Lausig konnte sich nicht länger halten. Mit einem schmatzenden Geräusch lösten sich seine Hände von der frisch gefetteten Ankerkette. Den porösen Rettungsring, den Treiber ihm generös zuwarf, ignorierte er.
Auch dem Dutzend Haifischflossen, das ihn neugierig umkreiste, schenkte Lausig keine Beachtung. Er hatte ja erst kürzlich sein Freischwimmerabzeichen erworben, das verlieh ihm Zuversicht.
Die Kreuzfahrt war bislang nicht so verlaufen, wie die beiden Kriminalisten sich das vorgestellt hatten. Bereits nach dem ersten Dinner an Bord hatten vier Passagiere wegen einer Miesmuschelvergiftung das Zeitliche gesegnet. Und letzte Nacht war der leitende Schiffskoch in seiner Kombüse ermordet aufgefunden worden. Jemand hatte ihm mit einem Zwiebelmesser den Kehlkopf aus dem Hals geschnitten. Der Pfälzer Saumagen, eine Spezialität des Chefkochs, musste deshalb von der Tageskarte gestrichen werden.
Bordarzt Dr. Tupfer nähte gerade Lausigs Quallenbisswunde am Gesäß, als er ein pfeifendes Geräusch vernahm. Es stammte von der Luft, die aus dem Loch in seiner Lunge strömte. Der Bolzen einer Armbrust hatte sich tief in seinen Rücken gebohrt. Es zischte noch einmal sanft, dann hauchte der Allgemeinmediziner sein Leben aus.
Lausig erkannte den Mann in der Kajütentür. Es war der sommersprossige Schwimmmeister des Bord-Whirlpools. Lausig spuckte sein Beißholz aus und langte unters Kopfkissen. Doch statt seine 38er förderte er lediglich eine uralte Playboy-Ausgabe zutage.
Da fiel ihm die Flasche Gewürztraminer ins Auge, die ungeöffnet auf dem Reisebügelbrett thronte. Doch ehe er den Eindringling von der umwerfenden Qualität des Rebensaftes überzeugen konnte, stolperte er über den Stopfpilz, den er sich von seinem Chef ausgeborgt hatte. Dann rammte er sich die Antenne des taiwanesischen Weltempfängers ins rechte Nasenloch.
Der Bademeister verzichtete darauf, erste Hilfe zu leisten. Er hatte nur eines im Sinn: das Traumschiff mit der schlechtesten Bordküche zwischen Gibraltar und Liechtenstein so schnell wie möglich zu verlassen.
Er sprintete an Deck und steuerte geradewegs auf das Rettungsboot zu, das er in der vergangenen Nacht heimlich mit reichlich Trockenpflaumen, einem Shell-Atlas, einer elektrischen Heizdecke und einem Fläschchen Mundwasser beladen hatte.
Jetzt kurbelte er wie wild, um das Boot zu Wasser zu lassen. Doch er hatte die Rechnung ohne den einäugigen Stewart gemacht, der in seiner Mittagspause die verwöhnten Möwen mit Zigarettenkippen fütterte und jetzt eine gute Gelegenheit sah, seine Enttäuschung über Rita, die dralle Heizerin, zu kompensieren. Rita hatte ihm nämlich in der letzten Vollmondnacht im Maschinenraum nicht nur einen Korb gegeben, sondern auch sein schneeweißes Seidenhemd ruiniert.
Während das Kreuzschiff vor den puertorikanischen Seelöwenriffs ankerte, hatte Treiber ein Vergnügen am Schnorchelsport entdeckt. Gutgelaunt glitt er durch die smaragdgrünen Fluten, um einen Schwarm rosa Seepferdchen zu observieren, als irgendetwas ihm die Schwimmflosse vom rechten Fuß riss.
Es war der Bademeister, der über Bord gegangen war. Er konnte nicht schwimmen, hatte in Chlorkunde aber immer eine Eins gehabt. Ängstlich und prustend klammert sich der Fußpilz-Profi an den rechten großen Zeh des Inspektors. Treiber ging unter.
Der Inspektor glaubte, ein Seeteufel habe ihn am Wickel, zückte sein Schweizer Kampfschwimmermesser und begann, wild um sich zu stechen. Als er sich wieder bis an die Wasseroberfläche hoch gekämpft hatte, schien es ihm, als schwimme er in einer billigen Bouillebaisse. Zerstückele Seepferdchenschweife, Lachsschnittchen, Tintenfischringe, ein Quallenskalp und ein Menschenohr dümpelten in der ruhigen See.
Vom vermeintlichen Seeteufel keine Spur, denn der befand sich längst in Sicherheit. Im warmen Bauch eines verwitweten Minkwals zählte der Bademeister seine Ohrmuscheln.
Zurück an Bord hatte der Inspektor nichts Eiligeres zu tun, als sich in seiner Kabine das Handy zu schnappen, die Nummer seines Reisebüros zu wählen und Frau Lautheuler-Schnabelberger, die ihm die Kreuzfahrt aufgeschwatzt hatte, zu fragen, ob die Seeschnitzeljagd im Reisepreis inbegriffen sei.
Lausig, der gerade die Badehose seines Chefs bügelte, kam die Qualle hoch.
Texte: Peter Hellriegel
Bildmaterialien: Peter Hellriegel
Tag der Veröffentlichung: 15.04.2012
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