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Prolog

Schon wieder. Noch einer. Tiefer. Mehr. Wieder ist sie ihrem Verlangen verfallen. Gibt nach und tut es einfach, damit sie sich besser fühlt. Wieder und wieder schneidet die Klinge in ihre zarte Haut. Hinterlässt tiefe Schnitte. Ihr ganzer Arme ist schon von Blut bedeckt. Aber sie kann nicht aufhören. Will es auch gar nicht.

Es kann sie auch niemand hindern. Es ist mitten in der Nacht, alle schlafen schon. Und es wäre ihnen ja doch egal. Also macht sie weiter. Bis sie müde wird. Müde vom schneiden, vom weinen. Sie wischt das Blut weg. Bindet ein Tuch um ihren Arm, damit sie keine Spuren auf dem Bett hinterlässt und legt sich hin. Sie schläft direkt ein. Zufrieden. Ruhig. Sie braucht es. Es ist ein Teil ihres Lebens, den sie einfach nicht aufgeben kann, will.

 

"Lilia, aufstehen!" Ihre Mutter ruft von draußen, klopft an die Tür. Murrend rappelt sie sich auf.

"Bin wach.", ruft sie zurück. Sie steht auf, schnappt sich ihren Bademantel und geht ins Bad zum Duschen.Das Wasser brennt in ihren frischen Wunden. Sie zieht scharf die Luft ein, lächelt aber. Sie mag den Schmerz. Braucht ihn sogar. Sie spült ihre langen Haare aus, tritt aus der Dusche und trocknet sich ab. Schnell zieht sie den Bademantel an, damit niemand ihre Narben und Schnitte sehen kann. Auf die Gespräche hat sie keine Lust. Sie geht zurück in ihr Zimmer. Zieht sich schnell an und stellt sich vor den Spiegel. Nur die Narben und Wunden an den Armen kann man sehen, alles andere ist unter den Kleidern verborgen. Seufzend fährt sie sich durch ihre zartrosafarbenen Haare. Sie sind das Einzige, das sie an sich mag. Schnell föhnt sie sie und macht sich dann weiter fertig für die Schule. Um den einen Arm bindet sie sich ein Tuch, an den anderen kommen Unmengen an Armbändern und Haargummis. Eine Jacke braucht sie nicht, es ist Ende Sommer, ein paar Wochen nach den Sommerferien. Ihre langen Jeans und das Shirt reichen ihr aus. Sie schnappt sich noch ihre Schultasche und schon geht sie aus dem Haus.

 

Auf dem Weg zur Schule hört sie Musik, sowie im Klassenraum, solange der Lehrer noch nicht da ist. Das ist auch kein Problem, niemand spricht sie an. Und das findet sie auch ganz gut so. Sie genießt diese Ruhe und Einsamkeit. Doch sie hätte nie geahnt, dass dies ihr letzter ruhiger Moment sein soll.

Der Lehrer kommt ins Zimmer. Ihm hinterher ein Junge, den sie noch nie gesehen hat. Er trägt, wie sie auch, schwarze Röhrenjeans und ein Band-Shirt. Seine längeren, dunkelblonden Haare schmiegen sich um sein Gesicht, auf dem ein großes Lächeln liegt.

 

"So, Leute. Wir haben ab heute einen neuen Mitschüler. Das ist Meran Aden."

Kapitel 1

Meran schaut sich im Saal um. Die Mädchen haben schon angefangen zu tuscheln, weil er wirklich gut aussieht. Der Lehrer weist ihm seinen Platz, der sich genau neben Lilia befindet. Das ist der einzige freie Platz. Da wollte niemand bisher sitzen. Doch Meran macht es scheinbar nichts aus. Er setzt sich hin und lächelt Lilia an. Diese verzieht nur kurz den Mund und wendet sich ab.

 

„Hey“, grüßt er sie, sie zuckt kurz zusammen. "Meran." Er hält ihr seine Hand hin. Sie dreht sich wieder um. Greift zögerlich seine Hand.

„Lilia.“, sagt sie mit schwacher Stimme. Er lächelt. Die anderen Mädchen aus der Klasse beobachten die beide, tuscheln. Bis der Lehrer sie zur Ruhe ruft, um mit dem Unterricht zu beginnen.

 

Als es zur Pause klingelt, wirft Lilia achtlos ihre Sachen in ihre Tasche und verschwindet so schnell wie möglich aus dem Saal. So wie sie es immer tut. Sie läuft über den Pausenhof, ignoriert die Blicke aller, und steuert auf ihren Stammplatz zu. Ein Hügel am Rand des Hofs. Dort setzt sie sich, wie immer, hin, macht ihre Kopfhörer in die Ohren und hört Musik. Sie achtet nicht auf die Leute auf der Schule. Für sie sind sie alle gleich. Deshalb sieht sie einfach wahllos durch die Gegend. Zumindest bis sie etwas Ungewöhnliches bemerkt. Jemand kommt zu ihr hergelaufen. Erst als die Person näher ist, kann sie ihn erkennen. Es ist der Neue, Meran. Hinter ihm stehen Mädchengruppierungen, die ihn alle anstarren. Lilia lacht hämisch und schüttelt nur den Kopf. Sie kann diese Mädchen nicht verstehen, die nur Jungs im Kopf haben.

 

Meran kommt ihr immer näher, die Hände in den Hosentaschen, ein Lächeln auf dem Gesicht. Lilia verzieht den Mund. Sie will ihre Ruhe haben. Was will er nur von ihr? Oder will er sie etwa, so wie alle anderen beleidigen und verschwindet dann wieder? Das wäre ihr vermutlich sogar lieber. Besser, als wenn er sich jetzt einfach zu ihr setzt. Doch genau das tut er. Sie seufzt. Sieht ihn nicht an.

Aus dem Augenwinkel kann sie erkennen, dass seine Lippen sich bewegen, doch wegen ihrer Musik kann sie nichts hören. Sie lächelt überlegen. Doch zu früh gefreut. Meran zieht einfach einen Kopfhörer aus ihrem Ohr und beginnt mit zuhören. Überrascht und empört gleichzeitig sieht Lilia ihn an.

„Of Mice & Men, klasse.“, sagt er nur. Beleidigt bläst sie die Backen auf, reißt ihm und sich selbst die Kopfhörer weg und steckt sie wieder in ihre Tasche. Er schaut sie belustigt an, beginnt sogar ein wenig zu lachen.

„Was soll das?“, fragt sie ihn genervt. Wieso lässt er sie nicht in Ruhe und ignoriert sie, wie jeder andere auch? Er zuckt nur mit den Schultern.

„Ich wollte dir nur Gesellschaft leisten.“ Dieses Dauerlächeln auf seinem Gesicht geht ihr echt auf die Nerven. Wenn er sie im Klassenzimmer anspricht, okay, aber in der Pause will sie ihre Ruhe.

„Wie kommst du darauf, dass ich Gesellschaft brauche?“, fragt sie ihn schnippisch und schüttelt kurz ihren Kopf, damit ihr Pony wieder richtig sitzt. Er denkt kurz nach, sein Lächeln verschwindet.

„Deshalb.“ Er umfasst ihr Handgelenk und drückt leicht zu. Sie muss sich beherrschen, um nicht vor Schmerz aufzuschreien. Sie spürt Tränen in ihren Augen.

„Lass los.“, sagt sie flehend, schwach. Er lässt sie los. Woher weiß er das nur? Eine Träne will aus ihrem Auge fliehen, doch er fängt sie rechtzeitig ab, bevor er über ihre Wange läuft. Sie hält sich stumm wimmernd ihren Arm.

„Woher?“ Mehr sagt sie nicht. Doch es reicht auch aus. Er hat es schon verstanden. Doch er zuckt nur mit den Schultern.

„Intuition.“ Sie lacht verachtend auf. Klar, Intuition. Es klingelt. Die Pause ist vorbei. Genervt, dass sie ihre sonst so ruhige Pause mit Meran verbringen ‚musste‘, steht sie auf und greift nach ihrer Tasche. Den schmerzenden Arm hält sie immer noch schützend an ihrem Körper.

Ohne ein Wort zu sagen, nimmt Meran ihr ihre Tasche ab. Doch anders als die Jungs früher, rennt er damit nicht lachend weg, sondern bleibt an ihrer Seite, die Hände wieder in den Hosentaschen.  Verwundert sieht sie zu ihm hoch. Er ist ein gutes Stück größer als sie. Er lächelt nur auf sie herab. Doch sie streckt ihm nur stumm die Zunge raus. Was will dieser Typ nur von ihr?

Kapitel 2

Es klingelt zum Schulschluss. Erleichtert atmet Lilia auf. Nun muss sie nur noch aus der Schule und hat endlich Ruhe vor Meran. Er hat sie in den Stunden und der zweiten Pause immer wieder angesprochen, angesehen oder einfach nur stumm angelächelt. Sie hat keine Ahnung, was der Kerl hat. Warum er sie einfach nicht in Ruhe lässt. Sie hat ihn schon angegiftet, beleidigt und ist einfach vor ihm weggelaufen. Doch er lässt nicht locker. Aber nun hat sie ja erst einmal Ruhe. Bis morgen. Dann geht das Ganze bestimmt wieder von vorne los.

Sie wirft ihre Sachen in die Tasche und rauscht so schnell es geht aus dem Klassensaal. Sie will weder, dass Meran sie nochmal anspricht oder ihr sogar folgt. Das würde sie nicht aushalten. Nicht noch mehr. Auf dem Schulflur dreht sie sich mehrmals nochmal um. Nie sieht sie ihn hinter sich. Sie fühlt sich sicher vor ihm und macht ein wenig langsamer. Ein fataler Fehler.
„Hey, bist du auf der Flucht?“, ertönt es neben ihrem Kopf. Sie erschrickt sich so sehr, dass sie über ihre eigenen Füße stolpert und fast hinfällt. Fast. Meran hält sie am Oberarm fest und somit halbwegs auf den Beinen.
„Lass mich los!“, faucht Lilia ihn an. Er lacht auf, tut wie ihm gesagt und sie steht wieder sicher auf den Beinen. Ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen, läuft sie einfach weiter. Hofft, er kommt ihr nicht nach. Wieder versucht sie schneller zu gehen, um ihn abzuschütteln, doch das funktioniert nicht. Nah hinter ihr hört sie schon sein amüsiertes Lachen. Wut kocht in ihr auf. Kann er sie denn nicht einfach in Ruhe lassen?
„Ganz ruhig, Mädchen.“ Unerwartet legt sich ein Arm über ihre Schulter, den sie reflexartig wieder herunter wirft. Meran lacht darüber nur. Er gibt sich allerdings geschlagen und schiebt seine Hände in die Hosentaschen. Bleibt aber stumm an ihrer Seite. Lilia grummelt in sich hinein. Sie würde am liebsten auf ihn einschlagen. Sie würde es eigentlich auch, aber sie hat Angst, er würde sie einfach auslachen.

„Was willst du eigentlich von mir?“, fragt sie ihn ruhig, aber doch bedrohlich. Inzwischen haben sie das Schulgelände bereits verlassen. Doch Meran läuft immer noch in dieselbe Richtung wie Lilia. Will er ihr etwa bis nach Hause folgen? Das kann er aber vergessen! Lilia sieht sich kurz um, ob irgendwo ein Lehrer noch herumläuft, und holt dann eine Schachtel Zigaretten aus ihrer Tasche. Sie nimmt eine und zündet sie sich an.
„Naja, ich hab herumgefragt, ob jemand in meiner Nähe wohnt, damit ich den Weg nachhause finde, und mir wurde dein Name genannt.“ Sie beginnt heftig zu husten bei der Vorstellung, sie wird ihn jeden Tag in der Schule und sogar noch auf dem Nachhauseweg sehen müssen. Meran beginnt zu lachen, holt ebenfalls eine Zigarettenschachtel heraus.
„Tja, das hast du davon, wenn du rauchst!“, lacht er, während er sich selbst eine ansteckt. Lilia hat sich in der Zeit wieder gefangen und rammt ihm einen Ellenbogen in die Rippen. Er zuckt kurz, beugt sich ein wenig, grinst aber weiterhin.
„Hey!“, beschwert er sich nur. Doch ihr ist das egal. Warum gerade er? Und warum hat er es so auf die abgesehen? Will er ihr nur das Leben schwermachen? Wenn ja, dann braucht es nicht mehr lange und er hat sein Ziel erreicht. Sie sagt nichts, redet kein Wort auf dem ganzen Weg. Nicht einmal ihre Kopfhörer holt sie heraus. Meran tut es ihr gleich. Zumindest bis sie bei ihm ankommen. Er bleibt stehen, will sich vermutlich von ihr verabschieden, doch sie geht stur weiter.
„Dann bis morgen, Lilia!“, ruft er ihr lachend hinterher. Von ihr kommt nichts. Sie hört noch seine Tür zuschlagen, erst dann kann sie wieder ruhig durchatmen. Jetzt wohnt er auch noch nur zwei Häuser neben ihr, der Horror für sie.

Zuhause angekommen schließt sie schnell auf, damit sie rein kann. Sie geht schnurstracks in ihr Zimmer, wirft die Schultasche einfach in eine Ecke und sich selbst auf ihr Bett. Dort bleibt sie eine Weile liegen. Bis ihr Magen sie zu etwas anderem zwingt. Lustlos setzt sie sich auf, sieht durch ihr Zimmer. Sie muss noch die letzten Blutspuren letzter Nacht wegwischen. Und das tut sie auch als erstes. Dazu nimmt sie einfach ein Taschentuch und macht es ein wenig nass. Das reicht.
Als sie fertig ist, macht sie sich auf den Weg in die Küche. Doch als sie gerade einen Schritt aus ihrem Zimmer heraus ist, klingelt es an der Tür. Normalerweise würde sie jemand anderes hingehen lassen, aber sie ist allein zuhause. Also muss sie wohl oder übel selbst hingehen. Lustlos schlurft sie zur Haustür und macht sie auf. Als sie sieht, wer davor steht, würde sie am liebsten die Tür wieder zu schlagen. Doch da hat Meran schon vorgesorgt, in dem er die Tür von außen aufhält. In der anderen Halt hält er einen Kuchen. Lilia knurrt ihn an, er lacht sie einfach aus.
„Ich soll den hier von meiner Mutter aus vorbeibringen. Sie meinte das gehört sich so, als neue Nachbarn. Lilia lässt die Tür los um den Kuchen zu nehmen. Ein Fehler. Schon steht Meran im Eingangsbereich ihres Hauses und läuft uneingeladen weiter hinein.
„Hey!“, motzt Lilia ihn an, er dreht sich nur um und streckt ihr frech die Zunge heraus.
„Wo ist die Küche?“, fragt er und beginnt wahllos irgendwelche Türen aufzumachen. Lilia rennt voraus und öffnet die Tür der Küche, damit er nicht noch weiter schnüffelt.
Er tritt ein und stellt den Kuchen auf der Ablage ab. Dann beginnt er Teller und Besteck zu suchen.
„Auch ein Stück?“, fragt er Lilia. Diese starrt ihn mit offenem Mund an. Sie geht auf ihn zu und tippt ihm von hinten auf die Schulter. Als er sich umdreht, schlägt sie ihm mit der flachen Hand ins Gesicht.
„Was fällt dir eigentlich ein?!“, fährt sie ihn an, während er sich amüsiert die rote Wange reibt.
„Naja, ich dachte, dass ich zumindest jetzt ein Stück Kuchen als Entschuldigung verdient habe!“ Er grinst sie provokant an. Das ist zu viel für sie. Er ist einfach zu viel.

Kapitel 3

 

Stumm essen beide ihren Kuchen in Lilias Zimmer. Sie hatte, aus ihr unerklärlichen Gründen, seinem Vorschlag doch zugestimmt. Aber nichts desto trotz ist ihr unwohl bei der Sache. Schließlich kennt sie den Typen gar nicht. Alles was sie über ihn weiß ist sein Name, dass er in ihrer Nähe wohnt und das er unglaublich nervig ist. Wenigstens isst er seinen Kuchen ohne etwas zu sagen. Das ist ja schon einmal ein Fortschritt. Lilia ist mit ihrem Stück zuerst fertig, weshalb sie sich in ihrem Zimmer ein wenig umsieht. Zum Glück hatte sie die Blutflecken weggewischt, bevor Meran kam. Vermutlich wäre er nicht so ruhig, wenn sie noch da wären. Da fällt ihr ein, wer hat ihm eigentlich gesagt, dass sie in seiner Nähe wohnt? In der Schule hat sie schließlich mit niemandem etwas zu tun. Also kann auch niemand wissen, wo sie wohnt. Außer sie hat einen Stalker, aber das ist zu unwahrscheinlich. Nach einer Weile des Grübelns fällt es ihr ein. Früher, in ihren ersten Jahren auf der Schule, hatte sie Freunde. Nicht viele, aber sie hatte welche. Nur haben sie sich auseinander gelebt. Deshalb hatten sie dann keinen Kontakt mehr und inzwischen gehören ihre Kindheitsfreunde auch zu denen, die sie ignorieren und manchmal fertig machen. Naja, ihr ist das egal. Solche Freunde braucht sie nicht.

 

Als auch Meran fertig mit seinem Kuchen ist, nimmt Lilia stumm ihre beiden Teller und bringt sie in die Küche. Dort stellt sie sie ins Waschbecken. Kurz lehnt sie sich auf die Fensterbank und atmet tief ein.

„Jetzt muss ich ihn nur noch irgendwie loswerden.“, sagt sie zu sich selbst und geht zurück in ihr Zimmer.

 

Am liebsten wäre sie ihm an den Hals gesprungen, als sie die Tür öffnet. Er hat vermutlich ihr ganzes Zimmer untersucht und macht sich gerade an einer ihrer Schubladen zu schaffen. Bisher hat er sie nicht bemerkt, weshalb sie sich einen ihrer Schuhe, die neben der Tür stehen, nimmt und ihn ihm an den Kopf wirft. Er zuckt zusammen und blickt erschrocken hoch. Lilia funkelt ihn wütend an.

„Raus!“, schreit sie ihn an, doch er will nicht hören. Obwohl sie ihn auf frischer Tat ertappt hat, macht er unbeirrt weiter. Sie stapft sauer zu ihm, zieht an seinem Arm herum, bis er sie wieder ansieht.

„Wo hast du sie versteckt?“, ist alles, was er zu ihr sagt. Sie versteht gar nichts. Steht vollkommen auf dem Schlauch. Meran verdreht die Augen und greift nach ihrem Handgelenk. Jetzt versteht sie. Das sucht er also.

„Das geht dich nichts an, und jetzt raus hier!“ Er seufzt auf, macht sich aber auf den Weg aus dem Zimmer. In der Tür hält er jedoch an.

„Unter einer Bedingung gehe ich.“ Sie sieht ihn fragend an. „Du kommst mit.“, fährt er fort. Lilia lacht nur verächtlich auf und grinst überlegen.

„Warum sollte ich?“, fragt sie ihn provokant. Meran denkt kurz nach. Dann zuckt er jedoch einfach mit den Schultern.

„Einfach so. Kannst mir ja ein wenig die Gegend zeigen. Schließlich bin ich gerade erst hergezogen.“ Als ob sie das tun würde. Aber sie hat eine Idee. Und die sollte eigentlich funktionieren, hofft sie.

„Okay.“ Meran schaut sie verwundert, das sie so schnell nachgegeben hat, an. Aber er hegt keine Zweifel, sondern lacht sie einfach an. Sie zieht sich schnell Schuhe an und geht dann Richtung Haustür, gefolgt von Meran. Als sie gerade einen Schritt aus der Tür draußen sind, hält sie inne.

„Verdammt, ich habe meinen Schlüssel im Zimmer vergessen, warte du hier.“ Meran nickt, denkt scheinbar gar nicht daran, das Lilia ihn austricksen will. Als sie wieder im Hausflur ist, schlägt sie schnell die Tür zu. Auf ihren Lippen liegt ein zufriedenes Grinsen. Von der anderen Seite der Tür hört sie Merans Lachen.

„Gut gespielt, Lilia! Nächstes Mal gewinne ich!“, ruft er ihr durch die Tür zu. Doch Lilia beachtet das gar nicht. Soll er doch denken. Wenn es nach ihr geht, gibt es kein nächstes Mal mehr. Doch so, wie sie Meran bisher einschätzt, wird es schwer diesen Plan auch durchzuführen. Aber sie ist zufrieden, solange sie zumindest für den Rest des Tages, ihre Ruhe hat. Noch mehr Meran an einem Tag erträgt sie einfach nicht. Sie seufzt. Für heute hat sie es geschafft. Denkt sie.

Als sie gerade ihr Zimmer betritt, hört sie, wie etwas an ihr Zimmerfenster klopft. Was ist das? Sie sieht hinaus, kann aber nichts entdecken, was ungewöhnlich wäre. Verwundert geht sie hin, macht das Fenster auf und schaut raus. Meran steht neben dem Fenster an der Wand gelehnt. Legt stumm einen gefalteten Zettel auf das Fensterbrett, lacht und geht dann wieder. Lilia knurrt ihm noch nach. Das ist der Nachteil an einem Zimmer im Erdgeschoss. Sie schaut auf den Zettel herab und entfaltet ihn. Darauf steht eine Handynummer. Daneben ein ‚Schreib mir ;)‘. Das kann er vergessen. Sie macht das Fenster wieder zu und wirft den Zettel in ihren Mülleimer. Als ob sie ihm schreiben würde.

Sie wirft sich auf ihr Bett und macht sich Musik an. Endlich kann sie mal ein wenig entspannen und hat ihre Ruhe.

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 4

 

Am nächsten Morgen macht Lilia sich wie gewohnt fertig für die Schule. Natürlich mit laufender Musik. Da es an diesem Tag recht warm werden soll, zieht sie eine gemusterte Strumpfhose, einen schwarzen Rock und ein weites Hemd im selben Rosaton wie ihre Haare an. Bei dem Rock muss sie immer wieder aufpassen, dass er nicht zu hoch rutscht. Sonst könnte man die zahlreichen Narben oben an ihren Oberschenkeln sehen. Die langen Haare bindet sie zu einem Zopf zusammen, an den Armen wie gewohnt die verdeckenden Bänder und Haargummis. Als sie mit allem fertig ist, macht sie die Musik aus und geht zum Fenster um den Rollladen hochzumachen. Doch kaum das er oben ist, bereut sie es wieder. Vor ihrem Fenster steht kein anderer als Meran. Er grinst sie breit an und winkt. Sie sieht ihn wütend an und streckt ihm die Zunge raus.

Das kann ja wohl nicht wahr sein. Nun stalkt er sie schon! Wütend stapft sie vom Fenster weg und schnappt sich ihre Schultasche. Schnell schlüpft sie noch in ihre Schuhe und geht aus dem Zimmer. Ohne etwas zu ihrer Mutter zu sagen, geht sie an ihr vorbei. Sie steckt noch ihren Schlüssel ein und rauscht dann aus dem Haus. Vor der Tür wartet Meran natürlich schon. Sie verdreht genervt die Augen.

„Du hast echt einen guten Musikgeschmack!“, lobt er sie, während er neben ihr her geht. Also stand er schon länger da. Was für ein Idiot. Sie ignoriert das einfach und kramt stattdessen ihre Kopfhörer heraus. Als sie sie gerade in ihrem Handy einstecken will, nimmt Meran sie ihr ab. Er schaut sie schmollend, fast wie ein kleines Hündchen an.

„Das ist nicht nett, lass mich wenigstens mithören!“ Lilia verzieht den Mund. Lieber hört sie gar keine Musik, als mit ihm zusammen. Also läuft sie einfach stumm weiter, holt sich eine Zigarette aus ihrer Tasche und zündet sie sich an. Nach einer Weile fällt ihr auf, dass es verdächtig ruhig ist. Meran redet gar nicht. Also schaut sie möglichst unauffällig zu ihm herüber. Und hätte ihn am liebsten geschlagen. Er sieht sie mit großen Augen an, wechselt dann zu ihrer Zigarette ehe er sie wieder flehend ansieht.

„Nein.“, sagt Lilia nur monoton. Er macht einen Schmollmund, kommt ihr näher und sieht ihr tief in die Augen. Lilia ist eine solche Nähe nicht gewohnt, weswegen es sie ein wenig einschüchtert. Aber auch wütend macht. Warum lässt er sie nicht einfach in Ruhe? Sie will seine Gesellschaft schließlich gar nicht.

„Aber… bitte.“ Er kommt ihr noch näher. Ihr ist das so unangenehm, dass sie notgedrungen kapituliert und ihm widerwillig eine Zigarette gibt. Augenblicklich strahlt er übers ganze Gesicht. Sie fühlt sich fast schon geblendet.

„Danke! Meine sind seit gestern Abend leer und ich habe keine Ahnung, wo ich hier einen Automaten finde.“ Lilia beachtet ihn und sein Gerede gar nicht. Es interessiert sie schließlich gar nicht. Doch Meran ist das egal. Er plappert munter weiter, über alles Mögliche. Lilia stellt sich taub. Sie will einfach nur ihre Ruhe haben. Aber bei diesem Typen kann sie das vergessen. Deshalb ist sie fast schon glücklich, als sie in der Schule ankommen. Wie immer wird sie verächtlich angestarrt, Meran neben ihr wird jedoch – zumindest von den Mädchen – fast schon angehimmelt. Er begrüßt auch einige Leute, sowohl Jungen als auch Mädchen. Woher er die plötzlich kennt, weiß Lilia nicht. Und es ist ihr auch egal.

Während Meran noch mit Begrüßungen beschäftigt ist, schlüpft Lilia stumm ins Klassenzimmer und setzt sich an ihren Platz. Es dauert keine Minute, da stehen schon ein paar Mädchen an ihrem Tisch. Sehen sie missbilligend und verächtlich an.

„Lass die Finger von Meran. Zieh ihn nicht auf dein Niveau herunter.“, macht sie eines der Mädchen an. Lilia sieht desinteressiert auf. Sie weiß nicht einmal, wer das ist. Aber das ist ihr eigentlich egal. Auch was sie gesagt hat, kümmert Lilia nicht. Sie hat ja sowieso kein Interesse an Meran. Sie will ihn eigentlich so schnell wie möglich loshaben. Sollen diese Mädchen sich doch an ihn ranschmeißen. Vielleicht nervt er sie dann nicht mehr so.

Ohne etwas zu sagen, wendet Lilia sich wieder ab, beginnt auf ihrem Block herum zu kritzeln. Das Mädchen, das sie angesprochen hatte, wird wütend und schnaubt verächtlich. Sie macht den Mund auf um etwas zu sagen, unterlässt es aber doch. Meran ist inzwischen auch an den Tisch gekommen und setzt sich hin. Kurz darauf kommt auch schon der Klassenlehrer und jeder geht auf seinen Platz.

„Hey.“, flüstert Meran um Lilias Aufmerksamkeit zu bekommen. Sie ignoriert es zunächst, doch er lässt nicht nach. Piekt sie mit seinem Stift, stupst sie mit dem Fuß an und pustet ihr immer wieder an den Kopf. Irgendwann reicht es ihr.

„Was?!“, keift sie, leise aber genervt. Meran grinst nur. Er weist mit dem Kinn auf etwas unter dem Tisch. Dort hält er seine Hand, verschlossen, als befinde sich etwas darin. Langsam öffnet er die Hand einen Spalt. Darin liegt ein Schlüssel. Lilias Haustürschlüssel. Sie schaut verstört auf seine Hand, dann in sein Gesicht. Wie hat er das nur geschafft? Wie hat er es geschafft, ihr den Schlüssel zu klauen?

„Dieses Mal habe ich gewonnen, also zeigst du mir heute ein wenig die Gegend.“ Kaum hat er es gesagt, wird er auch schon vom Lehrer zur Ruhe gewiesen. Dem folgt er natürlich brav, lächelt Lilia aber siegreich an. Sie hätte ihm am liebsten den Kopf abgerissen. Aber wer weiß, vielleicht schafft er es ja noch, dass es so weit kommt.

Kapitel 5

 

Normalerweise freut Lilia sich auf das Schulende. Dann kann sie in Ruhe nach Hause gehen. Sich in ihrem Zimmer verschanzen.  Das Alleinsein genießen. Doch heute nicht. Dafür hat Meran gesorgt.

Lilia redet kein Wort mit ihm, weder vor oder nach dem Unterricht, noch in den Pausen. Manchmal versucht sie sich den Schlüssel wieder zu schnappen, doch nie gelingt es ihr. Also hat sie wohl keine andere Wahl und muss Merans Bedingung erfüllen. Ihr bleibt ja nichts anderes übrig. Ihre Mutter kommt erst abends heim und ihr großer Bruder ist fast nie zuhause. Vielleicht mal zum schlafen, mehr nicht. Warum sollte er also heute da sein.

 

Als es zum Schulende klingelt, grinst Meran sie breit an.

„Dann kann es jetzt ja losgehen!“, sagt er enthusiastisch. Lilia grummelt nur genervt vor sich hin. Wie soll sie den Tag mit dem nur überleben?

„Und wo solln‘ wir hin?“, nuschelt sie lustlos, während sie aus dem Saal laufen.

„Erst einmal zu mir nach Hause. Von da aus geht es dann mit dem Auto weiter.“ Lilia stockt in der Bewegung, wäre fast von jemandem umgerannt worden. Sie sieht ihn überrascht an.

„Wie, mit dem Auto?“, fragt sie verwundert. Ein breites Grinsen liegt auf seinem Gesicht,

„Na, wir fahren mit meinem Auto weiter.“ Er klingt fast ein wenig angeberisch. Als wolle er ihr imponieren.

„Du bist schon 18.“ Das ist keine Frage, eher eine Feststellung seitens Lilia. Sie war erst vor wenigen Monaten 17 geworden und Meran ist bereits 18. Das ist ungerecht. Aber sie wittert eine Chance auf Freiheit.

„Wenn das so ist, muss ich aber erst noch mal nach Hause, etwas Geld holen.“ Ihres Sieges sicher steckt sie sich eine Zigarette an, als sie das Schulgelände verlassen. Meran bettelt natürlich wieder um eine, die sie ihm auch gibt. Als Trost für ihren Sieg.

Doch Meran grinst breit, als er sie sich anzündet.

„Vergiss es. Ich leih dir, was du brauchst. Darauf fall‘ ich nicht rein!“ Er lacht. Sie verzieht den Mund, wütend darüber, dass er es durchschaut hat. Nun ist auch ihre letzte Chance auf Freiheit dahin. Sie öffnet ihren Zopf und fährt sich zu Beruhigung durch die Haare. Meran neben ihr scheint gar nicht mehr aus dem Reden zu kommen. Er erzählt ihr alles Mögliche, über seine Familie, die Stadt wo er vorher gelebt hat und noch so einiges, bei dem Lilia aber völlig abgeschaltet hat. Sie hat sich überlegt, ob es vielleicht funktioniert, wenn sie ihn einfach ignoriert, ihm kein bisschen zuhört. Möglicherweise hat er dann gar keine Lust mehr, sie zu nerven. Einen Versuch ist es zumindest wert.

So ignoriert sie ihn den ganzen Weg bis zu seinem Haus. Bis ihr etwas auffällt. Er redet gar nicht mehr. Vorsichtig linst sie durch ihren Pony zu ihm herüber. Doch da ist niemand. Sie dreht sich leicht nach hinten. Auch da ist keiner. Etwas wie Panik steigt in ihr auf. Doch nicht, weil sie möglicherweise Meran irgendwo verloren hat, sondern eher weil er ihren Haustürschlüssel hat. Ohne den kommt sie nicht ins Haus.  Sie dreht sich wieder um, geht gedankenlos einen Schritt nach vorne.

Tiefes Grün.

Das ist alles, was sie zunächst sieht. Nur langsam begreift sie, dass sie in ein paar smaragdgrüne Augen schaut. In die von Meran. Als sie bemerkt, wie Nahe sie sich sind, stolpert sie rückwärts und fällt auf die Straße. Sofort hockt Meran neben ihr, eine Hand an ihrer Schulter, die andere auf ihrem Bein.

„Alles okay?“ Zum ersten Mal spricht er sie nicht amüsiert, sondern fast schon besorgt an. Sie schüttelt kurz ihren Kopf, um wieder klare Gedanken fassen zu können. Sie drückt ihn von sich weg, steht alleine auf.

„Ja.“, sagt sie leise während sie sich den Schmutz vom Rock klopft. Sie vermeidet seinen Blick. So etwas ist ihr noch nie passiert. Solche Nähe, die Wirkung die ein einziger Blick auf sie hat. Sie lacht verächtlich auf. Natürlich, so nahe war ihr schon ewig niemand mehr. Zumindest keiner, der sie nicht beleidigt oder sie bedrängt hat. Sie sieht zu Meran. Dieser scheint entweder besorgt oder verwirrt zu sein. Lilia seufzt genervt.

„Können wir dann mal? Je schneller wir wegkommen, desto schneller bin ich wieder zuhause.“ Schon lacht er wieder. Nun scheint er wenigstens nicht mehr so merkwürdig. Es passt nicht zu ihm, ernst zu sein. 

„Okay, lass uns aber nochmal kurz rein gehen. Ich muss noch Geld holen und dann können wir auch unsere Sachen abstellen.“ Lilia schluckt. Sie war schon lange nicht mehr bei jemand außerhalb ihrer Familie zu hause. Schon gar nicht bei einem Jungen. Sie zögert.

„Ich denke, ich warte lieber draußen.“ Meran verdreht die Augen und lacht. Er geht auf sie zu, packt sie am Oberarm und zieht sie mit sich zum Haus.

„Es ist keiner da, der dich auffressen könnte. Außer meinem Hund.“ Wie auf Kommando kläfft ein Hund hinter der Tür, als Meran gerade aufschließt. Lilia zuckt unwillkürlich zusammen. Sie hat eigentlich keine Angst vor Hunden. Der Gedanke in das Haus eines eigentlich Fremden Jungen zu gehen, macht ihr jedoch schon ein wenig Angst. Kaum ist die Tür offen, springt ein kleiner Mops an ihrem Bein hoch. Meran lacht kurz.

„Er scheint dich zu mögen.“ Sie sieht zu erst zu dem kleinen beigen Hund, dann wieder zu Meran. Dieser hat sich aber schon auf den Weg ins Innere des Hauses  gemacht. Hilflos schließt Lilia die Tür hinter sich und folgt ihm, bis sie in der Tür seines Zimmers stehen bleibt. Der kleine Hund ist ihr den ganzen Weg gefolgt. Doch kaum am Zimmer seines Herrchens angelangt, rennt er hinein und springt auf das Bett. Meran streichelt ihm kurz über den Kopf und holt sich einige Geldscheine aus einer Schublade. Diese bringt er dann in seinem Geldbeutel unter.

„Du kannst deine Tasche einfach da in die Ecke legen.“ Er zeigt neben die Tür und Lilia tut wie ihr gesagt. Sie holt jedoch noch ihr Handy, ihren Geldbeutel und ihre Zigaretten heraus. Als sie wieder aufsieht, bemerkt sie, wie Meran sie mustert.

„Was ist?“, fragt sie ihn, klingt unbeabsichtigt genervt. Er antwortet nicht, sondern geht zu seinem Kleiderschrank, holt etwas heraus und wirft es ihr zu.

„Falls es heute Abend kalt wird.“, erklärt er mit einem Lächeln im Gesicht. Lilia hätte ihm für diesen Ausdruck am liebsten geschlagen. Er sah in dem Moment aus wie einer dieser Highschool-Traumprinzen aus Fernsehserien und Filmen.  Erst jetzt schaut sie, was sie da eigentlich in der Hand hält. Eine Weste. Sogar Merchandise, von Suicide Silence. Sie grinst.

„Glaubst du echt, die bekommst du wieder?“, fragt sie ihn provokant. Er lacht und kommt auf sie zu.

„Na, das hoff ich doch für dich. Sonst nehm ich mir was von dir.“ Er stellt sich nahe vor sie und sieht ihr tief in die Augen. Ihr wird unwohl und sie geht einige Schritte zurück. Er lacht jedoch nur.

„Komm, wir gehen los.“ Er läuft wieder Richtung Haustür, Lilia und den Mops im Schlepptau.

„Pass auf das Haus auf, Haru!“, ruft er dem Hund noch zu, ehe er die Tür schließt. Lilia folgt ihm stumm zu seinem Auto. Steigt in den kleinen Wagen ein, schnallt sich an und sitzt steif da. Die ganze Situation ist ihr unangenehm.

„So, wo geht es denn jetzt hin?“ Meran sieht sie breit lächelnd an, startet den Wagen und wartet auf ihre Antwort. Sie denkt kurz nach, ehe ihr etwas einfällt.

„Erst einmal in die Stadt.“ Er nickt grinsend und startet den Wagen.

Kapitel 6

 

„Okay, da noch rechts und dann suchst du dir einfach einen Parkplatz.“

„Hier geht es nicht nach rechts.“ Lilia sieht stur weiter nach vorne.

„Das andere rechts.“, sagt sie leise, fast schon beschämt. Meran lacht nur.

„Also links.“ Sie meidet es, in seine Richtung zu sehen, starrt einfach aus dem Fenster. Sie mag die Stadt irgendwie nicht. Zu viele Menschen. Zu viele Leute die sie kennen und denen es Spaß macht sie fertig zu machen. Aber manchmal muss es eben sein. Meran parkt rückwärts auf einem Parkplatz ein und steigt aus.

„Warte kurz, ich hol‘ noch einen Parkschein. Und ja nicht weglaufen!“ Er schaut sie gespielt ernst an, lacht dann aber doch. Lilia verzieht nur den Mund. Sie bindet sich noch schnell die Haare wieder zu einem Zopf und steigt aus. Die Weste, die Meran ihr gegeben hat, trägt sie bereits. Natürlich mit hochgekrempelten Ärmeln. Ihre Sachen hat sie in den Taschen untergebracht.

Nachdem Meran den Parkschein in das Auto gelegt hat, führt sie ihn in die Stadt. Sie überlegt sich, wo sie denn als erstes hingehen sollten.

„Was denkst du denn so angestrengt nach?“, fragt Meran sie grinsend, doch sie sieht ihn nicht einmal an. Geht stur weiter.  Lässt ihn in seiner Unwissenheit schmoren. Meran beobachtet das grinsend.  Wortlos läuft sie auf einen kleinen Laden zu, ein Friseurartikelgeschäft. Sie öffnet die Tür und geht direkt zu den bunten Haarfarben.

„Hilf mir mal.“, sagt sie monoton und nimmt zwei der kleinen Dosen in die Hand. „Blau oder Violett?“

Er lacht auf und denkt kurz nach.

„Also ich finde das Rosa nicht schlecht.“ Lilia verdreht die Augen.

„Nicht sehr hilfreich.“, brummt sie und wendet sich von ihm ab. Sie denkt noch eine Weile nach, ehe sie eine der Dosen hinstellt und noch eine andere nimmt. Ohne ihm zu zeigen, für was sie sich entschieden hat, stellt sie sich vor ihn hin und streckt abwartend eine Hand aus. Meran schmunzelt. „Warum soll ich dir Geld für etwas geben, wenn ich nicht einmal weiß, was es ist?“, fragt er neckisch und Lilia verdreht nur die Augen.

„Du bist derjenige, der etwas mit mir unternehmen wollte. Also mach schon.“, entgegnet sie genervt und wartet geduldig, bis er ihr Geld gegeben hat. Dann geht sie an die Kasse, bezahlt und verlässt das Geschäft. Natürlich mit Meran im Schlepptau.

„Welche Farbe hast du denn jetzt genommen?“, fragt Meran lächelnd.

„Wirst du noch früh genug bemerken.“, meint sie nur abweisend und geht einfach weiter

Plötzlich bleibt sie kurz stehen. Schaut wie gebannt auf die andere Straßenseite. Lilia wird unwohl. Sie krallt sich in ihre Arme was einen zuckenden Schmerz durch ihren Körper schießen lässt. Sie will so schnell wie möglich weg.

„Was ist denn los?“, fragt Meran sie, gewohnt fröhlich. Sie murmelt nur ‚Nichts‘  und geht ohne ein weiteres Wort weiter. Dieses Mal jedoch etwas schneller. Sie redet, wie zuvor schon, nicht mit Meran und läuft einfach weiter.

Ihm macht das nichts aus. Es reicht ihm, ein wenig Zeit mit ihr verbringen zu können. Und ihr gesamtes Verhalten findet er ziemlich amüsant. Auch wenn es ihn ein wenig verwirrt hat, dass sie so abrupt stehen geblieben war.

„Komm schon!“ Lilias Ruf reißt ihn aus seinen Gedanken. Sie ist in eine kleine Seitengasse eingebogen und sieht ihn genervt an. Er lacht nur und folgt ihr wieder.

Sie schleift ihn noch durch ein paar Seitengassen, alle recht menschenleer, weg vom Zentrum der Stadt. Bis sie an ihrem Ziel angekommen ist.

Ein kleiner, unscheinbarer Laden, weg von den Menschenmassen in der Fußgängerzone, geradezu einsam in der Straße. Mit einem Lächeln auf den Lippen tritt sie ein. Der Ladenbesitzer begrüßt sie direkt. Der Laden ist zwar recht klein, doch er steht voll mit Regalen voller Manga und Comics. Lilia grüßt zurück und begibt sich auf ihre gewohnte Suche.

„Du kannst dich hinsetzen,  das dauert eine Weile.“, rät sie ihm netter Weise. Er lacht nur, beginnt sich jedoch selbst umzusehen. Lilia schaut kurz perplex auf. Es wundert sie, dass er solche Dinge mag. Sie hätte ihn so nicht eingeschätzt. Zu spät bemerkt sie, dass sie ihn anstarrt. Sie wird rot, als er sie dabei erwischt und wendet sich wieder dem zu, weshalb sie hergekommen ist.

„Wenn ich einen Zettel bekomm‘, weil die Parkzeit überschritten ist, zahlst du ihn.“, sagt Meran und lacht. Ihr Gesicht ist noch immer rot, weshalb sie es hinter ihren Haaren versteckt.

„Träum weiter.“, entgegnet sie, lächelt jedoch leicht.

Kapitel 7

Zufrieden läuft Lilia durch die Stadt. Glücklich ist sie nicht, das war sie schon lange Zeit nicht mehr. Doch sie ist zufrieden. Sie hat sich ein paar Sachen gekauft und musste nicht einmal Geld dafür ausgeben. Und hat dazu noch jemanden, der ihr ihre Tüten trägt. „Mach doch mal langsam!“, ruft Meran ihr zu, da sie schnellen Schrittes voran läuft. Sie dreht sich nur kurz um, streckt ihm die Zunge heraus und führt ihren Weg unbeirrt fort. Irgendwie fand Meran das ein wenig niedlich, weshalb er einfach ein bisschen schneller ging, bis er lachend zu ihr aufgeschlossen hat. „Und was hast du jetzt vor?“, fragt er sie lächelnd. Lilia zuckt nur mit den Schultern. „Ich hab das was ich wollte erledigt, also kannst du jetzt aussuchen.“, sagt sie und sieht zu ihm auf. Erst jetzt bemerkt sie, dass er sie ohne Pause ansieht, und wird deshalb leicht rot. Und dieses Mal konnte sie es nicht schnell genug verstecken. Ein breites Grinsen breitet sich auf Merans Gesicht aus. „Alles okay?“, fragt er sie schmunzelnd, nur um sie ein wenig zu ärgern. Das ist Lilia natürlich bewusst. Sie schlägt ihm gegen den Oberarm, sieht ihn böse an und läuft immer schneller. Lässt einen unecht jammernden Meran hinter sich zurück. Sie geht noch schneller, biegt in eine kleine, schmale Seitenstraße ein und geht stur weiter. Nun hat sie ihn vorerst los. Soll er sich doch verlaufen. Sie wird schon irgendwie nachhause kommen. Sie hält ihren Blick gen Boden gerichtet, achtet nicht auf ihre Umwelt, geschweige denn die Menschen, die an ihr vorbei gehen. „Ach, wen haben wir denn da?“ Lilia schreckt auf. Sie kennt die Stimme. Zu gut, genauso wie die Leute die vor ihr stehen. Matt, Jessica und Ryan. Vor einiger Zeit hatte sie immer mal wieder was mit ihnen zusammen unternommen. Waren so etwas wie Freunde. Sie hatten gleiche Interessen, denselben Musikgeschmack, ähnliche Kleidungsstile. Sie wollte schnell an ihnen vorbei gehen, doch Jessica packt sie am Oberteil und drückt sie gegen die Wand des Hauses hinter ihr.„Wo willst du denn so schnell hin, hn?“, fragt sie hämisch lachend und Lilia schaut nur zur Seite. „Was wollt ihr?“, fragt sie leise, monoton. Ryan tritt lachend an sie heran. „Ach nichts, wir wollten nur sehen wie’s der kleinen Prinzessin so geht.“, grinst er sie an. Lilia blickt wütend zu ihm auf.„Nenn‘ mich nicht so.“ Dieses Mal klingt ihre Stimme kräftiger, stärker. Sie wollte weg. Einfach nur weg von ihnen. Von ihren ehemaligen ‚Freunden‘. Tränen sammeln sich schon in ihren Augen an, doch sie konnte hier nicht anfangen zu weinen. Nicht vor denen. Sie versucht Jessicas Hand wegzuschlagen, doch noch bevor sie sie berührt, fängt Matt ihre Hand ab. Hält ihr Handgelenk fest. Lilia schreit leise auf. Das bemerken sie. Schnell zieht Matt den Ärmel der Weste hoch, entfernt das Tuch das um ihr Handgelenk gebunden ist. Sie will sich losreißen, aber sie schafft es nicht. Alleine gegen zwei kommt sie einfach nicht an. Ryan fängt an zu lachen, als er ihren vernarbten, verschnittenen Unterarm sieht. „Was bist du doch für ein jämmerliches Prinzesschen.“ Jessica und Matt stimmen in sein Lachen ein. Lilia windet sich im Griff der beiden, als Jessica beginnt über die noch relativ frischen Wunden zu Kratzen und sie wieder aufzureißen. „Lasst los, lasst mich!“, wimmert Lilia, doch ihre ‚Freunde‘ lachten sie nur aus. „Geschieht dir recht“, zischt Jessica und grinst sie spöttisch an. Reißt weiterhin die Wunden auf. Lilia schließt die Augen. Sie wünscht sich einfach nur, dass es vorbei ist, dass sie weg von ihnen ist. Plötzlich sind der Druck und der Schmerz weg, ihr Arm fällt schlaff herab. Überrascht öffnet sie die Augen. Und ist zum ersten Mal froh, Meran zu sehen. Er steht mit dem Rücken zu ihr gewendet vor ihr. „Verschwindet.“ Noch nie klang seine Stimme so ernst und wütend. Lilia zuckt leicht zusammen als sie diesen Tonfall hört. Er passt absolut nicht zu ihm. Sie beugt sich leicht zur Seite, schaut an Meran vorbei, da er ihr die Sicht versperrt hatte. Matt hält sich die Nase, zwischen seinen Fingern quillt Blut hervor. Und auf Jessicas Wange kann man deutlich rote Striemen, die nach Fingern aussehen, erkennen. Ryan sieht Meran einfach nur wütend an. Blickt dann jedoch an ihm vorbei zu Lilia. „Hast dir ein nettes Wachhündchen angelacht, Lilia. Willst du ihn auch in den Tod treiben, wie Casey?“ Lilias Gesichtszüge erstarrten. Wut kocht in ihr auf. Sie geht an Meran vorbei und schlägt Ryan mit der flachen Hand ins Gesicht. Es schallt durch die Seitenstraße und sein Kopf wird heftig zur Seite gedreht. Seine Wange ist an einer Stelle aufgeplatzt und blutet.„Das ist nicht wahr!“, schreit sie ihn an. Merans überraschten Blick bemerkt sie nicht. Ryan dreht den Kopf zurück, beugt sich näher zu ihr herab. „Doch. Und das weißt du genau.“, wispert er und beginnt zu lachen. „Kommt Leute, lassen wir die Kleine mal in Ruhe. Vorerst.“ Sie gehen weiter, verlassen die Gasse. Als sie aus Lilias Blickfeld verschwunden sind, sackt sie auf ihre Knie herab. Beginnt unregelmäßig zu atmen. Sie kann nicht mehr. Und sie will auch nicht mehr. Sie will nur noch weg. Nur am Rande bemerkt sie, wie Meran sich zu ihr herab beugt. In seiner Hand hält er ihr Tuch und bindet es vorsichtig um ihr blutendes Handgelenk. Er sagt nichts. Redet kein Wort. Stellt keine Fragen. Bleibt einfach stumm bei ihr. Nach einer Weile, als sie sich beruhigt hat, hilft er ihr wieder auf die Beine. Sie klammert sich an seinem Arm fest, versteckt das Gesicht hinter ihrem Pony. „Tut mir leid… und danke.“, nuschelt sie. Leise. Schwach. Meran schüttelt leicht den Kopf. Er legt seine Hand an ihre Wange, zwingt sie ihn anzusehen.„Hey, alles ist ok.“ Er wischt ihr mit dem Daumen eine Träne weg. „Komm, wir gehen was essen.“ Lilia nickt nur. Sie ist froh, dass er keine Fragen stellt. Zumindest im Moment nicht. Irgendwann wird er es aber doch wissen wollen. Was das war. Und vor diesem Moment hat sie Angst. 

Kapitel 8

Schweigend sitzen sie in einem kleinen Fastfood-Restaurant etwas abseits der Stadt. Lustlos und mit kaltem Blick kaut Lilia auf ihren Pommes herum. Meran betrachtet das mit mitleidigem Blick. Doch er lässt sie. Er kann sie nicht dazu zwingen, mit ihm zu reden. Es ihm zu erzählen oder gar glücklich und froh zu sein.

Nach einer Weile schiebt Lilia die Pommes von sich weg, stützt die Ellenbogen auf den Tisch und sieht desinteressiert aus dem Fenster.

„Redest du etwa nicht mehr? Nicht, dass ich ein Problem damit hätte." Meran verzieht bei ihren Worten leicht den Mund. Ihr Tonfall gefällt ihm nicht. Sonst redet sie eher genervt, wütend und abweisend mit ihm. Nicht so gleichgültig und monoton. Vollkommen gefühllos. Er versucht sich nichts anmerken zu lassen.

„Doch, hab nur gewartet bis du dich wieder gefangen hast." Er versuchte ein seiner Stimme einen neckenden Ton zu verleihen, wie er ihn immer benutzt. Doch er versagt kläglich. Um Lilia zu täuschen reicht es aber trotzdem aus. Energisch dreht sie den Kopf zu ihm, schaut ihn hasserfüllt an.

„Mir geht's super!", behauptet sie. Eine glatte Lüge, die ihr niemand abkaufen würde. Wieder verzieht Meran den Mund. Dieses Mal sieht sie es und schaut ihn leicht verwundert an. Sie kennt diesen Gesichtsausdruck nicht. Besorgt, mitleidig und fast ein bisschen... wütend.

 

Was sie aber noch mehr verwirrt, ist die Reaktion ihres Körpers. Ihr Herz schlägt schneller, Blut schießt ihr in den Kopf und ihr Atem geht unregelmäßig. Schnell sieht sie weg. Was war das? Für einen kurzen Moment, fand sie, er sieht hübsch aus. Mehr als das. Wunderschön. Und sie wollte sein Lachen sehen, nicht den Gesichtsausdruck, mit dem er sie gerade mustert. Plötzlich war ihr das alles unangenehm.

„Alles ok?" Meran legt seine Hand auf ihren Oberarm, sie zuckt zurück. Versteckt ihr Gesicht hinter ihrem Pony, sieht ihn jedoch durch ihre Haare hindurch an.

„Ja.", sagt sie leise, ihre Stimme zittert. Ungewollt. Sie versteht nicht was mit ihr los ist. Merans Mundwinkel ziehen sich langsam wieder nach oben. Er steht auf, geht zu ihr herüber und beugt sich zu ihr herunter, bis seine Lippen fast ihr Ohr berühren.

„Du siehst irgendwie niedlich aus. Lass uns heimfahren." Mit hochrotem Kopf schreckt Lilia zurück, sieht ihn geschockt an. Meran kichert leise und hält ihr seine Hand hin. Etwas unsicher ergreift sie sie und er zieht sie auf die Beine. Gemeinsam verlassen sie das Restaurant und begeben sich zum Auto.

 

„Ich denke mal, du willst dann direkt nach Hause verschwinden, oder?", fragt Meran mit einem Lächeln in der Stimme. Sie fahren gerade in die kleine Stadt - oder das „Kaff", wie Lilia es liebevoll nennt - hinein, in der sie wohnen. Lilia mustert ihn überrascht. Die ganze Fahrt über hatten sie kein Wort gesprochen. Doch was sie am meisten wundert, er hatte ihr nicht eine Frage gestellt.

„Warum?" Sie sieht ihn verständnislos an, mustert ihn verwirrt. Er bekommt das nur nebenbei mit. Schließlich muss er sich auf das Fahren konzentrieren. Schnell bemerkt Meran, das ihre Frage keinerlei Bezug zu dem hatte, was er sagte.

„Was meinst du?"

„Du hast gar nichts gefragt. Wegen vorhin.. naja, du weißt schon." Lilia wendet ihren Blick ab, schaut stattdessen aus ihrem Fenster. Betrachtet die vorbeiziehenden Häuser und Bäume.

„Weil es deine Sache ist. Und ich warte, bis du es mir von dir aus erzählen willst." Schnell wendet sie ihren Kopf wieder Meran zu, sieht aber nur wie er seinen Blick wieder auf die Straße richtet. Ein Lächeln liegt auf seinen Lippen. Doch es erreicht seine traurig wirkenden Augen nicht. Er wirkt fast schon besorgt. Irgendwie findet sie das unheimlich süß. Unbewusst will sie die Hand nach ihm ausstrecken, bemerkt es aber noch rechtzeitig und zieht sie wieder zu sich hin. Mit hochrotem Kopf sitzt sie da und starrt auf ihre Knie. So verweilt sie den Rest der Fahrt.

Bei Meran angekommen, holt sie schnell ihre Sachen und will dann direkt nach Hause.

 

"Mach nichts Dummes." Sie nickt, schaut ihn jedoch nicht an und Meran gibt ihr widerwillig den Schlüssel. Besorgt sieht er ihr hinterher, während sie nachhause geht. Erst als sie um die Ecke des Hauses verschwindet, geht auch er wieder ins Haus.

 

Als sie vor ihrer Tür steht, überlegt sie kurz, ob sie überhaupt schon nachhause möchte. Eigentlich will sie das nicht. Aber sie kann jetzt auch nicht einfach so wieder zu Meran gehen. Sie schüttelt kurz ihren Kopf. An was denkt sie da nur? Seufzend schließt sie die Haustür auf, geht geradewegs in ihr Zimmer, wo sie ihre Sachen einfach in eine Ecke wirft. Nachdem sie sich ein altes Shirt angezogen hat, geht sie mitsamt der Tüte des Friseurgeschäfts ins Bad. Sie braucht etwas zur Ablenkung, warum also nicht einfach ihre Haare neu tönen?

Kapitel 9

Mit frisch getönten, hellblauen Haaren liegt sie in ihrem Bett. Starrt schon eine gefühlte Ewigkeit auf den Zettel mit Merans Handynummer. Sie hatte ihn wieder aus dem Müll gefischt. Sollte sie ihm schreiben? Oder ihn sogar anrufen? Mit diesen Gedanken kämpft sie schon eine Weile. Was soll sie nur tun? Sie wälzt sich hin und her. Weiß nicht was mit sich anzufangen. Schließlich entscheidet sie sich. Sie will nicht daheim herumsitzen. Sie will raus, an die frische Luft. Doch nicht alleine.
Schnell tippt sie Merans Nummer in ihr Handy, speichert sie und schreibt eine Nachricht.
'Hey, hier Lilia. Bist du gerade beschäftigt?' Sie zögert kurz, drückt dann aber doch auf 'Senden'. Gerade als sie ihr Handy weglegen will, vibriert es schon.
'Hey! Ne, langweile mich nur, warum? (:' Lilia atmet tief durch. Jetzt oder nie.
'Möchtest du noch ein wenig mit mir raus?' Dieses Mal kommt die Antwort noch schneller.
'Klar! Jetzt sofort?' Ungewollt huscht ein Lächeln über Lilias Gesicht.
'In 5 Minuten bei mir.' Mit klopfendem Herzen lässt sie sich entspannt ins Bett fallen. Doch plötzlich fällt ihr etwas ein. Sie hat noch immer das Shirt an, das sie beim Haaretönen anhatte. Schnell springt sie aus dem Bett, kramt irgendwas tragbares aus ihrem Schrank und zieht es an. Kaum hatte sie das geschafft, klingelte es schon an der Tür. Hastig reißt sie ihre Zimmertür auf.
"Ich geh schon!", ruft sie nach draußen, schlüpft in ihre Schuhe und schnappt sich noch irgendeine Weste. Schnell noch Zigaretten, Feuer und Handy in die Tasche gesteckt und schon geht sie zur Tür. Sie richtet noch kurz ihre Haare, damit sie nicht so wirkt als hätte sie sich beeilt. Sie öffnet, nachdem sie kurz durchgeatmet hat, die Tür Und tritt heraus.

Nichts.
Sie starrt in einsame Leere. Will er sie verarschen? Sie will schon wieder ins Haus gehen und die Tür zuschlagen, da hört sie ein ihr nur zu bekanntes Lachen neben sich. Sie schaut in die Richtung, von der es kam. Meran lehnt lässig an der Wand neben der Tür. Sie muss fast die Augen zusammenkneifen, weil er genau vor der untergehenden Sonne steht. Kurz lacht Lilia auf. Wie klischeehaft. Der Traumprinz wird vom Schein des Sonnenuntergangs eingehüllt und das Mädchen verliebt sich unsterblich in ihn. Aber nicht. bei ihr.
"Was schaust du denn so mürrisch?" Meran grinst sie breit an. Er tritt zu ihr, sodass er nur wenige Zentimeter vor ihr steht und streckt die Hand nach ihr aus. Aus Reflex kneift Lilia die Augen zu und zieht den Kopf leicht ein. Doch Meran greift sich nur ein paar Strähnen ihrer Haare und lässt sie zwischen seinen Fingern hindurchgleiten.
"Sieht super aus.", meint er lächelnd und bringt Lilia damit in Verlegenheit. Gewollt.
"D-Danke", stammelt sie. Spielt mit einer Strähne ihrer Haare und schaut auf den Boden. Bis ihr klar wird, was sie da eigentlich tut. Schlagartig sieht sie Meran wütend an, weshalb dieser nur kichern muss.
"Also, was machen wir jetzt?", grinst er fast schon provokant. Lilia schüttelt kurz ihren Kopf um ihre Haare zu richten und dreht ihm den Rücken zu.
"Halt einfach die Klappe und komm mit."Obwohl ihr Tonfall genervt ist und sie Meran gegenüber ja keine Sympathie zeigen will, hat sie ein Lächeln im Gesicht. Und das will sie um jeden Preis vor ihm verbergen.

Kapitel 10

Sie sitzen nun schon eine ganze Weile an Lilias Lieblingsplatz. Eine Bank am Rande des Waldes, auf der Spitze eines Hügels. Sie sitzt gerne da, schaut auf die Stadt herab und lässt ihre Gedankenschweifen. Es ist ihr eigener, geheimer Platz. Doch nun teilt sie ihn mit Meran. Sitzen entspannt auf der Bank und rauchen, während sie die Lichter der Stadt betrachten, die die Dunkelheit erhellen.
Sie reden nicht, hören allerdings gemeinsam laut Musik. Ganz praktisch, dass sie den gleichen Musikgeschmack haben. Immer wieder spürt Lilia Merans Blick auf ihr liegen, aber sie sagt nichts. Lässt es einfach geschehen und ignoriert es.
"Komm schon, rede mit mir.", jammert Meran plötzlich. Als sie ihn ansieht, hätte sie fast angefangen zu lachen, weil er einen Schmollmund gezogen hat. Doch sie beherrscht sich. Auch wenn es ihr schwer fällt.
"Worüber denn?", fragt sie und macht die Musik etwas leiser. Meran denkt kurz nach, bevor er antwortet.
"Vielleicht warum du mit mir hierher wolltest?" Er sieht sie neugierig, fast schon aufgeregt an. Lilia wird rot, doch das konnte er im Dunkeln zum Glück nicht wirklich sehen. Warum hatte sie ihn eigentlich gefragt? Das ist auch ihr ein Rätsel. Also erfindet sie einfach schnell was.
"Hatte keinen Bock alleine hier zu hocken.", lügt sie und starrt stur auf die Stadt. Meran gibt sich mit der Antwort zufrieden und lächelt breit.
"Also denkst du als erstes an mich, wenn du mit jemandem etwas unternehmen willst!", sagt er freudig, doch seine Freude wird eiskalt zunichte gemacht.
"Ne, ich hab nur keine Freunde.", gibt Lilia monoton zurück.

"Sollen wir solangsam heim? Es wird echt kalt." Verwundert sieht Lilia ihn an. Ihm wird noch vor ihr kalt? Und sie dachte schon sie wäre verfroren. Ungewollt entweicht ihr ein leises Lachen, was Meran zu einem breiten Grinsen veranlasst. Hektisch dreht sie ihren Kopf weg und starrt in die Dunkelheit des Waldes neben ihr.
"Ich hab keine Lust schon nachhause zu gehen.", sagt sie leise. Das will sie wirklich nicht. Was will sie da? Alleine rumhocken und sich langweilen. Schlimmstenfalls würde sie sich verletzen, wenn es sie plötzlich überkommt. Aus dem Augenwinkel sieht sie wie Meran auf steht und ihr eine Hand hinhält.
"Dann komm noch mit zu mir!", sagt er so enthusiastisch, dass Lilia ihn am liebsten geschlagen hätte. Sie seufzt, denkt nach. Warum sollte sie nicht? Besser als nachhause zu gehen. Oder? Und sie kann noch Zeit mit ihm verbringen. Sie schüttelt den Kopf. Was denkt sie da nur? Sie macht das nur zur Prevention, damit sie sich nicht verletzt und damit sie sich nicht langweilt. Sonst nichts. Keine weiteren Gründe.
Sie versucht sich nichts anmerken zu lassen und zuckt mit den Schultern.
"Warum nicht...", murmelt sie desinteressiert und greift seine Hand. Plötzlich zieht Meran sie eng zu sich heran, beugt seinen Kopf zu ihrem herab und sieht ihr in die vor Schreck weit aufgerissenen Augen. Ihr Atem stockt, als sie bemerkt, das sie nur wenige Millimeter voneinander trennen. Sie kann sogar seinen Atem auf ihren Lippen spüren. Das Blut schießt ihr in den Kopf, während Meran sie intensiv ansieht.
"Hast du keine Angst davor, dass ich etwas mit dir anstellen könnte?", fragt er provokant. In dem Moment weicht all die Scham in ihr der aufkommenden Wut. Grob reißt sie ihm ihre Hand weg und schlägt ihm mit der Faust auf den Brustkorb.
"Du Idiot! Jetzt komm oder ich überlegs mir anders!" Wütend stapft sie voraus, während Meran nach Luft ringend, aber doch leicht lachend, hinter ihr her trottet. Ihr Gesicht ist noch immer warm und vermutlich leuchtend rot. Ihr Herz schlägt unregelmäßig und viel zu schnell. Was soll das?

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Tag der Veröffentlichung: 02.03.2014

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