Die Mitteilung, dass das Grabtuch von Turin tatsächlich Jesus umhüllt hatte, wurde von der Öffentlichkeit kaum wahr genommen. Aber die Schlagzeile „Genmaterial von Jesus Christus gefunden – Wissenschaftler planen Klonung!“ schlug wie eine Bombe ein. Es entbrannten hitzige Diskussionen, wie man ein solches Vorgehen bewerten sollte. Der Papst zitierte aus seiner Enzyclica, die das Reproduzieren von Menschen aus Genmaterial verurteilte. Indirekt wurde jeder Mediziner mit Exkommunikation bedroht, der sich eines solchen Sakrilegs schuldig machen würde.
Ethikphilosophen übten sich in endlosen Diskursen über die Folgen einer Wiedergeburt Jesu. Die Gerichte wurden mit Unterlassungsklagen überschwemmt. Im Gebäude der UN gingen die Lichter nicht mehr aus.Und in den Medien tobte ein erbitterter Krieg um die spektakulärsten Schlagzeilen.
Als Professor Angelo Gabriele verlauten ließ, dass dank der PCR inzwischen genügend Genmaterial vorhanden sei, um mit der Klonung zu beginnen, brachen alle Dämme. Das Institut für Fertilitätsforschung wurde von wütenden Gläubigen gestürmt, der Professor kurzerhand an der alten Eiche vor dem Gebäude aufgeknüpft und die Labore verwüstet.
Unter Polizeischutz nahm Professor Giuseppe Sanctus seine Arbeit als Nachfolger auf. Die eingefrorenen, befruchteten Eizellen waren dem entfesselten Mob entgangen und so las die Weltöffentlichkeit schon wenige Tage später, dass Jungfrauen gesucht würden, die bereit sind den neuen Messias aus zu tragen. Die Reaktion war gewaltig. Tausende von willigen Frauen aus allen Kontinenten reisten an, um in die Fußstapfen der Jungfrau Maria zu treten. Die Entdeckung von Paris Hilton unter den Bewerberinnen führte zu einem weltweiten Aufschrei der Entrüstung und beendete die glamouröse Karriere der Hotelerbin schlagartig Der Vorschlag nur Nonnen in diese heilige Pflicht zu nehmen, wurde mit dem Inzest-Argument vom Tisch geschmettert. Sie seien schließlich mit Jesus verlobt und dürften ihn deshalb nicht auch noch gebären .
Nach sorgfältigen medizinischen und psychologischen Untersuchungen wurden hundert überglückliche, zukünftige Mütter des Heilands bestimmt. Den Ausserwählten wurden jeweils drei befruchtete Eizellen implantiert, da man damit rechnete, dass ein großer Teil der Embryonen in einem frühen Stadium abgestoßen werden wird. So geschah es denn auch. Nur bei ganz wenigen Frauen konnte nach einem Monat eine Schwangerschaft festgestellt werden. Am Ende des dritten Monats war nur eine junge Frau übrig geblieben, die gesegneten Leibes war. Ultraschalluntersuchungen ergaben den Befund, dass alle drei Embryonen gesund und altersgemäß entwickelt waren. Sie trug die heilige Dreifaltigkeit in ihrem einfältigen Schoß.
Die öffentlichen Auseinandersetzungen verlagerten ihr Schlachtfeld. Eine Unterbrechung der Schwangerschaft war undenkbar. Jesus abtreiben? Das ging selbst den fundamentalischen Gegnern des Projektes zu weit. Man fand sich mit den Tatsachen ab und diskutierte nun mit Verve, wie die Erziehung der Christkinder aussehen sollte. Wo sollten sie aufwachsen? Wer sollte die Verantwortung für ihr Wohl tragen? Eine normale Mutter war dieser Aufgabe doch niemals gewachsen. Unvorstellbar, dass die überforderte Mutter einen der menschgewordenen Götter über das Knie legt.
Der Papst beantragte die Adoption der fötalen Trinität. Millionen Christen beteten um eine gelungene Wiedergeburt. Die Nachrichtensender brachten eine Sonderberichterstattung nach der anderen. Die Tageszeiten bearbeiteten das Thema in all seinen Facetten und veröffentlichten täglich medizinische Bulletins. Vertreter der jüdischen und christlichen Kirche stritten erbittert darüber, ob die Kinder beschnitten oder getauft werden sollten. Die UN tagte weiterhin ohne Ergebnis.
Die junge Mutter wurde in einen Regierungsbunker verbracht und von einem Stab von Ärzten und Psychologen betreut. Der Planungssaal für die militärische Kriegsführung wurde zu einem Pressezentrum umfunktioniert. Zahllose geschäftstüchtige Künstleragenten boten ihre Dienste an. Die ersten Biographien der künftigen Gottesmutter erschienen auf dem Buchmarkt und wurden zu Bestsellern. Stephen Spielberg sicherte sich die Rechte an dem Film 'We, Jesus'.
Am 24. Dezember, das Geburtsdatum war sorgfältig geplant worden, erblickten der Messias in der dreifachen Gestalt eines schreienden Babys das Licht der Welt. Die katholische Kirche reagierte überraschend schnell und legte zwei weitere Christkinder aus Gips in die Krippe des Petersdoms. Doch schon nach wenigen Tagen musste eine Puppe wieder entfernt werden. Einer der Jesus-Knaben starb überraschend. Da er ungetauft blieb, entstand große Sorge um seine Verbannung in die Vorhölle. Glücklicherweise war die Vorhölle für ungetaufte Kinder im Oktober 2006 von Papst Benedict XVI. abgeschafft worden. Sicherheitshalber wurden die verbliebenen Säuglinge umgehend getauft und das gleich mehrfach, nämlich römisch-katholisch, evangelisch, griechisch-orthodox, russisch-orthodox, syrisch-orthodox, anglikanisch und baptistisch. Das führte zu heftigen Protesten der Juden , die auf einer Beschneidung bestanden. Also wurden die Knaben am 1. Januar, dem Festum circumcisionis, beschnitten. Die heiligen Vorhäute wurden mittels eines Mikrotoms in feine Scheibchen geschnitten und an die 14 Kirchen( u.a. die Lateranbasilika in Rom und die Kathedrale von Santiago di Compostela) gesandt, deren Reliquien des wertvollen Häutchens unter der Last der Jahrhunderte schon reichlich an Substanz verloren hatten.
Die Namensfindung bereitete erhebliche Probleme. Ein eilends zusammen gerufenes vatikanisches Konzil einigte sich nach einem 40stündigen Beratungsmarathon auf Jesus III. und Jesus IV.
Die Kinderkrankenschwestern nannten die Knaben der Einfachheit halber Jesus und Christus. Kurz nachdem dies publik wurde, öffnete das erste Warenhaus J&C seine Pforten. Gegen die Bezahlung eines millionenschweren Obolus an die PR-Beratungsgesellschaft der beiden Klone erhielt es die Genehmigung sich "Offizieller Ausstatter von Jesus und Christus" zu nennen. Innerhalb weniger Monate schossen J&C Filialen auf allen Kontinenten aus dem Boden. Hier konnten die modebewußten Schwangeren Umstandskleider à la Mary erwerben.
Ausserdem im Angebot: Strampelanzüge mit Heiligenschein, krippenartige Kinderbetten, Säuglingsnahrung mit der Aufschrift "Das schmeckt Jeus und Christus" und ähnliches Unverzichtbares für das stylishe Baby von heute.
Sechs Wochen nach der Geburt versiegte der Milchfluss der heiligen Leihmutter und sie verließ, begleitet von ihren PR-Agenten den unterirdischen Bunker. Sie wurde von einem nie dagewesenen Medienaufgebot erwartet. Hubschrauber kreisten über der komprimierten Menge und die Sonne verblasste vor dem Blitzlichtgewitter. In ihrem Gepäck befanden sich Einladungen zu den berühmtesten Talkshows der Welt, ein Plattenvertrag für internationale Schlaflieder, das Angebot für eine Doku-Soap über ihr Leben und ein Foto der drei Neugeborenen. Angesichts der gierigen Kameras und der sie anbrandenden Mikrophone erlitt die junge Frau einen Weinkrampf und wurde mit einem Krankenwagen in ein nahegelegenes Militärhospital verbracht. Nach wenigen Tagen, als sie sich von ihrem Nervenzusammenbruch erholt hatte, entließ sie ihre Manager, verbrannte die Angebote und erhielt vom Nachrichtendienst eine neue Identität. Als sie einige Monate später Professor Giuseppe Sanctus heiratete, war sie bereits aus dem Interesse der Öffentlichkeit verschwunden.
Vor dem Bunker spielten sich inzwischen unbeschreibliche Szenen ab. Zusätzlich zu der versammelten Pressemeute strömten mehr und mehr Gläubige auf das Gelände. Es kam zu tumultartigen Szenen, die Ernährung der versammelten Menschenmenge warf erhebliche Probleme auf, eine Armada von Mobiltoiletten säumte das bizarre Spektakel. Als das entlassene Pflegepersonal begann Weihwasser zu verkaufen, das sie aus homöopathisch verdünnten Urin der heiligen Säuglinge hergestellt hatten, kam es zu einer Massenpanik, in der 12 Menschen den Märtyrertod fanden.
Um eine weitere Eskalation zu vermeiden, wurden die zwei noch lebenden Knäblein in einer Nacht und Nebel Aktion heimlich aus einem Seitenausgang des Bunkers geschleust..Sie wurden zu einem großen Landsitz geflogen und verbrachten dort eine halbwegs normale Kindheit, betreut von ausgesuchten Erzieherinnen, den besten Kinderärzten und Kinderpsychologen . Als die Jungen das Schulalter erreichten, wurden sie von Jesuiten unterrichtet und erhielten nach der weltweit ausgestrahlten Castingshow „J&C's best Buddy“ sogar Mitschüler in allen Hautfarben. Diese Maßnahme hatte ungeahnte Konsequenzen, denn die aufgeweckten Kinder begannen Jesus und Christus zu necken. Als schließlich einer der beiden, überdrüssig des Kameradenspotts, versuchte den See, der das Grundstück umschloss, zu Fuß zu überqueren, versank er in den kühlen Fluten und ertrank.
Fortsetzung folgt
Tag der Veröffentlichung: 11.07.2009
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