artenschutzding, keine Vampirmodels, keine Zeitreisen, keine Eifelvampire, keine Dritte-Welt-Vampire?

II.7 Label- und Supraserie

Ein Fanzine ist ein Maga'zin', das von 'Fans' für Fans gemacht wird (Wikipedia). Es wird im Offsetdruck erstellt, im Abo verschickt oder sogar persönlich verteilt. Dabei wird ein Text zu einem Thema (meist Subkultur - Science Fiction, Fantasy etc.) angefangen, der von anderen kapitelweise - auch in Form eines Rollenspiels - fortgesetzt wird. Ihr seht, es gibt nichts, was es nicht schon gab.
Erst haben wir einen Nebenstrang aus der Haupthandlung herausgelöst (II.5). Dann haben wir eine bestehenden Text mit einem anderen Genre fusioniert (II.6). Das Fortschreiben der bestehenden Vorlage ist eine dritte Möglichkeit, einen bestehenden Text eigenständig umzuarbeiten.
Eigentlich ist diese Herangehensweise naheliegend, denn viele Autoren legen ihr Buch als Serie an. Jedenfalls wollen sie und ihr Verlagsmanager sich diese Möglichkeit nicht verbauen.
Es gilt zwei Formen einer Serie zu unterscheiden.
Einerseits kann ich die Hauptfiguren beibehalten und immer neue Episoden schreiben, die keinen inneren Zusammenhang haben. Ich entwickle zwei wiedererkennbare Kommissare (oder einen Geisterjäger), die immer neue Fälle aufklären. Ich könnte auch jedes Mal die Namen ändern, es würde keinen Unterschied machen. Ich habe eigentlich ein Label entwickelt, keine Serie. Hier lohnt sich ein Einstieg für uns nicht, weil die Einzelfälle jeweils neu entwickelt oder woanders abgeschrieben werden.
Andererseits kann ich einen Handlungsbogen entwickeln, der schon den ersten Band überspannt. Jeder Band meiner Serie ist ein Kapitel in diesem Suprabuch. Die meisten Serien des Fantasy- oder Vampirgenres sind so angelegt. Die einzelnen Bände sind nicht Äste, die aus einem Baum wachsen, sondern Jahresringe.
Ihr seht vor allem, dass diese Suprastruktur unveränderbar ist - eine jahrhundertalte Fehde, eine Herrschaftsstruktur, ein dauerhaft vorgezeichnetes Schicksal. Die Suprastruktur liegt in dunkler Vergangenheit begründet und wird in ferner Zukunft - wenn die Absatzzahlen gegen Null gehen - ihr Ende finden. Dazwischen ist jede Anzahl von Bänden möglich.
Für die Anlage der Handlung hat das Folgen. Während ein Label-Kommissar auch Falschparkern nachstellen kann - je mehr Neuerung desto besser - besteht die Schwierigkeit einer Supraserie in den notwendigen Wiederholungen. Kein Band steht für sich allein. Der Leser muss jedes Mal umständlich in den vorhandenen größeren Zusammenhang eingeführt werden. Es gibt verschiedene Hilfsmittel. Das Personenverzeichnis am Anfang von 'Black Dagger Brotherhood' führt in die Handlung ein. Oder die Subhandlung spiegelt die Suprahandlung wieder. Die Hauptfiguren können neue Nebenfiguren (und den Leser) einbeziehen. Die Vergangenheit wirkt fort. Ein besiegter Gegner hat eine neue Allianz geknüpft. Alles Hilfsmittel, die Handlung 'eines' Bandes mit der Handlung 'aller' Bände zu verknüpfen.
Die Hauptfigur in einer Supraserie ist von 'überragender' Bedeutung. König Warth aus Black Dagger Brotherhood ist so ein Beispiel. Sie haben einen hohen Wiedererkennunsgwert - in diesem Fall seine zunehmende Erblindung. Sie bleiben sich über die Zeit gleich. Sie sind Strukturschnittstelle, d.h. alle beziehen sich auf sie. In diesem Fall beziehen sie sich auf ihn als König. Eigentlich sind diese Suprafiguren blass, jedenfalls eindimensional, weil sie sich nicht oder nur sehr kontrolliert verändern lassen. Sonst würde der Leser denken, er sei in der falschen Serie gelandet. Sie stehen immer am Anfang eines neuen Bandes. Dort gestalten sie die Verknüpfung zu den anderen Bänden umständlich aus, bis auch dem letzten Leser ein Lichtlein scheint.
Es gibt auch Suprafiguren, die nicht so langsam denken wie König Wrath. Der Hexer Geralt von Sapkowski ist so ein Beispiel. Er zweifelt an sich, ist launenhaft, wirft seine Entscheidungen um, entzieht sich seiner Umgebung, denkt schnell und handelt vorschnell. Hier liegt der Wiedererkennungseffekt nicht in der Figur als Ganzes, sondern einem Wesenszug - seiner alle Wege überdauernde Liebe zur Zauberin Yennefer.
In einer Serie unterscheiden sich die Figuren grundsätzlich. Es gibt die verzichtbaren Figuren und die unverzichtbaren Figuren. Erstere sorgen für die Farbigkeit. Letztere zeichnen die schwarz-weißen Konturen. In Serien mangelt es in großen Teilen an Steigerung und Spannung, weil sich Ruhezonen um die Suprafiguren bilden. Diese sind ihrem Wesen nach unsterblich. Von daher steht das Ergebnis jeder Auseinandersetzung bereits fest. Der Autor muss unsere Anteilnahme und Neugier auf Nebenschauplätzen und mit Nebenfiguren gewinnen.
Schreibt einfach das erste Kapitel eines möglichen nächsten Bandes eurer Lieblingsserie. Versucht den Anschluss möglichst elegant zu finden. Im ersten Kapitel wird nie die neue Handlung angekündigt. Es ist mehr eine Art Klassentreffen - Ego im Aufgalopp, Rückblicke, Wiedererkennen und Rufe nach dem Kellner.

II.8 Für wen schreiben wir?

Wer einmal mit Literaturagenten zu tun hatte, der weiß, dass sie diese Frage als erstes stellen. Die meisten Autoren werden ratlos sein. Dieselbe Frage an die Maler: Wo werden eure Bilder aufgehängt werden? Ratlosigkeit auch bei ihnen. Doch die Frage ist berechtigt. Wer etwas verkaufen will, muss eine Vorstellung haben, von wem das Geld kommen soll.
Wir Indie-Autoren stehen am Anfang. Für wen schreiben wir?
Jeder Schreiber ist sein erster Leser. Ich bin immer Schreiber und Leser in einem. Mag sein, dass Stephenie Meyer Multimillionärin ist und Schreibteams beschäftigt - am Anfang hat sie für Stephenie Meyer oder eine erinnerte Stephenie Meyer geschrieben. Ich als Indie-Autor beantworte die Frage also so: Mein Leser sieht so aus wie Ich. Punkt.
[Einschub] Es kann auch jemand sein, der mir sehr nahe steht - mein Kind, meine Schwester, meine Eltern. Wichtig ist, dass mir die Person sehr vertraut ist, dass sie mir gut vorstellbar ist. Das Ich, von dem ich hier spreche, ist also nicht wörtlich zu verstehen. [Einschub]
Ich schreibe also für mich. Ich bin mein Leser. Nächste Frage: Wie soll meine Hauptfigur sein? Welcher Person folgt mein Leser bereitwillig in dieses Buch? Mit welcher Person kann er sich identifizieren? Klare Antwort: Ich bin nicht nur Schreiber und Leser, sondern auch die Hauptfigur - anders geht es garnicht. Schaut euch um. Sehr oft ist ein Autor mit seinen Lesern und seiner Hauptfigur deckungsgleich. Wenn ihr die Möglichkeiten bedenkt, die uns die Phanatasie lässt, kann das kein Zufall sein. Offensichtlich liegt hier das Geheimnis des Erfolgs.
Ich als Indie-Autor habe also eine klare Vorgabe. Ich schreibe nicht für Fremde - ich schreibe für Freundinnen. Auch meine Hauptfigur ist wie eine meiner Freundinnen. Das ist ein großer Vorteil. Ich bin meinen Freundinnen wirklich nah, ich verstehe sie, ich kann mich in sie hineinträumen. Das ist nichts besonderes?
Stellt euch vor, ihr seid ein Verlagsmanager mit einem Lebensstil, den ihr euch finanziell und gesundheitlich eigentlich nicht erlauben könnt: Bluthochdruck, Schulden, Leasingraten, Freundin, Ehefrau, Seilschaften, Konkurrenten. Falls dieser Mann Kinder in eurem Alter hat, dann wird er viel zu müde sein, ihnen abends die Frage zu stellen, was sie gerne lesen. Die Verlage sind riesige Tanker. Die Leserinnen sind kleine Heringe. Ein Tankerkapitän und Heringsschwärme wissen sehr wenig voneinander.
Ihr seht, der Verlagsmanager ist dem Herzinfarkt näher, ihr seid dem Bucherfolg näher. Eure Bedingungen sind ideal. Ihr müsst nur begreifen, was für einen Vorsprung ihr habt. Hört euch um in eurem Bekanntenkreis, was die Mädchen lesen, welche Filme sie sehen. Sind die Träume alle gleich, die Ängste, der Humor? Sehr ihr Veränderungen? Woran haben sie sich sattgelesen? Seht ihr haarfeine Risse? Gewöhnt euch an, neugierig zu sein. Stellt Fragen. Denkt an euren größten Konkurrenten als Indie-Autor - den Mann mit dem roten Kopf, der im Stau steht und sein Lenkrad verflucht.

II.9 Namen und Eigenarten

"Emhyr scheute vor der Konfrontation mit Ciri und Geralt zurück." (Sapkowski)
Unsere Leser bewegen sich im Internet. Sie machen ihre Hausaufgaben, chatten, sind bei Facebook, sehen zwei Filme, hören Musik, essen zu Mittag und lesen unser Buch - alles gleichzeitig! Habt Mitleid. Helft ihnen.
Wie will ich einer Handlung folgen, wenn ich die Namen nicht auseinander halten kann. Abtal, Atlar, Artal oder eben Emhyr, Ciri und Geralt? Legt euch ein Telefonbuch hin und blättert bei Bedarf. Die Namen könnt ihr kürzen und umstellen. Je fremder die Herkunft, je leichter ist die Unterscheidung. Die Endung ist wichtiger als die Mitte: Emhyr, Emhuir, Emhrro lassen sich gut auseinanderhalten. Macht euch einen Plan. Legt euch ein Namensverzeichnis an - nicht nur für dieses Buch. Im Idealfall klingt aus dem Namen der Charakter heraus. Der böse Vampir heißt Bishop, seine Gegenspielerin meistens Claire.
Rittersporn der Barde, Regis der Vampir und Geralt der Hexer sind in Namenszusätze, quasi Berufsbezeichnung, die auch die Figur charakterisieren. Die Figuren sind als Einheit mit ihrer Tätigkeit trennschärfer. Die drei Figuren von Sapkowski sind auf einer Reise, haben viel miteinander zu tun. Weitere Tricks sind äußerlich. Es gibt nur ein Pferd. Der Vampir ist Vergetarier. Der Barde ist in einer Schaffenskrise. Milva ist eine Bogenschützin. Eure Leser wollen die Figur nicht erforschen, sie wollen sie direkt - klick - wiedererkennen.
Natürlich sprechen die Figuren unterschiedlich. Ihre Rangordnung, ihre Herkunft, ihr Geschlecht zeigt sich in der gesprochenen Sprache. Doch das sind Feinheiten, die einem multiaktiven Internetuser entgehen werden, fürchte ich. Name - Tätigkeit - körperliche Merkmale - mitgeführte Gegenstände - Kleidung - Charakter - Sprache - Herkunft: je weiter ich mich nach hinten bewege, desto mehr entferne ich mich von meinem Internetuser, der jetzt auch versucht, den Drehstuhl zu reparieren.

II.10 Sprach- und Bildliteratur

"Doch kam mit dem nächsten Tag noch ein letztes Mal die Spätherbstwärme, Sonne ohne Wind." (Peter Handke)
Schön, nicht wahr? Die Sprache singt mehr, als dass sie ausdrückt. Durch den Sprachstil werden die aufgeschriebenen Bilder zu gesungenen Bildern. Peter Handke, der Wortkomponist. Klangverzauberte Bilder. Es ist alles sein eigen. (Upps, ist wohl ansteckend das!) Also, jetzt mal im Ernst. Die Sprache ist wunderschön, will bewundert werden. Tun wir ihr den Gefallen. Dann sollte es aber auch gut sein. Dies ist der Stil der Vor-Internetzeit.
Ein Sprachstil kann verschiedene Funktionen haben. Denkt an euren Deutschlehrer, der euch durch seine gepflegte Sprache zeigen will, ich bin der Deutschlehrer, ihr seid die Deutschschüler. Der Sprachstil schafft einen Abstand zwischen ihm und euch. Nicht anders bei Peter Handke. Eigentlich ist sein klingender Sprachstil überheblich, nicht wenig elitär. Er zieht einen Graben zwischen sich und dem Leser - auch ein Orchestergraben ist ein Graben. Er zieht aber auch einen Graben zwischen sich und dem Inhalt. Er sagt uns: Was ich sage, ist nicht wichtig. Dass ich, Peter Handke, es sage, ist wichtig.
Abstand schaffenden Sprachstile gibt es viele, auf jeder Ebene (in Deutschland). Ein Rechtsanwalt redet mit seinem Mandanten. Der Pastor mit seinem Gläubigen. Der Arzt mit seinem Patienten. Der Politiker mit dem Wähler. Der Sprachstil dient der Herstellung und Wahrung des Abstandes zwischen Wortgeber und Wortnehmer. Der Inhalt des Gesagten muss sich unterordnen, wird entstellt, oft unkenntlich.
Der Sprachstil des Internets dagegen stellt sich völlig in den Dienst des Gesagten. Nicht klangprahlerisch kommt er daher, sondern geräuschlos. Der Sprachstil des Internets ist lichtscheu, geisterhaft. Er passt zu den Usern, die durch die VPN-Tunnel reisen, um unsichtbar zu werden.
Im Idealfall unterscheidet sich euer Stil also nicht von dem der andern Indie-Autoren. Eure Leser wären ratlos, wenn sie einem Egotripper wie Peter Handke begegnen würden. Seien wir ehrlich erleichtert. Ist der Mann nicht ein Sprachgenie!? Neidisch könnte man werden!

II.11 Die schräge Idee

Es hat einen Grund, dass Peter Handke sein Schreiben stilisiert. Er will zeigen, dass sein Buch sich von anderen abhebt. Er will damit schlicht Leseinteresse und letztlich Kaufinteresse wecken.
Unser Stil ist ein VPN-Stil, ein anonymer Stil. Der VPN-Server vergibt allen durch seinen Tunnel Reisenden dieselbe IP-Kennung. Schön und gut, aber müssen wir nicht auch Leseinteresse wecken? Wir wollen doch gelesen werden? Was unterscheidet uns darin von Peter Handke?
Wenn Peter Handke sich von den wenigen Verlagsschriftstellern unterscheiden muss, wieviel mehr müssen wir uns unter Millionen Usern hervorheben. Dieser Blog ist ein Beispiel: Ich habe 1,5 Millionen Bloggerkollegen - nur in Deutschland! Im Augenblick gibt es in Deutschland vielleicht 20 Indi-Autoren. Ende 2012 könnt ihr eine Null dranhängen, ein halbes Jahr später eine weitere. Die durchlässige Grenze zwischen Bloggen und Self-Publishing wird verschwinden. Bald werden 1,5 Millionen Blogger kleinere Ebook-Projekte laufen haben. Und dann?
Schlussfolgerung: Ich muss mich als Autor abheben. Das ist genauso wichtig wie das Schreiben selbst. Klingt einfach. Ist es aber nicht. Zwei Bedingungen müssen erfüllt sein, nicht mehr nur eine. Nehmen wir an, ich habe etwas geschrieben, was richtig gelungen ist. Es ist wertlos, wenn es sich nicht abhebt. Ich kann es ebensogut löschen. Ihr seht, einfacher wird das Schreiben durch zwei Bedingungen nicht.
Ich kann nicht mehr einfach losschreiben, die Worte fließen lassen. Wirklich schade, ab es geht nicht, weil 1,5 Millionen Self-Publisher dasselbe in die Tasten tippen. Nur 'Verrückte' schreiben von sich aus anders. Der Normale schreibt (1,5-millionenfach) normal. Der 'Verrückte' schreibt einzigartig, aber verworren. Wir Normalen können keinen Sinn darin finden. In den Zwischenraum von 'normal' und 'verrückt' müssen wir gelangen - abwegig zwar, dennoch verständlich, grenzschreitend und auffallend.
Ich muss mich daran gewöhnen, Vorentwürfe zu machen. Ich muss zu dem Entwurf kommen, der 'verrückt' ist, schräg zu den anderen steht. Ihr werdet sehen, es geht. Den ersten Entwurf sortiere ich grundsätzlich aus. Da wir im Alltag daran gewöhnt sind, diesen vernünftigen Entwurf zu übernehmen, sehe ich erstmal ein grellgelbes auf den Bauch gekipptes Fragezeichen, dem langsam die Luft entweicht. Und plötzlich aus dem Nichts kommt der zweite Entwurf. Nun gilt es aufgepasst. Meist folgt sofort ein dritter. Haltet sie fest. Dafür habt ihr zwei Gehirnhälften (glaube ich). Diese 'abartigen' Ideen sind sehr flüchtig. Sind wohl nicht gewöhnt, den artigen Ideen vorgezogen zu werden. Habt ihr sie noch? Seht sie euch an. Einer von beiden ist die schräge Idee, auf die ihr gewartet habt.

II.12 Das ausgelagerte Ich

Marcel Proust: 'Auf der Suche nach der verlorenen Zeit' - Der bettlägerige Erzähler knabbert ein Gebäck. Mit dem Geschmack erinnert er seine Kindheit, knüpft Erinnerung an Erinnerung, bis ihm die ganze vergangene Welt lebendig geworden ist. Vollständige Lesung aller 7 Bände in 9.380 Minuten, gleich 6,51 Tage. Wer also noch nichts vorhat am Wochenende und in der Woche danach ...

Die Außenwelt ist von der Innenwelt einverleibt worden. Die Gegenwart spielt sich zwischen den Laken (eines Krankenbettes) ab. Es gilt der Vergangenheit nachzudenken. Die Personen sind lebendig im Spiegel der Erinnerung, tot im Grab des Wissens. Die Dinge sind groß und klein nur, weil die Erinnerung sie dazu macht. Eine Welt, die introvertiert, nach innen gewandt ist. Die betrachtend, nicht handelnd erobert werden will. In der du dich verlieren und keine Außentür öffnen wirst.
Das Gegenteil davon ist - KRAWOOM!!! - die extrovertierte Welt. Die Jetztzeit gilt. Das Ich teilt aus. Die Gefahren lauern außen und davon reichlich, und laut und grell. Das Ich erfindet keine Dinge. Schrecken sind schrecklich. Der Alptraum verbrennt dich mit Feueratem. Groß ist groß und macht dich platt.Klein ist gemein und giftig. Sei auf der Hut. Überall. Vor dir die Blumenwiese, in deinem Rücken lauert der Tod. Wo Blätter wehen, hängt gleich ein toter Mann. Im Gelächter dreht sich das Seil. Wer nachdenkt, lebt nicht lang. Finde die Waffe, die dich niemals verwundbar macht.
Also, ich kann eigentlich beides empfehlen - Proust: 'Auf der Suche nach der verlorenen Zeit' und das neue 'Alice: Madness Returns'. Müsst ihr selbst entscheiden. Ich will euch da nicht reinreden.

II.13 Die innere Zeit, die äußere Zeit

Die innere, die gelebte Zeit lässt sich subjektiv dehnen und verdichten. Sie verlässt die Handlung an einem beliebigen Punkt, geht in einer Beschreibung auf, flüchtet auf Trampelpfaden ins Kartenlose. Sie bildet hinter Abschottung eine Ruhezone wie eine Insel. Die Haupthandlung fließt daran vorbei, gleitet sanft darüber wie ein Nebel oder ist gänzlich unsichtbar wie ein warmer Luftstrom. Die Innenzeit umkreist Landschaft und Vergangenheit, taucht im Inneren nach Einsamkeit, Ängsten, Zweifeln, nach Glück, Ruhe, Sehnsucht. Neue Tempobahnen können abzweigen und alte sich wieder vereinen. Es liegt alles in der Hand des Erzählers.
Ganz eindeutig hat die Literatur im 20. Jahrhundert lange ein Gegenbild zur Moderne entworfen, einen Rückzugsraum geschaffen. Jeder Leser war ein Aussteiger aus der Moderne, jedes Buch ein Schlüssel zu einer anderen Welt. Lange Zeit wurde die Gegenwart als feindlich angesehen, wurde eine Anderswelt herbeigesehnt. Die innere Zeit des Erzählens dominierte eindeutig.
Unsere Leser, als heftige Internetuser, aber erfahren die Zeit als eine von außen auf sie einwirkende. Da sie gut verdrahtet sind, passt der einzelne seinen Zeitrahmen den Zeitvorgaben der Community an. Je größer seine Community ist, je weniger Zeit bleibt ihm von seiner inneren Zeit. Nicht wenige sind bereit, eigene Zeit völlig aufzugeben. Wofür brauche ich eigene, mit Nichts ausgefüllte Zeit? Was würden meine Freunde und Freundinnen zu solchen Anwandlungen sagen?
Klingt banal. Ist im Alltag auch kein Problem. Beim Schreiben, aber machen sich innere und äußere Zeit den Platz streitig. Sie bilden Gegenpole des Erzählens.
Die äußere, die historische Zeit ist vorgegeben durch die Handlung. Sie ist ein objektiv Maß, das nicht verkürzt oder in die Länge gezogen werden kann. Sie steht über den einzelnen Personen, ist von ihnen nicht beeinflussbar. Sie sind ihr untergeordnet. Die Personen bewegen sich in diesem unsichtbaren Netz. Die einzelne Person ist nichts als Teil der Community, die wiederum ohne Rückstand mit der Handlung verschmilzt. Hat der Autor Community und Handlung entworfen, schreibt sich das Buch wie von selbst.

Gerade weil sich die ältere Generation - zu Lasten der Jüngeren - versorgt und abgesichert hat, suchen die Jüngeren - was bleibt ihnen übrig! - in der Gegenwart ihre Chance. Das Internet ist ihr Rückzugsraum. Hier hat die ältere Generation keinen Zugang gefunden bzw. jede Orientierung verloren. Mag jeder für sich wissen, wie er mit den beiden Erzählzeiten umgeht. Dem Internet jedenfalls ist die innere Zeit fremd. Seinen Usern sicherlich auch. Es spricht viel dafür, dass wir vor einer Zeitenwende (im wahrsten Sinne) stehen. Nichts anderes steht zur Debatte.

II.14 Erzähler oder Dramaturg

Charon brachte die Toten über den Fluss Acheron zum Eingang des Hades. Auf die Fähre dieses unbestechlichen Fährmannes durfte nur, wer die Begräbnisriten empfangen hatte und dessen Überfahrt mit einer Geldmünze, dem sogenannten 'Charonspfennig', bezahlt worden war. Jene Toten, die kein Begräbnis erhalten hatten und denen Charon deshalb den Zugang verwehrte, mussten hundert Jahre warten und an seinem Ufer als Schatten umherirren.

Wo sich zwischen der Wirklichkeit und dem Buch die innere, die subjektive Zeit wie ein Grenzfluss ausdehnt, steht der Erzähler wie ein Fährmann, der die Seligen von den Verdammten unterscheidet. Der nur denen die Überfahrt gestattet, die sich ihm ordentlich ausweisen können.
Von den Schriftstellern der älteren Generation wird die Wirklichkeit als bedrohlich angesehen. Sie sehen ihre Aufgabe darin, dem Leser einen Fluchtraum zu bieten. Ein direkter Kontakt mit der Wirklichkeit ist vom Autor nicht vorgesehen und vom Leser nicht gewünscht. Beide sehen sich als Verlierer, nicht als Gewinner einer unbegreiflichen Zukunft.
Also zieht der Leser eine vom Autor fürsorglich hergerichtete Welt vor. Die Personen darin haben kein eigenes Leben, keinen Freiraum. Sie sind zwar selig gesprochen, aber leblos. Sie werden erzählt. Die Handlung hat keinen Weltgehalt. Sie enthält Weltsicht. Die ältere Literatur ist in großen Teilen direkt und offen zugegeben Wirklichkeitsverweigerung. Der Autor ist Fluchthelfer.
Der Dramatiker des Theaters ist sein Gegenpol. Die Personen seines Stückes sind kraft ihrer selbst auf der Bühne. Sie führen ein Eigenleben. Kein Autor greift in die Handlung ein. Folge davon: Jeder Regisseur kann das Bühnenstück auf seine Weise interpretieren. Dem Zuschauer wiederum ist überlassen, ob er dem Regisseur folgt oder seine Interpretation ablehnt. Aus dem Stück selbst heraus ergibt sich keine einzig gültige Auslegung. Es unterwirft sich keinem Urteil.
Auch ein Autor kann sich als Dramaturg begreifen, indem er seinen Personen die Freiheit des Handelns lässt, sie vielschichtig anlegt oder nur skizziert. Die Tuchbahnen der Sichtweisung benutzt er als Untergrund für seine Personen, spannt sie nicht als Zeltdach über ihnen auf. Er tritt zu keinem Zeitpunkt zwischen das Buch und seinen Leser. Dieser hat ein Urteil zu fällen, eine Weltsicht zu entwickeln, nicht der Autor.
Wir Indie-Autoren lehnen die Wirklichkeit nicht ab, sondern profitieren von ihr. Mag sein, dass es in einigen Jahren kein Verlagswesen, keinen Buchhandel, keine Schrifstellerprominenz mehr gibt - aber das ist ureigentlich nicht unser Problem. Die Zukunft steht frohfrech auf unserer Seite. Als Dramatiker treten wir auf, warum als etwas anderes!?

II.15 - Sofortpublishing ist kürzer

Unser Leser hat viel Zeit für alles, aber wenig Zeit für einzelnes.
Was folgt daraus für die Länge unserer Indie-Ebooks? Nachdem ich mein erstes Werk in Rohfassung vorliegen habe, bin ich überrascht, wie kurz es ist. Und frage mich, was ihm fehlt.
Dazu sei gesagt, dass viele Papierbuchautoren den Text strecken. Es gibt viele Tricks. Ich arbeite (wie Cast&Cast in der Ver...-Reihe) mit Großbuchstaben. Jedes Kapitel schließt mit zwei Zeilen auf einer sonst leeren Seite ab. Der folgende Kapitelanfang beginnt seitenmittig. Alle drei, vier Seiten folgt eine neues Kapitel. Dasselbe Buch als gescanntes Ebook ist dann schon deutlich kürzer.
Selbstverständlich wird auch der Inhalt gestreckt. Die Scheidung des Kommissars wird ausgebreitet, seine politischen Ansichten. Auch die Kollegen haben ein geschiedenes Privatleben. Die behördlichen Abläufe, alles und jedes dient einer erschöpfenden Gesellschaftskritik. Beim Fanatsybuch wird die Handlung in die Breite gewalzt. Irgendwie springt irgendwo immer jemand mit einer neuen Waffe aus dem Gebüsch. 'World of Warcraft' steht Pate.
Die meisten Papierbücher sind auf Handschwere und Blickvolumen angelegt, um dem Kunden einzubilden, dass er hier einen Gegenwert für sein Geld bekommt. Der Käufer wird bereit sein, einen guten Teil seiner Zeit für das teuer gekaufte Buch zu opfern. Von diesem Kunden gehen die Verlage (zu Recht) aus.
Was aber ist, wenn er das Ebook nicht gekauft hat? Lasst uns realistischerweise von einem User ausgehen, der alles umsonst bekommt? Wird sich dieser Donwloader mit derselben Hingabe einem gestreckten Ebook widmen wie der Käufer? Ich denke die Antwort ist: Nein!

II.16 Nachwort zur Güte

Den Teil II abschließend sei hier gesagt, dass meine Aufzählung sicherlich unvollständig ist. Das Internet hat an uns Eigenarten ausgeprägt, die wir so in der Wirklichkeit nicht kennen oder nicht kannten. Wir als Schreibende sollten diese Veränderungen aufmerksamst beobachten und in unser Schreiben einfließen lassen. Wo wir uns umbruch- um nicht zu sagen 'ausbruchartig' verändert haben, können unsere Romanfiguren nicht weitermachen wie bisher. Ich sage nichts anderes, als dass alle unsere Leser Teil dieses Internets sind. Sie haben im Kontakt untereinander wenig Geduld mit 'Newbies'. Sie werden ein Ebook, dass ihr Vorlieben und Gewohnheiten als Leser nicht ernst nimmt, schnell und endgültig beiseite legen.
Passen wir uns dem Medium Internet an. Unser Schreiben wird dadurch gewinnen. Experimentieren wir, wagen wir Tabubrüche, seien wir uns selbst lästig!

III.0 Vorwort zu Teil III

Teil I und II haben hier ihren Abschluss.
Teil III befasst sich mit der praktischen Seite des Self-Publishing. Die Formatierung meines Buches, die unterschiedlichen Erfahrungen, die ich mit Amazon, Smashwords und anderen gemacht habe, werde hier zur Sprache kommen. Polemisch setze ich mit den verschiedenen Grade der Hoffnungslosigkeit auseinander.

III.1 Eingabeformat

In welchem Format schreibe ich mein Ebook? Ehe ihr das erste Wort geschrieben habt, solltet ihr euch festgelegt haben. Nachfolgend unterscheide ich Eingabe-, Zwischen- und Ausgabeformat. Da geht nämlich einiges durcheinander.
Eure Aufgabe ist es, ein Format zu wählen, dass Grundlage und unterste Stufe für jede spätere Umformatierung in Epub sein kann. Viele meiner Tipps beziehen sich auf das Buch 'The Smashwords Style Guide' (leider nur auf Englisch vorhanden, dafür aber gratis) vom Smashwords-Gründer Mark Coker. Für ihn Meatgrinder ist mit den hunderten von Möglichkeiten verschiedenster Textverarbeitungsprogramme verschiedenster Versionen schlichtweg überfordert. Er fordert vom Autor ein dreifaches: Keep it simple! Keep it simple! Keep it simple! Dies ist der Ansatz, dem ich hier folge.
Wählt eine gängige Schrift wie Arial, Times, New Roman und Garamond. sowie eine Schriftgröße nirgendwo (auch im Titel/Autor) nicht größer als 18 pt.
Ich schreibe meine Texte mit Notepad++ (Windows) bzw. Gedit (Linux). Diese Programme haben den Vorteil, dass sie überhaupt keine Formatierungen (wie Tabs, Spalten, Einschübe, Bilder usw.) kennen, die ein Problem bei der Konvertierung darstellen. Habt ihr später einmal einen Text, der Probleme bereitet, könnt ihr (egal welches Format) diesen kopieren, in eine Leere notepad++-Datei einfügen und abspeichern. Damit seid ihr aller Formatierungssorgen ledig. Diese Buch wurde zuerst in meinem Blog veröffentlicht. Eine Konvertierung des Blogtextes war unmittelbar nicht möglich. Nachdem ich ihn in Notepad++ eingefügt und abgespeichert habe, waren alle Formathürden gelöscht.
Kursive Stellen könnt ihr mit "xx" markieren und später formatieren. Leerzeilen markiere ich mit "-". Ihr könnt sie später durch Suchen/Ersetzen (Absatzmarke + "-" durch Absatzmarke + " ") wieder löschen. Ich habe sie einfach gelassen. Sie machen das Ergebnis in jedem Fall (!!) perfekt. Leerzeilen sind ein Problem für die Konverter.
Den Doc-File müsst ihr noch einmal mit Word öffnen. Aktiviert hierzu alle Extras/AutoKorrektur-Optionen und die Optionen für Autoformat während der Eingabe. Mark Coker empfiehlt dringend eine möglichst alte Windows-Version, am besten Windows 2000, evtl. 2003. Lasst euch alle Absatzwechsel anzeigen, indem ihr auf das merkwürdige Zeichen (gedrehtes P mit Füllung oben; auch unter Ansicht/Absatzmarken) klickt. Ihr dürft einen Absatzwechsel nach dem Text und einen in der Leerzeile haben, mehr nicht. 2 oder mehr hintereinander akzeptiert z.B. Apple nicht. Mark Coker empfiehlt dringend nur in dieser Ansicht zu schreiben, alles andere sei für ihn, als schreibe man blind.
Als letztes seht euch Kapitel 7a im Smashwords Style Guide an. Es geht darum wie ihr die Absätze trennt, mit Abständen oder mit Einschüben. Für Belletristik empfehlen sich Einschübe. Ihr habt dafür in Format/Absatz bei Einzug vor Text bzw. nach Text und bei Abstand vor bzw. nach (= darunter) jeweils eine saubere Null stehen. In Format/Absatz/Sondereinzug/Erste Zeile soll eine Zahl eine 0,2 oder 0,3 stellen. Vergesst nicht den Text komplett zu markieren, damit eure Änderungen wirksam werden.
Probleme gibt es meistens bei Apple, die 100% Epub-Norm erfüllt sehen wollen. Die anderen Plattformen sind wesentlich toleranter. Die Probleme, die Smashword-Autoren haben, stammen fast ausschließlich von den - wie Mark Coker meint - übertriebenen und praxisfernen Apple-Hürden.
Ich gebe zu, mein Vorgehen ist nicht das Eleganteste. Versucht es, wenn ihr wollt, 'elegant' mit einer (späten) Wordversion. Bevor euch ich in die geschlossene Anstalt einliefern lasst, geht einfach so vor, wie oben beschrieben. Mark Coker empfiehlt, wenn überhaupt, eine möglichst niedrige Wordversion. Ich finde, ihr solltet euren Text nicht mit Word in Berührung kommen lassen. Auch Open Office halte ich für wirklichkeitsfremd überfrachtet.

III.2 Zwischenformat

Das Zwischenformat dient dazu, den Text zu formatieren. Geeinigt haben sich die Sofort-Publisher-Plattformen auf das .doc-Format. Ich arbeite für die Formatierung unter Google Texte in meinem Googlemail-Account. Google hat sich die lobenswerte Arbeit gemacht, eine Textverarbeitung zu programmieren, die sich auf das Wesentliche beschränkt. Google Texte arbeitet ja auch online, daher war es nicht möglich, jeden Unsinn mitzumachen.
Ihr formatiert euren Text nun auf. Die verschiedenen Überschriften nutzt ihr für Autor, Titel, Teil und Kapitel. Wenn ihr nun ein Inhaltsverzeichnis einfügt, macht Google für euch die ganze Arbeit. Ich halte ein mit den Textstellen verlinktes Inhaltsverzeichnis (das berüchtigte TOC = Table of Content) in der Belletristik für überflüssig, aber mit Google Texte ist es auch keine unüberwindbare Hürde mehr. Nun speichert ihr euren Text unter .doc (bzw. Word) ab. Damit habt ihr einen perfekten, weil einfachen (Keep it simple!) .doc.-File, den die Konverter von Amazon und Smashwords (als Durchgangsstation für viele andere Plattformen) problemlos verarbeiten werden.
Hier sei noch angefügt, dass ihr auch selbst in Epub umformatieren könnt. Ladet euch dazu das kostenlose Calibre herunter. Speichert euren Text in Html (Linux) oder Webseite, gefiltert (Word) ab. Damit habt ihr einen Fließtext (= größenflexibel je nach Bildschirm), den Calibre dann in Epub (auch größenflexibel) umwandelt.
Calibre erstellt euch keine TOC, aber ihr werdet sehen, wenn ihr euch zur Kontrolle FBReader runterladet, dass euer Epub perfekt lesbar ist. Prüft euer Ergebnis immer mit FBReader, da euer eigener EReader nur einer von sehr vielen ist.

III.3 Ausgabeformate

Es gibt zwei wesentliche Ausgabeformate, die euer EReader lesen kann: Pdf und Epub. Ersteres ist ein größenfixes, letzteres ein größenflexibles Format. Bei Ausgabegeräten, die größer als 6" sind, wird man PDF bevorzugen, weil es sehr sauber ist und eine Buchseite (ungefähr A5) gut darstellt. Pdf hat also durchaus bei den Pads seine Verwendung.
Pdf ist ein Printer Demand File, eine Druckerausgabedatei. Ihr speichert eure A5-Datei dafür vor dem Ausdruck ab. Diese Datei bleibt ab immer und überall A5. Sie ist starr und größenfixiert. Besonders für Texte, die Bilder und Tabellen enthalten eignet sich PDF. Es ist also viel bei den Fachbüchern zu finden.
Um eure Datei aber auf kleineren Ausgabegeräten wie EReadern und Handys lesbar zu machen, braucht ihr ein Fließtextformat wie Epub. Amazon denkt darüber nach, sein hauseigenes Mobi-Format aufzugeben. Dann gibt es nur noch dieses eine Standard-Fließtext-Format. Während PDF keinerlei Anforderungen an euch stellt, sind viele Indie-Autoren mit dem Epub-Format überfordert. Daher auch die Reduzierung der Formathaltigkeit des Textes: Keep it simple!

III.4 Ein Cover - muss das sein?

Mein erstes Covergirl war geklaut. Weil es geklaut ist, musste ich es mit Gimp ordentlich durchfiltern. Weil ich es ordentlich durchgefiltert habe, sieht es aus wie Foto, das einen Tag in der Sonne lag, an einem sehr belebten Strand, direkt neben dem Cola-Automaten, fußläufig erreichbar. Nicht einmal das Covergirl würde sich wiedererkennen. Copyright-Probleme habe ich jetzt keine mehr, aber auch kein Cover, das meine Message irgendwie rübertransportiert (wie man sagt.)
Heute beginnt die Marketingkampagne von “Göttlich verdammt” - so eine Art “Panem - Der Zorn ruft” auf altgriechisch im Wow-Ich-habe-es-echt-verschlungen-Stil. Vom selben Verlag wie “Reckless” - ihr wisste schon: grüner Kopf im silbernen Barockrahmen. Ja genau, der mit den gelben Kontaktlinsen! Der Verlag hat richtig Gas gegeben. Die göttlich verdammte Webseite hat ein Videoclip, eine eigene Girlie-Band (frisch tv-gecastet), eine Modelinie, ein Preisrätsel für die Literaten, einen Youtubeclip für Illiterate - ach ja, und irgendwie auch das Buch. Da müsst ihr ziemlich klicken, aber es ist irgendwo.
Ich komme zurück auf mein Cola-Automaten-Girl. Machen wir Indie-Autoren uns nicht total lächerlich, wenn wir an Ruinen, Girls und Blutflecken rumgimpen!?
Holen wir uns lieber die Profis zu Hilfe: Ihr kriegt über euren Publisher ein Cover vom Dienstleister seines Vertrauens (Huch, kennen die sich etwa!?) für ein paar hundert Euro. Wenn ihr nett fragt, drehen die euch einen Videoclip für ein paar tausend Euro. … am Büdchen um die Ecke - Neuseeland kostet mehr. Girlie-Band, Pressekampagne … was ihr wollt, soweit das Erbe reicht.
Ich will nicht so über jeden Coverdesigner urteilen. Sprecht jemanden an. Ein Fotograph, ein Kunststudent, ein Webdesigner im Vorkus - kaum einer wird den Auftrag direkt ablehnen. Ein Cover ist keine große Sache. Manch einer wird es dafür machen, dass ihr ihn erwähnt und empfehlt.
Seht euch auch mal die kostenlosen Covervorlagen von Neobooks an. Sind eigentlich nicht schlecht gemacht. Ein Drittel als Farbfläche oben für die Buchstaben. Der Rest mit einem locker aufgebristen Foto. Kein Witz: Das ist dezent und indie-mäßig, finde ich.
Oder ihr macht selbst ein Foto. Steinuntergrund, darauf ein zerbrochenes Schmuckstück, ein wenig Ketchup von der Seite draufgespritzt. Auch gemeinfreie (= copyrightfreie) Bilder eignen sich dafür. Gebt einfach euer Stichwort unter Google Bildern ein. Könnt ihr damit was anfangen?
Ihr könnt das Foto auch weglassen. Was haltet ihr von folgender Idee? Ihr googelt eine Wohnzeitschrift und vergimpt mit der Pinzette die angesagteste Farbe als Coverhintergrund. Dann lasst ihr das durch den Fusel-Fossel-Filter laufen und schon habt ihr ein paar tausend Euro vom Erbe eurer Oma gespart. Ach ja, Titel und Autor wär auch nicht schlecht!
Zum Schluss: Achtet darauf, dass ihr die Größen- und Formatanforderungen erfüllt. Diese werden zwischen den Plattformen variieren.

III.5 Preisfindung

Meinen ersten Roman habe ich fast fertig. Fehlen noch 4-5 Kapitelchen, dann ist alles fertig. Stellt sich die Frage, was das gute Stück kosten soll. Auf das Umfeld im Internet bin ich bereits eingegangen. Es gibt mittlerweile fast jedes Ebook neueren Erscheinungsdatums umsonst - Belletristikbestseller und Fachbücher sowieso. Doch viele Indie-Autoren sehen die Buchpiraten nicht als Konkurrenz, weil sie ja verboten sind. Als ob eine Tätigkeit aufgrund eines Verbotes aufhört zu existieren. Nun ja ...
Ich bin in allen großen Autoren-Leser-Boards gewesen und habe mich umgesehen. Alle Autoren heften ihrem Buch irgendeinen Preis an. Nirgendwo, wirklich nirgendwo (bitte berichtigt mich!) habe ich den Jubel gehört, der bei Einnahmen oberhalb der Wahrnehmungsgrenze ausbrechen würde! Ich vermute mal, alle Indie-Autoren(außer den 2-3 Kindle-Bestseller-Indies) erwirtschaften zusammen im Monat (d.i. September 2011) nicht mehr als einen dreistelligen Umsatz - ALLE ZUSAMMEN! Wenn das stimmt, dann ist jeder Preis oberhalb von ¤ 0,00 Wunschdenken. Ich habe für diesen Blogeintrag viel Kritik einstecken müssen. Der Feststellung, dass in der augenblicklichen Situation quasi keine Verkäufe stattfinden, wurde nicht widersprochen.
Ein Preis ist ein Angebot an den Käufer, keine Nabelschau des Verkäufers. Letzteres schien mir sehr häufig der Fall. Als würde ein Preis von ¤ 0,00 mein Buch abwerten. Was mein Buch wirklich abwertet, ist das völlige Desinteresse der Leser. Nur ist dieses unsichtbar, der Preis dagegen sichtbar. Das ist der bequemeste Weg: Ich hefte einen Preis an und verabschiede mich vom Publikum in meinen Märchenturm.
Also nehme ich mir Henry Baum als Vorbild, dem es über einen Umweg gelungen ist, sein Buch auch bei Amazon auf ¤ 0,00 zu drücken - mit riesigem Erfolg (Platz 19 der Bestsellerliste). Es gibt genug Leute in den US-Blogs, die voraussagen, dass auch der gängige Ebook-Preis der US-Indies von $ 0,99 nicht zu halten sein wird. Es wird ernsthaft diskutiert - macht euch keine falschen Vorstellungen - ob Ebooks nicht grundsätzlich verschenkt werden sollen. Wie Henry Baum sagt: "Readers will be less and less willing to actually pay for books."
Es ist einleuchtend, dass ich für mein Buch zwei Dinge erreichen kann: den Verkauf und das Lesen. Wenn ich es schon nicht verkaufen kann, dann will ich wenigstens, dass es gelesen wird. Das ist die Logik. Jeder Indie-Autor, der sein Werk mit einem Phantasiepreis versieht, wird weder Verkäufe noch Leser haben.
Gleiches gilt für unbekannte Autoren von kleinen Verlagen. Wenn ich die Preise sehe, dann kommen mir die Tränen. Ich will schon glauben, dass die Verlage einen bestimmten Umsatz (= Preis x Verkäufe) erreichen müssen. Die Preisfestlegung ist nicht das Problem - bei der Verkaufszahl bricht die Kalkulation zusammen.
Insofern haben wir reinen Indie-Autoren einen echten Vorteil. Wir haben keinen Verlag am Bein, der einen Kreditgeber am Bein hat. Bei Bookrix habe ich in der Tat viele Bücher gesehen, die umsonst sind. So werden Leser gewonnen. Dass diese sich daran gewöhnen werden, nichts zu bezahlen (s. Henry Baum), ist nicht zu ändern.
Wenn mich jemand fragt: "Womit sollen wir Geld verdienen?", muss ich antworten: "Weiß ich auch nicht!". Ich weiß nur eins: Mit Phantasiepreisen verdient ihr kein Geld und verliert eure Leser!

III.6 Smashwords

Das Hochladen und die Verteilung eures Buches auf die verschiedenen Anbieter von Amazon bis Apple wird euch von Distributoren wie Smashwords.com abgenommen. Smashwords ist umsonst. Es kommt aus US. Die Indie-Szene dort ist riesig. Smashwords hat im Jahr 2008 140 Indie-Ebooks veröffentlicht. In diesem Jahr 2011 gehen sie auf die 100.000 zu.
Ladet einen sauberen Doc-File hoch. Seht euch ein wenig den "The Smashwords Style Guide" von Mark Coker an. Nach Autor und Titel müsst ihr nämlich vermerken: "Published by Autor at Smashwords" und "Copyright Jahr Autor".
Euer Doc-File (auch hier Grundlage für die Weiterformatierung) wird automatisch in alle möglichen Formaten hochgeladen. Euer Buch wird nach Begutachtung in den großen Bookstores angeboten. Ihr braucht also nirgendwo gesondert hochladen. Es gibt einen Preis von ¤ 0,00, die 'free ebooks'. Der Herausgeber von Smashwords.com weist darauf hin, dass eh alles umsonst ist im Netz (in andereren Worten natürlich). Na bitte, wer sagst denn! Manche Bookstores wie Amazon haben Mindestpreise. Euer Preis wird dort also hochgesetzt.
Außerdem bekommt ihr eine ISBN-Nummer für euer Buch. Die Webseite nervt ein bisschen, bis ihr alles erledigt habt. Ansonsten ist das echt Klasse. Mein Eindruck: Smahswords sieht sich als Distributor. Der riesige Erfolg der US-Indies hat zwei Namen: Amazon und Smashwords. Das Konzept von letzteren ist wirklich stimmig. Einziger (aber großer) Wehmutstropfen: Die ganze Seite ist auf Englisch.
Bookrix baut einen ähnlichen Distributor für die deutschen Shops wie libri.de und thalia.de auf. Ladet auch hier euer Buch hoch. Dann habt ihr alle Möglichkeiten abgedeckt.

III.7 Amazon

Amazon ist die Nr. 1 für deutsche Indie-Autoren. Hier gibt es die Bestsellerlisten für Kindle-Ebooks, in der nicht wenige Indie-Autoren vertreten sind. Ich schätze mal, dass 80 % der Verkäufe in unserem Bereich von Amazon und 19 % von Apple getätigt werden.
Wenn ihr überschaubar anfangen wollt, behaltet euch Smashwords für den nächsten Schritt vor, und ladet euer Buch erst mal nur bei Amazon hoch. Auch hier ist .doc das Ausgangsformat. Das Epub von Amazon heißt Mobi. Keine Bange, es gibt kaum Unterschiede. Ihr könnt sehr schön in der Vorschau sehen, wie euer Buch aussehen wird. Euer Buch wird geprüft und nach 2-3 Tagen freigegeben.
In der Amazon-Community findet ihr ein internationales und ein deutsches Forum. Alles, was die deutsche Indie-Szene betrifft, ist noch im Aufbau begriffen. Habt also ein wenig Geduld. Auch wenn ihr Amazon für einen marktgierigen Großkonzern haltet - die Indie-Autoren haben Amazon sehr viel zu verdanken.

III.8 Die deutsche Plattformen

Bookrix.de ist für Deutschland die unangefochtene Nr. 1 bei den Indie-Autoren. Hier darf jeder hochladen und tut es auch. Nicht alle Bücher erfüllen jede sprachlichen Mindestanforderungen. Es ist nun mal Fakt, dass jeder Selfpublisher werden kann, wenn er nur will. Niemand kann ihn hindern. Eine Auslese gibt es nicht mehr. Mit den Verlage ist auch diese Instanz verloren gegangen. Die Konsequenz ist in manch semi-alphabeten Versuchen zu beobachten.
Seht nicht darauf herab. Die Leser bei Bookrix stören diese Ausfaller nicht. Sie finden sich ihren eigenen Weg zu dem, was sie lesen wollen. Der geübte Internetuser erweist sich durchaus als fähig, selbst und mit anderen eine Auslese zu treffen.
Die zweite Plattform, die ein nennenswertes Eigenleben führt ist Neobooks.com, die Indie-Plattform vom Droemer Knaur Verlag. Die Qualität der Bücher ist durchaus höher, da sich hier Autoren mit Ehrgeiz angesprochen fühlen. Ihr findet hier wirklich viele aktive Leser. Ich habe meinen Thriller hier hochgeladen und die meisten Leser hier, nämlich 87, gefunden. Euer Buch muss natürlich ein ¤ 0,00-Buch sein, sonst werdet ihr kaum Leser finden.
Hier ist die Community sehr rege und interessiert. Die 350.000 Leser der 90.000 Bücher von Bookrix lassen sich verständlicherweise nur schlecht organisieren.
Es gibt noch andere, kleiner Autoren-Leser-Foren. Ihr findet sie auf meinem Blog petermarnet.blogspot.com verlinkt.

III.9 Thema: Rezensionen

"Schreibst du mir eine liebe kleine Rezi?" klingt es in den Boards.
"Wenn du mir allerliebst auch eine schreibst", klingt es zurück.
Und so wandern die Rezensisten, die eigentlich keine sind, im Gleichschritt mit ihren Büchern immer höher, seilgesichert von denen, deren Aufstieg sie in Gegenleistung sichern werden.
Eine andere Methode: Ich mache rezimäßig alles nieder, was fremd auf meiner Wiese grast. Zwei, drei richtig schöne Gemeinheiten - und die Sensibelchen unter den Indies flüchten in die Büsche.
Natürlich kann ich mir auch selbst eine Rezi schreiben. Ich beschaffe mir bei guerrillamail.com Mailadressen. Bekomme Accounts, soviel ich lustig bin. Täglich 10 Rezis für mein Werk sind angemessen und locker zu schaffen. Was ist daran unmoralisch? Das macht schließlich jeder! Wird ‘Promotion' genannt. Gehört einfach dazu. Gewöhnt euch am besten dran!
Das wäre dann der Abgesang auf eine gerechte Buchauswahl durch die Leser. Die schlechten Bücher der gut vernetzten Indies kämen nach oben. Diejenigen Indies, die zwar schreiben, sich aber nicht vernetzen können, blieben unten. Schnell würden die Leser der gut bewerteten Bücher überdrüssig und würden sich von den Indie-Boards abwenden. Die Logik der Leser: 'Wenn diese Bücher schon 'gut' sind, wie schlecht müssen dann die anderen Bücher sein.'
Ich gebe zu, für den Augenblick sieht es nicht gut aus. Die Zahl der Autoren ist ebenso überschaubar wie die Zahl der Leser. Manipulationen sind keine große Sache. Unbestreitbar ist ihre Existenz.
Hoffnung gibt allein der Ausblick auf die Zukunft. Wenn die Leserzahlen steigen, werden auch die Rezensentenzahlen steigen. Dann werden Leser die Rezensionen bewerten, wie schon überall im Netz. Anfangs, als die Firmen merkten, wie wichtig die Bewertungen wurden, haben sie mitbewertet. Manipulation ist bei zu wenig Bewertern immer möglich. In Deutschland sind wir in einer Übergangszeit. Die Strukturen aus Amerika werden eingesetzt. Aber wir können sie nicht entfernt mit Autoren und Lesern füllen. Erst wenn die Zahlen stimmen, wird Gerechtigkeit einkehren.

III.10 Promotion

Die Bloggerin Petra van Cronenburg hat das Axiom der Selbstvermarktung in Frage gestellt. Sie hat die einfache Frage gestellt: Komme ich durch lautes Trommeln an Leser?
Die Frage ist doch wirklich überfällig! Erreiche ich durch Steigerung meiner Bekanntheit einen zusätzlichen Leser? Nehmen wir als Beispiel Petra van Cronenburg und mich: Ich finde ihren Beitrag intelligent, er spricht mir aus dem Herzen, die Frau ist aufrichtig, der Blog hat mich gefesselt - ihr Buch, auf das sie in jeder Ruhezone des Beitrages hinweist, lese ich trotzdem nicht.
Was nützten mir die ganzen FreundInnen, wenn sie mich nicht lesen? Wo in diesem riesigen übertemperierten Zelt finde ich etwas anderes als selbstbezogenes Gequatsche und Getue? Jeder Clown kann sich bekannt machen. Die Frage ist nur: Gehen die FreundInnen in seinen Zirkus?
Petra schlägt als Fazit vor: Leseproben, Leseprobe, Leseproben! Je länger, je besser!
Ich gebe ihr völlig recht. Wie suchen denn die Leser ihr Papierbuch aus? Sie gehen in eine Buchhandlung und blättern in sich hineinversenkt. Das ist Meditation. So werden Bücher ausgesucht. Geht in eine Buchhandlung: das ist mit den Kirchen der vielleicht letzte großstädtische Ort der Stille - also das exakte Gegenteil von Facebook/Twitter.
Und das soll bei Ebooks anders sein? Martin Walser soll sich in die Fußgängerzone stellen und FreundInnen für sein neues Ebook anquatschen? Niemals. Die Leute wollen reinblättern, bevor sie kaufen, wenn sie kaufen. In aller Stille. In der Stille ihrer vier Wände. Allein mit sich und dem Buch.
Und da fehlt es an Struktur, nicht an Willen. Eine Kundin auf der Suche nach einem Papierbuch schweift durch die Regale. Übertragen auf die Ebooks hieße das: Die Leseproben müssten gebündelt auf ihrem EbookReader sein, mit dem sie gemütlich auf dem Sofa sitzt. Da sehe ich noch keinen Verlag, der das anbietet.
Ein erster Schritt jedenfalls ist es, offen den Nutzen von Facebook bei der Vermarktung von Ebooks in Frage zu stellen. Ein zweiter Schritt wäre dann, eine digitale Buchhandlung der inneren Einkehr zu entwerfen.

III.11 Massenboard oder Einzelblog?

Mein Ebook ist jetzt hochgeladen. Es bestimmt die Schlagzeilen der Weltnachrichten. Streitet sich mit Griechenlandkrise und Seniorenalkoholismus um den Platz hinter dem Afganistan-Rückzug. Ihr wisst Bescheid?
Nicht!? Na ja, ehrlich gesagt, liegt es nicht ganz auf den vorderen Plätzen. Urehrlich gesagt, liegt es ziemlich sehr weit hinten sogar. Kurz mal bei den Neuheiten, dann war es futsch, weg, verschwunden für alle Zeit. Vielleicht gibt es noch eins, das schneller verschwunden war. Das würde mich aber wundern.
Jedenfalls liege ich in der Kategorie Grau-Schwarz-Unsichtbar ziemlich weit vorne. Es geht ja auch nach Zeit. Wie schnell schaffe ich es, in der Senke der Versenkung zu verschwinden. Mein Buch wird für den Silbernen Nachelf nachnominiert - immerhin.
Also jetzt ganz unter uns - ich zähle auf eure Verschwiegenheit - das ist doch alles Großmist! Okay, ihr könnt sagen (oder denken): 'Dein Problem, dein Großmist!' Ich sage aber blitzretour, dass geht jedem Indie-Autoren so. Vielleicht sind die anderen Indie-Ebooks nicht ganz so schnell weg wie meins, vielleicht ein paar Zehntel Sekunden dahinter! Aber weg sind sie, so schnell, dass ihr mit eurem wachen Auge den Unterschied nicht bemerkt.
Stellt sich also die Frage, ob Twitter, Facebook überhaupt das richtig gewählte Plattform sind. Was will ich als völlig unbekannter Indie-Autor auf solchen Massendingern?
Jetzt seht euch mal einen Blog an, wie den von carolgrayson-darkromance. Gut, ich gebe zu, das ist Profiarbeit. Was sagt ihr selbst? Hat sich die Mühe gelohnt, die sie in den Blog investiert hat? Sie hätte sich noch so anstrengen können in einer der Groß-Plattformen - was hätte es ihr genutzt?
Ist das Bloggen nicht die beste Form, sich als Indie-Autor zu präsentieren? Jeder von uns Indie-Autoren macht sein eigenes kleines Geschäft auf. Wir sehen zu, dass wir uns verlinken, um schnell gefunden zu werden.
Machen wir eine nette kleine Einkaufszone auf - ach, was rede ich! - machen wir eine riesige Indie-Einkaufsstadt auf, mit Fußgänger- und Autostau, Geschubse, Gelärme, Kindern, die ihre Mutter suchen, durstigen Vätern, mit Rabattlautsprechern, zertretenen Pommesschalen und Schüttelwein - mit allem, was die Leute so lieben!

III.12 Leser gesucht

Das Angebot an kostenlosen Büchern ist riesig. Zehntausende von neuen Werken in diesem Jahr allein! Darunter im Irgendnirgendwo mein kleines Werk.
Da ich keinen bekannten Namen habe, sollte ich mich bekannt machen. Klasse Idee, wenn ich der einzige bin, der das macht! Schlechte Idee, wenn alle das machen. Ganz schlechte Idee, wenn es die anderen viel besser machen.
Niemand hat mein Buch gekauft. Nicht einmal ¤ 0,99 habe ich eingenommen. Es gibt keine Käufer. Seit ich Schriftsteller bin, kaufe ich selbst auch keine Bücher mehr. Habe gar keine Zeit und Verwendung dafür. Scheinbar sind alle unter die Schriftsteller gegangen. Haben die Seite gewechselt zu den Verkäufern.
Schlimmer noch: Niemand will mein Buch lesen. Alle wollen, dass ich ihr Buch lese. Jeder, der früher gelesen hat, schreibt mittlerweile. Wo ist der Leser, der nicht zum Schriftsteller geworden ist? Gibt es nur noch eigene Bücher? Aus Leseratten sind Schreibratten geworden.
Stimmt, ich greife ein wenig vor. Was ich oben beschreibe, aber wird kommen. Wenn aus den Bloggern langsam Indie-Autoren werden, wird es genauso sein, wie ich oben beschrieben habe. Woher ich das weiß? Nun, ganz einfach, weil ich über den Zaun schaue.
Irgendwann hat sich ein armer, erfolgloser Künstler eine einfache Frage gestellt: 'Es gibt Heerscharen kunstinteressierter, kontaktsuchender, zeithabender Ehefrauen. Wie komme ich an deren Geld?' Also hat er Malkurse angeboten und kurz darauf Künstlermaterialien verkauft. Alles aus einer - seiner Hand.
Aus den Ehefrauen sind Künstlerinnen geworden. Sie kaufen keine Kunst mehr, da sie selbst Kreativschaffende sind. Überall in den Wohnungen hängen ihre Werke. Ich hänge die Mohnblumen meiner Freundin auf - die Freundin hängt meine Tulpen auf. Den Männer der Frauen ist das egal: Sie denken: 'Früher haben die Frauen zusammen im Tennisclub gesessen und Cocktails getrunken, jetzt hocken sie zusammen und malen. Die Bilder sind schaurig, aber Leberzirrhose ist auch nicht schön.'
An Talent fehlt es ersichtlich den meisten, an Selbstbewusstsein fehlt es den wenigsten. 2 x 2 m große Ölbilder mit einem kleinen Malerbedarf-Förmchen in der Mitte nennt sich 'Lyrik der Leere'. Zugeschmierte Leinwände in zerquälten Farben: 'Ich gebe meiner Expression Ausdruck!' Wenn ihr bedenkt, was der Friseur manchmal für einen Unsinn redet, dann ist diese sprachliche Nacharbeitung geradezu inhaltsschwer.
Nur damit wir wissen, wovon wir sprechen: Malkurse, Künstlerbedarf, Ausstellungseinrichtung - das ist ein Riesengeschäft! Die Läden stehen in den Einkaufszonen. Einzelne sind groß wie Baumärkte. Das Internet ist voll davon. Jede zehnte deutsche Frau malt. Genau diese Klientel hat reichlich Geld. Das ist ein Milliardenumsatz auf das Land gesehen!
Seht ihr den Unterschied zu den Indie-Autoren? Ich sehe ihn nicht.

III.13 'Discoverability' - ein Platz am Licht

Seit heute blogge ich kapitelweise meinen ersten Roman. Rechts über den Klicks, genau da! Es ist ein Google Doc Link auf eine (alle 7 Minuten aktualisierte) HTML-Datei.
Charles Dickens, Karl May, Oscar Wilde, Canon Doyle, Alexandre Dumas - ich bin in guter Gesellschaft mit meinem Fortsetzungsroman on the blog.
Die Welt wartet auf Charles Dickens - aber auf Peter Marnet? So lauten die Einwände. Meine Gegenfrage: Soll ein Debütant keine Fortsetzungsromane schreiben? Ist seine fehlende Bekanntheit ein Argument dagegen? Oder ist gerade diese, seine fehlende Bekanntheit ein Argument, vor nichts zurückzuschrecken?
Die Autoren in US diskutierten, dass sich die Welt der Bücher auf den Kopf gestellt hat. Als Autor suche ich keinen Verlag mehr. Ich bin ja mein eigener Verleger. Wenn ein Buch zu Ende geschrieben ist, geht es zu Smashwords und ist damit auf allen wichtigen Verkaufsplattformen vertreten. Das Problem ist nicht einen Verleger zu finden, sondern den Leser. Mein Problem ist die 'discoverability' - wie sie es nennen. Wenn bald die digitalen Buchregale (in Hardcover vorgestellt) um die halbe Erde gehen, ist nicht der Platz im Regal die Herausforderung, sondern der Platz am Licht.
Doch nicht verzweifeln, lieber Peter Marnet! Dein Problem ist eigentlich nicht groß: Du kannst dich von 'unbekannt' nur auf 'unbekannt' verschlechtern. Das Problem hat auch nicht Stephenie Meyer oder J. K. Rowling. Auch in einer auf den Kopf gestellten Welt werden sie 'bekannt' sein. Das Problem haben die Autoren, die 'unbekannt' sind, aber tatsächlich einen kleinen Verlag ergattert haben. Es gilt nicht mehr Autor - Verlag - Buch. Was früher DER Sprung war, ist keiner mehr.
Aus 'Oh Wunder, ich halte mein Werk in den Händen!' ist ein 'Oh Wunder, ein Leser hält mein Werk in den Händen' geworden.

III.14 Anderwelt und Real Life

Ich bin ein Stufe 40-Spieler, habe quasi den braunen Gürtel in 'World of Warcraft' erreicht. In den letzten Nächten habe ich mich dahin vorgekämpft: Aufgaben gelöst, Waffen erbeutet, Bonuspunkte gesammelt. Ich besitze jetzt ein Reittier. Wenn euch das nichts sagt: Ich darf angreifen, aber nicht angegriffen werden. Wir Paladine kämpfen mit der Kraft des Lichts gegen Untote und Dämone. Ich bin ein Paladin.
Aber auch ein Paladin muss essen. Dafür muss er vor die Haustür treten. Am helllichten Tag ist jedermann unterwegs. Der Dackel der Nachbarin bellt ihn an. Während Dämonen die Flucht vor ihm ergreifen, kötert ein kleiner wurstförmiger Hund ihn an. Die Nachbarin fegt mit einem stieligen Feuchtding um den Paladin herum und nennt ihn ‘Lumpenstudent'. Der Hausmeister redet laut mit sich: “Zahlt keine Miete, hat aber eine 50.000er-Leitung!”
Das Außenlicht ist grell. Gibt es keinen Regler für ‘Außenlicht'? Wie halten die Leute, die hier leben müssen, diesen dumpfen Lärm bloß aus? Die Farben sind blass, die Menschen kummervoll. Ihre Augen sehen nur die eigenen Füsse. Mit kleinen Schritten sind sie auf kurzen Wege unterwegs. 'Real Life' ist kein Märchenland!
Fühlt ihr auch wie dieser Paladin, wenn euer Buch fertig ist? Es hat soviel Arbeit gemacht, soviel Versenkung und Kraft gekostet - und war doch ein einziger Höhenflug! Seid ihr als Autor nicht wie dieser Paladin, der Untote und Dämonen besiegen durfte, weil er eine Anderwelt betreten und erobert hat?
Nun ist alles vorbei! Hier ist 'Real Life'! Niemand liest euer Buch. Niemand weiß, dass ihr ein Autor geworden seid. Niemand weiß, dass selbst berühmte Bücher von unberühmten Schriftstellern geschrieben wurden. Niemand weiß, dass es diese Anderwelt gibt. Ihr müsst euch die kleinen Schritte wieder angewöhnen. Müsst euch selbst die kürzesten Wege erfragen. Eure Anderwelt ist für die Graumenschen nichts als eine Krankheit. 'Seht zu, dass ihr schnell wieder gesund werdet!' rufen sie euch zu.
Haben sie recht?
Hat der Paladin, als er die Welt der Waffenkunst betrat, einen Platz im 'Real Life' gesucht? Wolltet ihr berühmt und reich werden, als ihr mit dem Schreiben anfingt? Was wollten der Paladain oder ihr Schreiber wirklich? Worum tatsächlich ging es?
Klar, ihr wolltet euren Vorbildern nacheifern, die alle berühmte Schriftsteller sind. Aber wollten eure Vorbilder, als sie mit dem Schreiben begannen, selbst reich und berühmt werden? Hätten sie aufgehört zu schreiben, wenn Reichtum und Erfolg ausgeblieben wären. Hätte Stephenie Meyer nur ein Buch geschrieben oder würde sie noch heute - unberühmt - schreiben?
Fragt euch, wass ihr wirklich wollt! Wenn es Reichtum und Ansehen ist, hört auf mit dem Schreiben. Werdet Filmschauspieler oder Supermodel - da sind eure Chancen erheblich größer. Wenn ihr aber gegen Dämonen und Untote in die Schlacht ziehen wollt, wenn ihr wie Don Quijote in dieser Schlacht etwas anderes sucht als Ruhm und Ehre, dann denke ich, solltet ihr weiter schreiben … ehe ihr im 'Real Life' einen gewaltigen Kater bekommt.

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Tag der Veröffentlichung: 18.09.2011

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