Blue Girl
von Peter Marnet
Published by Peter Marnet
Copyright 2011 Peter Marnet
petermarnet.blogspot.com
Blue Girl
von Peter Marnet
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Copyright 2011 Peter Marnet
Teil 1
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Teil 2
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Teil III
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Teil 1
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Kapitel 1
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Das Telefon summte.
“Sie sprechen mit der Unternehmensberatung Georg Malber. Wer spricht dort bitte?" Die junge Dame, kaum 16 Jahre alt, saß kerzengerade in ihrem großen Drehstuhl. Stirnrunzelnd betrachtete sie das flache Sprechgerät, das vor ihr auf dem Tisch stand.
“Ich hätte gerne Herrn Malber gesprochen", kam es von dort.
“Du musst sagen, wer du bist, damit ich dich mit dir verbinden kann", sagte das Mädchen streng.
“Mir fällt nichts ein."
“Sag, dass du ein großes Unternehmen hast, aber deinen Namen nicht nennen möchtest", schlug sie vor.
“Du machst das Telefonieren wirklich gut, Melanie. Aber deine Mutter kommt gleich. Wir haben genug geübt."
Im Nebenraum des Büros wurde bereits ein Stuhl gerückt.
“Papi, warte. Meinst du wirklich, deine Kunden würden nicht merken, dass ich deine Tochter bin?"
“Kein Unterschied zu einer wirklichen Sekretärin. Aber jetzt leg auf und mach dich fertig für deine Mutter."
Melanie drückte den Kopf des Sprechgeräts und riss die erste Seite von ihrem Block ab. Zufrieden nickte sie. Beim nächsten Mal würde sie auch den Drehstuhl höher stellen lassen. Sie war eine wenig zu klein für diesen großen Schreibstisch.
Wieder summte das Telefon. Zweimal. Dreimal. Melanie starrte auf den Apparat.
“Papi, hier ruft wirklich jemand an!" Melanie rief zu dem andern Raum hinüber, wo ihr Vater bereist umräumte.
Malber bereitetet sein Schlafzimmer vor. Nach seiner kürzlichen Scheidung schlief er in seinem Büro. Übergangsweise.
“Melanie, ich kann gerade nicht, sprich du. "
Melanie drückte langsam den Kopf. "Unternehmensberatung Malber. Mein Vater kann gerade nicht sprechen." Schnell schnappte sie sich mit der freien Hand den leeren Block.
“Da spreche ich mit der Tochter. Sehr gut. Sag deinem Vater, ich brauche seinen Besuch morgen." Es war ein Mann, der würdevoll langsam sprach und lange Pausen zwischen seinen Sätzen ließ.
“Ich mache ihnen eine Termin in unserem Büro", schlug Melanie vor. “Da können sie mit meinemVater sprechen."
“Sag deinem Vater, er muss leider zu mir kommen zu mir. Ich bin eingeschränkt in meiner Bewegung, wie man in Deutschland sagt."
“Ja, ich weiß nicht, ob das geht ... wie er Zeit hat. Wir haben sehr viele Kunden im Augenblick."
“Liebes Fräulein Malber, ich weiß, dass ihr Vater Zeit hat. Ich sehe sein Büro jeden Tag. Ich sehe keine Besuche, nicht einen. Ich sehe Unternehmensberater Malber, der sein Bett macht, und eine hübsche junge Dame, die an seinem Schreibtisch sitzt."
Melanie errötet. “Es gibt nur mich in diesem Büro!"
“Dann bist du hübsche junge Dame?"
“Aber wieso sehen sie mich?"
“Sieh nach draußen! Was siehst du?"
“Ich sehe das Gefängnis! Viele Fenster mit Gittern."
“Ich sehe dich, aber du siehst mich nicht. Das ist richtig."
"Sind sie da drin?" Melanie sah erschreckt auf die triste Fassade.
“Untersuchungsgefängnis. Ist nicht schlimm, wie du denkst. Aber du verstehst jetzt, dass ich nicht zu deinem Vater kommen kann?"
“Mein Vater soll also zu ihnen ins ... Untersuchungsgefängnis kommen?" Was sollte Melanie auf den Block schreiben?
"Ich habe Besuchszeit morgen um 11 Uhr. Dein Vater kommt hierher und fragt nach Bakas. Jeder kennt meine Namen. Dann wir werden sprechen - dein Vater und ich."
"Herr Bakas", Melenie schrieb die Möglichkeiten des Namens auf, die ihr einfielen, "Haben sie denn ein Unternehmen?"
"Ich vermiete Mädchen aus Weißrussland. Das ist, was ich mache als Geschäft."
"Sie vermieten Mädchen?"
"Ich mache Vermittlung nach Deutschland, sagen wir so. War das falsche Wort, junge hübsche Dame. Keine Angst, mein Geschäft war immerzu ein anständiges Geschäft."
"Dann haben sie eine Partnervermittlung", stellte Melanie streng fest. Dann fügte sie freundlich hinzu: „Ja, mein Vater kann sie beraten. Ich schreibe ihren Namen auf. Um 11 Uhr haben wir keine Termine, wie ich sehe …"
" 'Partnervermittlung', sagst du, heißt mein Geschäft ist? 'Partnervermittlung Bakas', hmm. Guter Name. Aber dein Vater soll fragen nach Bakas, nicht nach … 'Partnervermittlung'.”
Ohne sich zu verabschieden hatte der Mann aufgelegt.
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Kapitel 2
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Das Untersuchungsgefängnis lag in der Innenstadt von Duisburg. Seine Zellenfenster blickten auf das 4-stöckige Gebäude herunter, in dem Malber sein Büro hatte. Es befand sich in einer ruhigen Straße ohne Durchgangsverkehr. Viele Sicherheitspoller standen herum. Es gab keine Parkflächen.
Malber hatte sich Zeit genommen, um zu seinem neuen Kunden zu gelangen. Seine Tochter Melanie war in der Kanzlei der Mutter.
In seinem Büro spielte sein Sohn Paul am Computer. Er war etwas mehr als 2 Jahr jünger als Melanie, aber so abgeklärt wortkarg wie seine Schwester kontaktwillig war. Er würde das Telefon hören und dann entscheiden, ob es abzunehmen sei oder stummzuschalten sei. Meist ließ die Spiellage eine Unterbrechung nicht zu.
Malber sah die Straßen herunter. Eigentlich war noch Zeit. Zwei Männer saßen auf einer Bank. Vor ihnen ein Kinderwagen, der mit den Füßen geschaukelt wurde. In dem Kinderwagen ein Kasten Bier. Ein dritter Mann stand an der Mauer und erleichterte sich plätschernd.
In die hohe Mauer waren Anmeldung und Tor eingelassen. Malber sprach in das grünliche Fenster. Der Mann dahinter war ein Schatten. Das Tor rollte piepend auf.
Zwei Männer kamen von innen mit schwerem Gang, in den blauen Hemden der Anstaltswärter. Dicke Bäuche, die den Stoff zum Platzen spannten.
"Bakas? Der Bakas!?"
Malber nickte. "Um 11 Uhr bin ich angemeldet."
"Anwalt?"
"Sein Unternehmensberater."
"Echt jetz’?"
Malber nickte.
"Sag ich ja. Cleveres Bürschchen, der Bakas. Hat was auf dem Kasten."
Die Wärter sprachen untereinander, ohne Malber weiter zu beachten.
"Wie’n Prinz führt der sich auf."
"Schiss hab’n sie vor dem, sag ich."
"Wirst recht haben ..."
"Weißt du noch, der Russe? Nix dran an dem, für keine Suppe, aber keiner hat den angefasst."
"Werden wissen, warum."
"Kannst du ein’ drauf lassen!"
"Wo wollen sie hin?", wurde Malber gefragt. "In die Zelle oder für Besucher?"
"Da richte ich mich ganz nach ihnen, meine Herren."
"Gehen wir in die Zelle. Da haben sie die Ruhe, Herr Was-noch mal-sind-sie?"
"Unternehmensberater."
Ein Geräusch kam von den Wärtern: Kauen und Erinnerung.
Die Zellen waren gleich namenlos. Es wurde numeriert. Nur bei einer Zelle war die Nummer mit ei nem Schild überklebt. 'Partnervermittlung Bakas' stand da zu lesen.
"Jetz’ dreht er ganz ab!", hörte Malber hinter sich sagen.
"Ein Anwalt reicht dem nich’ mehr!"
"Jetzt müss’n sie klopfen, Herr Berater. Vorzimmerfräuleins hab’n wir hier nich’."
"Wart’s ab, das kommt noch!"
"Wär doch was! Tät mir gefallen!"
-
Bakas war ein kleiner Mann mit großem Kopf. Er hatte schwarze Haare, große samtdunkle Augen und eine gewaltig vorstehende Nase. Er war wohl zehn Jahre älter als Malber, Mitte bis Ende 40 Jahre also. Sein Lächeln war wie eine Umarmung, wie ein Männerkuss auf die Wangen. Die Anstaltskleidung saß an ihm wie ein Geschäftsanzug.
"Ich hoffe, die Herren waren fürsorglich zu ihnen ... Sie sehen, Herr Malber, das ist ein Nachteil am Gefängnis. Ich kann mir mein Personal nicht aussuchen."
"Hatte keinen Grund zur Klage", sagte Malber.
"Bitte sich zu setzen." In der Mitte der Zelle war ein Tisch mit zwei Stühlen. Ein paar Papiere lagen dar auf und ein aufgeschlagenes Buch. Sonst war es die Zelle die eines Mönches, der sich für die Kargheit und gegen den Überfluss entschieden hatte. In nichts erschien Bakas als ein Gefangener.
"Wie kommen sie auf mich?", fragte Malber und sah Bakas fest in die unergründlich sanften Augen.
"Ich sehe aus dem Fenster und sehe den Namen von ihrem Schild. In meinen Gedanken weiß ich, es gibt ein Problem: Ich bin hier - sicher, aber nicht frei. Mein Geschäft ist dort", ein kurzer Arm wies Richtung Fenster, "frei, aber nicht sicher."
Malber nickte.
"Sehen sie, ich bin Mann vom Geschäft. Sie brauchen Unternehmer, ich brauche einen Berater. Da sage ich mir, dass ist ein Tausch, gut für uns beide."
"Ich habe mich noch nicht entscheiden", sagte Malber. "Ich muss erst wissen, was genau der Gegenstand ihre Geschäftes ist. Ich muss wissen, auf was ich mich einlasse."
"Malber, kennen sie weißrussische Mädchen?"
"Nein. Eigentlich nicht."
"Haben sie gehört von weißrussischen Mädchen - von der Schönheit weißrussischer Mädchen?"
"Hmm."
"Nicht eines von diesen Mädchen da draußen", der kurze Arm winkte verächtlich zum Fenster, "ist so schön wie das häßlichste weißrussische Mädchen. Ich sage nicht, dass weißrussische Mädchen klug sind, ich sage nicht, dass sie treu sind, ich sage nicht, dass sie für alle Zeit schön sind, aber in einer bestimmte Zeit sind weißrussische Mädchen schön wie ein Wunder. Du verstehst, Malber?"
"Hmm."
"Das Geschäft von Bakas, was du wissen willst , ist die Schönheit von weißrussischen Mädchen. Wenn deren Schönheit wie die Blüte von einem Traum, ich nehme das Mädchen und gebe es zu einem deutschen Mann. Wenn die Schönheit im Alter fort, ist der deutsche Mann noch da und das Glück des Mädchens."
"Hmm."
"Malber, sag ehrlich, was du denkst. Bakas ist ein Mann wie ein Boxer."
"Herr Bakas, welchen Vergehens wurden sie angeklagt? Ich kann diese ... Umgebung hier nicht ignorieren."
"Ja, der Name davon ist 'Förderung von Prostitution' und 'Handel von Mädchen'. Das war kein gutes Geschäft. Bakas ist ein neuer Mann und Bakas hat ein neues Geschäft. Wenn ich zwinge die Mädchen, sie sind unglücklich. Ich verstehe das, Malber - ich habe kein Problem mit dem Verstehen."
"Das neue Geschäft ist nicht das alte?", fragte Malber sanft.
"Ich habe eine Schwester aus Minsk. Sie führt das neue Geschäft. Sie heißt Zara. Sie kennt die Mädchen gut. Ich habe Leonyd. Er ist sehr gut für die Computer. Aber ich habe niemand, der gut für deutsche Mädchenmänner und für deutsche Behördemänner ist. Das soll machen jemand wie du, Malber"
"Trotzdem muss ich wissen, worin das Geschäft besteht? Es gibt Grenzen, die ich nicht überschreiten will!"
"Keine Sorge, Malber, ich, Bakas, kenne die Grenze. Der deutsche Mann lernt das weißrussische Mädchen. kennen am Computer. Dort sitzt Leonyd und macht Programme. Der deutsche Mann kann das Mädchen sehen, nicht anfassen! Ich suche reichen Mann, wenn viel Geld ist in diesem Mann. Ich suche Mädchen, wenn viel Schönheit in diese Mädchen. Sie sich kennenlernen. Sie sich heiraten. Das ist Geschäft von Bakas neu." Weißrussische Poesie und korrekte Sprachverwendung vertrugen sich bei Bakas nicht.
"Sie betreiben'Partnervermittlung', wenn ich das richtig verstehe."
"Das ist, was ich mache. Ein sehr guter deutscher Namen für ein sehr gutes Geschäft."
Malber zeigte sich weiter ratlos. "Wie kann ich in ihrem Geschäft helfen? Was kann ich beitragen. Ein Unternehmensberater ist mehr als - "
Bakas wischte den unausgesprochen Satz beiseite. "Malber sieht sich das Geschäft von Bakas an. Dann soll er sich entscheiden."
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Kapitel 3
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Das Büro von Malber war recht klein. Ein schmaler Empfangsraum, ein mittelgroßer quadratischer Raum, mehr war es nicht. Anders wäre die Miete nicht tragbar gewesen. Seit seiner Scheidung von Petra, vormals Dr. jur. von Blankenburg-Malber, nun Dr. jur. von Blankenburg, nutzte Malber sein Büro auch als Schlafraum. Es machte ihm nichts aus. Seine Frau fand, das passe zu ihm. Es gab eigentlich nichts, worüber Malber nicht großzügig hinwegsah. So jedenfalls hatte Petra einmal gesagt.
Sein Sohn Paul saß am Schreibtisch und war versunken in sein Computerspiel.
"Hallo, Paul. Was weißt du über Weißrussland?" fragte Malber.
"Heißt nicht ‘Weißrussland’!"
"Wie wäre der richtige Name?"
"Belorus, glaub ich … kann mal nachsehen … ja stimmt."
"Warum sagen alle 'Weißrussland'?"
"Hmpf?"
"Was spielst du da?"
"Kennst du eh’ nich’!"
"Ich habe einen neuen Kunden."
"Glückwunsch."
"Interessiert dich nicht?"
"Eher nicht."
"Wenigstens bist du ehrlich!"
"Hmpf."
'Nicht das beste Alter für Väter', dachte Malber. Gleich würde Petra kommen. Im Augenblick war keine Schule, da waren die Kinder oft bei ihm im Büro. Er war froh, dass er ein gutes Verhältnis zu Petra hatte. Sie hatte einmal gesagt, dass Malber sich emotional im Zustand eines Ungeborenen befinde. Petra war eine Powerfrau. Es war schwer mit einer Powerfrau zusammenzuleben. Jetzt war es leichter, mit ihr auszukommen.
Das Geld war keine sehr strittige Frage zwischen ihnen. Petra hatte immer mehr verdient als er. Wenn er ehrlich war, hatte er selten genug etwas verdient in der Zeit ihrer gemeinsamen Ehe. Aber Petra war nicht kleinlich in dieser Frage. Sie hätte ihm Vorhaltungen machen können. Aber das tat sie nicht.
So gesehen, und alles zusammengenommen, verstanden sie sich so gut, dass er eigentlich nicht wusste, warum sie sich getrennt hatten. Aber Malber wusste auch nicht, warum sie geheiratet hatten. Vermutlich wusste Petra, wie es war.
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Es summte. Er wartete, ob Paul irgendeine Reaktion zeigen würde. Es summte wieder.
"Ich mache auf, Paul. Es ist bestimmt deine Mutter."
Petra von Blankenburg war immer unter Druck. Die Kanzlei lief sehr gut. Sie war in einer kleinen Sozietät mit drei Männern zusammen. Es gab viele Fälle, die eine Frau erforderten. Die drei hatten sich sehr um Petra bemüht. Für die Sozietät war sie ein Glücksfall. Sie war nicht nur eine Frau mit Einfühlung und Ausstrahlung, sondern auch eine intelligente und beinharte Kämpferin.
Nur wegen der Kinder machte sich Petra Sorgen. Früher als Malber bei ihnen war, hatten die Kinder ein Zuhause. Jetzt waren sie mal hier und mal dort. Malber war kein schlechter Vater. Beide Kinder mochten ihn sehr. Er war unangepasst und hatte einen trockenen Humor - ein Spitzenvater also. Ein Vorbild war er nicht. Ein Ehemann schon gar nicht.
Obwohl Petra groß war, trug sie hohe Absätze. Damit war sie fast einen Kopf größer als Malber. Sie beugte sich, damit er ihr einen Kuss auf die Wange geben konnte. Kurz sah sie ihm in die Augen, aber seinen Blick zu fangen, war ihr nicht möglich.
"Paul soll nicht die ganze Zeit spielen", sagte sie streng. "Hat er wieder nichts anderes gemacht?"
"Ich war bei einem Kunden, da war er eben hier."
"Davon hat mir Melanie erzählt. Dein neuer Kunde sitzt ein im Haus gegenüber, nicht wahr?"
"Ich habe ihn in seiner Zelle besucht. Ist ein lustiger Typ, der Bakas. Sympathisch auch und hoch angesehen dort."
"Ich bin froh, dass du einen so angesehenen Kunden gewinnen konntest!" Petra ärgerte sich, wenn sie Malber so reden hörte. Er war auf so natürliche Weise unmoralisch, dass ihr körperlich schlecht wurde, wenn sie ihn reden hörte. Sie betrachtete ihren Sohn Paul, der in sein Spiel versenkt war. Er hatte alle Anlage so zu werden wie sein Vater, auch wenn er selten bis nie zuhörte, was um ihn herum gesagt wurde.
"Wie war dein Tag, Petra?" fragte Malber, um sie auf bessere Gedanken zu bringen.
"Gut. Danke für dein sicherlich tief empfundenes Interesse!"
"Ich weiß noch nicht, ob ich es mache." Malber wusste tatsächlich nicht, ob er den Auftrag annehmen sollte. Er hatte noch nicht darüber nachgedacht. Aber so war es bei ihm. Die meisten Dinge tat er, ohne sich entschieden zu haben.
"Melanie hat schon all ihren Freundinnen von diesem Bakas erzählt. Sie ist mächtig stolz auf dich. Aber eine 'Partnervermittlung' ist wohl etwas anderes!"
"Er sitzt in Untersuchungshaft - verurteilt ist er nicht!"
"Das wird er! Hoffe ich jedenfalls." Wenn Petra etwas hasste, dann die Zuhälter, denen sie vor Gericht begegnete. Wenn sie mit jemandem Mitleid hatte, dann mit deren Mädchen. Zwei von ihnen hatte sie vor Gericht als Nebenklägerinnen vetreten. Beide waren wieder im Milieu gelandet. Keine von beiden grüßte zurück, wenn Petra ihnen begegnete.
"Ich habe Bakas nicht zugesagt. Er will ein seriöses Geschäft gründen. Ich seh’ mir das mal an."
"Mach es ruhig", sagte Petra. "Vielleicht kommt was dabei herum. Wenn nicht, nimmst du wieder Geld von mir."
Malber wusste, dass Petra nicht alles meinte, wie sie es sagte.
"Dein Bakas hat unsere Melanie eine ‘hübsche, junge Dame’ genannt!" Petra lächelte.
"Ist sie das nicht? In letzter Zeit hat sie sich sehr verändert."
Petra hörte es gern, wenn Malber sie wegen der Kinder beruhigte. Er hatte Geduld und sah die Erziehung der Kinder über den Tag hinaus. Eine Eigenschaft, die sie nicht hatte. Eine Eigenschaft, umdie sie in ehrlichen Herzens beneidete.
Petra hatte schon wieder bessere Laune. Das immerhin ging schnell bei ihr. "Paul, kommst du jetzt?", sagte sie sehr ruhig. "Lass dieses blöde Spiel. Muss Paul da immer drauf gucken? Malber, vielleicht solltest du das Spiel mal rausnehmen aus deinem Computer."
"Kann er vergessen!", sagte Paul und drückte die letzte Taste. "Ist unsichtbar, wenn er den Schlüssel nicht hat."
"Na, toll", sagte Petra. "Du hältst deine Eltern wohl für völlig dumm. Ich kenne jemanden, der bei uns die Computer macht. Wenn der mal käme ..."
"Schick ihn. Wenn er Ahnung hat, dann weiß er, dass er den Schlüssel braucht. Sonst ist er nur so ein Büroblödmann wie der letzte, der das Ding hier eingerichtet hat."
"Paul, da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen!"
Petra beugte sich, damit Malber ihr einen Kuss auf die andere Wange geben konnte. Dann schüttelte Malber seinem Sohn die Hand.
"Du kannst morgen wieder hierher kommen, Paul. Ich bin bei meinem neuen Kunden. Seh mich ein bisschen um. Du findest dich ja zurecht."
"Er könnte ja mal seine Schulaufgaben hier machen!" schlug Petra vor.
"Leg mir einen Zettel auf die Tastatur, Mutter. Das geht dann klar!" Paul grinste seinen Vater an.
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Kapitel 4
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Bakas hatte sein Büro im Rotlichtviertel. Über den wenigen Straßenzügen kreuzten sich auf einem riesigen Plateau zwei große Autobahnen. Dadurch lagen die sechsgeschossigen bunten Häuser auch tagsüber im Schatten lagen.
Jedes der Häuser hatte seine eigene grelle Farbe. Mal war ein Mädchenakt auf der Hausfassade angedeutet, mal stand dort nur eine riesige Zahl. Jedes Haus hatte mehrere Eingänge. Das Viertel machte es demjenigen, der es nicht von vielen Besuchen her kannte, absichtlich schwer, sich zurechtzufinden.
Die Straßennamen auf den Häusern waren überstrichen. Viele der Masten waren gleich ganz abgesägt oder umgefahren worden. Wer sich hier mit einem Plan seinen Weg suchen wollte, fand ihn nicht. Es half nichts, Malber musste sich seinen Weg erfragen. Doch es war ein geschäftiges Viertel und eine geschäftige Zeit.
Vor den Imbissbuden und den Wechselstuben standen viele Ausländer in Gruppen. Wenn er sich näherte, erstarben die Gespräche. Die Blicke waren gleichmütig und verschlossen. Der Zutritt zu den Geschäften wurde Fremden geschickt und unauffällig versperrt.
Ein Mann, der aus einem Haus trat, glotzte ihn ängstlich an und ging schnell in eine andere Richtung. Aus den Hauseingängen kamen ihm Gerüche und keifende Stimmen entgegen. Die wenigsten Häuser hatten feste Türen.
Eine ältere Frau, die einen Rollator schob, blieb stehen. Sah ihn aus triefenden Augen unter strähnigen grauen Haaren hervor an und nickte immerzu. Sie war völlig verwirrt. Ein Junge rief ihm zu: "Stehst du auf die? Ein Zehnerchen, dann läßt die dich ran!" Die Frau schimpfte. Der Junge hüpfte um sie herum und lachte.
Schließlich fragte er eins der Mädchen, das sich aus dem Fenster lehnte und nach ihm sah.
"Was sagst du? Bakas kenn ich nich. Ich bin aus Dortmund. Komm zu mir, dann zeig ich dir was! Hab grad Zeit. Wirste nich bereuen, Kleiner. Siehst so aus, als könntest du es gebrauchen."
"Danke", sagte Malber, "vielleicht später. Jetzt habe ich gerade keine Zeit."
"Später, Süßer, hab ich keine Zeit! Frag die Mädels drüben nach deinem Bakas!"
Das Mädchen, auf das sie gezeigt hatte, sah ihn aus stumpfen Augen an. Ihre kräftigen Arme lagen auf dem Fenstersims. Die breiten Schultern füllten den Fensterrahmen fast völlig aus.
"Kennen sie Bakas? Ein Weißrusse? Ich suche sein Büro."
"Ja, Bakas, den kenn ich. Klar, Schätzchen, nur ein Büro hat der nicht. Der hat Mädchen am laufen wie die anderen auch. Haben sie den nicht abgegriffen? Sitzt doch ein, der Bakas ...?"
"Ist schon richtig" sagte Malber. "Ich bin … Ich will nur zu seinem … Haus."
"Bist zu spät. Mädchen hat der keine mehr. Sind alle weg. Kamen von weiß-ich-woher. Blutjunge Dinger!" Sie verschob ihren BH und kratzte sich.
"Ich komme nicht wegen der Mädchen. Ich bin geschäftlich hier."
"Was denkst du, warum ich hier bin? Weil es mir Spaß macht oder was!?"
"Wirklich andere Geschäfte, diesmal geht es um was anderes."
"Geh da runter. Siehst du das Haus mit der ‘14’, da rechts, dann kommt gegen Ende links ein Gelbes, gehst du rum. Sieht nicht aus wie die anderen Häuser hier. Da hat der seinen Stall gehabt, der Bakas!"
Malber bedankte sich, gab ihr einen Schein, den sie sofort in ihren BH stopfte. "Grüß ihn von Else aus dem 'Trockendock', da weiß er, wen du meinst."
Das Haus von Bakas war silbrig gestrichen. Der Anstrich, die weißen Fenster, alles war wie neu. Das Haus wirkte zwischen seinen bunten Nachbarn wie Petra, wenn sie die Mädchen aus dem Gewerbe beriet.
Die Tür war gebürstetem Stahl, besaß kein Guckloch wie all die anderen Clubs und Etablissements im Viertel. Das Haus hätte in eine seriösere Umgebung gut hineingepasst. Malber war froh, dass Bakas sein neues Gewerbe mit einem seriösen Äußeren versehen hatte. Das machte es Malber leicht, die nun ehrenwerten Absichten seines Mandanten glaubhaft zu versichern.
Von außen gesehen schien das Haus ungenutzt. Bakas würde sich noch ein Firmenschild zulegen müssen. Nicht einmal ein Klingelknopf war vorhanden.
"Drücken sie die Tür", sagte eine Stimme über ihm.
Malber trat vorsichtig ein. Was er sah, überraschte ihn. Während draußen die Mädchen auf Freier warteten, überall Musik hervorquoll und die Sonne auf alles eine billig glänzende Schweißschicht gelegt hatte, sah Malber ein Büro von modernster Ausstattung. Der große Raum, in dem er stand, war klimatisiert, die drei Arbeitstische waren groß und aufgeräumt leer. Darauf standen jeweils vier große Bildschirme, zwei neben- und zwei übereinander. Zwölf Bildschirme also für einen Raum, der nicht größer war als sein Büro.
"Kommen Sie", sagte die Stimme hinter einem Arbeitsplatz. "Kommen Sie hierher. Und setzen sie sich. Ich kann nicht zu ihnen kommen. Muss hier was machen."
Der Mann, der hinter den Bildschirmen saß, war ungewöhnlich klein, im Alter von 30 Jahren etwa, dabei von leicht schwammiger Kontur, mit einem Bart behaftet, der an den Backen lückenhaft war.
Der Mann sah nicht von seiner Arbeit auf. Nur eine schmale Hand winkte Malber heran.
"Ich bin Malber. Ich komme im Auftrag von Herrn B -"
"Weiß, weiß Bescheid. Zara … die Chefin hat mir einen Zettel geschrieben."
Nichts geschah darauf. Der Mann schien Malber vergessen zu haben. Er mochte vom Äußeren her nicht der Norm entsprechen, aber er bearbeitete die Tastatur wie ein Konzertpianist. Malber hatte noch nie jemanden gesehen, dessen Finger mit solcher Leichtigkeit und Eleganz über die Tasten tanzten. Der Mann war - wenn es das gab - eine wahre Fingerschönheit.
"Wer sind sie, wenn ich fragen darf?" fragte Malber.
"Ich bin Leonyd", brummte er ohne aufzuschauen. "Außer mir ist niemand da. Ich bin eigentlich immer hier."
"Dann bin ich wohl umsonst gekommen", stellte Malber fest.
Leonyd schob sich Haarsträhnen aus dem Gesicht.
"Was machen sie da? Das würde mich interessieren. Scheinbar sind sie sehr beschäftigt." Malber beobachtete die Figuren, die aufgestellt und gedreht wurden.
"Spiele mache ich. So eine Art davon."
"Mein Sohn Paul ist begeisterter Computerspieler. Aber er ist 13 Jahre alt."
"Ich programmiere Spiele." sagte Leonyd. "Hab früher selbst gespielt. Lang her. 'Ancient Fall' und so.' Battle of Man', all das eben. Was spielt ihr Sohn?"
"Tatsächlich weiß ich das nicht. Wenn ich ihn sehe, frage ich ihn."
" 'Age of Fire' bestimmt. Ist grad der neue Crack raus."
Malber zuckte die Schultern. Dennoch war es eine gute Idee, mit Paul über die Spiele ins Gespräch zu kommen. Einen Versuch war es wert.
"Und was programmieren sie, wenn ich fragen darf?"
"Ein Begegnungsspiel für das neue Geschäft von Bakas. Die Mädchen, der Hof, die Fürstin - alles fertig. Fehlt nur noch die Interaktion."
Mehr war zu diesem Thema aus Leonyd nicht herauszubekommen. Schnell glitten die Pianistenfinger über die Tastatur und sein Blick jagten zwischen den Bildschirmen hin und her. Die strähnigen Haare klebten wieder fest auf seiner Stirn.
"Ich würde gerne Zara sprechen", sagte Malber.
"Welche Zara wollen sie sprechen?"
"Welche Zara?" Malber musste sich fragen, ob der Mann ihn richtig verstanden hatte.
"Herr Bakas hat mich hergeschickt, um mit ihr das weitere Vorgehen zu besprechen." Mit diesem Mann war so wenig ein Gespräch möglich wie mit seinem Sohn Paul. "Zara sei seine Schwester, sagt Herr Bakas und seid neuestem in Deutschland tätig."
Der Mann winkte ungeduldig. "Die Zara im Spiel. Oder die Zara in der Wirklichkeit? Welche willst du sprechen?"
Jetzt verstand Malber, was Leonyd auf seine verwirbelte Art sagen wollte. Schließlich waren die Gespräche mit Paul auch nicht immer einfach gewesen. "Ich hätte gerne die Zara in der Wirklichkeit gesprochen."
"Diese Zara ist gegangen."
"Wohin gegangen?"
"Zu ihrem Büro gegangen."
"Sie sitzt jetzt in meinem Büro?"
"Glaub schon", sagte Leonyd. "Aber sie wartet gerne. Das macht ihr nichts aus."
"Freut mich zu hören", sagte Malber.
"Die Zara im Spiel können sie sprechen?", sagte Leonyd abwesend.
"Wie?"
"Ziehen sie ihren Stuhl rum. Ich hole Zara. Aber denken sie dran, dass sie noch ein wenig unfertig ist."
Malber schaute in den Bildschirm. Langsam verschwand der mittelalterliche Hof, den er gesehen hatte, die Hofdamen, die Bediensteten und alles Getier. Damit trat eine einzelne Figur in den Vordergrund: Eine schwarzgekleidete, fast nönnische Frauengestalt. Sie war nicht groß und sehr schlank. Ihr Kleid glänzte wie die Federn einer Krähe. Der Stoff fiel sanft schwebend an ihr herunter, bedeckte wie ein Hochzeitsschleier den Boden. Die Arme verbargen sich in dem langen Umhang.
Dann holte Leonyd ihr Gesicht auf dem Bildschirm heran.
Zara besaß ein blasses Gesicht, eine schmale Form mit wenig fremdländischer Kontur, dünne blutleere Lippen. Alles, was sie ausmachte, sprach aus ihren tiefschwarzen Augen. In ihnen lagen Magie, Macht und Zauber.
-
Kapitel 5
-
Paul spielte am PC, Melanie machte ihre Hausaufgaben. Als sie aufschaute, stand diese fremde Dame mitten im Raum, starr und schweigsam wie ein schwarzgekleideter Geist.
"Paul!", rief Melanie erschreckt. "Wer ist das!?"
Paul sah kurz von seinem Spiel auf, dann senkte er den Blick wieder. "Besuch für dich, Melanie." Er hob die Hand knapp sichtbar über den Bildschirm und zeigte auf Melanie.
"Entschuldigen sie bitte", sagte Melanie. "Ich habe mich nur erschreckt, weil ich nicht gehört habe, wie sie hereingekommen sind."
Die fremde Dame sagte immer noch nichts. Sie hatte nicht eine Bewegung gezeigt. Vielleicht war sie doch ein Geist. Ihren Bruder Paul mochte diese Frage nicht interessieren, aber Melanie hätte es gerne gewusst.
"Setzen sie sich doch, bitte", sprach Melanie die Dame an. "Dort am Tisch empfängt mein Vater seinen Besuch."
"Ja, ein Besuch bin ich wohl. Dennoch will ich, wenn es mir von dir erlaubt ist, gerne stehen."
"Natürlich", sagte Melanie rasch. "wie sie wünschen." Eigentlich konnte Melanie immer richtig das Alter von Menschen sagen. Bei dieser Dame aber versagte ihr Gefühl. Ihre Haut, ihre Bewegungen, ihre schwarzen Augen waren jung. Dennoch passten Stimme und Auftreteten nicht einer jungen Frau.
"Sie möchten meinen Vater sprechen?" fragte Melanie. "Leider besucht mein Vater im Augenblick die Schwester eines Mandanten."
"Ich weiß", sagte die Dame. "Er ist bei mir. Ich bin Zara. Mich besucht er gerade."
"Ja, aber dann verstehe ich nicht …"
"Siehst du, wenn er hier wäre, würde ich dann Wissen über ihn erlangen. Dieser Raum hier" - die Dame breite die Arme wie Flügel aus - "enthält mehr von ihm, wenn er leer ist."
Die Dame sagte die Worte mit soviel Überzeugung, dass Melanie bereit war ihr zuzustimmen. Im Gefühl stimmte, was sie sagte. Aber wenn Melanie darüber nachdachte, war es natürlich Unsinn.
"Mein Vater sagt, für ihn bin ich so gut wie eine richtige Sekretärin."
"Stimmt", warf Paul ungefragt ein. "Als Sekretärin ist sie richtig gut. Als Schwester nicht so."
Die Dame sah Paul nachdenklich an, als habe er etwas sehr Kluges gesagt. Das war genau die richtige Art, mit diesen dummen Bemerkungen von Paul umzugehen.
"Ich hab einen halben Bruder, du hast einen ganzen Bruder",sagte die Dame zu Melanie.
"Einen halben Bruder?" fragte Melanie. Selbst Paul hatte kurz aufgeblickt. "Sie meinen einen Halbbruder?"
"Ich meine, was ich sage. Ein halber Bruder, ein Halbbruder - das sind zwei Dinge, die nicht ineinander sind."
Paul sah Melanie an, ob sie verstand, von was hier die Rede war. Er hatte das Computerspiel beendet. Jedenfalls war sein Interesse erloschen. Interesse und Spiel waren nicht ineinander gewesen. Die Dame, fand Paul, gebrauchte ihre Sprache, als gehöre sie ihr. Eine Lehrerin war sie bestimmt nicht.
"Ich lese gerne", sagte Melanie, als sei das Gespräch ein Teller, der hinfallen konnte. "Mein Bruder spielt am PC."
"Was dagegen?", fragte Paul.
"Zuhause darf er nicht spielen. Aber hier spielt er, soviel er will. Meinem Vater ist das egal. Meiner Mutter nicht."
"Ich will ausziehen", erklärte Paul, "aber mein Eltern sind dagegen."
"Computerspiele, sagst du?" fragte Zara leise.
" 'Age of Fire' ", sagte Paul knapp und selbstbewusst. "Das ist richtig gut."
"Wir haben auch ein Spiel. Aber es hat noch keinen Namen."
"Was für eins denn? … Gibt ja viele Arten - Shooter, Fantasy, Crude, Egofake, alles mögliche."
"Ein Partnerspiel ist es."
"Nie gehört", sagte Paul. "Um was geht es denn!"
"Es ist ein Partnerspiel. Ein Mann lernt ein Mädchen kennen. Sie kommen sich näher. Es ist ein Spiel, das im wirklichen Leben fortgesetzt wird."
Paul war verblüfft. Es schien ein merkwürdiges Spiel zu sein. Er bezweifelte, dass sie überhaupt wusste, was ein Computerspiel war.
"Willst du mal reinsehen?"
"Ein ganz neues Spiel? Klar will ich. Aber es darf nichts kosten! Ich spare auf ein eigenes Büro!"
"Es kostet dich nichts. Ich will wissen, was du davon hältst. Du bist ein Experte. Von dir will ich es wissen."
"- den Schlüssel, ich brauche den Schlüssel!", unterbrach sie Paul ungeduldig.
Zara schrieb und reichte ihm einen Zettel.
"Geil", sagte Paul und gab die Zahlen ein.
"Ihr Bruder - ihr Halbbruder hat gesagt, ich sei hübsch", brach es aus Melanie hervor. "Das hat noch nie jemand zu mir gesagt!"
"Ey sauber!", rief Paul. "Ist das euer Spiel?"
"Ja."
"Die Graphik ist irre! So eine Darstellung hab’ ich noch nie gesehen. Die Mädchen sind sowas von echt!"
"Wie kann man sich nur für Leute in einem Spiel begeistern." Melanie schüttelte unwillig den Kopf.
"Melli, sieh dir das an! Die Mädchen sind voll schön!"
Melanie blickte vorsichtig, als könne sie sich anstecken, in den Bildschirm. Paul verstand etwas von Graphik, aber von Mädchen verstand er nichts, soviel war gewiss! Tatsächlich aber waren die Mädchen im Spiel wie aus Licht gemacht.
"Nur wirkliche Mädchen sind schön," sagte Melanie leise.
"Irre das!" rief Paul. "Wahnsinnsgraphik! Wie in echt!"
"Es sind nur Abbilder von etwas wirklich Schönem!"
Zara schüttelte den Kopf. "Melanie, ist Schönheit nicht wie ein Kleid? Ob dieses Kleid von den Mädchen hier oder den Mädchen im Spiel getragen wird, es bleibt ein Kleid."
Melanie sah sie zweifelnd an. Das waren Frage, die sie sich noch nicht gestellt hatte. Bis vor kurzem hatte sie nicht einmal gewusst, dass sie hübsch war.
"Das junge Mädchen denkt, die Schönheit gehöre ihm. Erst wenn sie zu ihm spricht, erkennt sie, dass die Schönheit sie verlassen will."
"Es kann doch keine Schönheit ohne einen wirklichen Menschen geben!" Melanie war ehrlich empört.
"Die Schönheit hat einen Willen. Sie erfüllt ein Versprechen. Was ist, wenn sich die Wege des Mädchens und ihrer Schönheit trennen, Melanie?"
Melanie hätte am liebsten geweint, so traurig war sie mit einem Mal. Was für schlimme Dinge diese Frau sagte! Wie traurig in seinem Inneren musste jemand sein, der solche Dinge glaubte.
"Ein Mädchen, dass seine Schönheit besitzen will, wird sie verlieren", sagte Zara ernst. "Es ist besser, das Mädchen trennt sich von ihr, als dass die Schönheit zu ihrem Leichentuch wird."
"Seid ihr fertig?", fragte Paul. "Dann kann mir vielleicht einer sagen, was der Sinn von der Aktion hier ist."
"So spricht er immer!" Melanie war heimlich froh über dies Ablenkung. Wenn Schönheit eine so traurige Angelegenheit war, wollte sie lieber nichts damit zu tun haben!
Paul winkte ihnen zu, um Gehör zu finden.
"Okay, ich lauf hier rum. Ich seh mir das an, den Hof, die Mädchen, das alles, die Landscape. Aber wozu? Was ist die Aktion? Versteht ihr?"
"In den Computerspielen braucht er eine Aufgabe", erklärte Melanie. "Im wirklichen Leben kümmern ihn Aufgaben wenig."
"Die Aufgabe ist es, ein Mädchen kennenzulernen", sagte Zara.
"Das ist schön", sagte Melanie. "Das Spiel wird bestimmt ein Erfolg werden."
Paul schwieg.
"Paul, was meinst du? Sag deine Meinung!" Zara sah ihn freundlich an, wohl wissend, welche Antwort sie zu erwarten hatte.
"Die Graphik ist stark. Das Konzept ist die Gurke - total!"
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Kapitel 6
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[Zaras Hofstaat im Computerspiel]
Leonyd ist ein Herold und Zara seine Fürstin. Vier junge Hofdamen sitzen im Kreis um den Thron. Ihre hauchfeinen weißen Schleppen bilden einen großen ununterbrochenen Kreis um ihre in dunkles Samt gekleidete Königin. Nur dort, wo der Herold steht, ist der Kreis unterbrochen.
Leonyd ist wohlgestalt und fein gewandet. Er verneigt sich tief: "Fürstin, ich heiße euch willkommen an eurem Hof. Ich hoffe, es ist alles zu eurem Wohlgefallen."
"Was ich sehe, Herold Leonyd, ist schön geworden. Ihr seid ein Zauberer des Wirklichen. Ich ging umher, allein mit meinem Entücken. Ich betrachtete, ich wog, ich befühlte - ihr habt eine zweite, nur schönere Welt erschaffen. Ihr habt wahrhaft göttliche Finger. Sogar euch, eure Gestalt, Herold, sehe ich an mit Wohlgefallen."
"Königin, ich bin euer ergebenster Diener."
"Mehr bist du als ein Diener. Viel mehr in der Augen der Welt, viel mehr in den Augen von Zara."
Leonyd verneigt sich vornehm und stumm.
Zara schnippste mit dem Finger. "Die Mädchen will ich sehen. Kommt, steht auf, eine und die andere, lasst euch ansehen und befragen."
Die Erste trat vor. Zara bot ihr die Hände dar wie eine Schale. Darauf legte das junge Geschöpf sein Köpfchen. Zara betrachtete sie aus der Nähe, linksseitig und rechtsseitig. "Ein Wunder, Leonyd. Wäre ich ein Mann, mich würde das Begehren verzehren."
Das Mädchen errötete. "Eine Jungfrau bin ich. Erbeten wurde in meiner Stadt der Dienst einer Jungfrau. Euch zu Diensten, Zara."
"Kinder, für alle" rief Zara. "Die alten Geschäfte meines Bruders - sie haben ihn in einige Schwierigkeiten gebracht. Dies hier alles ist Augenwonne - kein Bordell, meine Lieben."
Das nächste der Mädchen trat vor, um ihren Kopf in die Schale der Hände zu legen.
"Was tun wir dann hier?" fragte sie leise. "Bitte, ergebenst, Fürstin."
Zara hob das Köpfchen und schnippste mit dem Finger.
Leonyd trat vor um eine Antwort zu geben. Er hielt eine Urkunde in den Händen. "Seht her, meine Kinder. Eure Vorgängerinnen bekamen Seidenwäsche, ihr aber bekommt dieses Papier, in dem ihr euch verpflichtet, dem Mann mit Zuneigung im Leben zu dienen."
Die Mädchen nickten gehorsam.
"Und in dem sich euer Mann verpflichtet" - die Mädchen wandten ihm aufmerksam ihr feinen Öhrchen zu - "euch beizustehen und zu versorgen bis an das Ende eurer Tage!"
Die Mädchen klatschten laut in die zarten Hände. Ein wenig Jubel ertönte.
Eine dritte trat vor. "Liebste Zara, wir hatten nicht erwartet, dass ihr so genau euer Wort halten würdet. Verzeiht uns. Es gab Zweifel. Es gab "
Zara streichelte ihren Kopf. "Auch wir sind ein wenig überrascht vom Sinneswandel unseres Bruders. Denkt nicht, eure Vorgängerinnen hatte es schlecht - so gut wie ihr aber, das ehrlich gestanden, hatten sie es nicht."
"Was müssen wir tun?" fragte leise die dritte der Mädchen. "Meine Zuneigung will ich dem deutschen Mann gern im Austausch geben. Was noch wird erwartet, frage ich ergebenst."
Zara schnippte nach Leonyd.
"Kinder, es ist eigentlich viel. Ihr lernt ein paar Worte, einige Sätze, Wendungen der Sprache. Und mag die Sprache so fremd sein: Nehmt, was ich euch gebe, und bietet es dar mit eurer Schönheit Unterstützung. Lasst mich euch den Gang des Sprechens entlangführen, denn nichts, was fremd ist, soll zwischen euch und den Männern stehen."
"Das wollen wir tun", sagte die dritte der Mädchen feierlich.
"Meine Vierte", sagte Zara, "mit deiner Frage, wende dich direkt an den Herold. Für mich, Zara die Fürstin, ist dies alles so neu wie für euch."
Glockenhelles Lachen umschloss ihre Rede.
"Meine Frage, lieber Herold … Werden wir hier am Hof verbleiben. Wie wird es sein, wenn alle Papiere ehrenhaft unterzeichnet sind."
"Ihr Hofdamen alle, hört. So echt ihr erscheinen mögt, so seid ihr doch nur ein Abbild. Wenn das Mädchen gefreit ist, bleibt ihr am Hofe im Dienste von Zara. Das gefreite Mädchen darf euch besuchen. Seid vertraut mit ihm, redet in eurer Sprache, tauscht die Erinnerung, seid ein Gefäß ihrem ausgeschütteten Herz. Doch Männer, fremde Männer werde kommen an diesen Hof nurmehr zu fremden Mädchen. Ihr dagegen habt es geschafft: Seid ein Abbild, eine in Wert gehaltene Schöpfung meiner Hände."
"Kommt, alle ihr Mädchen!" rief die Vierte. "Wir wollen ihn herzen und kosen dafür."
Alle Mädchen umringten Leonyd gar bald, küssten in sein Gesicht und streichelten sein Heroldskleid.
"Jetzt lasst von ihm ab!" befahl Zara. "Euer Anliegen ist wert und wichtig, aber an einem neuen Hofstaat sind vielerlei Anliegenschaften zu besprechen."
Mit erhitzten Köpfchen ließen sich die vier Mädchen zu Zaras Füßen nieder.
"Sag, Herold, was hast du uns von deinem Tag zu berichten?"
Leonyd nahm seinen Heroldshut vom Boden auf und wischte mit feinem Tuch die gerötete Stirn. "Ich hatte Besuch heute von einem Sendboten. Sein Name war Malber."
"Was wollte er von uns?"
"Er ist ein Herold eures Bruders, des Grafen Bakas, ausgeschickt, um sich nach eurem Wohl zu erkundigen."
Zara sah nachdenklich vor sich hin. Der Raum war erhellt von ihrem kalten Lächeln. Sie hatte die Dinge des Hofe vergessen. Sie thronte und war ein regloses Denken zu sich selbst.
Die Hofdamen wurden unruhig. Sie begannen die Köpfe zu drehen, Geflüstertes ging reihum und feine Wellen bewegten den Kreis der Schleier. Artig waren sie wohl, aber nicht achtsam.
Doch Zara sah, was niemand sah.
"Herold, dieser Besuch wirft Fragen auf!"
Leonyd trat einen Schritt vor aus dem Kreis der Unruhigen. "Welcherart dies Fragen war? Er wollte euch sprechen, Zara. Zu welchem Anliegen, das sagte er nicht."
"Was will die Welt von uns? Was kann sie wollen von uns Abgeschiedener?"
"Seine Fragen waren nicht klug. Er ist ein Mann der Reise, nicht des Zieles. So kam er mir entgegen."
"Sah er dich an als den Herold von Zara?"
"Er sah nicht, was ich bin. Ich gab ihm nichts zu sehen. Also blieb er blind. So war es gewollt!"
"Er ist ein Mann der Reise, sagst du?" Zara stieß zischend den Atem aus. "Ist er eine Mann der Suche also?"
"Ich weiß, Herrin, wirklich nicht, was er suchen sollte. Eher ein Mann des Herumreisens, so schien mir."
"Nun, Leonyd, mein Herold, du bist klug genug, die Dinge mit meinen Augen zu sehen. Bist du auch willig, das frage ich mich derweil."
"Fürstin! Wie könnt ihr denken, dass ich untreu bin!"
"Mag sein, ich besitze nicht jeden deiner Gedanken. Mag sein, deine Gedanken sind wie diese Mädchen hier. Sie sitzen fein im Kreis, dabei nicht so still, wie sie sollten."
"Königin Zara, ich versichere euch -"
"- in Worten von dir, die ich nicht hören will", unterbrach Zara ihn heftig. Böses blitze aus ihren schwarzen Augen. Der Herold senkte den Kopf, um sie nicht ansehen zu müssen.
Ärgerliche Blicke glitten den Thron herunter und an seinen pumpbehosten Beinen hoch. "Wenn Zara geht, bist du ein Niedermensch, Herold, ein Fettling! Du solltest niemals wollen, dass Zara geht!"
Leonyd nickte. Die Mädchen sahen, dass Ohnmacht ihn niederdrückt, dass Feigwissen ihm die Lippen schloss.
"Doch nun zu etwas anderem." Die Worte werden gesprochen, ohne dass sie Zaras Gedanken berührt haben. "Wir sollen Besuch bekommen, in nächster Zeit? Herold Leonyd, was hat es auf sich damit auf sich?"
Erleichtert verneigt sich Leonyd. "Männeraugen werden zu Besuch kommen. Männermünder mit Fragen. Männerträume, ihr wisst schon! Draußen die Mädchen stehen bereit für die Hochzeit, hier für die Wahl ist ihr Abbild."
Zischeln der Mädchen fasst nach seinen Worten.
Leonyd beschwichtigt sofort. "Nicht nur Abbild. Alle Schönheit ist hier, alles Liebliche - dort nur", er winkte in undeutliche Ferne, "dort ist das, was vergeht und in die Erinnerung muss."
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Kapitel 7
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'Triff mich um 12 Uhr im Gericht', hatte Petra ihm per SMS geschrieben. Da sie wusste, dass er nur einen Mandanten hatte, gab es keine Entschuldigung, die sie akzeptiert hätte. So stand Malber pünktlich im Gericht. Er wartete unten beim Pförtner. Zwei Polizisten standen im Eingang und warteten mit ihm.
Mit ein wenig Verspätung kam Petra in Begleitung von zwei Herren die Treppe herunter. Sie war so in das Gespräch vertieft, dass sie an Malber vorbeiging. Erst als sie durch die Tür gegangen war, fiel ihr das Treffen wieder ein. Sie kam zurück und grüßte ihn, sich ehrlich entschuldigend.
'Eine Powerfrau', dachte Malber dankbar. 'Wie habe ich es bloss geschafft, mich einvernehmlich von ihr scheiden zu lassen. Wenn sie gewollt hätte, wäre ich jetzt obdachlos.'
"Wie geht es dir, Petra?" fragte er wie immer.
Doch statt 'Es geht mir gut', sagte sie: "Georg, die Kinder sind völlig verändert!"
So dringend war ihr die Aussprache über die Kinder, dass sie sich mit ihm im Gericht getroffen hatte.
"Ich muss gleich wieder gehen", fügte sie sicherheitshalber hinzu, sollte sich Georg zuviel Zeit lassen mit dem Sprechen.
"Petra, inwiefern verändert?"
"Seit sie mit dieser Frau gesprochen haben. Ich bin mir ganz sicher, dass es mit dieser Frau zu tun hat!"
Malber war unentschlossen, ob er nicht noch zu müde war für die Aufgeregtheiten von Petra.
"Du brauchst jetzt nichts zu sagen. Ich habe mir meine Meinung gebildet und du schaust ja nicht genau hin, wenn es um deine und meine Kinder geht!"
Malber fand nicht die Kraft zu einem Protest. Es war immer so gewesen. In keiner ihrer vielen Empörungen hatte Malber ihr nur in Sichtweite folgen können. Ihn selbst hatte dies nicht gestört. Aber Petra hatte es gestört. Eines Tages hatte sie eben herausgefunden, dass Malber nicht nachdenklich war, wenn er wenig sagte, sondern ihre Sorgen aus den Augen verloren hatte.
"Ich finde nicht, dass sie -"
"- sie stecken die Köpfe zusammen! Siehst du das nicht?"
"Ist doch gut, wenn sie sich verstehen ... besser, als wenn sie sich streiten."
"Es hat mit dieser Frau zu tun!", schnappte Petra. "Mit dieser sehr merkwürdigen Zara!"
"Sie war kurz im Büro. Ich bin schnell dazugekommen. Die Kinder haben ein wenig mit ihr geredet. Das war alles."
"Diese Frau erinnert mich an einen Traum, den ich als Mädchen immer hatte."
Malber sah sie verwundert an. Natürlich hatte Petra Träume. Er hatte nur nie über diese Möglichkeit nachgedacht.
"Es ist ein Schulstück, in dem ich mitspiele. Ich stehe auf der Bühne hinter dem Vorhang und bin ganz aufgeregt. Dann geht der Vorhang auf und niemand, wirklich niemand sitzt im Publikum, außer dieser scharzgekleideten Frau."
Die Gerichtsbewachung ließ Malber nicht aus den Augen. 'Ich habe keine Träume, ihr habt keine Träume - was schaut ihr mich so dämlich an!' dachte er.
"Ich habe mit Melanie über dieses Spiel gesprochen. Sie redet merkwürdige Dinge in letzter Zeit. Es sind Gedanken darunter, die ich nicht verstehe."
"Sie ist ein junges Mädchen. Ihre Gedanken entwickeln sich."
"Es ist dieses Spiel! Ich habe hineingesehen. Da machen sich dicke und dünne, allesamt ältere Männer an sehr junge Mädchen ran - so kam mir das vor. Melanie findet nichts dabei. Die Mädchen könnten mit ihrer Schönheit anstellen, was sie wollten. Solche Gedanken trägt unsere Melli mit sich herum. Ich hoffe nicht, dass ich einem solchen Mann in meinem Haus begegne."
"Du wirst mit ihm fertig werden, denke ich!" Malber stellte sich vor, was von dem Mann übrig war, wenn Petra ihn mehrmals überfahren hatte. Er stellte sich vor, wie sie das Auto startete. Und dabei hatte der Mann noch das Glück weglaufen zu können.
"Du nimmst mich nicht ernst!" sagte Petra ärgerlich. Die Polizisten im Eingang sahen aus, als wären sie bereit, Malber aus diesem Grund festzunehmen.
Malber legte die Hände auf die Kniee. "Bakas ist angeklagt wegen Zuhälterei. Das ist nicht gut, aber" - Petra schoss ihm einen sehr warnenden Blick zu - "ein schweres Vergehen sicherlich … aber er versucht, seriös zu werden. Sieh dir das Spiel an. Es ist harmlos - jedenfalls ist es nicht verboten."
"Harmlos ist es nicht!" Petra mit zwei Polizisten im Rücken zeigte sich beharrlich. "Es ist menschenverachtend und frauenfeindlich!" Die Polizisten nickten zustimmend.
'Tut nicht so!' dachte Malber. 'Wenn sich jemand Pornos ansieht, dann ihr ...'
"Soll ich dir einen Kaffee holen?" fragte Malber. "Eine Kleinigkeit zu essen …"
Petra wischte den Vorschlag zur Seite. "Ich möchte von dir hören, wie du dich dazu stellst. Auch wenn du es vergessen hast, wenn du aus der Tür raus bist, möchte ich jetzt hören, wie du dazu stehst."
"Ich habe den Auftrag noch nicht angenommen", beruhigte sie Malber. "Kann ebensogut alles absagen. Ich rufe an und Schluss ist."
"Das würde dir so passen!", erregte sich Petra. "Willst du nicht einmal das Geld selbst verdienen? Ich kann dich doch nicht ewig unterstützen!"
"Ich sagte ja nur, wenn du dir Sorgen machst -"
"Ich mache mir auch über das Geld Sorgen, wie du sicherlich verstehen wirst. Bisher hast du keinen Beitrag geleistet!"
"Ich kümmere mich um die Kinder", schlug Malber als seinen Beitrag vor.
"Dieses Frau sitzt allein im Büro mit den Kinder - und wo bist du, Georg!?"
"Geld verdienen."
"Hast du schon über Geld mit diesem Bakas geredet? Willst du das damit sagen?"
"Hmm."
"Siehst du!? Nicht ist gewesen! Mir machst du nichts vor!"
"Ich rede mit ihm", schlug Malber vor. "Ich nehme den Auftrag an und rede mit ihm. Dann werden wir sehen."
"-'Werden wir sehen' ist deine Lieblingsrede, seit ich dich kenne. Nichts ist jetzt, alles ist 'Werden wir sehen'!"
"Ich rede mit ihm. Ich habe ihm gesagt, dass ich noch überlegen muss."
Petra schüttelte empört den Kopf. Nichts davon wollte sie glauben! Nichts davon hören!
'Wie schafft sie es nur, sich 10 Stunden am Tag aufzuregen?' dachte Malber müde.
Petra sah auf die Uhr, sprang auf, und ehe Malber seinen Blick gehoben hatte, knallte schon die nächste Tür hinter ihr zu.
Malber erhob sich langsam. Während er auf seinen Kaffee wartete, dem Gurgeln der Maschine, dem Tröpfeln zuhörte, auf das letzte 'Plitsch!' wartete, dachte er über Petra nach. Vielleicht störte Petra, dass er alles vergaß. Nichts blieb in seinen Gedanken haften, wenn es keine Bedeutung für ihn hatte.
Malber sah aus dem Fenster. Vielleicht sah auch Bakas aus dem Fenster. Er hatte so wenig zu tun wie Malber. Er konnte den ganzen Tag hinausschauen, wenn er wollte.
'Warum trinken alle Menschen Kaffee?', dachte Malber. 'Niemand trinkt Kaffee, weil er schmeckt. Es muss einen anderen Grund geben.'
Teil 2
Kapitel 8
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"Malber, lange nicht gesehen!", rief jemand in seinen Rücken. Beinahe hätte es Malber in den Trakt des Untersuchungsgefängnis geschafft. Dort hätte er leicht entkommen können.
Als er sich umdrehen musste, war es ein Klassenkamerad, dessen Namen er vergessen hatte. Ja, der Vater von diesem Klassenkamerad war ... ein Rechtsanwalt und hatte damals, zur Freude der ganzen Klasse, die Nichtwertung einer Klassenarbeit durchgesetzt. Der Sohn war ganz still gewesen und ganz stolz. Eine Zeitlang hatte der Sohn etwas gegolten. Das wusste Malber noch.
"Ja, wie ist es denn so gegangen?" rief der Klassenkamerad.
"Sag nicht, du hast einen Termin, Malber! Der kann warten. Die Jungs da drin haben die Zeit weg. Von denen sieht keiner auf die Uhr!"
"Du bist ..."
"Jörg Fauerbach, na, klingelt es?"
"Ja, doch", sagte Malber langsam. "Jetzt ... ja, natürlich."
"Wir müssen uns unbedingt mal wieder treffen. Was meinst du!?"
"Ja, unbedingt", sagte Malber.
"Du, das mit der Petra tut mir leid."
"Danke", sagte Faust, obwohl es nichts gab, wofür er sich zu bedanken hätte. Und dieser Jörg noch nicht am Ende war mit seinen Gemeinheiten.
"Ich bin Jurist, wie du sicher weißt!", rief Jörg. "Da haben wir das natürlich mitbekommen. Petra ist ja eine von uns, wir Juristen so sagen."
"Sie hat mir nie von dir erzählt."
"Gehört sich nicht", beschied ihn Jörg knapp. "Berufsgeheimnisse - nicht einmal der Ehemann - wir Juristen - du verstehst?"
"..."
"Na, war schon eine Nachricht: Petra hat jetzt ihre eigene Partnerschaft! Hat sie sich immer gewünscht. Tüchtiges Mädchen. Von der Sorte, die sich nicht unterkriegen lässt. Strampelt sich immer wieder hoch. Hat ihren Doktor gemacht. Bei mir war das geschenkt - ein Mann, Einser-Jurist, ein Doktor, ging klar! - aber Petra hat sich durchgekämpft. Muss das Mädchen unbedingt mal wieder anrufen!"
"Tu, das", sagte Malber. Sie wird sich bestimmt freuen."
"Und ihr seid jetzt ganz und völlig auseinander?"
"Hmm", nickte Malber.
"Bin jetzt in Düsseldof mit meiner Kanzlei. Hab es nicht ausgehalten in diesem Duisburg. Ist wie der kleine Bruder, der von der Sozialstütze lebt. So kommt uns Düsseldorfern dieses Duisburg vor, wenn es uns hierhin verschlägt."
"Ich hab mein Büro dort", sagte Malber. Er wusste nicht, warum er hochzeigte.
"Ehrlich?", fragte Fauerbach.
"Geht schon. Ich bin ganz zufrieden. Wenn das Geschäft ein bisschen angelaufen ist, dann such ich mir was Größeres."
"Tät ich auch", sagte Fauerbach. "Jeden Tag die Knackies vor dem Fenster. Wär nichts für mich. 'Cecilienalle', kennst du bestimmt, kannst ihn sehen, den Rhein! Komm nicht dazu, aber trotzdem schön." Er blickte in eine Ferne, die nur Jörg Fauerbach sah. "Weiß gar nicht, was du machst!" sagte er ob dieser Tatsache nicht wenig überrascht.
"Unternehmenberatung", sagte Malber knapp.
"Im Knast?"
"Mein bester Kunde -"
"Georg, wir sehen uns! Muss den Paul mal ansprechen. Die Liste mit unseren Namen. Wir treffen uns! Langsam fällig das. Gibt bestimmt viel Neues bei jedem! Paul hat eine Firma. Macht Immobilien. Aber die Spitzenkategorie! ... "
Malber wehrte unenergisch ab.
"Muss los", sagte Jörg Fauerbach. "Erbsache. Millionen. Jede Menge Streit. Jörg Fauerbach dabei!"
-
"Sind sie für Bakas hier?" fragte der Pförtner.
Malber nickte kraftlos.
"Ich kenn’ den Dr. Fauerbach", sagte der Pförtner. Blicke des Mitgefühls. "Hole mal die Jungs."
Malber setzte sich auf die Bank. 'Klassentreffen', dachte er. Es schüttelte ihn. 20 mal Jörg Fauerbach. Mit etwas Glück 15 mal. Das würde sich rausstellen, wenn es kein Entkommen gab.
"Kannte mal ‘nen Anwalt", sagte ein Biertrinker neben ihm.
"Schluck?" Malber schüttelte den Kopf.
"Hat gesoffen mit uns, obwohl er ‘n feiner Herr mit Brille war. Beim Brunnen drüben hab’n wir gestanden. Jetzt ist da Gesocks, direkt vom Knast hier. Da geh ich nich’ mehr hin. Nee! Das ist übel jetzt!"
Der Mann setzte die Bierflasche an und trank sie halbleer.
"Viel schlaues Zeug geredet, hat er", erzählte der Mann, als er wieder zu Atem gekommen war. "Hat ‘ne Wohnung gehabt. Tot gesoffen hat er sich trotzdem. War immer so sturzblau, dass ihn die Bullerei geholt hat. Hat Geld versoffen, das nich’ von ihm war. So war das. Ein feiner Kerl. Hat immer ein’ spendiert. Lass ich nichts drauf kommen auf den!"
Der Mann setzte die Flasche an und trank sie leer. Dann rülpste er so laut, dass sich ein Fenster öffnete und eine Frau aus ihrem Büro zu Malber heruntersah.
-
"Fauerbach mit Doktor", sagte Bakas sinnend. "Das ist Name von Rechtsanwalt?"
Malber nickte. Wohl jeder in dieser Straße hatte ihn beobachtet. Und Jörg Fauerbach hatte seinen Auftritt hingelegt! Manche waren niemals sie selbst.
"Ich mag keine Rechtsanwälte", sagte Bakas. "Deshalb habe ich gedacht, ein Unternehmensberater ist besser gut für Geschäft von Bakas."
"Sie müssen mir noch ein wenig von sich erzählen", sagte Malber. "Ich bin noch nicht entschieden, ob ich ihnen helfen kann."
"Sie wollen wissen, welche Idee vom Geschäft Bakas hat … wo Problem sind, die auftreten?"
"Versuchen sie es einfach in ihren Worten zu erklären. Ich muss mir einen Eindruck verschaffen, ehe ich zusage. Was wird von mir erwartet?"
"Gut", sagte Bakas, als sie Platz genommen hatten, "erzähle ich ..."
Er drehte die Hände nach außen und betrachtete nachdenklich die schmutzigen Linien der Innenseiten.
"Bakas Geschäft ist Vermittlung von weißrussischen Mädchen. Malber kennt Schönheit von diese Mädchen. Malber weiß, dass Deutschmänner im Computer von Leonyd diese Mädchen kennenlernen. Sie reden mit diese Mädchen, geben Geld an Bakas und heiraten Mädchen. Das alles weiß Malber."
Malber nickte.
"Jetzt kommt das Problem: Weißrussische Mädchen bleiben nicht schön. Mädchen sprechen nicht die Sprache vom Mann? Mädchen hat geträumt von Prinzessin. Hat Deutschmann geträumt von Prinzessin? Was weiß Bakas? Er hat nicht vermittelt Dinge von Kopf, sondern Mädchen für Hochzeit!"
Bakas ließ seine Worte nachklingen. Er war ein Mann des Erzählens in Blöcken und Sprüngen.
"Jetzt geht Mädchen zu Deutschmann und sagt, dass sie unglücklich ist. Jetzt - kann sein - geht Deutschmann zu Deutschpolizei und sagt, dass Unglück kommt von Bakas, weil er nicht vermittelt hat Glück, aber vermittelt hat Unglück. Dieses ist Unsinn. Sogar Polizei weiß das. 'Gut', sagt Polizei, 'Mädchen ist unglücklich, weil Mädchen nicht frei.' Sie schreiben auf, obwohl Unsinn: 'Bakas hat nicht vermittelt Mädchen, sondern er hat verkauft weißrussische Mädchen an Deutschmann.' Da kommt Deutschmann Malber und sagt vernünftige Dinge zu Deutschpolizei. So stelle ich vor mir, was Malber tut."
Malber konnte sich jetzt ein Bild machen. Sicherlich bewegte sich das Geschäft von Bakas in der Grauzone der Legalität. Ihm war nachzuweisen, dass er eine nicht eindeutig festgelegte Grenze geschäftsmäßig überschritten hatte. Eine Anklage war eine Sache, die Verurteilung eine andere. Das Geschäft von Bakas war rechtlich in Ordnung, wenn auch moralisch im Randbereich angesiedelt.
"Das weiß Malber jetzt. Was Malber nicht weiß. Bakas Geschäft mit weißrussischen Mädchen ist auch Geschäft von anderen Männern. Diese Männer verkaufen Mädchen nicht für Glück von einem Mann, sondern für Sex von vielen Männern. Da ist Problem. Bakas gibt guten Preis für Mädchen. Das macht Mädchen teuer. Deutsche Männer, die kaufen wollen Sexmädchen, müssen nun zahlen viel Geld. Die Mädchen sagen 'Nein' zu Männern von Sexgeschäft. Brüder vom Mädchen sagen 'Nein'. Sie denken: 'Wenn Mädchen in Deutschland bei Bierbauch-Mann, wir kommen Mädchen besuchen und schauen schöne Land von schöne Schwester!' Deutsche Sexgeschäft-Männer kennen Polizei gut. Deutschmann Malber muss sehen, dass Deutschpolizei zufrieden mit Geschäft von Bakas."
Bakas hatte - aus welchen Gründen auch immer - keine Angst vor Gewalt. Er fürchtete, dass ihm die Herren vom Rotlichtmileu über ihre Kontakte zu den Behörden gefährlich werden konnte. Als Weißrusse, der er war, lag er wohl mit seinen Befürchtungen nicht falsch.
"Was habe ich zu tun?" fragte Malber.
Er hatte seine Entscheidung gefällt. Bakas war jetzt sein Chef auf Zeit.
"Gut", sagte Bakas und legte die Handflächen nach innen. "Malber hat Entscheidung gemacht."
Malber nickte knapp. Ein Lächeln kam von Bakas, das ihm seine Vorbehalte nachsah.
"Meine Schwester Zara ...", sagte Bakas und ließ das Ende des Satzes vielsagend offen.
"... ich werde sie bei der Führung der Geschäfte unterstützen", setzte Malber den Satz fort.
Bakas nickte. "Mir wäre das wohler."
Malber schwieg.
Schließlich sagte Bakas: "... die Frage steht, wie Malber wird bezahlt"
Malber sann.
"Geld kommt von Weißrussland", sagte Bakas. "Niemand muss wissen."
"Ich will keinen Menschen übervorteilen", protestierte Malber, "- schon gar nicht meine Frau."
Bakas betrachtete ihn eingehend.
Malber lächelte geduldig zurück.
"Malber fährt Auto von Bakas nach Weißrussland. Auto ist für gute Freund von Bakas. Geld für Auto ist für Malber in Tasche tief."
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Kapitel 9
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An der Tür summte es.
'Petra, sie hat etwas vergessen', dachte Malber.
Er drückte den Knopf. "Ja?" sagte er freundlich.
"Spreche ich mit Herrn Malber?"
"Ja."
"Kann ich sie sprechen, Herr Malber?"
"Mich? Jetzt?"
"Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen. Es geht mir so nah. Ich muss darüber sprechen!"
"Ja ..."
"Ich kann nicht mehr, Herr Malber. Sie müssen mich mit ihnen reden lassen!"
Malber drückte den Knopf. Sollte der Mann reden, wenn ihm danach war. Wenn Bakas jetzt aus dem Fenster sah, dann würde er sehen, dass Malber ihm zuwinkte.
"Kononepo ist mein Name", sagte der Mann.
Malber schrieb sich den Namen langsam auf.
"Ich kann nicht mehr!", stieß der Mann aus. "Sie können sich nicht vorstellen, wie es ist. Die Gedanken immer im Kreis, schneller und schneller. Keine Ruhe. Kein Mal halten sie an!"
"Ich bin nicht der Psycholge", sagte Malber. "Sie haben falsch geklingelt."
Der Mann starrte ihn an.
Malber nickte freundlich. "Es gibt einen Psychologen im Haus. Sie müssen noch einmal nach den Klingel sehen."
"Malber Unternehmensberatung, das sind sie doch!? Sie vertreten die Firma von Herrn Bakas?"
Malber nickte.
"Ich habe niemanden, den ich ansprechen kann, außer ihnen! Ich war in seinem Büro. Das saß ein komischer Mensch, der sich für nichts als Computerbildschirme interessierte."
"Leonyd. Programmierer. Ist bekannt."
"Ich habe seine Schwester getroffen, die Schwester von Herrn Bakas, meine ich. Die Halbschwester von Herrn Bakas, wie sagt. Als würde das etwas ändern!"
"Herr ... Kononepo ...", sagte Malber bedächtig.
"Sie hätten hören sollen, was diese Zara sagte. Alles ein völliger Unsinn. 'Die Schönheit ist nicht an einem Ort', sagt sie mir. Als hätte ich von so etwas geredet, mein Gott! Was hat sie noch gesagt? Ich erinnere mich kaum, so seltsam hat sie gesprochen. Überlegen sie sich diesen Ausdruck: 'Die Schönheit ist der Schönheit Besitz.' Ich bitte sie, was für ein völliger Unsinn! Wie soll ich schlafen, wenn ich immerfort darüber nachdenken muss!"
Malber fand nicht, dass es als Erklärung genügte. Aber er war kein Schlafberater.
"Außerdem sprach sie nicht selbst, sondern diese Zara in dem Spiel. Wir saßen alle davor und haben ihr zugehört. Eine Spielfigur - ich habe mit einer Spielfigur reden müssen! Wenn sie wenigstens verständlich wie ein Mensch gesprochen hätte."
Malber sah auf seinen Zettel: "Herr ... Kono ... nepo … fangen wir am besten vorne an, wenn es ihnen nichts ausmacht."
"Ich habe kein Glück. Ich habe noch keine Frau kennengelernt, die nicht die nächste Gelegenheit benutzt hätte ... Ich weiß nicht, woran es liegt. Ich habe mich sehr bemüht, jemanden kennenzulernen. Sehr bemüht. Meine Mutter sagt, schon als kleiner Junge im Kindergarten hatte ich keine -"
"- vielleicht fangen wir doch besser in der näheren Vergangenheit an", schlug Malber vor.
"Wissen sie, ich erzähle nicht gerne, wie es früher war. Es regt mich auf, wissen sie, statt dass es mich müde macht … Ja, das Computerspiel … als ich davon gehört habe, war ich direkt begeistert. Ich dachte, wenn ich eine Spielfigur bin, dann werden die Mädchen nicht davonlaufen. Und so war es auch. Wie ein Wunder! Ich habe ein Mädchen kennengelernt. Wir haben gesprochen, Dinge unternommen, Aufgaben gelöst … darin bin ich wirklich gut drin … auf alles, was ich gesagt habe, hat sie eine zutiefst liebe Antwort gegeben. Natürlich habe ich Herrn Bakas gefragt, ob ich diese Frau heiraten darf. Das Ausssuchen und Heiraten ging wie von selbst. Als alles fertig war, erst als ich mit meiner Frau, der wirklichen Frau, allein zu Hause war, da habe ich gemerkt, dass etwas nicht stimmte."
Malber sah den Mann mit wachsender Fassungslosigkeit an. Er wünschte, dass Petra hier wäre und zuhören könnte. Wenn sie dachte, dass Malber emotional ein Totalschaden war, was würde sie erst zu Herrn Kononepo sagen.
"Meine Frau ist ganz anders geworden", sagte der Mann.
"Eine Spielfigur und ihre Frau sind nicht dasselbe", gab Malber zu bedenken. Was würde Petra staunen, wenn sie ihren Georg Malber als Eheberater sehen könnte.
"Nein, nein", wehrte der Mann ab. "Es ist, als sei sie eine völlig andere!"
"Ist sie vertauscht worden?"
"Hören sie, nehmen sie mich bitte ernst, ich bitte sie!"
"Als ich meine Frau Petra kennengelernt habe ...", begann Malber bedächtig.
"Das ist völlig etwas anderes!", unterbrach ihn der Mann hastig. "Ich habe meine Frau in diesem Computerspiel kennengelernt. Ich habe sie angesehen, ja. Ich habe mit ihr gesprochen, ebenso ja. Es war in einem Spiel, ja ja ja. Aber sie kann sich nicht so völlig verändern. Das darf nicht sein! Wie ist es geschehen? Ich möchte eine Antwort, damit ich wieder schlafen kann."
Malber erinnerte sich, dass Bakas von einem Überraschungsmoment für die Deutschmänner gesprochen hatte.
"Ich sehe es ihnen an, dass sie sich wundern! Aber das ist es nicht! Meine Frau ist anders, ja! Das ist völlig normal! Aber sie ist ganz anders! Und das ist völlig unnormal! Verstehen sie?"
Nein - offen und unverstellt - Malber verstand nichts. Er sah wieder auf seinen Zettel.
"Ich will ihnen ein Beispiel nennen, ja? Meine Frau trägt keine Kleider mehr! Sie will keine Kleider tragen!"
"Nun, vielleicht ist das eine versteckte Botschaft ...", sagte Malber nachdenklich.
Herr Kononepo verpasste jede Ironie um Meilen. "Sie sagt - hören sie, was sie zu mir sagt - sie sagt: 'Sie hat mir mein Kleid genommen. Ich will nur dieses Kleid!' Dabei starrt sie in das Computerspiel. Immerfort starrt sie hinein und spricht mit der Figur, die sie dort ist."
"... die Figur, nach der sie ihre Frau ausgesucht haben, ich verstehe."
"Sie sagt zu mir: 'Sieh sie dir an, Mann! Sie ist die Schöne - du hast die falsche geheiratet."
"Sie spricht unsere Sprache?"
Der Mann war erschöpft. "Natürlich spricht sie nicht in deutschen Worten. Sie zeigt es mit den Händen. Ich übersetze es ihnen nur."
"Was sagt ihre Frau denn? ... Was sind ihre Worte?"
"Weißrussisch - sie redet weißrussisches Zeugs! Immerfort. Ich höre es schon in meinem Kopf. Sie redet und redet auf diese Spielfigur ein."
"Ich kümmere mich drum", versprach Malber. "Wir werden sehen, was sich machen lässt."
"Was denken sie, wieviel Geld ich ausgegeben habe?!", brach es aus dem Mann hervor. "¤ 5.000 hat allein der Zugang gekostet. Da wusste ich nicht einmal, ob ich jemanden finde würde. ¤ 10.000 hat es gekostet, als ich mich entschieden hatte. ¤ 5.000 habe ich meiner Frau geliehen, damit sie die Reise antreten konnte. Und jetzt - hören sie! - zahle ich wieder ¤ 5.000 für den Zugang, weil meine Frau völlig verrückt mit dieser anderen sprechen will."
"Das ist viel Geld", sagte Malber nachdenklich.
"Sie können mir helfen!?" rief der Mann voller Hoffnung.
"Ich werde mit Bakas reden", versprach Malber.
'¤ 25.000', dachte er. 'Da sieh einer an!' Er blickte aus dem Fenster auf die andere Straßenseite, wo sich das Untersuchungsgefängnis gelassen und rätselhaft erhob.
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Kapitel 10
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Das Telefon auf dem Schreibtsich des Vaters summte.
"Melanie!", rief Paul. "Leg das Handy weg! Hör auf zu quatschen. Das Telefon ist für dich!"
"Paul, geh du ran. Es ist Lenora. Ich muss mit ihr reden."
"Du hast es gewollt", grummelte Paul, indem den Hörer hob und sich meldete: "Malber hier. Unternehmensberatung."
Schweigen antwortete ihm.
"Ist das ein technischer Defekt oder ist da keiner dran?" fragte Paul in den Hörer.
"Ich bin einer der Ehemänner", antwortete die Gegenstimme leise.
Paul räusperte sich: "Bakas Partnervermittlung. Einer unserer Mandanten. Ich bin im Bild."
"Ich will sie nicht überfallen mit meinem Anliegen ...", sagte der Mann.
"Erzählen sie", forderte Paul ihn auf. "Ich werde versuchen, mir alles zu merken."
"Es fing mit diesem Computerspiel an. Sie wissen, wovon ich rede?"
"Bin selbst grad drin", sagte Paul knapp.
"Ich wollte mit jemandem sprechen. Deshalb habe ich mich darauf eingelassen, in dieses Computerspiel zu gehen. Wissen sie, normalerweise kann ich keine Frau ansprechen. Es gelingt mir einfach nicht. Ich überlege zuviel, ehe ich etwas sagen kann. Sie kennen das sicherlich? Es sind die Gedanken, was sie denkt, das ich denke! Jedes Wort ist sofort ganz eingewickelt von diesen Gedanken!"
"Jhmm", sagte Paul.
"In dem Spiel ... wenn ich überlege ... sehen sie, es hält an, bis ich mich entschieden habe. Das ist anders als in der Wirklichkeit. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Wirklichkeit mich aus dem Takt bringen will. Dass eine Absicht dahintersteckt!"
'Was redet der da? Wie soll ich mir solches Zeugs merken?' dachte Paul.
"So habe ich einen Mut gefasst", sagte der Mann. "Ich habe mir eine Frau ausgesucht. Finanziell bin ich der Partnervermittlung nichts schuldig. Aber meine Frau, wie soll ich sagen, ist immer noch in diesem Hotel. Ich bezahle das natürlich. Selbstverständlich. Aber ich habe sie noch nicht getroffen, verstehen sie. Ich habe nur den Portier angerufen und gefragt, wie es ihr geht."
"Und was sagt er?" fragte Paul.
"Es geht ihr gut, sagt der Portier. Aber weiter weiß er nichts. Ich könne sie ruhig in dem Hotel lassen, es sei für alles gesorgt, sagt er. Schließlich sei für eine ganze Woche bezahlt. Und eine weitere Woche sei kein Problem, wenn ich rechtzeitig reservieren würde."
'Mein Vater wird nicht wollen, dass ein Portier seinen verrücktesten Mandanten ausnimmt.' dachte Paul bei sich.
"Wissen sie, es war unbedacht von mir, sie zu heiraten. Ich traue mich nicht einmal sie anzusprechen - wie kann ich sie dann heiraten wollen! Ich hätte die Dame in dem Spiel 'heiraten' sollen - oder wie nennt man das?"
"Sagen wir, die 'Bindpoints' von der Dame übernehmen sollen. Das wäre so der richtige Ausdruck!"
"Moment, ich schreibe mir das auf. 'Bindpoints erwerben', so jetzt habe ich es."
"Hilft aber auch nur dem Portier weiter. Ihre Frau ist damit kein Stück aus dem Hotel raus!"
"Da haben sie recht, völlig recht. Kennen sie keine Methode, die mir helfen könnte …"
"Schon mal über das Spiel versucht?" fragte Paul.
"Hören sie!? Sie ist keine Spielfigur. Sie ist ein richtiger Mensch in einem richtigen Hotel!"
"Ich weiß, wovon sie reden", antwortete Paul begütigend. "Habe selbst drei Kinder. Mein Ältester heiratet morgen!"
"Herzlichen Glückwunsch von mir."
"Werd's ihm ausrichten."
"Sie müssen mir raten. Ich will tun, was sie sagen. Mir fällt ja doch nichts ein, dass nicht -"
"- schalten sie’s über die Hofdame von ihr", unterbrach ihn Paul. "Kleiner Umweg, sicher, aber vielleicht bringt es das. Die Hofdame soll ihrer Frau sagen, dass sie ein Taxi bestellen und zu ihnen nach Hause fahren soll."
"... und sie meinen, das könnte funktionieren?"
"Klar", sagte Paul. "Die Hofdame und ihre Lady sind connected."
"... dann wäre meine Frau bei mir zuhause ... Sie wäre nicht mehr in diesem Hotel! Was für eine schrecklicher Zustand! Wie einsam sie sein muss! Die Hofdame käme zu ihr und würde ihr einen Weg zeigen und gemeinsam -."
"- vergessen sie das Taxi nicht! Wenn sie’s nicht ganz blöd anstellen, geht es klar, dass sie kommt!"
"... und zuhause? Wird sie nicht erwarten, dass ich mit ihr spreche?"
"Lassen sie das Spiel laufen, Mann! Sprechen sie alles mit der Hofdame ab. Denken sie dran, ihre Frau ist connected!"
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"Paul, wer war das?" fragte Melanie. "Du hast mit jemandem am Telefon gesprochen."
"War ein Spinner!" sagte Paul und sah wieder auf den Bildschirm. "Weißt du, Mellie, ist ja alles ganz toll in dem Spiel, eine Wahnsinnsgraphik und so. Aber ich finde und finde keine Aufgabe. Bin schon überall rum. War im Keller, bin auf den Berg hoch, hab im Saal von der Königin rumgesucht. Was für ein Spiel ist das denn, wenn es keine Aufgabe gibt?"
"Vielleicht bist du noch nicht alt genug?"
"Du meinst, die liegen irgendwo zusammen und ...?"
"Nein, Paul, das meine ich nicht! Sicherlich meine ich genau das nicht!"
"Ja, was dann?"
"Die Mädchen suchen jemand, der sie ... lieb hat. Du als Spieler musst dich dem Mädchen nähern, dass sie nicht erschrickt. Du musst die richtige Worte finden. Sie will deine Gedanken lesen können. Die Aufgabe ist es, ihr Herz zu erobern."
"Das ist nicht dein Ernst? Was soll denn das für eine Aufgabe sein!"
"Siehst du, Paul. Ich sage ja, dass du noch nicht alt genug bist."
Paul winkte ab. "Melanie, du hast dir diese Aufgabe gerade in diesem Moment ausgedacht. Ich weiß es!"
"Du verstehst nichts davon, Paul. Wenn du erst einmal älter bist, dann kommt alles von alleine!"
Melanie dachte an ihre Freundin Lenora, die sich so schrecklich verliebt hatte. 'Wenn ich verliebt bin', dachte Melanie, 'dann freue ich mich. Dann heule ich nicht die ganze Zeit.'
Paul glaubte ihr nicht. "Nee, mit dem Alter hat das nichts zu tun ... Das Problem bei dem Spiel ist, dass die Frauen die Aufgabe kennen, aber keiner von den Männern. Kann ja nicht klappen!"
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Kapitel 11
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[Zaras Hofstaat im Computerspiel]
Auf dem großen Tisch stand ein riesiger Korb, auf dem verschiedene Obstsorten geschichtet waren. Davor lag ein hellrot glänzender Hummer. Neben seinen Schere eine Zitrone und eine Orange, deren frisch geschnittene Schale in Streifen herabhing.
Eine Hofdame stand bei der Kamera, während Leonyd mit einer kleinen, hellen Lampe um den Korb herumging und immer aufs Neue fragte: "Glänzt es hier? Wie breitet sich der Glanz aus? Wo hört er auf? Sieht es natürlich aus? Ist er punktförmig oder verläuft er? Fällt das Licht wie auf dem Bild?"
An der Wand über dem Tisch hing das Gemälde eines holländischen Stilllebenmeisters, auf dem der bildgleiche Korb abgebildet war. Der Hintergrund des Bildes war schwarz, aber im Vordergrund strahlte der Obstkorb in allen Farben und Lichtreflexen. Genau solch einen Obstkorb hatte Leonyd auf dem Tisch nachgebaut.
Schon eine Stunde umschlich Leonyd mit Lampe seinen Obstkorb und rief der Hofdame seine Fragen zu. Es ging ihm um die Herstellung natürlicher Lichteffekte. Das war eigentlich nicht schwer. Das Auge ließ sich leicht von triangulären Weißstellen täuschen, wenn diese schnell Ort und ihre Form wechselten. Doch Leonyd wollte das Auge nicht täuschen. Er wollte wie die holländischen Meister den Wechsel von Licht und Oberfläche nachahmen, die Wesenszüge der Lichtwirkung in sein Progamm einbinden.
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"Herold Leonyd", sagte die Fürstin, "es breitet sich Langeweile aus in unserem Hof, kriecht in jede Ritze meines Hofstaates. Sie setzt sich fest in den Augenlidern meiner Hofdamen. Was tust du, dass dies nicht geschieht? Sag es hier vor allen, werter Herold! Was ist dein Mittel gegen die Anreihung der gestrig gestrigen Ereignisse, die uns krank macht?"
Zara hatte den Hofstaat zusammengerufen. Die jungen Damen standen vollzählig ihr zur Seite. Auch aus deren Augen entlud sich Zaras Missfallen mit ihrem Herold.
"Die Schuld liegt nicht bei mir", verteidigte sich Leonyd matt. "Ich hab getan, was ich konnte. Aber die Männer, die kamen ... Hätte ich ihnen den Zugang verwehren sollen? Jeder von ihnen hatte ein Recht, an diesem Hof seine Wahl zu treffen. Jede der Damen wurde der Ordnung nach vergeben. Alles geschah so, wie es gedacht war." Er, der Herold, war die Beschwerden der Mädchen leid.
Doch Zara stellte sich, wenn die Zeit Leerstellen bildete, gern in den Dienst der fremden Sache. "Die Hofdamen hören von den Mädchen, deren Abbild sie sind, nur Klagen." - Eifrig nickten die Damen. Wie froh sie waren, dass Zara dies Anliegen iherer Mädchen vortrug! - "Sie werden vernächlässigt. Eines der Mädchen ist in einem Hotelzimmer vergessen worden, ein anderes bekommt kein Geld für die notwendigsten Kleider, ein drittes Mädchen wird angesehen als eine Dienstmamsel. Keine von ihnen wurde mit Seidenwäsche ausgestattet, wie es früher üblich war!"
In den Augenpaare, die ihn anblickten, fand Leonyd nicht die geringste Gnade!
Er hatte den Zugang programmiert. Gekommen waren die Männer von alleine. Was die Mädchen erlitten - wenn es stimmte - war nicht mehr Sache eines Heroldes. Dennoch verbeugte er sich untertänig, als müsse er Abbitte tun.
'Zara hat nicht das Recht, so zu sprechen!', dachte er bei sich. 'Ich habe jeden ihrer Wünsche befolgt. Sie langweilt sich an sich selbst!'
"Herold", rief ihn Zara aus seinen ungehorsamen Gedanken zu sich. "Morgen kommt ein Mädchen. Lange habe ich auf sie warten müssen. Unsere Kundschafter sagen, sie sei etwas Besonderes geworden." - Missfallen bei den Hofdamen. Ein strenger Blick von Zara wiese sie ins kopfgesenkte Schweigen. - "Es wird so viel gesagt - von allen Meinungen fehlt uns noch die deine!" Eifriges kopferhobenes Nicken.
"Sieh her, Herold!" sagte Zara.
Sie hielt Leonyd ein Foto hin. "Das ist sie. Mit Namen Blusteva. Vor einer Woche ist sie 18 Jahre alt geworden. Aus 'Blusteva' ist 'Blue' geworden. Sie wird kommen. Zu mir, Zara der Fürstin. Morgen wird sie am Flughafen eintreffen. Allein. Keine Kundschafter. Keine Begleitung."
Leonyd hatte aufgemerkt. Er nahm ein Bild entgegen, das Zara ihm reichte.
"Es wurde so oft von ihrer Schönheit geredet, dass ich nicht weiß, was Rede und was Freimut ist." Zara schloss sachte die Augen, um das Mädchen Blue von innen heraus anzusehen.
Beide blieben sie stumm. Zara mit geschlossenen Augen, Leonyd mit Augen, die weit geöffnet waren. Zu lange für Zaras Empfinden blieb Leonyd Herold stumm.
"Sieh sie dir das Bild an. Ist sie das, was die anderen sagen?"
Immer noch betrachtete er das Foto. Schnell wurde Zara ungeduldig. Sie beugte sich vor und wieder zurück. Belegte ihn mit einer Blickmischung aller Gefühle.
"Was ist?" Sie ertrug sein stummstaunendes Schauen nicht.
"Ich bin ein Herold", sagte Leonyd. "Was bin ich, dass ich in einer solchen Frage -"
"- sage, Herold: Was macht ihre Schönheit aus?"
"... es ist das Haar", sagte Leonyd leise. Er betrachtete ununterbrochen das Foto.
"Leonyd, hat es auch dich so verzaubert?" Zara strahlte vor Freude.
"Von allen hier", fuhr er ruhig fort. Seine Bewegung schloss auch Zara ein, "habe ich das Schönste abgebildet und es an diesem Hof in sichere Verwahrung gebracht."
"Das hast du wahrlich", sagte Zara anerkennend. Die Hofdamen nickten beifällig.
"Bei Blusteva wird es mir nicht gelingen!"
Zara lehnte sich zurück. Sie legte den Kopf in den Nacken und schloss wieder die Augen.
"Ich kann dieses Haar nicht abbilden! Wie könnte es mir möglich sein?"
"Ich höre", sagte Zara leise, "auch wenn ich gerade die Augen schließe, um an einem anderen Ort zu sein."
"Ich habe keinen Vorschlag", entgegnet Leony. "Wenn ihr Haar diese Farbe hat, dann werde ich kein bewegtes Abbild finden. Ich brauche eine Textur, auf der das Licht umherwandert. Die habe ich nicht."
"Ihr Haar ist der Wunder voll, nicht wahr?"
"Es ist wie ein Schleier, durchsichtig und fest. Ich habe nur Pixel, die aneinander kratzen."
Zara legte den Finger auf die Lippen. Bat die Mädchen in tiefstes Schweigen.
"Ihr Haar ist der Wind und die Sonne. Ihr Haar ist der Nebel des aufgehenden Tages. Als tanze jemand darin - solchen Schwung besitzt ihr Haar.."
Andächtig war Zara. Still waren die Mädchen mit ihr.
Leise fügte Leonyd hinzu, weiter das Foto betrachtend: "... aber auch das Mädchen ist zum Staunen schön. Ich weiß es nicht zu sagen. Vor ihrem Haar verbeugen sich die Worte, aber vor ihr, dem Mädchen Blue …"
"- also ist auch sie schön!?" schnappte Zara aufspringend.
Leonyd nickte. Er sah nicht Zara an, nur das Mädchen.
"Ich will dein Wortschweigen nicht hören, Lügner und Geck, der du bist!"
Erschrocken wichen die jungen Hofdamen zurück.
"Das Haar ist schön, Fettwanst Herold! Das Mädchen aber ist ein Nichts, ein kümmerlich nichtsgültiges Nichts!"
Zara riss ihm das Foto aus der Hand. "Zerreißt es, ihr Damen. Ich überlass es euch. Tretet und spuckt darauf!"
Das taten die Damen gerne. Genug von dem Mädchen gehört und von seinen windigen Tanzhaaren! Was für Gerede! Was für eitle Verzückung! Was für ein Wortgestapel!
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Kapitel 12
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Die beiden Männer boten einen seltsamen Anblick. Malber war schlank. Selbst im Stehen sah man ihm an, dass er seinen Körper früher trainiert hatte. Sein Anzug war geschäftsmäßig. Der andere Mann war klein, von sackförmiger Gestalt. In den Gängen einer Untergrundbahn hätte er stehen können, aber in einem Flughafen sorgte er und seine Bekleidung für unsichere und auch herablassende Blicke.
"Wissen sie wenigstens, wie sie aussieht?" fragte Malber. "Haben wir kein Foto von ihr? Wir könnte zu zweit nach ihr Ausschau halten."
"Ja, ich werde sie erkennen." Leonyd tippte an seine Schläfe. "Ein Foto gab es, ja … Ich habe mir gemerkt, wie sie aussah."
Malber zuckte die Schulter. Er hatte den Eindruck, dass Leonyd hochgradig fehlsichtig war. Die Fahrt zum Flughafen in Düsseldorf war eine Art Blindflug gewesen. Zum Einparken hatten sie die Sitze tauschen müssen. Malber war entschlossen, auf dem Rückweg das Auto selbst zu steuern.
"Ist sie blond?" fragte Faber. "Wie groß etwa?"
Leonyd hatte sich vergeistigt. Er war nicht ansprechbar.
"Gehört das Auto Bakas?" fragte er.
"Weiß nicht! Welches Auto?", antwortete Leonyd und sah gebannt auf das Ankunftsgate.
"Wir sind mit einem Auto gekommen, das sie gefahren haben. Erinnern sie sich? Ich wollte wissen, ob es Bakas gehört."
"Manchmal sagt er, es gehört ihm. Manchmal sagt er, es ist geliehen. Weiß nicht …"
'Als Gastfahrer werde ich mir konsequent über die Wagenpapiere keine Gedanken machen', dachte Malber.
Leonyd sah ein blondes Mädchen auf sich zukommen. Als sie im Abstand einem halben Meter an ihm vorbeiging, schüttelte er den Kopf und wandte sich ab.
'Die meisten Mädchen auf einem Flughafen haben nicht anderes gelernt, als blond zu sein. Leonyd wird doch nicht jede von ihnen aus Nahdistanz betrachten wollen ...'
Er tippte an Leonyds Schulter. "Sie haben die Ankunft aus Minsk noch nicht aufgerufen! Die junge Dame wird jetzt nicht kommen. Sie ist noch in der Luft, wenn sie mich fragen."
"Dame? - In der Luft? - Ach so, Blue ..."
"Kommen sie", sagte Malber und stieß Leonyd noch einmal an. "Wir setzen uns dorthin, trinken etwas. Wenn die Ankunft aufgerufen wird, haben wir alles im Blick!"
Er schob den Mann rasch an einem Wagen vorbei, der Müll einsammelte.
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Malber trank seinen Kaffee schwarz und ohne Zucker.
Leonyd entschied sich für ein kleines Wasser und zwei Teilchen mit Nougat. Er setzte sich so, dass er unablässig das Gate im Auge hatte. Wenig später lief das Nougat rechts und links in seinen Bart herunter.
"Das neue Konzept schon in Arbeit?" fragte Malber, um sich die Zeit zu verkürzen.
"Größeren Server gebucht. Brauchen mehr Traffic", sagte Leonyd knapp. "Zehnfache Userzahl. Paralleles Streamen. Ist alles geschätzt soweit."
"Die technische Seite habe wir also im Griff", deutete Malber diese Auskunft.
Leonyd biss in das zweite Nougatteilchen.
Malber schob ihm eine Serviette zu.
Der Faden des Gesprächs hatte Leonyd verloren.
Malber nahm den Faden von Leonyds Aufmerksamkeit auf. "Das dauert noch ... etwa 10 Minuten. Da drüben auf der Anzeige steht es: 'Minsk boarding'."
Malber bestellte bei der Kellnerin 2 weitere Nougattteilchen, indem er auf Leonyds Bart zeigte. "Was ist mit dem ... neuen Inhalt?"
"Hmpff?"
"Die Mädchen ... kann ja nicht alles so bleiben?"
"Input der User hab ich abgespeichert. Einfacher jetzt. Alles zweidimensional. Weniger Verzweigung zum Output der Mädchen."
Er hatte Leonyd noch nicht gefragt, wo er herkam. Seine Sprache war makellos Aber es war ein kleiner Einschlag darin, der fremd war. Wo immer Leonyd herkam, es gab dort keine Nougatteilchen, dessen war sich Malber sicher.
"Ich frage mal so, Leonyd … Bakas und Zara kommen aus Weißrussland - kommen sie auch von dort?"
Leonyd nickte. Er steckte den Rest seines Teilchens in dem Mund und murmelte kauend: "Komme von dort, ja. Zara hat mich mit … Hat viel für mich getan … dankbar."
Malber sah ihm interessiert ins Gesicht. Offensichtlich hatte er mit den Nougatteilchen Leonyds Geschmack genau getroffen.
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Als die Ankunftsschleusen für den Flug aus Minsk sich öffneten, standen sie bereits vor dem Gate. Malber hatte sich und Leonyd ein wenig nach vorne gedrängt, da er dessen Sehfähigkeit nicht trauen wollte.
"Die Haare", sagte Leonyd zu sich. "Ich erkenne gewiss die Haare!"
Der Flug aus Minsk brachte sehr hübsche Mädchen und sehr bleichgesichtige, schwitzende Männer hervor. Fast jedes Mädchen hatte langes blondes Haar, dessen Glanz und Wellen auf dem abfallenden Ankunftssteg in Szene gesetzt wurde.
"Die ist es!", flüsterte Leonyd. Er zeigte auf ein Mädchen, das in ihre Richtung schaute.
Aber sie war es nicht, denn sie und ihr Haar tanzten auf einen Blumenstrauß zu, den ein knochendürrer Mann wie einen Schild vor sich hinhielt.
"Hmm", sagte Malber. "Sieht ihr wohl nur ähnlich."
Eine andere war es auch nicht. Nachdem Leonyd sie angesprochen hatte, wurde sie von ihm verächtlich als unähnlich abgetan. Während Malber sich entschuldigte, hatte sich Leonyd längst angewandt.
Malber suchte einen suchenden Blick. Ein Mädchen fiel ihm auf. Sie ging umher und schien niemanden zu finden, der für sie gekommen war.
"Ist sie das vielleicht?" fragte er Leonyd.
"Blue hat langes Haar!" Leonyd war ungehalten ob der Ablenkung. "Diese da trägt kurzes Haard."
"Sie trägt ein Kopftuch", berichtigte ihn Malber behutsam.
Leonyd kniff die Augen zusammen. Das Mädchen kam jetzt auf sie zu. Sie trug ein graues Kopftuch, in dem eine glänzend silberne Haarnadel steckte. Schließlich blieb sie vor ihnen stehen. Genau wie Leonyd kniff sie die Augen ein wenig zusammen.
"Blusteva?" fragte Malber.
Sie nickte ernst.
"Wir - dieser Herr und ich - sind von der Bakas Partnervermittlung beauftragt worden, sie abzuholen", sagte Malber.
"Sie ist es!" flüsterte Leonyd. "Blue hat ihr Haar versteckt. Deshalb konnte ich es nicht erkennen."
Er stellte sich in kurzer Entfernung vor dem Mädchen auf. Solange Leonyd sie betrachtete, solange blickte das Mädchen zurück. Weder sie noch Leonyd verschwendeten einen Blick an ihre Umgebung.
Malber stellte fest, dass sie nicht abgestoßen war von den beiden Nougatrinnsalen, die Leonyds Bart eingetrocknet waren. Überhaupt schien sie Leonyd für die wichtigere Person von ihnen beiden zu halten. Wie sie zu ihrer Entscheidung gekommen war, war Malber rätselhaft.
Blusteva wandte sich zum Gehen. Sie war mit nicht mehr als einer kleinen Schultertasche und einer Haarnadel gekommen.
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Kapitel 13
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"Sie, Herr … sie haben doch gestern dieses Mädchen zu uns gebracht!" Der Mann schrie seine Worte in den Hörer. Malber war geradewegs aus seinem Mittagsschlag aufgewacht. Nun wusste er nicht, was der Mann wollte.
"Helfen sie mir ein wenig …" Malber hatte den Hörer zwischen sein Kissen und das Ohr geklemmt.
"Ich spreche doch mit Nummer …" Der Mann nannte eine Nummer.
Obwohl Malber nicht zugehört hatte, sagte er gedehnt: "Ja …"
"Sagen sie mal pennen sie im Stehen oder was!?"
"Ich habe auf dem anderen Apparat telefoniert …"
"Ich bin der Portier vom 'Bellevue'. Sie waren gestern hier zu zweit und haben ein weißrussisches Mädchen mit Namen … Fräulein Blusteva … bei uns untergebracht."
"Richtig, haben wir", bestätigte Malber. "Ist etwas nicht in Ordnung?"
"Wenn sie das wissen wollen, dann kommen sie schleunigst in die Hufe und sehen sich die Bescherung hier an!"
"Ja, ich komme. Lassen sie mir noch zehn Minuten für mein anderes Telefongespräch. Dann bin ich bei ihnen …" Malber legte den Hörer auf, ohne zu hören zu wollen, was der Mann zu sagen hatte.
Er legte den Kopf zurück und schloss die Augen.
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Sie hatten ein Hotel in der Nähe für Blue gesucht. Leonyd hatte darauf bestanden und gesagt, dies sei auch Zaras Wunsch. Malber hatte ihm nicht recht glauben wollen. Leonyd mochte ein gute Programmierer sein, ein gute Lügner war er nicht.
Das Hotel war für Malber fußläufig zu erreichen. Es sprach also nichts dagegen, ein Zimmer für eine Nacht zu buchen. Malber hatte seine Telefonnummer hinterlegen und einen Ausweis vorgelegen müssen. Das Visum von Blue hatte der Portier nicht einmal angesehen.
Der Portier hatte sie nach ihren Berufen gefragt. Weder 'Unternehmensberater' noch 'Programmierer' sagte dem Portier allzuviel. Blue wurde nicht nach ihrem Beruf gefragt. 'Ich lass das mal offen bei der Dame ...' hatte der Portier gesagt und ihre Begleiter vielsagend angesehen.
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"Sehen sie sich das an!" Der Portier hielt Malber den abgebrochenen Flaschenhals vor das Gesicht. "Es ging alles sehr schnell! Ich stand drüben, wo ich immer stehe. Die beiden Damen kamen herein. Da packte das Mädchen die Flasche und zerschlug sie auf dem Hocker. Sehen sie hier. Alles schwimmt hier! Das ging so schnell, dass ich beim besten Willen nicht ..."
Malber besah sich den Tisch. Keine Spur von Blut. Der Portier sprach also von einem Sachschaden. Malber sah sich in dem leeren Empfangsraum des Hotels um. Ein paar niedrige Tische, eine Bar im fallenden Licht. Es war still und ein wenig kalt.
"Ich habe nur ihren Namen, Herr Malber. Von dem Mädchen habe ich nichts! Da sie kein Wort spricht, muss ich mich an sie wenden wegen dem Schaden, der entstanden ist."
Der Portier blickte Malber unsicher an.
"Hatte Blusteva - das Mädchen - hier gegessen?" fragte Malber. "Sehen sie, werter Herr, ich möchte mir einfach ein Bild machen …"
Der Portier nickte und zeigte auf einen Tisch, der verschoben war. "Hier hat sie gesessen. Das Früstück war vorbei. Aber sie hat noch am Tisch gesessen und vor sich hingeschaut. Solange sie niemanden stört, haben wir nichts dagegen …"
"Blue saß also hier und hat vor sich hingeschaut? So weit kann ich folgen."
"Als sie an ihrem Tisch saß, kamen zwei Damen herein."
"Die Damen kamen herein? Einfach so?"
Der Portier nickte.
"Vielleicht wollten die Damen etwas essen? Aber das Frühstück war ja schon abgeräumt worden. Was können die Damen nur gewollt haben?"
"Weiß nicht."
"Sie geben zu, das ist ein wenig rätselhaft."
Der Portier zuckte die Achsel. "Weiß nicht, was jeder Gast immer macht."
"Die Damen wohnen aber im Hotel?"
"Ich kenne die Damen. Es gab noch nie Anlass zur Klage."
"Wenn sie die Damen kennen und für deren Tugendhaftigkeit einstehen, dann wäre es wohl das Beste, wenn wir die Polizei verständigen, nicht wahr?"
Der Portier hob diesen Vorschlag abwehrend die Hände. "Ich will keinen Ärger."
"Die Sittenpolizei könnten wir verständigen", schlug Malber vor. "Jeder Zweifel die Tugendhaftigkeit der Damen betreffend könnte somit vollständig ausgeräumt werden."
"Es ist doch nichts passiert!" rief der Portier. "Gleich lasse ich den Boden wischen."
Malber nickte zufrieden.
"Sie müssen das Mädchen mitnehmen", flüsterte der Portier. Ängstlich sah er zum Eingang, wo eine Tür zu knarren begonnen hatte, als kündige sie einen Sturm an.
"Sie kommen mit ihren Luden zurück!" Der Portiert fasste Malber ängstlich am Arm. "Ich kenne sie. Wenn sie zurückkomen und das Mädchen noch hier ist, dann ..."
Malber überlegte. Tatsächlich wollte er nicht zwischen einem abgeschlagenen Flaschenhals und zwei örtlichen Zuhältern vermitteln müssen.
"Da ist das Mädchen ja!" Der Portier sah zur Treppe hoch. "Ich habe ihr gesagt, sie soll sich fertig machen. Aber sie hat nichts geantwortet. Ging so ruhig hoch, als sei nichts geschehen … Himmel, hat sie mich doch verstanden!"
Blusteva stand an der Treppe, fertig angezogen, mit ihrer kleinen Schultertasche in der Hand. Gedankenverloren stand sie da. Immerzu trug sie dieses eine Kopftuch.
"Kommen sie", sagte Malber zu ihr. "Ich bringe sie ... Gehen wir erst mal."
"Sie haben noch nicht bezahlt!" rief ihnen der Portier hinterher. "Das geht nicht!"
"In diesem Fall würde ich die Polizei verständigen!", rief Malber durch die Tür zurück, aber der Portier radierte bereits an seinem Namen.
-
Von seinem Autotelefon aus rief Malber bei Petra an. Als sie abnahm, zwinkerte Malber erleichtert dem Mädchen Blue zu.
"Petra, ich habe hier ein Mädchen bei mir. Können wir vielleicht eben bei dir vorbei -"
Petra hatte aufgelegt.
Malber lächelt Blue schief an.
"Sie meint es nicht so", erklärte er.
'Selbst wenn sie es meint', dachte er, 'wir fahren trotzdem!'
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Kapitel 14
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"Du hast ein Mädchen von dir mitgebracht?" rief Petra empört, als sie ausstiegen. "Das du dich das traust! Eine Dreistigkeit ist -"
"Petra", unterbrach Malber sie. "Das ist Blusteva aus Weißrussland. Sie hat keine Bleibe, da habe ich mir gedacht -"
"Wie bitte!? Ich höre wohl nicht recht!? Es gibt genug Hotels in der Stadt, wo du mit ihr -"
"Petra, genau das ist das Problem! Sie war in einem Hotel. Dort ist sie von zwei Zuhältern bedroht worden. Der Portier hat gesagt, sie müsse verschwinden! Mir fiel kein anderer Ort ein. In meinem Büro kann sie nicht schlafen, weil sie nämlich nicht das ist, was du denkst."
Petra betrachtete ihn verächtlich. Dann reichte sie dem Mädchen die Hand. "Ich bin Petra", sagte sie. Das Mädchen sagte nichts. "Komm erst mal herein!"
Malber stieß erleichtert Luft aus, als er hinter den beiden ins Haus ging. Als er die Tür schloss, sah er schnell noch einmal die Straße herunter. Er glaubte zu hören, wie ein Auto laut aufheulte.
"Hat sie sonst nichts dabei?" fragte Petra.
Malber schüttelte den Kopf. "Ich habe sie gestern am Flughafen abgeholt. Das war alles, was sie bei sich hatte."
"Wir geben ihr das Zimmer, wo du früher geschlafen hast ... Na, egal. Das Zimmer bekommt sie. Es ist immer gemacht, für den Fall, dass einmal Gäste kommen." Petra legte ihr die Hand um die Schulter. "Und schließlich ist sie ein Gast, nicht wahr!?"
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Während sie die beiden Frauen die Treppe hochstiegen, sah Malber aus dem Fenster. Was er sah, gefiel ihm nicht. Ein gedrungener astmatischer Sportwagen fuhr langsam die Straße herunter. Zwei Männer suchten die Häuser nach Nummern ab. Schließlich hielten sie vor Petras Haus und stellten den Motor ab. Der eine blieb am Steuer sitzen. Der andere stieg aus. Komplett in Leder gekleidet, die Jacke ein wenig eng an den Schultern, der Schnitt der Hose umstandslos körpernah. Der Mann ragte fast zwei Meter in die Höhe und war auch breit gut gebaut. Er schien unentschlossen. Dann setzte ihn der Mann am Steuer mit einem Zuruf in Bewegung.
Er kam langsam auf das Haus zu. Dann bückte er sich, um zu klingeln. All das sah Malber, der hinter der Gardine stand.
"Petra! Komm runter. Wir haben ein Problem!"
Malber zeigte auf die Tür.
"Sie sind es! Die Zuhälter, die hinter Blusteva her sind!"
Petra sah durch das Guckloch. Der Mann schlug kräftig mit der Faust gegen die Tür.
"Am besten wir rufen die Polizei", flüsterte Malber.
"Nein, das werden wir nicht!", entgegnete Petra streng. "Was sollen wir denen sagen und außerdem ..."
"Es sind zwei!" flüsterte Malber. "Zwei sind es!"
Petra öffnet die Tür. Verdutzt sah der Mann zu ihr herunter.
"Sie wünschen?" fragte Petra streng.
"Ich ... ehm". Er rief nach hinten: "Sie hat aufgemacht, Didi. Die Schnalle will wissen, was wir wünschen."
"Schnalle!?" fauchte Petra. "Ich bin Frau Dr. Blankenburg. Rechtsanwältin am Oberlandesgericht in Düsseldorf, das sie sicherlich kennen dürften, wenn ich ihre Erscheinung richtig einordne!"
"Didi, die redet! Was soll’n ich jetz’ sagen zu der?"
"Wissen sie was?", sagte Petra freundlich. "Wenn ihr Körper nicht in meiner Tür stehen würde, dann könnten wir beide zu ihrem Didi gehen und unser Gespräch ausweiten. Was halten sie davon?"
"Didi, die Schnalle will rüber zu dir!"
"Oh Mann, Hotte, dann lass sie doch. Beweg deinen Hintern und bring sie her!"
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Petra stellte sich direkt vor das Auto. Didi machte keine Anstalten auszusteigen.
"Es reicht ja, wenn einer das Denken übernimmt", stellte Petra freundlich fest.
"Quatsch Hotte nicht dumm an. Ist mein bester Mann!"
"Das ist sicherlich nicht einfach für sie", sagte Petra mitfühlend.
"Hö?" fragte Hotte.
"Freches Maul hast du", stellte Didi fest. "Damit das gleich klar ist: Wir haben kein Problem mit dir, verstehst du?"
"Ich wusste nicht, dass es ein Problem mit irgendjemand gibt!"
"Das Mädchen ist das Problem - hat zwei der Mädchen angegriffen."
"Einfach so oder in Abwehr von Gefahr für ihr Leben?"
"Quatsch nich’! Bring das verfickte Girl raus und mach hier nich’ die Nudel!"
Petra zog ihr Handy aus der Tasche und hielt es hoch.
"Hotte, die ruft nicht die Bullen an!" befahl Didi.
Hotte baute sich vor Petra auf.
"Passen sie auf", sagte Petra zu Hotte. "Ich rufe jetzt diese Nummer an. Sehen sie. Hotte, ich wähle ganz langsam. Zahlen werden sie ja kennen."
Hotte sah angestrengt zu, wie sie wählte.
"Sie können gleich mit ihm sprechen", sagte Petra.
"Hö? Wem sprechen?"
"Hallo, Dr. Blankenburg hier. Ja, alles bestens soweit. Dem geht’s gut. Ich häng mich rein, das kriegen wir schon hin. Sehr dünn, was die Staatsanwaltschaft da hat. ... Worum es geht? ... Ich habe hier ein Problem ... eigentlich habe ich zwei Probleme. Ein Problem ist groß und hört auf den Namen 'Hotte' ... Ja, wie 'Hü'!"
"Hö, Didi, was ‘n das jetz’?"
"Das andere Problem heißt Didi und sitzt in einem schwarzen Sportwagen ... Ja richtig: Glatze, knotige Ohren, das andere habe ich lieber nicht gehört. Ich denk mal, er ist es!"
"Hö?"
Petra reichte das Handy weiter. Didi legte sich das Handy ans Ohr und hörte lange zu.
Währenddessen kratzte sich Hotte andächtig im Schritt.
Didi sagte nichts, nickte nur, schwitzte. Dann klappte er Petras Handy zu.
"Hotte, steig ein! Wir fahren!"
"... ?"
"Wenn du mit willst, Idiot, steig ein, jetzt!"
"Klar will ich mit, Didi!"
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Der Sportwagen röhrte wie außer sich vor der nächsten roten Ampel.
"Da fahren sie hin, meine zwei Probleme", sagte Petra lächelnd.
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Kapitel 15
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"Kinder, eure Mutter hat es mit zwei Zuhältern aufgenommen", sagte Malber. "Ihr könnt stolz auf sie sein!"
Melanie umarmte ihre Mutter. Paul schüttelte ihr kräftig die Hand.
Petra ganz bescheiden: "Ich habe nur ein wenig telefoniert ..."
"Hast du die Polizei angerufen?" fragte Melanie.
"Das wollten sie nicht. Also habe ich jemanden anders angerufen."
"Jemand, der die wirkliche Macht hat!" rief Paul begeistert.
"Paul, diese schrecklichen Spiele immer! Kannst du nicht einmal etwas Vernünftiges sagen?"
"Ein wenig Recht hat er schon …", gab Malber zu bedenken.
"Gut, ich habe jemanden angerufen, vor dem die beiden Angst haben. Ich verteidige seinen Sohn. Beim letzten Treffen hat er mir gesagt: 'Petra Süße' - so nennt er mich - 'wenn du ein Problem hast, lass es mich wissen.' "
"Darf er dich 'Petra Süße' nennen?" Das hätte sich Paul nicht getraut! Der Mann musste große Macht haben.
"Natürlich nicht vor Gericht!" stellte Petra klar. "Aber sonst kann ich es ihm nicht verbieten!"
"Du hast Angst vor ihm, weil er Macht hat!" stellte Paul für sich klar.
"Mutter war sehr mutig", sagte Melanie.
Malber sah sie dankbar an. "Das fand ich auch!"
"In einem richtigen Film geht der Mann raus und erschießt die Bösen", erklärte Paul. "Wenn ich groß bin, gehe ich raus, weil ich der Mann bin. Und wenn meine Frau vor mir rausgeht, dann erschieße ich sie!"
"Was sagen bloß deine Lehrer dazu?" fragte Petra leise.
"Bei uns denken alle Jungens so!"
Melanie rückte ein wenig von ihrer Mutter weg. "Was hätten die Männer mit dem Mädchen gemacht?" fragte sie ängstlich ihren Vater.
Malber überlegte. "Ich habe sie kämpfen sehen. Sie hat gegen zwei andere Mädchen gekämpft."
"Gegen Mädchen, das ist nicht schwer!" befand Paul verächtlich.
Malber stieß ihn an. "Die Mädchen waren aber groß und stark, viel älter. Sie hat eine Flasche am Hals genommen und auf dem Tisch zerschlagen, dann noch eine. So hat sie vor den Mädchen gestanden. In jeder Hand eine Waffe!"
Paul war erstmal sprachlos. "Flaschenhals, geil!"
"Sie hätte die Mädchen töten können ...", sagte Melanie leise zu Paul.
"Klar, logisch! Sie kämpft wie eine Braut des Todes!"
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"Was ist mit dem Mädchen? Sie sitzt auf der Treppe und sagt nichts." Melanie sah fragend ihre Mutter an.
Vier Malbers blickten das schweigsame Mädchen an.
"Melli, sag ihr, sie soll sich zu uns setzen", sagte Petra.
"Ich weiß nicht einmal, wie sie heißt", flüsterte Melanie zurück.
"Sag 'Hallo, Mädchen Süße!' " schlug Paul vor.
"Sie heißt 'Blusteva', soweit ich weiß", so Malber. "In ihrem Pass stehen fremde Buchstaben. Sie benutzen dort eine andere Schrift. Leonyd nennt sie 'Blue'."
"Georg, da ich vermute, dass sie ist ein Besuch von Bakas ist …" - Malber nickte - "... Ist sie eine … du-weißt-schon?"
"Petra, ich weißt es nicht, ehrlich nicht."
"Warum redet ihr schlecht über sie?", sagte Melli streng. "Sie ist ein Mädchen. Ich werde mit ihr sprechen."
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Sie stellte sich vor das Mädchen hin.
Melanie zeigte auf sich. "Hallo, ich bin Melanie. Wie sollen wir dich nennen?" Sie zeigte dem Mädchen, dass sie gemeint war.
Das Mädchen sagte nichts. Sie sah Melanie ruhig an.
"Ich … 'Melanie'. Du …?"
Das Mädchen blieb stumm.
"Bist du … Blue?"
Melanie fand, dass das Mädchen ihr nicht richtig in die Augen sah. Sie sah in ihre Richtung auf etwas, das hinter Melanie lag.
"Ich hoffe für dich, Georg, dass wir keinen Fehler machen!" flüsterte Petra.
Melanie gab ihrer Mutter einen wütenden Blick über die Schulter zurück.
Dann setzte sie sich neben das Mädchen auf die Treppe und nahm ihre Hand. Das Mädchen ließ es geschehen.
"Ich nenne sie 'Blue' ", sagte Melanie. "Ab jetzt ist sie meine Freundin."
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"Wenn Leonyd sie abgeholt hat, ist sie bestimmt eins von den Mädchen aus dem Spiel." Paul sah Blue neugierig an. "Ohne dass Leonyd ihnen die Worte gibt, sagen die Mädchen nichts."
"Paul, redest du von dieser merkwürdigen Frau? Sie hat sich einen Spaß mit euch Kindern erlaubt." Petra sah Malber empört an. 'Siehst du, wieder diese Frau, die du mit den Kinder allein gelassen hast!' besagte ihr Blick.
"Das Spiel hat eine tolle Graphik", sagte Paul. "Leonyd ist ein Genietyp!"
"Zara hat gesagt, dass ein Mädchen seine Schönheit nicht besitzt." Melanie war sich sicher, dass Petra auch dies als Unsinn bezeichnen würde.
"Genau!" rief Paul. "Jetzt weiß ich wieder: Die Schönheit ist so ein Talent, das auf jeden übergehen kann, der genügend Punkte gesammelt hat."
"Paul, was für ein dummes, dummes Spiel!" protestierte Petra.
Paul zuckte die Achsel. "Ich find auch blöd, dass sie keine richtigen Aufgaben haben." Er verdrehte die Augen. "In keinem Spiel benutzen sie 'Schönheit'. Verstehe nicht, was das meinem Charakter bringen soll?"
"Ist Blue 'schön'?" fragte Melanie ihren Vater, als alle geschwiegen hatte.
Malber hob abwehrend die Hände. "Ich finde sie nicht schön. Ich habe sie vom Flughafen abgeholt und in ein Hotel gebracht."
"Finden andere Männer sie schön?" Melnaie ließ nicht locker.
"Ich war mit Leonyd am Flughafen. Er hat sie immerzu angestarrt. Für ihn ist sie schön. Andere Männer haben ihr nachgesehen, glaube ich."
"Mutter, bist du auch schön oder nur mutig?" fragte Paul.
"… Frag deinen Vater!"
"Ja, selbstverständlich ist eure Mutter schön ..."
"Also ist Mutter schön!" Melanie sah Paul trotzig an.
"Aber mutiger als schön", sagte Paul zurück.
'Es ist leichter mit zwei Zuhältern fertig zu werden als mit den eigenen Kindern', dachte Petra.
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Kapitel 16
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[Zaras Hofstaat im Computerspiel]
Zara war gekleidet, als stehe sie einem Kloster vor, nicht einem Fürstenhof. In dem großen mit weichen Ornamenten ausgeschnitzten Sitz wirkte sie verloren. Das warme Braun des Holzes vertrug sich wenig mit dem strengen Schnitt ihres Kleides. Mit weißen Händen hielt sie hohen Lehnen gefasst. Wie eine Äbtissin betrachtete sie die weltlichen Dingen um sie herum mit ihren schmalen verächtlichen Augen.
Eine matte Handbewegung von ihr. Dann trat eines ihrer Mädchen vor.
"Was willst du mir vorbringen?" fragte Zara.
"Mein Wirklichkeitsmädchen lässt mir keine Ruhe. Es heult mir die Ohren voll. Bin ich eine Sklavin dieser Trauerdirne?" Das Mädchen sah sich im Kreis um. Ihre Gefährtinnen zeigten ihre Zustimmung mit Gesten, Nicken, leisen Worten, leeren Blicken.
"Auf diesem Stuhl hier saß mein Bruder Bakas. Es war seine Entscheidung, die Männer aussuchen zu lassen. Sein Wille war es, euch keinen Willen zu lassen. Beschwert euch bei ihm."
"Das können wir nicht! Ist er doch von einer Reise, die zum Verwundern lange dauert, noch nicht zurückgekehrt. An wen sollen wir uns wenden, wenn nicht an euch, die ihr auf seinem Stuhl Platz genommen habt?" rief die Kleinste von ihnen.
Zara wischte diesen Einwand mit einer knappen Bewegung der Hand zur Seite. "Ihr seid Dienerinnen, also dient."
"Wem denn soll ich dienen?" rief eine von ihnen. "Mein Wirklichkeitsmädchen ist verschwunden. Hat sich mir kurz gezeigt mit ein paar Sachen, die sie gepackt hatte, schon war sie fort. Nicht hat sie gesagt, was sie macht und wohin sie geht! Werde welk mit ihr, wenn sie keinen Mann findet oder gar zu viele."
"Wäre froh, wenn meine Suse eine Reise täte! Wenigstens ein paar Schritte könnte sie machen!" rief eine andere dazwischen. "Hab elend schwere Beine von ihrer Sitzerei."
"Meine Wirkliche beklagt sich bei mir oder liegt im Bett und heult für sich! Meine Augen sind ganz rotgeädert, die Haut geschwollen darunter."
"Mein Trinchen hat den Kummerhunger! Seht her, wie ich zugenommen habe!"
"Schluss jetzt! Seid still, ihr ärgert mich!" rief Zara. "Herold Leonyd, komm herein. Tritt vor uns hin. Macht Platz, Dienerinnen. Ja, richtig Platz! An den Rand mit euch!"
Herold Leonyd hielt sich an der Tür fest. Er war wie festgefügt in diesem Rahmen.
"Herold, her mit dir, vor meine Augen!" rief Zara.
Doch Leonyd schüttelte den Kopf und tat keinen Schritt.
Noch einmal rief ihn Zara an, bittend diesmal.
Energisch fest stand Leonyd, wo er stand.
Zara rieb sich die Schläfen. Dann winkte sie einer Dienerin. "Geh dorthin in die Mitte und reiche die Worte, wenn er denn irgendwann zu sprechen beginnt, zwischen uns hin und her!"
Die Dienerin stellte sie horchend in der Mitte zwischen ihnen auf.
"Warum bringt er nicht Blusteva? Fragt ihn das", sagte Zara zu ihrer Dienerin.
"Sie werde Ritter Malber begleiten zu eurem Bruder, dem Fürsten Bakas. Daher sei jetzt keine Zeit, sie herumzuführen, sagt der Herold."
"Herumzuführen?!" Zara schrie dieses Wort. Der Zorn kippte über den Rand ihrer Stimme.
"So sagt er", flüsterte die Dienerin.
"Weiß ich, dummes Ding, dass er das sagt!", herrschte Zara sie an. "Frag ihn, wer das Recht auf Blusteva hat!"
"Er sagt, euer Bruder habe sie sehen wollen. Ritter Malber habe ihm, Leonyd, die Weisung erteilt, dies hier am Hofe euch vorzutragen."
"Ritter Malber! Fürst Bakas!" fauchte Zara rauh. "Was wissen die von meinen Rechten an diesem Mädchen?"
"Der Herold spricht kein Wort!" rief das Mädchen keck herüber.
"Höre, Herold", sprach Zara erschöpft. "Diese Hofdamen hier sind alle die Geschöpfe von Bakas. Er hat sie ausgesucht, hat genommen, was gerade ausreichend gefiel. Still, Mädchen, still da! Kein Mann war schlecht genug für gutes Geld! Das war, wie er den Hof sah und hielt."
"Der Herold sagt, er werde es übermitteln."
"Und übermittle ihm: Mein ist dieses Mädchen Blusteva! Solange dies Mädchen Blusteva das Haar trägt, ist sie mein! Ich habe sie gemacht, ich habe sie hergeholt!"
Der Herold verbeugte sich wortlos. Wem er zu Gehorsam verpflichtet war, sollte nicht hier zu entscheiden sein.
Zara wischte sich ihren Zorn von der Stirn. Sie neigte sich und fragte liebenswürdig: "Wo ist das Mädchen Blusteva jetzt? Wo ist sie untergekommen?"
"Es ist ein kleiner Hof. Kein Fürstenhof in eurem Sinne. Die Frau des Fürsten Malber - immerhin eine von Blankenburg - hat Blusteva gnädig aufgenommen. Dort lebt sie. Es geht ihr gut."
"Ihr Haar - gerät es nicht in falsche Hände?"
"Ein Mädchen ist dortselbst allein für Blusteva da! Ihrem Haar, ihrer Schönheit fehlt es an nichts!"
"Warum kam sie nicht hierher? Was hinderte sie?"
"Es war ein wenig spät am Tag der Ankunft. Wir brachten sie in ein Hotel. Dortselbst aber wurde sie in Händel verwickelt. Schnell musste Herold Malber sie in die Sicherheit der von Blankenburgschen Mauern verbringen."
"Was für Geschichten! Soll ich euch glauben?"
Der Hofdame vom Hin und Her glühte das Köpfchen.
Zara war erschöpft. Ihre Augen brannten. Wenig hatte sie geschlafen. Ruhelos hatte es sie verlangt, das Mädchen und ihr Haar zu sehen, bei sich sicher zu wissen. Sie spürte, dass ihr entglitt, was sie im Besitze wähnte. Sie glaubte ihnen allen nicht. Niemandem.
"Sie wird kommen. Das sei versprochen! Sie hat euch nicht vergessen, Zara die Fürstin." Leonyd verbeugte sich zu seinem Wort.
Zara streckte sich wütend in ihrem Sitz. " 'Sie hat uns nicht vergessen'? … Meine Schönheit stiehlt sie, die diebische Elster! Was tut sie damit, die Schamlose!? Wem gehört sie dann, wenn nicht mir!?"
"Sie verfüge darüber, als sei diese Schönheit nicht fremdes Eigentum, sagt der Herold." So entschuldigend die Hofdame zu Zara.
"Was sie in ihrem dummen Kopf vergessen hat: Ich, Zara, habe sie entdeckt. Meine Augen haben sie gewählt. Da war dies Mädchen noch das dürreste Kind in einem Waisenhaus. Heute wär sie eine arme Magd mit Schwielen an den Händen und blauen Flecken überall, wenn ich sie nicht zur Trägerin dieses Haares gemacht hätte!"
"Herold Leonyd sagt, ihr Haar sei wie ein Wunder der Natur." Die Hofdame schüttelte unwillig den Kopf. Was konnte sie tun, als diese widerspenstigen Worte zu übermitteln?
"Was für ein Unsinn! Alles ist Werk von Menschen, keine Schönheit, die nicht Frauen wie ich aus Unsichtbarem sichtbar schufen!"
Die Dienerin trat zwei Schritte auf Leonyd zu, weil dieser allzu leise sprach.
"Jetzt fragt er kaum hörbar, was nun geschehen solle mit dem Mädchen. Ob sie verheiratet werde wie wir alle hier?"
"Ich habe diese Schönheit nicht für einen Mann, nicht für eine Nacht geschaffen", verkündete Zara laut im Kreis des Hofes. "Für meine Schönheit wird sich dies Mädchen aufheben! Eh es geschieht, dass sie sich wegwirft, werde ich mir zurücknehmen, was mir gehört! Was ihr gehört, ist dann keiner Rede wert!"
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Kapitel 17
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Der Ehemann kam Malber bereits entgegen, als dieser dem Auto entstieg.
"Es ist schön, dass sie sich die Mühe gemacht haben, persönlich zu erscheinen. Wissen sie, ich will keine Anzeige erstatten. Wem ist mit einem teuren nervenaufreibenden Rechtsstreit geholfen? Lassen sie uns alles in Ruhe besprechen."
Gemeinsam gingen sie in das Haus des Mannes. Ein sehr kleiner Vorgarten hinter einer mannshohen dichten Hecke. Das Haus stand auf schmalem Grund, drei Stockwerke in der Höhe unter eigenwillig winkligem Dach.
Ein junger Mann, der sich als Vertreter der Rechtsversicherung des Herrn Tlumich vorstellte, saß bereits in dem engen Wohnzimmer.
"Sie vertreten die Partnervermittlung Bakas?", fragte er, nachdem sie ihre Beine unter den niedrigen Tisch gebracht hatten.
"Ich berate das Unternehmen, so ist es wohl richtig", antwortete Malber.
"Gut, das würde uns ausreichen. Im Augenblick kann Herr Bakas sich nicht selbst vertreten. Seine Schwester Zara haben wir angesprochen, aber es ist im Unklaren, ob sie uns vernünftig -"
Herr Tlumich unterbrach: "- sie hat gesagt, dass die Bakas Partnervermittlung dabei sei, sie um ihren ganzen Besitz zu bringen! Sie sagte, ihr werde ein Mädchen vorenthalten, dessen Schönheit sie besitze!"
Der Rechtsvertreter hob die Hand, um weitersprechen zu können. "Das klang alles recht verworren -"
"- auch mir wurde meine Frau und ihre Schönheit genommen! Da sehe ich nicht, was daran verworren sein sollte!"
Der Rechtsvertreter schwieg genervt, bis der Ehemann sich ausgeredet hatte. Der ganze Tisch vor ihnen war bedeckt mit den Bildern einer Frau, in allen möglichen Posen, meist wenig bekleidet. Ein Foto lag mit der Rückseite nach oben auf dem Tisch.
"Was ist geschehen? Worum geht es?", fragte Malber.
"Meine Frau ist verschwunden!" rief Herr Tlumich und sprang auf, dass mehrere Fotos zu Boden segelten. "Wir saßen zusammen, haben uns angesehen, die Fotos betrachtet, die hier liegen. Am nächsten Morgen war sie verschwunden mit allen ihren Sachen!"
"Sie könnte vorübergehend verschwunden sein", schlug Malber vor.
"Sie hat das gute Nageleteui von meiner Mutter mitgenommen!"
"Sie könnte es verwechselt haben", gab der Rechtsvertreter zu bedenken.
"Unmöglich!" rief Herr Tlumich. "Meine Frau hatte doch selbst nichts. Alles, was sie hier sehen, ist von meiner Mutter auf mich übergegangen. In jedem Gegenstand steckt eine Erinnerung an mich oder meine Mutter. Außer dem Laptop dort habe ich nichts neu gekauft, seit meine Mutter vor mir …"
Der Rechtsvetreter hatte genervt einige Fotos gefasst, den er als Stapel auf dem Tisch aufklacken ließ. "Wenn wir als Annahme davon ausgehen, dass die Frau des Herrn Tlumich endgültig aus Ehe verschwunden ist ... Wie würde sich die Partnervermittlung Bakas in einem solchen Fall verhalten?"
"Wir sind nur vermittelnd tätig", antwortete Malber. "Was danach in der geschlossenen Ehe geschieht ... darauf haben wir keinen Einfluss, wenn ich so sagen darf."
"Ich habe viele Geld bezahlt!" - Er suchte blätternd in seinen Kontounterlagen, die er neben sich liegen hatte. - "Ich finde es jetzt nicht, aber ich kann es ihnen zeigen, wenn sie nur -"
"- wir glauben ihnen auch so", so der Rechtsvertreter.
Malber nickte.
"Sie ist gar nicht richtig in meinen Besitz übergegangen! Das ist, was ich ihnen sagen will!" rief Herr Tlumich. Dabei sprang er auf, der Tisch kippte. Jetzt lagen sämtliche Fotos auf dem Boden. Entgeistert starrte Herr Tlumich auf die leere Tischplatte, als sei seine Frau für ihn in diesem Augenblick endgültig verschwunden.
"Sie ist keine Sache, die sie besitzen können", sagte Malber ärgerlich.
"Haben sie für ihre Frau bezahlt?" fragte Herr Tlumich erregt. Ein knochiger Finger bohrte sich Malber entgegen.
"Nein, ich habe nicht bezahlt", antwortete Malber und dachte: 'Ich habe nicht einmal für die Scheidung bezahlt.'
"Wenn sie verschwunden ist, dann ist ihnen kein materieller Verlust entstanden! Da gibt es nichts, worüber sie sich beschweren könnten. Ich aber ..." Tlumich warf die Hände in die Luft.
"Es gibt einen Verlust, der nicht materieller Art ist", gab Malber zu bedenken.
"Der Verlust meiner Mutter ist ein solcher! Ich verstehe vollkommen, was sie meinen. Kein Geld der Welt könnte mir diesen Verlust aufwiegen! Aber diese fremde Frau kannte ich doch nicht - von außen nur, nicht einmal aus der Nähe!" Er blätterte suchend in seinen Kontoauszügen.
"Wir vermitteln ihnen einen Partner und damit die Möglichkeit, ihn kennen und lieben zu lernen", versuchte Malber zu erklären.
" 'Gebrauch nicht lügnerisch leere Worte', würde meine Mutter ihnen jetzt sagen. Sie haben mir keinen Partner vermittelt! Soll ich für ein paar Fotos bezahlt haben?" Er betrachtete die Fotos, die am Boden unter ihm lagen.
"Sie hatten die Auswahl unter den Mädchen. Anhand dieser Fotos. Sie hatten die Möglichkeit, sich ein wenig kennenzulernen. Sie hätten sich gegen sie entscheiden können! Dazu diente die Begegnung im Computerspiel."
"Ich gebe ihnen recht: Es war eine wunderbare Zeit, die wir hatten. Ich habe Aufgaben gelöst - darin bin ich wirklich gut - sogar gekämpft, um meine Frau zu zurückzuerobern. Wir haben uns unterhalten, wie ich noch nie -"
Klick-Klack machen die Schlösser der Aktentasche.
"- ich habe Aufgaben gelöst mit ihr. Seitdem spiele ich am Computer" - er zog einen Laptop unter dem Tisch hervor - "... jetzt natürlich alleine. Aber es gibt soviele Spiele, die ich alleine viel besser spielen kann."
Klick-Klack.
"Seitdem ich am Computer spiele, habe ich soviele Menschen kennengelernt ... Ich frage mich ehrlich, ob meine Frau mir mehr bedeutet hätte. Ich frage mich ehrlich, ob eine wirkliche Frau lebenstechnisch sein muss. Ich spreche natürlich nur für mich. Verstehen sie mich nicht falsch!"
"Herr Tlumich, ich würde ihnen wirklich gerne helfen …" sagte Malber kraftlos.
Klick-Klick.
"Ich will ihnen doch nur erklären, dass meine Frau nicht vollständig eingezogen ist. Ich habe sie quasi" - er wischte mit einem Tuch den Boden seiner Kaffeetasse aus - "nicht einmal in Gebrauch genommen - entschuldigen sie, dass ich kein anderes Wort finde - es ist, als wäre sie noch dort, wo sie herkam. Wäre es da nicht angemessen, wenn -"
"Kurz gesagt", schaltete sich der Rechtsverteter ein , "Herr Tlumich, wenn ich ihn recht verstehe, möchte seinen Kaufpreis zurückerstattet bekommen."
Herr Tlumich nickte mehrmals bekräftigend. "Sehen sie, es ist das Geld, das ich von meiner Mutter geerbt habe. Ich habe ein schlechtes Gefühl ihrem Andenken gegenüber. Sie hat mich so ermahnt, darauf achtzugeben!" Herr Tlumich sah sah mit leeren Augen in den ausgewischten Tassenboden.
"Sehen sie", sagte Malber sanft. "Rein rechtlich - selbst wenn sie, Herr Tlumich, recht hätten - müsste ihre Frau zurück in unseren Besitz gelangen, damit eine Rückerstattung ihrer Zahlung möglich wäre."
Der Vertreter der Rechtsversicherung hüstelte und ließ die Schlösser seiner Aktentasche auf- und zuschnappen.
"Sie meinen, solange die Frau verschwunden bleibt, kann ich das Geld nicht zurückbekommen ..."
"So ist es wohl", sagte Malber.
Der Vetreter der Rechtsversicherung streckte ihm bereits die Hand entgegen.
Herr Tlumich beachtete seine Gegenüber nicht mehr. Er kniete auf dem Boden und sammelte, unverständlich klagend, die Fotos ein.
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Kapitel 18
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Es hatte geklingelt. Als Melanie die Tür öffnete, sah sie einen kleinen Mann mit einem runden Kopf ohne Haare, der vor einer größeren Frau mit starker, schwarzumrandeter Brille stand.
"Sind deine Eltern da?" fragte die Frau.
"Ich komme von der Zeitung. Dies ist meine Kollegin vom Bildressort", sagte der Mann.
"Wer ist es, Melanie?" rief Paul von hinten.
"Komm zur Tür!" rief Melanie zurück.
Der Mann hatte einen Schreibblock hervorgeholt. "Ich möchte ein Interview mit einer Frau Blusteva machen. Meine Kollegin vom Bildressort beabsichtigt, einige Fotos zu machen." Die Frau zeigte Melanie ihre Kamera.
"Ich weiß nicht ...", sagte Melanie.
Paul stand neben ihr. "Sie können reinkommen, aber unsere Eltern sind nicht da."
"Wenn Frau Blusteva da ist, reicht uns das vollkommen", sagte der Mann sanft.
"Sie heißt 'Blue' ", verbesserte Paul ihn.
Der Mann schrieb sich den Namen auf seinen Block.
"Ich heiße Paul Malber. Hol Blue doch runter, Mellie!" Er stieß Melanie an und erklärte: "Sie heißt eigentlich Melanie. Ist meine Schwester."
Während Melanie nach oben ging, führte Paul seine Besucher zum Wohnzimmer. "Meine Mutter würde sagen: 'Setzen sie sich doch.' "
"... und was würdest du sagen?" fragte die Frau lächelnd.
"Ich sag nur was, wenn ich es auch meine!"
Der Mann setzte sich auf die Lehne des Sofas. Die Frau schraubte ein Stativ auseinander und stellte die Kamera auf.
"Wie lange ist ... Blue schon bei euch?" fragte der Mann ihn.
"Seit sie den Kampf in dem Hotel hatte. Jetzt hat jeder Angst vor ihr." Paul führte eine Stichbewegung aus.
"Da kommt sie!" Die Frau richtete ihre Kamera auf die Treppe. "Bleib mal auf halber Höhe - so - etwas drehen - ja!" Dann klickte ihre Kamera schnell hintereinander.
Melanie führte Blue in die Mitte des Zimmers. Dort kämmte sie vorsichtig durch das Haar.
Die Fotografin betrachtete die Bilder, die sie gemacht hatte. Sie drehte an verschiedenen Einstellung. War nicht zufrieden, wie es schien. "Ihr Haar ist sehr hell", sagte sie, als trage Blue eine Schuld daran.
"Vielleicht soll ich sie woanders ..." Melanie drehte Blue ein wenig.
-
"Ich komme rum", sagte die Fotografin. Sie trat nah an Blue, nahm das Haar in die Hand und las an einem kleinen Gerät die Werte ab. "Wie soll das werden? Ist weder richtig weiß, noch eigentlich blond. Schön ist es ja, aber die Farbwerte sind im Grenzbereich!"
Melanie strich Blues Haar mit einer Bürste über die Schulter nach vorne. "Ist es nicht wunderschönes Haar?" fragte sie in die Runde.
Paul stöhnte hinter seinem Computer.
"Sehr hell, sehr voll", stellte die Fotografin fest. "Das Gesicht konturlos und schmal, das perfekte Haargesicht eben."
Melanie strahlte stolz. Sie stellte sich neben die Fotografin und betrachtete Blue von dort. Dann nickte sie sehr einvernehmlich.
"Meine Güte!", rief Paul hinter seinem Computer hervor. "Sie ist eine Kriegerin! Ihr tut grad so, als sei sie eins von den komischen Kleidermodels!"
"- ich würde gerne zum Interview kommen!", sagte der Mann mit dem Schreibblock, als habe er auf Pauls Unterstützung gewartet. Auf seiner Glatze hatte der Schweiß sichtbar Perlen gebildet.
"Kriegerin ...", flüsterte die Fotografin nachdenklich. "... der Körper in Bewegung, das Haar im Gegenschwung ... Melanie, lass sie einige Bewegungen machen!"
Melanie stellte sich vor Blue auf. Aber dann wusste sie nicht weiter.
Paul schob sie zur Seite und vollführte vor Blue einige seiner Kampfposen. Jetzt verstand Blue, was verlangt wurde, und nahm die Gegenposen ein. Blue bewegte sich so schnell und flüssig, dass Paul völlig durcheinander kam.
"Yes", sagte die Fotografin, "that’s it! I got it!"
"Ich sag ja, Blue ist eine Kriegerin", sagte Paul schwer atmend.
Der Mann deutete auf den Sessel, der vor ihm stand. "Ich würde ihr jetzt gerne ein paar Fragen stellen!"
Melanie sah Paul ratlos an.
"Na ja", sagte Paul, "reden tut sie eigentlich nicht viel ... hat überhaupt noch nichts gesagt, kein einziges Wort, nicht wahr, Mellie?"
Melanie schüttelte den Kopf.
"Sie sagt nichts - kein einziges Wort?" fragte der Mann erstaunt.
"Sie ist Weißrussin und stumm", sagte Melanie.
"Wir wissen ungefähr, was sie denkt." Langsam hatte Paul dem Mann sein Angebot hingeschoben. "Fragen sie einfach uns!"
"Hmm."
"Von Blue so stumm wie sie ist, kriegen sie kein Interview, niemals!"
Der Mann sah seine Fotografin an. "Sollen wir es versuchen?" Sie nickte ihm zu.
Paul führte Blue zu dem Sessel. Melanie setzte sich auf die linke Lehne, er auf die rechte. So umrahmten sie die tief in die Polsterung eingesunkene Blue.
"Frau Blusteva, ich darf sie 'Blue' nennen?"
"Klar, kein Problem", sagte Paul.
Der Mann schrieb.
"Unsere Leser interessiert, wie es zu dem Kampf in ihrem Hotel gekommen ist."
"Ich wurde von zwei Mädchen, die viel größer und stärker als ich waren, überfallen. Da musste ich mich wehren und dann -", begann Melanie.
"- quatsch nicht so eine Soße", unterbrach sie Paul. "Ich fang nochmal an: Ich bin Blusteva von Hollhallak - so heißt unsere Burg in Weißrussland. Dort wuchs ich glücklich auf, bis mein Onkel meine Eltern tötete und alle meine Diener und sogar meine Schwester. Da musste ich fliehen. So bin ich nach Deutschland gekommen. Aber auch hier verfolgt mein Onkel mich, weil ich Erbin von Hollhallak bin und er Angst hat, dass ich ihn eines Tages töten … schreiben sie nicht mit?"
"Oh, wenn ich mir etwas gut merken, kann dann brauche ich nichts aufzuschreiben." Der ganze kahle Kopf verzog sich, als der Mann lächelte.
Paul sah ihn mißtrauisch an. Besonders mißfiel ihm, das die Fotografin ihr Gesicht zur Wand gedreht hatte.
"Haben sie, Blue, keine Angst, dass ihnen etwas zustößt?" fragte der Mann den Sessel.
"Ja, ich habe Angst", antwortete Melanie. "Ich bin froh, dass ich in Sicherheit bin. Ich hoffe, dass die beiden Mädchen von der Polizei festgenommen werden, damit sie mir nicht mehr auflauern können."
Der Mann schrieb fertig und wartete.
"Schreiben sie doch, was Melli sagt", sagte Paul trotzig. "Ich krieg ‘ne richtige Nadelhaut, wenn ich das hör. Total packend! Ich sag ihnen, Blue hat nur Angst, weil Melli immer Angst hat!"
"Was glaubst du, Paul?" fragte der Mann sanft.
"Blue hat keine Angst vor denen! Sie hat die Mädchen beinahe getötet. Sie hat zwei Flaschen auf einer Tischkante zerschlagen und mit dem Flaschenhals - so - gekämpft. Dann hat sie eine lange Nadel gezogen - eine versteckte Waffe, die sofort tödlich ist - und da sind die Mädchen natürlich geflohen. Jetzt sind es die Mädchen, die Angst haben. Blue ist eine Rächerin. Wenn sie die Mädchen, die ihr Onkel aus Hollhallak geschickt hat, tötet, dann wird er noch mehr Angst bekommen. Der Onkel muss den Zauberer von Urch schicken. Nur er kann Blue besiegen. Einer von beiden wird getötet werden. Der Zauberer besitzt viele Kräfte, Blue kämpft mit einer tödlichen Nadel. Und der Zauberer weiß nicht, wie stark Blue geworden ist."
Der Mann schrieb jetzt eifrig mit.
"Wie stellen sie sich ihre Zukunft in diesem Land vor?" fragte er Paul.
"Ich werde mit dem Zauberer kämpfen. Er ist sehr stark und wird mein Haar - tschukk - mit seinem starken Schwert abschneiden. Wenn der Zauberer sich als Sieger fühlt, wird er sich nach denen umschauen, die dem Kampf zugesehen haben. In diesem Moment werde ich ihn erstechen. Meine Nadel wird sich in seinen Hals bohren. So tief und glatt, dass kein Blut austritt. Er wird in sich zusammenfallen. Nur seine Kleider werden von ihm übrig sein. Alle werden denken, ich hätte ihn mit einer Berührung getötet und verschwinden lassen. Ich werde nicht mehr schön sein, weil ja die Haare weg sind, aber das ist egal, weil ich jetzt sehr mächtig bin."
Die Fotografin sah Paul entsetzt an. Der Mann hatte wieder nicht mitgeschrieben.
"Melli, du bist dran" sagte Paul verächtlich.
"Wenn ein Mann mich wirklich liebt" - Melanie sah mitfühlend auf die Blue neben ihr- "dann werde ich ihn ebensosehr lieben. Er wird mich lieben als Mensch - nicht nur wegen meiner Haare. Wir werden glücklich sein und in einem schönen Haus wohnen. Vielleicht bekommen wir auch zwei Kinder, ein Mädchen und einen kleinen Jungen mit Namen ..."
"Hucha und Zonk", schlug Paul vor.
Aber Melanie beachtete ihn nicht. "Irgendwann, wenn ich ganz glücklich bin, werde ich anfangen zu sprechen. Und alle werden merken, dass ich nicht sprechen konnte, weil ich so unglücklich war."
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Kapitel 19
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[Zaras Hofstaat im Computerspiel]
Zara hatte sich von ihrem Sitz erhoben. Das lange schwarze Kleid bedeckte ihre Füße und die erste Treppe des Fürstenthrones. Stehend erschien sie klein und zerbrechlich. Raumgreifend waren die dunkle Stimme und die tiefschwarzen Augen. Sie trug heute keine Kopfbedeckung, hatte ihr Haar so kurz geschnitten, dass die helle Kopfhaut hindurchschien.
"Meine Damen, unser Herold erstattet uns Besuch. Gebt ihm den Applaus, den er sich verdient hat."
Die Damen traten leise klatschend hinter ihrem Thron hervor.
Zara ging die drei Treppen ihre Thrones langsam herunter. Sie trat wie ein Hauch von Kälte in die Mitte ihrer weißgekleideten Damen.
"Ich führe Ritter Malber zu euch", sagte Leonyd. "Er bittet vorgelassen zu werden."
Sie ging in Leonyds Rücken und sprach ihn von dort an. "Er kommt spät, als sei sein Kommen nicht freiwillig."
"Ich fand ihn hier nicht und fand ihn dort nicht. Schließlich musste ich euren Bruder, den Fürsten Bakas, bemühen. Ritter Malber ist auf seine Anweisung hin hergekommen."
"Ich will ihm gegenüber sitzen, an unserem langen Tische dort", befahl Zara. "Wenn er sitzt, bindet ihm die Füße, meine Damen, macht die Hände auf seinem Rücken fest, dass er mich ansehen muss. Räumt eure Stühle beiseite."
Sie trat an das Kopfende des langen Tisches, der den gemeinsamen Mahlzeiten diente. Helles Glanz lag auf der schwarzen Oberfläche. Mit einem düsteren Blick verscheuchte sie das Licht. Dann setzte sie sich, streng aufgerichtet.
Ritter Malber wurde hereingeführt. Zwei der Damen begleiteten ihn zum Tisch. Willig ließ sich Ritter Malber festbinden. Sie waren ungeschickt. Eine duftete zitronenhell.
"Euer Bruder schickt mich", sagte Malber. "Auf sein Wort hin bin ich hier."
"Schön", sagte Zara und schwieg wieder.
"Wie geht es ihm?"
"Fürst Bakas hat sich eingelebt. Ihm fehlt es an nichts. Es kann kein Dauerzustand sein, aber es dauert."
"Wir vermissen ihn, unseren innnigst geschätzten Bruder, nicht wahr?"
Einige der Damen nickten wenig.
Malber nahm ihre Worte freundlich auf.
"Euer Bruder sagt, ihr sorgt euch um Blusteva."
Ein Blick von Malber zu der zitronenhellen Damen deutete ihr an, dass sich die Rückenfessel zu lösen begann.
"Mein Bruder sorgt sich um meine Sorge …" Eine weiße Hand presste die Tischplatte vor ihr. "Wo ist Blusteva? Sagt es mir!"
"Sie ist zu Besuch am Hof der von Blankenburg. Dort fand sie Aufnahme. Jedermann rühmt ihre Schönheit. Die Kunde verbreitet sich von Hof zu Hof."
"Nur zu meinem Hof drang keine Kunde", stellte Zara fest. Eine zweite Hand presste die Tischplatte. "Warum nicht?"
Zitronenhell beschäftigte sich vornübergebeugt mit Malbers Fesseln.
"Warum kommt keine Kunde? Ritter Malber, habe ich eure Aufmerksamkeit?"
Leonyd trat dazu und verscheuchte das Mädchen.
"Ihr wohnt etwas abgelegen", so Malber nach einem Bedenken. "Ich bin gerne hier, aber von sonstwem habt ihr wenig Besuch."
"Der Hof der von Blankenburg, was ist das!?" stieß Zara verächtlich aus. "Selbst ernannter Adel, sonst nichts!" Schwarzglänzende Blicke.
"Sie fühlt sich wohl dort und ist in Sicherheit."
"In Sicherheit? Vor mir?" Zara suchte die Blicke ihrer Hofdamen ab, ob eine von ihnen dies Ungeheuerliche glauben wollte.
"Nicht vor euch, Fürstin Zara. Sie wurde von zwei wegelagernden Räuberinnen überfallen. Hat sich standhaft gewehrt. Doch fürchten wir um ihre Sicherheit noch!"
"Da, wo Blusteva herkommt, gibt es ganz andere Dinge zu fürchten als Räuberinnen!" sagte Zara düster. "Fürchtet eher um das Leben dieser lagernden Damen …"
"Ich weiß jetzt, dass sie wehrhaft ist", sagte Ritter Malber sanft. "Es war eine Vorsicht, die uns anhielt, sie aufzunehmen."
"Ihr wisst nichts!" herrschte Zara ihn an. "Aber ihr denkt, dass ihr wisst! Es genügt euch anzuklopfen an der Tür des Wissens. Dort zu stehen genügt euch!"
Ritter Malber, ein Lächeln.
"Ihr erinnert mich an jemand", sagte Zara in sich hineinhorchend. "Diese sanft glänzende Glätte, die einen leeren Kern umhüllt …"
Ritter Malber, ein fragender Blick.
"Was wisst ihr von Weißrussland? "
Ritter Malber, ein Kopfschütteln.
"Es ist ein grausiges Land, um geboren zu sein. Menschen werden Unmenschen dort, und nie wieder Menschen! Bluttrinker, Untote, Fluchbeladene, Geister aus dem Nebel giftiger Flüsse ohne Namen. Ich bin als 'Zara' geboren, Blusteva als ein Nichtsding dort eingegangen. Weißrussland ist schrecklicher als jeder Aberglaube."
Ritter Malber fragte sich freundlich, was noch kommen würde..
"Ich habe Blusteva gekauft, wusstest ihr das?" Zara sah ihn an, gedankenfern.
Ritter Malber wusste es nicht. Er nahm dieses Wissen mit ehrlich-stummem Erstaunen auf.
"Ich weiß, an wen ihr mich erinnert", sagte Zara leise. " Ihr, Ritter Malber, seid wie der Menschenkoch, den ich auf meiner Reise traf."
"Menschenkoch? Ich?"
"Unter allen Ungeheuern und Schreckensfratzen im Schrecklichen Land ist er ein Treugesicht und Wackerherz. Niemandem sonst hätte ich ein Versprechen - nichts als Luft - und ein Kindchen ohne Eltern abgekauft!"
Ritter Malber suchte die Blicke von Zitronenhell.
"Euch, Menschenkoch Malber, habe ich Blusteva abgekauft. Ein dürres bisschen Zubereitung war sie für euch. Mehr als ersetzbar durch das Ferkel, das ich euch gab." Zara sah in die Runde der Damen und zu Leonyd. "Ein Menschenkoch ist er!"
Ritter Malber, der Menschenkoch, ein Lächeln aus zwei Hälften.
"Ihr verspracht mir eine Schönheit, die mit dem Kind heranwachsen würde, die ihr angerichtet nach geheimem Rezept. Eine Schönheit des Haares … wenn ich nur geduldig warten würde. Erinnert ihr euch an dies Versprechen nicht?"
Der Menschenkoch suchte in einer Vergangenheit.
"Wollt ihr mich nun bringen um mein Eigentum? Verlasst ihr euch darauf, dass mir die Erinnerung an euer Wort fehlt. Dies wäre ein schamloses, schmachvolles Spiel, Herr Menschenkoch!" Zara senkte den Kopf und strich mit der Hand von vorne nach hinten und wieder zurück über die fast kahle Kopfhaut.
"Ich will die Zeit nicht treiben, würde aber gerne fragen, wie wir verbleiben können?", fragte freundlich der Menschenkoch.
Zara erhob sich von ihrem Platz. Gedankenfern, gehüllt in schwarze Müdigkeit.
"Geht", sagte Zara. "Ihr seid ein schlechter Mensch, der Schlechtes zu Schlechtem häuft."
Sie drehte ihm den Rücken zu, um nicht sehen zu müssen, wie die Dame Zitronenhell den Ritter Malber losband.
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Kapitel 20
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Als es klingelte, sprang Paul auf. "Ich gehe schon, Mellie. Lass mich nur machen!" rief er.
Verwundert blickte Melanie zur Tür. Welcher Gast konnte so wichtig sein, dass Paul sich für ihn von seinem Computer trennte?
In der Tür stand ein Mann, der aussah wie ein kleiner Bär. Um eine kugelige Bauchform waren krumme Beine, kurze Arme und ein behaarter Kopf ohne Hals angeordnet.
"Das ist Leonyd", stellte Paul den Mann vor.
Er schüttelte Melanie die Hand.
'Was immer Paul sagt: Wenn er brummt, ist er ein Bär', dachte Melanie.
"Er ist ein Genie", sagte Paul.
'Oder ein Bär', dachte Melanie.
Leonyd sah sich suchend im Zimmer um.
"Er arbeitet für Bakas, den Mandanten von Vater. Er programmiert das Computerspiel!" flüsterte Paul ihr zu.
Immer noch wortlos stand Leonyd in der Mitte des Wohnzimmer. Auf dem Teppich versteckten sich Fabelwesen in Blumengirlanden.
"Ich zeige ihm dann meinen Computer", sagte Paul. "Er interessiert sich sowieso nur dafür!"
"Ich werde Blue holen", sagte Melanie und sah verwundert, wie Pauls Computergenie an den wenigen sichtbaren Hautstellen errötete.
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Blue schlief auf ihrem Bett zusamengerollt wie eine Katze. Nie waren ihre Augen beim Schlafen ganz geschlossen. Es war eine seltsamer Wachhalbschlaf. Auch jetzt lag sie ruhig, aber die grauen Augen hatten sich vegrößert.
'Niemals spricht sie, bewegt nicht die Lippen, als kenne sie nicht einmal fremde Worte. Ohne Sprache - was für ein einsamer Mensch sie ist!', dachte Melanie. Sie streichelte Blue über das lange Haar, die reglos liegen blieb, als träume sie weiter in wortlosen Träumen.
"Komm", sagte Melanie, "es ist jemand da, der dich sehen will." Aber weil Blue nicht verstand, nahm Melanie ihre Hand und zeigte zur Tür.
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Als Blue die Treppe herunterkam, saß Paul bereits wieder an seinem Bildschirmstand. Aber er war dort allein. Leonyd hatte sich nicht von seinem Platz bewegt und sah hoch, wie Blue die Treppe herunterschritt, weich, samtig. Wie immer setzte sie sich auf die unterste Stufe, als hätte sie das Sitzen auf Stühlen nicht gelernt.
"Blue ... da ist sie", sagte Leonyd zu sich. "Wie schön sie ist."
'Wenn sie ihn nicht versteht, kann er sagen, was er will', dachte Melanie. 'Nicht dumm von diesem Halbbären.'
"Zara wird dich von Malber holen lassen, Blue. Was soll ich nur machen?" Leonyd wirkte tief betrübt. Seine Arme an seine anfallenden Schultern herunter. Nichts an ihm hielt sich aufrecht.
"Ich habe alles versucht, dich davor zu bewahren. Ich habe dich hier untergebracht. Ich habe gelogen. Ich habe Ausflüchte gesucht. Ich habe verzögert. so gut ich konnte. Doch nun … 'Da du sie nicht holst', hat Zara gesagt, 'wird es ein anderen tun an deiner Stelle.' "
"Was redet er?", fragte Melanie. "Du kennst ihn doch, Paul."
"Zara ist die Fürstin in seinem Spiel. Dort ist er Herold. Sie hat ihm den Auftrag gegeben, Blue zu ihr zu bringen. Aber er hat ihr nicht gehorcht. Jetzt wird dein Vater deine Freundin zu Zara bringen, wenn er es nicht tut."
"Aber ich will nicht, dass Blue geht!" rief Melanie und sah Leonyd entsetzt an.
"Irgendwas müsst ihr euch einfallen lassen ...", sagte Paul. Er gähnte und schaute wieder auf seinen Bildschirm.
Melanie setzte sich neben Blue und legte ihrer Freundin den Arm um die Schulter. Mitleidig betrachtete sie Leonyd, der in sich zusammengesackt war.
"Was mache ich nur …" flüsterte er immer wieder vor sich hin.
"Wenn dir nichts einfällt, dann kannst du ja gegen mich spielen!" rief Paul von hinten.
Aber Leonyd hörte ihm nicht zu. Er saß auf dem Teppich und ließ die Arme zwischen die gestreckten Beine fallen. Langsam wiegte der Körper hin und her.
'Wie ein Bär', dachte Melanie.
"Ich will nicht, dass Blue unglücklich wird wie die anderen Mädchen. Eher werde ich mit ihr fliehen, als dass ich sie dort abliefere."
"Leonyd, du bist Computerexperte … was wird aus deinem Spiel, wenn du fliehst!?" Paul blickte verständnislos hinter seinem Bildschirm hervor.
Melanie sah ihren Bruder empört an. Sie hatte gedacht, Leonyd sei sein Freund. Da musste er doch verstehen, wie furchtbar sich sein Freund in Blue verliebt hatte.
"Ich weiß nicht weiter", sagte Leonyd. Krumm war sein Rücken und gebeugt sein haariger Kopf.
Paul rollte sich mit dem Drehstuhl hinter seinem Bildschirm hervor. Blue kam an Leonyds Seite und streichelte ihm über den Kopf.
Melanie dachte: 'Wie süß die beiden sind! Ich wünschte, ich könnte ihnen helfen!'
Paul rollte an seinem Drehstuhl heran.
"Was soll ich tun?" fragte Leonyd. "Ich kann sie nicht hässlich machen. Jeder weiß, wie schön Blue in Wirklichkeit ist. Ich habe alles versucht. Zara wird mir nicht glauben, dass ich häßliche Mädchen schön machen kann, aber ein schönes Mädchen nicht …"
Paul streifte die Schuhe ab und legte die Füße auf den Tisch, direkt neben das Glas von Melanie. Sie sah ihn streng dafür an. Sollte er sich wenigstens anständig benehmen, wenn er schon zu nichts nütze war!
"Jeder kennt sie. Alle Männer wissen, wie mutig Blue ist. Sie ist eine Heldin ohne Worte. So hat es in der Zeitung gestanden. Jeder Mann wird sie für sich haben wollen. Es ist schrecklich." Leonyd nahm die Hand, die ihn gestreichelt hatte.
"Melanie, schau mich nicht so böse an - dann kann ich nicht überlegen!" Paul legte sich die Hand wie einen Schutzschirm vor die Augen.
Leonyd lehnte vorsichtig seinen haarigen Körper gegen das Knie von Blue.
'Wie süß die beiden sind!', dachte Melanie. 'Der häßlichste Computerexperte der Welt hat sich in ein stummes weißrussisches Waisenmädchen verliebt. Wenn Lenora hier wäre, würde sie bestimmt die ganze Zeit heulen.'
"Ich hab’s!" verkündete Paul.
"Halt doch wenigstens die Klappe!" flüsterte Melanie ihm zu. "Siehst du nicht, wie dein Freund leidet?"
"Ich hab’s wirklich!" verkündete Paul stolz und lauthals. "Ich habe die Lösung für unser Problem gefunden."
"Es gibt keine Lösung. Es kann keine geben. Ich bin am Ende meiner Hoffnung", warf Leonyd leise ein.
"Gib ihr ein Tarnnetz!" rief Paul. "Dann kann sie sich unsichtbar machen wie ein Nachtelf. Könnte sogar eine Waffe tragen, würde nicht auffallen."
Leonyd erstarrte wie ein erschrecktes Tier. Mit einem Mal löste sich alles in ihm. Er sprang aus dem Stand auf die Beine.
'Jetzt macht er einen Zirkussalto', dachte Melanie.
"Ja, das ist es! Klar! Perfekt! Genial!" rief Leonyd und hüpfte auf den Fabelwesen des Teppichs herum.
"... nur so eine Idee von mir ...", sagte Paul bescheiden und kratzte an seinen Füßen.
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Kapitel 21
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[Zaras Hofstaat im Computerspiel]
Zara trug ein weißes Halstuch über dem Kleid von Nachthimmelblau. Ihr Kopf schwebte auf einer Schale von Licht wie auf einem Sichelmond. Sie war gut gelaunt, ein durchsichtiger Tupfen von Rot auf der rechten Wange.
"Wer ist dieser Junge an deiner Seite, Herold?", fragte sie.
"Er heißt Paul und ist mein neuer Page. Ich hoffe, er ist willkommen, Fürstin."
Er verbeugte sich. Auch Paul verbeugte sich, nachdem er sich mit einem kurzen Blick zur Seite vergewissert hatte, dass verbeugt wurde.
"Er trägt keinen Hut?" Zara schüttelte milde mißbilligend den Kopf.
"Er trägt meinen Hut", sagte Leonyd und setzte Paul seinen Heroldshut auf. "Er ist so gut wie ein Herold, so tüchtig ist er."
"Dann trägst du Leonyd keinen Hut", stellte Zara nachsichtig fest. "Mädchen, gebt ihm die rechte Kopfbedeckung."
Alle lachten - nur Paul nicht - als Leonyd eine Zipfelschlafmütze aufgesetzt bekam. Sie zogen sie ihm so tief über den Kopf, dass er nichts mehr sehen konnte.
"So soll es sein", sagte Zara. "Ihr seid der Herold meiner Träume nun."
Leonyd zog die Zipfelmütze wieder über die Augen und setzte Paul den Hut auf Herolds Weise schief auf den Kopf. Wieder lachen die Damen alle.
"Worin", unterbrach Zara scharf, "unterstützt er euch? Ich sehe keine Blue, die ich euch, Herold Leonyd, auftrug zu bringen. Ich sehe nur euren Ungehorsam. Darin wohl unterstützt er!?"
Still waren ihre Mädchen. Ängstlich beäugten sie den großen und den kleinen Verursacher von Zaras Zorn.
"Der Fürst des Hauses von Blankenburg, Ritter Malber, wird Blue hierher verbringen. Ich bin nichts als euer untertänigster Diener, wenig geübt im Händel mit allerlei streunenden Bewaffneten. Die Reise von Blue an diesen Hof wird ein Ritter von erforderlichen Tapferkeit und Vorsicht begleiten. Seid dessen gewiss, Fürstin Zara."
Paul verbeugte sich: "Er hat recht. Ritter Malber, der auch mein Vater ist, hat es einfach besser drauf."
"Entnehm ich deiner kargen Bewortung, dass du einer der wenigen Bürgen dieses Heroldes bist?"
"Fürstin Zara, es steht zum besten", beeilte sich Leonyd zu verkünden.. Verächtlich sah er in die Augen der Hofdamen, die wie ängstliche kleine Vögel flatterten. "Dieser junge Mann ist Page am Hof zu Blankenburg und Malber. Dort - wie ihr wisst - hat Blue Unterschlupf gefunden vor den Dirnen, die ihr nach dem Leben trachten."
"Redet er wahr, Page Paul? Lege Rechenschaft ab, sonst wirst du deiner Eltern Haus nicht wiedersehen."
"Stimmt eindeutig, was Leonyd sagt." Paul war vorgetreten, ehe Leonyd ihn festhalten konnte. Nun stand er vor Zara, als sei er ihr gleich an Rang. "Meine Schwester Melanie ist die Zofe von Blue. Sie kämmt ihr die Haare. Außerdem spricht sie für Blue, die völlig stumm ist."
Zara war hastig zurückgetreten, um den Abstand zwischen sich und dem Pagen mit Heroldshut zu wahren. Sie stand, kaum mehr sichtbar, hinter dem Fürstenstuhl. Die Sprache dieses Page war bestenfalls als 'unverziert' zu bezeichnen.
"Weißt du, wer ich bin?" fragte Zara leise.
"Nicht richtig. Ich vermute mal, so eine Art Obernonne. Ist aber nicht mein Spiel, das hier. Kann auch sein, dass sie -"
"- Obernonne?" fauchte Zara.
"Sagen sie’s mir. Ich kann ja nicht alles wissen."
"Leonyd, es ist dein Page", sagte Zara müde geworden. "Sieh du zu, dass er gehörig ist."
Leonyd zog Paul soweit zurück, dass Zara hinter ihrem Stuhl hervortreten konnte.
"Zara ist - das musst du wissen, Paul - eine mächtige Verbündete der Untoten. Sie beherrscht alle Künste, die Fertigkeiten und das Wissen derer, denen die Menschenzeit entfloh."
"Verstanden, junger Mann?" fragte Zara, schon milder gestimmt.
Paul nickte. Neugierig, nicht ängstlich betrachtete er Zara.
"Im Reich der Untoten hat Zara viele Freunde und Fürsprecher, obwohl sie ein Mensch ist. Großen Mut hat sie bewiesen, als sie hinabstieg in das Reich der Zeitlosen als eine Zeitbehaftete. Niemand zuvor hat es gewagt."
"Find ich toll", sagte Paul. "Sie müssen entschuldigen, ich hab nur gedacht, bei dem hier ..." Seine Handbewegung umfasste die Schar der Damen. "... wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass sie richtig coole Leute kennen."
"Ich entnehme deinen schmucklosen Worten, dass dir eine Schar Untoter lieber wäre."
Paul nickte. "Eindeutig, ja. Ich mein, das ist doch alles zum Einschlafen hier."
"Paul!" schrak Leonyd auf. Empört flatterten die Vogeläuglein umher.
"Lass nur", sagte Zara. "Mir wäre auch der Menschenkoch lieber im Umgang."
Da flatterten die Vöglein auf, suchten Schutz in den höchsten Ästen und Zweiglein.
"Was heißt schon 'Menschenkoch'? Gekocht hat er nur, wenn niemand seine Menschen wollte. Meist aber kamen sie und gingen mit ihren Dienern, ihre Schwurwächtern, den Verdammnisboten, den Fluchschneider oder was immer. Bedarf war da, wie mir schien."
"Toll!", sagte Paul, fragte doch nach: "Ihnen hat er nichts anhaben können? Was war der Trick?"
"Der 'Trick', wie du es nennst, war seine Angst vor mir. Glaube es oder glaube es nicht. Nicht anders als wir Menschen haben sie, die Untoten, ihre Glaubensdinge, ihre Denkweisen, ihre kleinen Gewohnheiten. Da passte ich nicht hinein. Als ich meiner Mutter bei ihnen nachsuchte, wollten sie mich verschlingen. Als ich sie nicht fand und mich zu ihnen setzte, wären sie am liebsten aufgesprungen."
"Sehr mutig", sagte Paul anerkennend. "Das hatten sie nicht erwartet, verstehe."
"Was treibt die Mutigen? Die Angst, die Sehnsucht, der Hunger, die Menschenliebe? … Ist das Mut?"
Niemand wusste eine Antwort. Selbst Paul schüttelte den Kopf.
"Mut ist die Angst vor der Angst. Dann bist du ohne Ziel, ohne Antrieb, überschreitest jede Grenze. Diesen Mut kannten sie nicht. Dafür gaben sie mir, wonach ich verlangte."
"Blue!", flüsterte Paul. "Ihr Preis war Blue - Überraschung pur!"
"Schscht!" flüsterte Leonyd.
"Ich wollte die schönsten Haare, die es gibt. Hätte ich sie für mich verlangt, was wäre geschehen?"
"Die Untoten hätten sie getötet. Aus. Vorbei. Ende."
"Auch wenn dieser Page zur Satzverstümmelung neigt, so hat er doch recht."
Paul bedankte sich artig, indem er an den Heroldshut tippte.
"Blues Haare sind schön, nicht wahr?" Zara sah Paul gnädig an.
"Weiß nicht. Melanie bürstet sie dauernd. Ziemlich viel Arbeit."
"Wusstest du? - Es sind meine Haare! Sie gehören mir."
"Die Haare von Blue?" fragte Paul.
"Die Haare 'Wunderschön' erstand ich vom Menschenkoch. Blusteva war eine Dreingabe."
Paul sah sie fragend an.
"Ich bat mir die Haare dazu das Magermädchen aus. So kam ich davon."
Paul fortdauernd sprachlos.
"Siehst du, Paul Page, deshalb bin ich hier, Zara, die Fürstin. Tu nie etwas im Land der Untoten, das sie erwarten. Sie werden dich verschlingen. Wie hätte ich das Haar 'Wunderschön' für mich fordern können? Überrasche sie immer. Geh niemals dem ersten Gedanken nach. Dort wartet der Tod auf dich."
"Merk ich mir", sagte Paul an den Hut tippend.
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Kapitel 22
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"Melanie, hörst du, wie still alles ist?" Petra sah zu, wie ihre Tochter vorsichtig die Fingernägel von Blue weiß lackierte. Die beiden saßen sich gegenüber, die Köpfe vorübergebeut.
Der Tag von Petra war laut gewesen. Der Gerichtssaal, das Treffen mit Mandanten, das Büro, das Dröhnen des Verkehrs. Jeder Lärm sofort unterbrochen vom nächsten.
In ihrem Haus war es still. Seit Blue bei ihnen wohnte, hatte die Stille einen Klang, den sie hören konnte. Oder war es das Echo des zusammenfließendes Tages? Hatte die Stille leise geatmet, als Blue noch nicht bei ihnen wohnte?
"Wie schön ihre Hände sind", sagte Petra. "Sie sind kräftig und auch fein. Blue ist von der Natur beschenkt worden."
"Ein Künstler hat Blue entworfen", sagte Melanie. "Er hat sich vorgestellt, wie etwas Schönes sein müsste. Danach hat er sie modelliert. Vielleicht hat er Schüler gehabt, die ihm geholfen haben."
"Was redest du da?" Petra schüttelte sich wundernd den Kopf. "Sie trägt heute ein Kleid von dir, Melanie?"
"Ich habe soviele, und sie hat nur ein einziges. Wir haben die gleiche Größe. Ich habe sie aussuchen lassen."
Blue trug ein grauseidiges Kleid, das den Hals völlig frei ließ, dabei ihre Arme halb bedeckte. Es war eng geschnitten und betonte, wie jungenhaft ihr Körper war.
"So schön Blue ist, so traurig macht sie mich auch", sagte Melanie, die ihr Werk an den Fingernägeln beendet hatte. "Ich sehe sie und sollte mich freuen."
Blue hatte die weißlackierten Fingernägel auf ihren Knieen liegen und sah ihnen beim Eintrocknen zu.
"Sie ist wie eine Puppe, und das macht mich traurig", flüsterte Melanie.
"Kein Mensch ist wie eine Puppe. Du redest schon wie dein Bruder Paul."
"Ich stelle mir vor, sie ist ein Mensch, der nur eine Hülle ist. Dann kommt eine Göttin und schlüpft hinein, um sich unter die Menschen zu mischen."
"Göttin? - Du redest viel Unsinn heute, Melanie"
"Die Augen sind so klar und doch ohne Leben. Versuch in ihre Augen hineinzusehen - da ist nichts, was du siehst. Das Gesicht ist so fein, wie gemeißelt, als habe sie niemals ein Gefühl gezeigt. Das meine ich."
Petra schüttelte unwillig den Kopf. Paul hatte Melanie mit seinem Unsinn angesteckt! "Melanie, sie ist ein einsamer Mensch! Ich habe solche Menschen als meine Mandanten. Du musst wissen, wie sie aufgewachsen sind: ohne Liebe, ohne Eigenstolz!"
"Ich stelle mir vor, dass es irgendwo hunderte von Blues gibt, die alle so aussehen wie sie. Diese Vorstellung habe ich, ob ich will oder nicht!""
"Melanie, denk mal nach - das ist Unsinn! Außerdem ist es nicht nett, deiner Freundin gegenüber. Und sie ist doch deine Freundin oder?"
"Das ist sie, auch wenn ich mich nicht mit ihr unterhalten kann. Das macht eigentlich nichts aus."
Blue war aufgestanden. Langsam ging sie die Wände des Raums entlang. Streifte die Gardine, Falte für Falte bewegte sich. Berührte die Pflanze mit den ledrigen Blättern. Streifte mit den Augen das Bücherbrett entlang. Stand am Fenster und lauschte still hinaus.
"Sie geht durch das ganze Haus", sagte Melanie leise. "Manchmal ist sei eine Stunde fort. Dann suche ich sie und finde sie, sitzend oder kauernd, auf dem Bauch liegend, ganz reglos. Sie schaut nicht mal auf, wenn ich komme."
"Lass sie, Melanie. Es gibt Menschen, die kannst du nicht verstehen. Manche meiner Mandanten sind so. Unabhängig von der Schwere ihres Vergehens. Es ist unmöglich ihnen nah zu kommen."
Blue stand vor der Wohnzimmertür, als sei sie reglos in Gedanken. Mit einem Mal war sie geräuschlos dahinter verschwunden. Ihre Bewegungen waren entweder langsam oder so schnell, dass die Augen ihnen kaum folgen konnte.
"Wirst du Blue vor Gericht verteidigen?" fragte Melanie ernst.
"Wie? Was redest du?"
"Ich finde, sie ist so wehrlos. Sie wird unseren Schutz brauchen. "
"Melanie, du vergisst, sie kann sich sehr gut wehren. Denk an die beiden Prostituierten. Das ging ein wenig über Selbstverteidigung hinaus."
Melanie winkte ihrer Mutter ihr zu folgen. Als sie in der Diele waren, saß Blue auf der Treppe, verschwand mit einer einzigen Bewegung.
"Auf Blue wartet etwas Schreckliches, ich spüre es."
"Melanie, versuch nicht in die Zukunft zu sehen. Bleib vernünftig, Kind!"
"Ich habe das Gefühl, dass Blue etwas erwartet. Etwas Schreckliches wird passieren - und sie weiß es. Sie kennt ihr Schicksal und wartet, dass es zu ihr kommt."
"Manche Menschen haben wenig Gedanken. Nur wir stellen uns vor, dass sie alles wissen. Weil sie still in sich sind. Weil wir sie nicht erreichen können. Es ist aber eine Täuschung." Petra fand, dass dieses Gespräch nun wirklich anstrengend wurde.
"Wir haben ihr all die Zeitungsartikel gezeigt", widersprach Melanie. "Sie weiß, dass sie berühmt ist. Es bedeutet ihr nichts, als sähe sie bereits, was dahinter kommt."
"Du meinst, zu wenig Hoffnung, zu wenig Angst? Mal zu reich, mal zu schön, aber immer die Klippe vor Augen, von der schon die andere Mädchen gesprungen sind ..." Petra sah die Mandantin vor sich, von der sie sprach.
Melanie verstand nicht, was ihre Mutter meinte. "Blue ist wie eine Gestalt aus Pauls Spiel. Alle wissen, dass sie sterben müssen, das ist der Sinn des Spiels."
Langsam gingen sie die Treppe hoch. In dem Schlafzimmer von Melanie fanden sie Blue. Sie lag zusammengerollt auf dem zugedeckten Bett. Die Augen waren geöffnet. Ihr Kopf lag auf dem zusammengerollten Haar.
"Vater sagt, sie dürfe nicht verheiratet werden, weil sie Zara gehört."
"Solch einen Unsinn erzählt dein Vater dir?"
"Er hat gesagt, er verstehe es selbst nicht. Aber Bakas, Zaras Bruder, gibt ihr in allem nach."
"... und dein Vater macht alles mit und ist bei nichts dabei." Petra lachte bitter.
"Paul ist auch so ...", sagte Melanie. "Vielleicht sind alle Männer so."
Petra hatte abgewandt und sah zum Fenster hinaus.
Melanie setzte sich zu Blue auf das Bett.
"Ach, Melanie", sagte Petra und wandte sich den beiden wieder zu. "Das sind Gedanken, die sollten wir nicht haben. Wir - du, Blue und ich - könnten drei Freundinnen sein, mit kleinen Geheimnissen und großen Wünschen. Wäre das nicht schön?"
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Kapitel 23
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Malber öffnete die Beifahrertür für Blue. Sie sah ihn nicht an, sah nicht zurück, als sie in das Auto stieg.
Als sie saß, legte sie die Hände über ihre Hängetasche auf ihrem Schoß. Leonyd und ein fremder Mann saßen auf der Rückbank.
"Hallo, Blue", sagte Leonyd leise.
"Ich heiße Roa, du kennst mich nicht", sagte der fremde Mann.
"Er ist Fotograf. Zara hat ihn extra für dich kommen lassen." Leonyd bewegte sich unbehaglich auf seinem Sitz.
"Ich bin Zara einen kleinen Gefallen schuldig." Der Mann strich sich über seinen grauen Haarzopf, dann über die schwarze Tasche, die er bei sich hatte. "Ich habe sie in Weißrussland kennengelernt. Dort hat sie viel Einfluss."
"Wie finden sie unsere Blusteva?" fragte Malber nach hinten.
Der Mann drehte Blues Kopf ein wenig nach links und beugte sich nach vorne. Ganz dicht brachte er seine Nase an ihren Hals, als versuche er zu riechen.
"Sie mag es nicht, wenn jemand sie berührt", sagte Leonyd.
"So mache ich meine Bilder. Gewöhn dich dran", sagte der Mann zu Leonyd. Er nahm noch einen kräftigen, langen Nasenzug von Blues Duft und lächelte Leonyd aus kaltblassen Augen an.
Roa hatte kein Alter, das sich schätzen ließe. Sein Profil war das eines jungen Mannes. Leonyd wandte sich zum Fenster, weil er den Anblick dieses Mannes nicht ertragen wollte.
Malber dachte.: 'Egal, was passiert, es passiert.' Ein Text zu einer vergessenen Melodie.
Auch der Mann sah aus dem Fenster.. "Dort - sehen sie, Fahrer - die beiden Alten auf der Bank. Eben saßen sie da. Sie bewegen sich nicht."
"Wir fahren an einigen Altersheimen vorbei", sagte Malber. "Das ist nicht ungewöhnlich."
"Sind sie tot?" fragte Roa.
Leonyd zuckte zusammen.
"Sie sind alt", sagte Malber. "Sie werden bald sterben. Neue Leute ziehen ein und sterben auch. Dieses Stadtviertel lebt davon."
"Wo ich herkomme ...", sagte Roa.
"Kennen sie Zara gut?" fragte Leonyd ernst.
"Hmm." Der Mann nickte. "Dort, wo ich herkomme ... Alle sind jung und voller Kraft. Nichts ist starr und tot."
"Mist!" rief Malber und zeigte nach vorne. Ein Auto hatte sich quergestellt. Dann ertönte eine Sirene. Ein blaues Lichtband begann den Wagen zu umkreisen. "Der Fahrer ist ohnmächtig oder gestorben. Der Herzsensor hat den Motor abgeschaltet." Er steuerte vorsichtig über den Gehweg auf die Straße zurück.
"Es sind alte Menschen, aber sie haben ihre Würde", sagte Leonyd zu Roa gewandt.
"Die Untoten nennen es das Land der Toten - es müsste eher das Land des Sterbens heißen", sagte Roa nachdenklich.
Sie fuhren an den zwei gläsernen Hochhäusern der Innenstadt vorbei. Die Straße wurde breiter, dann sofort wieder eng, als sie vor sich das Rotlichtviertel auftauchen sahen.
"Ganz anderes Viertel hier", sagte Roa und deutete auf die Mädchen, die ihnen am Straßenrand zuwinkten. Einige muskelschwere Männer standen und schauten unbeweglich.
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Es gab einen kleinen Parkplatz zwischen fensterlosen Hausrückwänden, auf den sie wie in eine Sackgasse stießen. Dort stellten sie ihr Auto ab. Niemand außer ihnen parkte dort.
Die Mädchen standen an den Wänden und sahen Blue feindselig an. Zwei von ihnen machten ein Schritt vor. Blue ging ruhig weiter. Malber sah, wie angespannt sie war.
"Was willst du?" Ein Mädchen hatte sich ihnen in den Weg gestellt. "Wenn du nichts willst, hau ab!"
Mit einer einzigen Bewegung war Roa vor Blue und schob das Mädchen an die Wand. Dann tätschelte er ihre die Wange.
Sie hieb seine Hand weg. "Weißt du, was du dich traust, Blassauge?", fauchte sie. Zwei weitere Mädchen kamen an ihre Seite.
"Wir wollen keinen Ärger", versuchte sich Malber einzumischen. Doch er wurde nach hinten gezogen. Die Mädchen waren körperstark, stellte er fest. Das würde schwierig werden.
Ein Pfiff ertönte. Zwei schwere Männer kamen langsam über die Straße. Sie waren fett und alt. Alles an ihnen schwabbelte unter den dünnen Hemden. Die Mädchen schauten zu ihnen.
Über ihnen ging ein Fenster auf. Sie sahen eine Hand über sich Ein Jojo rollte auf und ab. Es hörte sich an, als zupfte jemand dort oben an einer Saite.
Die fetten Männer waren stehen geblieben und sahen hoch. Der eine von ihnen wollte weitergehen, der andere hielt ihn zurück. Im Fenster über ihnen das Kichern wie von einem Kind.
Jetzt drehten sie sich beide langsam um und wankten zurück. Ein kurzer Arm erhob sich und machte ihnen eine 'Steck-dir-den-Finger-in-den...'-Geste. Als ein schwarzer Lieferwagen langsam vorbeigefahren war, hatte die andere Straßenseite ihre Schatten verschluckt.
"Mädchen, noch Fragen?" Roa verbeugte sich in die Reihe. "Alles geklärt für die Zeit?"
"Blondchen, komm nicht allein her!" Die Drohung galt Blue. Keines der Mädchen hatte sie ausgestoßen, als Roa sich umblickte.
"Siehst du, Computermann. Gute Freunde, wenn du sie brauchst", sagte Roa und strich Blue über das Haar. Blue ließ es geschehen. Sie sah ihn an, als verstehe sich nichts. Die Unterlippe von Leonyd zitterte. Darauf legte ihm Malber die Hand auf die Schulter.
Federnd ging Roa vor ihnen her. Fast berührten seine schlenkernden Arme die Mädchen. Er hatte eine Freude an den wütenden Blicken der Mädchen. Doch so beschwingt er ging, es war die falsche Richtung.
Ehe Malber ihn anrufen konnte, hörte er wieder dieses Sirren über sich. Schon war Roa im nächsten Hauseingang verschwunden. Eine Hand winkte ihnen zu folgen.
"Hier ist sie manchmal", sagte Leonyd. "Eines ihrer Häuser. Sie mag es, wenn sie an keinem Ort ist."
"Und die Computer ...?"
"Adressier ich von hier. Weil sie es will. Was soll ich dagegen sein."
Malber besah sich das Haus bevor er eintrat. In einem Fenster über ihnen sah er wieder das Jojo spielen. 'Wie ist er so schnell hierhergekommen?', fragte sich Malber. 'Er kann fliegen, nicht nur Jojo spielen.'
Die Mädchen waren ihnen nicht gefolgt. Das Haus wandte der Straße den Rücken zu. Der vermeintliche Hauseingang war eine schmale Straße. Auf der anderen Seite folgten sie Roa in das Haus. Überwältigt waren sie von dem Geruch.
"Ratten ... im Keller", flüsterte Leonyd. "Ich mag keine Ratten. Sie fressen an den Kabeln. Ich mag sie einfach nicht."
"Tote Ratten", flüsterte Roa in der Stimme von Leonyd. "Der Jojo-Mann tötet sie. Er sagt, er bringt sie dazu, sich selbst zu töten. Das sagt er." Roa lachte das Lachen von Leonyd.
'Das Mädchen mag ihn nicht', dachte Malber.
Blue hatte sich versteift, die Arme an die Seite gespresst. Es war schwer zu verstehen, was in ihr vorging. Abneigung oder Angst?
"Unsinn", sagte Leonyd mit abgesenkter Stimme. "Ratten töten sich nicht selbst."
Sie gingen die breite Treppe hinauf, die aussah, als habe jemand die Kacheln herausgerissen. Darunter kamen Putz und blanker hellgrauer Zement zum Vorschein. Das Licht ging an, hell und künstlich.
Roa wartete auf der Treppe.
"Sie geht vor", sagte er in Malbers Stimme.
"Ich möchte nicht, dass du so -", aber seine Stimme war die von Roa. Da schwieg er lieber.
'Ich hätte es wissen müssen', dachte Malber. 'Ein Mandant, der im Gefängnis sitzt ... eine Schwester, die verrückt ist … ein Mädchen, das stumm ist …'
"Ja, das liebe Geld", sagte Roa. "Es verführt uns zu Dingen, die leichtsinnig sind."
"Ein Philosoph ... Ratten und Philosophen ...", knurrte Leonyd, der sich an der Treppe festhielt, weil er außer Atem war.
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Kapitel 24
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Roa als ihr Führer hatte die rechte Hand gehoben. Sie standen vor seinem schwarzledernen Rücken und begannen sich anzusehen. Nach und nach, erst unmerklich, fiel von oben her schwächeres Licht die Treppe herunter. Roas Hand zeigte auf die Wand vor ihnen.
"Ratten und billige Tricks", flüsterte Leonyd.
"Seht nur!", rief Roa in Leonyds Stimme.
An der Wand begann sich eine Schrift zu zeigen. Buchstabe für Buchstabe hintereinander, als gebe sie jemand im Hintergrund ein. Von oben, wo das Licht erloschen war, erschienen die Zeilen:
'Wie habe ich dies herbeigesehnt! Ihr, die ihr nichts von Wert besitzt, versucht nicht solches Begehren zu erfassen. Heute nehme ich mein Haar in Besitz. Die Stunde, der Ort, das Mädchen Blue - endlich! Roa weiß das Zimmer. Ich lasse euch dies lesen, damit ihr wisst, wie es in mir ist … doch ihr könnt es nicht wissen!'
So schreibt euch Zara, die in einer Anderwelt Fürstin ist
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Roa sprach sie leise über seine Schulter zu ihnen. Jetzt mit einer eisenbeschlagenen Stimme: "Folgt dem Gang, bis ihr das Zimmer 208 seht. Dort tretet ein." Roa legte seinen schwarzledernen Arm um die Schulter von Blue. "Wir beide werden gleich zu euch stoßen."
Leonyd ergriff die Hand von Blue.
Roa neigte sich ihm zu. "Was soll ihr geschehen? Sie ist Zaras liebster Besitz. Wie könnte ihr etwas zustoßen, nicht wahr!" Er fasste Leonyds Arm und trennte ihn von Blue. "Computermann, du wirst noch gebraucht, sonst könnte mir dies nicht gefallen …"
"Er hat recht", sagte Malber zu Leonyd. "Du wirst gebraucht."
"Die Ratten … werden auch gebraucht!" stieß Leonyd wütend hervor, als ihn Malber bereits ein Stück den Gang hinunter gezogen hatte.
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Zimmer 208 war eigentlich ein kleiner Saal. Die Tür doppelflügelig. Als sie eintraten, lag der Raum im Dämmerlicht. Die Luft roch süßlich, nicht abgestanden. Fenster hatte der Raum keine, dafür waren alle 4 langen Wände wie für eine Projektion glänzend und glatt verputzt.
Rechts standen einige Monitore. ‘Hi’, sagte eine Stimme von dort.
"Auch 'Hi' ", sagte Malber fröhlich. Dann sah er verdutzt, wie sein Sohn Paul mit seinem Kopf erschien. "Du, Paul?"
"Er ist mein Assistent", sagte Leonyd. "Ich kann das nicht allein händeln. Paul ist eine sehr gute Hilfe. Er versteht was von Computern."
"Natürlich nicht so gut wie Leonyd", sagte Paul bescheiden.
"Viel zu jung ist er", warf Malber halbherzig ein.
"Mutter erfährt nichts davon", beruhigte ihn Paul. "Meli sagt ihr, ich bin bei einem Freund."
Malber schüttelte missbilligend den Kopf.
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Roa schon einen Wagen in den Raum. Darauf stand ein großer Bildschirm.
"Will noch jemand was sehen?", fragte er hinüber zu den beiden Computermännern.
Die beiden antworteten nicht.
Roa hob die Hand und schnippste mit dem Finger. Sofort waren alle Lichter aus. Nichts mehr war zu sehen. Proteste hinter den Computern waren zu hören.
'Also auch der PC aus', dachte Malber. 'Geschieht ihm recht, dem Computerlehrling!'
Flackernd leuchtete die Gestalt von Zara auf. Sie saß in einem roten Umhang auf einem schwarzen Stuhl. In ihrem Hintergrund war der abendliche Garten des Fürstenhofes zu sehen.
Als Zara nickte, schnippste Roa erneut die Finger.
Jetzt sahen sie Blue, die auf einem Frisierstuhl saß. Vier Hände bildeten einen Kranz über ihr. Sie hielten Bürsten, Kämme, Tücher und Spiegel gefasst. Sie strichen ihr durch das Haar, bemalten ihr Gesicht mit einer weißen Creme, massierten ihre Nacken, entfernten vorsichtig die Augenkosmetik. Blue ließ alles mit sich geschehen, befand sich, so schien es, in einer Halbtrance.
Als sie von Blue zurücktraten, leuchteten ihre Augen hervor wie zwei blaue Saphire. Noch weiter war sie in die Trance entrückt. Sie saß auf ihrem Stuhl wie eine Prinzessin, in Eis erstarrt.
'Wie nah sich Schönheit und Tod sind!' dachte Malber. 'Bald verstehe ich meine eigenen Gedanken selbst nicht mehr!' wunderte er sich dann.
"Zara, du bist nicht zufrieden?", fragte Roa.
"Nimm ihr das Haar. Was interessiert mich ihr Kopf! Nimm ihr das Haar! Ich will sehen, wie es fliegt. Ich will sehen, wie es schön ist. Zeig mir das Haar, meinen Augenstolz!"
Roa trat zu Blue und nahm ihr wie eine Perücke das Haar vom Kopf. Und gab sie den Händen, die sich entgegenstreckten.
"Wie geht das?" flüsterte Paul.
"Tricks", flüsterte Leonyd zurück. "Ratten und Tricks …"
Sofort begannen die Hände Blues Haar durch den Raum fliegen zu lassen.
Roa schnippste. Darauf erschienen an allen Wänden die schönsten Landschaften, Meeresbilder und Wolkenzeichen. Flussgeflüster und die Wellen sanften Korns.
"Gefällt es dir?", fragte Roa.
Zara nickt wenig. Leise, ganz langsam ihr Atem. Gerötet ihre Wangen. Große schwarze Murmeln, ihre Augen.
"Es sei geschehe also", antwortete sich Roa statt ihrer. Er nahm seine Kamera auf, sprang, wirbelte und tanzte dem Haar hinterher durch die Landschaften, die Wand für Wand erschienen.
Zara hatte sich aufgesetzt in ihrem Stuhl. Sie war aufgestanden. "Ja, es ist gut, wunderschön, was für ein Haar! Ich wusste immer, dies ist das schönste Haar, das es jemals gegeben hat. Recht hat mir der Menschenkoch alles versprochen. Wie habe ich mit meiner Unstete ihm Unrecht getan!"
"Was ist mit dir, Leonyd?" flüsterte Paul.
"Paul, bist du noch da?", flüsterte Malber irgendwo.
"Ich schon, aber ich weiß nicht, ob Leonyd …."
"... bei den anderen Mädchen gesehen, aber bei Blue ertrage ich es nicht …", kam es leidend von Leonyd.
"Ist doch nur, um sie zur Spielfigur zu machen", tröstete ihn Paul.
"Die werden sich wundern!", flüsterte Leonyd.
"Psst, Schscht!" mahnte Paul.
"Von was sprecht ihr?" verlangte Malber zaghaft zu wissen.
Doch erhielt er nicht die leiseste Antwort.
Roa nimmt die Haare aus den Mädchenhänden entgegen. Er senkt seinen Kopf, um sie sich aufzusetzen.
"Roa, Roa", ermahnt ihn Zara sanft.
"Verzeih mir", entgegnet er schnell. "Es ist über mich gekommen. Ich weiß, dies Haar gehört allein dir. An seinen Platz soll es."
Die Mädchenhände tragen das Haar vorsichtig in die Mitte, wo Blue auf ihrem hohen Stuhl leblos und aufrecht sitzt. Sie zupfen ihren schwarzen Umhang gerade, halten den Kopf gerade. Sie setzen ihr das Haar auf, wie bei einer feierlichen Krönung, so langsam, so sanft, so feierlich ernst.
"Alles Posen", flüstert Leonyd.
"Posen und Ratten", flüstert Paul.
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Kapitel 25
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[Zaras Hofstaat im Computerspiel]
Die Mädchen waren ängstlich. Die Fürstin schritt im Raum umher. Sie schritt schnell aus, als habe sie ein Ziel zu erreichen und doch führte ihr Weg sie immer nur in Kreisen in dem großen Raum herum.
"Du stehst mir im Weg, Mundschenk!" herrschte sie einen Mann an, der nicht wusste, wie er sich anstellen sollte. Ein großer, teiggesichtiger Mann, der sich mit den dicken Händen über die kahle Stirn wischte.
"Setz dich irgendwohin!" Wieder war er mit seiner Leibesmasse Zara im Weg gestanden. "Nicht dorthin! Das ist der Fürstenstuhl! … Ach, lass nur, bleib sitzen für die Weile. Du störst dort nicht."
"Wo ist das Mädchen Blusteva?" Zara hatte sich direkt an Malber gewandt, der die Leinwände betrachtet hatte, die der Hofmaler Roa gefertig hatte. Große Leinwände, die 10 Stück hintereinander vor die Bücherwand gestellt waren.
"Wo ist das Mädchen? Hörst du nicht, Graf!?"
"Ich weiß es nicht", antwortete Malber. Er hätte es gerne gewusst, denn dort, wo Blue war, würde auch sein Sohn, der Computerlehrling Paul zu finden sein. Nebst Leonyd, dem er in allem hinterherging.
'Irgendwann wird Meli ihrer Mutter sagen müssen, was mit Paul ist', dachte Malber.
"Die Bilder langweilen mich!" Zara stieß mit dem Fuß dagegen. Wenn Malber nicht zugefasst hätte, wäre ihr die Reihe der Bilder entgegengestürzt.
Draußen war ein Lärm entstanden. Jemand polterte gegen die Tür, ja, hieb mit einem hölzernen Gegenstand dagegen.
Die Mädchen eilten zur Tür und horchten aneinandergereiht. Wieder schlug ein Holz donnernd gegen die Tür, so nah, so laut in ihre Ohren, dass sie sich schmerzklagend entfernten.
"Bitte, Graf Malber, öffnet die Tür. Ich habe sonst niemand. Roa ist fort, Leonyd und sein Page, das Mädchen - alle weg. Unser Mundschenk schläft in meinem Fürstenstuhl … spricht gar im Schlaf, wo er wach kein Wort herausbekommt."
Malber verbeugte sich. Willig schob er den Riegel der hohen Tür hoch. Ihm war es recht, dass Zara eine andere Ablenkung als ihn fand.
"Niemand da", sagte Zara bitter zu sich, "nur ein fremder Graf, der freundlich tut, und ein tauber Mundschenk. Was für ein Hofstaat - an meinem so besonderen Tag!"
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Ein Mann stand in der Öffnung, hatte einen tönernen Trinkkrug erhoben, den er wieder gegen die Tür hämmern wollte. An der Hand hielt er ein Mädchen gefasst.
"Treten sie ein. Die Tür ist jedem Besuche offen" sagte Malber.
"An wen kann ich mich wenden, wenn ich was zu beschweren hab’?"
Malber wies diensterbietig auf Zara, die wieder im Raum umherging.
"Sie ist das?" fragte der Mann.
Zara stand und hatte ihn nun bemerkt.
"Wenn sie das sind - ich hab hier was nicht sein kann", der Mann hielt den Arm des Hofmädchens hoch und schüttelte ihn. "Sie zeigt mir nicht, wo die Aufgaben sind, das ist, was sie eigentlich soll, aber sie tut es nich’!"
"Er ist betrunken", sagte das Mädchen leise und sah den Mann wütend an, der immer noch ihre Hand hochhielt. "Wir können keine Aufgaben lösen, wenn er so betrunken ist."
"Ich habe etwas getrunken … ja, weil sie solang gebraucht hat, bis sie rauskam. Weiß gar nich’, was da für ‘n Zeug drin is’!" Der Mann sah ratsuchend in seinen Trinkkumpen. Den Arm des Mädchen ließ er langsam herunter.
"Widerlicher Kerl! Betrunken und brutal!" sagte das Mädchen, als sie sich befreit und zu den Hofdamen herübergerettet hatte.
Der Mann wollte sich auf sie stürzen. "Du wirst schon sehen, wer brutal is’!", rief er.
Malber versuchte sich ihm in den Weg zu stellen, aber der Mann war bereits gestürzt, bevor er ihn berührt hatte.
Zara spricht leise auf ihn ein. Der Mann wird ganz starr. Die Farben entwichen aus ihm.
"Ich habe ihn gedimmt", sagte Zara zu den Mädchen. "Tragt ihn fort.Legt ihn in den Stall. Wenn er wieder erwacht, werden wir weitersehen."
Der Mann war leicht geworden. Wie einen Ballon leicht trugen die Mädchen seine farbbleiche Gestalt über ihren Köpfen aus dem Raum.
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In der Tür trat ein Mann zur Seite - schwarzgekleidet war er und trug einen mit Rabenfedern geschmückten Hut dazu. Gleich hinter ihm - als er zur Seite trat - stand Blue. Fremd und jenseitig. Still und ins Leere schauend.
"Da bist du -?" Zara machte überrascht einen Schritt zurück.
"Blue, also doch!" rief Malber ihr entgegen.
Würdevoll legte sich der Schwarzgekleidete eine Hand auf die Brust. "Wenn ich sie berühre, dann -"
Harsch wurde er von Zara unterbrochen. "Du sollst sie nicht berühren. Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst die Mädchen nicht berühren! Was für ein Geistlicher bist, der im Sinn nichts anderes hat! Schweig still, tritt zur Seite, du Prediger zu den Schweinen!"
"Sei willkommen an meinem Hof, Mädchen Blusteva", sagte Zara fast zärtlich. "Du wirst dich gewöhnen, meine Allesgute. Ich zeige dir Schönes. Komm her, das wird dir gefallen. Roa hat dich gemalt. Weißt du, er ist Hofmaler hier an meinem Hof. Alle sind hier, die du kennst!"
Malber schob den Stapel der Bilder zurecht und stellte eins um das andere den schauenden Hofdamen zurecht. Viel beifällig Geraune umgab eine wie betäubt schauende Blue.
'Was ist nur im Inneren von diesem Mädchen los?', dachte Malber.
Wieder schob sich der Geistliche vor. "Ich habe sie ganz wenig berührt, da -"
"Still! Sei endlich still!" fuhr Zara ihn an. "Wenn du nicht schweigst, dann schalte ich dich stumm. Du weißt, dass es in meiner Macht liegt über dich und alle hier!"
Der Mann nickte unglücklich. Die Rabenfedern wippten keck, schwarzbläulich.
Malber zeigte die Bilder, eins ums andere.
"Lass jetzt", sagte Zara nach einer Weile. "Es ist genug. Komm her, Graf Malber, auf ein Gespräch. Bitte!"
Sie traten beiseite. Dorthin, wo schwere grüne Vorhänge mit roten Gürteln von den Stangen in der Raum herabhingen. Der großgewachsene Malber in lässiger Haltung. Eine kleingewachsene Fürstin, voll der Anspannung wie ein Bogen, mit kraftzitternden Armen aufgezogen.
"Wo sind sie?" fragte Zara. "Wo sind die anderen - Roa, Leonyd, dein Sohn? Was ist mit ihnen? Ich brauche sie hier!"
"Was habt ihr vor?"
"Sie bleibt immer bei mir", flüsterte Zara rauh. "Nie wieder soll sie fortgehen!" Ein Glanz war in ihre Augen getreten wie von Tränen. "Ich, Zara, die allen die Fürstin ist, kann mich in ihrem Herzen sehen … aber ihr wisst nicht -"
"Euer Bruder, Fürst Bakas, hat eigene Pläne", warf Malber vorsichtig ein.
"Mein Fürst Bruder - was geht er mich an!", fuhr Zara auf. "Sie ist mein, mein eigen! Wie kann er wagen, an etwas zu denken, was nicht ICH bestimme!"
"Ich denke, er würde euch gerne vorschlagen, Blue einem würdigen Partner -"
"Niemals, hör er, Graf - niemals wird das - so etwas Lächerliches geschehen!"
"Blue ist aus der Zeitung bekannt", gab Malber zu bedenken.
Zara schüttelte heftig den Kopf. Sie zog den nächsten Vorhanggürtel zu sich. Staub wirbelte von oben.
Malber sah hinauf. "Wir hätten nicht einen, nein, mehrere Interessenten, die sich hochbieten würden. Reiche Leute, denen eine Heirat mit Blue -"
"Nichts! Nicht! Niemals!" schrie Zara. Sie sprang von ihrem Platz fort. Mit schnellsten Schritten war sie bei Blue, warf sich umarmend auf sie, die mit dem Rücken - da! mit einem Mal! - Blue war verschwunden.
Zara stürzte ins Leere. Jede Frau zu Hofe schrie, kreischte, heulte über der Fürstin, die auf dem weißgekachelten Boden rücklängs lag. Die Fürstin begriff nicht. Nicht fassend sah sie hoch zum engen Kreis der Köpfe. Ihre kohlschwarzen Augen ausdrucksleer, wachsbleiches Gesicht, endlose Erschöpfung. Zitterhände an der Stirn begannen das erste Begreifen eines eigenen Seins.
"Ihr wolltet mich nicht hören", rief der Geistliche, der die Mädchen nun kräftig auseinander schob, triumphierend zu ihr herunter. "Hätte ihr doch gehört! Ich wollte es sagen, aber ihr ließet mich nicht aussprechen."
Ein Mädchen hatte sich hingekniet und den Kopf der Fürstin auf eine Kissen gebetet.
"Immer, wenn ich sie berührte", keuchte der Mann, "immer dann wurde sie unsichtbar. Nichts als Luft! Nichts als Leere! Wie kann das sein? Welch ein Hexenwerk ist das?"
Ohne Verstehen sah Zara zu dem krächzenden, manngroßen Rabenvogel empor.
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Teil III
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Kapitel 26
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"Mein Sohn möchte dieses Mädchen heiraten." Die Dame, die das sagte, hielt Malber einen Zeitungsausschnitt hin.
Malber besah sich den Zeitungsausschnitt. Das Mädchen, um das es sich handelte, war eindeutig Bluesteva. Auch wenn der Artikel erkennbar durch viele Hände gegangen war, so bezog er sich doch - bei flüchtigem Überlesen - auf den Vorfall im Hotel, auf die Auseinandersetzung, die Blue mit zwei Mädchen aus dem Gewerbe gehabt hatte.
"Wir sind eine Partnervermittlung. Ich kenne das Mädchen, aber sie ist nicht die einzige ..."
"Nein, mein Herr! Hören sie, mein Herr! Es muss wirklich genau diese sein! Ich bin so froh, dass sich Ilo überhaupt ein Mädchen wünscht - glauben sie mir!"
Malber war nun aufgestanden, um sich vorzustellen und der Dame vorsichtig die Hand zu schütteln. Er bat sie Platz zu nehmen und las die Visitenkarte, die sie ihm gereicht hatte.
"Frau Oppen, es freut mich sehr. Mein Name ist Malber. Ich darf sie als Geschäftsführer -"
"- ach, seien sie nicht so umständlich. Was ist mit dem Mädchen? Sie ist doch nicht schon vergeben?"
"Nun ...", Malber tippte in seinen Computer und sah auf den Bildschirmschoner, "wir haben hier einen sehr ernsthaften Interessenten, in der Tat ..."
"Nennen sie einen Preis! Nun machen sie schon!"
Die Dame war gut über sechzig Jahre alt und ausgesucht teuer gekleidet. An den Händen trug sie einen Ring mit einem hellgrünen Edelsteinen. Malber nahm an, dass er echt war. So auffälligen Schmuck trug eine Dame nur, wenn er echt war.
"Ihr Sohn", begann er umständlich, "sucht noch einen Parkplatz, nehme ich an …?"
"Natürlich ist er mitgekommen!" protestierte Frau von Opper. "Kommen sie an’s Fenster. Schauen sie … er wird gleich vorbeigefahren kommen."
Malber stellte sich neben sie an das Fenster und sah hinunter auf die Straße.
Er zeigte auf einen Radfahrer, der eine deutlich unsichere Steuerung zeigte.
Frau von Opper war sprachlos vor Empörung.
"Mein Sohn fährt kein ... Fahrrad!" Sie betonte das Wort sehr. Überhaupt nahm sie manche Worte auf, ging über andere hinweg, steuerte im Betonungsfall ihre jeweilige Wert- oder Geringschätzung.
Die Straße herunter kam ein schnurrender roter Sportwagen mit weiblichster Formgebung. Schlank an der Taille, wo der Fahrer saß.
"Das ist er!" sagte Frau von Oppen.
"In der Tat", pflichtete Malber bei, "ein wunderschöner Wagen!"
Die Dame öffnete das Fenster und rief herunter: "Ilon, steig aus! Zeig dich diesem Herrn hier!" Sie hatte ein brüchige Stimme, die das Rufen nicht gewöhnt war.
Malber sah auf die gegenüberliegenden Gebäude des Gefängnisses. Er war eigentlich sicher, dass ihnen Bakas von dort aus zusah.
Unten stoppte der rote Wagen mitten auf der Straße. Ein junger Mann, aus der Entfernung von Malber auf gerade zwanzig geschätzt, und winkte zu ihnen hoch.
"Mutti", rief er hoch.
"Ja, Ilo, was ist?"
Der junge Mann setzte sich an das Steuer, trat kräftig zweimal auf das Gas, entstieg wieder und rief: "Diesen möchte ich haben. Er ist wunderschön!"
"Hast du es dir überlegt?" rief Frau Oppen.
Der junge Mann nickte bejahend, mehrmals. Er legte die Hände flach aneinander und verbeugte sich zum Bedanken. Eine Geste, wie sie Malber aus Duisburg nicht kannte.
"Wissen sie", erklärte Frau von Oppen, "der Wagen ... Der Junge war so verliebt. Und heute morgen habe ich ihn überrascht. Sie hätten sein Gesicht sehen sollen. Natürlich ist das nicht wirklich nötig, aber sagen sie mir, was nötig ist. Sie müssen wissen, als mein Mann noch lebte, war er immer sehr streng mit dem Jungen, wenn ich nicht ab und an - aber was rede ich! Zum Reden bin ich nicht zu ihnen gekommen!"
"Nein, natürlich nicht", pflichtete Malber ihr bei. Er wartete, ob sie etwas sagen würde. Dann fuhr er fort: "Wie möchte sie, dass wir ein Kennenlernen ..." Er setzte sich.
Frau von Oppen blieb stehen. "Sagen sie etwas zu diesem Mädchen, Herr Malben!"
Malber überlegte, ob er sie berichtigen sollte. Aber es war nicht wichtig genug. "Nun, Frau Oppen, ihr Name ist Blusteva. Wie sie sich denken können, kommt sie aus Weißrussland oder Belorussland, wie sie dort sagen."
Frau Oppen zeigte ihre Ungeduld mit einer vorbeiwischenden Handbewegung.
"Blusteva ist 18 Jahre jung. Sie hat wunderschönes Haar und ist auch sonst sehr schön, was ihnen jeder, der sie kennt, bestätigen wird. Sie lernt bereits ein wenig unsere Sprache -"
"Ist sie Jungfrau? … Schauen sie nicht so dumm! An was denken sie - an ein Sternzeichen!? … Ich meine, die Frage stellen zu dürfen: Ist sie im medizinische Sinne Jungfrau?""
"Selbstverständlich ist sie Jungfrau", bestätigte Malber. "Ein ärztliches Gutachten mit positivem Resultat wird ihnen vertraglich garantiert."
Frau von Oppen nickte. "Ich werde Gelegenheit haben mich davon zu überzeugen?"
"... selbstverständlich. Das wird kein Problem sein, vermute ich."
Frau von Oppen nickte. Dann lächelte sie. Dachte wohl an ihren Sohn, der in einem eklig teuren Sportwagen durch Duisburg steuerte, um mit jedem der Bewohner seine Freude zu teilen.
"Ihr Sohn kann mit Fräulein Blusteva jederzeit sprechen. Bedenken sie aber, dass sie unserer Sprache noch fremd ist. Er kann sicherzeit kenenlernen."
"Das wird nicht nötig sein!"
"Nicht nötig sein, dass sie unsere Sprache spricht?"
"Nicht nötig sein, dass mein Sohn Ilon ihre Blusteva kennnenlernt!"
"Ich fürchte, ich verstehe nicht ..."
"Jetzt stellen sie sich nicht dumm, Herr Malben! Ich will sicher sein, dass meinem Sohn bei diesem Fräulein Blusteva niemand zuvorkommt. Das ist mein Anliegen, Herr Malben."
"Ich fürchte, eine Vereinbarung, eine unverbindliche, kann ich nicht -"
"Auch nicht, wenn ich den vollen Preis bezahle, Herr Malben!?"
"Den vollen Preis? Das wäre sehr ungewöhnlich, muss ich sa -"
"Hören sie! Was denken sie eigentlich, wen sie vor sich haben? Mein Sohn Ilo soll sich das Mädchen aussuchen können. Ich will sicher gehen, dass sie eine Jungfrau ist, wenn er sich entscheidet. Sehen sie, ich bin seine Mutter - ich kenne ihn, wie niemand ihn kennt. Ich sehe in seinen Augen, wenn er sich etwas wünscht."
Malber sah zum Fenster. Sah er richtig, dass ihm Bakas sein 'Okay' über die Straße signalisierte?
"... so wünscht wie diesen Wagen! Ich sehe, sie verstehen mich recht. Ich erwerbe eine Option auf eine Jungfrau!"
"Blue ist auch sehr schön. Niemand, der etwas anders sagen würde."
"Ich zahle eine Option, nicht zwei! Wenn sie Jungfrau ist und eine Schönheit - suchen sie sich aus, für was die Option ist!"
Malber protestierte: "Bitte, sie haben mich ganz falsch verstanden, Frau von Oppen!"
"Freut mich, dass ich sie falsch verstanden habe." Frau von Oppen öffnete ihr Handtäschchen, entnahm einen edelschwarzen Tintenfüller und sah Malber erwartungsstreng an.
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Kapitel 27
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Mit dem Scheck in der Tasche fühlte sich Malber unwohl. 'Was ist, wenn sie mich durchsuchen? Wie erkläre ich einen Barscheck über ¤ 20.000,-?', dachte er.
Er grüßte den Pförtner. 'Seltsam, dass die Wärter wie Gefangene aussehen', dachte Malber.
Die Tür schloss sich hinter ihm. Einrasten von zwei schweren Fallriegeln. 'Sie kennen keine Feinmechanik', stellte Malber fest. 'Wie ist es ihnen gelungen, Bakas zu fassen?'
Er ging seinem Führer hinterher. Der schwere Mann stand unschlüssig vor der Treppe, die 3 Stockwerke in die Höhe ging.
"Ich kenne mich aus", sagte Malber. "Außerdem werde ich erwartet."
Der Wärter winkte einen Gefangenen herbei, der einen Besen den Gang entlangschob. "Hey, Benny, bin heut’ nich’ so gut in Form. Gehst du mit ihm zu Bakas? Kennst ihn doch."
Benny lehnte den Besen langsam gegen die Treppe ab.
"Drei Jahre Körperverletzung. Guter Kerl, der Benny ... na ja ... wenn er nich’ getrunken hat. Dann steht er neben sich."
Sie gingen nebeneinander die Treppe hoch. Benny schwieg stumpf.
"Da!" sagte Benny, als sie oben standen. Worauf sich das Wort bezog, verriet Benny nicht.
"Ich kenne den Weg", sagte Malber.
Benny führte ihn dennoch wie einen Besen gemächlich weiter.
"Danke, Benny!" sagte Malber. "Ich klopf dann mal."
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Bakas hatte die Füsse auf den Tisch gelegt und schob sich eine imaginäre Zigarre in den Mund.
"Tja, Malber", sagte er, "die Kohle winkt."
Malber zog den Scheck aus der Hose und winkte.
"Wieviel steht drauf?" fragte er Bakas.
"Blusteva mit dem Sportwagen?" Bakas grinste.
Malber nickte.
"¤ 25.000, enttäusch mich nicht!"
Malber legte ihm den Scheck hin.
Bakas las sie Summe, nicht recht zufrieden, nicht recht unzufrieden.
"Der Wagen - das sind glatte 150 ... wenn er neu ist."
"Frisch gekauft", sagte Malber knapp. "Ein paar Stunden alt, mehr nicht!"
"Was will so einer mit Blue? Zuhälter ist er nicht. Die kenn’ ich alle! Eher reiches Söhnchen!"
"Seine Mutter hat eine Option gekauft."
"Was hat sie!?" Bakas fiel fast die Zigarre aus dem Mund.
"Keiner kommt ihrem Sohn zuvor. Blue ist für ihn reserviert. So ist es ausgemacht."
"Dann zahlt sie dasselbe bei Erfüllung!"
Malber zuckte die Achsel.
Bakas schob sich die Zigarre in den Mund und grinste.
Malber fügte hinzu: "Außerdem muss sie Jungfrau bleiben."
"Na, dann pass mal schön auf ihr kleines Heiligtum auf, Malberchen!"
"Mach ich!" versicherte Malber.
"Versichern können wir es ja nicht."
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"Zara ...", sagte Malber
"Ist wohl ein Problem, die Gute. War sie übrigens immer, seit ich denken kann."
"Sie hat sich ein wenig auf Blue ... nun ja, fixiert."
Bakas nickte, diemal ernst.
"Es hat einen heftigen Streit mit Leonyd gegeben. Es ging um das Computerspiel. Etwas gefiel Zara daran nicht."
Bakas trommelte mit den Fingern auf dem Tisch. "Ich will, dass Leonyd weiter für uns arbeitet. Sag ihr das! Mir ist egal, was sie sonst anstellt: Der Junge bleibt bei uns! ... Den nehmen mir die Knackis hier doch mit Kusshand ab, wenn ich den laufen lass."
Bakas sah Malber fest an: "Gehört, ja? Leonyd bleibt bei uns. Mit dem habe ich noch Großes vor!"
"Verstanden", meldete Malber, der Gehorsame. "Ist mir auch lieb so. Ich mag ihn, mein Sohn Paul mag ihn sehr. Ich glaube, Blue mag ihn auch trotz seines Aussehens."
Bakas drohte mit dem Finger. "Nicht, dass er sich an unserer Option zu schaffen macht."
"Ich pass auf", sagte Malber. "Vom Typ her ist mehr der Anbeter als der Räuber."
"Das sagen die Triebis hier alle von sich! Finden nur keinen, der ihnen das abnimmt ..."
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"... Zara?", sagte Bakas, diesmal düsterer.
"Blue und Zara - das geht nicht gut, Bakas. Die beiden sind wie Hund und Katze!!"
"Wohl eher wie Katze und Katze ... Egal, Blue muss raus aus dem Geschäft."
Malber nickte und lehnte sich zurück. Es war das Geschäft von Bakas. Sollte er entscheiden.
"Zu dem Sportwagen ...?"
"... kann sie nicht", sagte Malber. "Er will nur die Option. Außerdem ist er mit dem Wagen beschäftigt."
"Weißt du, Malber - jeder Knacki hier hat was Spezielles in seinem Kopf am Laufen ... aber sie übertreiben nicht."
"Ich denke mal, Blue könnte noch bei meiner Frau bleiben."
"Ihr seid ... ?" Bakas zeichnete auf dem Tisch zwei Linien, die auseinanderliefen.
Malber nickte. Wenn jemand davon sprach, stimmte ihn die Trennung traurig. Eher, als wenn er für sich daran dachte.
"Was heiratest du eine Rechtsanwältin!? Selbst schuld."
Malber musste Bakas in diesem Punkt recht geben.
"Sag mal, Malber ...", begann Bakas langsam. Er überlegte. "Mir soll es recht sein, dass du noch nicht nach Geld gefragt hast ... aber wir können ruhig mal drüber reden."
"Schwierige Geschichte ..."
"Verstehe. Du kannst kein Geld gebrauchen, dass sie dir sofort wieder abnimmt."
Malber schüttelte langsam den Kopf.
Bakas grinste. "Verstehe, die Gattin Rechtsanwältin will das Geld!"
"Es steht ihr ja zu. Petra trägt die Kosten für die Kinder. Ich dagegen ..."
Malber schwieg.
"Ich lass mir etwas einfallen", sagte Bakasch. "Ich bin ja nicht für lang hier. Dann sprechen wir drüber. Mit ein wenig Einsatz von deiner Seite wird es dein Schaden nicht sein."
Bakas streckte sich auf dem Stuhl und gähnte ausgiebig.
Irgendwo draußen klopfte ein Besen.
"Was mache ich nur, wenn ich draußen bin", überlegte er.
"Steht die Sache vor Gericht so gut?"
Bakas nickte. "Nebenklägerin ist nicht auffindbar. Verschwunden. Abgetaucht. Geld? Angst? Ein Mann? Mehrere Männer? Niemand weiß …"
Bennys Besen klopfte wieder. Einsilbig und stumpf.
"Benny", sagte Malber. "Er hat mich hochgebracht."
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Kapitel 28
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Leonyd hatte einen zerknitterten Jeanshut aufgesetzt und in das Gesicht gezogen. Dazu trug er seine dreckig-weiße Turnschuhe und einen zu breiten, billigen Stoffmantel.
Er stand am Brunnen in der Mitte der Stadt und sah die Straße hinunter, die zu Malbers Büro führte. Neben ihm siedelte eine Gruppe von gestikulierenden Betrunkenen. Als sich drei aus der Gruppe lösten und die Straße hinunter gingen, um Nachschub an Bier zu holen, ging er mit ihnen.
Langsam schlurften sie die Straße entlang. Einer von ihnen musste sich an einer Hauswand abstützen, so betrunken war er. Die anderen beiden setzten sich auf die Bank vor Malbers Haus und warteten auf ihn. Leonyd setzte sich dazu.
"Kauf’ste auch beim Fritz sein Bier?" wurde sie gefragt.
Leonyd nickte.
Der Mann winkte seinem Kumpan an der Hauswand. "Mach schon, Manne! Was’n?"
Blue sah unter ihrem Hut in den Eingang zu Malber Bürohaus. Wie sie vermutet hatte, saß dort Roa in einem der Empfangssessel. Er hatte eine Zeitung vor sich liegen und sah auf die andere Straßenseite. Vor dem Gefängnistor waren zwei große Rundspiegel angebracht, mit deren Hilfe er die Straße beobachten konnte.
"Komms’ du? Lass den Manne. Der is’ hinüber."
Die beiden Männer erhoben sich. Leonyd schlürfte an der Roa abgewandten Seite langsam Richtung Büdchen. Am Ende der Straße bog er schnell nach rechts ab. Er spürte in ihrem Rücken, dass ihm die beiden Männer hinterherglotzten.
"Was’n das für’n Akt?" hörte er hinter sich herfragen.
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"Roa steht vor dem Eingang?" sagte Leonyd leise zu Blue.
Auch Blue trug ein paar von seinen Sachen. Nur an ihrem Kopftuch wat sie zu erkennen.
"Wir müssen einen Weg finden. Wenn wir Paul kontakten, treffen wir uns mit ihm." Leonyd sah sich um. Er fragte einen jungen Mann nach einem Internetcafe und bekam die gewünschte Auskunft.
Sie gingen zwei Straßen entlang. Leonyd kaufte Blue einen Jeanshut, wie er ihn trug. Sie gingen die Straße entlang und hatte es nicht eilig. Manchmal berührten sich ihre Schultern. Immer sah Blue dorthin, wo auch Leonyd hinsah.
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Sie betraten das Internetcafe. Ein Paar mittleren Alters mit Jeansschlapphüten. Eine junge Frau, die sehr hübsch war, und ein kleiner dicker Mann, der älter war als sie. Die Jugendlichen an ihren Plätzen sahen auf. Die junge Frau zog ihren Hut ab. Ein Junge nahm die Füsse vom Tisch. Ein anderer beobachtete sie, während seine Hand weiter die Maus bewegte. Ein Junge rutschte in seinen Stuhl.
Leonyd wechselte ein paar Münzen ein. Dann zog er zwei Stühle an einen Platz. Als der Bildschirm anging, lehnte er sich zurück und seufzte zufrieden. Blue lächelte unsicher.
Leonyd wechselte in das Chatprogramm von Paul und begann zu schreiben, was ihnen widerfahren war. Dass Zara sie beide rausgeschmissen hatte, dass sie ihnen Roa nachgeschickt hatte, dass sie irgendwo würden unterkommen müssen, dass ie treffen mussten, dass Roa vor dem Haus wartete ...
Als er aufblickte, weil Blue ihn angestoßen hatte, standen 4 Jugendliche hinter ihm und sahen über seine Schulter.
"Mann, der Opa is’ echt fast!" sagte einer anerkennend zu den anderen.
"Was ’n mit der Maus, Opa? Bistte da auch so super drauf?"
"Seid ihr Gamer?" fragte Leonyd.
Die Jungen sahen ihn spöttisch an. "Sehen wir wie Chatter für dich aus?"
"Ich bin auch ein Gamer!" Leonyd blickte unsicher zurück.
"Opa, niemals das! Red keinen Schwach!"
Leonyd wandte sich wieder seinem Chat mit Paul zu.
"Also gut, Opa. Zeig uns, dass du ein Gamer bist! Trittst du an oder red’st du nur?"
"Ich trete an."
"Gegen Dobo, ja?"
"Gegen Dobo, meinetwegen."
"Shooter 's dir recht?"
"Shooter - abgemacht!"
"Um was spielen wir, Opa?"
"Darum, dass du mich nicht mehr Opa nennst - nein, warte." Leonyd überlegte. "Ich hab eine bessere Idee. In der Brückenstraße wartet ein Mann vor einem Haus, ja? Wenn ich gewinne, sorgt ihr dafür, dass er verschwindet."
"Geht klar. Aber du gewinnen tust du eh' nich’. Ich krieg 'n Tageschip, wenn ich gewinn, Opa. Geht klar?"
Leonyd nickte. Dann begannen sie das Spiel. Dobo war gut. Aber nach kurzer Zeit standen sie alle hinter Leonyd und sahen ihm zu.
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"Dobo, du warst ein guter Gegner!" Leonyd wollte ihm die Hand schütteln, aber das war irgendwie nicht angesagt in seinen Kreisen.
"Opa, dass du ein Pro bist, hätt'st du sagen können. Trotzdem Superlead, den du hast. Wahnsinn das!"
Leonyd wartete. Als sie nur untereinander redeten und Tips austauschten, schaltete es sich ein. "Eh, wir hatten eine Abmachung ..."
"Du meinst, dass ich dich nich' Opa nenne?" Dobo sah ihn frech an.
"Nein", sagte Leonyd fest, "das andere ... die Sache mit dem Mann."
"Wo steht der Typ?" fragte Dobo und gähnte.
"Auf der Brückenstraße."
"Wo da, Mann? Wie sieht er aus"
"Gegenüber vom Gefängnis. Langer Ledermantel. Helle Augen. Glatte lange Haare."
"Kennst du da wen im Bau? Name von dem!"
Leonyd sah Blue kurz an. "Bakas", sagte er. "Bakas ist der Name."
"Gib mir dein Handy, Ivo."
"Du kannst meins haben", sagte Leonyd und reichte es ihm.
"Is' besser, wenn ich Ivo seins nehme. Die Nummer is' gewaschen!"
Dobo setzte sich. Leonyd stand mit den anderen Kumpels hinter ihm.
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Dobo wählte kurz.
"Polizei da?", fragte er und sah sich grinsend um.
"Muss was melden …
Passen sie gut auf, ja! …
Namen tut nichts zur Sache …
Egal, vergessen sie's …
Jetzt abgeregt, Sheriff, ja? …
Hab 'n Kumpel, ja? …
der Kumpel steht in der Brückenstraße …
Nee, is' nich' verboten, da rumzustehen …
aber verboten is', wenn er wen rausholen will aus 'm Knast …
Ledermantel, helle Augen, irgendwie so lange Haare …
Name vom Kumpel tut nichts zur Sache …
Bakas heißt der Typ, den er rausholen will …
War nett, Sheriff!"
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Kapitel 29
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"Ich kommen nicht 'rein' oder wie er das nennt", sagte Zara. Sie zeigte unsicher auf die Monitore.
Malber stellte fest, dass sie die Computer nicht einmal hatte einschalten können.
"Dieser ... Leonyd ist mit seinem Pagen davongelaufen. Mit diesen treulosen Menschen möchte ich nie wieder etwas zu tun haben!"
Zara war in letzter Zeit blass geworden. Eine dicke Schale Einsamkeit umgab sie.
"So allein?" fragte Malber mitleidig. "Wo ist Roa?"
"Bei der Polizei", sagte Zara. "Sie halten ihn dort fest."
"Warum das?"
"Er ist Weißrusse. Hat kein Visum ... "
"Kann ich etwas für ihn tun?" Malber schaltete die Computer an. Die Monitore zeigten das Spielportal.
"Ja ... sie können etwas tun. Er braucht eine Einladung. Dann ist er wenigstens als Tourist hier. Was für ein Land, dieses Deutschland! "
"Ich werde mich darum kümmern", versprach Malber.
Zara gab ihm eine Telefonnummer.
"Das Mädchen Blue ist auch fort", sagte Zara leise. Ihre Augen brannten sich in Malbers Blick.
Malber versuchte, sich einzuloggen. Seine Zugangsdaten waren ungültig. Er tippte Zaras Logindaten, die auf dem Monitor klebten. Auch ihr Account war gesperrt.
"Sie ist verschwunden ... wie unsichtbar gemacht." Zara stützte sich auf dem Tisch hoch. "Aber ich spüre Blue. Niemand kann dieses Mädchen unspürbar machen!"
Malber betrachtete sie nachdenklich. Zara bemerkte ihn nicht. Aufgerichtet stand sie und starrte, als sehe sie ein Bild.
"Ich habe mit ihrem Bruder gesprochen", sprach er Zara an.
"Mein Bruder ... mein Bruder ... wie geht es ihm?"
Malber wartete. Doch Zaras Blick war nur müde geworden, hatte sich ihrer Umgebung nicht genähert.
"Ihm geht es gut. Er hofft, dass die Anklage gegen ihn bald fallengelassen wird."
Zara nickte.
Worauf sich das Nicken bezog, hätte Malber nicht sagen können. Es war schwierig, mit jemandem zu sprechen, der mit sich selbst sprach.
"Die Monitore - sie leuchten wieder!" Etwas ließ Zaras Stimme zittern. Ein feiner Riss, den eine Kraft von innen unter Spannung hielt.
"Ich habe sie angestellt", sagte Malber geduldig. "Das heißt aber nicht, dass wir einen Zugang zum Spiel haben."
"Sie war unsichtbar. Als ich sie umarmen wollte - unsichtbar. Kein Zauberwerk. Ich kenne alles Zauberwerk. Ich kenne Leonyd. Das Werk von seinen Fliegehänden. Er will mich täuschen, aber ich sehe seine Finger, wie sie über die Tasten tanzen. Sie schreiben 'unsichtbar'. Er weiß nichts von seinen verräterischen Fingern ..."
"Ihr Bruder sagt, wir sollen Leonyd wieder einstellen." Malber wartete.
"Roa ... Ich will mit Roa darüber sprechen!"
"Über Leonyd?"
"Ich habe ihn nicht gefragt, ob sie für ihn auch unsichtbar war. Roa - ich hätte ihn fragen müssen, ob Blue für alle unsichtbar war!"
Malber schaute auf den Monitor, um sie nicht ansehen zu müssen. "Wir werden Leonyd also wieder einstellen", sagte er schließlich.
"Ja!", rief Zara. "Wir stellen Leonyd wieder ein. Dann kann er Blue sichtbar machen. Es wird ganz einfach sein. Seine feinen Hände - ich werde ihnen dabei zusehen. Er darf nicht falsche Worte auf die Tastatur schreiben. Er war immer gehorsam. Rufen sie Leonyd. Fragen sie ihn, wo er ist. Sagen sie ihm, ich bin hier und warte auf ihn!"
Malber war froh, dass er wenigstens das hatte klären können. Auch wenn er nicht dachte, dass Zara und er dasselbe dachten.
"Niemand darf sich unsichtbar machen. Ich will nicht, dass sie sich unsichtbar macht!"
"Ich spreche mit Leonyd, wenn ich ihn sehe."
"Ja, Malber, sprechen sie mit ihm. Veranlassen sie alles. Ich will, dass es wieder schön ist. Ich werde mich einfinden, Zara die Fürstin."
Zara schaute in die Monitore. Einen nach dem anderen. In alle vier Monitore. Lange betrachtete sie das Portal in jedem von ihnen. Jedes Mal schüttelte sie den Kopf. Wie ein Zittern, das ihren Körper durchlief.
"Ich werde Freunde einladen."
Malber schreckte auf.
"Gute Freunde. Sie werden sehen, Malber. Denken sie nicht, Zara ist allein. Zara die Fürstin hat Freunde, die sie gerne um sich hat. Ungewöhnliche Freunde. Sie lieben mich. Sie kommen, um freundlich zu sein."
"Ihre Freunde haben Touristenvia?" fragte Malber vorsichtig.
"Roa, wo ist Roa?"
"Ich kümmere mich um Roa. Versprochen!" Malber hielt den Zettel, den sie ihm gegeben hatte, in die Höhe.
Ganz leise flüsterte Zara: "Blue … werde ich Blue wieder sehen … können?"
"Blue geht es gut", sagte Malber.
Zara lächelte. Sie sah Blue wieder. Ihr Haar. Sie war sichtbar geworden. Die Computer waren nicht wichtig.
"Sie will nicht mehr in das Spiel zurückkehren", erklärte ihr Malber. "… das ist nichts für Blue. Es wäre schade um Blue, findet ihr Bruder."
Zara nickte. Sie lächelte, solange sie Blue sehen konnte.
"Wir haben jemand gefunden für Blue … jemand, der sie sehr mag."
Zara drehte sich von Malber weg.
Sie sprach sich selbst an. "Wenn Blue in den Stand der Ehe geht, dann bekomme ich mein Haar. So ist es ausgemacht zwischen mir und dem Menschenkoch. Sein Wort ist stärker als Fliegehände!"
Malber hatte sie den Anfang verstanden. "Mit dem Stand der Ehe - soweit sind wir noch nicht. Vorerst … eigentlich hat nur seine Mutter Interesse an Blue gezeigt - Frau von Oppen. Ihr Sohn hat Blue noch nicht einmal gesehen …"
"Blue ist unsichtbar", sagte Zara. "Wusstet ihr nicht - mein schlauer Bruder, sein schlauer Berater - dass Blue unsichtbar ist, weil Leonyd mit seinen Fliegehänden 'unsichtbar' auf die Tastatur geschrieben hat."
"Nun, sie wird schon wieder auftauchen", sagte Malber. "Wir haben mit Frau von Oppen eine recht vertragsfeste Vereinbarung getroffen. Selbst wenn sie nicht -"
"Ich habe Blue gesehen", unterbrach ihn Zara. " Ich werde zu Frau von Oppen gehen. Sie wird Blue sehen, wie ich sie gesehen habe."
Malber schwieg. Er stellte sich Frau von Oppen vor. Er stelle sich Zara vor. Und wusste nicht, wie er sich eine Begegnung vorstellen sollte.
"Da wäre noch eine Kleinigkeit … Wir sind uns nicht sicher, ihr Bruder und ich, ob Blue tatsächlich eine … also, eine unberührte Frau ist, eine Jungfrau quasi. Sie kennen sie länger. Wissen sie, ob …"
Zara sah ihn lächelnd an. Sah ihm direkt in seine Augen. Ein Blick, der klar geworden war, in diesem Augenblick.
"Sie ist ein Geschöpf vom Menschenkoch, wusstet ihr, Bakas-Malber, das nicht?"
Malbers Blick zuckte zum Computerbild, dann wieder zurück.
"Ein Mann, der sie berührt, ohne dass ich es will, würde verbrennen bei lebendigem Leibe, dort, wo er liegt oder steht. Es ist ein Feuerschloss. Der Menschenkoch hat mir Schlösser angeboten. Manche mit Zähne, andere die giftig sind. Ich wollte dieses für Blue, ein Feuerschloss."
"Kann ich dem entnehmen, dass ihr glaubt, dass Blue noch unberührt ist", so Malber sehr vorsichtig, um im Gespäch zu bleiben.
"Richtet Herrn von Oppen aus, er soll zu mir kommen, wenn er zur Übergabe bereit ist."
"Nun", sagte Malber vage, "ich denke, die Angelegenheit will noch reifen in Herrn von Oppen."
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Kapitel 30
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Blue und Leonyd wohnten für den Übergang in Petras Haus. Dort hatte Malber sie abgeholt, um Blue einer delikaten Untersuchung zuzuführen. Warum Leonyd sich ihnen anschloss, war Malber unergründlich, aber es schien nicht in Frage zu stehen.
Das Haus von Oppen befand sich in bester Duisburger Lage. Aus der Zeit der einstigen Stadtblüte standen hier die Villen der Stahlbarone, die jetzt von ihren Nachfahren bewohnt wurden. Sie hatten sich die einzige Hügelformation von Duisburg ausgewählt. Die Villen waren durch ihre hohen Außenmauern verbunden wie eine einzige Burg.
Das Oppensche Anwesen war von einer zweieinhalb Meter hohen weißen Mauer umgeben. Wenn sich Mutter und Sohn das Grundstück nicht mit Nachbarn teilen mussten - wovon Malber nicht ausging - dannn war das Grundstück riesig, so groß wie ein Park im Inneren von Duisburg.
Obwohl die Straße sehr breit war, herrschte überall Parkverbot. Deshalb entschloss sich Malber vor das Tor zu fahren und schickte Leonyd, um zu klingeln. Die Klingel war groß wie ein Teller aus Messing. Eingelassen war eine Sprechanlage.
Leonyd sah ratlos zu ihnen herüber. "Es steht keine Name dran", rief er.
Malber winkte ihm, dass er klingen sollte. Schließlich stand die Nummer ganz oben auf dem halbrunden Tor. Da konnte es keine Verwechslung geben.
Das Tor öffnete sich einfach, ohne dass jemand gegengesprochen hätte. Malber fuhr vorsichtig durch das Tor. Als er sah, wie weit der Weg zum Haus war, ließ er Leonyd wieder zusteigen.
Sie parkten auf einem knirschenden Rondell. Zwei Wagen standen da. Ein älterer Wagen ihm unbekannter Machart - sehr geräumig. Daneben Ilos neuem Wagen, der rot, flach und muskelbepackt den anderen Wagen wie eine Kutsche aussehen ließ.
Vorsichtig stellte Malber seinen Wagen neben diesen beiden Wagen ein.
Unten auf der Treppe wartete ein Bediensteter in Livree, der ihnen voran die Treppe emporschritt.
Der Empfangsraum war groß und weiß wie eine mittelgroße Barockkirche, tiefrotes Holzgestühl auf weißen Marmorfußboden, auf dem sich große Teppiche verteilten.
"Dies ist besagte junge Dame?" Der Diener sah nicht Blue oder irgendwen an. Er stellte seine Frage in die Luft.
"Ich vermute, sie sind unterrichtet?" fragte Malber.
Der Diener beachtete ihn nicht, sondern wies Blue an ihm zu folgen.
Malber hielt Leonyd zurück, der sich aufmachte, Blue zu folgen. Es war schon ein Fehler gewesen, ihn überhaupt mitzunehmen.
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Sie hörten ein leises 'Psst!'. Dort, wo sie hinsahen, bewegte sich ein Vorhang. Ein Hand winkte. Sie sahen einen jungen Mann, der ihnen voraus zur Treppe ging.
Leonyd folgte. Malber ließ ihn gewähren. Solange er sich nicht in uneinmischbare Angelegenheiten einmischte … Zudem war Leonyd anstrengend, ein beiläufiges Gespräch mit ihm fast unmöglich.
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Der junge Mann gab ihm eine Zeichen. Worauf Leonyd ihm in ein Zimmer folgte. Was er sah, raubte ihm den Atem. Dieser junge Mann hatte den größten Monitor, den er je gesehen, von dem er je gehört hatte. Der Monitor nahm eine ganze Wand ein. Die Figuren, die Leonyd sah, waren größer noch als er.
"Du bist Ilo?" fragte Leonyd. "Der Sohn von dieser … Frau?"
"Ja, aber ich bin völlig normal", sagte Ilo. "Ich habe nichts mit der ganzen Sache zu tun, ehrlich nicht! Glaubst du mir das?"
Leonyd schwieg. Wenn dieser junge Mann Blue heiraten wollte, dann war es besser, er sagte überhaupt nichts.
"Ich habe nichts damit zu tun, hallo?" Ilo rüttelte Leonyd.
"Womit meinst du?" fragte Leonyd dumpf.
"Das Mädchen .. magst du sie?"
"Wie …? Ich bin nur dabei!"
Ilo nickte. "Das habe ich mir gedacht, dass du sie magst." Er blickte betrübt. Dann blickte er sofort wieder unbetrübt. "Also - dann gibt es zwischen uns kein Problem. Ich bin Ilo."
"Ich habe gehört, du willst … Blue heiraten."
"Alles, was du über mich gehört hast, stimmt nicht!" rief Ilo fröhlich.
"Ich heiße jedenfalls Leonyd." Er sah Ilo zweifelnd an. Es war tatsächlich schwer zu glauben, dass Ilo jemanden heiraten würde. Eine Heirat war nicht gut genug für Blue.
"Du musst mir glauben, dass ich dein Mädchen nicht heirate!"
"Sie ist nicht mein Mädchen!" sagte Leonyd dumpf.
"Ich mag Autos", sagte Ilo. "Aber eigentlich mag ich auch keine Autos. Mutter freut sich so, wenn ich mir eins aussuche. Den Autohändler mochte ich auch."
Leonyd schwieg. Er dachte immer noch betrübt an Blue.
Ilo beobachtete seinen neuen Freund betrübt.
"Was stimmt den nun …?" fragte Leonyd und blickte Ilo fest in die Augen.
"Du meinst dein Mädchen …?" Ilo war sofort wieder mit Leonyd betrübt. Er überlegte. "Ich weiß auch nicht, was daran stimmt. Ich soll sie heiraten, das stimmt. Aber wieso, weiß ich nicht. Keine Ahnung."
"Das kannst du mir nicht erzählen", sagte Leonyd ernst.
"Siehst du das?" fragte Ilo und zeigte auf seinen Bildschirm. "Toll nicht!?"
Leonyd nickte.
"Und der Bildschirm war nicht einmal so teuer wie eins von den Autos!"
Leonyd besah sich die Ecken. Alles war perfekt. Sogar in Seitensicht.
"Dafür interessiere ich mich! Warum soll ich dir dein Mädchen wegnehmen? Magst du Computerspiele?"
Leonyd zeigte keine Reaktion.
"Ich sehe es dir an, dass du etwas davon verstehst. Du schaust den Monitor an - nicht meine Krieger. Das tut sonst keiner!"
"Was spielst du?" fragte Leonyd. Irgendwie war er bereit, Ilo zu glauben. Die Vorstellung zu schmerzlich, dass Blue jemanden heiraten musste.
"Ich spiele nicht - ich lebe" sagte Ilo geheimnisvoll.
"Kannst du mir ruhig sagen. Ich kenn einige Spiele, eigentlich die meisten."
"Die Schlacht von Troja …?"
Leonyd nickte. "Kenn ich, klar."
"Alle Spiele haben Aufgaben - ist doch so?"
Leonyd nickte.
"Oh nein!" rief Ilo. "Das ist eine Sonderedition, nur für mich!"
Leonyd wusste damit nichts anzufangen. Sonderedition ohne Aufgaben, ausschließlich für einen Spieler?
"Wir liegen wirklich vor Troja! Schon ein ganzes Jahr liegen wir vor Troja. Ich bin Ileus, der Sklave von Patroklos und der …" Ilo sah Leonyd begeistert an. "... ist der beste Freund von Achilles!"
Leonyd glaubte ihm nun, dass er es nicht auf Blue abgesehen hatte. Eigentlich war er froh, denn Ilo gefiel ihm. Er war ein bisschen sehr reich, aber sonst war Ilo ganz normal … also nicht richtig normal … jedenfalls war es nett, mit ihm zusammen zu sein.
"Ich bin sehr klug für sie", rief Ilo. "Na, ist ja auch keine Wunder, weil ich alles im voraus weiß! Aber wenn ich etwas verrate, hört das Spiel sofort auf. Aber weil ich ein Sklave bin, sage ich sowieso nicht viel. "
"Ein Jahr läuft das Spiel so?"
Ilo nickte.
"Das kostet!", stellte Leonyd fest.
Ilo verdrehte ratlos die Schulter. "Weiß nicht …"
"Weißt du was?!? Nächstes Mal bringe ich dir unser Spiel mit. Ja", sage Leonyd stolz, "ich habe es selbst programmiert."
"Ehrlich? Du programmierst?" Ilo riß die Augen weit auf.
"Moment, ich sehe mir deinen PC an." Leonyd nahm sich die Tastatur, tippte ein bisschen. An die Größe der Buchstaben, so groß wie griechische Helme, musste er sich erst gewöhnen.
"Geht in Ordnung", sagte er. "Nächstes Mal, wenn ich komme, zeige ich dir unser Spiel."
"Was für ein Spiel ist es denn? Oder willst du das nicht verrraten?"
"Doch, doch." Leonyd schätzte die Größe des Monitors. "Es ist ein Partnerspiel mit Aufgaben. Mittelalter."
Ilo war begeistert. "Ich liege jetzt ein ganzes Jahr vor Troja … die sind ja alle nett zu mir, aber irgendwie bin ich immer Sklave für die … Mittelalter mit Aufgaben, das wär schon toll! Sag meiner Mutter Bescheid wegen dem Geld."
"Hey, halt!" Leonyd schüttelte den Kopf. "Wir sind Freunde, da ist es umsonst. Versteht sich oder?"
Ilo schossen die Tränen in die Augen. Schnell drehte er sich um.
"Willst du wirklich nichts dafür? … mein neues Auto? Ich brauch es wirklich nicht …"
Leonyd machte eine verächtliche Handbewegung.
Ilo machte eine noch viel verächtlichere Handbewegung.
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Kapitel 31
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Malber saß im Auto und wartete. Er hatte sich noch einmal den Wagen von Ilo angesehen. Besonders angetan hatte es ihm der Wagen seiner Mutter. Ein Gemisch aus Holz, Leder, Chrom, schwarzglänzedem Stahl. Die Übergänge der Partieen waren wunderbar handgearbeitet. Heute wurden die Autos zusammengesteckt, um einen Motorblock herum. Raffiniert zwar, durchdacht bis ins letzte, aber dieser Wagen war wie eine Geschichte, die sich Zeit nahm und immer ein wenig abgewandelt wurde.
Er war zum Teich gegangen, von dem er ein kleines Stück gesehen. Ein innenhofgroßer Teich zur Hälfte bedeckt mit feucht blühenden Seerosen, mit festen gelben Blütenköpfen. Auf der anderen Hälfte ein Schwan, der immer wieder seinen Kopf in das schwarze Wasser tauchte. Beide - das schwarze Auto und der Teich - waren ausgestorbene Spezies, die kein Aufsehen machen wollten.
'Fast schon kitschig, so schön ist alles hier', dachte Malber. Er dachte an Blue, die eine seltsame Untersuchung über sich ergehen lassen musste. Er dachte an Zara, die so seltsam geredet hatte. Ob Frau von Oppen an diese Dinge glaubte, konnte er nicht sage. Zara glaubte daran und sie hatte eine Gabe, andere auch daran glauben zu machen.
Er hätte immer noch nicht sagen können, ob es ein Glück für sie war, dass sie Heiratskanidatin war oder nicht. Sie war so völlig fremd in dieser Welt, nirgends eine Berührung, jedenfalls sah er keine. Aber galt das nicht auch für ihr Unterkommen in Petras Haus?
'Spricht ein stummer Mensch mit sich selbst?' dachte er. Vermutlich war sie auf ihre Weise fremd in sich selbst.
Der Garten um das Haus erinnerten ihn an einen Friedhof. Er hatte diese Orte immer gemocht. Die Bäume waren hoch wie Kirchen. Die Stille, feucht und hallend nach einem schweren Gewitter. Wie leicht die Steintafeln schienen. Wie schwer die Gedanken, die darunter lagen.
'Vielleicht ist Blue mir ähnlich', dachte Malber. 'Alles, was ich spreche, ist immer nur eine Antwort. Wenn die anderen nicht sprechen, bin ich friedhofsstumm.'
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Dann erschien der Arzt auf der Treppe. Er ging eilig zu seinem Wagen. Kurz rieb er sich die Stirn. Dann startete auch er, dass die kleinen Steine spritzten.
Nach einiger Zeit erschien Blue auf der Treppe. Sie stieg zu Malber in das Auto.
"Alles gut?" fragte Malber.
Wie immer sagte Blue nichts. Von ihrem Platz aus sah sie sich langsam nach allen Seiten um.
"Die Mutter meint es gut", sagte Malber. "Es hat nichts mit dir zu tun."
Er betrachtete Blue im Rückspiegel. Wie immer saß sie gerade und voller Anspannung. Er hatte noch kein Mal gesehen, dass sie sich zurücklehnte. Sie sah ihn an, als sehe sie durch ihn hindurch.
"Frau Oppen will sicher gehen", sagte Malber. "Wir haben es mit ihr vereinbart."
Der Schwan tunkte seinen Kopf tief in das schwarze Wasser. Blue und er sahen ihm dabei zu. Es war ein einzelner Schwan. Eine kleine Entenfamilie hatte sich genähert und schwamm im Bogen um ihn herum. Die kleinen Küken schienen über das Wasser zu springen.
"Mit ihrem Sohn hat das nichts zu tun. Es war allein Frau Oppens Idee. Sie meint es ernst. Ich finde, das ist das Wichtigste. Sie ist ehrlich bemüht, für ihren Sohn das Beste zu wollen."
Um den Schwan herum taumelten die gelben Köpfe der Seerosen wie kleine Lampignonboote. Die Entenfamilie war verschwunden. Auf der Treppe stand der Diener und drehte ihnen den Rücken zu.
"Es ist ja jetzt vorbei", sagte Malber. "Es gibt Länder, da finden die Frauen nichts besonderes dabei. Es ist ganz normal für sie."
Der Diener sah kurz zu ihnen hin. Schnell drehte er sich wieder weg.
"Es ist eine sehr wohlangesehene Familie. Wir haben uns davon überzeugt. Sie sind sehr reich. Das ist allgemein bekannt. Das ganze Haus und das Grundstück erstreckt sich noch viel weiter. Selbst ich habe noch nie ein so großes Grundstück in einem gesehen."
Die Trauerweide hatte die Farbe gewechselt. Das Licht schien ihr in den Rücken. Ein breiter buschiger Haarzopf berührte das Wasser.
"Ich weiß gar nicht, ob es zu einer Hochzeit kommt", sagte Malber und dachte: 'Und ich weiß auch nicht, ob du überhaupt irgendein Wort verstehst von dem, was ich sage.' Aber Blue wusste immerhin, dass er mit ihr reden musste über diese ganze Sache.
"Der Sohn Ilo scheint sehr nett zu sein, aber er ist wohl auch unentschlossen … jedenfalls wird sich zeigen, ob er … eine Hochzeit ist ja eine ernste Angelegenheit. Er kann eine Frau nicht zurückgeben wie ein Auto."
Blue blickte zum Haus, wo sich ein Flügel der Tür langsam öffnete. Dann erschien Leonyd. Erleichtert sah er zu ihnen herüber.
Als er im Auto hinten bei Blue saß, erklärte er nach vorne: "Ich habe mich verlaufen. Mein Gott, ist dieses Haus groß! Es hat ewig gedauert, bis ich herausgefunden habe."
Malber fuhr langsam los. Er war wohl der Einzige sein, der vor diesem Haus keinen Kies verspritzte. Außerdem wollte er den Lack schonen. Denn schließlich war es nicht sein, sondern Petras Auto.
Er konnte nicht sehen, ob Leonyd die Hand von Blue genommen hatte. Was war überhaupt mit den beiden? Es hatte sich etwas entwickelt, ohne dass es ihm oder einem anderen aufgefallen war.
"Was für einen Eindruck macht der Sohn auf dich?" fragte Malber nach hinten.
"Er hat einen Bildschirm, der so groß wie eine Wand ist", sagte Leonyd. "Es ist unglaublich. Ich habe nirgendwo gelesen, dass es so etwas gibt."
Malber fuhr umsichtig und wartete, ob Leonyd auf seine Frage antworten würde.
"Bis in den letzten Winkel scharf, das teil! Ich habe Buchstaben eingegeben, die waren so groß wie die Reifen eines Autos."
"Wie findest du ihn?" fragte Malber. "Ich meine, wie ist er als Mensch?"
"Er mag Computerspiele. Dieses Spiel aus dem Trojanischen Krieg ist völlig lebensecht. Es ist eine Sonderedition, die nur für ihn läuft - ohne Pause, seit einem Jahr!"
"Als Mensch - wie ist er als Mensch, Leonyd."
"Er langweilt sich. Ja, ich glaube, er mag es, wenn er mit jemandem reden kann."
"Keiner von uns ist gern allein, nicht wahr."
"Ich habe ihm versprochen, dass ich ihm beim nächsten Mal unser Partnerspiel zeigen werde."
Malber suchte sich bereits einen Parkplatz vor Petras Haus.
"Habt ihr über irgendetwas anderes als Computerspiele gesprochen? Zum Beispiel über eine bevorstehende Hochzeit?"
"Ich kenne ihn erst seit heute", sagte Leonyd entschuldigend.
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Kapitel 32
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"Noch etwas zu trinken gefällig, der Herr?" Roa trug ein Tablett auf dem Arm. Darauf ein Glas, einige Knabbereien. Er war als als Mundschenk verkleidet.
"Ach, Computermann, wir trinken einfach einen zweiten Becher. Gehen wir sicher, dass du uns nicht plötzlich davonspringst."
Leonyds Körper war taub bis hoch in den Nacken. Die Zunge war schwer. Dabei war sein Verstand völlig wach, nahm die zunehmende Betäubung des Körpers wahr.
"Waas ist jetzt?" fragte Leonyd.
"Wir warten", sagte Roa fröhlich. "Ich wische eure Gläser sauber. Dann warten wir."
"Woorauf?"
"Wir warten auf Zara, guter Computermann. Strengt es dich an, das Sprechen?"
"Zaara …? Bin Herold ..."
"Du bist solange ein Nichts, bis Zara die Fürstin, über dich entschieden hat. Was ist dir eingefallen, Blue mit einem Tarnkleid auszustatten?"
Roa sammelt die Gläser ein. Mit einem Tuch wischte er die Tische sauber. Er summte vor sich hin, als zur Spüle ging. Dort sang er leise, spülte Glas für Glas sorgfältig aus und wischte sie mit einem langen Lappen trocken.
"Das ist ein Schlaflied, Computermann. Dort, wo ich herkomme, singen wir gern." Er winkte Leonyd zu, der langsam nickte. "Weißt du, wo ich herkomme?"
Leonyd drehte den Kopf hin und her.
"Aus dem Land der 'Untoten' wie ihr hier sagt, 'Nzumba', wie wir sagen. Nicht wahr, hast dir gedacht, dass Roa nicht einer von euch ist, schlauer Computermann. Aber geholfen hat es dir nicht?"
Roa besah sich die Gläser, hielt sie ins Licht, bis sie fleckenlos glänzten.
Er sang leise sein Lied. "Es gibt soviel, was ihr Endtoten von uns nicht wisst. Dass wir Schlaflieder haben, wusstest du das? Sie sammeln unsere schläfrigen Seelen auf. Wusstest du? Wir haben natürlich mehrere Seelen, oder Nzumba-Geister, wie wir sagen. Eine meiner Seelen ist immermüde. Da singe ich für sie ein Schlaflied."
Nur die Augen von Leonyd bewegten sich. Geweitete Augen, die von Seite zu Seite wanderten.
"Zara hat nimmermüde Seelen. Ich höre sie nie ein Lied singen." Roa hauchte jetzt seinen Atem auf die Gläser und rieb sie dann. "Sie ist eine Fürstin. Ich bin nur ein gehorsamer Diener unserer Gemeinschaft."
Er setzte sich in einen der Sessel, rückte sich ein wenig zurecht und legte sich das Trockentuch über den Kopf. "Wir wachen und warten", summte er. Dann sang er Schlaflieder für seine Nzumba-Geister.
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Leonyd hatte die Augen geöffnet. So gelähmt er am Körper war, so wach war sein Geist. Es war alles ein Fehler gewesen. Aber er hätte sich für Blue nicht anders entscheiden können.
Als sich die Tür leise bewegt, wusste er, dass sie gekommen war. Er hatte sich so vorgestellt, dass sie kommen würde, leise und grausam, wahnhaft und klug.
"Leonyd, Leonyd", sagte Zara leise. "Was hast du dir gedacht?" Sie ging leicht hinkend von einem zum anderen. Betrachtete kopfschüttelnd Roa. Blieb vor Leonyd eine Weile stehen, beugte sich vor und sah ihm lange in die Augen.
"Du bist so klug. Und bist du so dumm." Zara fasste sich an der Hüfte, als sie zu den Gläsern hinkte. "Ich fürchte, dass Mädchen hat dir den klugen Kopf verdreht. Ja, so ist es gekommen."
Leonyd hatte Zara noch nicht so erlebt. Sie strahlte Ruhe aus. Die Sprunghaftigkeit war der Nachdenklichkeit gewichen. Ihre Stimme war leise.
"Was, mein lieber Leonyd, willst du mit so einem Mädchen?" Zara schüttelte den Kopf.
Er hatte immer gewusst, was sie dachte. Nun wusste er es nicht mehr. Die Botschaften, die sie aussandte, waren dieses Mal verschlüsselt.
"Was, lieber Leonyd - diese Frage solltest du dir stellen - was will so ein Mädchen mit dir anfangen?" Zara wartete, als wolle sie die Antwort in seinen Gedanken auflesen.
"Sieh dich an! Denkst du, sie sieht Schönheit in dir? Sieh das Mädchen an! Denkst du, sie hat es auf deine Klugheit abgesehen?" Zara schaute ihm in die Augen. Ihr Blick war nicht fiebrig wie sonst. Er war wie eine verschlossene Tür. "Was fängt deine Klugheit mit ihrer Dummheit an? Was fängt ihre Schönheit mit deiner … Gestalt an, die jeden Wunsch offenlässt?"
Leonyd fühlte, wie die Wut in ihm aufstieg. Er kämpfte dagegen an, weil er nicht wusste, ob Zara in ihn hineinschaute. Die Zara, die in sich gefangen war - diese Zara sah er nicht vor sich.
"Ich, Zara, habe dich gesehen, für was du bist. Nicht wahr? So ist es gewesen! Nicht ein Wort hast du verständlich gesprochen. Keine Papiere hattest du vorzuweisen. Was wusstest du von deinen Fähigkeit? Versteckt vor dir waren sie. Ich habe sie aus dir herausgesehen."
'Sie hat recht', dachte Leonyd angestrengt und deutlich für sein inneres Auge. Er wollte ihre Gedanken lenken. Vielleicht las sie seine Gedanken. Wenn nicht, war alles aussichtslos.
"Siehst du. Du weißt, was du an Zara hast."
'Sie hat viel Gutes für mich getan. Das muss ich anerkennen.'
"Deine Klugheit sagt dir dies … aber dein Dummheit, was tut sie? Hat dich Blue verhext etwa? … Nein, das kann sie nicht. Ein Wildtier wie sie kann nicht zaubern. Sie kann um ihr Leben kämpfen - darin ist sie gut!"
'Es ging alles von mir aus. Blue ist mir gefolgt wie eine Katze, hungrig auf einen Napf Milch.'
"Verstehen wir uns also darin. Ich wusste, du bist in der Nachbetrachtung nicht dumm."
'Blue hat keine Schuld. Von diesen Dingen versteht sie nichts!'
Zara breitete die Arme aus. "Was denkst du … Hast du darüber gedacht, was Zara tun wird?"
'Nein, es war schnell, zu schnell beschlossen. Keine Zeit, die Folgen -'
"- denn Zara wird etwas tun, nicht wahr, das zumindest ist dir vorstellig … hhsss!"
Sofort schrak Roa auf. "Sie kommt. Zara, die Fürstin. Sie ist auf dem Weg." Er faltete das Trockentuch sorgfältig und fuhr sich durch die Haare.
"Sie ist bereits seit längerem da, mein guter Roa." Er fuhr herum. "Während alle deine Geister schläfrig waren, ist sie gekommen."
Roa sprang auf. "Ich - alle meine Geister - nicht einer wach -"
"Gut, lass gut sein. Du hast alles gut gemacht, was solltest du nicht darüber schlafen. Ich habe mit Leonyd gesprochen. 'Wir' sollte ich sagen, haben ein wenig geplaudert."
"Wie? Was?" Roa fuhr herum zu Leonyd. Er fasste den Arm und fühlte zählend den Puls.
" 'Gedankenverständig' geplaudert, sollte ich sagen", bemerkte Zara sanft.
"Aah so", kam es erleichtert von Roa. "Ich dachte schon, er sei wieder …"
Zara ging in die Mitte des Raumes. Vermaß den Raum und korrigierte ein wenig ihren Standort. "Was denkt ihr, was ich, Zara die Fürstin, tun werde, nachdem was geschehen ist?"
Roa zuckte die Schulter. Er sah es nicht als seine Aufgabe an, schwierige Fragen zu beantworten.
'Sie wird Blue töten', dachte Leonyd plötzlich. Ein furchtbares echtes Erschrecken.
Zara sah ihn neugierig an. Sie hob warnend den Finger. "Leonyd, nutze deine Klugheit nicht gegen mich", mahnte sie. Sie spielte die Enttäuschte. "Du denkst mit zwei Zungen, Leonyd!"
'Wie gegen jede Vernunft wäre es, Blue das Leben zu nehmen!'
"Sie, Zara die Fürstin, ist verständig und wahr. Sie tut nicht Dinge, die von keinem Nutzen sind … in Augenblicken, die sie vorbeiwarten wird."
'Ich werde mich bewähren … wenn sie mir eine Gelegenheit gibt, werde ich mich bewähren!' dachte Leonyd sehr angestrengt und prägsam.
"Manche Gedanken, Leonyd, sind laut, andere leise … da steht eine Schrift an der Wand, eine Gedankenschrift … soll ich sie lesen? … aber die Frage ist: Spricht sie wahr oder falsch? … sind Gedanken, die ein Gedanke ausspricht, noch Gedanken … ach, nicht wichtig, Leonyd, vergiss es! … Ich frage mich nur, ob ich, die so viel in dir gesehen hat, nicht einen Trug gesehen habe. Ich frage mich - ja, ich frage mich, ob nicht auch du unsichtbar wirst, wenn ich dich gedankennah berühre."
Zara trat an Leonyd heran und betrachtete seine Pupillen.
Roa meldete sich entschuldigend. "Er hat zwei Gläser getrunken. Ich hatte beide vorbereitet - für den Jungen eines und für ihn eins. Hat sei beide getrunken, der Computermann."
"Roa, hol ihm seine Heroldssachen. Wir werden sie ihm anziehen. Dann lassen ihn ein wenig schlafen."
Roa eilte erleichtert davon. Es war unüberlegt gewesen, Leonyd zwei Gläser zu geben. Was ihm ohne Gedanken geschah, hatte schon manch unschönes Ende genommen. Hatte ihm den Ruf eingebracht, ein williger Vollstrecker zu sein.
Er war froh, dass der Computermann wieder bei ihnen war. Er mochte ihn. Jedenfalls war es einsam ohne ihn gewesen. Zara war ihm unheimlich in den letzten Tagen erschienen. Etwas war in sie gekommen, das ihr nicht mitteilbar war.
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Kapitel 33
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Melli hatte den ganzen Tag aus dem neuen Buch über ein Mädchen, das Helena hieß, vorgelesen. Melli war erschöpft, bis Verausgabung begeistert. Es war schön, dass Helena, obwohl sie eine Halbgöttin war, ihre Schwächen zugab. Sie war ein ganz normales Mädchen. Eigentlich konnte sich Melli auch vorstellen, eine Halbgöttin zu sein. Es war so einfach, sich in Helena hineinzuversetzen. Und es war so schön, in Helenas Leben hineingezogen zu werden.
Blue hatte still dabei gesessen und Melli zugeschaut. Wenn Melli ihr vorlas in dieser fremden Sprache, dann war es ein Geschenk der Freundschaft. Sie musste die Worte nicht verstehen, um zu wissen, worum es in dem Buch ging.
Melli las weiter. Es war so intensiv, wie Helena lebte. Sie hatte einen Vater, den sie liebte. Dieser Vater hatte ja sonst niemanden als Helena. Beide waren sie arm, lebten von einem kleinen Geschäft. Melli konnte nicht weiterlesen, so traurig war ihr zumute. Die Eltern von diesem Lukas sehr reich. Helena hätte ihn wohl auch so gehasst, selbst wenn sie nicht von Rachegöttinnen aufgehetzt worden wäre.
Blue nahm ihr das Buch aus der Hand und zeigte auf die Abbildung von Helena. Wie Helena die beiden Mädchen ansah! So voller Stärke und Willen. Das wollte Blue ihrer Freundin zeigen. Das Gesicht dieser Helena zeigte soviele Dinge. Sie war ein tapferes Mädchen. Für ein Schicksal war sie ausgesucht worden. Und doch hatte sie keine Angst. Für dieses Schicksal war sie bestimmt. Also blickte sie mutig zurück.
Es klingelte im Haus. Melli stahl sich zum Fenster und sah hinaus.
"Es ist diese Frau", sagte sie zu Blue. "Bleib du hier. Ich sehe nach, was sie will."
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"Hallo", sagte Frau Oppen. "Und wer bist du?"
"Ich bin Melanie Malber, aber mein Vater und meine Mutter sind nicht da."
"Das ist schade, denn ich muss etwas sehr Dringendes mit deinem Vater besprechen. Es ist so dringend, dass es nicht warten kann."
"Ja … aber er ist nicht da."
Paul rief von hinten: "Melli, die Tür zu. Es zieht!"
"Ich komme rein!" sagte die Frau. "Dann kannst du schnell die Tür schließen."
Melanie nickte nur ganz leicht, aber die Frau war schon eingetreten und blickte sich im Haus um.
"Und wer bist du?" fragte sie den Jungen am Computer.
"Paul."
"Ihr seid allerliebste Kinder", rief Frau Oppen ihnen zusammen zu. "Eure Eltern haben bestimmt viel Freude an euch."
"Das ist übrigens Melli da", sagte Paul. "Sie ist meine ältere Schwester. Eigentlich - wenn sie etwas von meinen Eltern wollen - müssen sie mit ihr sprechen."
Frau Oppen war verblüfft. Der Junge hatte nicht einmal von seinem Computer aufgesehen. Vermutlich lenkte sie ihn bei seinen Hausaufgaben ab. So waren die jungen Menschen. Niemand brachte ihnen gutes Benehmen bei. Für solche Dinge war in der Schule keine Zeit mehr.
"Ihr … du weißt sicherlich, wer ich bin?" fragte Frau Oppen.
"Ja, ich glaube …", antwortete Melli. "Soll ich vielleicht Blue herunterholen!"
"O, nein!" Frau Oppen reagierte erschreckt. "Das wird nicht nötig sein. Lass sie nur!"
Paul murmelte etwas, das Frau Oppen nicht hören sollte.
"Wenn deine Eltern nicht kommen..."
"Weiß nicht, wann sie kommen", sagte Melli.
"Da werde ich euch .. dir sagen, worum es geht."
Melli schwieg. Die Frau war wie die Lehrerin in dem Buch. Immer wollte sie etwas von Helena. Es war jedes Mal gut gemeint, aber es war bestimmt lästig für Helena.
"Mein Sohn Ilo … Ihr habt bestimmt von ihm gehört? … Also, mein -"
"- Der mit Riesenbildschirm, wo 'Troja' drauf läuft!"
"... Ich weiß jetzt nicht genau, worauf du abzielst, Paul, aber - um darauf zurückzukommen, was ich sagen wollte - mein Sohn Ilo hat sich entschieden", Frau Oppen atmete tief ein, "eurem Mädchen Blue den Hof zu machen. Nun, jetzt ist es heraus. Jetzt wisst ihr es!"
Melli spürte, dass sie rot wurde. Diese Frau störte zwar furchtbar, aber es war dennoch schön für Blue, dass sie jemand so lieb hatte.
"Ilo sagt", setzte Frau Oppen nach, "dass er ihr den Hof machen will, wie die Menschen früher, als … Jedenfalls ist das doch - finde ich - eine wunderbare Idee!"
Melli nickte. Sie wusste wirklich nicht, was gemeint war. Ilo wollte Blue den Hof machen. Wie meinte er das? Sie wollte es Blue erklären können.
"Mein Sohn Ilo möchte einen Boten bestimmen, wenn ihr so wollt einen - eh - Liebesboten. Jemand, der bei Blue um ihn wirbt. Eine Art …"
"Herold", sagte Paul. "Sie meinen einen Herold."
"Ein kluger Junge bist du", sagte Frau Oppen und nickte. Genau dieses Wort hatte sie gesucht. Paul machte seine Hausaufgaben so gewissenhaft, dass er sicherlich ein sehr guter Schüler war.
"Ja, einen Herold möchte mein Ilo bestimmen. Er sagt, die Griechen - der Junge hat soviel Phantasie, ich weiß wirklich nicht, wie er darauf kommt - diese Griechen hätten einen Boten zwischen den Menschen und den Göttern oder einen Gott zwischen den Menschen - ich weiß es nicht mehr - hin und hergeschickt, wenn sie umeinander geworben haben."
"Sie waren Halbgötter", sagte Melli. "Und der Bote war auch ein Halbgott."
"Muss nicht sein’, so Paul knapp.
"Ich habe darüber gelesen", entgegente Melli fest.
"Ja, aber deine Schnulzenliese - die weiß das, ja?"
"Also, Kinder", unterbrach Frau Oppen, "ich finde es wunderbar, dass ihr so gut Bescheid wisst, aber mein Sohn Ilo möchte … hat … will einen gewissen Leonyd als Liebesbiten bestimmen. Kennt ihr den Namen?"
"Klaro", sagte Paul.
"Er ist uns bekannt", sagte Melli würdevoll.
"Könnt ihr das euren Eltern mitteilen? Und natürlich diesem guten Mann? Wirst du das für mich tun, Melli?"
"Ich werde ihnen und ihm die Nachricht überbringen,"
"Das ist wunderbar", sagte Frau Oppen. "Ich bin froh -"
"- das ist noch Kleinigkeit", unterbrach sie Paul.
"Kleinigkeit? Ja, natürlich … Sprich, Paul!"
"Also dieser Leonyd, der Hofmachbote, hat noch jemanden, seinen Knappen, den er immer mitnimmt. Darf der Knappe auch mit?"
"Selbstverständlich", sagte Frau Oppen auf das Freundlichste. "Wenn es der Herr Leonyd so entscheidet, ist es ganz in sein Ermessen gestellt."
"Geht klar das!" so Paul.
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Kapitel 34
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[Zaras Hofstaat im Computerspiel]
"Mein lieber, allerliebster Herold, wir werden Gäste bekommen. Ich freu mich so. Wirst du sie freundlich in Empfang nehmen?" Zara hatte sich zwischen ihre Hofdamen gestellt. Sie wollte in neuen Kleidern auf neuen Wegen gehen. Verwirrung wollte sie stiften. Nicht mehr die Zara sein, die sich so leicht hassen ließ. Was wäre, wenn sie sich übersehen ließe?
Leonyd sah mit zusammengekniffenen Augen zu ihr herüber. Er hatte sich so daran gewöhnt, sie nicht suchen zu müssen, dass es ihm schwer fiel, sich nach ihr umzuschauen. Bewegt hatten sich ihre Gedanken, ihre Stimme, fortgetragen und wirbelnd. Sie selbst war immer am gleichen Ort gewesen. Was war mit ihr geschehen? Vorsichtig wollte er sein, aber ehrerbietig.
"Was ist der Wortunterschied zwischen Gästen, die kommen, und Gästen, die geladen werden?" Zara sah die zurückweichenden Hofdamen an. "Ihr erschreckt vor mir, vor der Frage?" Alle würden sich erst an die neue Zara gewöhnen müssen. Sie wollte ihnen Zeit geben. Immer wieder die neue Erscheinung beleben.
"Wielange werden diese Gäste bleiben?" fragte Leonyd. "Sind sie Gäste wie die Partner der Mädchen?"
"Du stelltst die rechte Frage, mein Herold. Es sind bleibrechte Gäste. Sie sind gekommen, um zu bleiben. Ein Gastrecht für die Partner der Mädchen, für meine Freunde aus Weißrussland ein Verweilrecht."
"Aus Weißrussland?" Leonyd war ehrlich erstaunt. Er war sich nicht bewusst gewesen, dass die Untoten auf Reisen gingen.
Zara nickte ihm freundlich zu. Sie probte den Augenschlag der Mädchen. Sollte sie kichern? Und knicksen? Aber mit wem das Köpfchen zusammenstecken?
"... und sie bleiben lang?" fragte Leonyd. "Reisen sie einzeln oder zusammen?"
"Mein lieber Leonyd, du weißt doch, von wem ich spreche, nicht wahr!?" Zara legte einem der Mädchen, das ihr nicht schnell entwichen war, den Arm um die Schulter. "Nicht wahr, meine Liebe", flüsterte Zara dem Mädchen ins Ohr. "Er weiß, wovon ich spreche. Du weißt es nicht, kleines Dummchen, aber er, der Herold …?"
"Nun", sprach Leonyd die Mädchen an, die um ihn weit weg von Zara sich gesammelt hatte. "Ich kenne tatsächlich einige der Herren. Sie sind … sie haben ein ungewöhnliches Auftreten. Die Damen, die ich kenne, eure Fürstin Zara nicht eingeschlossen, nun … schweigen will ich besser darüber."
Zara zog das Mädchen an ihrem Ohrläppchen zu sich heran. "Trilliri", sang sie in ihr schräg gehaltenes Ohr. "Nicht wahr, das gefällt dir, meine Zuckersüße. Hör ihn nicht an, diesen Herold. Ein Herold mit dem Mund ist er, kein Herold der Beine. Was weiß er schon?"
Leonyd lächelte. Jetzt wusste er, dass Zara einen Spaß mit ihm machte. Dem Mädchen mochte es nicht gefallen, allen anderen war es ein Spaß.
"Wie soll ich sie unterbringen? Sie schlafen nicht in Betten wie die Mädchen - sie schweben oder hängen herab, manche graben sich in die Erde."
"Huuhuh!" kam es von den Mädchen.
Leonyd blickte sich. "Sie baden in -"
"- Wasser! Wie wir!" unterbrach ihn Zara. Sie zog dem Mädchen sehr ärgerlich an den Haaren. "Der Herold, weißt du, meine Tränensüße, ist jetzt ein mutiger, aber warte ab - höre ich nicht bereits ihr Kommen? - wenn sie da sind - und wenn es nur einer ist - wird unser Leonyd kreuzbrav seinen Rücken beugen." Das Mädchen weinte leise. "Und nun fort mit dir, du Kichermaus, sonst frisst dich die Katze."
Schnell und jetzt laut weinend floh das Mädchen zu den Damen des Hofes. Dort warf sie sich in mehrere Arme und schluchzte an Busen, soviele sie finden konnte.
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Poch! Poch! Bumm! Bumm! Klonk! Klonk!
"Hört ihr sie?", rief Zara.
"Der Blinde sieht, der Taube hört", brummte Leonyd.
"Wer öffnet ihnen? Ich werde meinen Platz einnehmen müssen!" rief Zara. Sie eilte zu ihrem Fürstinnenstuhl, schwang den Umhang, nahm würdig Platz und wurde Zara die Fürstin, eh sie einmal geblinzelt hatte.
"Nun also", sagte Leonyd. "Da niemand der Damen unserem Besuch öffnen will..." Er sah sich suchend um, doch auch die Damen sahen sich suchend um, "werde ich gehen müssen. Unser Besuch wird nicht warten wollen." Und fügte leise hinzu: "... ehe er durch das Tor bricht."
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Das Tor erzitterte bereits. Schwere Axthiebe setzten ihm von außen zu.
"Hallo, hallo!", rief Leonyd. "Bitte, bitte, ich öffne bereits. Wenn sie nur ablegen würden … einen Moment ablegen würden, damit ich das Tor von innen öffnen kann." Leonyd sah durch ein in die Tür geschlagenes Loch hinaus.
"Joho!" rief jemand. "Klardas! Werde warten! Die Tür ist noch heil. Nichts ist beschädigt."
'Das kommt auf den Grad der Beschädigung an, den man sonst den Dingen zufügt', dachte Leonyd, während er versuchte, den völlig verkanteten Riegel zu heben. Er mühte sich schwitzend. Erst als der Besuch sich außen gegen das Tor stemmte, gab der Riegel nach.
'Dieses Tor wird keinen zweiten Besuch überstehen', dachte Leonyd.
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"Mein Freund ...", sagte Zara die Fürstin zärtlich. "Mein Freund … ich stelle euch vor, dies ist Zwerg Herzbar aus dem unteren Hinterland."
Zwerg Herzbar war ein Koloss. Nichts an ihm war zwergenhaft: seine Gestalt, sein Kopf, sein Bart, seine mächtige Axt, sein gewaltiger Helm, sein dröhnendes Lachen - nichts an Zwerg Herzbar war zwergenhaft. Er war ein Riese in einer riesengewaltigen Rüstung.
'Zwerg wird ein Vorname sein', dachte Leonyd.
"Bleib, wo du bist, damit ich dich ansehen kann." Zara wies auf die Bodendelle, wo er zu stehen gekommen war.
Zwerg Herzbar wuchtete die Beine zusammen, rammte die Axt auf den Boden und kreuzte die Arme über dem gewaltigen Bauch.
"Herzbar, immer noch der Alte?" fragte Zara.
"Ja so", brummte der Riese.
Leonyd runzelte leicht die Stirn. Er wollte nicht laut vordenken, was ihm sehr gedankennah erschien.
"Ihr müsst wissen, Herzbar drückt euch an sein Herz." Zara hob warndend die Hand. "Liebe Damen, lieber Leonyd, es ist sein Wesen, seine äußere Natur" Zwerg Herzbar nickte gewaltig in seinen Bart. "Er ist ein übermenschlicher Knochenpresser mit einem Herzen aus Gold."
"In Nzumba - damit die zarten Elfen sich an den Splitterknochen der Toten nicht verletzten - presst Herzbar sie zusammen, und solch große Geviert", Zara zeigte auf eine kleine Truhe, "nutzen wir, um zu sitzen und gemein zu sein, in den blauen Stunden, am äußersten Ende der Nacht."
'Ich Armer durfte das nie erleben!', dachte Leonyd.
"Nur unserem Leonyd war es nie vergönnt, dabei zu sein. Wie oft hat er mich darum gebeten!" Zara lächelte Leonyd an. Wenn Leonyd nicht acht gab - er sah sich bereits vor - las Zara alle seine Gedanken wie einen Text auf seiner Stirn. "Ja, die schönen Stunden der Müdigkeit …"
Zwerg Herzbar gähnte hörbar unter seinem dichten Bart. Sichtbar wurde dies Gähnen nicht. Das ausrollende Echo eines Geröllsturzes. So stieg dies Gähnen unter seinem bebenden Bart hevor.
"Wo bringe ich den lieben Herzbar unter?" Für die Frage verbeugte sich Leonyd auf das Freundlichste vor dem herzgoldnenen, aber knochenbrecherischen Riesenzwerg.
"Herzbar, ich erinnere mich gut, schläft im Stehen, nicht wahr!?" Zara sah Herzbar eindringlich an.
"Mmmhja", murmelte Herzbar.
"Wir müssen ihn anbinden, Leonyd, damit er uns nicht umfällt und allerlei Schaden anrichtet." Zara beobachtete Herzbar, der ein erneutes Gähnen zu Tal rollen ließ.
"Leonyd, lass dir etwas einfallen. Wir wollen doch nicht …"
"Wenn wir ihn … er sich ein wenig bewegen könnte … zu diesem nahen Pfeiler … dahin. Bitte, Mädchen, löscht die Kerze über seinem Kopf, damit sein Helm nicht vertropft, sein Bart uns verbrennt! So ist es gut, jetzt werde ich … Ist es gut so, Zara?"
"Schnell", sagte Zara, "wenn er umfällt …"
Leonyd warf den Mädchen eine Rolle zu. "Mit dem Band wickelt ihn ein. Lauft, so schnell ihr könnt um den Pfeiler. Zieht es fest. Lauft schnell. Er gähnt, der Zwergriese. Lauft schnell. Zieht fest."
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Kapitel 35
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Malber fuhr knirschend wieder auf den runden Parkplatz vor dem Oppenschen Anwesen.
Er wandte sich nach hinten: "Paul, ihr müsst Ilo fragen, wie er sich die Brautwerbung vorstellt. Denk dran, es ist wichtig für Melli und Blue."
"Leonyd fragt ihn."
"Ich hole euch ab", rief Malber durch das offene Seitenfenster, als er knirschend das Auto wendete. Er hielt kurz an: "Paul, du hast das Buch vergessen. Das Buch von Melli."
Erst winkte Leonyd. Dann winkte auch Paul.
Oben auf der Treppe winkte Ilo. Frau Oppen stand am Fenster und winkte herab. Der Diener hatte ihnen den Rücken zugewandt und war mit etwas beschäftigt. Jedenfalls winkte er nicht.
"Kommt", sagte Ilo. "Wir haben etwas zu besprechen. Am besten gehen wir in mein Zimmer. Da sind wir ungestört."
"Hier hat sich eine Frau Zara angemeldet, eine weißrussische Fürstin - wie romantisch! Sie hatte eine so angenehme Stimme! Hallo, einer von euch, kennt ihr sie?"
Leonyd überlegte. "Ich kenne sie, ja."
"Ich habe sie eingeladen", rief Frau Oppen. "Ich hoffe, ich tue nichts Falsches. Es kam mir so aus dem Herzen."
"Ich kenne sie ..." rief Leonyd zum Fenster hoch und eilte den beiden anderen hinterher.
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"Wow!", rief Paul, als er das Zimmer betrat und auf den Bildschirm zuging. "Gigantisch! Ein Monsterding! Ich hätte nicht gedacht, dass es so etwas gibt."
"Ich habe mich daran gewöhnt", sagte Ilo. "Ich bin so groß wie Achill und die anderen. Es ist eigentlich ganz normal für mich."
Leonyd lag bäuchlings auf der Decke und sah den Figuren zu, wie sie sich langsam bewegten.
Es war Tag, und die Griechen waren mit allerlein Tagwerk beschäftigt. Sie machten sauber. Ein Sklave fegte. Ein anderer wusch. Die Männer reinigten ihre Waffen: die Schwerter, die Lanzen, die Schilde. Es gab wenig zu besprechen. Mürrisch und gelangweilt schauten die Gesichter drein. So etwas hatte Laonyd noch nie gesehen. Dieses Spiel war vollkommen natürlich. Geradezu langweilig floß die Zeit vorüber.
"Was hast du da?" fragte Ilo.
Das Buch, welches ihm Melli und eben sein Vater gegeben hatte, hielt Paul zwar in der Hand, hatte es aber vergessen. Er reichte es Ilo rüber, der sich lange das Mädchen mit den Bernsteinaugen anschaute.
"Es ist von Melli, meiner Schwester", erklärte Paul. "Sie meint, es würde dich interessieren, weil es um Troja geht. Melli liest immer so Sachen mit Liebe drin."
"Ich bin Sklave von Patrokles", sagte Ilo, "und der kämpft mit Achill."
"Stark!" sagte Paul. "Wann kämpfen die denn? Bist du beim Kämpfen dabei?"
Ilo schüttelte den Kopf und sah betrübt auf den Bildschirm. "Erstmal kämpft Achill nicht, weil er beleidigt ist. Und selbst wenn sie kämpfen würden … Sklaven kämpfen nicht. Sie sind nur dabei, mehr nicht!"
"Na ja", sagte Paul, "der Bildschirm ist jedenfalls toll. Da gibt es nichts zu meckern."
"Dieses Buch …", begann Ilo vorsichtig, "worum geht es denn da."
Paul konnte seinen Blick nicht vom Bildschirm lösen. "Sie lieben sich eben. Das ist immer gleich …"
"Wer liebt sich?" Ilo ließ nicht locker. Er betrachtete die ganze Zeit das Mädchen auf dem Buch, das so trotzig dreinschaute und irgendwie wütend, fand er.
"Sie ist eine Halbgöttin und heißt Helena", erklärte Paul.
"Wie die Helena, die geraubt wurde?"
"Ja, es geht immer um Liebe …"
"- als Computerspiel gibt es das nicht?"
"Bestimmt. Gibt alles als Computerspiel." Paul war in Gedanken mehr bei den griechen als bei Melanies Buch.
"Leonyd, weißt du, ob es dieses Mädchen", Ilo hielt Leonyd das Buch vor die Nase," als Computerspiel gibt?"
Leonyd war aufgeschreckt. Das Einerlei des griechischen Tages hatte ihn so müde gemacht, dass er wie der Sklave, der die Ledersachen für Achill und Petrokles nähte, halb eingeschlafen war.
"Bestimmt gibt es das … Kann ich suchen, wenn du willst …"
Ilo nickte. Dann sagte er: "Wisst ihr, ich weiß so wenig von dieser Liebe … wenn ich ein Compterspiel hätte, dann könnte ich zusammen mit Helena - wie heißt der Junge? - und Lukas mehr darüber erfahren." Ilo gab Paul das Buch vorsichtig zurück.
"Es wäre bestimmt nützlich", so Ilo weiter, "wenn ich verheiratet sein werde."
Paul sah ihn schief an.
"Ich hab sie!", rief Leonyd. Er tippte einige Buchstaben ein und erschienen ein Junge und das bernsteinäugige Mädchen auf dem Bildschirm. Sie waren griechisch gekleidet. Da das Mädchen wie ein Junge aussah, fielen sie im Lager der Griechen nicht auf. Niemand sah sich nach ihnen um, wie sie Schulter an Schulter durch das Zeltlager wanderten. Das Mädchen war recht groß. Sie hatte die langen blonden Haare unter einem Lederhelm zusammengebunden.
"Das ist die Sonderedition", sagte Ilo leise. Bei 'Troja' wird sie vorgestellt."
"Scheint so." Leonyd nickte. "Seh mal nach … kostet … uppps!"
"Ich werde meine Mutter fragen", beschloss Ilo. " 'Troja' ist mir langweilig geworden. Und bei Helena und Lukas, da weiß ich nicht, wie es ausgeht."
"Kann ich dir sagen! So geht das aus!" Paul machte ein Schmatzkussmund.
Leonyd sah ihn tadelnd an. Paul verdrehte die Augen.
Aber Ilo hatte nicht zugehört.
"Dann lerne ich etwas!" rief er begeistert. "Als Sklave von Patrokles - was kann ich da lernen.? Achill ist die ganze Zeit in seinem Zelt. Einmal erst habe ich ihn gesehen! Außerdem ist alles so dreckig in diesen Zelten ..."
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"Habt ihr an alles gedacht?" fragte Malber, als sie im Auto saßen.
Malber sah im Rückspiegel, wie Leonyd und Paul sich ansahen.
"Habt ihr ihm Mellis Buch gezeigt."
"Klar, das war das erste, was mir gemacht haben", rief Paul von hinten.
"Also habt ihr den Rest vergessen?"
Lenoyd und Paul nickten stumm.
"Kein Problem", sagte Malber. "Ich muss sowieso tanken. Da holen wir ein paar Blumen für Blue. Und sagen ihr was Schönes dazu."
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Kapitel 36
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[Zaras Hofstaat im Computerspiel]
"Der Zwergriese hat geschnarcht, so fürchertlich geschnarcht, dass wir - nicht eine von uns - in den Schlaf gefunden hat. Jede von uns sieht wie ich jämmerlich aus!" Die Hofdame sah Leonyd bittend an.
"Gut siehst du aus, Mädchen", widersprach Leonyd. Die Hofdame knickste artig. "Aber ich fürchte wirklich, ich kann nichts für euch tun."
"Nichts tun", echoete sie. "Nichts tun."
"Wir erwarten noch andere Gäste. Wollen wir hoffen, dass sie nicht auch schnarchen."
"Ich hatte meinenSchlaftrunk, eine Tasse auf dem Tisch stehen. Sie hat in ihrem Untersetzer gezittert. Wenn noch andere Schnarchriesen kommen, dann werde ich aus meinem Bett fallen."
Leoynd schloss die Tür hinter sich. Der Riegel klemmte. Ein Türflügel war an der Angel beschädigt.
'Wir werden unseren Besuch an der Türe erwarten müssen', dachte er.
"Eine von euch muss hier stehen und unseren Besuch einlassen", sagte Leonyd.
"Ich werde unter uns Damen und Mädchen fragen, wer die Aufgabe übernimmt", versprach die Hofdame.
"Ich dachte, du könntest hier -"
"- Ich finde jemanden!", rief sie keck und war schon verschwunden, ehe sein Satz ausgesprochen war.
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Herzbar stand am Tisch und löffelte das Frühstück in sich hinein, aus einem Suppentopf so groß wie sein Helm. Ein kurzer Blick über den Topfrand genügte ihm, um Leonyd zu begrüßen. Herzbar schlürfte und grunzte. Nicht eine Hofdame, nicht einmal Zara mochte ihm dabei zusehen und -hören.
Sie saßen in der Küche zusammen an einem kleineren Tisch, Zara in der Mitte ihrer Hofdamen, jede ein Schälchen mit Frühstücksbrei in der Hand
"Guten Morgen!" rief Leonyd fröhlich. Alle Damen, Zara nicht ausgenommen, hatte tiefe Schatten unter den Augen. Wahr hatte das Hofmädchen gesprochen, das ihn empfangen hatte.
"Was können wir tun?", fragte Zara, die aufrecht saß und den Tisch gefasst hielt.
"Was können wir tun?" Das Echo der Hofdamen.
"Ist das eine Frage an mich, den Herold?"
"Herold, ja." Es fehlte Zara die Kraft zu einem Ausbruch. "Wenn ihr helfen könnt …"
"... könnt … könnt." Das Schnarchecho war in die Köpfe der Mädchen gewandert. Nur Zara war, wenn auch geschwächt, Herrin ihrer selbst.
Leonyd überlegte. Der Hof war eindeutig zu klein für einer größere Anzahl von Zaras untoten Bekannten. Wenig genutzt hatt er bisher die Freiflächen den Spiels. In aller Eile traute er sich zu, eine Bergkette mit Waldbedeckung, ein langgestrecktes Flußtal, Lichtungen und Hügel zu schaffen. Wer sich eingraben wollte, sollte es tun. Genausowenig wie die hängend oder stehend Schlafenden daran gehindert werden sollten zu schlafen, schnarchend in welcher Tonlage und Lautstärke auch immer.
"Freiluft und Fläche", sagte Leonyd.
"Fläche, Fläche und Fläche ...", tonierten die Mädchen.
"Wir haben die Umgebung nicht genutzt. Das Spiel fing am Tor an. Ihr erinnert euch wohl an die Zeit, als es noch gängig war?"
Zara und die Mädchen nickten.
"Sie können draußen schlafen, sich eingraben, in den Bäumen Schlafstätten bauen, auf Teichen in Booten, in Höhlen oder am Flussufer liegen."
"Nun, soviele werden es nicht sein", sagte Zara, deren Lebensgeister wiederkehrten. Sie hatte nicht vorbedacht, dass im Land der Untoten keine Mauern standen, die lauten Geräusche sich in den Weg stellten.
"Nun denn", sprach Leonyd. "Auf denn, an die Arbeit, lieber Herold."
-
Ein mächtiger Rülpser in der Halle, dann fiel ein schwerer Topf scheppernd zu Boden.
"Ich hoffe, wir haben ihn satt bekommen", sagte Zara mit süßherber Stimme.
Ein langsames Stapfen durch die Halle. Ein Schlagen von eisenschweren Händen an die Mäusern und Pfeiler. Langsam bewegte sich Herzbar im Raum umher.
"Zara nicht da?" hörten sie ihn grummen. "Zara wo?"
Zara legte den Finder vor den Mund. Auch die Mädchen alle legten Finger vor den Mund.
"Niemand da", brummte der Zwerg, der nun sehr nahe der Küchentür stand.
"Aber rieche Küche", sagte er zu sich. Ein kleiner Stoß, schon hing die Tür schräg in der Öffnung. Auch diese Tür.
'Wir werden sie für die Dauer der Besuche durch einfache Vorhänge ersetzen', dachte Zara. 'Was nützen uns Türen, die so wenig beständig sind?'
Herzbar neigte den Kopf in die Türöffnung. Weil ihm der Helm in die Augen rutschte, sah er nichts. "Dunkel hier. Küche." Er zog den behelmten Kopf wieder aus der Öffnung und wankte gemächlich dem Ausgang zu. Dort richtete er den Helm, sah sich erstaunt um, ging kopfschüttelnd weiter.
Ein Mädchen schob die Tür vorsichtig vor die Öffnung. Sollte sie ein wenig offen stehe. Anders ging es nicht.
"Wer kommt noch?" fragte sich Zara laut vor den Mädchen.
Mit Schrecken warteten die Mädchen auf ihre Ankündigung.
"Die Zwillinge kommen. Reiselustig sind und gut zu Fuß", gab sie sich zur Antwort.
Die Mädchen lauschten bang.
"Sie schnarchen nicht", Erleichterung in den Gesichtern, "aber sie gehen nachts, nie schlafend, umher. Wen sie schlafend finden … in dessen Traum treten sie ein. Wisst ihr, Kinder, es gibt Träume, aus denen ihr nicht wieder erwacht. Sind wie ein Wurm, der euer Inneres zerfrisst … Ja, die Zwillinge … Kommen werden sie sicherlich. Am besten holt ihr euch tags ein wenig Schlaf und bleibt die Nacht traumlos im Bett."
Die Mädchen nickten mit schlaflos fahlen Gesichtern.
"All die Untoten haben es auf eure Nachtruhe abgesehen …" Zara überlegte. "Es könnte die Graumähnige sein. Ja, sie wird kommen, auf Flugtier oder Sattelfisch."
"Was kann sie?" flüsterte eines der Mädchen.
"Du solltest fragen, was kann sie nicht, meine Liebe." Zara stützte den Kopf sinnend. "Meine beste Freundin war sie in den frühen Tage, aber dann - sie wurde schneller älter als ich oder andere - wurde sie verwirrt. Gezaubert hat sie trotzdem, aber es gelang ihr nur noch das Falsche."
Die Mädchen fassten sich an den Händen, als könne ein Band den inneren Schrecken bannen.
"Die Bluthexe - ob sie kommt? Ich weiß es nicht. Wenn sie jemanden hat, den sie verbluten kann, wird sie bleiben. Sonst zieht unruhig einher und kommt sicherlich dieser Einladung nach."
"Uns verbluten?" fragte die Mädchen bang.
"Sie erzählt euch die schrecklichsten Geschichten aus den Zeiten der Großen Nachtelfe, die Königin war vom Elfenvolk, das im Krieg lag mit dem Orden der Untoten Ritter - schrecklichste Geschichte …"
'Verbluten', das Wort solle Zara ihnen, den gar ängstlichen Hofdamen, erklären.
"Die Geschichten sind so schreckensmächtig, dass ihr blutige Tränen weint, unablässig, bis ihr … verblutet seid."
"Kinder", sagte Zara und nun lächelte sie boshaft wieder, "ich weiß nicht, wer kommt … Einladen darf, wer eingeladen ist."
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Kapitel 37
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"Kinder", sagte Petra ganz ruhig, "seit einiger Zeit fährt ein knallroter Sportwagen an unserem Haus vorbei. Hat Blue etwas damit zu tun? Bekommen wir wieder Besuch von Zuhältern? Ich würde es gerne vorher wissen!"
Melli sah von ihren Hausaufgaben auf. "Blue war in den letzten Tagen immer bei mir. Wir sind kein einziges Mal vor der Tür gewesen. Paul, weiß du Bescheid?"
"Hmmh, ja … ich meine, nein."
"Was denn nun, Paul? … Hast du überhaupt zugehört? … Ein roter Sportwagen fährt zum wiederholten Mal an unserem Haus vorbei."
"Roter Sportwagen? Wie sieht er aus?"
"Wie sieht ein Sportwagen wohl aus!? Teuer eben und flach!"
"Sitzt jemand drin?"
"Natürlich sitzt jemand drin! Sonst würde er nicht fahren oder?"
"Orks, ich meine … ach, egal. Sag Bescheid, wenn er kommt."
Petra sah hinaus und wartete. Melli schrieb in ihr Heft. Paul arbeitete mit seiner Maus.
"Paul, hast du eigentlich keine Hausaufgaben … da ist er. Paul, schnell, lauf!"
Paul drehte langsam den Stuhl und sah hinaus.
"Ist Ilo", sagte er. "Ist sein Wagen …" Dann drehte er sich wieder zurück.
"Ilo ist der Sohn von Frau Oppen", erklärte Melli schnell. "Er soll Blue heiraten. Paul und Leonyd sind seine Herolde in der Brautwerbung. Sie haben sogar Blumen mitgebracht für Blue. Aber die Blumen waren sehr schnell verblüht und haben nach Benzin gerochen."
"Blöde -"
"- Paul, ich möchte nicht, dass du solche Worte zu deiner Schwester sagst!"
Paul hob gelangweilt die Schulter.
"Er ist bestimmt ein richtiger Angeber!" Melli schüttelte sich. "Er fährt durch unser Straße und wartet, dass jeder ihm hinterherschaut."
"Ich geh mal raus", sagte Paul. "Er will bestimmt zu uns."
"Lass ihn doch draußen rumfahren mit seinem Angebersportwagen!"
Paul warf ihr eine bösen Blick zu. Dann stand er endgültig auf, warf noch einen letzten Blick auf den Bildschirm und ging langsam zur Tür.
"Und wenn es doch Zuhälter sind?" rief Petra ihm nach.
"Nicht mal Zuhälter haben einen so teuren Schlitten", sagte Paul.
"Ein totaler Angeber ist dieser Ilo Oppen!", warf Melli ein. "Blue ist viel zu schade für ihn. Er weiß überhaupt nicht, was er an ihr hat!"
"Er will sie ja auch nicht - seine Mutter will, dass er Blue heiratet!"
"Ein unverschämter Kerl ist er!" entschied Melli und radierte ärgerlich auf ihrem Blatt herum.
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"Das ist Ilo", sagte Paul und schob den jungen Mann in das Haus.
"Ich habe euch nicht gefunden", sagte Ilo. "Es waren soviele Häuser in der Straße, da …"
"Damit du es gleich weißt, Ilo … Ich bin Melli und die beste Freundin von Blue", grüßte ihn Melli prompt und unfreundlich.
"Ich habe schon von dir gehört!" sagte Ilo höflich,
"Wenn du mich beim nächsten Mal bitte ausreden lässt, Ilo. Das wäre sehr freundlich von dir."
"Ja, mach ich."
Melli radierte heftig. Einen ganz versteckten Blick auf Ilo erlaubte sie sich aber doch. Er war jünger als sie gedacht hatte. Es wunderte sie, dass er schon Auto fahren durfte. Eigentlich schien er Ilo schüchtern zu sein. Ganz anders als ihr Bruder Paul.
"Puuh", sagte Paul. "Die hat aber auch eine Laune, meine Schwester. Manchmal ist sie ganz nett, aber heute hat sie ihren ganz schlimmen Tag."
"Paul!" warnte Petra. "Nicht wieder über deine Schwester … So, Ilo, es freut mich, dass ich dich kennenlerne. Ich wollte den jungen Mann kennenlernen, von dem soviel die Rede ist."
"Ich habe von deinem Bildschirm erzählt", so Paul, der bereits wieder saß und die Maus herumschob.
Ilo stand in der Mitte des Raumes und wusste nicht, wo er seine Hände lasse sollte.
"Komm, setz dich hierher", sagte Petra und deutete auf das Sofa.
"Hier sitze ich!" rief Melli empört.
"Es ist doch Platz für zwei da", ermahnte sie Petra. "Setz dich hierher, Ilo. Sie beißt nicht."
Melli stand auf und setzte sich in die äußerste Ecke des Sofas. Dort zog sie ihr Buch unter dem Sofa hervor. "Ich mache meine Hausaufgaben später, wenn er weg ist."
"Komm, Ilo." Petra musste ihn zum Tisch schieben. Sie konnte sich nicht erklären, was heute in ihre Tochter gefahren war. "Blue ist oben. Ich kann sie holen, wenn du willst."
"Ich bin nicht deswegen gekommen." Ilo sah zu Paul.
"Nicht …?", sagte Petra.
Melli hatte las ihr Buch und interessierte sich für niemanden.
"Es geht um das Buch …"
Aber Melli sah nicht auf, sondern las sehr konzentriert.
"Paul hat mir bei seinem letzten Besuch dieses Buch von Melli gezeigt … Eigentlich bin ich gekommen, um zu fragen, ob Melli schon weiter gelesen hat." Er wartete einen Moment auf Antwort. "Die Geschichte von Helena und Lukas - wie sie ausgeht würde mich interessieren …"
"Melli, Ilo spricht mit dir. Er fragt, wie die Geschichte ausgeht zwischen Helena und Lukas."
"Warum liest er das Buch nicht selbst."
"Ich lese nicht gern", antwortete Ilo. "Ich bekomme Kopfschmerzen von Lesen. Deshalb lese ich nicht gern."
"Jeder Mensch muss lesen, Ilo", sagte Petra. "Du gehst doch sicherlich zu einer Schule?"
"Nein, ich geh nicht zur Schule."
Paul sah auf. Das wusste er nicht. Ilo war wirklich etwas Besonderes nicht nur wegen dem Wagen und seinem Monster von Bildschirm.
"Jeder geht zur Schule!", sagte Petra streng.
"Ich habe einen Privatlehrer", erwiderte Ilo.
"Siehst du!" Petra hätte den Jungen am liebsten gestreichelt, so leid tat er ihr.
"... der aber nur kommt, wenn ich will."
"Cool!"
"Paul! Was ist daran 'cool'? Was für ein Wort überhaupt!? Was sagen deine Lehrer, wenn du dich so ausdrückst?"
"Unsere Deutschlehrerin sagt, ich bin der einzige Junge, der vernünftig spricht. Alle Jungs in der Klasse sprechen 'Räuberdeutsch' sagt sie … nur ich nicht. Na Klasse! Sowas hilft enorm!"
Ilo rutschte auf seinem Platz hin und her. "... die Geschichte, wie geht sie weiter, Melli?"
"Melli, was hast du? Ilo hat dir eine Fage gestellt. Kannst du ihm nicht vernünftig antworten?" Petra schüttelte den Kopf über ihre beiden Kinder. Paul war noch ein Junge, aber Melli war ein erwachsenes Mädchen. Sie musste doch wissen, wie sie sich als ein solches zu benehmen hatte.
"Soll ich ihm das Buch vorlesen? Weil er Kopfschmerzen vom Lesen bekommt?"
"Melli!"
"Ich habe das Computerspiel gekauft", erklärte Ilo leise.
"Die Sonderedition! Wahnsinn! Er ist der einzige, der sie hat!" rief Paul von hinten.
Ilo sah flehend Pauls Mutter an. "Ich komme aber nicht weiter", sagte er leise.
"Leonyd hilft dir! Gibt kein Problem, was er nicht lösen kann!"
"Es ist kein technisches Problem. Sie kommen zu uns nach Hause, wenn etwas mit dem Computer ist … ich weiß einfach nicht, welche Freunde Lukas hat. Ich muss mich für einen von ihnen entscheiden."
"Die Cousins von Lukas heißen Hektor und Jason. Nimm einen von ihnen. Sie sind ständig mit ihm zusammen", informierte Melli knapp.
Ilo sah sie dankbar an. "Aber welchen von den beiden?"
"Hektor ist stark. Jason ist anders. Ich weiß nicht, wie er ist. Hektor ist einfach nur stark."
"Dann nehme ich Jason. Der Name gefällt mir auch."
"Nimm ihn! Entscheide dich einfach!"
"Melanie!"
"Ich möchte jetzt bitte gerne weiter meine Hausaufgaben machen!" forderte Melli. "Wenn er gehen würde, wäre das wirklich wunderbar!"
Paul winkte Ilo zu. "Fahren wir ein bisschen rum?"
"Ja, gut …", antwortete Ilo. Er warf einen Blick auf Melli, aber sie radierte bereits.
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Kapitel 38
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Malber sah auf die Uhr. Bakas hatte sich für elf Uhr angemeldet. Zu dieser Zeit hatte er eine Stunde Freigang. Das Gefängnis ließ ihm gewisse Freiheiten, nun da sein Prozess vor der Niederschlagung stand. Manchmal sah ihn Malber Richtung Stadt gehen. Ein anderes Mal stand er im kleinen Park und sah sich um. Einfach stehend und schauend. Immer waren zwei Wärter bei ihm gewesen. Aber er fiel nicht auf, weil dies die Gefängnisstraße war und weil ein harmloser Strafgefangener in Duisburg nicht beachtet wurde.
Die letzten Tage waren nicht einfach gewesen. Er würde Bakas berichten müssen. Zara war schwierig und wurde immer schwieriger. Ihre Gesellen bevölkerten jetzt das Spiel, welches sich völlig verändert hatte. Dabei traf Leonyd keine Schuld. Er hatte getan, was ihm aufgetragen worden war.
Malber hörte, wie die 'Leibwächter', wie Bakas sie nannte, schnaufend die Treppe hoch kamen. Sie hätten zu dritt nicht in den Aufzug gepasst. So mussten sie sich 4 Stockwerke hochquälen. Sie standen vor der Tür, groß, breit und schwitzend. Nur Bakas dahinter lächelte. Er war wieder gut in Form. Kein Schweiß auf seiner Stirn. Kein Gramm Fett. Spannkraft, die immer stärker wurde.
Als Malber die drei in sein Büro gelassen hatte, roch es nach dem Schweiß, der von schlechtem Essen herrührte. Er rückte den beiden Vollzugsbeamten zwei Stühle zurecht, stellte eine Flasche Wasser mit Gläsern vor sie hin. Die Herren ließen sich fallen und atmeten schwer.
"Sie wollten nicht, dass ich allein die Treppe hochging", erklärte Bakas und sah sie lächelnd, fast zärtlich an. Schlechte Menschen hatte er im Gefängnis nicht kennengelernt. Manchmal hatte er mit den Wärtern Mitleid gehabt. Es waren schwache Menschen darunter, Pechvögel und Suchttypen.
"Wie steht es, Malber?" frragte er.
"Ich fange mal mit der -"
"- erst die Kinder, die Familie …"
"Den Kindern geht es gut. Paul ist oft mit Leonyd zusammen. Sie verstehen sich gut. Vielleicht lernt er sogar etwas von ihm. Melli wird eine junge Frau. Jeden Tag entdecke ich eine neue Seite an ihr. Bei uns Alten gibt es nichts Neues …"
Malber sah Bakas an, ob ihm das als Vorspeise genügte.
"Wenn die Anklage niedergeschlagen wird, gehe ich nach Weißrussland. Ja, dort werde ich ein Mädchen heiraten, das ich mag. Wir werden sehen was wird - vielleicht Kinder." Er warf den beiden Beamten eine schelmische Blick zu. "Ein anständiger Mensch werde ich auf jeden Fall, versprochen!"
Keiner der beiden traute sich auf seinen Witz einzugehen. Sie sahen in ihre Gläser, wussten nicht, was sie sagen sollten.
"Die Partnervermittlung entwickelt sich zum Sorgenkind", fing Malber an.
Bakas nickte ihm aufmunternd zu. Jetzt war er bereit zuzuhören. Alles an seinem Platz. So war es in Weißrussland. So wollte er es auch hier halten.
"Zara, eure Schwester hat einige Einladungen ausgesprochen. Draufhin sind einige sehr … nun, unwegsame Gestalten aufgetaucht. Leonyd musste das Spiel umbauen, damit sie im Freien untergebracht werden konnten."
"Arbeitet er wieder voll für uns?"
"An Leonyds Arbeit gibt es nichts zu beanstanden. Das Spiel ist besser geworden durch die Veränderungen. Der Hof ist umgeben von schönster Natur. Auch Zaras Besucher zeigen sich zufrieden. Halten sich draußen auf. Fühlen sich scheint’s wohl ..."
"Was ist es dann?"
"Die Gestalten - es liegt in ihrer Natur! Ich vermute, sie müssen ihr nachgeben …"
Bakas sah Malber fragend an. Selbst seine Leibwache hatte den Blick erhoben.
"Wir haben zwei Partner und ein Hofmädchen verloren." Malber nickte betrübt.
"Verloren? Wie verstehe ich das?"
"Nun, 'verloren' ist das falsche Wort. Wir haben sie gefunden. In einem Fall waren die Knochen zu einem kleinen Karton gespresst, etwa so groß. Die Kleider haben uns geholfen, den Mann zu identifizieren."
"Und sonst …"
"Ein Mädchen ist wahnsinnig geworden. Sie hat schreckliche Gestalten vor den Augen. Viele von ihnen. Andere noch als Zaras neue Bekannte, die einem gesunden Verstand genug zusetzen können …"
"Ein Partner noch …"
"Auf dem Weg zwischen Fluss und einer felsigen Anhöhe verschwunden, spurlos. Wir hörten ihn rufen, ganz nah, aber er war unauffindbar. Am nächsten Tag nicht mehr zu hören."
"... und jetzt finden wir keine Partner mehr, vermute ich."
Malber schüttelte den Kopf. "Niemand traut sich mehr. Wir können es ihnen nicht verdenken. Sie haben Kontakt zu den Mädchen und die sind … nun ja, zutraulich."
"Zaras Bekannte, ich kenne sie …" Bakas versank in Gedanken und Erinnerungen.
"Was tun wir?" fragte Malber.
"Nichts können wir tun. Sie werden bleiben und Schaden anrichten. Ich kenne sie. Irgendwann ziehen sie weiter."
"Vielleicht wird Zara auf sie einwirken können", schlug Malber vor.
"Ich spreche mit ihr. Aber Zara ist die Fürstin der Mädchen. In den anderen Kreisen wird sie geachtet, aber nicht gefürchtet. Keiner der Untoten wird sich einem anderen beugen."
"Wir warten einfach ab, bis sie sich entschliessen weiterzuziehen …", beschloss Malber resigniert.
"Was ist mit Blue?" Bakas hielt sich nicht lange mit Dingen auf, die er nicht ändern konnte. "Was ist mit unserer Option?"
"Der junge Herr Oppen ist - so sympathisch er ist - sehr unentschlossen in dieser Frage. Er scheint beschäftigt mit anderen Dingen - ein junger Mann eben, wer könnte es ihm verdenken. Es ist Frau Oppen, die treibt. Es muss einen Grund geben."
"Wir finden es heraus?" beschloss Bakas.
"Wir?"
"Zara wird sich in das Innere dieser Frau begeben. Sie wird dort einziehen und Hof halten als Fürstin." Bakas grinste.
'Im allgemeinen Interesse wäre es besser, wenn Zara nicht in Begleitung kommt', dachte Malber.
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Kapitel 39
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[Zaras Hofstaat im Computerspiel]
"Leonyd, bitte versammle sie alle am Hof! Jeder soll kommen, der zu Besuch weilt. Die Hofdamen will ich selbst herbeirufen."
'Als ‘Besuch' würde ich diese Art von gewaltsamer Übernahme nicht bezeichnen, aber ich werde sehen, was sich machen lässt.'
Da Zara in seinen Gedanken las, hatte er sich das Aussprechen abgewöhnt, wenn er mit ihr allein war.
Er bekam einen tadelnden Blick von Zara für seine Gedanken.
'Es wird dauern', dachte Leonyd. 'Was soll ich ihnen sagen?'
"Sagen ihnen, dass ich hier und bald einen besonderen Besuch erwarte, jemanden, den sie alle kennen und hochschätzen - den Menschenkoch!"
'Denke nie, das Schlimmste sei überstanden …'
"Leonyd, tu einfach, was ich sage. Beeile dich dabei, damit sie nicht nach ihm eintreffen!"
Leonyd eilte. Er eilte vorbei an den Hofdamen, rief ihnen zu: "Zara, will euch sehen! Es hat sich Besuch angekündigt!"
"Wieder schrecklicher Besuch?" Die Hofdamen rannten bereits umher.
"Der Schrecken aller Schrecken - der Menschenkoch!" rief Leonyd ihnen zu und schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
Die Hofdamen flohen in die äußerste Ecke, die sie unbesetzt vorfanden. Dort duckten sie sich und hielten sich Handtücher und Laken über den Kopf, als erwarte sie eine Art Feuerregen.
"Wie finde ich die Besucher bloß?" sagte er halblaut zu sich. Seit Zara seine Gedanken las, hatte sich angewöhnt, in Selbstgedanken mit sich zu sprechen.
Er lief den Weg hinunter, der vom Hof ins Tal führte. Da die eine Hälfte des Tores fehlte, stand einem schnellen Lauf nichts im Weg. Er hatte beschlossen, es vorerst nicht zu reparieren. Da nun der Menschenkoch gemeinschaftlich erwartet wurde, hatte er wohl gut daran getan. Es wäre vergebliche Arbeit gewesen.
An den Plätzen, wo er die Besucher untergebracht hatte, traf er bedenklicherweise niemanden an. "Wie will ich die Schreckgesellen zu etwas bewegen - was unmöglich genug ist! - wenn ich sie nicht einmal finde."
Er stand vor den Schächten einiger stillgelegter Minen, die ihn mit offenen Mündern ansahen. Sinnlos dort die Suche zu beginnen. Die Minen waren tief und verzweigt, endeten an ihm unbekannten Orten. Aber warum sollten sich die Schreckgesellen verstecken? Und vor wem?
Er lauschte in den Wald. Leise waren sie nicht. Niemand von ihnen schlief - das hätte er gehört.
Er ging zum Fluss, betrachtete angewidert die Überreste eines Fischmassakers. Wer hatte ihnen erlaubt, mit Sprengstoff zu hantieren. Woher hatten sie Handgranaten und Tellerminen überhaupt? Vermutlich war er unter ihrer Kleidung versteckt in sein Spiel gekommen? Er nahm an, dass schon der Besuch eines Einzelnen von ihnen für alle lebensgefährlich war.
Am äußersten Ende seines Computerspieles - im Hintergrund hörte er bereits die dumpfen Schüsse eines Shooterspiels - sah er die Schreckgesellen.
Sie standen zusammen Schulter über Schulter und sahen hinaus auf die andere Seite.
Leonyd stellte sich dazu. Er fand eine Platz links von der Graumähnigen, die speichelte, wenn sie nicht erzählte.
"Worum geht’s?" fragte er die Hexe.
Sie schloss den Mund und schluckte. "Der Menschenkoch - wir erwarten ihn hier."
"Oh, das trifft sich gut." Leonyd begann, mit ihnen zu warten.
Sie sahen über die Grenze auf das andere Spiel. Dort sprangen Soldaten in weißen Tarnanzügen umher und machten Jagd auf schwarzgekleidete Terroristen. Es herrschte Dauerfeuer. Aus den Sperrmauern spritzen die Steine und rauchte der Staub. Handgranaten wurden geworfen. Tellerminen gingen in die Luft.
'Aha', dachte Leonyd, 'die Angeltechnik - daher kommt sie!'
"Seid ihr alle durch die Linien gekommen?" fragte Leonyd.
Zwerg Herzgut nickte und legte den Finger auf eine Delle in seinem Helm.
"Ist eine Abkürzung", sagte die Hexe.
'Sie sind untot, was soll ihnen passieren', dachte Leonyd.
"Dort ist er!" Die Zwillinge zeigten auf einen Hauseingang. Jemand hielt ein Schild in die Höhe, auf dem ‘Nächstes Spiel’ geschrieben stand. Mit einer Feuersalve war das Schild unlesbar geworden.
"Sie halten es für eine Finte", sagten die Zwillinge. "Sie denken, er ist eine Terrorist. Da darf er sich verkleiden, wie er will."
'Aha', dachte Leonyd, 'sie kennen sich scheint’s gut aus.'
"Wir können ihm Feuerschutz geben", schlugen die Zwillinge vor.
"Winken, erst winken!" grummte der Zwergriese.
Sie winkten geschlossen, bis das zerlöcherte Schild zurückgewinkte wurde.
Die Zwillinge hielten Handgranaten in die Höhe. Der Zwerg eine Panzerfaust. Die Hexe eine Dreizack.
'Sie ist wohl eine andere Abkürzung gegangen', dachte Leonyd.
Sie warfen, soweit sie werfen konnte. Auch die Hexe warf. Etwas fehlte und der Dreizack hätte sich in Leonyds Fuß gebohrt.
Der Menschenkoch hielt sich das Schild über den Kopf und rannte von Hauseingang zu Hauseingang. Terroristen und Soldaten hatten sich ablenken lassen. Eine kleine Grube gab ihm Schutz, dann hob der Zwerg ihn über den gesicherten Zaun.
-
"Mein Freund!" rief Zara, als der Menschenkoch sich aus der Gruppe gelöst hatte. "Wie schön …"
Der Menschenkoch trat in die Mitte des Raumes. Verwundert sahen ihn die Hofdamen an. Er war klein und schmächtig war, besaß dichte Haare mit grauer Einfärbung und trug eine goldene Brille. Er hatte die Erscheinung eines gebildeten und ehrenwerten Mannes. Einzig störend an seiner Erscheinung war das zersprungene rechtes Brillenglas und ein weißer Kittel, der voller Flecken war.
Zara blieb auf ihrem Fürstenstuhl sitzen. Mit Worten umarmte sie ihn. Mit Blicken drückte sie ihn an ihr Herz. "Wie wunderbar, dass du gekommen bist …"
Zara sah sich im Raum um. Betrachtete die Schreckgesellen auf ihre Vollzähligkeit, fand Leonyd, zählte die Hofdamen.
"Meine lieben Freunde", begann sie zu sprechen, "einer meiner ältesten Weggefährten, einer der treuesten Freunde und frühesten Förderer -".
"- sei bedankt, Zara. Ich danke dir für die warmen Worte. Wir Untoten mögen keine langen Reden. Meine Freunde, ist es nicht so?" Alle nickten unterschiedlich eifrig.
Ärgerlich sah Zara drein ob dieser Unterbrechung. "Sind wir hier bei den Untoten?"
Freundlich neigte sich der Menschenkoch ihr zu. "Wo ein Untoter weilt, ist Nzumba! Zara, du warst lange fort. Ich verzeihe dir. Die alten Regeln gelten noch. Für uns, für mich, für dich." Die Gesellen nickten eifrig.
"Dies ist mein Hof", blieb Zara beharrlich. "Ihr hattet alle Freiheiten -"
'- und habt sie zu nutzen gewusst!' dachte Leonyd.
Böse blickte Zara ihn an. "Auch du Leonyd, unterbrich mich bitte nicht!"
Leonyd beugte den Kopf in Demut. Ein feiner Tröpfchennebel bedeckte Leonyds Nacken.
"Ich bin müde, Zara, Fürstin dieses Hofes. Mein Weg hat mich durch zwei Spiele geführt …"
Zara begegnte seiner Ehrerbietung mit Freundlichkeit.
"Eh ich den Empfang für deine Müdigkeit beende, will ich eins noch von dir wissen, Menschenkoch!"
"Zara Kind, was für schreckliche Langsätze! Wo haben dich diese Sätze aufgegriffen?" Der Menschenkoch rieb mit dem Kittel vorsichtig das zersprungene Brillenglas.
'Wie bitte?' dachte Leonyd.
Ein böser Zarablick traf den treuen Herold.
Der Zwerg gähnte. Dann kratzte er sich unter seiner Rüstung.
"Auch die alten Versprechen sollen gelten?" fragte Zara den Menschenkoch.
"Die Versprechen der Untoten gelten. Wir geben Versprechen auf ewige Zeit."
"Sprechen wir nicht von der Ewigkeit, Menschenkoch …"
"Was will sie, die Kurzgeschorene?" zischte die Hexe wütend.
"Du erinnerst dich, Menschenkoch, an das Haar und das Mädchen?"
Der Menschenkoch setzte sich die Brille langsam auf. Er schloss die Augen und öffnete sie wieder.
"Du erinnerst dich?" fragte Zara erneut.
"Ich erinnere mich", sagte der Menschenkoch leise. "An dich erinnere ich mich. An ein blondes Mädchen erinnere ich mich …"
"Erinnerst du dich an ein Versprechen, das du mir gabst?"
"Ich versprach dir das Haar dieses Mädchens?"
"Du versprachst mir das Haar dieses Mädchens, mein Guter!"
"Sag nicht 'Mein Guter' zum Menschenkoch!" zischte die Graumähnige. Leonyd hatte sich etwas zur Seite gestellt.
Der Riesenzwerg gähnte wieder.
'Gleich, wenn er zu schnarchen beginnt, wird kein Gespräch mehr möglich sein', dachte Leonyd.
Der Menschenkoch nickte Zara zu. "Ich erinnere mich", sagte er würdevoll. "Ich sehe es vor mir. Ich habe es hervorgeholt aus den Geistbildern. War ein wenig nach hinten gekramt."
"Ich will das Haar nun und bekomme es nicht! Dabei gehört es - wenn ich einem Untoten Versprechen glauben darf - mir allein. Ich kann es besitzen, wenn ich möchte."
'Wir müssen den Zwerg anbinden, sonst fällt er uns um!' Leonyd sah besorgt zur Seite.
Der Menschenkoch hob den Zeigefinger, zeigte Zara, dass er nicht einverstanden war.
"Was ist? Ein Versprechen oder kein Versprechen. Was ist mit meinem Haar?"
"Zara, mein Kind", sagte der Menschenkoch zärtlich. "Du hörst nicht zu. Nie hast du zugehört. Ich versprach dir das Haar. Erst muss es zur Reife kommen. So sagte ich. Dann soll es dir gehören. Das, nur das war mein Versprechen."
"Was redest du? Zur Reife kommen? Wie kann Haar zur Reife kommen?"
"Solange dies Mädchen Jungfrau ist. Solange reift das Haar, Zara. Wird aus dem Mädchen aber eine Frau, dann - dann erst, Zara, gehört das Haar dir."
Der Zwerg begann sein baumsägenschweres Schnarchen.
"Schnell, Kinder, schnell. Bindet ihn! Wenn er uns umfällt, bleibt er uns liegen. Und er wird schnarchen Nacht für Nacht, Monat für Monat!"
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Kapitel 40
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"Wie schön, die Malber-Kinder!", rief ihnen Frau Oppen von der Treppe entgegen. "Wie schade, dass der Vater gleich wieder fort muss!"
"Kinder, ihr hört, was Frau Oppen gesagt hat." Malber winkte durch das geschlossene Fenster nach oben. "Bestellt Ilo einen Gruß von der Partnervermittlung Bakas! Nein, hört zu - das war natürlich ein Scherz!"
"Wie schön, wie schön", rief Frau Oppen ihnen entgegen. Es wollte ihnen erscheinen, als riefe sie mit jeder Treppenstufe ein neues "Wie schön!" aus.
Sie nahm Melanie unter dem Arm und führte sie ins Haus.
Melanie blickte sich nach Paul um und konte gerade noch sehen, dass er zufrieden lächelnd in die andere Richtung ging.
'Ich hätte es wissen müssen!' dachte Melli. 'Warum habe ich mich darauf eingelassen?' Doch es war einfach zu spät. Untergefasst von einer Frau Oppen war eine Umkehr nicht möglich.
"Wie schön, dass wir miteinander reden können", sagte Frau Oppen. Sie saßen sich gegenüber. An einem riesigen Tisch, auf dem nichts stand als eine Vase ohne Blume. Er glänzte, als sei er neu gekauft und war doch sehr alt, vermutete Melanie. Der Raum war sehr hoch und sehr groß. Vielleicht hätte ihr ganzes Haus in ihn hineingepasst. Allein die Fenster waren so breit und hoch wie ein Schultor.
"Möchtest du etwas zu trinken?"
"Nein", sagte Melanie.
"Warte, gleich kommt ein Glas und Limonade. Das magst du sicherlich gern."
Der Diener stellte ihr ein großes Glas hin und verbeugte sich.
"Trink ruhig", sagte Frau Oppen. Sie lehnte sich zurück und betrachtete Melanie. Das Kind hatte gute Manieren. Ganz anders als ihr Bruder.
"Erzähl mir etwas von diesem Mädchen Blue, Melanie. Du kennst sie doch gut. Ich weiß so wenig von ihr."
Melanie wurde rot. Frau Oppen war wie eine Lehrerin. auch wenn sie allein war, fühlte es sich in diesem Raum an, als würde ihr viele Leute zusehen.
"Sie ist meine Freundin. Wir lesen zusammen und verstehen uns einfach."
"Das ist schön für euch … Hat sie dir von ihrer Familie erzählt. Ihr Mädchen untereinander erzählt euch doch bestimmt davon!"
Melanie schwieg. Was sollte sie sagen? Frau Oppen wusste nicht einmal, dass Blue stumm und ein Waisenkind war. Würde sie aufstehen und die Hochzeit absagen, wenn sie es erfuhr?
"Hab keine Angst, Melanie. Denk einfach, ich sei auch eine Freundin. Mit mir kannst du Geheimnisse teilen. Von mir wird niemand etwas erfahren."
Melanie trank einen Schluck aus ihrem Glas. Dann hatte sie sich entschieden.
"Siehst du, wir kommen alle aus einer Familie …" Frau Oppen strich zärtlich über den glänzenden Tisch.
"Blue kommt aus einer guten Familie, hat sie mir erzählt", log Melanie.
"Das freut mich. Das freut mich wirklich!"
"Ihr Großvater ist ein Oberrichter gewesen. Ich weiß nicht, wie sie das in Weißrussland nennen. Ihr Vater ist ein Rechtsanwalt, der sehr bekannt ist dort. Sie hat mir erzählt, dass sie in einer Villa leben, die mitten in einem Park ist, der allein ihnen gehört. Sie kann darin umhergehen. Sie wird mich einladen. Dann können wir uns zusammen die Blumen ansehen. Es gibt auch viele Tiere. Sogar zahme Rehe und natürlich Pferde - einen ganzen Stall voll Pferde, große und kleine. Blue hat natürlich ein eigenes Pferd. Es heißt Baku und ist ganz weiß."
"Gibt es auch eine Mutter in dem großen Haus. Woher kommt ihre Mutter? Was macht sie?"
"Ihre Mutter ist eine Gräfin. Eigentlich gibt es keine Gräfinnen in Weißrussland, nur Fürstinnen. Also ist ihre Mutter eigentlich eine Fürstin. Blue sagt, dass ihrer Mutter das große Haus und der Park gehören."
Frau Oppen schwieg andächtig. Das hörte sich alles sehr gut an. Dass Blue aus solch sehr guten Verhältnissen stammte, hatte sie nicht erwartet. Ihr Instinkt hatte sie wieder einmal nicht getrogen. Das Geld war nicht umsonst ausgegeben worden.
"Sag mal, Melli", so Frau Oppen sehr nachdenklich und ernst. "Sie hat doch sicherlich einen Freund in Weißrussland. Sie ist eine Fürstinnentochter, dazu noch jung und hübsch - da werden doch viele junge Männer um sie gefreit haben. Das ist in Weißrussland sicherlich nicht anders als hier bei uns"
"Nein", erwiderte Melanie. "Blue ist sehr behütet aufgewachsen in Weißrussland. Sie hat nicht einmal einen Bruder. Da sie zu keiner Schule geht, weiß niemand, wie hübsch sie ist."
"Ilo hat auch einen Privatlehrer", sagte Frau Oppen. "Ich will nicht, dass er auf eine Schule mit all den anderen Kindern gehen muss."
Melanie schwieg. Sie fand, dass sie genug gelogen hatte. Damit musste Frau Oppen nun zufrieden sein.
"Kann ich jetzt zu meinem Bruder gehen?" fragte sie ganz lieb.
Frau Oppen war in sehr schönen Gedanken versunken. "Natürlich, Melanie. Unser Gespräch hat mir viel Freude gemacht. Siehst du die Treppe? Oben auf der rechten Seite sind Ilos Zimmer."
-
Ilo saß auf der obersten Stufe der Treppe. Er hatte die Arme auf die Knie gestützt und den Kopf auf die Hände gelegt. Von oben sah er Melanie an, die unten vor der ersten Stufe stehengeblieben war.
"Ich gehe nicht hoch, wenn oben jemand sitzt."
"Wenn du mit ‘Jemand’ mich meinst… ich habe vor, sitzen zu bleiben."
'Auch wenn es sein Haus ist - ich lasse mir nicht alles gefallen!' dachte Melanie.
"Sieh mal, Melanie, es sind 13 Stufen zwischen uns, wenn du dich unten hinsetzt. Ich habe sie gezählt. Sind 13 Stufen nicht genug zwischen uns?"
Melanie setzte sich hin und drehte ihm damit den Rücken zu. 'Ich kann hier sitzen, bis es ihm langweilig wird. Ich denke mir schöne Sachen aus. Ich denke an Blue oder an Helena und Lukas …'
Beide waren sie still. Die Zeit verstrich. Ilo sah in Melanies Rücken. Melanie spürte, dass er sie ansah. Sollte er schauen, wenn er wollte. Sie war keins von seinen Spielzeugen.
"Ich bin Jason", sagte Ilo leise, als sie sehr lange geschwiegen hatten.
"Glückwunsch. Du kannst dich ja jederzeit anders entscheiden, wenn dir langweilig geworden ist."
Wieder schwiegen sie.
Noch nie hatte ein Junge sich getraut, sie solange anzuschauen. "Hast du nichts anderes zu tun,als auf der Treppe zu sitzen und mich anzuschauen?" fragte sie ihn.
Sie bekam keine Antwort.
"Jason braucht eine Freundin", sagte Ilo, "sonst geht es nicht."
"Kauf dir ein anderes Spiel, in dem du keine Freundin brauchst …"
Ilo schwieg.
Eigentlich wusste Melanie nicht, warum sie auf diesen Ilo so böse war. Er hatte ihr nichts getan. Wenn Melanie an die anderen Jungen in ihrer Klasse dachte, dann war Ilo kein richtiger Angeber. Was hätten diese Jungs sich aufgeführt, wenn sie so reich wie Ilo gewsen wären! Ilo aber war eher traurig. Melanie fand, dass er sogar ein klein wenig mutig war. Hätte er sonst auf sie gewartet?
"Warum muss Jason unbedingt eine Freundin haben? Das musst du mir erklären!" Warum sollte Melanie nicht mit Ilo sprechen? Warum nicht ein wenig freundlich sein?
"Helena und Lukas sind zusammen. Wenn Jason mit ihnen zusammen sein will, dann braucht er auch eine Freundin. Anders geht es nicht. Sonst stört er, denkst du nicht!?"
"Kann schon sein …" Melanie stützte auch die Arme auf die Knie und legte ihren Kopf auf die Hände. Genau wie Ilo. Sollte er sehen, wie lächerlich es war, so auf der Treppe zu sitzen!
"Ich habe gedacht, vielleicht kann Claire seine Freundin sein …"
"Sie ist die beste Freundin von Melanie - hört sich gut an …"
"Wer aber wird Claire?" Ilo stützte die Hände auf der Treppe ab, als wolle er sich erheben.
"Warum nicht Paul? An wen hast du gedacht?"
Ilo gibt Melanie keine Antwort.
"An wen, Ilo? Sag einfach, an wen du gedacht hast."
"Ich habe an jemanden gedacht, der nicht will."
"Das ist schlecht, Ilo."
"Was soll ich machen, wenn sie nicht will?"
" 'Sie'?"
"Claire ist ein Mädchen, Jason ein Junge."
"Bist du sicher, dass sie sich mögen: Claire und Jason?"
"Warum nicht?"
"Ilo, weil Jason ein Halbgott ist und Claire ein gewöhnliches Mädchen - nur die Freundin von einer Halbgöttin ist."
"Jason will ein ganz gewöhnlicher Junge sein. Seine Brüder, Hektor und Lukas, die wollen Halbgötter sein!"
"... vielleicht fällt ihm später ein, dass er doch lieber ein Halbgott wäre?"
"Jason ist schon solange ein Halbgottjunge - er weiß, dass er etwas anderes sein will!"
"Was sagen seine Brüder dazu, sein Vater, seine Mutter?"
"Die wissen es noch nicht …"
"Was denkst du, Ilo, wird er es ihnen sagen?"
"Ich weiß nicht … Was meinst du?"
"Also, Ilo … wenn er ein wirklicher Halbgott ist, dann hat er den Mut zu sagen, dass er kein Halbgott sein will!"
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Kapitel 41
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[Zaras Hofstaat im Computerspiel]
"Herold, ich will eine Reise unternehmen. Komm zu mir und berate mich."
Leonyd speicherte das neue Tor ab, stand auf und trat vor Zara hin. Sie saß meist in ihrem Fürstenstuhl. Dort schien sie sich sicher zu fühlen. Dass sie eine Reise unternehmen wollte, wundert Leonyd nicht.
"Herold, ich möchte eine Reise antreten zu einer Frau Oppen. Ein Schloss ein Schloss sie bewohnen. Dort will ich hin. Sage mir, was du darüber weißt."
"Ich habe tatsächlich ein Schloss gesehen. Ein Park umgab es. Große Säle. Riesige Fenster. Endlose Zimmerfluchten. Verwirrend in ihrer Vielzahl."
"Frau Oppen bewohnt also ein Schloss, nicht nur dem Namen nach. Das freut mich."
Soweit Leonyd wusste, war es dem Namen nach kein Schloss. Er fragte sich, wer Zara unterrichtet hatte. Er vermutete, dass es ihr Bruder Bakas war.
"Zara, ich werde dich begleiten", sagte der Menschenkoch. "Wir machen wieder eine Reise wie in früheren Tagen. Du erinnerst dich?"
"Komme mit", brummte der Zwerg.
"Wir sind dabei", so die Zwillinge.
"Ich komme nach, so schnell es meine Füße zulassen." Die Graumähnige war vor die anderen gehumpelt.
"Mein Freunde, es ist schön, dass ihr mich begleiten wollt. Aber diese Reise muss ich leider ohne euch unternehmen. Leider, aber es geht nicht anders."
Leonyd nickte. "Ausgeschlossen, dass wir in solcher Zahl und Stärke dort auftreten. Frau Oppen würde uns nicht empfangen. Sie und ihr Sohn Ilo würden fluchtartig das Haus verlassen."
"Wir statten dem Schloss einen Besuch ab. Wer braucht Menschen darin?" so der Menschenkoch.
"Ich brauche diese Menschen in der Tat!" sagte Zara bissig. "Ihr Sohn will unsere liebe Blue - du erinnerst dich an das Mädchen mit meinem Haar? - heiraten."
Der Menschenkoch tippte sich an die Stirn.
"Heiraten, wie albern! Ich erinnere mich gut an die Hochzeit von Prinz Ghei, der tatsächlich ein Mädchen aus dem Geschlecht der Opliz heiraten wollte, welches von seinen Brüdern daraufhin gemetzelt wurde und abgelegt dergestalt in Brautbett -"
"- Lass gut sein, Graumähnige! Deine Geschichten schrecken niemanden. Wer das Shooterland durchquert hat wie wir …" Der Menschenkoch zeigte seine von Stacheldraht zerfetzte Hose. Der Zwerg klopfte auf seinen Helm. Die Zwillinge sprangen vor und rollten sich rechts- und linksseitig ab.
Schweigend stand die Graumähnige da. "Wie haben sich die Zeiten geändert!" murmelte sie. "Was diese Spiele den jungen Menschen antun!" Sie schüttelte seufzend ihre Mähne. "Ich wäre für ein Verbot. Dann wäre eine Geschichte wieder eine Geschichte!"
"Solange aber gib dir keine Mühe, eine von deinen Geschichten zu erzählen. Du schreckst niemanden - hörst du? - niemanden damit!" Zara hatte sich erhoben. Als sie sah, dass die Graumähnige sie um einen Kopf überragte, setzte sie sich wieder.
"Leonyd", sagte sie müde. "Sag uns: Wen wird Frau Oppen dabei haben wollen?"
"Nun, ich würde vorschlagen, dass ich den Wagen fahre, weil ich den Weg kenne."
Roa protestierte. "Ich könnte ebensogut -"
"- waschen kannst du den Wagen ohne gültige Papier, aber nicht fahren!" Leonyd schüttelte unwillig den Kopf. "Wenn Malber nicht vorstellig geworden wäre - du säßest jetzt noch in Haft!"
Roa schwieg ärgerlich. "Papiere? Wer von uns hat Papiere?" brummte er ärgerlich.
Die anderen sahen sich an. Von was war eigentlich die Rede zwischen Leonyd und Roa?
"Gut, ist es also beschlossen. Leonyd fährt mich zum Oppenschen Anwesen. Ich trete allein vor Frau Oppen, allein in ihrem Schloss als Besuch auf."
Die Zwillinge wandten ihre Blicke den Hofdamen zu.
Auch die Graumähnige überlegte genau. Ihr waren die Hofdamen geblieben. Keine von ihnen hatte Shooterland durchquert. Deren Gesichter waren grau. Deren Augen waren matt und leer. Dennoch - in Ermangelung von Publikum - würde sie es bei ihnen versuchen müssen.
"Liebe Hofdamen", sprach der Menschenkoch sie an. "Sie werden sich über meinen Namen gewundert haben. Ich kann ihnen sagen, ich trage ihn zu Unrecht. Er ist eine Vergleiung des Sinnes."
Eine der Hofdamen wurde von den anderen nach vorne geschoben. "Dürfen wir, Zara, denn nicht mit auf die Reise? Bedenke Zara, welche Fürstin von edlem Blut käme ohne ihre Damen eine andere Fürstin besuchen?"
"Ach", Leonyd winkte ab, "Frau Oppen besitzt ein Schloss, aber eine Fürstin wie Zara ist sie deshalb nicht!"
"Mein Name ist irreführend", begann der Menschenkoch erneut. "Gut, ich gebe zu, er ist schreckend, dennoch sollte dem Mann dahinter eine rechte Gelegenheit gegeben werden, seinen Nutzen zu zeigen."
"Ich könnte euch Geschichten erzählen", sagte die Graumähnige. "Ihr müsst mir nur versprechen, wenigstens den Anfang -"
"- denn" unterbrach der Menschenkoch sie, "ich koche nicht den ganzen Menschen … eh, das ganze Mädchen, nein, damit wird mir niemand gerecht."
"Rede nicht lange! Erklär’s ihnen endlich!" rief Zara unwillig. "Wie lange noch sollen sie dich so anstarren?"
"Ich koche die Menschen", sagte der Menschenkoch würdevoll, "weil ich den besseren Teil von ihnen herausgewinnen will. Ich bin kein Koch - was für ein erbärmlicher Begriff - ich bin ein Destillator, der aus euch das Wertvollste gewinnt. Versteht ihr?"
Die Damen waren näher getreten, um ihm anzuhören.
"Menschendestillator", sprach Zara ihn an. "Bevor du die Mädchen weiter vom Nutzen deiner Kochkünste überzeugst, möchte ich noch einmal auf dein Versprechen zurückkommen."
Der Menschenkoch wandte sich ihr zu, nicht ohne den Damen einen gewinnenden Blick zugeworfen zun haben.
"Wisst ihr", wandte sich Zara ihren Damen zu. "Er macht Versprechungen. Seht selbst, ob bei mir er sie hält."
"Was ist, Zara?", sagte der Menschenkoch ärgerlich. "Das Versprechen, das ich dir gab, wird sich erfüllen! Warum säst du Zweifel an meiner Ehrhaftigkeit?"
"Sei genauer, Menschenkoch", bat Zara. "Etwas deutlicher werde, damit nicht bei mir die Schuld gesucht wird, wenn dein Versprechen unerfüllt bleibt. Denn einmal schon, dachte ich, es sei erfüllt: Doch wurde Blue unsichtbar und mit ihr mein Haar. Sei genauer, Menschenkoch, dass wir genaues Maß nehmen können an deinen Worten."
"Was willst du wissen? Du, Zara, sei genauer! Beschuldigst andere der Wortwolkigkeit und wirfst selbst Nebel und und giftige Lüfte."
"Ich will wissen, wann genau, das blonde Haar mein eigen ist. Wie es geschieht, wann es geschieht und wodurch?"
"Hört zu, Mächen, sammelt euch! Dies ist mein Versprechen, welches ich Zara gab: Das blonde Haar bekommt sie, wenn das Haar gereift ist. So versprach ich es. So wird es in Erfüllung gehen."
Zara schwieg ungnädig. Die Mädchen alle schüttelten die nichtverständigen Köpfchen.
"Das Haar wächst, solange Blue ein Mädchen ist. Solange reift es und ist ihres. Wird sie zur Frau, erst dann - hörst du, Zara? - wird es dein eigen!" Er sah in die Gesichter der Damen und suchte in ihnen Verstehen.
"Wann genau darf ich es nehmen?" Jedes Wort von Zara gesprochen wie eine Drohung.
Der Menschenkoch warf die Hände in die Luft, soviel Unverstehen umgab ihn.
"In der Nacht, in der Nacht der Hochzeit, wenn aus dem Mädchen eine Frau geworden ist. Dann geh zu ihr hin, der schlafenden Blue. Nimm das Haar ab. Es wird leicht sein wie eine Perücke. Setz es dir auf, Zara. Es wird anwachsen nach ein paar Tagen und dir gehören wie dein eigenes!"
Der Zwerg nickte verstädnig.
Der Blick des Menschenkoches funkelte böse durch sein unzersplittertes Augenglas. Sogar der Zwerg verstand ihn! Was brauchte Zara solange für ihr Verstehen?
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Kapitel 42
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[Computerspiel]
"Was hast du gegen sie?", fragte Claire ihre Freundin.
Die beiden Freundinnen saßen in der Kantine. Gerade waren die drei Brüder Lukas, Hektor und Jason hereingekommen. Wie immer zogen sie alle Blicke auf sich. Das schien sie aber nicht zu stören. Nur Helena hatte den Stuhl so schnell umgedreht, dass sie Claire getroffen hatte.
"Puuh, musste das sein?" Claire rieb sich das Knie.
"Tut mir leid", murmelte Helena. Das Blut war ihr so schnell in den Kopf gestiegen, dass sie ihre Umgebung jetzt wie durch einen roten Schleier wahrnahm.
Hektor war groß und kräftig gebaut. Er hatte ein kantiges Gesicht und machte sich nicht die Mühe freundlich dreinzublicken. Lukas war muskulös, braun gebrannt. Seine Bewegungen waren langsam, als habe er sich beim Sport verletzt. Jason dagegen sah seinen Brüdern nicht ähnlich. Er war der kleinste von ihnen. Er hatte eine helle Haut, bewegte sich katzenhaft weich und war anders als seine Brüder aufmerksam, was um ihn herum geschah.
"Was ist mit dir? Was hast du gegen sie?" flüsterte Claire leise, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit erregen. Daggy und Carol steckten bereits die Köpfe zusammen und sahen in ihre Richtung.
Wütend stieß Helena das Messer in das Fleisch auf ihrem Teller. Sie säbelte daran herum, ohne einen Bissen in den Mund zu nehmen.
Claire hatte gehört, dass die drei Brüder keinen Vater hatten, nur mit einer energischen Mutter in einem riesigen Anwesen wohnten. Wer gedacht hatte, sie wären Muttersöhnchen, sah sich schnell und gründlich eines Besseren belehrt.
"Isst du nicht?" fragte Carol.
Helena hörte und sah nicht, was in ihrer Umgebung geschah. Sie spürte die Nähe der drei Furien. Sie hörte ihr Wispern, verstand die Worte nicht, erinnerte sich wie deutlich und schrecklich ihr die Worte gestern erschienen waren. Die drei Furien. Keine sprach für sich alleine. Warum waren es drei? Hässliche alte Frauen - was hatten sie solche Macht über ein junges amerikanisches Mädchen?
"Willst du meinen Nachtisch?" fragte Claire. Jeder sollte hören, dass sie sich mit Helena über völlig normale Dinge unterhielt. Was war dabei, wenn ein Mädchen keinen Appettit hatte? Was gab es zu schauen?
Claire betrachtete ihre Freundin heimlich von der Seite. Helena war in sich gekehrt und aufgewühlt. Und schien nichts von ihrer Umgebung zu bemerken. Reglos starrte sie auf ihren Teller, als sehe sie dort etwas anderes als Kartoffelbrei und ein klein geschnittes Stück Fleisch, das kalt geworden war.
Was war los mit ihrer Freundin? Seit dieser Lukas an der Schule war, hatte sich ihre Freundin völlig verändert. Wenn sie Lukas gemocht hätte, würde Claire sie verstehen. Aber ganz offensichtlich hasste Helena diesen Lukas abgrundtief. Sie war wie eine Furie im Umkleideraum auf ihn losgegangen, hätte ihn sicherlich schwerer verletzt, wenn Lukas nicht so wendig gewesen wäre. Was für Kräfte Helena dabei entwickelt hatte! Claire hatte sich kaum richtig bewegen können, so schnell war Helena auf ihn gestürzt, so schnell waren sie auch wieder auseinander gewesen.
Auch früher war Helena in sich gekehrt gewesen. Meist machte sie sich Sorgen um ihren Vater. Es war bestimmt nicht schön, allein ohne Mutter aufzuwachsen. Dabei war Helenas Vater nett und immer um sie besorgt. Etwas stimmte nicht mit Helena. Mit ihrem Vater hatte es nichts zu tun, da war sich Claire sicher.
Frau Lemmen, ihre Englischlehrerin, sah sich suchend in dem großen Saal um. Als sie Helena und Claire entdeckte, steuerte sich auf ihren Tisch zu.
'Oh nein, nicht jetzt! Nicht Frau Lemmen!' dachte Claire erschreckt und sah zum Tisch von Carol, die ganz allein dort saß, weil Daggy bereits gegangen war. Vielleicht würde Frau Lemmen diesen Wink verstehen?
"Darf ich mich zu euch setzen?", fragte Frau Lemmen.
"Oh, natürlich", sagte Claire. "Wir rücken ein wenig zusammen."
Helena sagte nichts, starrte weiter wütend auf ihren Teller.
Frau Lemmen setzte sich.
Dann sah sie Helena eindringlich an. "Was ist mit dir, Helena? Geht es dir nicht gut?"
"Doch, es geht ihr gut", antwortete Claire für ihre Freundin. Sie stieß Helena an, damit sie wenigsten aufsah, wenn eine Lehrerin sie ansprach. Zuviel wurde bereits über ihre Freundin geredet!
"Wir machen uns Sorgen um die Helena. Du bist in letzter Zeit so verändert. Da fragen wir uns, ob es einen Grund dafür gibt." Frau Lemmen kaute und redete abwechselnd. Dabei sah sie Helena unverwandt die ganze Zeit an.
"Weißt du, ob Helena Probleme mit etwas hat, Claire? Du bist doch ihre beste Freundin. Du kannst gerne zu mir kommen, wenn du darüber sprechen willst."
"Sie hat einfach keinen Hunger. Das kann doch vorkommen. Ist doch ganz normal oder?", entgegnete Claire heftiger, als sie wollte.
"Natürlich", sagte Frau Lemmen, kaute und lächelte, als glaube sie Claire kein Wort.
Claire stieß ihre Freundin erneut an. Helena war nun bleich geworden. Dem wütenden Gesichtsausdruck war ein furchtsamer gewichen. So hatte Claire ihre Freundin noch nicht gesehen. Helena hatte vor nichts und niemandem Angst. Nicht einmal als der Direktor sie wegen dem Vorfall mit Lukas zu sich gerufen hatte, war sie ängstlich gewesen.
"Wir haben in letzter Zeit einige neue Mitschüler bekommen", fugr Frau Lemmen fort, "da fragen wir uns, ob es da einen Zusammenhang gibt. Es gibt immer Probleme, wenn -"
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Helena rannte. Sie stieß gegen Stühle, prallte gegen das Tablett des neuen Referendars. Zwei Kaffeetassen zerschellten auf dem Boden. Sie trat über den Ranzen von Carol, rammte die Suppe löffelnde Mary-Anne, stieß von hinten gegen die Schulter von Lukas und rannte zur Tür hinaus.
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Fassungslos hatte Carol mit angesehen, wie ihre Freundin unvermittelt aufgesprungen war und mit welcher Kraft sie zwischen den Tischen hindurchgestoßen war.
Als Helena schon hinter der Tür verschwunden war, hatte sich Calire soweit gefasst, dass sie auch aufspringen und Helena hinterherlaufen konnte.
Doch als sie über den Ranzen stieg und weiterrennen wollte, zog Hektor sie an den Tisch der drei Brüder. Für die Zuschauer sah es leicht, fast freundschaftlich, wie er sie anfasste. Claire aber spürte seine ungeheure Kraft. Sie war nicht groß und nicht stark. Aber solche Kraft hatte sie noch bei keinem Jungen gekannt!
"Was ist mit deiner Freundin? Du bist doch ihre Freundin?" Hektor hatte sie auf den freien Platz gedrückt und sah sie mit kalten Augen an.
Claire starrte böse zurück. Und doch machte ihr Hektor Angst, wie er sie gefasst hielt und anblickte.
"Lass sie!" sagte Jason und fasste Hektors Arm.
"Sie soll sagen, was mit ihrer Freundin ist, dann lasse ich sie!"
"Es hilft nicht weiter, wenn du ihr Angst machst", sagte Jason. "Sie weiß von nichts. Siehst du das nicht? Nimm endlich die Hand von ihr weg!"
Langsam lockerte Hektor den Griff und ließ die Hand sinken. Offensichtlich hatte er genug Respekt vor seinem Bruder Jason, dass er seine Wut zäumte.
"Ich zerquetsche dich, wenn du dich gegen uns stellst!", stieß er noch einmal wütend hervor. Jeder konnte hören, wie Hektor der kleinen Claire drohte. Jeder konnte sehen, dass sie - kaum halb so groß wie er - sich nicht einschüchtern ließ.
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"Mein Gott, in welchem Stück bin ich gelandet?", flüsterte Frau Lemmen ihrem rosafarbene Muffin zu.
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Kapitel 43
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Seit ihr Mann vor zehn Jahren gestorben war, hatte Frau Oppen nicht soviel Besuch empfangen wie in der letzten Woche.
In der Tür stand nun diese ganz schwarzgekleidete Frau, die nicht einmal angemeldet war. Dennoch trat sie auf, als sei nicht sie der Besuch, sondern die Gastgeberin.
Sie trat auf Frau Oppen zu und umarmte sie. In den ganzen zehn Jahren hatte niemand, nicht einmal Ilo sie umarmt! 'Nun gut', dachte sich Frau Oppen, 'es ist soviel geschehen in der letzten Woche - soll auch dies geschehen.'
Die Person war sehr zierlich, schien ohne eigenes Gewicht zu sein. Ihr schwarzer Umhang war aus einem feinem Stoff, den Frau Oppen nicht zuordnen konnte.
Als sie sich am Tisch gegenübersaßen, schwieg die Frau. Sie sah Frau Oppen aus ihren schwarzen Augen fest an. Da sie auf dem Kopf fast kahlgeschoren war und ihr Gesicht keine Farbe besaß, wirkten ihre Augen wie Magnete, die das Innere des Gegenübers in sich hineinzuziehen begannen.
"Ich bin Frau Oppen. Sie werden von mir gehört haben, vermute ich."
Die fremde Frau nickte.
"Unser Diener hat heute seinen freien Tag. Sonst hätte er sie empfangen. Eigentlich haben wir niemanden heute erwartet. So habe ich ihm freigegeben."
Die Frau war stumm, aber es schien Frau Oppen, als finde dennoch eine Unterhaltung statt. Als fände ihm Unsichtbaren, in den Gedanken ein Austausch statt. Frau Oppen glaubte nicht an diese Dinge. Sie wollte nicht daran glauben.
"Niemand ist heute hier - außer mir und meinem Sohn Ilo. Der Gärtner und die Köchin haben frei. Ich kann ihnen also nichts servieren. Sie müssen entschuldigen!"
Dieser Frau gegenüber waren Worte nicht wichtig. Es kam Frau Oppen vor, als sitze sie ihrem Mann gegenüber, der auch gern in sie hineingeschwiegen hatte. Was den Umgang mit ihm nicht immer leicht gemacht hatte.
"Mein Mann ist vor zehn Jahren gestorben. Seitdem leben ich und Ilo allein in diesem Haus. Natürlich leben auch unsere Bedienstete hier. Natürlich. Es ist viel Arbeit, so ein Haus zu unterhalten. Als mein Mann noch lebte, war alles leichter. Zehn Jahre sind eine lange Zeit. Es kommt mir so kurz vor, wenn ich ehrlich bin."
"Ihr Mann wird wieder bei ihnen sein", sagte die Frau ernst und gewiss.
Frau Oppen merkte, wie die Röte ihr in das Gesicht schoss. Nicht bei einer Gelegenheit seit der Beerdigung hatte sie sich sowenig gegen ihre Gefühle wehren können.
"Was haben sie gesagt?" flüsterte Frau Oppen.
Beide wussten sie, dass Frau Oppen sehr gut gehört hatte, was die Frau gesagt hatte. Ihr Gedanke hatte der Frau alles verraten.
"Wie meinen sie, was sie gerade gesagt haben?" Frau Oppen stand auf, um zwei Gläser zu holen und etwas Wasser einzuschenken. Verwirrt stellte sie fest, dass sie nicht wusste, wo sich die Gläser befanden. Also setzte sie sich wieder hin.
Die Frau sah sie ernst fragend an. "Ich kann ihren Mann holen, wenn sie möchten", sagte sie. "Wenn sie aus tiefstem Herzen möchten, kann ich ihn holen."
"Nein, nein", sagte Frau Oppen schnell. "Ich weiß nicht ..."
"Ich kann ihren Mann holen, aber sie wissen selbst, dass er tot ist. Wenn sie wirklich wollen, können wir ihn holen. Eigentlich brauchen mich nicht dafür."
"Nein, nein … zehn Jahre … es ist lang!" Frau Oppen wünschte sich ein Glas auf dem Tisch, das sie greifen konnte.
"Die Gläser sind dort drüben", sagte die Frau. "Das Wasser steht in der Küche. Nehmen sie ruhig die halbe Flasche, die auf dem Tisch steht."
Verwirrt stand Frau Oppen auf. Immer noch verwirrt fand sie die Gläser und ging in die Küche, um aus der halbleeren Flasche einzuschenken. Und wusste nicht, woher die Frau ihre Gedanken kannte.
Frau Oppen stellte fest, dass sie nur ein Glas mitgebracht hatte. Sie wollte es zu der Frau schieben, weil sie nachlässig das Glas für den Gast vergessen hatte. Aber die Frau hatte gewusst, dass sie nur ein Glas für sich holen würde. Die Frau hatte es nicht anders erwartet. Frau Oppen hielt ihr geholtes Glas in der Hand.
"Wie soll es möglich sein, dasss mein Mann zurück -?"
Zara mochte diese Frau Oppen. Es war so einfach mit ihrem Weichherz umzugehen. Sie dachte an die letzten Tage, in denen es ihr kaum gelungen war, den Menschenkoch und seinen Anhang zu mäßigen.
"Das erste Kind von Blue und Ilo wird ein Geschenk an sie sein, Frau Oppen! So ist es Sitte in Weißrussland. Das erste Kind erfüllt den geheimsten Wunsch der Mannmutter."
"Es wäre tatsächlich mein innigster Wunsch, einen Enkelsohn zu bekommen, der meinem Mann ähnlich … in dem mein Mann wieder erscheint."
Zara nickte. Immerfort lächelte sie sanft. Ließ aber Frau Oppen nicht aus ihren Augen entkommen.
"... und der zweite Sohn?"
"Es wird keinen zweiten Sohn geben, meine Gute. Damit müssen sie sich abfinden."
"Ich habe auch nur einen Sohn bekommen. Deshalb, ein Kind von meinem Sohn würde mir genügen."
Frau Oppen war aufgestanden, hatte vom Schreibtisch ein Bild ihres Mannes geholt und es vor Zara gestellt. "Wegen der Hochzeit werde ich mit Ilo sprechen. Es hängt an ihm. Er macht so wenig Anstalten."
"Es hängt an ihnen, wertgeschätzte Frau Opppen!" Ohne es betrachtet zu haben, schob Zara das Bild geringschätzig zurück.
Frau Oppen hatte das Bild ihres Mannes wieder vor sich liegen, wagte aber nicht ihren Blick aus den schwarzen Augen zu lösen.
"Wir wollen 'sicher' sein. Ja, das wollen wir." Zaras Geste umfasste den ganzen sichtbaren Besitz von Frau Oppen. "Kaufen sie das billigste Kleid, das sie bekommen können. Reihen sie sich ein in die Essensschlange. Stellen sie sich zu den Ärmsten der Armen. Dort finden sie, Frau Oppen, was Sicherheit bedeutet."
"Wer sind sie?" Mit ihrer Frage sah Frau Oppen das Bild ihres Mannes an, als müsse sie sich in seinen klugen Augen vergeissern, dass sie das Richtige fragte.
"Wenn sie Blue kennen, wissen sie alles über mich, was sie wissen müssen", sagte die fremde Frau.
"Blue … Blue kennen … wie?" In den letzten zehn Jahren hatte Frau Oppen nicht mehr gestottert. Ihr seeliger Mann, ja, der hatte sie zum Stottern gebracht. Hatte sie dann angeschaut, wenn sie in den Worten feststeckte, und liebevoll ihre Hand genommen. Doch diese Frau war eine Fremde. Ihrer Freundlichkeit sollte sie mit keinem Vertrauen begegnen.
"Ich kenne Blue nicht", sagte Frau Oppen fest. "Alles, was ich weiß, haben ich von anderen. Ich selbst … kann nichts über Blue sagen."
"Blue und ich haben Dinge gemeinsam. Ich dachte, es wäre eine Hilfe für sie."
Frau Oppen schüttelte stumm den Kopf.
"Ich bin Zara, die Fürstin."
"Aus Weißrussland?"
"Ja, dort bin ich Fürstin."
"Dann sind sie Blue Mutter?"
Zara lächelte. "Wenn sie so wollen. Aber wir selbst in Weißrussland unterscheiden nicht diese Dinge."
"Sie unterscheiden nicht Mutter und Tochter?"
"Die gewöhnlichen Menschen unterscheiden diese Dinge, sicherlich. Aber die hochgeborenen Menschen wie ich wissen nicht, wie sie sich in diesen Worten 'Mutter' und 'Tochter' zurecht finden soll. Ich finde nicht hinein, ich finde nicht heraus. Kann nichts damit anfangen."
Frau Oppen starrte die fremde Frau an. Sie selbst war gern Mutter. Es bedeutete ihr unendlich viel. Wie anders hätte sie diese zehn Jahre durchlebt, wenn sie nicht daran festgehalten hätte, ein Mutter zu sein? Für die fremde Frau schien diese Vorstellung nur ein Wort zu sein, ein unbekanntes dazu. In den ganzen zehn Jahren war Frau Oppen nie ängstlich gewesen. Jetzt schnürte sich ihr das Herz zusammen, wenn sie an ihren Ilo dachte.
Die fremde Fürstin war aufgestanden. "Lassen sie die Braut nicht warten. Achten sie die Gebräuche, dann achten die Gebräuche ihren Wunsch!" Sie starrte Frau Oppen an, als sehe sie unvermmittelt eine Fremde vor sich, als befinde sie sich an einem Ort, den sie sich nicht erklären konnte.
Frau Oppen blieb ohne Kräfte in ihrem Stuhl zurück. Jetzt erst wagte sie, das Bild ihres Mannes in die Hände zu nehmen, um ein stummes Zwiegespräch mit ihm zu beginnen.
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Kapitel 44
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Claire zappelte in den Händen des riesigen Mannes. Sie versuchte in seine Rippen zu boxen, aber sie hing an seinem ausgestreckten Arm als wiege sie nicht mehr als der Busch, hinter dem er sie hervorgeholt hatte.
"Lassen sie mich", japste sie, "lassen sie mich endlich los."
"Wenn ich dich hinstelle, wirst du fortlaufen, nicht wahr?"
Natürlich würde sie fortlaufen, so schnell es ging. Was dachte dieser Riesenmensch eigentlich von ihr?
"Zuerst musst du mir erklären, was du hier tust. Dies ist privater Grund. Du darfst überhaupt nicht hier sein."
"Holen sie Jason! Ich rede, wenn Jason dabei ist. Ehrlich! Glauben sie mir!"
Der Mann betrachtete das Bündel, das er in der Hand hielt, sehr genau. "Jason? Woher kennst du seinen Namen?"
"Meine Freudin ist die Freundin von Lukas. Und ich kenne Jason … weil ich ihn eben kenne!"
"So ist das", sagte der Mann freundlich. Dann setzte er sie vorsichtig auf den Boden. "Ihr kennt euch aus der Schule. Wie heißt du denn? Was soll ich Jason sagen, wen ich hier gefunden habe?"
"Claire ..."
"... die Freundin von Helena, welche die Freundin von Lukas ist."
"Nur 'Claire’! Er weiß, wer ich bin!"
"Setz dich dorthin. Das sind unsere Stallungen." Der Mann zeigte auf eine weiße Bank.
"Ich bleibe stehen", sagte Claire fest. Der Mann hatte sie lange genug herumgetragen. Jetzt wollte sie ihren eigenen Willen haben.
"Wie du willst, war nur gut gemeint. Ich hole Jason. Bin gleich zurück."
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Jetzt erst sah sich Claire um. Weil das riesige Haus bereits im Halbdunkel lag, hatte sie nur darauf geachtet, sich unauffällig anzuschleichen. Der Mond schien nun hell. Die Gebäude traten in ihrer ganzen Länge als massige Schatten hervor. Das Haus war fast so groß wie ihre Schule. Hätten die Stallungen auf dem Parkplatz gestanden, wäre kein Platz mehr für Autos gewesen. Claire sah einige Trauerweiden und große Büsche, die feucht im Mondlicht glänzten.
Sie hörte zwei Stimmen, die sich näherten. Zwei Schatten, die eilig zu ihr herüberkamen. Sie erkannte Jason an seinem katzenweichen Gang, während der andere Mann kräftig und kantig ausschritt.
"Hallo, Claire", grüßte sie Jason leise. Er drückte ihr einen Kuss auf die Wange, um dem Mann zu zeigen, wie gut er sie kannte.
"Sie hat sich versteckt. Ich wusste nicht, dass sie das Mädchen kennen!"
"Wir hätten ihnen sagen sollen, dass wir uns hier treffen."
"Ist gut", brummte der Mann. "Ich weiß jetzt Bescheid."
"Es muss unter uns bleiben" mahnte Jason.
Der Mann nickte. "Wird es", sagte er. "Keine Sorge."
Dann stand Claire mit einem Mal allein vor Jason. Beide wussten sie nicht, was sie zueinander sagen sollten. Claire spürte den Abdruck seiner Lippen auf ihrer Wange. Jason hatte es tun müssen, um den Mann zu überzeugen.
"Komm, Claire, wir gehen zu den Stallungen. Da ist um diese Zeit niemand. Hier können wir nicht stehen bleiben."
Er berührte ihre Hand, aber Claire zog schnell zurück.
Jason kannte sich aus. Er sah sich kurz um, dann ging er durch eine Tür, die geöffnet war.
"Wir können kein Licht machen. Wir setzen uns dorthin. Dort ist ein wenig Licht."
Sie saßen auf zwei Strohballen und ließen die Füße baumeln. Es roch nach Tieren. Irgendwo raschelte es. Etwas klapperte. Dann war es still.
"Warum bist du hier?"
Claire sagte leise: "Ich weiß es selbst nicht … Nein, ich mache nur Spaß."
Jason sah sie an. Sein Gesicht war schön. Im Licht des Mondes strahlte es wie in einem Zauber.
"Helena", begann Claire, "hat mir aufgetragen, also gefragt hat sie mich, ob ich nicht nachsehen kann, wie es Lukas geht. Sie selbst kann noch nicht richtig laufen. Wir haben alle gehört, wie schwer Lukas verletzt ist. Es kam einfach über mich, ich dachte, ich könnte … ich weiß nicht, wie ich darauf gekommen bin, hier herumzuschleichen?"
Jason lächelte sie gedankenabwesend an. "Jedenfalls sitzen wir hier. Ich wusste gar nicht, wie schön es hier ist. Ich komme immer am Tag in das Haus und denke, wie gerne ich woanders wäre."
"Du willst woanders sein?"
"Seit ich denken kann, hasse ich dieses Haus. Ich habe es niemandem gesagt, immer nur gedacht. Sie hätten es nicht verstanden."
"Ich verstehe es auch nicht. Sieh mal, du bist ein Halbgott, du bewohnst dieses wunderschöne Haus, deine Mutter ist reich, du hast einen Privatlehrer, du wirst auf die beste Universität gehen …"
"Setz dich hierhin", sagte Jason. Er nahm Claire Federleicht, hob sie auf seinen Strohballen und setzte sich auf ihren. "Siehst du, wie ein Moment sein kann? Ich denke immer, die Halbgötter vergessen, die Zeit anzuhalten."
Nun war sein Gesicht im Dunkel. Claire hörte nur seine Stimme, die so sanft war wie sein Gang.
"Es geht Lukas gut. Der Arzt hat gesagt, er hat sich einige Rippen geprellt. Das tut weh, aber er hat Glück gehabt." Jason lachte leise. "Er hat gefragt, wo sich Lukas diese Verletzungen zugezogen hat. Was hätten wir sagen sollen?"
Aber Claire war ganz ernst geblieben. "Das mit dem Moment hast du schön gesagt, Jason. Ich glaube dir fast, du meinst es wirklich!"
Wie leicht hätte Jason einen Witz machen können! Aber er nahm den ernsten Faden auf. "Würdest du gerne in Helenas Haut stecken? Du, Claire?"
Sie überlegte. Sie war sehr nah bei Helena gewesen. Sie hatte gesehen, wie fest die Rachegöttinnen Helena gepackt hielten. Wie sich Helena gewunden hatte und die Furien sie beinahe in den Abgrund gestoßen hatten. Ihr Kampf mit Lukas hätte diesem beinahe das Leben gekostet.
"Du hast recht, ich möchte nicht in ihrer Haut stecken. Ich bin lieber die Claire, die ich bin."
"Siehst du! Und du hast recht damit! Dieser Kampf so alt ist und hat soviel Leid gebracht - bei ein paar geprellten Rippen wird es nicht bleiben!"
"Meinst du nicht, dass alles gut wird."
"In der Welt der Halbgötter zählt nicht die Liebe. Die eigenen Kinder werden geliebt, weil auch sie Halbgötter sind. Wie Soldaten werden sie geliebt. Gute Soldaten, schlechte Soldaten." Es klang bitter, was Jason sagte.
"Darf sich denn ein Halbgott einfach lossagen? Kann er sich überhaupt lossagen? Wird es ihm gelingen?" fragte Claire.
Jason überlegte kurz: "In diesem ganzen riesigen Haus, mit seinem Garten so groß wie ein Park, den fliegenden Pferden, den Flammenschlitten - gibt es etwas, das nicht halbgöttisch ist?"
Claire schüttelte den Kopf.
"Denk nach, Claire!"
"Du hast recht, alles ist halbgöttisch. Es gibt kein Entkommen!"
"Doch, doch!" sagte Jason ernst. "Es gibt etwas, das nicht halbgöttisch ist. Du, Claire, bist nicht halbgöttisch!"
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Kapitel 45
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"Georg, konntest du mir nicht ankündigen, dass wir Besuch erwarten", sagte Petra kopfschüttelnd.
'Da sich Frau Oppen auch bei mir nicht angekündigt hatte, trifft mich wenig Schuld', dachte Malber.
Laut sagte er: "Entschuldige, Petra."
"Machen sie sich keine Umstände bitte", sagte Frau Oppen. Sie stand mitten im Wohnzimmer, neben ihr Leonyd, auf den Sitzgelegenheiten: Petra, Georg und Tochter Melanie.
Am PC saß Paul. Seine Mutter hatte ihm so eindringlich ermahnende Blicke zugeworfen, dass er aufsah und freundlich lächelte. Erstaunt eine fremde Frau sah, die sich lautstark als Ilos Mutter ausgab, neben Leonyd, dem Schweiger und Spieleprogrammierer.
"Wir setzen uns an den großen Tisch", schlug Petra vor.
"Nur wenn es keine Umstände macht" so Frau Oppen erneut.
"Selbstverständlich nicht", sagte Petra und dachte: 'Ich kenne zwei Mandanten von Georg: diese Frau und einen weißrussischen Zuhälter. Offensichtlich kann er sich seine Mandanten noch nicht aussuchen!'
Sie setzten sich an den Tisch. Frau Oppen neben Leonyd. Malber neben Petra, seine frühere Frau.
Frau Oppen sagte freundlich zu Melanie: "Ich hätte gerne ein Glas Tonic. Was trinken sie, Herr Leonyd."
Paul schaute auf. 'Herr Leonyd'? War es möglich, dass 'Leonyd' ein Nachname war?
"Nichts", sagte Leonyd. "Mach dir keine Mühe, Melanie."
Frau Oppen sah mit großem Erstaunen, dass Melanie sich setzte, ohne ihr ein Glas Tonic geholt zu haben. Ohne die geringste Anstrengung unternommen zu haben, ihr diesen geringen Wunsch zu erfüllen, setzte sie sich wieder.
"Wir haben leider kein Tonic Water", sagte Petra für ihre Tochter. "Kann ich ihnen eine klare Limonade anbieten?"
Frau Oppen nickte. Die Mutter steht auf, die Tochter bleibt sitzen. Diese modernen Familien hatte ein eigenartiges Gefüge. Vielleicht nicht ganz so abgründig wie das von Zara, der weißrussischen Fürstin, aber dennoch alles andere als traditionell.
Petra hatte zwei Gläser mitgebracht. Eines für Frau Oppen und eines, aus Freundlichkeit, für sich. Warum war Melli so feindlich dieser Frau gegenüber?, fragte sie sich. So kannte sie Melli nicht. Es musste einen Grund geben. Sie sah ihren Mann an. Aber da hätte sie auch Paul ansehen können.
Frau Oppen sagte nichts. Sie trank, stellte das Glas ab und sagte nichts. Als Leonyd immer noch nichts über die Lippen brachte, sah sie ihn streng an. Es war wirklich alles besprochen worden. Warum schwieg dieser Mensch?
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"Ich sage nichts", sagte Leonyd.
Petra sah ihn erstaunt an. Ein In-Sich-Widerspruch. Bei Juristen bekannt und gern kommentiert. Sie wollte Paul fragen. Gab es diesen Begriff bei den Programmierern?
"Wir haben doch alles besprochen!" beklagte sich Frau Oppen bei Leonyd. "Nur zum Fahren habe ich sie nicht mitgenommen. Sie hätte uns beinahe umgebracht, so schlecht sind sie gefahren!"
'Sie ist mit Leonyd Auto gefahren - die Frau hat Mut!', dachte Paul.
"Da nun dieser Mensch … nichts sagt, werde ich wohl das Sprechen übernehmen müssen", begann Frau Oppen. "Ich bin die Mutter. Ureigentlich ist es nicht meine Aufgabe, ihnen unser Anliegen, das Anliegen meines Sohnes vorzutragen."
Leonyd starrte böse auf die leere Tischfläche vor ihm.
'Was sieht er dort?', fragte sich Frau Oppen. Ilo hätte sie vor diesem Menschen warnen sollen. Sie gab sich ein wenig selbst die Schuld. Sie hatte diesen Menschen nicht richtig angesehen. Wer so aussah, so äußerlich unfertig, so menschlich abgestorben, der war zu einer rechten Vertretung in delikater Angelegenheiten nicht fähig.
"Dieser Mensch", begann Frau Oppen ungnädig, "sollte eigentlich - wenn er gewollt hätte - Folgendes sagen: 'Ich stehe vor ihnen in meiner Eigenschaft als Herold des Brautwerbens von Ilo Oppen.' - Ich frage sie, was ist daran so schwierig? - 'Herr Ilo Oppen gibt sich die Ehre, vorstellig zu werden bei ihnen, sehr geehrte Familie Malber. Ich möchte hiermit feierlich, ehrerbietig und ausdrücklich um die Hand von Fräulein Blusteva anhalten.' - Was hält ihn, diesen Menschen, davon ab, diese einfachen schlichten Worte zu überbringen? Er tut geradezu so, als sei er in irgendeiner Weise selbst betroffen."
Frau Oppen war so empört, dass ihr der Antrag und die Fragen durcheinander gingen.
Petra verzog den Mund. Als Rechtsanwältin hasste sie Konfusion der Rede. Dennoch, was sie hier hörte, erstaunte sehr.
"Danke", sagte Malber, "vielen Dank, Frau Oppen. Dies war eine wunderbare Rede. Wir danken ihnen." Er stand auf, verbeugte sich und setzte sich wieder.
'Typisch', dachte Petra. 'Statt einer Antwort versucht sich Georg in Posen!'
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"Wo ist Ilo?" fragte Melanie.
"Wer? … Ilo?" Frau Oppen öffnete den Mund und überlegte.
'Was ist eigentlich hier los?" ' dachte Petra. 'Warum verstehe ich nicht, von was hier die Rede ist?'
'Wie verhindere ich, dass Petra von unserer Heiratsoption auf Blue erfährt?' überlegte Malber angestrengt. 'Die Frage, ob diese Option rechtens ist, möchte ich nicht unbedingt mit einer Frau Dr. jur. erörtern müssen.'
"Wo ist Ilo?" fragte Melanie.
So gefährlich ruhig, kannte Petra ihrer Tochter nicht. Was war bloß in sie gefahren?
"Ganz einfach, junge Dame", sagte Frau Oppen spitz. "Ilo hat selbst entschieden, sich in dieser Angelegenheit von diesem Menschen" - ein Seitenblick auf Leonyd - "vertreten zu lassen. Darf er das etwa nicht? Muss er sie um deine Erlaubnis bitten?"
"Muss er nicht!" Melanie sah auf die leere Tischfläche, die Leonyds angestarrter leerer Tischfläche gegenüberlag.
"Das denke ich auch, dass er das nicht muss!" bekräftigte Frau Oppen. "Ich bin so froh, dass er die junge Dame offenbar nicht um Erlaubnis bitten muss!"
Malber erhob sich wieder. "Ich freue mich für Blue, von ganzem Herzen freue ich mich. Wenn zwei junge Menschen sich füreinander entschieden haben - aus völlig freien Stücken, aus den Regungen ihrer Herzen heraus! Liebe Frau Oppen, ich wünsche ihnen und ihrem Sohn alles Gute und alle Treue dieser Welt!"
Melanie war aufgesprungen. "Was für einen Unsinn du redest, Vater! Ich kann es nicht länger ertragen! Es ist so hohl und unwahr!" Melanie rannte aus dem Zimmer.
Petra starrte Melanie hinterher. 'Was ist bloß mit meiner Tochter los? So wütend auf ihren Vater habe ich sie noch nie gesehen. Warum läuft sie nicht zu Blue auf ihr Zimmer? Warum verstehe ich nichts!'
"Uff!" kam es aus Paul Ecke.
"Ich möchte nun doch" - Frau Oppen hatte sich erhoben, nachdem sich Malber wieder gesetzt hatte - "Fräulein Blusteva persönlich in Augenschein nehmen."
Leonyd stand auf und verließ mit gekrümmten Schultern und schweren Schritten und den Raum.
"Herr Malber", fragte Frau Oppen, "gibt es irgendetwas, das sie mir erklären müssten?"
"Nein, selbstverständlich nicht. Petra, bitte, kannst du Blue holen? Ich als Mann will nicht in ihr Zimmer eindringen müssen." Er sah Petra bittend an und dachte: 'Außerdem kann ich dich mit dieser unendlich geschwätzigen Oppenschen Frau nicht allein lassen. Sie würde unweigerlich die Option auf Blues Jungfernschaft zur Sprache bringen.'
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So kam Blue die Treppe herunter. Langsam wie eine Traumwandlerin. Stufe für Stufe glitt sie hinab. In ihrem langen seidenweißen Kleid stand sie erkoren in der Mitte des Raumes. Das lange blonde Haar floss über ihre schmalen Schultern. Eine Glorie des Lichtes.
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Selbst Frau Oppen blieb für einen Augenblick stumm. Nach einigen Momenten der Gedankenleere erinnerte sie sich daran, wieviel Geld sie bezahlt hatte, und entschied, dass sie nur einen angmessenen Gegenwert bekommen hatte. Und doch wagte sie nicht, Blue zu umarmen. Für einen Augenblick meinte sie hinter dem Mädchen auch Zara - die Mutter, die nicht wusste, was 'Mutter' bedeutete - oben auf der Treppe zu sehen. Aber es war nur die wortkluge Frau des Unternehmensberaters.
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Petra stand oben auf der Treppe und besah sich das seltsame Schauspiel. Es hatte soviel seltsames Betragen gegeben - da wollte sie sich erst nach einem gründlichen Faktenstudium ein Urteil erlauben,
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'Ich habe es geschafft!' dachte Malber. 'Blue hat die Sichtprobe bestanden, und Petra hat nichts von der Jungfrauen-Option erfahren. Lieber Bakas, heute bin ich mein Geld wirklich wert gewesen!'
Dann dachte er an Melanie. Welch seltsames Betragen? Er würde sie fragen müssen, was dessen Bedeutung war. In letzter Zeit, fiel ihm auf, hatte er zu oft rätselnd vor ihrem Verhalten gestanden.
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Kapitel 46
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[Computerspiel]
Gewaltige Wolkenberge schoben sich vom Horizont in breiter Front heran. Zwischen jeder Lücke blickte der Mond auf das ruhige Wasser des Meeres. Er warf sein silbriges Licht darauf, um gleich wieder von dichten Wolken wie schweren Scheiben verdeckt zu werden.
Auf der anderen Seite senkte sich das schwarze Land und stieg dann zu einer breiten Anhöhe, auf der sich das Anwesen der Del'Oppens erstreckte. Zwischen dem Land und dem Meer erhoben sie die weichen Dünen zu einer schroffen Klippenformation.
Warum schaute der Mond so neugierig und zwängte seinen Blick in jede Lücke? War es wegen der beiden kleinen Gestalten, die auf der Klippe saßen? War er sich nicht sicher, ob er ein Menschenpaar sah oder unbewegliche Gestaltsteine?
Als ihm schließlich ein unverstellter Blick vergönnt war, sah er zwei junge Menschen, die dicht nebeneinander auf den Resten einer niedrigen Steinmauer saßen. Er erkannte Jason und dieses Mädchen - ein kurzer Blick hatte genügt - und wusste gleich, dass er seinen silberhellen Blick verbergen musste, um die beiden nicht zu verraten.
"Können sie uns nicht sehen?" fragte Claire leise.
"Wenn wir uns nicht bewegen, sind unsere Rücken von drüben wie schwarze Steine", erwiderte Jason ebenso leise.
"Es ist so schön hier. Wenn einer von ihnen am Strand spaziergeht?"
"Es ist mein Platz, Claire. Noch nie sah ich einen Halbgott am Strand, der Kiesel ins Meer warf. Dieser Platz gehört meinen Menschenträumen."
Claire schwieg. Sie drückte ihre Schulter an seine Schulter. Wenn Jason schöne Worte gebrauchte, dann wusste sie keine Antwort.
"Nicht die Halbgötter, die du kennst, haben uns entdeckt. Siehst du, was sich dort anbahnt?"
"Wolkentürme, schwarze Gewitterberge."
"Ja, für dich, Claire, sind es Wolken und Blitze. Für mich aber, mit dem sie sprechen, sind es die alten Helden und Göttergestalten."
"Du meinst, sie wollen dich zur Rede stellen?"
Statt einer Antwort breitet Jason seinen Mantel über Claire aus, sodass sie sich völlig darunter verbarg.
"Sie sollen mich nicht sehen?" Claire tippte seine ruhende Hand. "Willst du mich ihnen nicht vorstellen?"
"Nein, das will ich nicht", sagte Jason ernst.
"Ich könnte beleidigt sein, wenn du mich nicht vorstellst."
"Wenn ich dich ihnen zeigen würde, dann wäre es, als würde ich dich ihnen zum Opfer vorschlagen."
"Manchmal kommt mir alles absonderlich wie im Traum vor", flüsterte Claire.
"Helena ist wirklich, nicht wahr?"
Claire nickte stumm.
"Helena ist eine Halbgöttin. Sie ist geschützt. Du, Claire, bist nur durch mich geschützt. Mir gefällt es nicht, aber wir müssen achtgeben."
Claire senkte unwillig den Kopf unter seinem Mantel.
"Warte nur, Claire Liebste, gleich werden sie sprechen."
Schon war Claire mit ihm versöhnt. Ihr war nicht wichtig, ob alles glaubhaft war oder nicht. Wenn er sie nur leise 'Liebste' nannte, wollte sie alles glauben.
Langsam schob sich die schwarze Wolkenfront näher. Das erste Donnergrollen, die ersten Lichtkeile.
"Da sind sie", sagte Jason leise. "So wütend sah ich sie noch nicht."
Claire lugte unter seinem Mantel hervor.
Krachende Donner entluden sich einer nach dem anderen. Ein Chor von dunklen Stimmen. Ein Kanon brüllender Wut.
"Achill ist unter ihnen", flüsterte Jason. "Patrokles, all die Helden."
"Was sagen sie?" flüsterte Clair. "Ich verstehe nicht, was sie sagen."
"Sie beschimpfen mich als Verräter. Ich sei weniger wert als ein Spion der Trojaner."
"Sie kämpfen für eine Frau, die sich mit einem trojanischen Prinzen davongemacht hat."
Jason sprach etwas in einer fremden Sprache.
Eine mächtige, laut empörte Antwort folgte unmittelbar.
Jason flüsterte: "Es sei die eigene Ehre, die sie verteidigen - nicht die Hurenehre dieser Frau."
"Deine Ehre, Jason - ist deine Ehre von dieser Frau verletzt worden?"
Jason übersetzte langsam und zögernd.
Die griechischen Helden tobten.
"Zuviel Blut ist geflossen, als dass der Strom des Heldenblutes selbst in fernster Zeit versiegen könnte."
"Wann werden die Toten ihre Ruhe finden?" fragte Claire leise.
Krachend entlud sich das Gewitter der Stimmen über ihnen. Donnerkeulen gingen nieder, zuckende Blitze wie die Hiebe mächtiger Schwerter auf eisenbeschlagene Schilde.
"Niemals könnten die Toten ohne ihre Ehre zur Ruhe kommen. Niemals! Hörst du nicht, wie sie es brüllen, Claire?"
Die Helden hatten gewaltige Stimmen. Der Schlachtenlärm wäre für menschliche Ohren, die sich nicht unter einem halbgöttlichen Mantel verbargen, unerträglich gewesen.
"Es ging den Männern nicht um diese Frau", flüsterte Claire. "Sie wollten die Mauern niederbrennen, um Trojas Schätze zu rauben."
"Das übersetze ich nicht", flüsterte Jason zurück.
"Feigling Liebster", flüsterte Claire zurück.
Weicher wurden die Stimmen, die aus den Wolken kamen. Schmeichelnder. Schwebender.
"Das sind die Göttinnen", flüsterte Jason. "Hera und Aphrodite."
"Was sagen sie?"
"Hera fragt, was meine Mutter von mir denkt, meine Brüder Lukas und Jason."
Jason antwortete nicht. Er sah betrübt vor sich hin. Tief in Trauer sank sein Herz, sodass Claire ihm dorthin nicht mehr folgen konnte.
"Willst du mir treu sein?" fragte Claire leise und so nah, dass sie mit dem Mund sein Ohr berührte.
"Ja, das will ich", antwortete Jason ein wenig laut. "Dachtest du etwas anders?"
"Schscht", mahnte Claire ihn. "Frag sie, was mehr wiegt - deine Treue zu mir oder die Untreues ihre höchsten Göttergatten Zeus?"
Jason zögerte. Er sah empor und sagte nichts.
"Jason, sie ist eifersüchtig, weil wir uns treu sein werden."
Jason übersetzte langsam und zögernd.
Ein gewaltiger weißer Blitz bohrte sich wenig entfernt vor ihnen in den Strand.
"Das war knapp", flüsterte Jason. "Wenn Aphrodite ihr nicht in den Arm gefallen wäre, hätte sie dich durch den Mantel getötet. Es sind Göttinnen, Claire, keine Lehrerinnen!"
Aphrodite erschien in einem vom Mond durchsichtig gemachten Kleid. Sie flüsterte und sang, sie summmte wohltuend und verführerisch.
Diese Göttin hasste Claire viel mehr als Hera. Aphrodite war das Laster. Viel gefährlicher als die Eifersucht.
"Hör nicht, was sie sagt, mein Liebster", flüsterte Claire. "Sieh, wie sie auftritt, die Schamlose. Hörst du nicht die Stimme all derer, die sie geblendet hat. Eine Armee von Betrogenen, größer als das Lager der griechischen Helden, nackt und und zitternd ihm Mondlicht, das sie bereits auf einem anderen liegt."
"Claire, es sind Göttinnen!" flüsterte Jason verzweifelt. "Sie hat dir gerade eben das Leben gerettet."
"Sie braucht mir das Leben nicht zu retten, wenn sie mir den Liebsten raubt. Sag ihr das, Jason!"
Ein singendes, sich entfernendes Lachen. Aphrodite - die Kluge, die Vielgereiste, die Herzleichte - hatte Claire verstanden, ohne dass es der Hilfe von Jason bedurft hätte.
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Kapitel 47
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Das Tor zum Oppenschen Anwesen rollte leise beiseite. Langsam glitt der schwarze Wagen der Familie über den Kiesweg. Jedem Außenstehenden wäre er wie ein Beerdigungswagen oder ein Hochzeitswagen erschienen, so feierlich und ernst. Der leichte Nieselregen glitzerte auf seiner schwarzglänzenden Karosserie. Nur das Geräusch der Scheibenwischer war zu hören und das Flüstern des Kieses unter seinen breiten Reifen.
Frau Oppen stand neben ihrem Sohn Ilo auf der Treppe. Sie versucht seine Hand zu greifen, aber er schüttelt sie ab. Frau Oppen musste sich in letzter Zeit über ihren Sohn wundern. Eigentlich hätte er sich doch freuen sollen. War es nicht ein großer Moment für ihn, dieses wunderbare hochgeborene Mädchen zur Frau nehmen zu dürfen? Sie verstand ihn nicht. War sie voreilig gewesen? Sie wusste es nicht. Also nahm sie für sich an, dass es eine Laune von Ilo war, die vorübergehen würde.
Der Wagen hielt in der Mitte des Platzes. Der Chauffeur entstieg und beeilte sich, der weißrussichen Fürstin auf der anderen Seite den Wagenschlag zu öffnen. So hatte ihn Frau Oppen angewiesen. 'Sie ist ein besonderer Gast', hatte sie gesagt. 'Ein Gast, der mir nah am Herzen liegt.'
"Sie hat eine Tasche dabei", sagte Ilo erstaunt. "Heißt das, sie bleibt für länger?"
"Nun, das werde ich ihr überlassen", sagte seine Mutter würdevoll.
"Dann bleibt sie für länger, wenn du es ihr überlässt."
"Sie ist die Mutter des Mädchens. Ich kann und will ihr keine Vorschriften machen", antwortete Frau Oppen ihrem Sohn. Sie sah die Treppe herunter, wo Zara ihr entgegenkam. Sie dachte, dass Zara bald eine Verwandte sein würde und schon wie eine gute Freundin war. Mit dieser Frau zu sprechen war ein Erlebnis in ihrem Leben.
Sie ging zwei Treppenstufen herab, während Ilo unfreundlichst auf der obersten Stufe stehen blieb.
"Nehmen Sie ihr bitte den Koffer ab", wies Frau Oppen den Chaffeur an. Dann umarmte sie Zara. Wieder fiel ihr auf, wie klein und leicht Zara war. Frau Oppen vergaß es immer wieder, weil dieser Zara eine solche Kraft und Einfühlung innewohnte. Frau Oppen kam sich ungeschlacht vor.
"Dies ist mein Sohn Ilo", stellte Frau Oppen ihren Sohn vor, nachdem sich die beiden Frauen aus der Umarmung gelöst hatten.
Ilo betrachtete die Frau feindselig. Frau Oppen fiel kein anderes Wort für seine Blicke ein. Ihr Ilo gab sich keinerlei Mühe gastfreundlich und entgegenkommend zu sein. Fast bedauerte sie, dass sie ihn gedrängt hatte, diese Frau zu empfangen.
"Ich habe von dir gehört, Ilo", sagte Zara. "Ich freue mich, dass du die Unsichtbarkeit verlassen hast."
Ilo sagte nichts.
Keiner von beiden machte Anstalten zur Begrüßung die Hand auszustrecken.
Sogar der Chauffeur stutze ob dieser offen ausgetragenen Abneigung zwischen den beiden.
"Wollen sie bleiben?" fragte Ilo. Dies waren seine ersten Worte Zara gegenüber.
"Wenn Fürstin Zara möchte", sprang seine Mutter ein, "dann kann sie selbstverständlich bleiben. Schließlich sind wir eine gastfreies Haus, nicht wahr?"
Ilo verzog keine Miene. Er drehte sich um und ging.
Kopfschüttelnd sah ihm seine Mutter nach. "Ich weiß nicht, was ich davon halten soll."
"Ich möchte die Räumlichkeiten sehen", sagte Zara, ohne sich weiter um die Sorgen einer Mutter zu kümmern.
Frau Oppen ging ihr voran in den großen Raum. Sie wusste nicht, welche anderen Räume Zara sehen wollte.
"Frau Oppen", sagte Zara feierlich, "das junge Brautpaar - wo werden sie schlafen in der ersten Nacht?"
Diese Frage hatte Frau Oppen noch nicht beschäftigt. Sie war überrascht und daher sprachlos.
"Wissen sie", erklärte Zara, "ich Weißrussland ist es Sitte, dass die Brautmutter - also ich - im Raum neben der Braut wohnt. Gemeinhin bezieht sie ihren Raum, sobald die Hochzeitsvorbereitungen begonnen haben. So gesehen, bin ich bereits spät."
Frau Oppen nickte. Das schien ihr fremd, wenn auch einsichtig. "Spräche etwas dagegen, wenn die Braut eines von Ilos Zimmern bezieht?"
"Ja", sagte Zara schlicht. "Die Braut, mein Kind Blue, braucht ihr eigenes Gemach, wo der Mann, also Ilo, sie jungfräulich in der Nacht der Hochzeit antreffen wird."
Frau Oppen fand, dass diese Dinge in Weißrussland recht unumwunden ausgesprochen wurden. Aber die Landessitten waren ihr sympathisch, sah sie sich doch selbst als natürlich und unverstellt.
Frau Oppen wies den in Distanz wartenden Chauffeur an, den Koffer der Fürstin in den Gästetrakt zu bringen. Das Mädchen solle das Bücherzimmer herrichten. Dorthin werde sie sich mit der Besucherin begeben.
"Wissen Sie, wir haben zwei Zimmer dort, beinahe gleich groß. In dem Gemäldezimmer steht ein kleineres Bett. Es grenzt an das frühere Schlafzimmer meiner Eltern. Es diente dazu, dem Schlaflosen Rückzug zu bieten, mit einem Buch oder einer anderen Lektüre. Daher ist eine Tür dazwischen."
"Das ist mir recht", sagte Zara würdevoll. Sie blickte den Chauffeur an: "Ich werde in der nächsten Zeit dieses Zimmer beziehen."
Der Mann verbeugte sich und schritt voran.
Zara erklärte sich: "Die Mädchen wollen ihre Mutter in dieser Nacht in der Nähe wissen. Es ist sehr alte Sitte. Es war eine Zeit, da haben sie sich zu dritt das Bett geteilt."
Frau Oppen blickte sehr verwundert drein.
"Lange her", winkte Zar lächelnd ab. "Ein Brauchtum ist es geworden, nicht mehr als eine Erinnerung. Ich will nur sprechen von seiner Entstehung."
Frau Oppen schluckte stumm. Die Vorstellung hatte sie überwältigt.
Zara blieb an einer der Fenstertüren stehen und sah hinaus.
Frau Oppen stellte sich daneben. Die Fürstin sah nicht in den Garten. Sie bemerkte nicht die vom Regen dampfende Trauerweide, nicht den Schwan auf seinem Teich. Tief war sie in Gedanken. Frau Oppen hatte noch nie jemanden getroffen, der so wenig in die Außenwelt sah wie diese weißrussische Fürstin. Vermutlich schien ihr der Garten klein und alterslos. Aber sie wollte ihre Enttäuschung nicht mitteilen.
"Ich mache mir Gedanken um meinen Sohn Ilo", begann Frau Oppen vorsichtig.
Zara murmelte etwas in dieser unbekannten Sprache.
Frau Oppen dachte, dass Ilo ein paar Worte für seine Frau würde lernen müssen. "Ilo, mein Ilo ...", seufzte sie. "Er redet so eigenartig in letzter Zeit."
"Ihr Mann liegt hier begraben" stellte Zara fest. "Ich spüre seine Anwesenheit."
Frau Oppen nickte betrübt und erstaunt.
"Er liegt dort drüben, nicht wahr? Ihr Mann hat eine große Ausstrahlung."
"Ja", sagte Frau Oppen betrübt, "Ilo kommt so gar nicht auf meinen Mann ..."
Zara schaute in die Richtung der kleine Kapelle und bewegte ihre Lippen wie in einem Gespräch mit dem begrabenen Herrn Oppen.
"Ilo sagt, sein Name sei Jason. Ich könne ihn weiter Ilo nennen, für alle anderen aber sei er Jason. Sogar unser Chaffeur nennt ihn Jason."
Zara atmete verächtlich aus. Namen bedeuten nichts, sagte ihr Blick.
"Es ist nicht nur das ..." - Frau Oppen versuchte, Mut zu fassen - "Er sagt, dass Ilo heiratet, nicht Jason. Ihm als Jason sei gleichgültig, wen Ilo heirate und mit welcher Feier."
"Blue ist auch nur ein Name. Ein andere hätte ebenso seinen Zweck erfüllt."
Frau Oppen war erstaunt. Sie hätte gedacht, dass die Namen in den Adelslinien von Bedeutung seien.
"Jede Lebenszeit hat einen neuen Namen", erklärte Zara ihr. "Blue ist der Name des Mädchens. Wenn der Mann sie in der Nacht zur Frau genommen hat, heißt sie 'Nicoha'."
In den Augen von Frau Oppen lag unausgesprochen eine Frage.
"Wir geben den Neugeborenen vier Namen mit auf den Weg. Den Namen für das Kind, das Mädchen, die Frau und die Großmutter. So ist es Sitte."
"Haben 'Blue oder 'Nicoha' eine Bedeutung?" Frau Oppen erwartete ängstlich die Antwort.
Zara lächelte Frau Oppen kühl ins Gesicht: " 'Nicoha' bedeutet 'Nichts', Frau Oppen. 'Blusteva' bedeutet 'die Schöne'. Sie sehen, 'Jason' oder 'Ilo' ..." Sie hob die Arme, als werfe sie die Namen in die Luft.
"Der Junge hat soviel Phantasie", seufzte Frau Oppen. "Kommen sie, Fürstin, ich zeige ihnen das Gemäldezimmer."
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Kapitel 48
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Es war eine wolkenlose windstille Nacht. Der Vollmond betrachtete gelangweilt sein zittriges Spiegelbild im ruhigen Wasser des Meeres. Immer wieder sah er hinüber zu den beiden kleinen Gestalten, die auf der Klippendüne saßen. Was für ein Getöse die beiden in der letzten Nacht verursacht hatten! Er fragte sich, ob sie es auf eine erneute Auseinandersetzung abgesehen hatten oder ob sie keinen anderen Platz kannten.
Jason und Claire saßen Rücken an Rücken. Es war wunderschön, an diesem Ort zusammen zu sein und doch ein so trauriger Anlass. Langsam wanderte der Mond. Jetzt schien er der stillen Claire ins Gesicht.
"Die Götter und Helden haben sich abgefunden, dass du eine Sterbliche bist, Claire."
"Sie sind in Gedanken bei deiner Hochzeit, Jason. Mich, die sterbliche Claire, haben sie vergessen."
'Jason meint es ehrlich, Melanie', flüsterte der Mond ihr in der Stimme ihrer Mutter zu. 'Was ist eine Hochzeit wert, der die Liebe fehlt?'
"Sei froh, wenn sie dich vergessen. Du hast gehört, was für einen Krach sie schlagen können!"
"Jason, erzähl mir etwas über deine Hochzeit", bat Claire leise.
"Gestern ist eine Zara gekommen, die sich Fürstin nennt. Sie hat das Brautzimmer ausgesucht und wird in der Nacht ... daneben wohnen. Verrückt ist diese Frau!"
"Die Nacht, von der du sprichst, ist die Hochzeitsnacht?"
Jason schwieg. Er ärgerte sich - nicht über Claire, sondern über sich selbst, dass er nicht besser erklären konnte, wie gleichgültig ihm diese Hochzeit war.
'Denk an Blue', flüsterte der Petra-Mond. 'Sie mag Jason nicht. Er mag Blue nicht. Wie traurig das ist!"
"Hast du dir Blue einmal richtig angesehen, Jason?"
Er hob unwillig einen kleinen Kiesel auf und warf ihn fort. "Ich mag sie nicht. Ich brauche sie nicht anzuschauen."
"Alle sagen, dass Blue sehr schön ist."
"Alle sagen, dass eine Hochzeit sehr wichtig ist. Muss ich denken, was alle sagen?"
"Du antwortest mir nicht, Jason."
"Ja, sie ist eine von denen" - Jason zeigte zum Himmel, wo gestern die Götter und Helden getobt hatten - "aber ich frage dich, Claire: Kannst du dir nicht vorstellen, dass sich unter ihrem Äußeren etwas Schreckliches verbirgt."
"Wie meinst du das?" fragte Claire erschreckt.
'Du weißt, wie er es meint', flüsterte der Petra-Mond. 'Klug ist dein Jason, ganz anders als dein Vater.'
Jason überlegte. "Denk an die drei Rachegöttinnen, die Helena verfolgen - kannst du dir nicht vorstellen, dass Blue auch eine von ihnen ist? Wer sagt, dass Rachegöttinnen hässlich sein müssen?"
"Sie ist meine Freundin", sagte Claire trotzig. "Außerdem tut sie mir leid."
"Ich mag keine Rachegöttinnen, Claire. Kannst du das nicht verstehen? Sie haben zuviel Unheil angerichtet."
"Du wirst bald eine Rachegöttin heiraten, wenn du recht hast."
"Was passiert, wenn ich sie nicht heirate?"
"Du heiratest vielleicht jemanden, den du magst."
Jason hörte stilles Lächeln aus ihren Worten heraus. "Wenn ich jemanden gegen die Vorbestimmung heirate, dann werden sie dieses Mädchen töten, Claire!"
Das Gesicht des Petra-Mondes verfinsterte sich. Das war eine kapitale Drohung gegen ihre Tochter.
"Nichts zählt ihnen das Leben einer Sterblichen!" Jason warf einen Kiesel fort.
"Ich fürchte mich nicht", sagte Claire trotzig und drückte sich gegen seinen Rücken.
'Sei auf der Hut, Melanie', sagte der Petra-Mond.
"Sei auf der Hut, Claire", sagte Jason.
"Ich fürchte mich am meisten vor der Hochzeitsnacht, wenn ich allein bin, Jason."
"Wer sagt, dass du allein bist? Ich warte hier auf dich."
"Wir treffen uns hier - in der Hochzeitsnacht?"
"Ich kann dir übelstes Wetter voraussagen - aber wir sitzen hier und lassen die Götter und Helden wüten, wie sie wollen!"
Claire legte ihre Hand auf seine Hand. Dann waren sie still.
'Melanie, nicht weinen', mahnte der Petra-Mond.
"Ich werde das Brautzimmer nicht ein einziges Mal betreten", sagte Jason. "Nichts ein einziges Mal. Sei also nicht traurig, Claire."
'Auf was für ein Abenteuer hast du dich eingelassen, Melanie?' Schatten umwölkten die Stirn des Petra-Mondes.
"Sie werden merken, dass du nicht zu ihr gehst ..."
"Wenn wir uns in dieser Nacht treffen, geben wir uns ein Versprechen", sagte Jason leise.
"Was du willst, ich werde es dir versprechen."
"Wir werden uns ein Versprechen geben, von dem nur wir zwei bei Gefahr deines Lebesn wissen dürfen."
'Der junge Mann übertreibt, denke ich', so der Petra-Mond. 'Zumal sind es drei, die davon wissen, wenn das Wetter mitspielt.'
Ein bedrohliches Grollen rumpelte über den silberhellen Himmel.
Claire wandte sich ab und saß Schulter an Schulter neben Jason.
Sie sahen auf das stille Meer. Ein Segelboot trieb an ihnen vorbei. Die Segel blähten sich, aber sie sahen niemanden, der es steuerte.
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Kapitel 49
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Eine kleine Gruppe hatte sich an der Kapelle des Oppenschen Anwesens eingefunden. Vor dem dunkelbewölkten Himmel strahlte das kleine Gebäude in schönstem Weiß. Noch am gestrigen Tag war die Fassade überstrichen worden. Auf seinem weißen Runddach hatte sich das letzte Licht des Tages gesammelt. Als die ersten Tropfen fielen, begaben sich die Anwesenden in den Inneraum.
Auf ausdrücklichen Wunsch der Mutter des Bräutigams fand die Hochzeit im engsten Kreise statt. Ihr war es wichtig, wie sie sagte, dass ihr Mann auf die möglichste Weise eingeschlossen war. Der Geistliche hatte ihr erklärt, dass eine Kapelle nicht nur eine Grabstatt sei, sondern für jede Art von Familienfeier den schlichten Rahmen abgeben könne. Ihm persönlich sei ein gut geheizter Raum lieber, sagte er, wobei er auf seine angegriffenen Stimmbänder verwies. Ansonsten spreche nichts als eine zahlenmäßige Beschränkung auf Braut und Bräutigam, den jeweilig verbliebenen Elternteilen und die Geistlichkeit dagegen. Mit einem Seitenblick bedachte er den anwesenden weißrussischen Geistlichen, der einem Chemiker mehr glich als einem Mönch. Das zerstoßene Brillenglas machte ihn nicht vertrauenswürdiger.
Auf den Stühlen vorne saßen Blue und neben ihr Ilo. Sie waren ein wenig auseinandergerückt. Direkt in ihrem Rücken saßen Frau Oppen und Zara, die weißrussische Fürstin. Wiederum dahinter die beiden Geistlichen: der Mann der hiesigen Kirche und der Mann, der die weißrussische Geistlichkeit auf seine markante Weise vertrat. Hinter dem geduckten Altar stand die Marmorgestalt des Mannes, der diese Kapelle gestiftet hatte. Daneben stand ein großes Ölgemälde, das den Vater der Braut und also den Ehemann von Zara zur Darstellung brachte. Dargestellt war ein hünenhafter Mann mit gewaltigem Bart, kantigem Kopf unter einem zerbeulten Helm. Es stand etwas schief im Raum, weil es auf dem Grund keinen beidseitigen Halt gefunden hatte.
Die sechs Personen saßen in Andacht vereint. Niemand machte Anstalten, sich zu erheben oder nach vorne zu gehen. Der weißrussische Geistliche sah sich kurz um, Zara nickte ihm zu, dann schritt er nach vorne.
"Ich will keinen langen Reden halten", sagte er. "Das ist nicht üblich bei uns. Die Rede, die ich halten werden, ist nicht meine Rede. Es sind die Worte dieses ehrenwerten Herren, den hier in Marmor neben mir steht."
Der Geistliche ruckte unruhig auf seinem Stuhl hin und her.
"Wir haben uns mit ihm in Verbindung gesetzt", fuhr der weißrussiche Geistliche fort, indem er seine halbzerstörte Brille gerade schob. "Es ist uns gelungen, diese schlichten Worte des Grußes von ihm zu bekommen. Sie müsssen wissen, dass die Reiche der Toten begehbar sind über geheime Wege durch die Reiche der Untoten. Es hat uns einiger Nachforschung bedurft, bis wir zu ihm gelangt sind. Diese kleine Rede, die ich verlesen werde, haben wir mitschreiben dürfen."
Der christlich Geistliche hustete vernehmlich: "Frau Oppen", sagte er schließlich, nachdem ihn niemand beachtete, "wir befinden uns in einem Haus Gottes, in einem Haus unseres Herrn Jesu."
"Natürlich", sagte Frau Oppen, "wir werden sie gleich anhören. Bitte unterbrechen sie die Rede meines Mannes nicht. Ich habe nicht sehr viel Gelegenheit von ihm zu hören."
"Frau Opppen, dieser Mann - sicherlich kein Geistlicher im christlichen Sinne ist - redet davon mit ihrem Mann gesprochen -"
"- Schscht", ermahnte ihn Frau Oppen. "Stören sie nicht fortwährend. Ich möchte hören, was mein Mann zu sagen hat!"
Der christliche Geistliche stand auf. Ungern verließ er diesen Raum. Frau Oppen war bekannt als großzügige Gönnerin der Kirche. Sie half immer da mit Geld, wo es nötig war. Keinen Wunsch hatte sie ihm ausgeschlagen. Nun das! Dieser heidnische Mann verlas in einem Gotteshaus die Botschaft eines Mannes, der bereits vor Jahren ein christliches Begräbnis gefunden hatte. Er konnte es als Vertreter seiner Kirche nicht dulden und also ging er, so schwer es ihm fiel. Während er ging - scheinbar unbemerkt - verlas der Weißrusse in seinem Rücken die Botschaft eines Wiederauferstandenen.
"Liebe Anwesende, lieber Ilo, liebste Bettina" - Frau Oppen schluchzte - "ich grüße alle, die ich nicht mehr kennenlernen konnte. Es ist nicht leicht für mich, die Brücke nach so langer Zeit zu euch zu schlagen. Ich möchte dir, mein Sohn Ilo, danken, dass du in meine Nachfolge eintreten willst und dieses Mädchen Blusteva von fürstlicher Geburt heiraten wirst. Die Zeit ist gekommen, dass unserer Familie ein neuer Ast wächst. Die Zeit ist gekommen, dass wir unser Blut mit diesem wahrhaft edlen Blut eines weißrussischen Fürstengeschlechtes mischen. Das Mischen des Blutes - edel zu edel - ist uns von Alters her vorgesehen. Es ist die Pflicht eines Sohnes, der sich seiner Väter und Vorväter würdig erweist. Du nimmst diese Pflicht auf dich. Mein Sohn, ich danke dir dafür!"
Lautes Schluchzen von Frau Oppen unterbrach die Rede kurzzeitig.
Ilo schüttelte unwillig den Kopf. Er sagte nicht, ob ihn die Rede befremdete oder die Reaktion seiner Mutter oder überhaupt die ganze Zeremonie.
"Bitte", schluchzte Frau Oppen, "fahren sie fort."
"Ich möchte nicht viel sagen", las der weißrussische Geistliche weiter, "schließlich ist es nicht ein Tag, an dem die Rede eines Toten im Mittelpunkt stehen sollte, sondern die glückliche Vermählung eines Lebenden meines Stammes, meines Sohnes Ilo. Ich möchte nun den Geistlichen bitte seines Amtes zu walten und meinen Sohn Ilo mit seiner Frau Blusteva zu vermählen. Ich trete zurück in das Reich der Toten, um dort in Frieden und mit großer Zuversicht meinen Ruheplatz einzunehmen."
Der weißrussische Geistliche sah sich um. Eben saß dort auf dem leeren Stuhl ein Kollege der hiesigen Glaubensfraktion. Wo war er abgeblieben? Hinter dem leeren Platz schluchzte Frau Oppen. Der fromme Mann, der sie halb verdeckt hatte, fehlte völlig.
Zara winkte ihn zu sich. "Menschenkoch", flüsterte sie, "übernimm du die Vermählung. Der Mann ist gegangen. Ich weiß nicht, welcher Geist in ihn gefahren ist."
Der Menschenkoch wandte sich um. Er winkte Ilo an seine rechte Seite und Blue an seine linke Seite.
"Liebe Kinder", sagte er gnädig, indem er erst Ilos Kopf, dann Blustevas Kopf mit seiner Hand bedeckte. "Ich vermähle euch, gebe euch einander zu Mann und Frau. Geht freundlich miteinander um, mehret euch und seid einander nicht von Schaden. Hiermit also sei diese Ehe geschlossen vor den Augen der Lebenden und der Toten. Alles Glück eures kurzen Daseins hier bei den Lebenden sei mit euch."
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Kapitel 50
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[Computerspiel]
Die mondlose Nacht war schwarz, in der Claire sich zu Haus geschlichen hatte. Wenige Fenster des Hauses waren beleuchtet. Die Vorhänge waren vorgezogen, sodass nur schmalste Streifen von schwachem Licht wie schmale Kerzen leuchteten. Auf der Rückseite der Stallungen war es stockfinster. Sie konnte sich nur Schritt für Schritt vortasten, indem sie die Hände vor sich gestreckt hielt.
Claire stieß in etwas Weiches. Sie versuchte mit den Händen danach zu greifen, aber es war fort.
"Ah, da ist sie ja, die junge Dame", sagte jemand in nächster Nähe. "Ich habe auf dich gewartet."
Es war der Mann, der sie schon einmal auf dem Oppenschen Anwesen aufgegriffen hatte. Sie erkannte seine Stimme. Wenigstens hatte Jason daran gedacht, jemanden zu schicken.
"Wo ist Jason? Ich möchte zu ihm."
"Das sollst du, junge Dame. Das sollst du."
Der Mann nahm behutsam ihre Hand. "Es geht nicht anders", entschuldigte er sich, "du wirst sonst gegen eine Balken laufen. Was würde Jason sagen, wenn ich dich mit einem blauen Auge abliefere."
Sie folgte ihm vorsichtig in die Stallungen. Dort blieben sie stehen.
"Kannst du reiten?" fragte der Mann.
"Nein", sagte Claire ehrlich. "Ich habe noch nie auf einem Pferd gesessen."
"Macht nichts. Ist nicht schwer!"
Er schob sie behutsam zur Seite und öffnet ein Gatter.
"Dieses Pferd ist sehr zahm, junge Dame. Ich werde dir helfen aufzusitzen. Dann wird es dich Pferdeschritt für Pferdeschritt dorthin bringen, wo Jason bereits wartet."
"Zum Strand?" fragte Claire.
Der Mann antwortete nicht, weil er mit dem Pferd beschäftigt war.
Ohne viele Umstände hob der Mann Claire auf das Tier. Dann gab er ihm einen Klaps und es trottete los.
"Wohin geht es?" rief Claire.
"Es weiß, wo es hingehen soll. Halt dich nur fest. Ja, so ist richtig."
Das Pferd ging langsam. Es schien seine Richtung zu kennen, obwohl es wieder stockdunkel war.
'Wenn es zum Strand will', dachte Claire, 'müsste es eigentlich anders gehen.'
Aber es half nichts. Sie saß oben fest und wusste nicht, wie sie das Pferd steuern konnte.
Bald hörte sie leise Rufe. Das Pferd trottete weiter. Die Rufe wurden lauter. Sie konnte hören, dass es Jason war, der rief.
Schließlich blieb das Pferd stehen. Jason hatte einen Zügel genommen. Claire sah ihn fragend an.
"Er hat mich hochgehoben", sagte sie.
"Dann hebe ich dich runter. So, jetzt lass dich fallen."
Er gab dem Pferd einen Klaps.
"Wo sind wir?" fragte Claire.
"Gleich vor der Kapelle, wo ich heute morgen verheiratet wurde."
Er nahm Claire bei der Hand. Gemeinsam betraten sie den Innenraum. Wie draußen war es auch hier sehr dunkel. Es roch ein wenig modrig.
"Wir dürfen kein Licht anmachen, sonst werden wir von drüben gesehen", sagte Jason. "Ich erkläre dir, wie es hier aussieht. Hier stehen sechs Stühle. Vorne ist ein kleines Lesepult. Dahinter steht die Marmorfigur, die meinen Vater darstellt. Mehr gibt es nicht zu sehen."
Sie setzten sich auf zwei Stühlen und hielten sich weiter an den Händen gefasst.
Es war so still, dass Claire meinte, ihr Herz klopfen zu hören und das von Jason.
"Es ist schön hier", sagte Jason leise. "Ich wusste nicht, wie schön es hier ist."
Claire drückte seine Hand ein wenig fester.
Draußen hörten sie rollenden Donner. Kurz beleuchtete ein Blitz den Innenraum. Sie hörten, dass leichter Regen auf das niedrige Dach fiel.
"Sie sind alle da", sagte Jason. "Alle Götter und Helden stehen am Himmel. Dicht an dicht. Deshalb ist die Nacht so schwarz."
"Sie können uns nichts anhaben", flüsterte Claire.
Jason ließ ihre Hand los. Etwas raschelte. Dann fühlte sie das Jason ihr einen Stoff auf die Knie gelegt hatte.
"Ich habe ein Kleid für dich, Claire."
"Ich kann es nicht sehen, Jason."
"Es ist weiß, ganz weiß, die schmalen Borde sind wie deine Augen blau. Die Knöpfe sind aus poliertem Silber. Willst du es anziehen?"
Claire stand auf. Sie zog ihre Sachen aus und streifte das Kleid über den Kopf. Sie fühlte, wie schön dieser Stoff war. Die Größe passte ihr erstaunlich gut. Jetzt bedauerte sie, dass e so dunkel war.
"Bist du fertig?"
"Es passt wirklich, Jason. Es ist ein sehr schönes Kleid."
Er nahm wieder ihre Hand.
"Komm wir gehen nach vorne", sagte er.
Vorne nahm er ihre beiden Hände. So standen sie schweigend voreinander.
"Ich habe einen Ring für dich, Claire."
"Einen Ring?"
"Es ist ein Ring, den du niemals am Finger tragen darfst, hörst du?"
"Einen Ring, den ich nicht tragen darf?"
"Der Ring hängt an einer Kette. Diese sollst du um den Hals tragen. Aber niemals darfst du den Ring an deinem Finger tragen."
Claire fühlte den Ring und die Kette.
"Was für ein Ring ist das, Jason?"
"Es ist mein Ehering - deshalb darfst du ihn nicht am Finger tragen."
"Jason! Dein Ehering!"
Jason streifte ihr die Kette über den Kopf.
"Dieser Ring, Claire, ist ein Versprechen, von dem nur wir zwei etwas wissen. Hüte sein Geheimnis wie dein Leben."
Claire nahm seine Hand in ihre und legte sie auf den Ring.
"Sind wir jetzt heimlich ... verheiratet?"
"Noch nicht. Wir müssen uns etwas versprechen. Einmal, nur einmal werden wir für dieses Versprechen unseren richtigen Namen nennen."
Claire drückte seine Hand als Zeichen ihres Einverständnisses.
"Ich verspreche dir, Melanie, dass ich dir für immer treu sein werde", sagte Jason feierlich.
"Ich werde dir treu sein, Ilo, für immer", versprach Claire, leiser, aber ebenso feierlich.
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Kapitel 51
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[Zaras Hofstaat im Computerspiel]
"Sie ist ein schönes Mädchen. Tut sie dir nicht leid?" Der Menschenkoch saß im einzigen Sessel, während Zara unruhig im Raum umherlief. Er schlief halb. So waren seine Gedanken mehr zu sich als zu Zara gesprochen.
Den kleinen Beistelltisch hatten sie in die Mitte des Raumes gestellt. Darauf lag ein bläulich schimmerndes, sehr dünnes Messer. Immer wieder ging Zara daran vorbei, betrachtete es, streckte die Hände danach aus und fasste es doch nicht an.
"Ich denke, Zara", sagte der Menschenkoch, "die Zeit ist gekommen." Er nahm seine Brille vom Knie. Ein Glas war zersprungen. Dennoch hatte sie ihm bei den Untoten gute Dienste erwiesen. Sie hatte ihn aus der Schar der Tumben und der gründlich Gestörten herausgehoben.
Zara stand vor dem Messer. Tief atmend betrachtete sie es. War wie im Zustand einer Schlafgeherin.
"Roa wartet draußen auf uns im Auto. Er wird sich wundern, was geschehen ist."
Zara stand unbeweglich, in ihre Traumgesichter starrend.
Sie war eine schöne Frau. Ob sie auch bei den Lebenden als schön angesehen wurde, konnte er nicht ermessen. Wozu überhaupt wollte sie dieses Haar? Er vermutete, dass es heimliche Nachwünsche waren, die sie aus der Welt der Scheinlebenden begleitet hatten. Zara sehnte sich einen Platz herbei, den sie niemals zurückerhalten würde. Eine Untote sollte sich abfinden. Tat sie das nicht, beschwor sie Unheil herauf. Aber der Menschenkoch war zu müde. Über Zara nachzudenken, strengte ihn an. Sie war eine Person, die Kraft kostete, die er sich lieber bewahren wollte.
"Zara, nimm das Messer. Wir schreiten zur Tat." Langsam schob er sich aus dem Sessel. Wenn er weiter sitzen blieb, würde er erst am Morgen wieder erwachen. Seine Tage bei den Scheinlebenden hatte seinen Schlafrythmus empfindlich gestört.
"Soll ich das Messer nehmen?" fragte er. Langsam streckte Zara ihre Hand aus, fasste es vorsichtig und schloss dann ihre Faust fest um den ledrigen Griff.
Der Menschkoch entkorkte eine kleine Flasche, verschloss sie mit einem groben Tuch und schüttelte sie. Dann nahm er ein zweites Tuch, schüttelte und reichte es Zara. 'Ich bin so müde, weil ich selbst daran gerochen habe', sagte er zu sich. 'Wenn wir diesen Raum nicht bald verlassen, werden wir beide schlafen, Zara und ich.'
Er schüttelte sich wach. Korkte das Fläschchen zu und steckte es in seine Hosentasche.
Sie standen beide an der Tür und lauschten. Sie hörten kein Geräusch als das leise Atmen von Schlafenden. Selbst für einen Untoten hatte der Menschenkoch ein scharfes Gehör.
Er nickte und drückte langsam die Klinke der Tür hinunter. Er sah Zara an, ob sie immer noch in ihrem Zustand entrückt war. Es schien ihm so. Nun war es zu spät auf sie einzureden. Zurückholen würde er sie nicht, ohne die Schlafenden zu wecken.
Er schlich sich zur Seite des jungen Mannes. Zara zum blonden Mädchen. Er sah Zara an, hob sein Tuch. Zara blickte zurück und hob auch ihr Tuch. Dann warfen sie sich zur gleichen Zeit auf die beiden Schlafenden. Das Mädchen wehrte sich, kämpfte mit Zara, dann lag sie still.
Der Menschenkoch schob die Brille hoch. Er hatte - das war ihm durch ein Brillenglas nun sichtbar - ein Kissen mit seinem Schlafäther getränkt.
"Hier ist niemand. Ich sehe den jungen Mann nicht, Zara!" rief der Menschenkoch.
Er hörte, wie sie losschrie. Entsetzt - durch ein halb beschlagenes Brillenglas schauend - sah er, wie sie das Messer über den Kopf erhob. Mit einem schrecklichen Schrei, mit voller Kraft und Entschlossenheit stieß sie das Messer in den Körper des Mädchens. Dort ließ sie es stecken. Betrachtete, wie es bis zum Schaft im weißen Nachthemd des Mädchen steckte. Wie sich ein Blutkranz ausbreitete. Betrachtete ihre Tat und lächelte.
"Einmal hast du dich unsichtbar gemacht, Blusteva." - Zara zog langsam das Messer aus dem Körper - "Ein zweites Mal habe ich dir dies nicht gestattet, meine Gute. Du warst zu langsam, meine Teure. Hast deinem Ilo geholfen, sich unsichtbar zu machen? Wie anders kann es sein, dass er unsichtbar ist? Und du, die im Verschwinden Geübte, warst nicht zeitig fort!" Sorgfältig wischte sie das Messer mehrmals am Nachthemd der Toten ab. Betrachtete es prüfend, bis es vom Blut vollständig gereinigt war.
"Was hast du getan? Warum?" Der Menschenkoch kniete auf seiner Bettseite. Immer noch schob er an seiner Brille. Konnte nicht damit aufhören, als sei das Gesehene seiner schlechten Sicht geschuldet.
"Sie hat Ilo unsichtbar gemacht! Siehst du es nicht?"
Der Menschenkoch nickte unverstehend.
Zara strahlte über ihr Gesicht. "Sie war zu spät. Ich bin ihrer Unsichtbarkeit zuvorgekommen. Siehst du? Da liegt sie, ist sichtbar und wird bleiben, solange ich es will."
"Zara, lass uns verschwinden! Ganz schnell und leise verschwinden. Roa wartet und schon sind wir weg!"
"Mein guter Menschenkoch, vergisst du ein neues Mal dein altes Versprechen?" Zara hielt das volle Haar von Blue in der Hand und betrachtete es glücklich.
"Dann schneide es ab, um Teufels Willen." Der Menschenkoch fasste sich an die Stirn.
"Das werde ich, mein Guter. Das war meine Absicht. Bin auf dem Wege", so Zara gut gelaunt.
Sorgfältig schnitt sie das Haar ab, indem sie das Messer wie ein Rasiermesser benutzte. Sie reichte jede Haarsträhne dem Menschenkoch an, die sie verknotete und in einem kleinen Tuchbeutel unterbrachte.
Der Menschenkoch sah ihr nachdenklich zu. Er hatte nicht glauben wollen, dass sie das Haar von Blue als ihr eigenes ansah. Es wusste schon nicht mehr, was er damals, als er ihr das Mädchen anbot, gesagt hatte. Er sagte nicht weniges aus einer Laune heraus oder weil sich die Worte von selbst fügten.
"Ich behalte das Messer." Zara wickelte es in eins der Äthertücher ein. "Du bekommst es zurück, sobald du mir das Haar gewirkt hast, dass ich es tragen kann."
Der Menschenkoch nickte. Sie traute ihm nicht. Also würde er tun, was sie verlangte, und alsdann schnellstens schleunigst das Weite suchen.
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Kapitel 52
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Wieviel Zeit verstrichen war, hätte Zara nicht sagen können. Roa bürstete ihr blondes Haar. Es war wie ihr eigenes geworden. Der Menschenkoch hatte wunderbare Arbeit geleistet. Sie hatte sich nicht richtig bei ihm bedanken können. Mit einem Mal waren sie alle fort. Alle, die zu Besuch waren, Leonyd und die Hofdamen - als hätte es sie nicht gegeben. Nur Roa war bei ihr geblieben und bürstete so hingebungsvoll ihr Haar. Wäre Roa nicht gewesen, hätte sie nicht gewusst, ob nicht alles nur in ihrer Einbildung geschehen war.
"Stehen sie immer noch draußen?" fragte Zara ihn.
"Ich höre sie deutlich. Es sind mehr geworden, würde ich schätzen."
"Ich werde mich wieder am Fenster zeigen, Roa. Warte hier auf mich. Ich will, dass du mir noch ein wenig durch das Haar bürstest."
Zara stand auf. Dabei betrachtete sie das Haar, das ihr über die Schulter floss, mit Bewunderung.
Roa zupfte ihr ein paar Haare vom Kleid. Er hatte seine Zara fast nicht erkannt, als sie kürzlich vor ihm stand. Dieses Kleid in hellem Blau. Die Manschetten, unter denen ihre Hände verschwanden, in dunklerem Blau abgesetzt. Die blonden Haare hatten sie völlig verändert. Mit Schrecken hatte er gemeint, Blue vor sich zu sehen. So ähnlich war Zara ihr geworden.
Als Zara sich am Fenster aufgestellt hatte, schob Roa langsam die Vorhänge zur Seite. Sofort blitzten die Lichter der Pressefotografen auf. Roa schaltete die Seitenlichter ein, damit ihre Gestalt besser zur Kontur kam. Wieder Blitzlichter, die seine Idee belohnten.
"Soll ich zu ihnen sprechen?" fragte Zara ihn.
Roa wusste es nicht. "Sie sind weit entfernt. Du müsstest ihnen alles zurufen. Das wäre ungünstig."
Sie sahen, dass Malber sich durch die Reihe der Fotografen drängte. Dicht hinter ihm folgte ein junger Mann, der eine Aktentasche vor seine Brust hielt.
"Mach ihm auf, Roa. Wir werden sehen, was er uns zu sagen hat."
Schnellen Schrittes trat Malber ins Zimmer. Knapp begrüßte er Zara. Beachtete Roa nicht. "Ich darf ihnen Herrn Jamming vorstellen. Er wird sie in dieser Angelegenheit vertreten."
Zara betrachtete den jungen Mann hoheitsvoll. "Ich wusste nicht, dass ein schöne Frau eine Vertretung braucht."
"Es kann jedenfalls nicht schaden", antwortete der junge Mann freundlich. "Auch die Interessen einer schönen Frau bedürfen des Beistandes."
"Was sagst du, Roa? Darf ich diesem jungen Mann zutrauen, mein Agent zu sein?"
Malber und Jamming blickten sich erstaunt an.
"Er scheint mir sehr jung", antwortete Roa zögernd.
Malber schaltete sich ein: "Herr Jamming wird von ihrem Bruder bezahlt. Er ist weder billig noch unerfahren. Er war die erste Wahl ihres Bruder und sofort bereit mitzukommen. Ich darf feststellen, dass die Situation dringender Unterstützung bedarf."
Zara sah nach draußen. "Ich hätte nicht gedacht, dass der Ruf meiner Schönheit sich so schnell verbreiten würde. Was ist geschehen, dass die Menschen so begierig sind, mich zu treffen? Wer hat ihnen die Nachricht hinterbracht?"
"Das geht mitunter sehr schnell", sagte Jamming nach einem verstehenden Blickaustausch mit Malber.
"Ich werde einige Worte an sie richten müssen", sagte Zara. "Es ist wichtig, dass eine schöne Frau auch ihre Klugheit zeigt."
Jamming schüttelte den Kopf. "Es ist besser, sie sagen nichts. Nicht empfehlenswert, eine Äußerung zur Sache abzugeben."
"Roa, hast du gehört? Er, mein neuer Agent, nennt meine Haare eine 'Sache'!" Zara schauspielerte ihre Empörung.
"Gut", sagte Zara, "besprechen wir, was sie ihnen sagen werden."
Der junge Mann sah sie schweigend an, als sei er nicht recht und völlig einverstanden.
"Sie meinen, wir werden ihnen nichts mitteilen?"
Jamming schüttelte den Kopf. "Ich würde abraten."
Malber warf ein: "Es sind Fotografen. Wenn sie sich, Fürstin Zara, ihnen zeigen, wird ihnen das völlig genügen."
Jamming nickte erleichtert. "Später können wir dann alles besprechen, wenn die Wortpresse ihre Fragen stellt."
"Gut", sagte Zara und setzte sich wieder in ihren Stuhl. "Roa wird mein Haar noch ein wenig bürsten, damit niemand sage, dass sein Ruf den Anblick übertreffe." Roa trat heran, teilte das Haar, um es auf der Hand auszubürsten.
Zara winkte die beiden Männer heran. "Derweil können wir besprechen, wie das weitere Vorgehen sein soll."
Die beiden Männer sahen sich noch einmal an.
"Die Polizei wird gleich diesen Raum betreten. Es geschieht zu ihrem Schutz. Es wird alles zu ihrem Besten getan."
Malber ergänzte: "Sie dürfen sich zeigen. Das sollen sie sogar." Er dachte: 'Es ließe sich auch nicht vermeiden.'
Zara hatte die Augen geschlossen wie eine Katze, die sich streicheln ließ. "Das ist mir einzig das Wichtige: Ich werde meine Schönheit ihnen zeigen können. Was sollen mir Worte?"
"Hier können sie natürlich nicht bleiben. Ausgeschlossen. Sie müssen geschützt werden", so Malber, der ungesagt dachte: 'Geschützt vor sich selbst.'
"Nun, wenn das die Schönheit mit sich bringt, will ich es gern über mich ergehen lassen."
"Der Raum wird ihnen nicht in allem zusagen", schaltete sich Jamming ein. "Er ist ein wenig eng - ganz anders gestaltet als hier - aber er ist unleugbar sicher."
"Ich werde mich bescheiden. Ich will leben wie eine Priesterin meiner Schönheit."
"Dann lasse ich die Herren Polizisten jetzt eintreten", sagte Jamming.
Zara winkte lässig ihre Zustimmung.
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Kapitel 53
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[Zaras Hofstaat im Computerspiel]
Der Herold Leonyd band Zwerg Herzbar los, der erwacht war und in seinen Bart schmatzte. Er reichte ihm den Helm so groß wie ein Suppenkessel. Die Laschen des Brustpanzers mussten angezogen werden. Die Schuhriemen für die Reise verknotet werden. Leonyd hielt den Atem an, während sich an Herzbar zu schaffen machte.
Die anderen Mitglieder der Reisegruppe standen fertig angezogen und aufgegurtet bereit.
"Ich bin hungrig", sagte Zwerg Herzbar.
"Wir haben Proviant dabei", sagte der Menschenkoch. "Wir werden auf dem Weg essen."
Der Zwerg stampfte mit dem Fuß auf.
"Es ist eine günstige Stunde. Im Shooterspiel ist es ruhig. Du erinnerst dich, Herzbar, dass sie dir dort den Helm zerschossen haben?"
Herzbar grummte unwillig.
Der Menschenkoch stieß das Tor beiseite, dann waren sie auf dem Weg, ohne sich umzublicken.
Leonyd probierte das Tor. Dann machte er eine wegwerfende Handbewegung und wandte sich ab.
"Es ist alles zu Ende jetzt", sagte er traurig zu sich.
Als sich Leonyd mit hängendem Kopf näherte, gingen die Hofdamen zu Seite. Der Knappe Paul unterbrach seine Schilderung von Blues Beerdigung. Alle waren still, warteten, dass Leonyd etwas sagen würde. Aber Leonyd blieb stumm. Er starrte ins Leere. Vor ihnen auf den Kacheln hatte er eine Stelle entdeckt, an der er seinen Blick festband.
Die Hofdamen hatten sich an den Händen genommenn und schwiegen im einigen Kreis.
Nur Paul wirkte unzufrieden. Er nestelte unruhig an den Knöpfen seiner Uniform und überlegte.
"Wir müssen das Tor reparieren", sagte er, um Leonyd auf andere Gedanken zu bringen.
"Lohnt nicht", so Leonyd nur knapp.
"Zwerg Herzbar ist fort und werden nicht wiederkommen."
"Lohnt nicht, weil ich aussteigen werde."
Paul sah ihn entsetzt an. Nur langsam stieg die Erkenntnis in die Gesichter der Hofdamen, dass alles vorbei war.
"Seid Blue nicht mehr ist ... ich kann einfach nicht so weitermachen."
"Was willst du tun?" fragte Paul leise.
"Ich werde mir etwas anderes suchen. Vielleicht etwas ganz anders, das nichts mit Bildern zu tun hat - Datenbanken, Netzwerke ... im Augenblick habe ich überhaupt zu nichts Lust."
"Das verstehe ich, Leonyd. Wir alle sind traurig."
Auch die Hofdamen verstanden, dass Leonyd um seine Blue trauerte.
"Es ist meine Schuld", sagte Leonyd betrübt. "Alles ist meine Schuld."
"Leonyd, das stimmt nicht!" protestierte Paul. "Niemand hat Schuld."
"Zara hat so oft davon gesprochen. Ich habe nicht ernst genommen, was sie gesagt hat. Ich hätte wissen müssen ..."
"Zara hat Blue erstochen, weil sie gedacht hat, Blue würde sich vor ihr unsichtbar machen. Das hat mir mein Vater erzählt."
"Es ist meine Schuld. Ich habe Blue zuerst unsichtbar gemacht. Ich habe Zara erst auf die Idee gebracht."
"Mein Vater sagt, Zara sei völlig verrückt. Sie ist eine Mörderin und weiß es nicht. Sie glaubt, dass sie berühmt ist wegen ihrer Schönheit. Sie glaubt, die Polizisten seien gekommen, um sie vor der Presse zu schützen."
"Zara ist eine Untote. Ich hätte wissen müssen, dass sie nicht wie wir Menschen denkt. Es ist alles anders dort."
"Du konntest nicht wissen, dass sie Blue ersticht. Wie hättest du so etwas voraussehen können?"
"Für eine Untote ist das Töten nicht von Bedeutung."
Die Hofdamen sahen sich an. Hatte niemand eine Idee von ihnen?
Paul überlegte. Die ganze Zeit hatte er über etwas nachgedacht. Schon auf der Beerdigung hatte er darüber nachgedacht.
"Es bleibt dabei: Zara ist eine Fürstin bei den Untoten. Ich habe die Gefahr für Blue nicht erkannt." Leonyd sank auf einem Schemel zusammen und hielt sich die Hände vor die Augen. Zwei der Hofdamen weinten mit ihm.
"Wenn sie eine Fürstin bei den Untoten ist ...", begann Paul.
Niemand sah auf. Jetzt weinten drei der Hofdamen. Eine von ihnen schluchzte laut.
"... wenn Blue von einer Untoten getötet wurde - ist sie dann 'tot'?"
Niemand beachtete ihn. Alle waren in ihre Traurigkeit vertieft.
"... oder ist sie 'untot'?"
Leonyd nahm die Hände vom Gesicht. "Du meinst ...?"
Paul nickte entschieden. "Als der Pfarrer auf der Beerdigung seine Erde auf den Sarg geworfen hat, da hat es ganz hohl geklungen, als sei niemand im Sarg."
Leonyd nickte nachdenklich. "Eigentlich ... da sie von einer Untoten getötet wurde, ist sie selbst eine Untote geworden. Du hast recht, Paul."
"Dann war sie nicht in dem Sarg?"
"Nein. Bestimmt nicht. Blue ist bereits in Nzumba, im Land der Untoten." Leonyd hieb dem armen Paul auf die Schulter.
Eine der Hofdamen schluchzte immer noch. Die anderen stießen sie an.
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Kapitel 54
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"Melanie, vielleicht wirst du später eine Rechtsanwältin wie deine Mutter", sagte Petra zu ihrer Tochter. Sie hatten zwei Plätze vorne im Zuschauerraum bekommen. Der Raum war bis auf den letzten Platz gefüllt. Petra hatte ihre Beziehungen bemühen müssen, um diesen Platz zu ergattern. In der Nebenklage war sie nicht zugelassen worden, da Blue nicht mit ihr verwandt war. Überhaupt hatte sich ein Nachweis von Blues Herkunft bisher nicht erbringen lassen.
"Gleich kommt der interessante Teil. Der Staatsanwalt wird Zara befragen."
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Sie saß vorne in ihrem Stuhl wie die Fürstin, die sie einmal gewesen war. Sie hatte auf Zuraten ihrer Agenten Jamming und Malber ein schlichtes graues Kleid angezogen. Sie sah ein, dass ihre Schönheit eines persönlichen Schutzes bedurfte. So sollte es sein. Eigentlich war sie zufrieden mit sich. Es fiel ihr nicht schwer, allein zu sein. Aber das Haar bedurfte der Pflege. So war die Friseuse den ganzen Morgen bei ihr gewesen.
Von ihrem Sitz aus betrachtete sie die Reihen der Zuschauer. Sie wollte sehen, ob es eine Frau wagte, ihr Haar offen im Schönheitsvergleich zu tragen. Wiederholt suchte sie die Reihen ab, aber sie sah keine Frau, die ihr Haar zur Schau stellte. Wenig verstand sie, was gesprochen wurde. Es war ihr darum nicht wichtig, jedem Wort zu folgen. Niemand bezweifelte, dass sie die alleinige Besitzerin des Haares war. Von Blue war nicht mehr die Rede. Für die Lebenden war sie tot. Nur sie, Zara die Fürstin, wusste, dass sie sich um Blue noch würde kümmern müssen, in einer anderen Welt als dieser.
Mit energischen Schritten trat ein junger Mann vor sie hin. Er hatte volles, gelocktes blondes Haar. Er pflegte es und war stolz darauf, dessen war sich Zara sicher.
"Ich vertrete die Anklage und möchte ihnen, Zara Bakas, einige Fragen stellen."
Zara nickte gnädig. Wenn sie es recht verstand, waren alle, die Zuschauer und sie, dafür gekommen. Was fragte er also?
"Zu der Person des Opfers, Frau Blusteva Oppen, ist uns weng Erhellendes mitgeteilt worden. Uns wurde inoffiziell mitgeteilt, dass sie die Mutter seien."
Ein Raunen ging durch die Zuschauerreihen. Eine Mutter als Mörderin ihrer Tochter - das verlieh der Tat einen völlig neuen Schrecken.
"Ich habe sie als junges Ding gekauft. Ich war ihre Besitzerin. Nennen sie mich 'Mutter' oder 'Eigentümerin' - was immer sie wollen."
Der junge Mann starrte sie ungläubig an. Dann fasste er sich. Er fuhr sich durchs Haar und blickte kurz in die Reihen der Zuschauer.
"Sie haben sie also als Waise adoptiert, verstehe ich das richtig."
"Junger Mann, sie hören mir nicht richtig zu: Ich habe sie nicht 'adoptiert' - das klingt so, als hätte ich sie entwendet - ich habe sie ehrlich entgeltlich erworben."
"Bitte, ich bin Staatsanwalt Daunerburg, nennen sie mich bitte nicht 'junger Mann'."
"Ich bin Fürstin Zara", entgegnet sie freundlich. "Herr Staatsanwalt, ich freue mich, ihre Bekanntschaft zu machen."
Etwas schüttelte den Körper des jungen Staatsanwaltes. "Fahren wir also fort. Sie wissen nicht, woher Blusteva Oppen stammt."
Auch Zara fuhr sich durchs Haar und blickte in die Reihen der Zuschauer. "Der Verkäufer wusste es nicht, weil er eine Art ... Zwischenhändler ist. Ich selbst habe nicht gefragt, weil ich ihm vertraute."
Der Staatsanwalt fuhr sich durch sein Haar.
"Sie behaupten, dass Messer dabei gehabt zu haben, um das Haar von Blusteva Oppen abzuschneiden."
Zara nickte.
"Ich deute das als 'Ja' ", sagte der Staatsanwalt. "Sie haben Frau Blusteva Oppen betäubt, ist das richtig?"
Zara nickte. Ihr war langweilig. Sie wäre aufgestanden und gegangen, wenn sie nicht hätte fürchten müssen, dass die Zuschauer nach ihrem Haar fassen würden.
"Frau Blusteva Oppen war betäubt - das haben unsere Untersuchungen ergeben. Wieso haben sie mit dem Messer auf sie eingestochen? Erklären sie mir das bitte?"
"Ich befürchtete, dass sie sich unsichtbar machen würde."
Ein Raunen ging durch die Reihen der Zuschauer. Zara war froh, dass wenigstens die Zuschauer die Heimtücke von Blue ermessen konnten.
"Unsichtbar? Haben sie 'unsichtbar' gesagt?"
Zara sah müde zur Decke.
"Wie kamen sie darauf, dass Blusteva Oppen sich ... 'unsichtbar' machen würde?"
"Ihren Mann Ilo Oppen hatte sie bereits unsichtbar gemacht. Einen Moment später und ich hätte ins Leere gegriffen."
"Sie haben die junge Frau erstochen, weil sie fürchteten, dass sie sich unsichtbar machen würde? Verstehe ich das richtig?"
"Sie hätten nicht anders gehandelt, Herr Staatsanwalt. Woher übrigens stammt ihr blondes Haar? So schönes Haar wächst selten auf dem eigenen Kopf."
Gelächter und Prusten bei den Zuschauer. Zara winkte fürstlich in die Reihen.
"Es geht hier wirklich um die sehr ernste Frage, ob sie eine Tötungsabsicht hatten oder nicht."
"Ich habe nicht 'getötet', wie sie sagen."
"Wie bitte!? Ein Messerstich in die Brust hat Frau Blusteva Oppen vom Leben in den Tod befödert." Der Staatsanwalt wunderte sich über sich selbst. 'Kitschworte. Die Frau bringt mich dazu, Kitschworte zu gebrauchen."
"Sie ist nicht 'tot', wie sie sagen. Sie irren sich!"
Unruhe bei den Zuschauern. Der Richter klopfte. Der Staatsanwalt lockerte sein Haar.
"Ich kann eine Untote - und das war Blue - nicht töten. Das ist mir nicht und ist niemandem möglich."
Der Staatsanwalt starrte sie an. "Ich habe keine weiteren Fragen", sagte er matt.
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Kapitel 55
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Es war ein herrlicher Tag, der einen frühen und klaren Herbst versprach. Bakas stand im Gefängnistor. Schüttelte dort seinen beiden 'Leibwächtern' ausgiebig die Hand. Sagte einige Worte zu ihnen, die sie mit stummem Nicken und voller Ernst entgegennahmen. Dann drehte er sich um, sah blinzelnd auf die Straße und streckte sich. Er sah Melanie, die aus dem Büro zu ihm herunter sah. Er machte eine Telefonzeichen. Auch Melanie tat so, als spreche sie in ihre Hand.
Malber kam ihm von der anderen Straßenseite entgegen.
Bakas umarmte ihn, begutachtete seine Erscheinung und stellte fest: "Siehst gut aus, Malber."
"Haben sie dich endlich rausgelassen, Bakas." Malber freute sich ehrlich. Die letzten Tage waren auf ihre Weise bedrückend gewesen. Nicht anders als für Bakas war dieser Tag heute für Malber ein neuer Anfang.
"Keine Zeugin für Gericht. Keine Anklage für Bakas." Er kniff Malber ein Auge.
Malber wollte sich lieber nicht vorstellen, wie Bakas sein Gerichtsproblem geregelt hatte.
"Hey, Leute, mal 'n bisschen Geld für uns." Ein Betrunkener hatte sie von seiner Sitzbank erhoben und stand unsicher vor ihnen. Sein Gefährte kauerte leblos auf der Bank. "Bisschen Geld für 'n Früstück?"
Bakas holte einen Geldschein aus der Tasche. "Für dich und deinen Kumpel. Ist mein letztes Geld."
Der Betrunkene nahm den Schein ungläubig entgegen. "Kann ich nich' drauf rausgegeben."
"Versauf den Rest."
"Geht in Ordnung", versprach der Mann und schwankte davon.
Bakas sah in die Sonne. "Bakas ist bleich im Gesicht. Meinst du nicht, Malber?"
Malber schwieg. Er wusste, dass Schweigen die wirksamte Methode war, um das Gespräch auf gewisse unerledigte Angelegenheiten zwischen ihnen zu bringen. Bakas dachte immer an Geld. Es war nicht schwer, ihn dorthin zu lenken.
"Das war letztes Geld, ehrlich!", sagte Bakas und fasste sich in die Taschen.
Malber konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. Er hatte auf eine ordentliche Bezahlung gehofft. Schließlich war zumindest der Scheck von Frau Oppen ausständig. Wenn er nicht bald Geld bekam, musste er sich bei Petra borgen. Das war ihm mehr als unlieb.
"Schau nicht traurig, Malber. Bakas hat nicht vergessen gute Freunde."
Sie setzten sich vorsichtig auf die Bank, die gerade von den beiden Betrunkenen verlassen worden war.
"Bakas hat Geld von Frau Oppen investiert, wie man sagt. Er hat sehr günstig" - Bakas sah sich um - "sehr schönes Auto für Malber gekauft."
"Ein Auto?" fragte Malber verdutzt. "Warum? Ich fahre das Auto meiner Frau!"
Bakas beugte sich vor. "Malber soll Auto verkaufen. Geld nehmen und mit Bakas teilen. Das ist, was Bakas gedacht hat."
"Hmm. Und wo ist das Auto? Kann ich es sehen?"
Bakas streichelte nachdenklich die Lehne der Sitzbank. "Auto ist nicht hier. Aber wenn Malber über Grenze fährt nach Dänemark, kann er Auto sehen."
"Dänemark? Warum steht das Auto in Dänemark?"
"Auto ist sehr schön und sehr teuer, Malber."
"Aber warum Dänemark?"
"Auto hat Probefahrt gemacht. Sagt man so?"
Malber wollte lieber nichts von Bakas' Zeugenprogrammen und Probefahrten wissen.
"Malber fährt Auto über Schweden, nach Finnland, nach Russland, hinein in schönes Belorussia."
"Das ist ein gewaltiger Umweg", stellte Malber fest.
"Guter Freund sagt, Auto muss eingefahren werden."
"Und dann ... Was geschieht dann?"
"Guter anderer Freund in Weißrussland wird Auto kaufen. Malber nimmt Geld und -"
Sie sahen einen Mann die Straße herunterkommen, der ihnen mit einer Aktentasche zuwinkte.
"Fauerbach", sagte Malber leise. "Dr. Fauerbach."
"Ich kenne ihn." Bakas winkte.
Dr. Jörg Fauerbach hatte einen roten Kopf. Er wischte sich die Stirn. Dann schüttelte er Malber die Hand. Die Anwesenheit von Bakas schien er nicht zu bemerken.
"Das Klassentreffen ...", sagte er, "Wir machen das Klassentreffen, müssen noch eine paar Termine abklären. Wir haben ja alle viel um die Ohren, na ja ... nicht alle, hehe. Jedenfalls geben wir dir den Termin durch. Deine Tochter macht ja Telefondienst bei dir. Warum eigentlich nicht? Spart 'ne Menge Geld."
"Ich muss mal sehen, wie ich Zeit habe", sagte Malber.
Jörg ging auf diesen Vorbehalt nicht ein, so abwegig fand er den Gedanken, dass Malber keine Zeit haben könnte.
"Diese Zara - war das nicht deine Mandantin? Völlig verrückt, die Frau! Was haben wir gelacht in der Kantine!? Fragt die ausgerechnet den Daunerberg, ob die blonden Haare auf seinem Kopf gewachsen sind! Der Mann ist sowas von speziell mit seinen Haaren!"
"Sie war nicht direkt meine Mandantin - eher mittelbar ..."
Jörg Fauerbach schenkte ihm keine Beachtung.
Ein Auto bremste scharf neben ihnen. An dem silbergrünen Porsche ging das Fenster herunter. Ein junger Mann lehnte sich nach draußen. "Jörki", rief er - beachtete weder Bakas noch Malber, "heute mit der Bahn gekommen? Stress zu Hause? Das Auto in der Inspektion? Geklaut etwa!?" Das Fenster schloss sich wieder. Der Porsche startete durch.
"Jetzt wissen es alle! Wenn der Wendarb es weiß, dann wissen es alle."
Malber sah ihn fragend an.
"Mein Auto ist tatsächlich gestohlen worden! Der neue Wagen, stell dir vor! Ich hatte eine Polizeiplakette draufkleben. Einfach geklaut. Polizeiwagen oder was - ist denen egal. Wo sind wir eigentlich angekommen in diesem Land?"
"Ist doch versichert." Malber kannte Leute wie Jörg Fauerbach. Er würde sich schnell ein größeres kaufen.
"Na ja", sagte Jörg und wurde tatsächlich ein wenig rot. "Es gehört meiner Mutter. Sie hatte es nicht versichert, weil sie es eigentlich nicht oft fahren wollte. Pech das!"
Ärgerlich, ohne ein weiteres Wort zu sagen, wandte er sich ab und schritt Richtung Gefängnistor.
Bakas sah ihm sinnend nach.
"Das Auto steht in Dänemark?" fragte Malber.
Bakas blickte zum strahlend blauen Himmel.
"Eine kleine Reise, Malber, die du hast verdient."
ENDE
Tag der Veröffentlichung: 01.09.2011
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