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Er schrie: Ich liebe dich!

Ich stand zitternd hinter dem Vorhang. „Tes, das machst du schon!“ Meine Freundin Kira fasste mich grob an den Schultern und schüttelte mich heftig. Schwer schluckend schüttelte ich den Kopf. „Nein, das schaff ich nicht!“ Ich drehte mich zu ihr um. Sie verstellte mir breitbeinig den Weg. An Flucht war nicht zu denken. Mist! Sie schnalzte tadelnd mit der Zunge. „Tes, so schlimm wird’s schon nicht! Alles läuft doch prima!“ Stur blickte ich sie an. „Ki, ich weiß nicht, hast du mir die letzten Tage nicht richtig zugehört? Kai hat mich geküsst!“ Kai war mein bester Freund. Zumindest vor dem Kuss. Was jetzt mit unserer Freundschaft passierte, vermochte ich nicht zusagen. Wieder schnalzte Kira mit der Zunge und starrte mir fest in die Augen. „Du hast ihn doch zurückgeküsst, Tessa, oder etwa nicht? Das hast du mir nämlich auch erzählt.“ Ich biss mir verzweifelt auf die Unterlippe. Damit lag sie nicht im Unrecht. Obwohl ich dagegen ankämpfte, überfluteten mich die Gedanken an den Nachmittag vor zwei Tagen.

„Tes, und du glaubst wirklich, dass ich das mit der Rolle hinkriege?“ Ich nickte energisch mit dem Kopf. „Na klar. Schließlich bin ich doch deine Partnerin! Wir schaffen das schon!“ Wir beide hatten die Hauptrolle in dem Theaterstück unserer Schule bekommen. Ich spielte ein armes Mädchen und er einen Adelssohn. Nicht überzeugt setzte Kai sich gerade hin. Ich machte es mir neben ihm bequem. „Also schön, dann fangen wir mal an“, begann er. Wir hatten uns extra verabredet, um zusammen zulernen. Ich ergriff, wie es im Script stand seine Hand und sah ihm tief in die Augen. „O, Charles, wenn ihre Mutter von uns erfährt!“ Er legte seinen Finger an die Lippen und sprach im Flüsterton: „Sch! Sie wird von uns erfahren, wenn sie weiterhin zu laut sprechen!“ Bedächtig nickte ich mit dem Kopf, so stand es auf dem Papier. Nach einem schnellen Blick auf meinen Text, las ich: „Vergibt mir. Aber, was wenn sie uns sichtet? Dann werde ich in den Kerker gesperrt! Ich wollte noch nicht sterben, Charles!“ Ich ließ seine Hand los und stand auf. Gespielt verzweifelt drehte ich mich von ihm weg und hielt die Hände vors Gesicht. Das Sofa knarrte, als Kai sich erhob. „Aber Marielynn, euch wird nicht geschehen, dafür sorge ich.“ Er legte mir zärtlich eine Hand auf Schulter und drehte mich zu sich um. Seine Augen musterten sie versprechend und unter Schluchzern brachte ich hervor: „Das können sie mir nicht versprechen. Außerdem, was sage ich nur meinen Eltern, dass ich immer erst spät nachts nach Hause komme?“ Er erwiderte nichts. Und wie das Script befahl, wandte ich mich um und rannte zur anderen Seite des Zimmers. Er lief mir hinterher. Er schrie: Ich liebe dich! Abrupt blieb ich stehen und sah über die Schulter. Da stand er. Und einmal mehr wurde mir bewusst, wie gut er doch aussah. Plötzlich sehnte ich mich nach seiner Nähe, doch ich hielt mich an Ort und Stelle. Vorsichtig trat er zu mir und umfasste mein Gesicht mit beiden Händen, das Drehbuch hatte er auf dem Sofa liegengelassen, fiel mir auf. Er kam mit seinem Gesicht ihrem immer näher. Sein Atem streifte ihre Wange. Er lehnte mich gegen die Wand und drückte sich mit seinem Körper an ihren. Das war interpretiert, doch mir gefiel es. Ein schwaches Lächeln huschte über mein Gesicht, doch dann wurde ich wieder ernst. „Ich liebe dich“, flüsterte er. Atemlos starrte ich ihn an. Das stimmte nicht! Er hätte etwas ganz anderes sagen müssen! Er beugte sich noch näher an mich und legte sanft seinen Mund auf meinen. Meine Lippen öffneten sich zu einem überraschten Stöhnen. Es war ein leidenschaftlicher Kuss. Nach einigen Sekunden purer Verwirrung, erwiderte ich den Kuss. Wir flammten auf und ich drängte mich noch näher an ihn. Es fühlte sich richtig an. Doch das durfte ich nicht! Ich kam wieder zur Besinnung und schob ihn von mir. Enttäuschung lag in seinem Blick, doch ich konnte ihn nicht länger ansehen. Ohne ein Wort zusagen, ging ich zur Tür und nahm meine Jacke vom Hacken. Ich stolzierte auf den Flur. Kai folgte mir nicht.

Mit einem Ruck gelangte ich wieder in die Realität. Kira starrte mich an. Dann öffnete sich der Vorhang und ehe ich mich versah, stand ich mitten auf der Bühne. Das Kleid bauschte sich um meine Beine und bei jedem Schritt, drohte ich zu fallen. Die Liebesszene war an der Reihe. Diese Erkenntnis traf mich hart. Ich blickte mich suchend um und sah Kai. Er stand am Rand und würdigte mich keines Blickes, wie er es auch die letzten beiden Tage getan hatte. Unwohl schritt ich auf ihn zu. „O, Charles, wenn ihre Mutter von uns erfährt!“, stotterte ich. Er legte sich den Finger an die Lippen, immer noch durch mich hindurch sehend. „Sch! Sie wird von uns erfahren, wenn sie weiterhin zu laut sprechen!“ Bedächtig nickte ich mit dem Kopf. Nun flüsterte ich mit Verzweiflung in der brüchigen stimme: „Vergibt mir. Aber was, wenn sie uns sichtet? Dann werde ich in den Kerker gesperrt! Ich wollte noch nicht sterben, Charles!“ Ich ließ seine eiskalte Hand los und drehte mich weg. Echte Tränen stiegen auf und ich schluchzte leise. Ein verdammt gutes Gefühl kribbelte in meinem Bauch, als seine Hand auf meiner Schulter ruhte. „Aber Marielynn, euch wird nicht geschehen, dafür sorge ich.“ Er drehte mich zu sich um. Ich hätte fast laut die Luft eingezogen. Er blickte mir intensiv in die Augen. In seinen spiegelten sich unverhohlene Schuldgefühle. Am liebsten hätte ich mich ihm in die Arme geschmissen, doch das war ja leider nicht vorgesehen. Nach einem Räuspern meinte ich: „Das können sie mir nicht versprechen. Außerdem, was sage ich nur meinen Eltern, dass ich immer erst spät nachts nach Hause komme?“ Er erwiderte nichts. Ich wandte mich ab und lief zur anderen Seite der Bühne. Ich geriet ins Stolpern, wegen meines Kleides und wegen seinen Worten, als er mir hinterher rannte. „Ich liebe dich!“ Ich blieb stehen und drehte mich ihm zu. Seine Augen glänzten. Weinte er etwa? Schnell blinzelte er die Salztropfen weg, ehe er auf mich zuging. Er umfasste mein Gesicht und sah mir tief in die Augen. Er blieb stumm, obwohl er etwas hätte sagen müssen. Ich wollte die Situation retten, doch auch ich kannte meinen Text nicht mehr. Mein Körper hatte anscheinend kein Problem damit, eine passende Interpretation zu finden denn meine Hände griffen nach seinem Kragen und zogen ihn an mich. Er stützte sich, um nicht gegen mich zu fallen, an der Wand, neben meinem Kopf, ab. Sein warmer Atem streifte meine Wangen und den Mund. Ich lächelte den verwirrten Kai an. „Ich liebe dich auch“, flüsterte ich, so leise, dass alles im Raum still sein musste, um mich zuhören. Kira stand nur einen Meter von uns entfernt und flüsterte mit scharfer Stimme: „Tes, was machst du da? Das ist falsch, ganz falsch!“ Perplex wandte Kai ihr den Kopf zu, doch ich ignorierte sie. Ich legte meine Hand an seine Wange und drehte sein Gesicht wieder mir zu. Dann stellte ich mich auf Zehenspitzen und legte sacht meine gierigen Lippen auf seinen Mund. Kira, Kai und das Publikum zogen alle gleichzeitig scharf die Luft ein. Doch ich lächelte nur unaufhörlich. Plötzlich umfasste Kai meine Hüften und zog mich noch dichter an sich, presste seinen großen Körper gegen mich. Die Menge schrie, jubelte, klatschte. Der Kuss war pure Leidenschaft. Zögerlich lösten wir uns wieder von einander. Seine Augen verrieten seine Verwirrung. Ein breites grinsen schob sich auf mein Gesicht. Ich reckte mich wieder zu ihm auf und flüsterte, einen Zentimeter vor seinen Lippen: „Ich liebe dich, Kai.“ Dann streifte ich zärtlich mit den Lippen seinen Mund und drehte mich dann der Menge zu. Alle starrten uns an, Glück im Blick. Noch immer die Verwirrung und die Freude verarbeitend schielte Kai durchgängig zu mir herüber. Wir verbeugten uns und liefen dann, Hand in Hand, hinter die Bühne. Sofort kam Kira angestürzt. Die Augen wütend zu Schlitzen zusammengekniffen. Aber ohne mir einen zornigen Vortrag zu halten, nahm sie mich nur fest in den Arm und meinte: „Ich sagte doch, du schaffst das.“ Nachdem wir Glückwünsche und freudig strahlende Händedrücke entgegengenommen hatten, schlurften wir neben einander durch die Reihen von leeren Sitzen. Urplötzlich setzte Kai sich hinter mir und zog mich quer auf seinen Schoß. „Meintest du das ernst?“ Seine Stirn lag in tiefen Falten. Lächelnd nickte ich, dann presste er stürmisch seine Lippen auf meine und ich erwiderte mit derselben Leidenschaft seinen Kuss. Es kam mir vor wie Wochen, Monate, und doch so schnell, wie ein einziger Wimpernschlag.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 04.09.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme dieses Buch meinem Freund, auch wenn wir nicht so zusammenkamen. Ich liebe dich!

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