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Dialogisches und monologisches

"Es irrt der Mensch, solang er strebt", wurde einst Johann Wolfgang Goethe von seinem PR-Berater in den Mund gelegt. Das ist selbstverständlich nicht richtig. Der Mensch irrt in den allermeisten Fällen erst dann, wenn er spricht. Abstraktes wird konkret, wenn es ausgesprochen wird, und genau an diesem Punkt nimmt das Drama meist seinen Lauf. Denn sobald der Mensch etwas sagt, stellt er sich und damit seine in den meisten Fällen mangelnde Fach- und Sachkenntnis zur Schau.

Da ein Dialog aber per definitionem zwei Teilnehmer erfordert – optional reicht auch ein realer und ein eingebildeter – wäre es unfair, die Schuld am Ergebnis vieler Gespräche nur einem Menschen in die Schuhe zu schieben. Zu zweit ist es ohnehin viel lustiger.

 

Die folgenden Gespräche sind erfunden. So sehr erfunden wie das Kapitel über U-Boote in Tolkiens "Herr der Ringe" oder die angeblichen Memoiren von Heiner Geißler unter dem Titel "Schlichter als schlicht". Manche von ihnen könnten allerdings durchaus so passiert sein oder noch geschehen. Was wissen wir schon, was jetzt gerade in dieser Sekunde in Kuala Lumpur passiert? Eben. Vielleicht hängt dort gerade jemand in einer Telefonschleife fest wie der arme Herr Schmitz im Text "Schmitz hat Verständnis". Andere Dialoge beruhen hingegen zumindest zum Teil auf realen Begebenheiten, etwa der erste unter dem Titel "Toleranz heißt 'aushalten'". Dieser entspann sich aus einem Gespräch am Rande der Demo "München ist bunt!" vom 22.12.2014, wo knapp 15.000 Menschen auf die Straße gingen, um ein Zeichen gegen die Pegida-Aufmärsche zu setzen. Dass in einen solchen Massenauflauf auch Leute hineingezogen werden, deren Toleranz dort endet, wo Straßen gesperrt werden, lässt sich nicht vermeiden. Wo gehobelt wird, fallen nun einmal Späne.

In diesem Sinne: Miteinander sprechen – gerne. Aber doch nicht hier! Ich habe wirklich überhaupt nichts gegen Leute, die sich unterhalten, aber …

Toleranz heißt 'aushalten'

A: "Ja, grüß' Sie, Frau B.! Und, ham' Sie gestern noch schön gemütlich Weihnachtsgeschenke eingekauft?"

B: "Von wegen! Ich sag' Ihnen, Frau A., fürchterlich war's!"

A: "Wieso, was ist denn passiert? Erzählen S' doch!"

B: "Ja, ganz grauenhaft, sag ich Ihnen. Der Gerd und ich sind mit dem Auto auf der Maximilianstraße gefahren und wollten ins Parkhaus, gell. Weil wir ja zum Chopard wollten und dann noch zum Dior, und am End' noch zur Elly Seidl und Pralinen kaufen. Aber dann: Absperrung! Alles voll mit Menschen! Da konnten wir nicht mehr weiterfahren. Stellen Sie sich das doch vor! Wir mussten dann illegal auf dem Bürgersteig parken."

A: "Ach! Was war denn da los?"

B: "Ja, das kann ich Ihnen schon sagen! Demonstranten waren's!"

A: "Nein! Demonstranten? Vor der Oper, mitten in der Stadt?"

B: "Aber ja doch! Schrecklich war's! Der Gerd hat dann zum Polizisten gesagt: 'Was soll denn das, warum darf man in seiner eigenen Stadt nicht mehr mit dem Auto ins Zentrum fahren?' Ganz furchtbar hat er sich aufgeregt."

A: "Und was hat der Polizist dann gesagt?"

B: "Ja, das ist ja das Unverschämte! Wissen Sie, was der gesagt hat?"

A: "Naa, was hat er denn gesagt?"

B: "Des werd' ich Ihnen schon sagen, was der gesagt hat."

A: "Ah, geh', was denn?"

B: "Ja, von Grundrecht und Demonstrationsfreiheit hat er was gefaselt, der freche junge Herr. Der war ja noch keine dreißig, ein kleines Büberl war das! Aber meint schon, dass er uns belehren darf. Ich sag' Ihnen, so etwas Unverschämtes! Eine richtige Frechheit! Und wer waren dann die Leidtragenden? Wir! Gell? Wie immer."

A: "Unvorstellbar!"

B: "Allerdings! Und das war ja noch nicht einmal das Schlimmste."

A: "Ach geh?"

B: "Wir haben uns ja dann da durch diese Menschenmenge durchkämpfen müssen. Ganz schrecklich, sag' ich Ihnen! So viele laute und unrasierte Menschen. Aber teilweise hatten die ja auch ihre Kinder dabei. Die dann auch noch Schilder hoch gehalten haben. Unverantwortlich, sag' ich Ihnen! Ich meine, wer lässt denn seine Kinder demonstrieren? Da fehlt's doch weit, nicht wahr? Und von Kondomen haben die offenbar auch noch nie etwas gehört."

A: "Ja, aber was waren das denn für Demonstranten?"

B: "Ach, was weiß ich! Irgendwas mit Toleranz oder so ähnlich. München ist bunt oder so etwas haben's gerufen."

A: "Ach?"

B: "Dabei waren die meisten von denen nicht bunt, sondern vor allem schmutzig, gell?"

A: "Ach geh?"

B: "Ich meine, demonstrieren dürfen die ja. Und Toleranz: Meinetwegen! Wenn's sonst nix is'! Aber doch nicht mitten in der Stadt!"

A: "Da haben S' Recht!"

B: "Wer hat denn etwas von der ganzen Toleranz? Und wer leidet dann schlussendlich darunter? Wir braven Bürger, wir, die Steuern zahlen und die Wirtschaft am Laufen halten, gell? Wenn man vor lauter Toleranz nicht mehr ungestört zum Einkaufen zum Chopard gehen kann, dann … dann hört's doch auf! Die hätten doch ihre Demonstration auch außerhalb machen können, da in der Fröttmaninger Heide wäre doch genug Platz für alle gewesen, gell?"

A: "Sehr richtig!"

B: "Ich sag's Ihnen, da hört bei mir die Toleranz auf!"

A: "Sehr richtig!"

B: "Also, frohe Weihnachten, Frau A., gell?"

A: "Ja, Ihnen auch, Frau B.! Und lassen Sie sich nicht so ärgern von den Demonstranten. Die haben ja auch nix Besseres zu tun."

B: "Da ham' S' recht."

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Privatsponsoring

Moderator: Herzlich willkommen, verehrte Zuschauer daheim an den Fernsehgeräten. Der Vorspann dieser Sendung wurde Ihnen präsentiert von „Easy Sit Polstermöbel“ – Sitzen wie Gott in Frankreich. Ich freue mich heute auf einen ganz besonderen Gast in meiner Talkshow, nämlich auf den bekannten Schauspieler Martin Wiesner. Herzlich willkommen, Herr Wiesner.

Wiesner: Guten Abend.

Moderator: Herr Wiesner, Sie …

Wiesner (blickt in die Kamera): Diese Begrüßung wurde Ihnen präsentiert von „Mach’s Gut“ – Trauerhilfe für den Fall der Fälle.

Moderator (irritiert): Wie bitte?

Wiesner: Oh, Verzeihung. Ich musste nur noch meinen Sponsor kurz erwähnen. Das habe ich vertraglich zugesichert.

Moderator: Ach so. Verstehe. Herr Wiesner, Sie stehen gerade für ein sehr interessantes Filmprojekt vor der Kamera. Der Film heißt „Flugreise ins Nirvana“, und Sie spielen darin einen Geschäftsmann, dem während einer Flugreise etwas Verrücktes passiert. Erzählen Sie unseren Zuschauern doch mal, was genau Ihnen da widerfährt.

Wiesner: Gerne. (blickt in die Kamera) Diese Einblicke in meinen neuen Film werden Ihnen präsentiert von „Entertainment Light“ – Filmproduktionen für jedes Budget.

Moderator: Äh …

Wiesner: Noch ein Sponsor. Vertraglich zugesichert.

Moderator: Aha, ja. Alles klar.

Wiesner: Also, in dem Film spiele ich einen Vertreter für Unterwäsche, der auf eine Sockenkonferenz in Alabama reist, um seine Firma dort, wie sagt man so schön, würdig zu vertreten. Während des Flugs in die Vereinigten Staaten, mitten über dem Atlantik, begreift er auf einmal alles.

Moderator: Was begreift er?

Wiesner: Na, alles. Er versteht, was schlecht läuft auf der Welt. Er sieht, dass der Kapitalismus die Wurzel allen Übels ist, er begreift, dass dieser Planet an der Ungleichheit der Ressourcen zu Grunde gehen wird. Er versteht, warum es aus der Spirale des Hasses im Nahen Osten keinen Ausweg gibt, er durchschaut die Machenschaften der Waffen- und Agrarlobbies, deren Interessen eine gerechte Verteilung der Lebensmittel ebenso verhindern wie eine Aussöhnung der Völker. Er sieht die Verflechtungen der großen Konzerne in die internationale Finanzwirtschaft, ihm wird bewusst, wie sehr unser aller Leben von dem Willen der großen Firmen bestimmt wird. Wir sind Sklaven des Geldes, das begreift er – und das macht ihn natürlich fertig.

Moderator: Wow, das klingt ja nach einer spannenden Politik- und Gesellschaftssatire. Sehr interessant. Was passiert dann?

Wiesner: Er verliebt sich unsterblich in eine Stewardess und erlebt mit ihr einige lustige erotische Abenteuer.

Moderator: Oh. Interessant. Und das war auch ein gutes Stichwort, denn damit sind wir auch schon bei den Co-Stars angelangt. Können Sie unseren Zuschauern verraten, wer außer Ihnen noch alles vor der Kamera stand für diesen Film?

Wiesner: Natürlich. (blickt in die Kamera) Die Details über die Besetzung meines neuen Films werden Ihnen präsentiert von „TV Generic“ – die Fernsehzeitung wie jede andere.

Moderator: Noch ein Sponsor?

Wiesner: Richtig.

Moderator: Wie viele Sponsoren haben Sie denn noch in petto?

Wiesner: Oh, ich habe noch eine ganze Latte anderer Unternehmen in der Hand. Der Trend geht ja immer mehr zum Privat-Sponsoring. Eine Lücke, die bislang noch viel zu wenige Menschen für sich entdeckt haben.

Moderator: Interessant. Sie vermarkten also sozusagen ihre Persönlichkeit?

Wiesner: So ist es. Da ich, im Gegensatz zu vielen meiner Schauspielkollegen, eine Persönlichkeit besitze, bietet sich das an.

Moderator: Sie sehen sich also als Vorreiter im Bereich des privaten Sponsorings?

Wiesner: Natürlich. Außerdem sehe ich mich als unterbezahlten Schauspieler ohne moralische Skrupel. Charakterlich bin ich für das Privat-Sponsoring bestens geeignet.

Moderator: Und sie dehnen dieses Sponsoring sozusagen auf alle Teilbereiche ihres persönlichen Lebens aus?

Wiesner: Gehe ich recht in der Annahme, dass dies eine Frage zu meinem Privatleben ist?

Moderator: Ja, schon, aber warum …

Wiesner (blickt in die Kamera): Informationen aus meinem Privatleben werden Ihnen präsentiert von „Die goldene Praline“ – das Magazin für Frauen in den besten Jahren.

Moderator: Nervt Sie es gar nicht, ständig Sponsoren ansagen zu müssen?

Wiesner: Dazu darf ich mich nicht äußern.

Moderator: Wieso nicht?

Wiesner: Zusatz 32b meines Sponsoringvertrages. Keine negativen Bemerkungen, die dem Unternehmen schaden könnten.

Moderator: Oh. Verstehe. Aber das bedeutet doch eine nicht unerhebliche Einschränkung Ihrer persönlichen Freiheit, oder etwa nicht?

Wiesner: Ach wo. Mir geht es blendend. So finanziell gut aufgestellt war ich schon lange nicht mehr. Das Privatsponsoring verschafft mir Geld und dadurch Freiheiten in ganz anderen Bereichen, wenn Sie verstehen, was ich meine.

Moderator: Ich glaube schon.

Wiesner (fängt plötzlich an zu singen): Wenn Du mich verstehst, dann geh’ mit mir zu „Brillen Schumann“. Wenn du mich wirklich sehen willst, dann kaufe dir die Brille für’s Leben.

Moderator: Wie bitte?

Wiesner (blickt in die Kamera): „Brillen Schumann“ – Die Brille für’s Leben.

Moderator: Haben Sie da gerade ein Werbejingle gesungen?

Wiesner: Richtig. Die Vertragsbedingung lautet, es einmal während eines TV-Auftrittes unterzubringen. Was ich hiermit getan habe.

Moderator: Herr Wiesner, lassen Sie mich hier doch einmal kritisch nachfragen.

Wiesner: Gerne.

Moderator (zögert): Kommt nichts?

Wiesner: Wie bitte?

Moderator: Ich habe auf eine Sponsoren-Nennung gewartet, doch die kam nicht.

Wiesner: Da haben Sie leider Recht. Für den Bereich „Kritische Nachfrage“ habe ich noch keinen Sponsor gefunden. Die Unternehmen sind hier noch sehr zurückhaltend, was wohl am allgemeinen politischen Klima liegt.

Moderator: Interessant. Jedenfalls, Herr Wiesner, was mich interessieren würde: Gibt es Bereiche, wo Sie sagen: Hier ist ein Privatsponsoring nicht möglich?

Wiesner: Natürlich

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Mark Read
Bildmaterialien: Titelbild: Jenny downing / CC BY-SA 2.0 via flickr.com
Tag der Veröffentlichung: 07.01.2015
ISBN: 978-3-7368-6938-7

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Gewidmet den wahren Philosophen, die die wirklich wichtigen Fragen des Lebens mit gebührender Seriosität behandelten: Gerhard Polt, Karl Valentin, Dieter Hildebrandt, Loriot und all den anderen.

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