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Nehmet, esset; das ist mein Leib.

Und er nahm den Kelch und dankte, gab ihnen den und sprach: Trinket alle daraus;

das ist mein Blut,



Matthäus Evangelium Kap. 26, Vers 26-28




Den Vernehmern saß eine einfache, alte Frau gegenüber. Sie trug einen abgenutzten Wollmantel, der nur notdürftig ihr verschlissenes Kleid verdeckte. Ihr graues Haar hatte sie mit einem bunten Kopftuch bedeckt, wie es sich für eine anständige Frau in ihrer Heimat gehört.
Sie lächelte liebenswürdig und ihr runzliges Gesicht verzog sich zu dem typischen Gesicht einer Babuschka, einer Großmutter, wie sie sich jedes Kind vorstellt.

Nur ihre unruhigen Hände, die sich falteten, wieder trennten, den Rock gerade zogen und wieder wie zu einem Gebet zueinander fanden, verrieten etwas von dem Aufruhr, der sich hinter der Maske der Arglosigkeit verbarg.

Die Kriminalbeamten der Mordkommission fühlten sich unbehaglich. Einerseits waren sie von der freundlichen Harmlosigkeit der Alten angerührt, andererseits saß ihnen eine Frau gegenüber, die Unvorstellbares getan hatte.


Der leitende Ermittler warf einen Blick in seine Unterlagen, beugte sich über den Schreibtisch und suchte Augenkontakt mit der Beschuldigten.

„Wir haben in ihrer Wohnung ein schwerverletztes Mädchen gefunden. In der Küche fanden sich Leichenteile, gekochtes Menschenfleisch. In der Badewanne lag eine zerstückelte Mädchenleiche in ihrem Blut. Was sagen Sie dazu?“

Die alte Frau zog ein karriertes Taschentuch aus ihrer Kittelschürze, putzte sich die Nase und wischte sich über beide Augen. Dann steckte sie es wieder weg und zog sorgsam ihren Rock glatt.
Ihre trüben Augen irrten über den Fußboden, hielten sich an einem Fleck fest und so verharrte sie schweigend.

„Wir haben die Aussage eines Opfers. Sie hat uns genau berichtet, wie sie von Kolya immer und immer wieder vergewaltigt wurde. Wie er sie und die anderen Mädchen gequält hat. Daß sie eine, von Ihnen zubereitete, Suppe essen mussten. Die Suppe war aus dem Fleisch eines der Mädchen gekocht worden. Stimmt das etwa nicht?“

Wieder hörte man eine Weile nur das leise Surren des Tonbands, dann begann die Frau mit leiser Stimme zu sprechen.
„Ja, es stimmt. In unserer Wohnung haben sich schreckliche Dinge ereignet. „

Der Kommissar lehnte sich zurück und betrachtete die alte Frau schweigend.
Dann sagte er : “Sie haben all das Leid mit angesehen ohne einzugreifen. Schlimmer noch, Sie haben die Mädchen in die Wohnung gelockt. Sie haben sie auf der Straße angesprochen und um Hilfe beim Tragen ihrer Einkaufstaschen gebeten. Sie haben die Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit der Mädchen ausgenutzt und sie wie Lämmer zu ihrem Schlachter gebracht.
Haben Sie nie an die Eltern und deren Schmerz gedacht?“

Die alte Frau senkte den Blick auf ihre gefalteten Hände, dann blickte sie zur Decke und holte mehrmals tief Luft.
„Es waren keine guten Mädchen! Sie lungerten auf der Straße herum. Die waren ihren Eltern doch egal. Sie hätten eben besser auf ihre Kinder aufpassen müssen, dann wäre das Alles nie passiert!“

Mit mühsam unterdrückter Abscheu fixierte der Kommissar die Frau: „Aha! Die Eltern sind also schuld daran, daß ihre Kinder geschändet, gefoltert und ermordet worden? Daß ihre toten Leiber zerhackt und gegessen wurden?

Sie wissen nicht, was Eltern fühlen, wenn sie erfahren, welche Qualen ihr Kind erleiden musste!
Sie wissen nicht, was Mutterliebe ist!"

Die Frau blickte ihn zornig an. Alle Weichheit wich aus ihren Zügen und die Kommissare sahen zum ersten Mal das Gesicht der Mörderin.

„Ich weiß sehr genau, was Mutterliebe ist!
Mein Sohn hat mich, bei seiner Geburt, beinahe umgebracht. Trotzdem habe ich ihn Tag und Nacht auf meinen Armen gewiegt. Er hat geweint und geweint, fast so als hätte er die Tritte gespürt, die mein Mann mir gegeben hatte.

Als er dann ein kleiner Junge war, hat er gebrüllt, wenn seine Schwester vor Angst und Schmerzen schrie. Er schaute mich dann mit seinen großen Augen an und versteckte sich schließlich hinter meiner Schürze.

Aber wir mußten doch zusehen, wenn mein Mann sie sich vornahm. Also nahm ich die kleinen Fäustchen von seinen Augen und hielt sie ganz fest. Irgendwann hörte er auf zu weinen und sah dem Geschehen stumm zu.

Damals habe ich zum ersten Mal dieses eigenartige Funkeln in seinen Augen gesehen. Und endlich wusste ich, wie ich ihn glücklich machen konnte, wie ich alle Schmerzen, die er erlitten hatte, ungeschehen machen konnte!“


Sie schwieg erneut, dann straffte sich ihr scheinbar so gebrechlicher Körper und sie schleuderte den Kommissaren fast schreiend entgegen: „Ja, ich habe es getan!
Ja, ich habe ihm geholfen die Mädchen zu töten.
Ja, ich habe ihm immer wieder neue Mädchen besorgt.

Warum? Sie fragen sich, warum?
Weil er mein Kind ist und ich ihn liebe!
Ich liebe ihn, wie eine Mutter ihr Kind nur lieben kann.
Er ist alles, was ich habe auf der Welt!"

Ihre Stimme brach und nur mühsam konnte man ihre letzten Worte verstehen:
"Kolya, mein Kind! Mein Junge!
Er ist doch mein eigen Fleisch und Blut!“


© Elke Moritz

Impressum

Texte: Titelfoto © Elke Moritz
Tag der Veröffentlichung: 17.06.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Geschrieben nach einer wahren Begebenheit. Der Namen des Täters wurde geändert.

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