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Vor etwas mehr als einem Jahr bin ich nach fast 20jähriger Abwesenheit zurück in die alte Heimat gezogen. Bei Verwandten untergekommen, habe ich mich erst einmal auf die Suche nach einer festen Bleibe umgesehen. Da Presse und Makler nicht viel hergaben benötigte ich dringend einen Zugang zum Internet. Freunde empfahlen mir ein städtisch betriebenes, zu kleinem Preis benutzbares Bistro. Hier verbrachte ich dann die kommenden Wochen, jeweils an drei Tagen, bei der Suche nach Wohnraum und Arbeit, eine Ü50 Einrichtung, von ehrenamtlichen Mitarbeitern betreut. Man lernte Leute kennen. Nette und weniger Nette, Dicke und weniger Dicke, Kluge und weniger Kluge, Alte und nicht ganz so Alte. Alles in allem aber spaßig und in angenehmer Atmosphäre. Bald hatte die Wohnungssuche Erfolg, ich zog um und suchte eine mehr oder weniger sinnvolle Betätigung. Gespräche im Bistro ergaben, dass man Mitarbeiter für die Aufsicht und Betreuung der nicht immer EDV-kundigen Gäste suchte. Also wechselte ich die Seite, wurde vom Gast zum ehrenamtlichen Mitarbeiter einer städtischen Einrichtung in einer mittelgroßen Landeshauptstadt am Rhein. Hier sollte ich fortan an 1-2 Tagen jeweils für drei Stunden meinen Dienst verrichten. Die neuen Kollegen spiegelten im Großen und Ganzen das Spektrum der Gäste wieder. Es gab mehr oder weniger Alte, Dicke, Nette und Kluge. Hinzu kamen, wie im richtigen Leben, die mit mehr oder weniger Lust, die ohne Ahnung, die Vielwisser und die nach Selbsteinschätzung Allwissenden, Vorturner und Mitläufer, selbsternannte Chefs, nette Senile aber auch im Kopf intakte Unsympathische. Später stellte sich heraus, dass auch Selbstdarsteller, Intriganten und Denunzianten darunter waren. Die Evolution hatte eine bunte Truppe zusammengestellt, die sich hier regelmäßig im Bussard Weg 91 zusammenfand. Kurzum, es hat Spaß gemacht, es war ein Vergnügen. Doch irgendwann zogen dunkle Wolken auf, Gerüchte wurden laut, es wurde getuschelt und gelästert. So soll Geld, Kaffee, Milch und Leergut verschwunden sein. Eine Kollegin, nennen wir sie einfachheitshalber Kuhtrumm Sinn, erklärte öffentlich: Wir haben Diebe in unseren Reihen, es wird gestohlen, Trinkgeldkasse, Kaffee, Milch und Leergut – ALLES WEG! In kleinerem Kreis erdreistete sie sich sogar einen konkreten Verdacht zu äußern. „Das war bestimmt der Fritz, der hat doch so komische politische Ansichten, der Freund von dem soll sogar in so einer radikalen Partei sein. Die wollen die Kanzlerin stürzen und sollen kleine Kinder fressen.“ Keiner aus dem Kollegenkreis, überwiegend honorige ältere Herrschaften, würde sich jemals die Blöße geben, bei der Mitnahme von Kaffee und leeren Colaflaschen ertappt zu werden. Darüber hinaus durften wir „Ehrenamtlichen“ Kaffee und Kaltgetränke zu Nulltarif konsumieren, die Trinkgeldkasse war mit einem geschätzten Monatsumsatz von 2,47 Euro äußerst unattraktiv. Selbstverständlich sollten wir keine Rechner mitnehmen, das Entwenden von Bildschirmen hätte ebenso zu Irritationen geführt. Während meiner Zeit hielten sich auch alle an diese Regel. Ein absurder Verdacht also, aber, und dies ließ auch mich etwas zweifeln. Wer kleine Kinder frisst, braucht vielleicht anschließend eine gute Tasse Kaffee. Letztendlich verlief alles im Sande, konnte nicht geklärt werden. Kuhtrumm wurde zu ihrem konkreten Verdacht befragt. Wie bei Denunzianten üblich, stritt sie es ab, jemals Äußerungen in diese oder jene Richtung getätigt zu haben. Es war ihr wohl etwas peinlich, ich denke sie hätte in dieser Situation auch Eltern und Großeltern, selbst ihr eigenes erklägliches SEIN verleugnet. So weit so erledigt, sollte man meinen, es blieb aber ein Generalverdacht in der Luft, ich hielt mich fortan für einen bösen Buben. Kurzum: der weniger Netten, weniger Gescheiten, weniger Dünnen und weniger Adretten Kuhtrumm S. war ein Paradebeispiel an Selbstdarstellung gelungen.

Eine Woche später, an einem wunderschönen, sonnigen Julitag zog es mich ins Toyota-Bad, hoch über der Stadt. Bockwürste und Kartoffelsalat waren vertilgt und ich bekam gerade mein zweites Bier. Ich schaute über Weinberge hinab auf die Stadt und erfreute mich auf der Terrasse des Restaurants meines Lebens. Aus den Augenwinkeln erblickte ich ein watschelndes Wesen, über und über bepackt auf der Suche nach einem schattigen Plätzchen. Beim zweiten Hinsehen entpuppte sich das Wesen als Frau. Klein und füllig, ballähnlich so Pi mal Daumen 75 cm im Radius. Nachdem sie Taschen und Tüten abgestellt hatte, konnte man erkennen, dass sie lediglich mit einem Minibikini aus der Kinderabteilung von KIK bekleidet war. Etwas knapp, aber mit geschmackvollem, buntem Blümchenmuster. Um Augenschäden vorzubeugen, wandte ich mich edleren Motiven zu. Schönes Wetter, schöne Menschen, eine schöne Blume auf dem dritten Pils, so konnte es bleiben. Lautes Gelächter machte mich hellhörig. Die oben beschriebene Dame hatte eine Polyester-Luftmatratze aufgeblasen und sich dummerweise drauf gesetzt. So etwas hatte noch niemand gesehen. Alle vier Stöpsel der Matratze verabschiedeten sich gleichzeitig mit heftigem Knall. Wäre die Dame 80 kg leichter gewesen, wäre sie samt Matratze über die Liegewiese geflogen, so hinterließ sie nur den Abdruck ihres Hintern im frisch gemähten Gras. Witzig anzuschauen dieses Szenario! Ich sah genauer hin und erkannte die Frau. Es war Kuhtrumm! Na toll, jetzt hatten wir alle auch noch Freiluftkino. Meine Kollegin sah etwas verwirrt und traurig aus, entnahm ihrer Strandtasche eine Flasche Sonnenöl und schmierte sich lange und ausgiebig damit ein. Die Fettschicht war so dick aufgetragen, dass sie wie ein Walross aussah. Oder eher wie ein Butterberg. Was nun geschah, konnte man ahnen als sie zum Laptop griff, ihn öffnete und sich auf die Oberschenkel stellte. Das Display leuchtete auf, wegen der hohen Sonneneinstrahlung war aber nichts zu erkennen. Kuhtrumm beugte sich nach vorn, um ihre getönte Brille zu greifen. Kleine Körper bedeuten kurze Wege für die Extremitäten, will heißen sie begrub die Tastatur mit ihrem Busen. Sonnenöl gepaart mit Körperschweiß und Tränen ergoss sich zwischen Buchstaben und Zahlen. Da ich, wie meine Nachbarn auch, das Ganze mittlerweile mit dem Fernglas verfolgte, konnte ich auf dem zuckenden Bildschirm gerade noch Folgendes lesen: „ I`m not really amused about this, my little dear fatness! Frei übersetzt könnte man sagen: „Ich habe jetzt wahrlich keine Lust mehr, mein kleines Dickerchen“ oder auch „Ich hab jetzt die Schnauze voll, Du fette Sau!“ Sichtlich frustriert legte Kuhtrumm den frisch geölten Laptop beiseite, drehte sich einmal um die halbe Achse um über zwischenzeitliches Knien zum Stehen zu kommen. Derweil verbogen sich die Kunststoffteile des Rechners unter der Sonnenglut, das Öl im Inneren begann zu sieden. Die Reihenfolge der folgenden Ereignisse kann ich nicht exakt beschreiben, nur vage erahnen. Laufwerke gingen auf, Klappen öffneten sich, CDs und der Akku flogen gen Himmel. Wie das Finale eines Feuerwerkes sah es aus als die Plastikkappen der Tastatur wie platzendes Popcorn in der Luft tanzten. OB Kuhtrumm dies mehr oder weniger gelungen fand ist nicht überliefert. Das nunmehr zahlreich vorhandene Publikum hatte jedenfalls seine Freude, von ein paar tröstenden Worten mal abgesehen. Was wollte diese gnadenlos überforderte Dame nur mit dem PC im Schwimmbad? Nun, der Teamer Horst Rabe hatte, auf der Basis einer Grundidee von Bill Gates, ein völlig neues Abrechnungsmodel für unser Internetcafé geschaffen. Wir waren alle gehalten uns mit dem buchhalterischen und mathematisch höchst anspruchsvollen Hintergrund dieses Programms vertraut zu machen. Wahrscheinlich, und das ehrt sie zutiefst, wollte Kuhtrumm üben wie man 2stellige Zahlen in vorgegebene Felder eingibt. Die nun völlig demoralisierte Frau Sien ergriff ihre Schwimmflügel und trottete in Richtung Schwimmbecken, Abkühlung hieß das Zauberwort. Beim Durchqueren des Desinfektionsbeckens war es nur dem beherzten Eingreifen einer wachsamen Mutter zu verdanken, dass zwei Kleinkinder durch Wellengang nicht ertranken. Ein Raunen ging durch die Menge: „Hoffentlich springt sie nicht vom Beckenrand“. Die betuliche Stadt am Fuße des Hügels hätte ihren Tsunami erlebt. Kuhtrumm tat uns den Gefallen und nahm die Treppe. Wasser verklärt bekannter weise den Blick, es sah fast elfengleich aus wie sie in die Fluten glitt. Ein paar grazile Schwimmbewegungen und kurze Zeit später war sie von der Wasseroberfläche verschwunden. Ob ein Schlaganfall oder pure Unaufmerksamkeit sie in solche Nöte brachte, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich tippe sie war der irrigen Meinung, dass Fett immer oben schwimmt, analog einer leckeren Hühnersuppe. Oder sie war im Glauben, Frau Jesus zu sein, könne durch göttliche Gene übers Wasser gehen. Oder sie war einfach zu faul und träge zum Schwimmen. Wir werden es nicht erfahren, Kuhtrumm spricht nicht über kleine Schwächen ihrerseits. Hoffentlich nimmt sie Folgendes als Fazit mit. Eigene Selbstüberschätzung und Hochmut führen weitaus häufiger zum Tode als Menstruationsbeschwerden. Daran wird sie aber in dem Augenblick nicht gedacht haben, blutet sie doch nur noch beim Ziehen von Krampfadern. Oder vielleicht beim Kartoffelschälen. Durch das Gejohle der Badegäste alarmiert, sprangen sieben Bademeister gleichzeitig ins Wasser, um die großangelegte Rettungsaktion zu starten. Die ersten Zeugen des Vorfalls wiesen ihnen den Weg zur Unglücksstelle. Alle übrigen Badenden mussten umgehend die Becken verlassen. Der erste mutige Helfer tauchte ab, ergriff unter Wasser Kuhtrumms rechten Arm und bugsierte sie nach oben. Schnell waren auch die anderen zur Stelle, waren aber leider nicht in der Lage sie zu fangen. Ihr Körper war zu fett eingeschmiert. Sie rutschte und flutschte ihren Rettern immer wieder aus den Händen, was sie, einem Delfinsprung gleich, aus dem kalten Nass springen lies. Diese ließen aber nicht nach und versuchten nacheinander ihr Glück. Immer wieder glitschte die beinahe Ertrunkene empor, und die begeisterten Zuschauer ermutigten die Helden durch Zurufe. Die bedauernswerte Frau Sinn machte, einer nassen Seife gleich, elegante Bögen in der Luft, verschwand eine Weile unter Wasser und erschien überraschend an einer anderen Stelle wieder. Die Rettungsaktion entwickelte sich allmählich zu einem Fangspiel zweier imaginärer Mannschaften. Die Schwimmer schienen sich die Dame gegenseitig zuzuspielen. Wir Zuschauer waren geneigt, Punkte und Tore mit zuzählen. Ausgang ungewiss. Es wurde dunkel, das Restaurant würde gleich schließen. Also rief ich den Kellner,um zu zahlen. 17,20 Euro für einen Imbiss plus drei Bier, ganz schön happig, da aber was geboten wurde gab ich großzügig 20 Euro glatt. Lächelnd bedankte sich die Bedienung mit der Frage ob mir die Show denn gefallen habe. „Einfach klasse“, erwiderte ich grinsend ohne ihn davon in Kenntnis zu setzen, dass die Hauptdarstellerin mir bekannt war. Gerade als ich mich auf den Heimweg begeben wollte, raunte mir jemand zu. „ Die haben die DLRG vom Biebsteiner Hafen mit Schlauchbooten angefordert“. Das konnte und wollte ich mir natürlich nicht entgehen lassen. „Herr Ober, kann ich noch ein Kännchen Kaffee haben?“ Etwas unwirsch, wohl aber in Erinnerung an das vorangegangene Trinkgeld bekam ich das gewünschte Heißgetränk. Der Rettungsdienst traf ein und brachte zwei große Schlauchboote zu Wasser. Schnell paddelten sie zur Beckenmitte, um das Opfer endlich zu bergen. Beim Versuch, die mittlerweile ohnmächtige Person ins Boot zu ziehen, drohte dies zu kentern. Es wollte einfach nicht funktionieren. In Unkenntnis des wahren Ausmaßes dieser Fastkatastrophe wurden wichtige Gerätschaften nicht mitgenommen. Der Leiter des Rettungsteams beorderte drei Bademeister, die Netze eines nahegelegenen Tennisplatzes zu holen, während seine Leute eine Seilwinde am Ausleger des 10meter Turms befestigten. Nun ging alles recht schnell. Die Netze wurden, doppelt gelegt, am Haken der Winde verankert und hinab ins Wasser gelassen. Kuhtrumm hatte inzwischen keine Ähnlichkeit mehr mit einer Meerjungfrau, sondern eher mit einer ganz gewöhnlichen Riesenqualle. Trotz alledem gelang es mit vereinten Kräften das arme Wesen an Land zu hieven und vorsichtig am Beckenrand abzulegen. Da Mundzumundbeatmung wirklich niemandem zumutbar war versuchte man durch Drücken und Quetschen des Leibes das geschluckte Wasser zu entfernen. In der untergehenden Sonne sah dies recht putzig aus, wie ein Walfischjunges das seine Wasserfontäne in den Himmel bläst. Das Schwimmbad leerte sich nun rasch. Jemand nahm Kuhtrumms Badesachen vom Rasen und verschwand diskret. Alles war wieder sauber und gepflegt, nichts würde die Badegäste des morgigen Tages an die heutigen Vorfälle erinnern. Für mich ging der Tag auch zur Neige und ich steuerte die nächste Bushaltestelle an. Kurz vor dem Ausgang entdeckte ich einen völlig überfüllten Abfalleimer, leere Flaschen und Büchsen, obenauf die erbärmlichen Reste eines zerstörten Laptops. Schade um das gute Stück. Kuhtrumm hätte mit ihren aufgequollenen Fingern aber sowieso keine einzelnen Tasten mehr getroffen. Im Bus fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Ich hatte meinen Kaffee nicht gezahlt. Von Scham und Reue geplagt, konnte ich die ganze Nacht kein Auge zutun. Gleich morgen sollte dieses Versehen aus der Welt geschaffen werden. Es regnete. Meine Mitbewohnerin Sabine bemerkte meine Unruhe. Nach kurzer Schilderung meines Leides, bot sie mir an, mich umgehend ins Toyota-Bad zu fahren. Mit der Bemerkung: „hier liegt ja das Geld auf der Straße“ nahm sie aus dem immer noch überfüllten Abfalleimer je zwei leere Dosen und Flaschen an sich. Mir wurde ganz mulmig. Erleichtert stellte ich fest, dass mein Kellner von gestern schon Dienst hatte. Ich ging auf ihn zu, endschuldigte mich mehrmals und wollte meinen Kaffee bezahlen. „Lass stecken, den hätten wir sowieso weg geschüttet, geht aufs Haus“. Sabine gab ihr Leergut ab. Aus Gewissensgründen spendeten wir die 5,20 Euro für Kaffee und die 80 Cent Pfand dem Bad für die Anschaffung neuer Tennisnetze. Um die Delle von Kuhtrumms Po waren über Nacht zwei Löwenzahn gewachsen, sie blühten in frischem gelb.“ Sieh mal“ sagte Sabine, das sieht aus wie ein Arsch mit Ohren. Wenn sie wüsste, wie recht sie hatte. Knapp war ich dem Diebstahl von Kaffee und Leergut entgangen, tiefe Erleichterung durchzog meine Seele ich fühlte mich gut. Zuhause angekommen, war uns nach heißem, dampfendem Kaffe zumute. Kein Filterpapier im Haus. Fluchend schnappte ich mir den Hund, um zur Tankstelle zu laufen und welches zu besorgen.
Eins ist sicher: Bei meinen künftigen Raubzügen durch die Internetcafés der Region nehm ich auch Filterpapier mit!!!
PS: Kuhtrumm hat überlebt und Alles gut überstanden, ob sie etwas daraus gelernt hat weiß ich nicht. Aber, die Hoffnung stirbt bekanntlich ja zuletzt. Abnehmen kann jeder, lesen und schreiben lernen auch. Ob das mit der Charakteränderung noch klappt wissen die Götter.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 29.07.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich, Petro Johannes Loser erkläre, dass diese Geschichte der Wahrheit entspricht. Da wo etwas dazu geflunkert wurde, hätte ich mir gewünscht, es wäre so gewesen!

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