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Prolog


Schon seit einer Weile plant meine Klasse einen Ausflug, so als Abschluss der Klasse. Natürlich freut sich jeder darauf. Noch nie haben wir einen Ausflug mit der gesamten Klasse gemacht. Selbst ich warte schon begeistert, bis es soweit ist. Doch zum Glück dauert es nicht mehr lange. Morgen früh beginnt unser dreitägiger Ausflug. Das heißt so viel wie, drei Tage ohne meine Eltern, Aimi und Daichi, die immer wollen, dass ich irgendetwas für sie erledige. Drei Tage ohne meine kleine Schwester Tami, die mich immer dazu zwingen will, eines ihrer Kinderspiele mit ihr zu spielen. Ich denke kein 17-Jähriger würde das wirklich toll finden. Aber am besten ist es immer noch: drei Tage keine Schule. Ein Traum. Vor allem für einen Schüler wie mich, der es gerade so schafft versetzt zu werden. Ich war aber noch nie wirklich gut in der Schule. In der Grundschule schon, aber da ist alles auch viel einfacher. Auf der Shoundai-Hochschule ist es dann doch wieder ganz anders. Der einzige Nachteil ist, dass ich mit meiner ganzen Klasse zusammen bin. Ich war noch nie wirklich beliebt. Die meisten wollen nichts mit mir zu tun haben, weil sie mich für merkwürdig oder unheimlich halten. Warum habe ich nie erfahren. Ich habe nie etwas getan, das sie dazu veranlassen könnte, doch das ist mir eigentlich auch relativ egal. Da fällt mir ein, ich rede die ganze Zeit über diesen Ausflug und habe dabei nicht einmal erwähnt, wer ich den bin. Mein Name ist Takeshi Yoshida. Mit meiner Familie wohne ich in Shinshuku, einem Stadtviertel Tokyos. Meine Eltern sind eigentlich wirklich nett, nur manchmal ein wenig aufdringlich. So ist es zum Beispiel oft der Fall, dass sie mich darüber ausfragen, welches Mädchen aus der Schule mir denn gefällt, ob ich denn schon eine Freundin habe oder ob ich verliebt bin. Wobei das eher Themen sind, die mein Vater anspricht. Bei meiner Mutter geht es hauptsächlich um die Schule. Sie war noch nie mit meinen Noten zufrieden. Schon gar nicht mit meiner Sportnote. Sie war, als sie noch zur Schule ging, eine Spitzensportlerin, vermutlich die Beste der Schule. Da findet sie es natürlich enttäuschend, dass ihr Sohn so unfähig in nahezu jeder Sportart ist. Und wenn sie sich mal nicht über schulische Dinge beschwert, nörgelt sie an meiner Erscheinung herum. Gegen meine Haar- und Augenfarbe kann sie nichts haben, sie hat selbst genauso tiefrote Haare und merkwürdig grüne Augen wie ich. Allerdings hat sie etwas dagegen, dass ich meine Haare schulterlang trage. Sie sagt dann immer, das wäre unmännlich, aber das ist mir egal. Doch ich glaube, ihr geht es vermutlich mehr darum, dass ich so dünn bin. Deshalb zwingt sie mir auch immer wieder mehr Essen als nötig auf. Ich esse nun mal nicht viel, doch dass akzeptiert sie einfach nicht. Aber da kann ich ja nichts machen. So ist mein Leben nun mal und ich bin eigentlich auch recht zufrieden damit.

Der Vertrag


Hier stehe ich nun. Völlig alleine. Meine Klasse liegt auf dem Feld verstreut. Jeder von ihnen vollkommen in Fetzen gerissen. Genau vor meinen Füßen liegt der Kopf meines ehemaligen Sensei. Ich starre mit vor Schreck geweiteten Augen in seine leeren Augenhöhlen. Dieses Monster hatte ihm einfach so die Augen herausgerissen und gefressen. Meine Tränen tropfen auf seine farblosen Wangen.
„Nein…“, murmle ich kaum hörbar vor mich hin. Mir gegenüber ertönt ein fast schon belustigtes Grummeln. Ruckartig hebe ich den Kopf. Sehe das Monstrum vor mir an.
Hilflos stehe ich einem unbesiegbaren Gegner gegenüber. Wurde einfach so zum Sterben zurückgelassen. Warum greift es nicht an? Es wäre ein Leichtes für dieses Ding mich zu töten.
Langsam schließe ich die Augen. Will dieses blutrünstige Wesen nicht mehr sehen. Längst vergangene Tage und Erlebnisse ziehen vor meinem inneren Auge vorbei. Allerdings nur die schönen, die ich am meisten liebe. Die Zeit mit meinen wenigen Freunden, meiner Familie, meiner Klasse. Nach einer Weile öffne ich meine Augen wieder. Sehe zu meinem Gegenüber.
„Na los, worauf wartest du?“, frage ich es leise. Ich weiß, dass es meine Sprache versteht. Auf Sensei Satos Worte hatte es auch reagiert. Es legt den Kopf leicht schief, als würde es nicht verstehen, was ich meine. Vermutlich ist es nicht gewohnt, dass man sich weder wehrt, noch flieht. Schließlich ist es wirklich ungewöhnlich. Doch ich weiß, wann ich keine Chance mehr habe. Und genau jetzt ist dieser Zeitpunkt gekommen.
„Nicht so voreilig, mein Freund.“ Erschrocken drehe ich den Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kam. Ein junger Mann ist am Ende des Schlachtfelds aufgetaucht und geht mit langsamen, eleganten Schritten auch mich und das Monster mir gegenüber zu. Seine schwarzen, kinnlangen Haare fallen ihm ins Gesicht, verdecken fast seine merkwürdigen Augen. Neugierig betrachte ich seine verschiedenfarbigen Seelenspiegel. Sein linkes Auge ist blau wie das Meer, das rechte jedoch rot wie Blut. Es ist zugegebenermaßen ein unglaublich faszinierender Kontrast. Ich tue mir schwer damit, meinen Blick von ihnen zu wenden. Er ist inzwischen fast bei mir angekommen und tritt gerade den Oberkörper einer meiner ehemaligen Klassenkameradinnen beiseite. Ich ziehe scharf die Luft ein. Wie kann man nur so respektlos gegenüber den Toten sein! Ein belustigtes Lächeln stiehlt sich auf sein makelloses Gesicht. Mistkerl, geht es mir durch den Kopf. Allerdings ein gutaussehender Mistkerl, meldet sich eine Stimme in meinem Hinterkopf. Sie hat Recht. Doch ich kann nichts daran ändern, wie er die leblosen Körper behandelt. Ich war noch nie stark genug, um es mit irgendjemandem aufzunehmen. Auch an Intelligenz scheint es mir jeher zu mangeln und das gebe ich auch gerne zu. Ein Wunder, dass ich trotz meiner schlechten Noten die zehnte Klasse geschafft habe und nun in der elften bin. Ein Fluch, dass ich deshalb mit auf diese Klassenfahrt konnte. Keiner meiner Mitschüler hätte sich heute Morgen, als wir uns von unseren Familien verabschiedet hatten, erahnen können, dass wir nicht mehr nachhause kommen werden. Das diese Fahrt, die eigentlich jeden erfreut hat, in einem Blutbad endet.
Durch eine leichte Berührung an der Schulter werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Stumm sehe ich den Fremden an. Das Monstrum hinter ihm beachtet er gar nicht. Eigentlich unglaublich, da diese hässliche, riesige Kreatur mit ihren scharfen Klauen, dem wilden Haar, der roten Haut und den beiden Hörnern ein wahrer Blickfang ist. Ein gewöhnlicher Oni*. Nun ja, wenn man bedenkt, dass es ihn gar nicht geben sollte.
„Takeshi Yoshida, habe ich Recht?“, sagt der Fremde plötzlich und ich sehe ihn verständnislos an. woher kennt er meinen Namen? Er lacht kurz auf, als er meinen Gesichtsausdruck sieht. Ein tiefer Laut. Fast schon angenehm. Anziehend.
„Wer bist du? Und woher weißt du, wie ich heiße?“, frage ich ihn ungerührt. Er grinst mich jedoch nur an. Der Oni hinter seinem Rücken wird langsam ungeduldig. An seinen Fangzähnen klebt noch immer das Blut meiner Klassenkameraden. Ich schlucke hörbar. Fast wäre mir wirklich mein Frühstück wieder hochgekommen. Das Monster tritt von einem Fuß auf den anderen, bis der Fremde sich umdreht.
„Verschwinde, hier gibt es nichts mehr für dich zu holen!“, sagt er genervt zu dem Oni. Dieser verschwindet, zu meiner Verwunderung, murrend im Wald. Meine Augen weiten sich. Wieso gehorcht dieses Monster einem einfachen Jungen? Oder ist er vielleicht gar kein Mensch? Vermutlich ist er noch ein schlimmeres Monstrum als der Oni, der meine gesamte Klasse zerfleischt hat. Aufmerksam sehe ich den Fremden nun wieder an. Er seufzt.
„Ich bin als Akuma no Musuko bekannt. Aber du kannst auch einfach Akuma zu mir sagen.“, sagt er mit einem Schulterzucken. Akuma no Musuko. Sohn des Teufels. Na ganz toll. Ich glaube, da wäre ich mit diesem Oni besser dran gewesen. Der hätte mich wenigstens schnell getötet.
„Und woher kennst du meinen Namen?“, harke ich erneut nach. Ich kann es auf den Tod nicht ausstehen, wenn man meine Fragen einfach so übergeht. Wieder grinst er mich so merkwürdig an.
„Das ist mein Job. Ich muss die Namen aller Menschen, die in die Hölle kommen, kennen.“ Ich sehe ihn geschockt an. In die Hölle? Was habe ich denn getan? Ich habe nie gesündigt, also warum sollte ich es verdienen, ins ewige Fegefeuer geworfen zu werden?
„Warum?“, frage ich leise. Meine Stimme klingt schwach und verzweifelt. Akuma beginnt jedoch einfach zu lachen.
„Weißt du es etwa nicht?“, stellt er die Gegenfrage. Ich schüttle verwirrt den Kopf. Was kann er nur meinen?
„Dann haben deine Eltern es dir wohl verschwiegen. Du solltest eigentlich einen Zwillingsbruder haben. Doch noch vor eurer Geburt hast du ihn im Leib eurer Mutter umgebracht.“ Mir klappt der Mund auf. Ich habe… was? Aber, das hätten meine Eltern mir doch gesagt! Warum sollten sie so etwas siebzehn Jahre lang verschweigen? Ich sehe ihn fragend an. Will nur noch einmal sichergehen, dass er mich nicht zum Narren hält. Doch ich erkenne nichts in seinen Augen oder seinem Verhalten, dass auf eine Lüge hinweist. Ich sinke auf die Knie, falle vornüber und stütze mich nur noch mit den Händen vom Boden ab. Mein Gesicht ist nur wenige Zentimeter über dem meines toten Sensei, doch das kümmert mich nicht. Mein Leben war schon vor meiner Geburt verflucht. Ich kann nichts gegen mein Schicksal tun. Es ist mir unmöglich, es zu verhindern in die Hölle zu kommen. Akuma stöhnt genervt auf.
„Ach komm, so schlimm ist das doch ni-“ Er will noch weiterreden, doch ich unterbreche ihn, indem ich mich ruckartig aufsetze und hasserfüllt zu ihn hochstarre.
„Du hast doch keine Ahnung! Also halt lieber die Klappe!“, brülle ich ihn an. Tränen der Verzweiflung stehlen sich aus meinen Augenwinkeln und gleiten meine Wangen hinab. Noch bevor ich reagieren kann, beugt Akuma sich zu mir herunter und leckt eine Träne von meiner Haut. Geschockt sehe ich ihn an.
„Was soll der Mist?!“ Er kichert nur vor sich hin. Ihn scheint das sehr zu amüsieren, allerdings auf meine Kosten.
„Ich wollte nur testen, ob es stimmt, dass menschliche Tränen salzig schmecken.“, antwortet er endlich und ich sehe ihn verständnislos an.
„Und das musstest du bei mir ausprobieren? Während wir auf einem Feld mit den verstreuten Gliedmaßen meiner Klasse sind?!“, gehe ich ihn gereizt an. Ich versuche erst gar nicht meine Wut zu verstecken. Er soll sie ruhig sehen. Ich kann fast schon beobachten, wie ihm ein Licht aufgeht. Er legt mir beide Hände auf die Schultern und bevor ich die Chance hatte, ihn wegzustoßen, durchfährt ein stechender Schmerz meinen gesamten Körper. Ich kneife reflexartig die Augen zu und als ich sie wieder öffne, befinden wir uns an einem vollkommen anderen Ort. Er hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit der Lichtung, auf der wir eben noch standen. Hektisch sehe ich mich um, doch überall ist dasselbe. Wir stehen inmitten einer trockenen Einöde. Keine Pflanzen weit und breit, geschweige denn Wasser. Der graue Himmel scheint schwer auf uns zu lasten.
„Ist es hier besser?“, fragt Akuma fast schon hoffnungsvoll und macht eine präsentierende Geste mit den Armen. Ich sehe ihn nur mit hochgezogener Augenbraue an. Mein rechtes Auge scheint leicht zu zucken.
„Was soll denn daran besser sein? Du hast mich nur von meiner Klasse getrennt!“, schreie ich ihn aufgebracht an. Ich meine, was soll der Unsinn?
„Du sagtest doch aber, dass es auf dem Feld mit den Leichen nicht angebracht ist, etwas auszuprobieren!“, brüllt Akuma zurück.
Ich springe auf die Füße und balle meine Hände zu Fäusten. Wütend starre ich in seine Augen, ebenso wie er in die Meinen. Als ich mich nach einiger Zeit langsam wieder entspanne, beginnt er zu kichern. Augenblicklich steht mein Körper wieder unter Spannung.
„Was ist so witzig?!“, presse ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Sein Kichern verebbt und er sieht mir belustigt entgegen.
„Nur, dass du denkst du könntest gegen mich ankommen.“, antwortet Akuma und grinst mich an. Einen Moment lang habe ich wirklich mit dem Gedanken gespielt, gegen ihn zu kämpfen. Aber ich hätte sowieso keine Chance gehabt, deshalb habe ich diese Idee gleich wieder verworfen.
„Was willst du von mir?“, frage ich ihn, noch immer vollkommen angespannt, jedoch etwas ruhiger. Diese Frage brennt mir schon seit seinem Auftauchen auf der Seele. Wenn er nur hier ist, um mich mit in die Hölle zu nehmen, warum ließ er mich dann nicht einfach von dem Oni töten? Ich verstehe es nicht. Er sieht mich lächelnd an. Es hat keinerlei belustigtes an sich, es wirkt eher so als wolle er mich zu irgendetwas bewegen. Mich überreden etwas zu tun.
„Ich möchte dir einen Deal vorschlagen.“, sagt er knapp und wartet meine Reaktion ab. Ich sehe ihn nur auffordernd an. Er soll ja schließlich weitersprechen. Er beginnt um mich herum zu laufen. Mich einzukreisen wie ein Löwe es mit seiner Beute tut.
„Weißt du, mein Vater beschwert sich andauernd, dass so viele Sünder auf der Erde leben. Und da ich für den Übergang von Leben zum Tod verantwortlich bin, würde ich ihm gerne helfen. Mein Problem ist nur, ich selbst bin nicht in der Lage Menschen zu töten. Und da kommst du ins Spiel, Takeshi.“ Ich ziehe skeptisch eine Augenbraue hoch. Falls er die Wahrheit sagt, kann er mir zwar nichts antun, aber von hier komme ich trotzdem nicht weg.
„Lass mich raten, ich soll die Drecksarbeit machen?“ Eigentlich habe ich die Frage keines Falls ernst gemeint, aber Akuma überhört den Sarkasmus gekonnt und nickt heftig.
„Genau, so ist es! Du würdest zu einem Dämon werden und die Menschen, die du aufgetragen bekommst, umbringen. Also…?“ Er sieht mich wartend an, lächelt bittend. Ich lasse mir das Ganze einmal durch den Kopf gehen. Eigentlich brauche ich das nicht zu tun, schließlich kann er mir nichts anhaben.
„Ich werde das nicht tun. Und du kannst mich ja auch nicht dazu zwingen, Akuma.“, sage ich ihm und zucke mit den Schultern. Ein fiese Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus Er wirkt unheimlich einschüchternd auf mich, wenn er mich so ansieht.
„Und ob ich dich zwingen kann! Ich selbst kann dir zwar nichts antun, doch ich habe ein ganzes Repertoire an Monstern, die das gerne übernehmen würden!“ Er schnippt nur einmal mit den Fingern und schon haben sich unzählige Yokai um uns herum versammelt. Deshalb also diese Einöde. Hier haben genug von diesen Ungetümen Platz. Ich zucke bei jedem noch so kleinen Geräusch zusammen. Weiche vor jedem, der mir zu nahe kommt zurück. Sie beginnen alle auf mich zu zukommen. Akuma kann ich schon nicht mehr sehen.
Ich schreie schmerzerfüllt auf, als einer der Yokai seine Zähne in meinen Arm schlägt, ein anderer reißt mit seinen Klauen die Haut an meinem rechten Bein in Fetzen. Immer mehr stürzen sich auf mich. Zerren an meinen Gliedmaßen. Ich schreie ununterbrochen, der Schmerz ist einfach zu stark. Doch ich versinke nicht in die mir gewünschte Bewusstlosigkeit, oder gar sterbe. Selbst dann nicht, als eines dieser Monster meinen linken Arm nun endgültig von meinem Körper getrennt hat. Ich reiße den Kopf in den Nacken während mein Blut über die gierigen Yokai spritzt. Ich hätte nie gedacht, das Blut mit solch einem Druck durch den Körper gepumpt wird, dass es so spritzen kann. Am liebsten wäre ich nun tot, doch das würde Akuma mir sicherlich nicht gestatten, nie würde er das. Außerdem meldet sich gerade mein Überlebenswille zurück. Also habe ich nur einen Ausweg. Ich muss zustimmen. Ich weiß, wann ich aufgeben muss, wann ich an meine Grenzen gerate.
„Ich nehme das Angebot an! Nur bitte, mach das es aufhört!“, schreie ich verzweifelt und hoffe, dass Akuma es über den Lärm der Yokai hinweg hört. Ich vernehme sein lautes Lachen über das Getöse hinweg dröhnen und im nächsten Moment ist es still. Die Yokai sind weg und ich liege keuchend auf dem staubigen Boden. Mein Gesicht im Sand vergraben. Ich kann meine Gliedmaßen kaum noch spüren, das rechte Bein und den linken Arm gar nicht mehr. Jemand beugt sich zu mir herunter, legt eine Hand auf meinen zerfetzten, blutüberströmten Rücken. Zumindest denke ich, dass es Blut ist, so wie es sich anfühlt. Ich versuche hochzusehen, habe aber nicht genug Kraft um meinen Kopf zu heben. Ruckartig werde ich auf den Rücken gedreht, sodass nun der Sand in meine offenen Wunden gelangt und unaufhörlich brennt. Ich reiße meinen Mund zu einem Schrei auf, doch kein Ton schleicht sich über meine Lippen. Verzweifelt sehe ich Akuma an. Er macht irgendetwas an meinem Arm.
„Gut, dann ist hiermit unser Vertrag geschlossen. Und er kann nie wieder gebrochen werden, Takeshi.“, sagt er fröhlich. Ob seine gute Laune daher kommt, dass ich so unheimlich leide oder dass er nun einen Sklaven hat, ist mir egal. Er sagt noch etwas, oder zumindest denke ich dass, denn seine Lippen bewegen sich, doch ich höre es nicht. Meine Augen fallen langsam zu. Mein Atem wird immer flacher; mein Herz langsamer. Sterbe ich jetzt? Hoffentlich, dann bin ich von diesem Vertrag erlöst. Langsam gleite ich in eine dunkle Nichtigkeit.

Zukunftsvisionen

 

Selbst in meiner Bewusstlosigkeit bin ich mir relativ sicher, dass ich in keinerlei Gefahr bin. Schließlich habe ich Akumas Forderung zugestimmt und bin somit zu seinem Sklaven geworden. Den würde er doch sicherlich nicht einfach liegen lassen. Bestimmt nicht, nachdem er mich so verzweifelt wollte. Während ich weggetreten bin, träume ich etwas. Ein wirklich unheimlicher Traum. Ich sehe Akuma mit einem teuflischen Grinsen im Gesicht. Seine Kleidung, wie auch sein Gesicht und seine Haare, sind blutbefleckt. Er ist so gierig danach, dass er immer wieder neues aus einer Blutlache vor seinen Füßen schöpft. Hinter ihm stehe ich. Ebenso wie er bin ich vollkommen mit Blut verschmiert. Ein befriedigtes Lächeln ist klar auf dem Gesicht dieser merkwürdigen Version von mir zu erkennen. In meiner Hand halte ich eine Sense, von der immer wieder Blut herab tropft. Woher kommt dieses ganze Blut? Meine Frage wird erst beantwortet, als ich einem der fallenden, rubinrot schimmernden Tropfen mit meinem Blick gefolgt bin. Verstört sehe ich zu denen, die zu meinen Füßen liegen. Meine Eltern. Und auch Tami. Ich kann sie nur an ihren Gesichtern erkennen. Ihre Körper sind nicht mehr voneinander zu unterscheiden. Bilden nur noch einen blutüberströmten, fleischigen Klumpen. Bis zur Unkenntlichkeit wurden sie zerfetzt.

 

„Und, wie fühlt sich die Vergeltung an, Takeshi? Es ist wunderbar, oder etwa nicht?“, fragt Akuma plötzlich diese skrupellose Version meiner Selbst. Ich grinse ihn breit an und lecke mir ein wenig des fremden Bluts, das von meiner Wange herab fließt, aus dem Mundwinkel.

 

„Es ist einfach großartig, Akuma!“, antwortet dieser mir fremde Takeshi grinsend. Plötzlich verschwimmt das Szenario vor meinen Augen. Die ganze Umgebung ändert sich. Aber wieder sind dort Akuma und dieses fremde Ich. Der Teufelssohn steht im Hintergrund, beobachtet fasziniert die Taten von diesem zweiten, kaltherzigen Ich. Grinsend schlachtet dieser mit der Sense mir unbekannte Menschen am. Trennt ihre Köpfe von den Schultern, schlitzt sie der Länge nach auf, schneidet ihnen Gliedmaßen ab und erfreut sich an dem immer wieder umherspritzenden Blut. Mir wird übel, doch dieses andere Ich macht ungehindert und freudig weiter. Strahlt bei seiner grauenvollen Tat übers ganze Gesicht und lacht jedes Mal laut auf, wenn Blut auf seinen Körper trifft.

 

‚Nein!‘, will ich schreien, doch nicht der geringste Laut entweicht meinen Lippen. ‚Hör auf, das bin nicht ich!‘

 

Niemand kann meine verzweifelten Schreie hören. Doch ich will nicht solch ein Monstrum werden!

 

 

 

Ich reiße meine Augen vor Schreck auf. Heftig keuchend sitze ich auf einer merkwürdig weichen Unterlage. Einem Bett. Ich frage mich nicht, was das soll und wo ich bin, denn ich habe einfach keine Zeit auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Ich will einzig und allein diese schrecklichen, traumatisierenden Bilder aus meinem Kopf verbannen. Verzweifelt greife ich mir an den Kopf. Kneife meine Augen so fest zusammen, wie es nur geht. Diese Bilder sollen einfach verschwinden!

 

Ein merkwürdiges Geräusch dringt an meine Ohren. Ein Schrei. Nein. Mein Schrei. Er kommt aus meinem Leib, entflieht über meine Lippen. Ich kann nicht aufhören. Schreie einfach vor mich hin, während ich die Bilder zu verdrängen versuche. Es funktioniert aber nicht. Nicht im Geringsten.

 

Plötzlich wird die Dunkelheit, die mich bisher umgeben hat, von grellem Licht geflutet. Es blendet mich selbst durch meine fest verschlossenen Augenlider. Noch immer schreie ich aus vollem Leib. Auf einmal spüre ich einen leichten Druck auf meinen Schultern. Irgendetwas, oder jemand, beginnt an meinen Schultern zu rütteln, doch ich höre einfach nicht auf zu schreien. Kann einfach nicht damit aufhören. Das grelle Licht verblasst, so langsam scheinen sich meine Augen an die Helligkeit zu gewöhnen. Mein Schrei verstummt plötzlich. Es ist jedoch nicht so, dass ich bewusst damit aufgehört habe. Nein. Ich werde einfach nur daran gehindert. Irgendetwas wird hart auf meine Lippen gepresst, sodass ihnen kein einziger Laut entfliehen kann. Vollkommen überrascht reiße ich die Augen auf und starre in ein paar verschieden farbige Irden. Azurblau und Blutrot. Irgendwoher kenne ich diese Kombination. Es ist ein faszinierender Kontrast, den man eigentlich nicht so einfach vergessen sollte. Doch woher kenne ich diese Augen? Eine schwarze Haarsträhne fällt plötzlich vor das blaue Auge. Ich weiß endlich, wer mir da gegenüber ist. Akuma. Aber Moment! Das heißt ja er und ich, wir…

 

Ruckartig stoße ich den Teufelssohn von mir weg und wische mir mit dem Handrücken über die Lippen. Aus irgendeinem Grund beginnen diese aber merkwürdig zu kribbeln und zu brennen, doch das ignoriere ich einfach. Doch auch in meinen Wangen macht sich eine unerklärliche Wärme breit. Ich schiebe das jedoch einfach der aufkommenden Wut gegen Akuma zu.

 

„Was soll das?!“, schreie ich ihn wütend an. Schließlich sind wir beide Männer! Ich weiß ja nicht wie es bei ihm aussieht, doch ich bin ganz sicher nicht so orientiert! Wie kann er sich erlauben, mich einfach so zu küssen? Und nun grinst er mich auch noch unheimlich spöttisch an, als hätte ich etwas Amüsierendes getan. Ich sehe ihm nur geschockt und verstört entgegen. Dieser Ausdruck auf meinem Gesicht verstärkt sich vermutlich sogar noch, als Akuma plötzlich beginnt aus vollem Hals zu lachen.

 

„Was soll das?!“, frage ich erneut und springe vom Bett auf. Akuma jedoch lässt sich nach hinten fallen und liegt nun lachend auf der Matratze.

 

„Du hättest dein Gesicht sehen sollen, Takeshi!“, bringt er unter Lachen gerade so heraus und mein Blick verfinstert sich nur noch mehr. Ich balle meine Hände zu Fäusten und beginne ungewollt zu zittern. Plötzlich blitzen vor meinen Augen immer wieder Bilder von Akuma auf, auf denen er vor Schmerz und Leid schreit. Ein breites Grinsen stiehlt sich auf mein Gesicht. Diese Vorstellung gefällt mir. Doch Moment. War das nicht genau die Einstellung, die ich nie im Leben haben wollte? Ja, genau das ist sie. Ich schrecke vor meinen Gedanken zurück. Fast wie in meinem Traum. Die verdrängten Bilder meines Traums schleichen sich wieder in den Vordergrund meines Denkens. Ich weiche unbewusst von Akuma zurück und schüttle heftig den Kopf.

 

„Alles okay? Was ist denn los?“ Okay? Ob alles okay ist?! Natürlich nicht! Schließlich wurde ich von ihm hierher verschleppt und werde meine Familie nie wieder sehen! Dazu will er mich zwingen, Menschen umzubringen. Vollkommen ohne Grund. Vielleicht sogar meine Eltern, wie in meinem Traum. Und da fragt er, ob alles okay ist? Da ist es mir auch egal, ob er nun besorgt um mich ist. Doch ich kann ihm nicht sagen, wie ich wirklich denke. Bestimmt würde er mich dann umbringen. Und da hat mein Überlebensinstinkt was gegen. Die Bilder flackern noch immer vor meinen Augen auf. Ich halte meinen Kopf, vergrabe meine Finger in meinen tiefroten Haaren, in der Hoffnung, so würden diese Bilder verschwinden. Doch das funktioniert nicht. Ich hatte auch nichts anderes erwartet.

 

Ich lasse alles über mich ergehen und versuche mich halbwegs wieder zu beruhigen. Akuma steht inzwischen direkt vor mir und sieht mich mit einem besorgten Ausdruck in den Augen an. Seine Hände zucken merkwürdig, fast als wolle er mich auffangen, sollte ich zusammenbrechen. Mit etwas Mühe schaffe ich es die Bilder meiner eigenen Grausamkeit halbwegs zu verdrängen. Zumindest soweit, dass sie nicht mehr im Vordergrund stehen und ich möglichst klar denken kann. Ich lasse meine Arme wieder sinken, sodass sie fast schon schlapp neben meinem schmächtigen Körper hängen. Leicht hebe ich meinen Kopf soweit, bis ich in die besorgt scheinenden, verschiedenfarbigen Augen sehen kann. Ein leichtes, wenn auch sehr gezwungenes, Lächeln legt sich auf meine Lippen. Doch das tue ich nur, um Akuma ein wenig zu beruhigen.

 

„Geht’s dir wieder besser? Was ist denn los?“, fragt er mich auch gleich, doch man kann klar sehen, das seine Sorge ein wenig nachgelassen hat.

 

„Ach, geht schon. Nur ein hässlicher Alptraum. Keine große Sache. Wenn man davon absieht, dass du mich gezwungen hast dein Sklave zu werden und in die Hölle verschleppt hast!“ Ich funkle ihn gespielt wütend aus meinen grünen Augen an. Ich tue das allerdings nur, in der Hoffnung die ganze Situation ins Lächerliche ziehen zu können. Ich habe keine Lust, dass er weiter darauf eingeht. Das ist wirklich das Letzte, das ich möchte. Doch meine Hoffnung versiegt. Er schnaubt zwar kurz amüsiert auf, lässt sich aber dann mit einem ernsten Blick auf dem Bett hinter ihm nieder.

 

Er schlägt die Beine übereinander, stützt einen Elenbogen auf sein Knie und legt sein Kinn schließlich auf seinen Handrücken. Nachdenklich sieht er mich eine Weile an. Ein unangenehmes Gefühl beginnt sich in meinem Körper auszubreiten. Ich mochte es noch nie, wenn man mich beobachtet. Oder auch nur lange ansieht.

 

„Setz dich mal her, Takeshi.“, weist er mich mit einem fast schon sanften Ton in der Stimme an und klopft auf den Platz neben ihm. Wie in Trance folge ich seiner Anweisung, setze mich allerdings mit etwas Abstand neben den Schwarzhaarigen und sehe ihn neugierig an. Er würdigt mich jedoch keines Blickes. Seine Augen starren weiterhin nachdenklich an die Wand uns gegenüber. Erst jetzt sehe ich mich in dem Raum, in dem wir uns befinden, um. Er ist nur spärlich eingerichtet. Ein Bett, ein Schrank, ein Tisch und zwei Stühle. Mehr nicht. Nicht einmal ein Fenster. Nun fühle ich mich endgültig wie ein Gefangener.

 

„Sagst du mir jetzt endlich mal, was du willst?“, frage ich Akuma schließlich ein wenig ungeduldig. Er zeigt vorerst keine Reaktion. Letztendlich seufzt er kurz und sieht mich anschließend relativ desinteressiert an.

 

„Was war das für ein Traum?“, bricht er die kurz entstandene Stille und sieht mich voller Ernst an. Ich starre ihm einfach nur verwirrt entgegen.

 

„Ach, das ist doch absolut egal, mach dir darüber keinen Kopf.“ Ich winke ab und tue amüsiert, auch wenn es absolut das Gegenteil sein sollte.

 

„Nein, ist es nicht!“, schreit er mich plötzlich an und ich zucke erschrocken zusammen. Er funkelt mich fast schon wütend an, als würde er mir jeden Moment an die Kehle springen. Was ist jetzt nur los mit ihm? Es ist doch nicht von Bedeutung, was in meinem Traum geschehen ist. Oder? Seine Züge entspannen sich langsam wieder, werden sanfter, ruhiger.

 

„Du musst wissen, während der Wandlung von einem Menschen zu einem Dämon kommt es vor, dass man Visionen von seiner Zukunft hat. Deshalb ist es eigentlich sogar sehr wichtig, Takeshi.“, klärt er meine unausgesprochenen Fragen und meine Züge erstarren. Meine Zukunft. So soll sie aussehen? Ich werde meine Eltern töten? Das will ich nicht! Lieber würde ich sterben, als dass ich so etwas tue! Doch Akuma würde das niemals zulassen. Er würde mich lieber unter meinen Taten leiden lassen, als dass er mich davon befreit. Ich bin schließlich sein Sklave. Doch vielleicht…

 

„Akuma! Es muss doch einen Weg geben, wie ich meine Zukunft ändern kann, oder? Bitte, sag mir das es eine Möglichkeit dazu gibt!“ Ich springe schnell auf und starre voller Verzweiflung zu dem Teufelssohn. Doch dieser sieht mir nur überrascht entgegen. Als er sich wieder gefasst hat, verengen sich seine Augen kurz zu Schlitzen. Er scheint nachzudenken.

 

„Naja, es könnte möglich sein, doch das ist unheimlich schwer. Denn du musst die Situation ändern, die eine solche Zukunft auslöst. Du musst also eine bestimmte Entscheidung anders fällen. Doch ob du den Fehler erkennen kannst, liegt alleine bei dir.“, erklärt er mir schließlich und ich nicke nach allen paar Wörtern. Meine Chancen sind zwar unheimlich gering, doch sie sind da. Also habe ich etwas, worum ich kämpfen muss. Ich muss Mutter, Vater und Tami einfach retten. Und egal wie schwer es auch wird, ich werde es irgendwie schaffen!

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 22.08.2012

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