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Wieder neigt sich ein Sommer seinem Ende zu. Der Höhepunkt des Jahres naht – die Kärmetze. Für drei Tage im August wird ein kleiner Ort am Rande des Rothaargebirges zum Zentrum des verschlafenen Sauerlandes.

Menschen und Tiere fiebern gleichermaßen diesem Wochenende entgegen.
Rinder werden gewaschen und rasiert, skeptisch gemustert, die Schönsten ausgewählt.
Pferde werden gestriegelt und Mähnen zu Zöpfchen geflochten. Schafe gebürstet und getrimmt, Schweine geschrubbt und das Geflügel kritisch beäugt.
Bauersfrauen belegen jeden freien Friseurstuhl, lassen sich ondulieren und dauerwellen. Bauern holen ihren Sonntagsstaat aus dem Kleiderschrank und ziehen ihre stattlichen Bäuche ein. Die Jugendlichen sichten ihre Klamotten auf der Suche nach einem 'stylischen Outfit'. Die Mädchen eifern Paris Hilton nach, die Jungen machen einen auf Bushido. Und die Kinder schlachten ihre Sparschweine, die das ganze Jahr über fleissig gefüttert wurden. Omas öffnen ihre Portemonnaies und drücken den geliebten Enkelchen Münzen in die schwitzigen Händchen. Großväter schmunzeln dazu, geben sich still rauchend ihren Erinnerungen hin, an durchzechte Nächte und gestohlene Küsse.

An jenem Wochenende schweigen die Mähdrescher, kein Trecker tuckert durch die kleinen Dörfer, die Weiden sind leergefegt und die Straßen sind noch menschenleerer als sonst.
Im ersten Morgengrauen erwachen die kleinen Häuser. Aufgeregte Stimmen werden laut, Kinder weinen, Mütter schimpfen, Väter mahnen zum Aufbruch. Früher wurde angespannt, heute pendeln übervolle Kleinbusse von den Ortschaften in die Zentralgemeinde und schaufeln unermüdlich Menschenmasssen herbei.

Die traditionelle Tierschau zieht, wie eh und jeh, Mensch und Vieh in ihren Bann.
Gewaltige Bullen werden von entschlossen blickenden Bauern am Nasenring heran gezogen. Kühe mit prallen Eutern schreiten mit wiegenden Schritt durchs Rund. Pferde tänzeln nervös vor den Blicken der gestrengen Preisrichter. Hühner, Enten, Gänse schnattern aufgeregt in ihren Käfigen, Kaninchen äugen ängstlich aus ihren Boxen.
Nur die marzipanrosa Ferkelchen merken nichts von all dem Trubel, sie drängeln und schubsen, um an die milchreichsten Zitzen der ungerührt schlafenden Muttersau zu gelangen.
Rundum steht eine Mauer aus fachkundigen Zuschauern und schaulustigen Städtern. Kinder quetschen sich durch den Wald aus Beinen, um auch einen neugierigen Blick auf das Geschehen zu wagen.

Wenn die Morgensonne zu stechen beginnt, erhebt sich eine Stimme über den Lärm der Menschenmassen, der Herr Landrat ergreift das Mikrophon und das Wort. Das Stimmgewirr wird leiser, ein aufgeregtes Summen legt sich wie eine Glocke über offene Münder und zusammen gekniffene Augen. Die Namen der Gekürten werden ausgerufen. Stolze Züchter betreten breitbeinig die Arena , holen sich bunte Kokarden und flatternde Bänder für die begehrten ersten Plätze ab. Schulterklopfen und Neid begleiten ihren Weg.
Wer leer ausgeht, verlässt den Platz mit starrem Blick und durchgedrücktem Kreuz . Vieh wird per Handschlag verkauft und folgt mit stumpfen Augen den neuen Besitzern.

Erschöpft von all den Aufregungen strömt nun Alles ins große Festzelt. Freude und Ärger werden mit viel Bier und Korn herunter gespült. Eisbein mit Sauerkraut und Kartoffelbrei dampft auf den langen Biertischen. Alt und Jung stärkt sich für den Nachmittag.
Während die Bauern zusammenhocken, machen sich die jungen Männer, angefeuert vom genossenen Gerstensaft, auf Brautschau. Mit sachkundigem Blick werden Mädchen taxiert und Vorrechte verteidigt.

Inzwischen drehen sich auch die Karusselle, die Marktstände sind geöffnet.
Von allen Seiten schallt Musik aus hundert Lautsprechern, die Losverkäufer versprechen nur Hauptgewinne. Tausend Lämpchen flackern und blinzeln, heischen um Aufmerksamkeit und müssen sich doch dem gleißenden Licht der Sonne beugen.
Lautes Kreischen tönt vom Autoscooter, lachende Münder sausen vorbei, Mädchenhaar weht im Fahrtwind. Muskulöse Männerarme messen sich unter allgemeinem Gegröhle am „Hau den Lukas“.

Während die Kinder und Jugendlichen sich nach allen Regeln der Kirmeskunst um und umeinander wirbeln lassen und die Männer mit glasigen Augen dem Bier zusprechen, erledigen die Frauen ihre Einkäufe. Vom Mieder bis zum Kochlöffel, von der Gardine bis zum Küchenmesser,von der Leiter bis zur Tulpenzwiebel wird einfach alles angeboten. Quengelnde Kinder werden mit Zuckerwatte und Knallplättchenpistolen beschwichtigt, leuchtende Kinderaugen vergessen alle Müdigkeit.

Irgendwann tief in der Nacht kehren alle schwer beladen, teils mit Einkäufen, teils mit Bier, größtenteils mit beidem, zurück in ihr verschlafenes Dorf. Nun haben sie ein weiteres Jahr, um von der nächsten Kirmes zu träumen.
Die wird bestimmt noch schöner und größer sein.
Nächstes Jahr werden die Verlierer von diesem Jahr die Gewinner sein, bestimmt.
Nächstes Jahr wird die große Liebe gefunden, bestimmt.
Nächstes Jahr bekommen die Jungen noch blitzendere Schwerter und die Mädchen buntere Kleidchen, ganz bestimmt!



Banges Warten auf das Urteil des Wertungsrichters


Der Wertungsrichter in Aktion

 
Mutter und Sohn warten geduldig auf ihren großen Auftritt



Früh übt sich, wer sich mit Rindern auskennen will




Der Zauber eines orientalischen Basars mitten im Sauerland




Süßigkeiten neben BHs - eine appetitanregende Kombination




Skeptische Mädchen beurteilen das Kräftemessen


Schnelligkeit und Kraft - so bezwingt Mann den Lukas


Begeisterung und Angst im Karussel



Die magnetische Anziehungskraft der Lichter

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Tag der Veröffentlichung: 15.08.2009

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