Als ich in hinaus in die Mittagshitze trat, blieb mir für einen Augenblick die Luft weg. Dieser August war der heißeste Monat im Jahr gewesen, fast jeden Tag hatte unermüdlich die Sonne vom Himmel gebrannt und geregnet hatte es so gut wie gar nicht.
Schnell überquerte ich die Straße und machte mich auf den Weg zu meinem kleinen roten Auto. Schnell am Kindergarten vorbei, meinen kleinen Sonnenschein abholen und dann konnte das Wochenende starten.
Julian wartete bereits auf mich und kam mir mit offenen Armen entgegen gelaufen.
„Mama“ quietsche er vergnügt und strahlte über das ganze Gesicht.
Er war mein Ein und Alles mit seinen blonden Haaren, den grau-blauen Augen und seinem umwerfenden Lächeln, das mich jedes Mal dahin schmelzen ließ.
„Na mein Süßer, wie war es heut bei den anderen Kindern?“ fragte ich meinen Sohn und fuhr ihm durchs Haar.
Wir schnappten uns seinen Rucksack und Jacke, verabschiedeten uns von seiner Erzieherin und machten uns nach einem kleinen Umweg über das Eiscafe auf den Weg nach Hause.
Wir wohnten außerhalb der Stadt, etwas abgelegen auf einem großen Dreiseitenhof. Dieser gehörte einem älteren Ehepaar, die aus zwei der Gebäuden Ferienwohnungen gemacht hatten und diese nun vermieteten.
Wir selbst wohnten in einer kleinen Wohnung im Hauptgebäude, die früher mal für Angestellte bestimmt gewesen war. Wir hatten einen separaten Eingang und ein kleiner Garten grenzte direkt an.
Unsere Vermieter, beide um die 65 Jahre, waren zwei echte Engel, sie selbst hatten keine Kinder und so hatten sie mich wie ihre eigene Tochter und Julian wie ihren Enkel aufgenommen. Die beiden verwöhnten uns regelrecht, dass es mir manchmal fast schon peinlich war.
Elsa kochte oft für uns und Frieder erzählte Julian stundenlang Piratengeschichten, die dieser mit seinen 1 ½ Jahren sicher noch nicht verstand, aber immer gebannt zuhörte. Die beiden waren herzensgute Menschen und ohne sie wäre ich manchmal ganz schön aufgeschmissen gewesen.
Kaum waren wir zwei zu Hause angekommen, wackelte mein Sohn auf seinen kleinen Beinchen auch schon Richtung Garten davon. Lächelnd schaute ich ihm hinterher, wie selbstständig er manchmal schon war. Es war erschreckend wie schnell die Kleinen groß wurden.
Als ich durch die Wohnung über die Terrasse im Garten ankam, saß er bereits im Sandkasten und baute mit Frieder Sandburgen.
Ein Hauch von frischer Seeluft wehte mir entgegen und ich atmete tief ein.
„Hallo Miriam, möchtest du noch was essen?“ rief Elsa mir fröhlich entgegen.
„Nein danke, ich bin nicht hungrig. Ist das mit heut Nachmittag auch wirklich okay?“
Ein empörter Blick traf mich.
„Frag nicht so dumm, mach lieber dass du weg kommst.“ Bekam ich als Antwort und damit war ich entlassen.
Wenn die zwei Julian erst einmal in Beschlag genommen hatten, dann hatte ich sowieso nichts mehr zu melden und ich wusste ja genau dass sie gern den Babysitter spielten.
Also gab ich meinem Sohn noch einen dicken Kuss, waffnete mich mit Reithose und T-Shirt und radelte gemütlich zu meinem Zweitjob.
Wenn es heut gut mit den Reitschülern lief, vielleicht konnte ich danach noch Nightfly ein wenig bewegen.
Natürlich war ich nicht dazu gekommen mein Lieblingspferd zu reiten, aber dafür hatten sich die Reitschüler gar nicht dumm angestellt und so hatten wir nach Einweisung auf dem Reitplatz noch eine gemütliche Runde am Strand lang reiten können.
Als ich erschöpft zu Hause vom Fahrrad kletterte, hörte ich lautes, lustiges Stimmengewirr. Die neuen Feriengäste waren angekommen und den Stimmen nach zu urteilen, musste es sich um eine größere Gruppe junge Leute handeln. Hoffentlich feierten die nicht jeden Tag bis in den Morgen rein, dachte ich nur so bei mir, während ich das Rad verstaute.
Ich kam gerade Recht zum Abendessen und gesellte mich zu meinem Sohn und Vermietern.
„Die neuen Gäste sind angekommen.“ Erklärte mir Frieder zwischen zwei Bissen.
„Schon gehört.“ Antwortete ich nur.
„Sind 12 Mann, ganz nette Leute, kommen übrigens aus der Gegend, wo du her bist.“
„Aha.“ Gab ich nur zurück, denn die Feriengäste interessierten mich nicht sonderlich.
Ab und an vertrat ich Elsa und Frieder, übergab Schlüssel, nahm die Ferienwohnungen wieder ab und bestätigte Onlinebuchungen. Ansonsten gingen mich die Gäste nichts an.
Na dem Essen schnappte ich mir Julian und wir liefen die 500m bis zum Strand, der direkt an das Grundstück grenzte.
Ich setze mein Kind im Sand ab und zog einmal mehr die frische Ostseeluft ein. Julian begann sofort eifrig Muscheln und Steine zu sammeln. Wir würden die ganzen Fundstücke wieder mit nach Hause nehmen und sie in die Kiste zu den anderen legen müssen. Ich hatte die Befürchtung bald würde unsere ganze Wohnung nur noch aus Muscheln und Steinen bestehen.
Lächelnd beobachte ich mein Kind und genoss den Wind, der sanft meine Haare und mein Gesicht umspielte. Wie ich die Ostsee liebte und ich wusste, ich wollte nie wieder woanders hin. So saß ich eine ganze Weile da, ließ meine Haut vom Wind streicheln, beobachtete die Wellen, die sanft an den Strand schlugen und genoss den Augenblick.
„Komm Mäuschen, es ist langsam Schlafenszeit, wir gehen morgen wieder an den Strand.“
Mein Sohn zog einen Schmollmund, ließ sich aber anstandslos auf den Arm nehmen. Er war genauso gern am Wasser wie ich.
Wir hatten fast den kleinen Aufgang zum Garten erreicht, als sich Stimmen näherten und im nächsten Moment tauchte eine Gruppe Leute vor uns auf.
Mir blieb vor Schreck fast das Herz stehen. Das waren also unsere neuen Gäste. Die Ostseeküste war so groß, es gab unzählige Ferienorte und ausgerechnet hier mussten sie Urlaub machen, das gab es doch nicht.
Beim zweiten Blick erlitt ich fast noch mal einen Herzinfarkt und musste mich zusammen reißen, damit mir Julian nicht vom Arm fiel. Dieser Mensch brachte meine Beine zum zittern, wie Wackelpudding fühlten sie sich an und ich dachte für einen Moment, ich könnte nie wieder einen Schritt machen.
Wie gelähmt stand ich da und starrte ihn an. Natürlich hatten sie mich alle längst bemerkt und ich denke auch erkannt.
„Hallo!“ war das einzige was ich mühevoll heraus brachte, bevor ich alle meine Kräfte sammelte und einen Fuß vor den anderen setzte.
Zwangsläufig musste ich auch an ihm vorbei, unsere Blicke trafen sich nur kurz, dann heftete sich sein Blick auf den Jungen in meinem Arm. Es brauchte keine Worte, er hatte ihn auf den ersten Blick erkannt.
Ich spürte die Blicke im Rücken, als ich hastig den Aufgang hinauf stolperte und wie gehetzt durch den Garten lief.
An diesem Abend hatte ich das starke Bedürfnis nach Alkohol und Nikotin. Das kam sehr selten vor, nur wenn es mir wirklich schlecht ging, griff ich zu den Glimmstängeln. Beides in mich aufsaugend, saß ich auf der Terrasse und kämpfte mit meinen aufgewühlten Gefühlen.
Ich hatte sie so lange so erfolgreich verdrängt, doch nun kam alles geballt wieder an die Oberfläche und nur mühsam konnte ich die Tränen unterdrücken.
Ich sah Tage vor mir an denen ich lachte, Küsse tauschte und Hand in Hand durch die Straßen lief. Ich spürte seine Berührungen und dachte an den Sex den wir zusammen erlebt hatten. Ich dachte an die ganz alltäglichen Dinge, einkaufen gehen, die Wohnung sauber machen. Es hatte alles so gut gepasst, Pläne für die Zukunft waren geschmiedet, wir wollten einfach zusammen alt werden.
Doch dann drängelte sich der Schmerz in den Vordergrund und überschattete die ganzen schönen Gedanken.
Nach drei Jahren Beziehung wagten wir den nächsten Schritt, ich wurde schwanger und wir freuten uns mächtig. Aber es sollte nicht so bleiben.
Irgendwann gegen Mitte der Schwangerschaft merkte ich, dass der Vater meines Kindes heimlich Chat- und SMS Bekanntschaften schloss. Ich fragte mich warum, fragte ihn und bekam nur Ausreden zuhören. Es tat weh, warum tat er das?
Ich stellte ihn mehrfach zur Rede und durfte mir in solchen Situationen anhören, ich hätte mal wieder eine meiner Phasen. Dabei log er mir doch offensichtlich ins Gesicht.
Mit zunehmendem Bauch wurde die Situation leider nicht besser und ich fragte mich Tag für Tag, würde es nur bei SMS bleiben?
Er distanzierte sich jeden Tag mehr von mir und von ein auf den anderen Tag hatten wir uns nicht mehr viel zu sagen. Wir lebten nebeneinander her und jeder Versuch an ihn heran zu kommen, wurde sofort abgeblockt.
Liebte er mich nicht mehr? Was war von jetzt auf gleich passiert, das er sich anderen zuwendete? War es Panik vor der Veränderung im Leben?
War ich es die was falsch gemacht hatte?
Ich begann ebenfalls mich abzukapseln, wurde still und grübelte vor mich hin. Die Tage und Stunden wurden unerträglich. Er kommunizierte mehr mit seinem Telefon wie mit mir. Über was, weiß ich nicht.
Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus, jedes piepen des Telefons versetzte mir mehr und mehr Stiche ins Herz. Ich packte ein paar Sachen und wollte für ein paar Tage ausziehen. Vielleicht würde eine kurze räumliche Trennung gut tun. Schließlich sagte ich mir, war es für uns beide nicht leicht. Ich den ganzen Tag zu Hause, nichts außer dem Kind im Sinn und er gestresst von Arbeit. Ich suchte auf Fragen Antworten, doch es blieb alles still.
In den Tagen die ich außerhalb verbringen wollte, sollte er sich überlegen, ob Kind und ich oder seine zahlreichen SMS Bekanntschaften.
Teilen wollte ich ihn nicht, entweder nur ich oder gar nicht. Ich habe darauf nie eine Antwort erhalten.
Ein halbes Jahr nach Julians Geburt zogen wir zwei an die Ostsee und begannen ein neues Leben.
Und nun war Markus hier und die Gefühle fuhren Achterbahn.
Mit leichtem Kater stand ich am nächsten Tag auf. Nach dem Frühstück fuhr ich mit Julian in die Stadt zum einkaufen. Wieder zu Hause verabschiedeten wir Elsa und Frieder die den Tag über zu Bekannten fahren wollten. Julian und ich würden hier die Stellung halten, denn heut sollten noch Feriengäste eintreffen.
Julian spielte draußen im Garten mit seinen Autos, während ich das Mittagessen für uns beide vorbereitete. Als ich wenig später nach ihm schauen wollte, saß Markus bei ihm.
Sie spielten zusammen mit Julians rotem Bagger und Markus konnte die Geräusche des Gefährts täuschend echt nachahmen, was meinen Sohn köstlich amisierte. Es war verwunderlich, denn Julian sonst eher schüchtern und sich bei Mama versteckend, saß seelenruhig da, schaute den für ihn fremden Mann mit großen Augen an und lachte sogar.
Er konnte natürlich nicht wissen, das Markus sein Vater war, aber sonst gegenüber fremden Menschen ruhig, blabberte er in seiner Kindersprache unverständliches Zeug und hielt Markus seine ganzen Spielzeugautos vor die Nase. So als sage ihm ein Instinkt, das dieser Mensch vor ihm, nicht irgendein Fremder war, vor dem man sich fürchten musste, sondern jemand mit dem er verwandt war.
Als ich Markus betrachtete, sah ich in seinen Augen so viel Liebe schimmern, das es mir nur mühsam gelang die Tränen zu unterdrücken. So schauten nur Vater ihre Kinder an, so voller Liebe und Stolz. Es wunderte mich, dass er ihn nicht in die Arme nahm, fest an sich drückte und küsste.
Er konnte schon immer gut mit Kindern umgehen, das hatte er während unserer Beziehung immer wieder bewiesen. Er konnte sich so liebevoll um seinen Neffen kümmern, dass ich wusste, er würde der perfekte Vater sein.
Ich hätte damals nie gedacht, dass alles anders kommen würde.
Nun bemerkte er mich, zögerte kurz in seinem Tun und schien abzuwägen, ob es mir recht war, was er da tat. Er hatte sich einfach so meinem Kind genähert und schien nun nicht zu wissen, ob das überhaupt gewollt war.
Doch die beiden so zu sehen, diese Zweisamkeit, als würden die beiden jeden Tag zusammen spielen, jagte mir Schauer über den Rücken. Sie sahen beide so glücklich aus in ihrem Tun, nein es erschien mir falsch, das zu unterbrechen.
Ich trat vorsichtig näher und stellte den beiden nur Julians Trinkflasche auf den Rand des Sandkastens, drehte mich um und verschwand ohne ein Wort wieder ins Haus.
Er sah immer noch verdammt gut, schlank, ein schmales Gesicht, liebevolle Augen, umrahmt von kurzen goldbraunen Haaren.
Ich hatte nie das Bedürfnis verspürt, während unserer Beziehung einen anderen Mann genauer anzuschauen, denn Markus hatte einfach alles gehabt, was man sich wünschte. Gut ein klein wenig mehr Vernunft hätte ich ihm zugetraut.
Ein Klingeln an der Tür riss mich aus meinen Gedanken. Beim Öffnen überkam mich schon der nächste Schock und das schien man mir auch anzusehen.
„Hey! Hast meine SMS nicht bekommen? Oh ich muss dringend unter die Dusche, die Hitze hält man selbst mit Klimaanlage nicht aus.“
Während dieser Worte umarmte Ricardo mich ausgiebig und stürmte danach an mir vorbei die Treppe hoch.
Sprachlos stand ich da, die Haustür offen und fragte mich gerade, ob ich träumte.
Wollte Ricardo nicht das letzte Augustwochenende vorbei kommen? Mist, denn bei genauerem Nachdenken fiel mir auf, es war das letzte Augustwochenende.
Ich hörte ihn oben mit seiner Tasche hantieren und zögerte einen Augenblick. Ob Ricardo wusste, dass sein Arbeitskollege und guter Freund draußen im Garten mit Julian spielte und
hatte Markus eine Ahnung dass Ricardo sich grad im Obergeschoss meiner Wohnung die Sachen vom Laib riss und unter die Dusche sprang?
Vor Nervosität kaute ich auf meiner Lippe rum, bis ich den Geschmack von Blut auf der Zunge spürte.
Ricardo kam öfters übers Wochenende oder in seinem Urlaub zu uns, einfach um auszuspannen. Er arbeitete hart und die Tage hier waren für ihn Erholung pur. Er war außerdem über die ganze Zeit die einzige Verbindung zu Markus gewesen, auch wenn wir so gut wie nie über ihn gesprochen hatten, schon gar nicht in letzter Zeit.
Wenn es so was gab, führten Ricardo und ich irgendetwas zwischen Freundschaft und Affäre. Es gab Wochenenden, da saßen wir einfach stundenlang zusammen und redeten über Gott und die Welt und dann gab es da Wochenenden, da fielen wir quasi übereinander her.
Wieder klingelte es an der Tür.
„Guten Tag, wir sind Familie Meier und hatten eine Ferienwohnung gebucht.“
Fragende Blicke trafen mich. Ich musste wohl aussehen, als stünde ich kurz vor Einlieferung in eine Anstalt. Innerlich schüttelte ich mich.
„Ach ja. Guten Tag. Entschuldigung! Natürlich, ich zeige sie ihnen sofort.“
Zusammen mit der heilen Familie Meier verließ ich das Haus, um ihnen ihre Unterbringung für die nächsten Tage zu zeigen.
Zehn Minuten später war ich wieder zurück, obwohl ich mir gewünscht hätte, gleich mit Meiers in dessen Wohnung bleiben zu können.
Sowie ich die Haustür geschlossen, hörte ich auch schon Ricardos Stimme.
„Hey Markus, sag bloß du machst hier Urlaub? Das ist ja ein Zufall.“
Kurzes Schweigen, ich stellte mir Markus Gesichtsausdruck vor.
„Ricardo?“ es klang ungläubig. „Was machst du denn hier?“
Soviel dazu, Markus wusste also nichts davon, dass Ricardo öfters hier weilte.
„Och ich komme öfters zum ausspannen hier her, ist ja ein schönes Fleckchen Erde.“
Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich mein Kind geschnappt und wäre weit, weit weg gerannt.
Eigentlich konnte ich ja nichts dafür und trotzdem war es mir oberpeinlich.
Mit einem Räuspern, trat ich in die Küche, warf Ricardo einen Blick zu, der um Entschuldigung bat und bereitete das Mittagessen zu.
Ich wollte im Moment einfach kein Wort reden.
Na dem Essen, legte ich Julian zum Mittagsschlaf hin und erklärte Ricardo kurz die ganze verzwickte Situation.
Er lachte kläglich, umarmte mich einmal fest und meinte dann ernst:
„Nun du wusstest ja nicht, dass ich Markus nie etwas von meinen Besuchen erzählt habe. Du weißt ja er redet nicht oft über seine Gefühle, aber einmal nach ein paar Bier hat er durch die Blume verlauten lassen, dass du und Julian ihm fehlen. Da hielt ich es für besser den Mund zu halten. Klar hätte ich ihm sagen können, das wir noch Kontakt haben, ich weiß nicht, warum ich das verschwiegen habe, vielleicht weil das was wir beide haben, für mich so schön ist.“
Leicht betroffen stand er vor mir und schien abzuwägen wie ich reagieren würde.
„Das mit uns ist ein ganz anderes Ding. Natürlich dachte ich immer, Markus liegt nichts mehr an uns, aber er hat meine Telefonnummer und er hätte sich jederzeit melden können. Und selbst wenn er sie nicht mehr gehabt hätte, er weiß dass du sie hast.“
„Und ich weiß dass du immer noch Gefühle für ihn hast.“
„Ist das ein Wunder? Da oben liegt der Grund, dass ich diesen Mann nie ganz verdrängen konnte und mit jedem Tag sieht er ihm ähnlicher.“
Tränen schossen mir in die Augen und ich versuchte auch nicht, sie zu unterdrücken.
Ricardo nahm mich in den Arm, drückte mich an sich und küsste meine Stirn. Ich schlang meine Arme um ihn. Warum war das alles so kompliziert? Ich hatte mir nichts anderes in meinem Leben gewünscht, außer einer intakten kleinen Familie. Mein Sohn brauchte schließlich einen Papa und den am besten von Anfang an, das jedoch war zu spät.
Ricardo kam dafür nicht in Frage. Er lebte für seine Arbeit und war viel unterwegs. Außerdem tat er nur mir gut, er war zwar auch lieb zu Julian, aber man merkte immer ein bisschen, dass er wusste, dass es Markus Sohn war und nicht sein eigener.
Er war ein Mann zum Reden und für gewisse Stunden, er war ein Gentlemen, der einem das Gefühl gab, etwas ganz besonderes zu sein, er konnte zuhören, aber er war nicht dazu geeignet Julian ein Vater zu sein.
Zärtlich wischte er mir die Tränen von den Wangen und begann mich zärtlich zu küssen. Ich wollte mich aus seiner Umarmung befreien, war aber unfähig mich zu bewegen. Also ließ ich es geschehen, geschehen das er mich küsste, mich überall berührte und mir langsam die Kleidung auszog. Mechanisch entkleidete ich auch ihn und schaltete meine Gedanken dann ab, als wir uns gemeinsam aufs Sofa fielen ließen.
Danach zitterte ich am ganzen Körper, gerade so als hätte ich Schüttelfrost.
Ohne ein Wort stand ich auf, schaute Ricardo an, strich ihm entschuldigend über den Arm und verschwand nach oben.
Pferde haben eine beruhigende Wirkung, sagt man und es stimmte. Ich saß bei Katharina auf der Veranda, trank Kaffee und beobachtete Nightfly, während ich meiner besten Freundin das Herz ausschüttete. Julian spielte Leonie, Katharinas zweijähriger Tochter.
Sie hörte sich die ganze Geschichte von Anfang bis Ende stumm an.
„Oh Mann, Miriam, du machst aber auch Sachen. Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll.“
„Nichts. Es tut einfach nur gut, wenn man jemanden sein Herz ausschütten kann. Es ist alles so verzwickt, ich habe selbst keine Lösung dafür.“
„Du kannst nur abwarten was als nächstes passiert.“
„Ja da hast du wohl Recht.“ Ich seufzte tief und erhob mich. „Morgen geht klar, ich bin um halb zwei da und übernehme die zwei Reitstunden.“
Eine Umarmung zum Abschied, dann machte ich mich mit Julian auf den Nachhauseweg.
Elsa und Frieder waren zurückgekehrt und versorgten Julian mit Abendbrot und später mit einer Gute-Nacht-Geschichte.
Ich saß derweil am Strand, schaute aufs Wasser und versuchte meine Gedanken zu ordnen.
„Wie lange fährst du schon zu ihr?“ Ich hörte einen Hauch Eifersucht aus Markus Stimme.
Ich saß ein bisschen versteckt, sodass mich die beiden nicht sehen konnten, als sie an den Strand traten.
„Seit sie hier wohnt, also seit circa einem Jahr.“ Antwortete Ricardo.
„Warum hast du nichts gesagt?“
„Warum sollte ich? Hätte es etwas gebracht? Du hättest dich jederzeit bei ihr melden können und das weißt du. Nein, stattdessen hast du dich selbst bemitleidet, dabei bist du zum größten Teil daran schuld, dass es so gekommen ist. Sie ist ne klasse Frau, war sie schon bevor sie schwanger wurde, aber für dich war ja alles so selbstverständlich. Also mache jetzt hier nicht einen auf eifersüchtig, du hast sie fallen gelassen.“
Ich konnte sehen wie Ricardo Markus wütend anfunkelte, ich stand auf. Beide waren jedoch so sehr mit selbst beschäftigt, dass sie mich gar nicht bemerkten.
„Hast du mit ihr…?“ es klang gefährlich.
„Ja“ spie Ricardo ihm ins Gesicht, „und ich bereue es auch nicht. Sie ist eine attraktive Frau und Single.“
„Du …!“
Plötzlich gingen die beiden aufeinander los. Markus holte aus und traf Ricardo am Kinn. Ricardo taumelte rückwärts, fing sich aber sofort wieder und verpasste Markus eine in die Magengegend.
Ich rannte die paar Meter so schnell wie es der weiche, feine Ostseesand zuließ, auf die beiden zu.
„Hört auf ihr zwei, spinnt ihr?“ schrie ich und drängelte mich zwischen die beiden.
Sie ließen voneinander ab.
„Das hat doch alles keinen Sinn“ fuhr ich etwas leiser fort, „ich brauche mich nicht für einen von euch zu entscheiden, meine Wahl hat schon immer fest gestanden.“
Ich schaute jedoch keinen von beiden an. Ricardo rieb sich sein schmerzendes Kinn, trat an mir vorbei und verließ ohne ein weiteres Wort den Strand. Ich wusste er hatte Markus nicht geschlagen, um mich zu besitzen, sondern einfach um ihm klar zu machen, welche Dummheit er gebaut hatte.
Das schien auch Markus zu begreifen, als sich unsere Blicke trafen. Die Welt um uns schien still zu stehen. Wir waren allein, da war kein Wasser, kein Wind, kein Mensch um uns. Ich spürte ihn, obwohl wir uns nicht berührten und er schien mir alle aufgestauten Gefühle auf einmal entgegen zu schleudern.
Eine Ewigkeit später ließen wir uns einfach in den Sand fallen, saßen da, schauten aufs Wasser und den Sonnenuntergang.
„Er ist goldig“ unterbrach Markus nach einer Ewigkeit das Schweigen.
„Er sieht aus wie du in seinem Alter“ setzte ich nüchtern hinzu.
„Warum? Ich möchte einfach nur wissen wieso es so gekommen ist.“
Fragend schaute ich ihn an, bevor ich meinen Blick wieder aufs Wasser richtete.
Es folgte ein langes Schweigen und ich befürchtete bereits wieder einmal keine Antwort zu erhalten.
„Ich war wirklich dumm damals, aber die Erkenntnis kam zu spät. Ich weiß nicht was ich suchte und warum, denn im Nachhinein hatte ich doch alles. Vielleicht der Reiz von etwas neuem, raus aus dem Alltagstrott und etwas Angst vor dem Leben mit Kind.
Ich wollte es immer bei SMS belassen, aber als du dann weg warst, habe ich mich mit jemandem getroffen, einfach um den Schmerz zu vergessen. Ich hätte das nicht tun sollen, sie hat mir permanent eingeredet, dass du mich nicht mehr liebst und einen anderen hättest. Irgendwann hab ich das auch geglaubt, aber bald merkte ich dass sie nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht war, sie wollte nach zwei Monaten bei mir einziehen.
Ich habe das Ganze dann schnell beendet, war danach aber einfach zu feige mich bei euch zu melden. Das Alles war mir so unangenehm und ich dachte du legst keinen Wert drauf, wenn ich mich nach der Zeit wieder ankomme, bei allem was passiert war.“
Er schwieg betreten, ich glaubte ihm.
„Du hast mir damals verdammt wehgetan, obwohl ich dir mehrfach zu verstehen gegeben habe, was ich davon halte. Ich hatte allen Grund wütend zu sein.“
„Ihr habt mir gefehlt.“
Er war den Tränen nahe und das war etwas, was ich bei ihm noch nie erlebt hatte.
Markus strich mir übers Bein, genauso wie er es schon früher getan hatte. Es war ein Zeichen von Nähe und Vertrautheit, so als wären die eineinhalb Jahre nie geschehen.
„Möchtest du Bilder von Julian sehen?“
Ich schaute ihm in die Augen, eine Windböe spielte mit meinen Haaren und trieb sie mir ins Gesicht.
„Ja.“
Wir erhoben uns und verließen den Strand. Ich hoffte der Wind und das Wasser würden den Schmerz der vergangenen Jahre einfach wegtragen.
Wir würden noch viel reden müssen, aber wer weiß was die Zeit bringen würde, vielleicht fanden wir wieder zusammen, das wichtigste jedoch war, das Julian seinen Papa hatte, den er so dringend brauchte.
Vielleicht brachten der Wind und das Wasser neue Hoffnungen und Träume mit.
ENDE
Tag der Veröffentlichung: 09.12.2011
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