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Dieser Sonntag des Ehepaars Fröhlich beginnt, wie jeder andere Tag, mit einem Blick auf die andere Seite des Ehebetts. Dann steht Frau Fröhlich auf, geht kurz ins Bad und bereitet das Frühstück vor. Herr Fröhlich bleibt noch ein wenig liegen, genießt die Wärme der Decke und hängt seinen Gedanken nach. Er erfreut sich an der Erinnerung an den Sex des Abends und wartet auf den Morgenkaffee. Frau Fröhlich kommt in ihrem geblümten Morgenmantel herein, stellt die obligatrorische Tasse Kaffee mit einem selbstgebackenen Plätzchen auf den Nachttisch und bleibt abwartend vor dem Bett stehen. Er nimmt den ersten Schluck und verbrennt sich mal wieder die Zunge.
„Muss der Kaffee denn immer so heiß sein?“, poltert er ärgerlich.
Sie schaut ihn mit ihrem unergründlichen Lächeln an und schweigt.

Dieses verdammte Schweigen! Wie lange geht das schon? Monate, Jahre?
Herr Fröhlich weiß es nicht. Er hat sich vorgenommen, es nicht mehr zu hinter fragen. Trotzdem beschäftigt ihn dieses Rätsel jeden Tag aufs Neue und die Gedanken surren wie ein Hamster in seinem Rad.
Wann hat es begonnen? Warum schweigt sie? Was will sie damit erreichen? Wird das jemals enden?

Anfangs hatte er sie angebrüllt, sie beschimpft, sie geschlagen, sie mit allen Mitteln zu provozieren versucht. Inzwischen hatte er es aufgegeben. Manchmal war es ja auch ganz angenehm eine stumme Frau zu haben. Keine ehelichen Streitereien, keine hitzigen Wortgefechte, bei denen sie immer das letzte Wort hatte. Als er den Kollegen von dem seltsamen Verhalten seiner Frau erzählte, hatten sie gelacht und ihn als Glückspilz bezeichnet.

Er konnte machen, was er immer wollte. In den ersten Monaten genoß er das in vollen Zügen. Kam nach Hause, wann er wollte, verließ das Haus, so oft er wollte, ohne Angabe von Gründen und ohne einen Zeitpunkt für seine Rückkehr anzugeben.
Sie blieb stumm.
Er bestellte sein Lieblingsessen, er warf seine benutzte Kleidung auf den Boden, er rauchte im Schlafzimmer.
Sie schwieg.
Er verlangte von ihr Praktiken, die er aus Pornofilmen kannte und die sie verabscheute.
Sie machte mit, aber kein Laut drang über ihre Lippen. Kein Wimmern, kein Stöhnen. Nichts!

Auch der gestrige Abend war so verlaufen.
Ach egal, sollte sie doch die Rätselhafte markieren, Hauptsache er hatte seinen Spaß.
Ärgerlich wirft er die Bettdecke von sich und steht auf. Beim Pinkeln pupst er ausgiebig und freut sich, dass kein giftiger Kommentar von ihr kommt. Das Rasieren übernimmt sie, er geht unter die Brause, sie seift ihm den Rücken ein, er kommt aus der Duschkabine, sie trocknet ihn ab. Nachdem sie ihn angezogen hat, sitzen die Eheleute beim gemeinsamen Frühstück. Er verschwindet hinter der Zeitung, sie schmiert die Brötchen und schenkt Kaffee nach. Kein Wort stört den sonntäglichen Frieden.

Während sie den Tisch abdeckt, beobachtet er sie heimlich. Was mag hinter ihrer glatten Stirn vorgehen? Sie fängt seinen forschenden Blick auf und hält ihm stand. Ihr Gesicht ist entspannt, ausdruckslos. Keine Muskelspannung verrät etwas über ihre Gedanken, ihre Gefühle, ihre Absichten. Resigniert wendet er sich wieder der Zeitung zu.
War da nicht doch etwas? Irgendetwas hatte doch den Ausdruck der Gleichgültigkeit gestört. Hatten ihre Pupillen sich verengt? War da ein kleines Abrutschen der Mundwinkel gewesen?


Rasch blickt er wieder auf, doch er begegnet nur noch ihrer Indifferenz. Achselzuckend klappt er die Zeitung zu und verlässt das Esszimmer. Ein Gefühl von Unbehagen bleibt. Zwischen seinen Schultern entsteht ein Kribbeln, als ob sie ihn mit ihrem Blick verfolge. Er knallt die Tür zu und geht über den Flur ins Wohnzimmer.

Die Wände des Flurs sind tapeziert mit Familienfotos: Lächelnde Gesichter, das Hochzeitsbild im goldenen Rahmen, Familienfeiern, Schnappschüsse aus den Urlauben am Wörthersee. Im Brautkleid schaut sie noch mit lachend geöffnetem Mund in die Kamera, je jünger die Fotos sind, desto mehr schließen sich ihre Lippen. Auf dem letzten Bild, das bei der Beerdigung ihrer Tochter aufgenommen wurde, ist der Mund versiegelt. Damals hatte sich ihr Schweigen bereits wie ein dunkles, schweres Tuch über ihr Leben gelegt.
Hing es mit dem Selbstmord von Vera zusammen oder war es schon vorher da gewesen?
Er weiß es nicht.

Er setzt sich auf das Sofa, zwischen die penibel in der Mitte geknickten Kissen und macht den Fernseher an, zappert sich durch die Programme, schaut und sieht doch nichts. Seine Gedanken kreisen um seine Frau. Dieser Sekundenbruchteil, in dem sich ihre Pupillen verengten, beunruhigen ihn mehr und mehr. Er hasst diese Frau, hasst ihr Schweigen und ihren Gleichmut. Langsam steigt ein Gedanke in ihm auf, den er seit Längerem hegt, bisher aber immer zurück gedrängt hatte.
Ich bringe sie um, bringe sie endgültig zum Schweigen.
Heute gefällt ihm die Idee ganz besonders und ein böses Lächeln verzieht seine groben Züge.
Ich erwürge sie und lache ihr ins Gesicht.

Genüsslich macht er sich auf dem Sofa breit und gibt sich seinen Träumen hin. Sein Herz klopft in Vorfreude. Es klopft und hämmert in seinen Ohren. Schneller und schneller.
Da stimmt doch was nicht!
Er richtet sich entsetzt auf, greift sich an die Brust. Verzweifelt tastet er nach dem Telefon, das normalerweise unter dem Couchtisch liegt. Es ist nicht da!
Diese verfluchte Schlampe, der werde ich....
Ächzend schlägt er um sich. Die Kristallvase mit den Nelken fällt vom Tisch und zerspringt auf dem Boden.

Da – die Tür öffnet sich und sie kommt herein.
Jetzt wird alles gut, sie holt den Notarzt und ich werde gerettet.
Sein Herz klopft wie ein gefangener Vogel, der sich verzweifelt gegen die Gitterstäbe wirft. Zwischendurch setzt es immer wieder aus, um dann um so schneller wieder zu schlagen. In seinem Kopf dröhnt es und die Welt um ihn wird dunkler und wirrer. In Todesangst reisst er die Augen auf und schaut in das Gesicht seiner Frau, die sich über ihn beugt.

Sie legt den Finger auf ihre lächelnden Lippen und das letzte, was er in seinem Leben wahr nimmt, ist ein leises
„Schweig!“


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 30.06.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Fabiana, die mich auf die Idee gebracht hat.

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