Wie die Wolken wandern möcht ich

von
Friedrich Cornelius
(*2. 07. 1893 in München; † 08 . 01. 1976 in Schondorf am Ammersee). Althistoriker;
Herausgegeben von Peter Cornelius
(Titelfoto von Peter Cornelius)
Saite bin ich Herr, in Deinen Händen:
Sanft gestrichen oder herb gerissen,
Wie Dich's treibt die Melodie zu wenden.
Nicht verlang ich Dein Warum zu wissen.
Nur das Eine will ich mich gewöhnen:
Deinem Spiele immer rein zu tönen
WANDERLIED
Wie die Wolken wandern möcht ich,
Die nicht wissen, wo sie rasten,
Doch im Schauzug stolz und prächtig
Weiterwallen ohne Hasten,
Unbekümmert um das Flirren
Eitler Zwecke dieser Erde,
Die den schwanken Sinn verwirren
Und ihn füllen mit Beschwerde.
Wie die Wolken möcht ich fliegen,
Die nicht wissen wo sie weilen,–
Sicher doch nach Gottes Fügen
Ihren Segen auszuteilen.
ER IST NAH
Suchst den Schöpfer überm Sternenzelt
Arme, um dein Heil betrogne Welt?
Unerreichbar wär er droben
Deinem weinen deinem Loben!
Lausche nicht mit sehnsuchtbrünstgem Ohr
Törig ins Unendliche empor,
Statt die Hände zu ergreifen,
Die an deine Locken streifen.
BESINNUNG
Geduldger Stern, nimm mich in deine Lehre!
Mach um mein Herz den stillen Raum so weit,
Dass er den Eintritt allem Kleinen wehre:
Dem Erdenwust von Spott und Hass und Leid.
Geduldger Stern, weis meinem wilden Herzen,
Wie sich‘s vertobt um Blendwerk irrer Zeit.
Indess an jedem Abend Opferkerzen
Am Himmel brennen, Gottes Huld geweiht.
Geduldger Stern! Sanft wie dein Licht zu werden
Verlangt es mich: entrückt dem Wahn und Streit,
Bis all der wunderliche Lärm auf Erden
Sich mir zu einem bunten Märchen reiht.
DICHTERBERUF
Alle Lieder richten sich an Dich!
Wie im kleinen Menschenauge sich
Deines Frühlings ganzes Blühen spiegelt,
So entsiegelt
Echten Künstlers ahnendes Gemüt
Deine Höh in seinem kleinen Lied
Um den Menschen in der Tage Schwinden
Dich zu künden.
DIE SEHNSUCHT.
Wie an des grauen Meeres fernem Strand
Der Ausgewanderte die Arme dehnt,
Und krank sich härmt nach seiner Jugend Land,
Und Flügel an die schwachen Arme sehnt-:
So sonnig lag‘s vor seinem Blick, so nah,
Dass er der Amsel Schlag zu lauschen wähnt,
Und nun das Auge sucht: ein Nichts ist da:
Der Wellen Rätsel, ewig unerfragt,
Des Himmels See, des Grund kein Taucher sah,
Von dessen Einsamkeit der Ostwind klagt,
Der Wahrheit suchend hinterm Wolkenflor,
Bis in die blausten Tiefen sich gewagt, -
So ist der Seele weh, die Dich verlor.
RUMÄNISCHES TISCHGEBET
Du gibst dem Hungernden das Brot,
Damit gesättigt jeder Mund Dich preise;
Du gibst der Seele, die Dich sucht,
Dich selbst ins Herz als ewge Lebensspeise.
WARUM
Warum wiegst Du mich auf deinen Armen,
Herr, so wuchtig ohn‘ Erbarmen
Zwischen Qual und Glück,
Dass mir wirbelnd schwinden Mut und Blick?
„Lass vom Zeitenwandel dich durchschüttern!
Er ist meines Pulses Zittern
Fühl an seinem Schlag,
Wie ich nahe dich am Herzen trag.“
AUS DER TIEFE
Ich danke Dir die Qualen,
Die Du mir schickest,
Mehr als die Sonnenstrahlen,
Mit denen Du mich erquickest.
Will in der Freude Schlummer
Mein Preislied stocken,
Weckst Du mich durch Kummer
Zu innigerem Frohlocken.
Im Lachen vergaß ich Dein,
Aber im Wehe
Wächst mein Stöhnen und Schrei‘n
Zum Jauchzen ob Deiner Nähe.
AUSMARSCH.
Was starrst du mir ins Auge , Stern
Wie Schneekristall so klar und kalt?
Wir stehen unter einem Herrn,
Wir fühlen gleiche Frohngewalt.
Mit Seinem Weltenzwange bannt
Er dich in deinen strengen Kreis.
Mich rafft Er in ein fremdes Land
Der Zukunft zu, die niemand weiß.
Und werf Er uns wie Wiederhall
Von Fels zu Fels,wie‘s Ihm gefällt,
Du stahlst, ich preis Ihn überall,
Bis Er so dich wie mich zerschellt.
IM SCHÜTZENGRABEN
Heult wie hungrige Hyänen.
Leichengierige Kanonen!
Ruhig wie im Frieden will ich
Unter dünnem Zeltdach wohnen;
Nachts auf feuchtem Steine schlafen
Tags bei meinen Brüdern sitzen.
Und kein unbarmherzger Splitter
Darf die Haut mir leise ritzen,
Wenn es nicht seit alten Tagen
Gottes Satzung ist und Willen,
Dessen vorbestimmte Bahnen
Ewig heilsam sich erfüllen.
DER OFFENBARE.
Ihr redet von Naturgesetzen,
Als wäre bloßer Satzung Zwang,
Was eigenwillig zu verletzen
Noch keiner Himmelskraft gelang.
O spürt durch sie hindurch den Willen,
Der unbeirrbar klar und fest
Das eigne Wesen zu erfüllen
Durch keine Gunst sich wenden lässt;
Der ewig wirkt mit gleicher Treue
In nie versiegter Jugendkraft,
Und dennoch jede Stunde neue,
Nie dagewesne Wunder schafft.
Er ist der Gott dem wir vertrauen,
Der unser Leben hält und trägt,
Und dessen Herrlichkeit zu schauen
Das Herz voll Dank und Jubel schlägt.
KEIN BESCHEIDEN
Der Du die Lose niederstreust,
Wie‘s uns zum Segen frommen kann,
Heut Jubel morgen Schmerzen leihst,
Dich großer Spender ruf ich an.
Wohltätig grausam zieh Dein Pflug
Die scharfen Furchen durchs Gemüt,
Und rode Neid und Gier und Trug,
Bevor Dein heilges Saatkorn sprüht.
Gib Deiner Freuden Himmelsschein,
Doch spare nicht den grellen Schmerz,
Dass wach und lebensstark mein Sein
Hochwachse Blitz und Himmelwärts.
FROHMUT
Die Erde ist ein Jammertal
Für alle Jämmerlinge,
Uns ist die Welt ein Freudensaal
Voll guter Gottesdinge.
Drum fangt den Tag mit Jauchzen an,
Mit Sang und Tanz und Flöten,
Denn wer nicht richtig lachen kann,
Wie könnt er herzlich beten?
MACHTLOS
Wider Dein gewaltige Geschehn
Wäre Menschensünde
Mehr als einer Fliege Atemwehn
Gegen Meereswinde?
In des Himmels Bläue muß sich schnell
Kerzen-Rauch verlieren.
Schmutzger Tropfen lässt im klaren Quell
Keine trüben Schlieren.
Nein und dich Erwecker-Odem, voll
Schaffendem Begeistern,
Aller künftgen Lenze Tauwind soll
Menschentorheit meistern?
SONNTAG
Mein Herz ist heute wie ein Ostermorgen,
Wenn leichter Wind durch junge Blätter weht,
Und frei von müden winterlichen Sorgen
Die ungetrübte SONNE aufersteht.
Der Tau erglitzt von Regenbogenfunken
Der Himmel dehnt sich droben selig weit,
Und alles ist geweiht, und lauscht versunken
Dem leisen Wellenschlag der Ewigkeit.
ÜBERWÄLTIGT
O halte ein, eh dass die Überlast
Der Seligkeit mein schwaches Herz zerbricht!
Die enge kleine Menschenseele fasst
Die große Innigkeit des Himmels nicht.
Sie kam zu mir, so wie der Sonnenstrahl
Zum Samen kommt, der in der Erde träumt.
Da wird die Schale eng zum erstem Mal,
Ein unbegriffnes Sehnen in ihm keimt,
Was fragt er ob ihn Weh, ob Wonne weckt?
Mit allem Saft hat er nur ein Verlangen:
Mit den zwei Blättchen die er aufwärts streckt,
Des Himmels ganze Liebe zu umfangen.
GEBORGEN.
So muß dem Küchlein sein im Ei,
Auf dem die Henne brütet.
Wie eng die irdsche Schale sei,
Doch wohl bin ich behütet,
Und fühl: nur DEINE Wärme nährt
Mein Keimen, Wachsen, Leben,
Und darf getrost, wie lang es währt
Mich Deiner Lieb ergeben.
Ich weiß, Du brichst zur rechten Zeit
Entzwei die schwere Hülle,
Dann schwebt mein Geist vom ich befreit
In Deine lichte Fülle.
IM GEWITTER.
Hei, zitterst du, wenn der Orkan erwacht,
Der Hagel prasselt und der Donner droht?
Blick auf! DER Herr ist über Tag und Nacht
Und über Feuersbrunst und Wassernot,
Will nicht, dass du an Seinem Dienst voll Angst
Wie Kinder an der Mutter Röcken hangst.
Nur die für schalen Plunder ihres Lebens
Schätze vertan, die mögen um die Wette
Mit SEINEN Stürmen heulen, und vergebens
Wie scheu‘nde Hunde an der Kette,
Mit der die Reu sie an geplagte Stunden
Zu doch vergebner Mühsal festgebunden.
Wir andern dürfen heiter ohne Hast
Empfangen jeden Tag, der sich uns schenkt,
Weil kein versäumtes Gestern sich als Last
Heut an die Schultern striemenschneidend hängt.
Was hat der Tod, der Ammenschreck, uns an?
Vor unserm freien Jauchzen bricht sein Bann.
So lasst uns Schritt vor Schritt bedächtig setzen
Und gehn, wohin uns SEINE Zeichen heißen,
Ob wilde Wasser unsre Sohlen netzen,
Ob Dornen sie und scharfe Steine reißen.
Und Blitz und Sturm, sie sollen uns erquicken
Mit SEINER Sprache loderndem Entzücken.
DAS KENNZEICHEN
Der rechte Glaube ist ein Licht,
Das lauter Liebe glüht,
Durchströmt mit Liebreiz das Gesicht,
Mit Güte das Gemüt.
Da wirkt man schwere Pflicht und denkt:
„Ich folg des Herzens Zug,
Der auch die Vogelscharen lenkt
Auf ihrem Wanderflug“.
DREIEINIGKEIT
Singt von Gott auf allen Wegen!
Wo wir schreiten, geht ER mit,
Spendet SEINEN Sonnensegen,
Fängt uns auf bei strauchlem Tritt
Wenn uns Menschengunst verlässt,
SEINE Treu ist ewig fest.
Merkt auf SEINE sanfte Strenge,
Die uns ins Gewissen tönt,
Die uns warnt vor Herzensenge,
Keinen eitlen Trug beschönt.
Wo versagt der Menschen Rat,
Weist sie klar zu rechter Tat.
Und den heilgen Atem kündet,
Der von Gott die Brust durchbläst,
Dass der Sünde Narbe schwindet
Und der Reue Krampf sich löst,
Der uns frischt zu kühner Stärke,
Mit zu wirken Gottes Werke.
Glück und Unglück sind nur Farben,
Drein das Prisma unsres Denkens
Gottes Segensstrahlen spaltet.
Nie soll meines Preisens darben,
Der in Fülle großen Schenkens
Ewig licht und heilsam waltet.
IM ALPENTAL
Auch die Stille spricht
leis doch deutlich,
So das Ohr nur lauscht,
Wenn er Föhrenhain
einsamkeitlich
In den Mittag rauscht.
Wenn mit blankem Licht
Himmelsklarheit
Alle Schatten blaut,
Streng auf uns und rein
als der Wahrheit
Keusches Auge schaut.
Kahler Fels umflicht
halb zerfallen
Rings das öde Tal,
Rötliches Gestein
glüht im Prallen
Mittags-Sonnenstrahl.
Fern ein Steinschlag bricht
durch die Stille,
Der durch‘s Hochtal gellt,
Dass uns bange DEIN
heilger Wille
Ahnend überfällt.
ENTDECKUNGSFAHRT
Ich bin getaucht im Ozean des Raumes
bis zu der Dämmrung fernster Nebelflecken,
bis an den Rand des ewgen Traumes,
wo keine Rohre Sonnen mehr entdecken.
Ich fand viel Glanz und Wunderlicht.
Zum Grunde kam ich nicht.
Ich bin getaucht ins Dunkel alter Zeiten,
woher die Trümmer wuderkühner Werke
noch bis zu uns dem Ruhm und Glanz verbreiten
von seltner Tugend, heldenhafter Stärke.
Da fand ich Menschen groß und schlicht –
Zum Grunde kam ich nicht.
Ich bin getaucht in meines Herzens Tiefe,
tief durch den Flitterschaum der Eitelkeiten,
denn immer lauscht ich, was von da mich riefe,
die Schritte auf den bessern Pfad zu leiten.
Da fühlt ich, den ich nirgends fand,
den Grund zu festem Stand.
ANBETUNG
Lieber Gott, DU schönster aller Himmelswesen,
Herrlich schöner als die Engel und die Sonne,
Die an DEINES Anblicks immer klarer Wonne
Erst vom Gram um traurge Erdengier genesen!
Lass von DEINEM heilgen Feuer mich durchglühen,
Dass zu Asche ganz die Schake „Ich“ zerstiebe
Und mein Herz verschenkt an DEINE Wunderliebe
Stets mit Frohsinn trage Erdenleid und Mühen.
ALLAH!
Du Einer reiner
ewiger Spender!
Finster und Licht, Liebe und Pflicht,
Beide sind DEINE Gewänder.
Löse,was böse,
aus meiner Seele.
Lehre mich, kehre mich
nach DEINEM Befehle.
Wende, ende
unsere Not!
Lieb uns! Gib uns
Frieden und Brot.
ZEITWENDE
Die Weltenuhr schlägt Mitternacht.
Das Gestern hat sein Werk vollbracht.
Nun legt es in die Gruft,
Und weint ihm keine Träne mehr:
Zu neuer Pflicht verheißungsschwer
Um weht uns Morgenluft.
Die alten Staaten bröckeln ein
Und ihre Kirchen Stein um Stein.
Lasst brechen was zerfällt.
Wir bauen auf den freien Grund
Der liebe neuen festern Bund,
Und Gott uns Treue hält.
SCHLUSSAKKORD
Komm, Tod, du letzter Klang
Der uns durchtönt,
In des Lebens Drang
Endlich versöhnt.
Der Dissonanzen Wucht
Sich lösen muß:
Nach wilder Themen Flucht
Der ruhige Schluss!
Tag der Veröffentlichung: 05.11.2010
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