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Stillen




Ruhe, endlich Ruhe.

Die Kinder liegen bleich und still in ihren Bettchen. Nur das Baby schlummert noch auf meinem Schoß.
Bald wird es erwachen und schreien und schreien. Das Zimmer wird widerhallen von dem Gebrüll und es wird keine Ruhe geben. Erst wenn es sich an meiner Brustwarze festsaugen kann wie ein Blutegel und den Rest meiner Lebenskraft aus mir holt, wird das zahnlose Mäulchen schweigen. Nur seine dunklen Augen heften sich an meine und suchen nach meinem innersten Sein. Aber ich werde meine Gefühle diesmal tief in mir verbergen. Meine Lippen werden lächeln, während meine Zähne aufeinander beissen.

Noch bleibt ein wenig Zeit für mich, für meine Gedanken, diese Zeilen und eine Flasche Rotwein.Mein letztes Geld habe ich für diesen besonderen Abend geopfert und den teuersten Wein gekauft, einen aus dem obersten Regal. Dort oben kenne ich mich nicht aus, weder bei Alkohol noch bei Nahrung. Normalerweise mache ich meine Einkäufe in gebückter Haltung, unten stehen die billigen Sachen.

Der Gang zur Kasse gleicht jedes Mal einem Alptraum – wird das Geld reichen? und wenn nicht? Ich fürchte die verächtlich, mitleidigen Blicke der Kassiererin, der anderen Kunden. Schrecklich, wenn die Mädchen die Süßigkeiten entdecken, sich Lutscher oder Schokoriegel greifen. Dann wird gequengelt und gebettelt. Ich versuche sie zu überhören und die unerwünschte Aufmerksamkeit der Menschen zu übersehen. Manchmal bezahlt jemand die Naschereien für die Kinder 'die sind doch so süß'. Oh, wie ich das hasse! Die Mädchen setzen ein breites Grinsen auf und ich weiß genau, was sie denken.'Fremde Leute sind lieber zu uns als du'.
Nie wieder, nie wieder!

Auf dem Küchentisch liegen die Tabletten wie bunte Smarties, sie versprechen Rettung und Vergessen, Risiken und Nebenwirkungen existieren für mich nicht mehr. Früher habe ich die Gebrauchsanleitung gelesen, aber kein Wort verstanden, alles lateinisch. Warum schreiben die Firmen so viele unverständliche Worte in winziger Schrift auf große, geheimnisvoll gefaltete Zettel? Nur damit sich die einfachen Menschen noch mehr ausgeschlossen fühlen?
Ich schlage ihnen ein Schnippchen und lese sie einfach nicht mehr. Ihr könnt mich mal!
Die lila Dragees lachen mich an und ich würge sie mit einem großen Schluck runter.

Lila, wie die Kleidchen der Kinder.
Ich habe sie lange gebadet und als ich sie anzog, war es so einfach. Kein Gezappel, kein Kreischen. Also habe ich ihnen die blonden Haare gekämmt, sonst wird immer gejammert, weil es so ziept. Heute nahm ich mir viel Zeit ihnen in Ruhe die zerzausten Locken zu entwirren, habe rosa Schleifchen in die Zöpfe gebunden und nun sehen sie aus wie kleine Engelchen. Ich legte sie auf die Betten und drückte ihnen die Lieblingskuscheltiere in den Arm.

Rosa - also nehme ich nun die rosa Tabletten und die weißen gleich hinterher.
Weiß – die Farbe der Unschuld. In den Nachrichten heisst es oft 'unschuldige Kinder', von wegen unschuldig. Will denn keiner wahrhaben, wie rücksichtslos sie das Leben ihrer Mütter zerstören? Sie lassen einen nicht schlafen, die Freundinnen gehen alleine ins Kino, in die Disco. Immer muß man für sie da sein, füttern, beschissene Windeln wechseln, nächtelang Babies auf dem Arm tragen, während sie einem unbarmherzig ins Ohr brüllen. Sie reissen alles vom Tisch, räumen Regale aus, zerbröseln meine Zigaretten, wollen dieses und wollen jenes nicht. Es gibt kein Entrinnen, kein Atemholen, keine Pause. Und wer kümmert sich um mich? Kein Mensch!

Jetzt sind die Blauen an der Reihe, die Flasche ist fast leer und mir brummt der Schädel.
Fast so wie damals, wenn mein Freund mich mal wieder geprügelt hatte. Der erste Schlag war wie ein Schock und tat kaum weh, der zweite riss mich von den Beinen und mein Gesicht begann zu brennen, zu schwellen. Dann prügelte und trat er ziellos auf mich ein, mit jedem Hieb driftete ich mehr und mehr weg. Mein Ich schien sich vom Körper zu lösen, als ob das Alles nicht mir geschah, sondern einer Stoffpuppe. Wenn ich dann wieder zu mir kam, war da dieses Dröhnen in meinem Kopf und ich kannte mich tagelang im Spiegel nicht . Aber mein Liebster war so fürsorglich, verpflasterte meine Platzwunden und versprach mir, es nie wieder zu tun. Bis zum nächsten Mal ...
Irgendwann war er dann weg, einfach so, kein Wort, kein Abschied.

Das einzige was von ihm blieb, waren die beiden Mädchen, ein Baby in meinem Bauch und sein Sohn. Sein Sohn, der ihm so ähnlich sieht. Ich schaue ihn an und ich sehe seinen Vater, meine Narben jucken bei seinem Anblick. Natürlich hat er mir sein Leben lang Probleme bereitet, von seinem ersten bis zu seinem letzten Atemzug. Wie er sich gewehrt hat, ein wildes Tier, hat mich gebissen und geschlagen. Aber nun liegt auch er bewegungslos auf dem Boden, seine Haare sind noch feucht und kleben widerspenstig auf seiner Stirn. Sollte ich ein Handtuch über ihn werfen? Ach was, soll doch sein Vater sehen, was er mir angetan hat. Soll er doch leiden, geschieht ihm recht.


Das Luftholen wird mir schwer, meine Augen müde ...


Ich muss das Baby noch wecken und es stillen -
und dann


das Ende.

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Tag der Veröffentlichung: 07.06.2009

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