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1. Kapitel

Mit kleinen Schritten ging Nina den Weg durch den Vorgarten auf die breite Haustür zu, vor der sie schließlich stehen blieb. Durch die gewölbten Scheiben in der Tür konnte sie in den schwach beleuchteten Flur des verhältnismäßig großen Einfamilienhauses werfen. Allerdings war das, was sie sehen konnte, durch eben diese Wölbungen nur verschwommen. Sie hob ihre rechte Hand um zu klingeln, hielt aber einen Moment inne.
Was mache ich hier eigentlich? Fünf Minuten nach dem Dienstabend hätten sicher auch gereicht. Zumindest für dieses Was-ist-mit-Sonja-los-Gespräch, das Oliver mit ihr führen wollte. Wieso gehe ich für ein Gespräch, das höchstens eine Viertelstunde dauern wird, bei diesen Temperaturen aus dem Haus? Länger können wir mit Sicherheit nicht miteinander reden. Worüber auch? Allerdings wäre es lächerlich, einfach wieder zu gehen.
Nina dachte plötzlich daran, dass eine Überwachungskamera genau auf den Eingang gerichtet sein könnte, immerhin war Olivers Vater Unternehmer und schon das Haus sagte aus, dass er damit relativ erfolgreich sein musste. Und wenn sichjemand das Video anschauen und sehen würde, wie sie vor der Tür stand, die Hand kurz vor dem Klingelknopf und wie sie dann mit dem Kopf schüttelte, umdrehte und wieder ging – das wäre doch irgendwie peinlich.
Noch während ihr diese Gedanken durch den Kopf zogen, hatte sie auf den Klingelknopf gedrückt, der im Haus ein tief klingendes Ding-Dong ausgelöst hatte. Kurz darauf wurde es im Treppenhaus hell. Nina hörte jemanden die Treppe hinunterkommen, jemand, der Oliver sein musste, denn sie hörte, wie er „Ich geh – ist für mich“ rief und zwei Stufen später ging die Haustür auf.
„Hi Nina.“
„Hi Oli.“
„Einmal die Treppe rauf, links rum und dann gleich rechts rein.“ Oliver winkte Nina an sich vorbei um die Haustür hinter ihr wieder schließen zu können
Nickend betrat Nina das Haus, stieg die weiße Marmortreppe hinauf ins Obergeschoss und folgte Olivers Wegbeschreibung, so dass sie wenig später in Olivers Zimmer stand.
Es war ein L-förmiger Raum mit einem Zugang zum Balkon. Nina war überrascht von dem, was sie sah und auf der anderen Seite auch nicht. Es gab eine klare Raumaufteilung. Der Schlafbereich, der mit den zwei Dachschrägen wie eine Höhle wirkte, war durch einen einfachen, hellen Baumwollvorhang vom Rest des Raumes abgetrennt. In der Ecke ein Wohnbereich, bestehend aus einem matten, lindgrünen Sofa und einem IKEA „Lilleberg“ Sofa, einem Holzrahmen mit weißen Polstern und einem kleinen, quadratischen Wohnzimmertisch in Buche. Ganz vorn im Zimmer befand sich der Arbeitsbereich, bestehend aus einer Schrank-Regal-Kombination und einem großen, älteren Schreibtisch auf dem diverse Stapel Papiere, Informationsbroschüren und dergleichen lagen. Auch auf dem Boden lagen ein paar Stapel. Zeitschriften, sortiert, so dass der Raum zwar einen unordentlichen aber dennoch einen geordneten Eindruck machte. Etwas, das sie in ihrem Chaos zu Hause nie hinbekam, egal wieviel Mühe sie sich damit gab.
„Ich hab Tee gemacht.“
„Tee?“ Nina drehte sich um und sah Oliver mit einer apfelgrünen Keramikteekanne vor sich stehen. Er hatte Tee gemacht.
„Setz dich.“ Oliver deutete auf das Sofa.
Schweigend schälte Nina sich aus ihrer schwarzen Winterjacke, die sie über die Armlehne des grünen Sofas legte, bevor sie Platz nahm. Jetzt erst bemerkte sie die Tassen, die auf dem Couchtisch standen.
„Oder möchtest du lieber was Kaltes?“
„Nein.“ Nina schüttelte den Kopf. „Tee ist okay. Solange es nicht Pfefferminz ist.“
„Ist es nicht. Einfacher schwarzer Tee.“
Nina lehnte sich zurück während Oliver den Tee einschenkte. Er schien ein guter Gastgeber zu sein, wenn man das nach fünf Minuten schon sagen konnte. Aber das überraschte sie nicht. Oliver war Perfektionist, In allem was er tat. Wie um alles in der Welt konnte man mit gerade mal 22 Jahren schon so sein? So aufgeräumt, so sicher in allem was man tat, so erwachsen.
„Woran denkst du?“ Oliver hatte auf dem anderen Sofa Platz genommen.
„Ich frage mich, was im Fernsehen läuft wenn ich in einer Stunde wieder zu Hause bin.“
„Wieso glaubst du, dass du in einer Stunde wieder zu Hause bist?“
„Du wolltest über Sonja reden. Das wird nicht so lange dauern.“
„Und dann willst du sofort wieder abhauen?“
„Gibt es einen Grund, weshalb ich bleiben sollte?“
„Keinen zwingenden. Aber es gibt ja auch noch andere Themen, über die man reden kann.“
„Auch wir beiden?“
Oliver runzelte die Stirn. „Wieso nicht?“
„Weil wir so gut wie nichts gemeinsam haben. Abgesehen vom DRK.“
„Davon bin ich längst nicht so überzeugt wie du. Warum solltest du sonst mit mir flirten?“
„Ich soll was?“ Nina schüttelte verständnislos den Kopf. „Ich hab kein einziges Mal mit dir geflirtet. Du bist nicht mal mein Typ. Mal abgesehen davon... das mit uns würde nicht funktionieren.“

Die Uhr zeigte 0:23 als Nina das erste Mal einen Blick darauf warf. Passierte das gerade wirklich? Seit vier Stunden redeten sie und Oliver fast ununterbrochen miteinander. Wirklich miteinander. Oliver redete nicht nur, er konnte sogar zuhören.
„Was das angeht würden wir höchstens wegen der Hochzeit Stress kriegen.“
„Das glaube ich weniger.“ Nina, die schon vor geraumer Zeit die Schuhe ausgezogen hatte um es sich auf dem Sofa bequem zu machen, griff nach ihrer Tasse. Sie waren beim Thema Kirche angelangt, einem weiteren Punkt, den Nina als kritisch eingestuft hatte was eine mögliche Beziehung betraf, da er sich selbst als gläubigen Katholiken bezeichnete während sie zwar evangelisch konfirmiert war, aber mit Gott nicht sonderlich viel anfangen konnte. Diskutierte sie wirklich gerade mit Oliver darüber, wie ihre Beziehung aussehen würde?
„Willst du kirchlich heiraten?“
„Natürlich will ich kirchlich heiraten. Sonst ist es keine richtige Hochzeit. Mir geht’s nicht so unbedingt um Gott, aber die Atmosphäre ist irgendwie feierlicher.“
„Okay, also eine ökumenische Hochzeit. Nächster Punkt.“
„Täusche ich mich, oder hast du tatsächlich Spaß an dieser `Was wäre, wenn´-Sache?“
Oliver lächelte. „Anscheinend bin ich doch nicht so ein Langweiler wie du dachtest.“
„Wer sagt, dass ich das gedacht habe?“
„Immerhin bist du davon ausgegangen nach einer Stunde wieder zu Hause zu sein.“
„Das heißt nicht, dass ich dich für langweilig halte.“
„Sondern?“
Nina runzelte nachdenklich die Stirn. „Für erwachsen?“
„Also doch langweilig.“
„Langweilig klingt so negativ.“
„Ich kann damit leben. Ich mach halt mein Ding und wenn das jemand für langweilig oder was auch immer hält ist mir das relativ egal.“
Nina lehnte sich nickend zurück. Jeder hatte seine Vorstellung vom Leben und was für einen selbst galt, musste nicht zwangsläufig auf den nächsten zutreffen. „Willst du Kinder?“
„Ja. Drei. Aber frühestens mit 30. Ich will jetzt erstmal beruflich alles so weit haben, dass ich die Firma übernehmen kann und wenn ich dann eingearbeitet bin kann ich über eine Familie nachdenken.“ Oliver streckte die Beine aus. „Und du?“
„Ich wollte immer vier Kinder. Aber das ist noch verhandelbar. Möglicherweise habe ich auch nach dem ersten schon genug.“
„Ich kann mir dich gut mit Kindern vorstellen. Wie du mit einem Kinderwagen durch die Stadt schiebst.“
„Ich will ein Häuschen im Grünen. Vielleicht am Stadtrand, aber auf keinen Fall in einem Neubaugebiet.“
„Wieso nicht?“
„Weil man da so eingeengt ist. Ich brauche Platz. Ich hab keine Lust, zu sehen was mein Nachbar im Fernsehen sieht wenn ich aus meinem Fenster gucke.“
„Kann ich verstehen. Ich will eigentlich nicht aus der Stadt raus. Hier bin ich in fünf Minuten da, wo ich hin muss. Beim Einkaufen, bei meiner Familie, beim DRK. Das ist praktisch.“
„Aber zur Arbeit musst du fahren.“
Oliver zuckte mit den Schultern. „Das ist besser so. Wenn die Firma so nahe dran wäre, würde ich vermutlich noch mehr Zeit dort verbringen als ich es eh schon tue.“
„Vielleicht hast du ja mal eine Frau, die dich davon abhält.“ Nina lächelte ihn verschmitzt an. „Ich würde jedenfalls nicht tatenlos zusehen wie unser Privatleben unter deinem Arbeitswahn leidet.“
„Ach.“ Oliver grinste. „Sind wir jetzt wieder beim uns?“
Nina zuckte mit den Schultern. „Ich kann nicht anders. Ich liebe diese Rumspinnereien und man findet selten jemanden, der da mitmacht.“
Oliver sah gähnend auf die Uhr. „Wow. Gleich eins. Wer hätte gedacht, dass du es so lange mit mir aushältst.“
„Blödmann. Ich konnte ja nicht ahnen, dass du so... Dass es so viel Spaß macht mit dir zu reden.“
Oliver rückte zur Sofakante und beugte sich leicht nach vorn. „Ich hab den Abend auch sehr genossen. Das müssen wir unbedingt wiederholen, aber jetzt...“
Nickend setzte sich Nina auf und schob ihre Füße in ihre Schuhe. „Ich verstehe diesen dezenten Rausschmiss. Du musst früh raus, es wird Zeit, dass du ins Bett kommst.“
„Du auch.“
„Ich komm klar. Beim Stall waschen interessiert es keinen, wie oft ich dabei gähne oder ob ich zusammenhängend denken kann.“
„Dann bring ich dich mal zur Tür.“ Oliver erhob sich.
Nina, die ebenfalls aufgestanden war, griff nach ihrer Jacke und schlüpfte hinein. Oliver ging voran, Nina folgte ihm nach unten.
„Schlaf gut.“ Oliver hatte die Haustür geöffnet. Ein kalter Hauch zog in den warmen Hausflur.
„Du auch.“ Nina zog den Reißverschluss bis zum Anschlag hoch, dann trat sie vor die Tür. Man merkte, dass es Dezember war. Die Gehwegplatten glitzerten. Hoffentlich war es noch nicht zu glatt. Am Bürgersteig angekommen drehte sie sich noch einmal zur Tür. Oliver winkte ihr einmal flüchtig zu, sie winkte zurück und er schloss die Tür.
Nina entriegelte ihr Auto per Fernbedienung. Nachdem sie eingestiegen war und die Tür geschlossen hatte, atmete sie tief durch. Das Gespräch war vorbei, es war überraschend angenehm verlaufen – vielleicht zu angenehm? Jedenfalls saß sie jetzt hier, in ihrem dunklen, kalten Auto und hatte sowas wie... Herzklopfen.


2. Kapitel

Drei Jahre später.

Die kleine Kochnische, in der Nina stand um das schmutzige Geschirr, das sie vor ein paar Stunden aus Platzgründen in der Spüle gestapelt hatte, in die Spülmaschine zu räumen, war durch ein Ausfall einer Glühbirne in schummriges Licht getaucht. Es war erst wenige Minuten her, das ihre spontane Pokerrunde sich aufgelöst hatte. Ein Blick auf den Tisch im Esszimmer erinnerte sie daran, dass sie um satte 50 Euro reicher geworden war. Doch zugegebenermaßen hatte sie dafür in den letzten Monaten auch genügend Lehrgeld gezahlt. Die Jungs waren knallhart. Sie durfte mitspielen – zu den gleichen Regeln – Frauenbonus gab es nicht. Aber den wollte sie auch nicht. Schließlich bekam man den im Leben auch nicht.
Ein kurzes Piepsen verkündete den Eingang einer SMS.
>Hast du Zeit?<
Von Oliver. Er machte nie viele Worte wenn es um die Frage ging, wann sie sich treffen sollten. Dafür blieb auch selten die Zeit, denn meistens waren ihre Verabredungen spontan. Wenn sie vorher schon den Tag miteinander verbracht hatten, reichte manchmal schon ein Blick um die Abendgestaltung zu klären.
Nina tippte nur ein >ja< als Antwort und legte das Handy zurück. Sie wusste jetzt schon, wie der Abend laufen würde. Ein bisschen reden, dann ab ins Schlafzimmer. Sex, Licht aus, gute Nacht. Nicht gerade das, was man sich unter einem gelungenen Freitagabend vorstellte. Aber Sex mit Oliver zu haben war immer noch besser als gar nichts von ihm zu haben. Und vielleicht würde sich daran eines Tages doch etwas ändern. Es gab Tage, an denen sie sich fragte ob sie tatsächlich daran glaubte oder ob sie mit 28 immer noch so naiv war sich von ihm auf der Nase rumtanzen zu lassen.
Kaum hatte Nina die leeren Flaschen vom Esszimmertisch in die Bierkiste zurückgestellt als sie ein Auto auf dem Hof halten hörte. In aller Ruhe schob sie die Pokerchips in eine große Schüssel bevor sie nach dem Wischlappen griff und den Esstisch abwischte. Mit der Zeit hatte sie sich abgewöhnt schon beim kleinsten Geräusch loszurennen um zu sehen, ob es Oliver war. Er sollte nicht denken, dass sie nichts anderes tat als auf ihn zu warten.
Als die Türglocke ging, warf sie den Wischlappen in die Spüle und rieb sich die Hände an der Jeans trocken. Dann erst ging sie zur Haustür um zu öffnen.
„Hi Nina.“
„Hey.“ Nina trat einen Schritt zur Seite und Oliver schob sich an ihr vorbei in den schmalen Flur des renovierungsbedürftigen Bauernhauses in dem Nina wohnte. Es gehörte ihrer Freundin Karen, die jedoch zur Zeit in Schweden war.
„Riecht gut hier.“ Oliver blieb im Esszimmer stehen und rieb sich mit der rechten Hand kreisförmig den Bauch. Seit einem Käsebrötchen gegen 13 Uhr hatte er nichts mehr gegessen – und das war knapp zehn Stunden her.
„Chili con carne.“ Nina schloss die Tür hinter sich. „Ist noch was da, magst du?“ Ohne eine Antwort abzuwarten verschwand sie in der Küche. „Setz dich, ich mach dir was warm.“
Oliver ließ sich auf einen der Stühle fallen. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen als er Nina in der Kochnische herumwerkeln hörte. Nina war eine begnadete Köchin, was sie zu jeder sich bietenden Gelegenheit unter Beweis stellte.
„Warst du bis eben in der Firma?“ Nina stellte einen Brotkorb mit den restlichen Baguettescheiben sowie eine Flasche Apfelschorle und ein Glas vor Oliver auf den Tisch.
„Hm.“
„Du arbeitest zuviel.“ Wieder verschwand Nina in der Kochnische.
Schweigend griff Oliver nach der Flasche. Er hatte es aufgegeben Nina in diesem Punkt zu widersprechen. Sie hatte ihre Meinung und besonders in diesem Fall war sie davon nicht abzubringen, egal welches Argument er vorbrachte.
„Guten Appetit.“ Nina stellte einen mit dampfendem Chili gefüllten Teller vor Oliver und gab ihm einen Löffel.
Oliver rückte seinen Stuhl zurecht und tauchte den Löffel in das Chili. „Du bist meine Rettung.“
„Wer auch sonst.“ Grinsend ließ Nina sich auf der Eckbank nieder und griff nach der Schüssel mit den Pokerchips um diese zu sortieren.
„Hattest du Besuch?“
„Hm.“
„Wer war denn da?“
„Vier Kerle, aber die konnten sich nicht einigen wer heute Nacht bleiben darf – also sind alle wieder gegangen.“
„Sehr witzig.“
„Was soll ich sagen?“ Nina stellte einen Stapel schwarze Chips auf den Tisch. „Als nächstes hättest du die obligatorische Frage nach meinen Erfolgen in der Männerwelt gestellt, da wollte ich das gleich mit klären.“
„Hast du was?“
„Nein. Mal abgesehen davon, dass es mich nervt, ständig von dir nach meinem Liebesleben gefragt zu werden obwohl du weißt, dass es nur aus dir besteht.“
„Muss es ja nicht. Meinetwegen kannst du...“
„Oliver, lass es. Ich lass genug Nerven mit einem Liebhaber, da muss ich mir nicht noch einen zweiten ans Bein binden.“
„Du solltest dich nicht nur auf mich...“
„Hör zu, wenn du nicht mehr mit mir schlafen willst, dann lass es einfach. Und was mein sonstiges Liebesleben angeht wäre ich dir sehr dankbar, wenn du das einfach mir überlässt. Okay?“
„Von mir aus.“
„Danke, sehr großzügig.“
Eine Weile sagte keiner von beiden etwas. Oliver löffelte sein Chili, Nina sortierte Pokerchips.
„Bist du sauer?“ Oliver legte den Löffel in den leeren Teller.
Nina zuckte mit den Schultern. „Wenn ich jedes Mal sauer wäre wenn mir nicht passt, was du sagst... Dann würde ich ziemlich viel Zeit damit verbringen sauer auf dich zu sein.“
„Ich wusste nicht, dass dich so vieles an mir stört.“
Augenrollend stand Nina auf. „Vielleicht sollte es das.“ Sie nahm Olivers Teller und schob in durch die Durchreiche in die Kochnische. „Vielleicht sollten mir ein paar Dinge an dir etwas mehr stören. Aber ich hab echt keine Lust, mich an Kleinigkeiten so aufzuhängen. Ich akzeptiere einfach deine Meinung, auch wenn ich sie nicht immer teile.“
„Soll ich gehen?“ Oliver war aufgestanden und schob nun den Stuhl an den Tisch.
„Deine Entscheidung.“ Nina knipste die Küchenlampe aus, dann stellte sie sich vor Oliver. „Ich schmeiß dich nicht raus.“
„Es war ein langer Tag und ich hab keine Lust auf Stress.“
„Massage?“
„Massage klingt gut.“

Oliver lag mit geschlossenen Augen, den linken Arm um Nina gelegt, rücklings im Bett. Sie hatte ihn eine gefühlte Ewigkeit massiert und jetzt lag sie neben ihm. Er spürte ihren kalten Atem auf seiner Brust, ihre nackten Brüste an seinem Oberkörper. Seine Hand glitt langsam ihren Rücken hinauf bis zu ihren Schultern die ziemlich kalt waren, da die Bettdecke verrutscht war. Er griff nach der Decke um sie ein Stück höher zu ziehen.
Nina seufzte wohlig. Sie hatte die Augen geschlossen um seine Nähe und seine Berührungen intensiver wahrzunehmen und sich nicht von anderen Dingen ablenken zu lassen. Vorsichtig schob sie ihr linkes Bein zwischen seine.
„Du machst mich irre,“ murmelte Oliver während seine Hand unter der Decke ihren Rücken hinunter schob. „Weißt du das eigentlich?“
„Du mich auch.“
„Das meine ich nicht.“
„Ich weiß. Du menst, dass du ständig ans Vögeln denkst wenn du mich siehst.“
Oliver drehte seinen Kopf zu ihr. „Nina?“
„Hm.“
„Warum bist du eigentlich so scharf auf eine Beziehung mit mir?“
„Weil ich auf die 30 zu gehe, jemanden brauche, der mir im Winter die Füße wärmt und weil ich masochistisch veranlagt bin.“
„Im Ernst.“
„Weil ich in dich verliebt bin du Idiot.“
„Warum?“
„Warum?“ Nina hob den Kopf und sah ihn an. „Wir sind zwei recht intelligente, erwachsene Menschen und deshalb solltest du wissen, dass man Gefühle nicht erklären kann.“
„Aber man kann erklären was sie auslöst. Also?“
Gequält aufstöhnend schloss Nina die Augen und legte ihre Stirn an seine Brust. Dann hob sie ihren Kopf wieder, sah ihn an und antwortete: „Manchmal frage ich mich das auch.“
„Ich hätte trotzdem gerne eine Antwort.“
„Okay, ich versuch’s. Aber du musst das im Gesamten sehen.“
„Ich werde mich bemühen.“
„Du bist immer korrekt angezogen, du quatscht nicht dazwischen wenn ich rede, ich komme mir nicht blöd vor wenn mir zusammen sind ohne miteinander zu reden, es stört dich nicht wenn ich heule, weil ich mich physisch und psychisch vor dir ausziehen kann, weil...“
„Mache ich dich geil?“
Nina bekam große Augen. „Du bist so ordinär. Und vergiss das mit dem dazwischen quatschen.“
„Das ist keine Antwort auf meine Frage.“ Oliver legte nun beide Arme um sie und ließ seine Fingerspitzen ihre Wirbelsäule entlanggleiten. Er registrierte zufrieden, dass sie die Augen schloss und sich langsam entspannte. „Mache ich dich geil?“
Statt zu antworten legte Nina sich auf ihn und verschloss ihm den Mund mit einem Kuss. Wenn es etwas gab, woran sie sich bei Oliver nur schwer gewöhnen konnte, war es die Tatsache, dass er Wörter wie geil und ficken verwendete als ginge es um eine Fahrplanauskunft. Deshalb versuchte sie, dieser Art von Gesprächen möglichst aus dem Weg zu gehen, was ihr meistens auch gelang.
„Nina“, flüsterte Oliver als sie sich kurz von ihm löste, „hast du Gummis da?“
Nina streckte den Arm aus, zog die Schublade des Nachtschrankes auf und griff hinein. Tastete darin herum. „Mist.“
„Was?“
„Da ist keins... warte, doch, da hinten.“ Nina streckte sich etwas mehr, nahm das Kondom aus der Schublade und schob diese wieder zu.
„Gib her.“ Oliver drehte sich herum so dass Nina von ihm herunterrutschte und schließlich neben ihm lag, dann nahm er ihr das Kondom aus der Hand.
Nina beobachtete ihn lächelnd. Egal wie scharf er darauf war, mit ihr zu schlafen – und oft war er so scharf darauf, dass er es kaum erwarten konnte – er dachte immer an Verhütung. Faszinierend, denn bislang hatte sie es ausschließlich mit Typen zu tun gehabt, bei denen der Verstand aussetzte, sobald es um Sex ging. Einer hatte allen ernstes behauptet, es könne nichts passieren wenn er IHN rechtzeitig rauszöge...
„Hey.“ Olivers Stimme holte sie aus ihren Gedanken. „Du träumst.“
Lächelnd streckte Nina sich ihm entgegen. Er beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie kurz. Er schob seine Hand zwischen ihre Beine, die fast von selbst auseinander gingen, und streichelte die Innenseiten ihrer Oberschenkel. Er löste seine Lippen von ihren, öffnete die Augen und sah sie an. Nina hatte ihre Augen geschlossen. Er hörte wie sie tief einatmete, die Luft für einen Moment anhielt und dann langsam wieder ausatmete. Zentimeterweise schob er seine Hand in ihren Slip. Ihm entging nicht, wie sie ihre Lippen aufeinanderpresste um ihr Stöhnen zu unterdrücken als er begann, sie an ihrer empfindlichsten Stelle zu streicheln. Dieser Anblick erregte ihn noch mehr.
„Oli“, flüsterte Nina mit kratziger Stimme während sie Olivers Slip so weit wie möglich hinunter schob. Sofort zog er seine Hand zurück und schnell hatten sich beide von ihren Slips getrennt.
Oliver streifte sich das Kondom über bevor er sich auf Nina legte und in sie eindrang. „Alles okay?“
Ein entspanntes „Mh“ kam als Antwort. Als Nina die Augen öffnete, sah sie, dass Oliver seine geschlossen hatte. Sie wusste, dass es Frauen gab, die beim Sex die Augen schlossen, aber trotz der Zurückhaltung, die sie selbst in diesem Bereich immer noch an den Tag legte, war sie eine von denen, die hinsahen. Allerdings kam sie sich meist vor, als würde sie neben sich stehen und die Situation von außen beobachten. Es war nicht so, dass sie nichts fühlte, wenn sie miteinander schliefen, es war nur so als würde sich das, was sie fühlte, auf einer anderen Ebene abspielen. Es erregte sie zu sehen wie erregt Oliver war und wie es seine Erregung verstärkte wenn sie ihre Beine um ihn schlang und sich seinen Bewegungen anpasste während sie sich gleichzeitig vorkam wie eine Maschine, die programmiert war auf eine bestimmte Weise auf das, was er tat, zu reagieren.
Unvermittelt öffnete Oliver die Augen. Sein Blick wanderte von Ninas Gesicht zu ihren Brüsten, die durch seine Bewegungen hin und her schaukelten. Nina registrierte, wie er diesen erregt-konzentrierten Gesichtsausdruck bekam und seine Bewegungen weniger, dafür jedoch heftiger wurden. Sie wusste, dass er kurz vor dem Höhepunkt stand.
„Ich komme“, flüsterte er hektisch und kurz darauf rollte er sich schwer atmend von ihr hinunter.


3. Kapitel

Nina wickelte den bunten Schal zweimal um ihren Hals, dann griff sie nach ihrem kiwifarbenen Mantel und schlüpfte hinein. Obwohl es erst halb zehn war, war der Dienstabend vorbei und die meisten waren auch schon nach Hause gefahren. Nina zog es an diesem Abend nicht sonderlich stark nach Hause. Sie wäre lieber noch in ihre Stammkneipe, die „Haltestelle“, gefahren um sich ein wenig von der Pleite in der Klausur in Produktions- und Verfahrenstechnik zu erholen, die sie mit Sicherheit am Vormittag produziert hatte, abzulenken. Und das nur, weil sie mit ihren Gedanken bei Oliver gewesen war. Schließlich war heute ihr Jahrestag.
Um genau zu sein wäre es ihr Jahrestag, wenn Oliver sich vor drei Jahren für sie entschieden hätte. Wenn er nicht mit diesem „Ich will im Moment keine Freundin“-Quatsch angefangen hätte nur um ihr keine zwei Monate später seine neue Freundin zu präsentieren. Es hatte sich wie ein Schlag in den Magen angefühlt. Sie hatte ihm nicht übel genommen, dass er sich verliebt hatte, sie hatte ihm übel genommen, dass er ihr das auf so eine nebensächliche Art und Weise mitgeteilt hatte, wie man jemandem die Uhrzeit mitteilte. Er hätte wissen müssen, dass er sie damit verletzte.
Nina verdrängte diesen Gedanken. Sie hatte an diesem Tag genug Zeit mit Sentimentalitäten verbracht. Mal abgesehen davon war Jasmin Geschichte. Und nicht nur sie.
„Nina? Bringst du den Seminarplan noch eben hoch?“ Thomas, Leiter der DRK-Bereitschaft in der Nina aktiv war, war mit dem Kopf in einem Schrankfach verschwunden, so dass seine Stimme dumpf klang.
„Wenn’s sein muss.“ Ohne größeren Enthusiasmus griff Nina nach den zusammen getackerten Zetteln. Sie verließ den Unterrichtsraum ohne Thomas weiter zuzuhören und ging langsam die Treppe hinauf. Nach vier Stufen ging das Licht an, sie ging den zweiten Treppenabsatz hinauf, durch den Flur zur Umkleide, deren Tür sie aufschloss. In der Umkleide standen vier Reihen orangefarbener Spinde, zwei Reihen mit den Türen zueinander, so dass es getrennte Bereiche für Männer und Frauen gab. Etwas überrascht stellte Nina fest, dass dort Licht brannte. Scheinbar hatte mal wieder jemand vergessen, auf den Schalter zu drücken.
„Du bist ja noch da.“
Begleitet von einem kurzen Aufschrei landete der Seminarplan und die Pinnadel, die Nina gerade aus der Pinnwand neben der Tür gezogen hatte, auf dem Boden. „Oliver.“ schimpfte Nina als sie den ersten Schreck überwunden hatte. „Du bringst mich noch ins Grab.“
„Das will ich nicht hoffen.“ Oliver, der inzwischen neben ihr stand, ging in die Hocke und hob Nadel und Seminarplan auf und pinnte ihn an die Wand. „Das wäre ein echter Verlust. Schön dass du noch da bist.“
„Wieso?“
„Naja,“ Oliver stellte sich vor sie, griff nach ihrem Mantel und zog sie an sich, dann schob er seine Hände darunter, „ich dachte du hättest vielleicht Lust mit zu mir zu kommen.“ Er streichelte ihren Rücken.
„Und wenn nicht?“
„Kann ich mir nicht vorstellen. So wie du mich vorhin angesehen hast.“
Nina schloss die Augen und lehnte ihren Kopf an Olivers Brust. Nur einen Moment. Den Augenblick genießen so lange es ging.
„Was ist eigentlich los mit dir?“
„Nichts.“
„Nichts. Klar.“
Nina war nicht besonders gut im Lügen, nicht einmal, wenn sie sich Mühe gab, deshalb überraschte es sie nicht, dass Oliver merkte, dass sie nicht so gut drauf war. Doch statt sie direkt darauf anzusprechen machat er ihr nur deutlich, dass er ihre Stimmung mitbekam und überließ es ihr ob sie reden wollte oder nicht. Phasenweise hatte er das ganz gut drauf. Nina genoss diese Vertrautheit zwischen ihnen. Sie spürte wie sich seine Wärme auf sie übertrug und die Ruhe, die er ausstrahlte, brachte sie dazu, ihren verkorksten Tag einen Moment zu vergessen.
„Oli?“
„Ja?“
„Wann fahren wir?“

Knapp zehn Minuten später stand Nina vor Olivers Bett und begann sich auszuziehen während er noch kurz ins Bad gegangen war. Sie legte Pullover, Hose und Socken lose gefaltet auf den Boden bevor sie sich ins Bett legte und unter die Decke kroch. Das Bett war frisch bezogen und duftete nach Weichspüler. Spätestens in zwei Tagen würde es nur noch nach Oliver riechen. Sie schloss die Augen und streckte sich im Bett aus.
„Nina?“ Oliver setzte sich auf die Bettkante und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Sie kräuselte ihre Nase bevor sie die Augen öffnete.
„Ich hab dich gar nicht reinkommen hören.“ Nina öffnete die Augen und drehte sich auf die Seite. „Ich muss eingedöst sein.“
„Ist viertel nach sechs okay?“
„Mir egal.“ Ohne Oliver aus den Augen zu lassen, ließ Nina sich in die Kissen sinken. Es war ihr egal, wann sie aufstehen würden, weil es für sie in jedem Fall zu früh war. Schließlich begann die Schule erst um acht – Oliver musste jedoch schon um sieben in der Firma seines Vaters sein, die er bald übernehmen würde, sein.
Nachdem Oliver den Wecker gestellt hatte, kroch er zu Nina unter die Decke. Er schob seine Hand über die Matratze zu ihrem Bauch.
„Du bist noch angezogen.“ Oliver zupfte an ihrem T-Shirt.
„Ich wollte dir nicht die ganze Arbeit abnehmen.“
Ohne etwas zu erwidern zog er Nina zu sich heran. „Gute Nacht.“
„Ist das alles?“ Nina drehte ihren Kopf zu Oliver und sah ihn an.
„Was meinst du damit?“
„Sonst kannst du mich nicht schnell genug aus den Klamotten kriegen und heute bist du so... zurückhaltend.“
„Ich dachte, das gefällt dir.“
„Das tut es ja auch.“
„Und warum genießt du es dann nicht?“
„Weil mich das irritiert.“
„Also, wenn das so ist...“ Zielstrebig wanderte Olivers Hand unter ihr T-Shirt, zum Verschluss ihres BHs den er geschickt öffnete.
Nina richtete sich etwas auf um sich von beiden Kleidungsstücken zu befreien und sie aus dem Bett zu werfen. Dann drückte sie Oliver auf die Matratze und beugte sich zu ihm hinunter.
„Nina, warte.“
„Was ist?“
„Ich hab dich nicht mitgenommen weil ich mit dir schlafen wollte.“
„Sondern?“
„Weil ich dachte, dass... Naja, dass du vielleicht heute nicht allein sein willst.“
„Wow.“ Nina ließ sich neben Oliver auf die Matratze sinken. Sie schmiegte sich so eng wie möglich an ihn, legte ihren Kopf auf seinen rechten Arm und ihren rechten Arm legte sie auf seiner Brust ab. „Da hab ich dich wohl in einem sehr sozialen Moment erwischt.“
„Du kannst das nicht einfach so hinnehmen, oder?“
„Wundert dich das?“
„Um ehrlich zu sein, ja.“
Nina seufzte. „Weißt du, es ist nicht einfach emotionalen Abstand zu dir zu halten wenn du so bist. Wenn du zeigst, dass du nicht das Arschloch bist für das ich dich eigentlich halten sollte weil es sonst nur um Sex geht.“
„Du bist immer noch ziemlich verliebt in mich.“
„Was spielt das denn für eine Rolle? Du willst keine Beziehung und ich akzeptiere das. Alles andere ist unwichtig.“
„Das sehe ich anders.“
Nina seufzte. „Wenn du es unbedingt hören willst, ja. Ich bin ziemlich verliebt in dich.“ Sie setzte sich auf. „Aber manchmal frage ich mich ernsthaft weshalb ich dich so mag.“
„Wieso?“
„Fragst du mich das im Ernst? Du weißt ganz genau, dass sich meine Gefühle für dich nicht geändert haben, warum stocherst du ständig mit den Fingern in der Wunde rum? Kannst du dir nicht vorstellen, dass es schon genug weh tut?“
„Ich wusste nicht, dass es so schlimm für dich ist.“
Woher auch, wenn man immer nur mit sich selbst beschäftigt ist. Nina zog die Knie an und hielt sich mit den Armen daran fest. „So lange mich niemand zwingt, darüber nachzudenken ist es das nicht.“
„Möchtest du lieber gehen?“
Langsam drehte Nina sich zu ihm um. „Ändert das jetzt was zwischen uns?“
„Nicht was mich betrifft.“
„Gut. Ich würd gern bleiben. Mir ist heute Nacht wirklich nicht nach allein sein. Wenn das für dich okay ist.“
„Ist es.“ Oliver streckte seinen Arm aus um das Licht auszuknipsen.

Gegen 6 Uhr 30 verließen Nina und Oliver das Haus seiner Eltern, das Nina insgeheim „Villa Hellms“ getauft hatte. Weil es riesig war, mit teuren Möbeln bestückt und weil es dort immer so sauber war, als könne man vom Fußboden essen.
„Soll ich dich zu Hause absetzen?“
„Nein. So weit ist es ja nicht und wenn ich so früh zu Hause bin langweile ich mich bloß.“
„Wie du meinst. Ich wünsch dir einen schönen Tag.“ Oliver nahm Nina zum Abschied in den Arm.
„Ich dir auch.“ Nina drückte ihn kurz bevor sie sich von ihm löste. „Arbeite nicht zuviel.“
„Wird sich zeigen.“
Kopfschüttelnd ging Nina die Einfahrt hinunter. Oliver wusste selbst, dass er zuviel arbeitete, aber das würde er nicht mal ihr gegenüber zugeben. Lukas, Olivers „kleiner“, 22jähriger Bruder, der gerade vom Joggen kam, begrüßte sie mit einem flüchtigen „Hi“ was sie erwiderte bevor sie weiter die Straße entlang ging.
„Na“, Lukas blieb neben Oliver stehen, „musst du dein Betthäschen schon wieder vor dem Aufstehen aus dem Haus werfen?“
„Nina ist nicht mein Betthäschen.“
„Sondern?“
„Wir sind befreundet.“
„Das scheint bei euch keinen Unterschied zu machen.“
„Das tut es aber.“
„Sie muss dich verdammt mögen wenn sie dich so auf ihren Gefühlen rumtrampeln lässt.“
„Was weißt du schon.“ Oliver öffnete die Tür seines Autos und stieg ein.
„Gar nichts.“ Schulterzuckend machte Lukas sich auf den Weg ins Haus. Er hatte resigniert. Es war nicht leicht mit Oliver zu reden wenn es um Frauen im Allgemeinen und Nina im Besonderen ging. Seit seine Beziehung zu Saskia in die Brüche gegangen war, hatte er sich verändert und das nicht unbedingt zu seinem Vorteil. Lukas mischte sich nicht in das Privatleben seines Bruders, allerdings hatte er schon einige Male gesehen, dass Nina sich ein paar Tränen aus den Augen wischte wenn sie das Haus verließ. Die Tatsache, dass sie immer noch mit Oliver Kontakt hatte, bedeutete seiner Meinung nach nicht nur, dass sie in ihn verliebt war, sondern auch, dass sie zumindest eine Ahnung davon haben musste, was für ein Typ Oliver wirklich war.


4. Kapitel

Nina setzte sich im Schneidersitz auf einen der Kästen, die neben den Matten standen, auf denen das Judo-Turnier stattfand, bei dem sie und Oliver Sanitätsdienst machten. Sicher hätte sie sich etwas spannenderes vorstellen können als an einem Samstagnachmittag in einer miefigen Turnhalle zu sitzen, aber was tat man nicht alles um dem Menschen, den man sehr mochte, nahe zu sein. Sie nahm die Zeitung, die sie mitgebracht hatte und zog den Teil mit den Kleinanzeigen heraus.
„Was bin ich eigentlich für dich?“
Oliver, der gerade seine Jacke ausgezogen hatte, drehte seinen Kopf zu ihr. „Was?“
„Wenn jemand dich fragt, diese Nina, ist das deine Freundin, was sagst du?“
„Natürlich bist du meine Freundin. Platonisch gesehen.“
„Aber Freunde schlafen nicht miteinander.“
„Wir sind also keine Freunde?“
Nina zuckte mit den Schultern. „Schon. Aber meine Definition von Freundschaft beinhaltet eigentlich keinen Sex.“
„Dann ist es wohl an der Zeit, diese Definition mal zu überarbeiten. Gesetze werden schließlich auch ständig angepasst.“
„Freunde sollten nicht miteinander schlafen. Sex macht alles kompliziert.“
„Gefühle machen es kompliziert.“ Oliver ließ sich neben Nina auf einen zweiten Kasten fallen. „Wenn es nur um Sex ginge, wäre das kein Problem.“
„Du machst dir das zu einfach.“
„Du machst es dir zu kompliziert. Ich meine, wenn du nicht in mich verliebt wärst, müsstest du nicht ständig darüber nachdenken ob du nicht irgendwas tun könntest um aus unserem Verhältnis eine Beziehung zu machen.“
„Wenn ich nicht in dich verliebt wäre, würde ich nicht mit dir schlafen.“
„Doch, würdest du.“ Oliver sah Nina an. „Weil du es brauchst. Du genießt es mich in der Hand zu haben, das weiß ich.“
„Quatsch.“ Nina schüttelte entschieden den Kopf. „Ich kann sehr gut ohne Sex.“
„Das bezweifle ich ja gar nicht. Aber wenn du wählen musst – Sex mit mir oder gar keinen – ich weiß wofür du dich entscheidest.“
Schweigend wandte sich Nina wieder der Zeitung zu. Oliver hatte eindeutig einen Vogel. Wie konnte er allen ernstes glauben, sie würde mit einem Mann schlafen können für den sie nichts empfand? Gerade er, den sie so oft zurückgeschoben hatte bevor sie das erste Mal miteinander geschlafen hatten. Und das, obwohl sie in ihn verliebt war.
„Wohnungsmarkt?“ Neugierig sah Oliver ihr über die Schulter.
„Karen will das Haus verkaufen. Und bevor ich auf der Straße sitze...“
„Du solltest damit wenigstens warten bis du deinen Abschluß hast.“
„Du klingst wie mein Vater.“
„Und das, obwohl der vermutlich besser als ich über deinen Finanzstatus bescheid weiß.“
Nina atmete tief ein. „Oliver du bist so... bäh.“
„Bäh?“
„Ja. Du bist so unnormal vernünftig und du bist vier Jahre jünger als ich. Wenn ich mir vorstelle daß ich mal so werde wie du wenn ich erwachsen bin...“
„Du bist erwachsen.“ stellte Oliver grinsend fest.
„Nur auf dem Papier. Wenn man so vernünftig ist wie du hat man doch keinen Spaß mehr.“
„Ich habe sehr wohl noch Spaß.“
„Ach ja? Wann?“
Er drehte seinen Kopf zu ihr und grinste sie an. „Das weißt du doch selbst am besten.“
„Nein.“ Nina tat unwissend, grinste aber ebenfalls. „An der Stelle versagt leider meine Vorstellungskraft.“ Dann wandte sie sich wieder ihrer Zeitung zu.
„Du willst also wirklich eine eigene Wohnung?“ fragte er schließlich.
„Ich bin 28 und es wird langsam Zeit auf eigenen Beinen zu stehen. Und ich hoffe, daß ich dann so viele andere Dinge im Kopf habe damit ich nicht mehr so viel über mein gestörtes Gefühlsleben nachzudenken.“
„Du solltest trotzdem bis zum Sommer warten.“
Nina legte die Zeitung beiseite und sah nun auf die Judo-Matten. Der Typ konnte einem wirklich alles vermiesen. Glaubte er denn, es würde ihr Spaß machen ganz allein in einer Wohnung? Mit Sicherheit nicht. Sie war nicht fürs Alleinsein gemacht. Sie brauchte zumindest die Option darauf, daß irgend jemand irgendwann durch die Tür kam. Das Gefühl, daß jemand da war, selbst, wenn es nur alle paar Monate war.
„Willst du eigentlich ewig zu Hause bleiben?“ Nina drehte ihren Kopf nun zu Oliver.
„Nein. Ich denke, wenn ich im Sommer die Firma übernehme, brauche ich eine eigene Wohnung. Damit mein Vater nicht die Möglichkeit hat, mir ständig über die Schulter zu gucken.“ Irritiert stellte er fest, daß Nina grinste und aussah, als würde sie sich in Gedanken gerade über ihn lustig machen. „Was?“
„Es tut mir leid, Oli,“ kicherte sie, „aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen wie du kochst, bügelst oder das Bad putzt.“
„Und ich kann mir nicht vorstellen, daß man nach einem Monat noch durch deine Wohnung gehen kann ohne was kaputtzutreten.“ erwiderte er und spielte dabei auf ihren nicht sehr ausgeprägten Sinn für Ordnung an.
„Idiot.“ brummte sie.
„Bist du jetzt beleidigt?“
„Ja.“
„Süß.“
„Süß?“ Nina funkelte ihn böse an. „Weißt du was? Vielleicht höre ich auf dich und warte bis zum Sommer bis ich mir eine Wohnung suche – mindestens 300 Kilometer von dir entfernt.“
„Machst du doch nicht.“ grinste Oliver was Nina nur noch wütender machte.
„Ach nein? Hast du ne Ahnung.“
„Du kannst doch nicht ohne mich.“
„Wenn ich WILL kann ich, verlaß dich drauf. Du bist bestimmt nicht der einzige der in der Lage ist, mich kaputtzumachen.“
Für den Rest des nachmittags redete Nina kein Wort mehr mit Oliver. Er versuchte es zwar ein paar Mal, gab aber irgendwann auf. Wenn sie unbedingt so stur sein wollte, bitte. Er konnte sich auch anderweitig die Zeit vertreiben.

„Hey Nina.“ Oliver ließ sich neben Nina auf einen der Stühle sinken und stellte seine Tasche hinter sich auf der Fensterbank ab. Drei Tage waren seit dem Sanitätsdienst beim Judo vergangen.
„Hi.“ erwiderte Nina knapp. Sie hatte sich vorgenommen so lange sauer auf ihn zu sein, bis er sich für seine blöden Sprüche am Sonntag entschuldigt hatte.
„Alles klar?“
„Hm.“ Alles klar? Typisch Oliver. Kein Wort über das Gespräch beim Sanitätsdienst. Abgehakt als wäre nichts gewesen. Ignorantes Arschloch.
„Sieht aber nicht so aus.“
„Komm, vergiss es einfach.“
„Schlechte Laune?“
„Oliver.“
„Ist ja gut.“
Er klang beleidigt, aber das war Nina egal. Sie musste nicht immer diejenige sein, die klein bei gab. Er nahm sich ständig das Recht das, was sie tat, oder wahlweise das, was sie nicht tat, zu kritisieren. Es war nicht so, dass sie mit Kritik nicht umgehen konnte, allerdings war sie der Meinung dass jemand, der austeilte, auch einstecken musste. Und das konnte Oliver nicht. Egal wie sachlich man argumentierte. Es schien an ihm abzuprallen, aber hinterher strafte er sie oft eine Zeitlang mit Missachtung.
Nachdem Thomas alles Organisatorische geklärt hatte, war der Dienstabend beendet. Nina schnappte ihre Jacke und war wenig später durch die Tür verschwunden. Oliver folgte ihr.
„Nina, warte.“
Nina, die fast bei ihrem Auto angekommen war, drehte sich um. „Was?“
„Bist du sauer auf mich?“
Blitzmerker. „Warum sollte ich?“
„Was weiß ich.“ Oliver blieb vor ihr stehen. Natürlich wusste er, dass sie wütend war, er kannte sie schließlich lange genug, und er ahnte auch weswegen. Allerdings hatte er keine Ahnung wieso sie sich so anstellte. Wenn ihr etwas nicht passte, würde sie darüber reden müssen.
„Oli, ich hab keinen Bock auf Spielchen. Mir ist kalt, ich bin müde und wenn du nichts wichtiges mit mir zu besprechen hast, würde ich jetzt gerne nach Hause fahren.“
„Ich habe allerdings was mit dir zu besprechen.“
„Bitte.“
„Nicht hier. Fahr du schonmal los, ich komme nach.“
Nina seufzte resigniert. Sie hätte wissen müssen, dass sie nicht dauerhaft sauer auf Oliver sein konnte. Vielleicht hatte sie auch einfach die Hoffnung aufgegeben, dass er sich jemals für etwas entschuldigen würde. Gut, er lag noch nicht wieder in ihrem Bett, aber in zehn Minuten würde er im Haus sein und dann war es nur noch eine Frage der Zeit.
Nina hatte gerade die Haustür aufgeschlossen als Oliver sein Auto im Carport parkte. Da Karen in Schweden war, und ihr Auto so lange bei ihren Eltern stand, war der Platz frei. Oliver kam das sehr gelegen, denn so konnte sein Auto nicht von jedem gesehen werden. Es war zwar ein offenes Geheimnis, dass zwischen ihm und Nina etwas lief, aber er wollte dem Getratsche nicht unbedingt neuen Stoff liefern.
Oliver folgte Nina ins Haus. Sie gingen durch den Flur ins Esszimmer, wo sie ihre Jacken über einen Stuhl hängten bevor sie ins Wohnzimmer gingen.
„Du wolltest was mit mir besprechen.“ erinnerte Nina ihn während sie ein paar Holzscheite in den Ofen legte, der kurz vor dem Ausgehen war.
„Du bist sauer auf mich.“ Oliver setzte sich auf das dunkelblaue Ledersofa.
„Ist das ein Wunder? Du nimmst mich überhaupt nicht ernst.“
„Wie kommst du denn darauf? Natürlich nehme ich dich ernst.“
„Tatsächlich? Das kam mir am Sonntag irgendwie anders vor.“ Nina richtete sich auf und drehte sich um. „Ich kann ohne dich. Ob du es nun glaubst oder nicht.“
Olivers Mundwinkel schoben sich zu einem Lächeln nach oben.
„Du tust es schon wieder.“ brummte Nina.
Oliver erhob sich und ging um den Tisch herum zu ihr. Er legte seine Hände an ihre Hüften und zog sie zu sich heran. „Dir ist gar nicht klar, wieviel Macht du über mich hast, oder?“
„Verarsch mich nicht.“
„Das tue ich nicht. Du weißt genau, welche Knöpfe du bei mir drücken musst, damit ich schwach werde. Und du tust es.“
Nina sah ihn schweigend an.
Tue ich? Hm, wenn ich so darüber nachdenke, ja, vielleicht tue ich das manchmal. Unbewusst. Macht hat für mich was mit Manipulation zu tun und ich wüsste nicht, wie man jemanden wie Oliver, der so total über den Dingen zu stehen scheint, manipulieren sollte.
„Nina?“
„Hm.“
„Du hast gesagt, ich mache dich kaputt.“ Oliver sah sie ernst an. „Wie hast du das gemeint?“
Nina seufzte. Ihr war klar, dass, wenn sie seine Frage jetzt ehrlich beantwortete, das möglicherweise zu einem Bruch zwischen ihr und Oliver führen würde. Aber sie wusste auch, dass er eine ehrliche Antwort erwartete.
„Du tust mir nicht gut.“ Nina entzog sich ihm und ging zum Fenster. „Ich sollte die Finger von dir lassen, aber ich kann nicht. Das ist wie eine Sucht. Ich überlege wirklich, ob es nicht besser ist, wenn ich ne Weile von hier weggehe.“
Oliver sagte nichts. Nina sah ihm Fenster, wie er in die Küche ging. Sie hörte, wie er seine Jacke anzog und wenig später das Haus wieder verließ.


5. Kapitel

Nina saß im Bastelzimmer am PC. Sie hatte im Internet ein paar Dinge für die Schule recherchiert und sah nun ihre eMails durch. Neben einer Menge Spam gab es eine Nachricht von Karen und eine von Oliver. Etwas verwundert öffnete Nina die Nachricht, in deren Betreffzeile „Angebot“ stand. In der Nachricht selbst stand nur „siehe Anhang“. Typisch für Oliver, der nie mehr Worte als nötig verwendete. Nina öffnete den Anhang, eine Word-Datei, die ebenfalls den Titel „Angebot“ trug.
Die Datei öffnete sich auf ihrem Monitor und das erste Wort, das Nina las, war VERTRAG. Und das, was dann folgte, konnte sie fast nicht glauben.

„Oliver Hellm,s geboren am 18.08.1981, und Nina Brand, geboren am 15.09.1978, im folgenden Vertragsparteien genannt, treffen folgende Vereinbarung:
Die Vertragsparteien beziehen für den Zeitraum von sechs Monaten eine gemeinsame Wohnung. Sollten zum Ablauf des vereinbarten Zeitraums beide Parteien in der gemeinsamen Wohnung leben, verpflichtet sich Oliver Hellms mit Nina Brand eine feste Beziehung einzugehen, sofern dies noch gewünscht wird.
Nachstehend werden folgende Vertragsbedingungen festgelegt:
1. Die Beziehung der Vertragsbedingungen ändert sich nicht mit dem Bezug der Wohnung, sondern bleibt in der derzeitigen Form bestehen. Änderungen sind in beiderseitigem Einvernehmen möglich.
2. Die Vetragsparteien teilen sich Miete und anfallende Hausarbeiten im Verhältnis 50:50.
3. Die Vertragsparteien sind verpflichtet Ereignisse, die ihr Zusammenleben direkt oder indirekt beeinflussen, dem anderen unverzüglich oder bei nächster Gelegenheit mitzuteilen. Die Parteien sind NICHT verpflichtet, ihr Intimleben offenzulegen.

Datum, Unterschrift“

Nina sah auf ein Eingangsdaten. Oliver hatte die Mail um zwei Uhr nachts geschickt. Kopfschüttelnd lehnte sie sich zurück. Das konnte unmöglich sein ernst sein. Wobei, Oliver würde sowas nicht aus Jux und Dollerei verschicken. Es passte irgendwie zu ihm. Diese Sachlichkeit.
Nina griff nach ihrem Handy und wählte Olivers Nummer.
„Hey Nina.“
„Ich hab gerade deine eMail gelesen.“
„Und?“
„Ist das dein Ernst?“
„Es ist ein Angebot. Denk drüber nach und entscheide dann, ob es dir gefällt.“
„Okay.“
„Sorry, aber ich muss Schluss machen, ich hab gleich einen Termin.“
Nina verabschiedete sich und ließ das Handy wieder in ihrer Tasche verschwinden. Er meinte es tatsächlich ernst. Jetzt war es an ihr, sich zu entscheiden.

„Das ist ein schlechter Witz, oder?“ Malte faltete den schon etwas mitgenommen aussehenden Zettel wieder zusammen und legte ihn vor Nina auf den Tisch. Die Tatsache, dass sie keine Miene verzog, machte ihn unruhig. „Du willst das doch nicht ernsthaft unterschreiben?“ Er schwieg einen Moment. „Doch, das willst du.“
„Vielleicht ist das meine einzige Chance.“ Nina nahm den Zettel und steckte ihn wieder in ihre Jackentasche.
„In jedem Fall eine gute Chance, dir einen Platz in der Klapse zu sichern.“ Malte zog eine Zigarrettenschachtel aus seiner Jackentasche und zündete sich wenig später eine an.
„Ich wusste, dass du das nicht verstehst.“ Nina sah sich um. Ihr Bruder und sie waren fast die einzigen, die um diese Zeit in ihrer Stammkneipe saßen. So dass niemand, außer Sonja, die hier kellnerte und Jens, dem Chef, ihr Gespräch mitbekam und die beiden waren es gewohnt, dass Nina und Malte ihre Krisengespräche hier führten.
„Ich verstehe das sehr wohl. Aber mal ehrlich, glaubst du wirklich, dass das funktioniert? Für Oliver ist das nach wie vor nicht mehr, als ein Fickding. Nur dass er dann dafür nicht mehr ins Auto steigen muss.“
Nina senkte den Kopf. Sie hatte damit gerechnet, dass Malte ihr gründlich ins Gewissen reden würde, aber ihr war nicht klar, dass es sie so treffen würde.
„Ich weiß dass du das nicht hören willst weil Oliver deine heilige Kuh ist.“ Malte seufzte. „Aber was hast du erwartet?“
„Genau das.“ Schniefend wischte sich Nina mit dem Pulloverärmel die Tränen aus ihren Augen.
Malte sah Nina an. Irgendwie tat es ihm leid, dass Nina sich ausgerechnet in Oliver verliebt hatte. Malte und Oliver würden nie die besten Freunde werden, dafür waren sie einfach zu verschieden, aber selbst wenn sie es wären, so lange Oliver nichts an seinem Verhalten änderte, hätte er Nina immer davon abgeraten, sich auf ihn einzulassen.
„Sprichst du noch mit mir, wenn ich unterschreibe?“ fragte Nina nachdem Sonja, die ihnen ihre Baguettes gebracht hatte, wieder gegangen war.
Malte seufzte. „Ich bin dein Bruder. Auch wenn es mir lieber wäre, du würdest mal auf mich hören kann ich wohl nicht verhindern, dass du dich auf diesen Kuhhandel einlässt. Ich akzeptiere deine Entscheidung, aber erwarte nicht, dass ich sie gut finde.“
Nina nickte und griff nach ihrem Baguette.
„Dir ist klar, dass diese Aktion völlig bescheuert ist, oder?“ fragte Malte als er die Hälfte seines Baguettes aufgegessen hatte. „Oliver benimmt sich wie ein Arschloch und du...“
„Ich mag dieses Arschloch. Sehr sogar. Ich komm nicht dagegen an.“

Als Oliver sich am Mittwoch auf den Weg zum Dienstabend machte, war er etwas unruhig. Seit Nina ihn wegen seines Angebots angerufen hatte, hatten sie keinen Kontakt mehr gehabt und das war inzwischen fast eine Woche her, was sonst eher ungewöhnlich war. Zweifel schlichen sich in seine Gedanken. Vielleicht war er mit diesem Vertrag doch einen Schritt zu weit gegangen. Nina und er waren so verschieden, dass eine gemeinsame Wohnung nur eins bedeuten konnte: Stress. Andererseits machte ihm der Gedanke, abends in eine leere Wohnung zu kommen und mit niemandem reden zu können, auch nicht gerade Freude. Der Gedanke, abends nach Hause zu kommen und auf Nina zu treffen hingegen beruhigte ihn irgendwie.
Da es zwar kalt war, es aber weder Regen noch Wind gab, hatte Nina beschlossen, zu Fuß zum Dienstabend zu gehen. Eine Entscheidung musste her und zwar bald. Oliver würde sein Angebot nicht ewig aufrecht erhalten. Die Frage war nur, wollte sie wirklich mit Oliver zusammen ziehen? Auf der einen Seite schrie jede Faser ihres Körpers „JA“, schließlich wollte sie eine Beziehung mit Oliver und das beinhaltete über kurz oder lang auch eine gemeinsame Wohnung und so gesehen schien sie durch dieses Angebot am Ziel ihrer Träume zu sein. Andererseits... Wenn Oliver keine Beziehung wollte, und das hatte er schließlich oft genug gesagt, wieso machte er ihr dann so ein Angebot? Hatte Malte vielleicht doch recht und Oliver war einfach zu faul zu ihr zu fahren um mit ihr zu schlafen? Nina seufzte. Sie würde nach dem Dienstabend mit ihm reden und dann würde sie eine Entscheidung treffen.
Der Abend zog sich wie Kaugummi und nahezu jeder, der Anwesenden, war froh, als er vorbei war. Nina stellte die Gläser in die Spülmaschine und ging dann wieder hinüber zum Unterrichtsraum. Bis auf Oliver, der dabei war, seine Unterlagen zusammen zu packen, war niemand mehr dort. Nina lehnte sich an den Rahmen und beobachtete ihn.
„Ist noch was?“ erkundigte er sich ohne sie anzusehen.
„Fährst du mich nach Hause?“ Ninas Ton war sachlich. Sie hatte in den letzten Jahren gelernt, äußerlich cool zu bleiben und so wenig Raum wie möglich für Spekulationen zu bieten. Das Oliver den einen oder anderen nach dem Dienstabend nach Hause brachte, war nicht ungewöhnlich und Nina achtete darauf, von diesem Angebot nicht zu häufig Gebrauch zu machen. „Ich würd gern mit dir reden.“
„Ich brauch noch ein paar Minuten.“
„Mach dir keinen Stress. Ich kann warten.“
Oliver sortierte noch ein paar Zettel und Folien, legte sie in die Aktenmappe und zog den Reißverschluss zu bevor er sie unter den Arm klemmte. Er ging Richtung Tür, knipste das Licht aus und verließ zusammen mit Nina das Haus. Schweigend gingen sie über den Parkplatz. Es war stockdunkel. Das Licht der Straßenlaterne reichte nur ein paar Meter weit, so dass sie langsam gehen mussten um nicht hinzufallen wenn sie aus Versehen in eins der unzähligen Schlaglöcher traten. Oliver entriegelte den Hyundai, den er zur Zeit fuhr, per Fernbedienung. Die Lichter blinkten zwei mal in knalligem orange. Ein leicht zeitversetztes Aufspringen der Türriegel war zu hören.
„Also, was gibt’s?“ fragte Oliver während er den Schlüssel ins Zündschloss steckte und sich anschnallte.
„Ich hab nachgedacht.“ Nina zog die Autotür zu und griff nach ihrem Gurt.
„Worüber?“
„Über dein Angebot.“
Oliver startete den Wagen. „Und?“
„Wie stellst du dir das eigentlich vor? Ich meine, angenommen ich nehme an, was passiert dann?“
Oliver lenkte den Wagen vom Parkplatz und fuhr in Richtung Stadtmitte. „Wir suchen uns eine passende Wohnung, ziehen ein und sehen wie’s läuft.“
„Einfach so?“
„Wie – einfach so?“
„Wir machen weiter wie bisher, nur in einer gemeinsamen Wohnung?“
„So in etwa.“
Keine fünf Minuten später kam das alte Bauernhaus in Sichtweite.
„Ich muss aber nicht ständig mit dir schlafen, oder?“
Da Oliver nicht sofort reagierte, sah Nina zu Oliver hinüber. Er blickte konzentriert auf die Straße, aber genau daran erkannte sie, dass sie gerade etwas falsches gesagt hatte.
„Du musst überhaupt nicht mit mir schlafen.“ entgegnete er schließlich. „Ich zwing dich schließlich nicht dazu.“
„Das sage ich ja nicht, ich meine nur...“ Nina suchte nach Worten die es so ausdrückten, dass er es nicht wieder in den falschen Hals bekam. „... Nicht, dass du denkst so, jetzt hat sie das, was sie will, da soll sie mir wenigstens zur Verfügung stehen.“
„Unterstellst du mir gerade, dass ich dir das angeboten habe damit ich ficken kann, wann ich will?“ Oliver hielt am Straßenrand und sah Nina an.
Nina schluckte. Ein JA als Antwort wäre fies. Ein NEIN wäre gelogen. „Naja, ich... das ist es doch, worum’s dir zwischen uns geht.“ Sie war erstaunt wie leicht ihr dieser Satz über die Lippen gekommen war, zumal sie enorm viel Zeit und Energie dafür verwandte, sich diesen Gedanken vom Hals zu halten.
„Das ist überhaupt nicht wahr.“
„Deswegen denkt auch jeder, dass du meine Gefühle ausnutzt um mich ins Bett zu kriegen.“
„Ist es auch das, was du denkst?“ Olivers Stimme war leiser geworden.
„Nein, Oli, das weißt du.“
„Warum erwähnst du es dann?“
„Vielleicht versuche ich einfach nur herauszufinden wie gerade du auf so eine Idee kommst.“
„Was meinst du mit –gerade ich?“
„Ich hab noch nie erlebt, dass du etwas tust, das sich für dich nicht rentiert. Was hast du davon wenn du mit mir zusammen ziehst?“
Oliver zuckte mit den Schultern. „Eine Erfahrung?“
Nina seufzte. „Ich versteh dich nicht.“
„Das ist nichts Neues.“ Oliver grinste. „Soll ich auf den Hof fahren?“
„Nicht nötig.“ Nina löste ihren Gurt und öffnete die Tür.
„Schlaf schön.“
„Du auch.“ Nina stieg aus, dann drehte sie sich noch einmal um. „Ich will es.“
„Ich ruf dich an.“
„Okay.“ Nina schlug die Tür zu. Sie blieb noch einen Moment stehen und sah zu wie Oliver den Blinker setzte und weiter fuhr. Sie musste bescheuert sein. Als sie über den Hof zum Haus ging, fiel ihr ein Sprichwort ein, das sie letztens in einer Zeitschrift gelesen hatte.
Wo die Liebe kommt ins Haus, da zieht die Klugheit aus.

Obwohl Oliver müde war, konnte er nicht schlafen. Das Gespräch mit Nina beschäftigte ihn. Wie konnte sie auch nur auf die Idee kommen, ihm ginge es nur um Sex? Sie kannte ihn doch. Sie wusste, dass sie ihm wichtig war. Oliver seufzte. Er hatte sie für klug genug gehalten, sich ihre eigene Meinung zu bilden und sich nicht von anderen beeinflussen zu lassen. So langsam begann er, sein Angebot zu bereuen. Zurückziehen würde er es trotzdem nicht. Sie sollte ihm nicht unterstellen können, dass er es nicht ernst gemeint hätte.

Auch Nina war noch wach. Sie hatte sich entschieden, allerdings war sie sich nicht sicher, ob sie nun mit dieser Entscheidung glücklich war. Gut, sie war, aus welchen Gründen auch immer, davon überzeugt, dass sie und Oliver zusammen gehörten. Dass er Gefühle für sie hatte. Wie sonst war es zu erklären, dass sie sich ständig nahe kamen, dass er ihr gegenüber durchblicken ließ, wenn ihre Worte ihn verletzten, so wie vorhin, nachdem sie ihn gefragt hatte, ob sie ständig mit ihm schlafen müsse. Er hatte mal gesagt, sie sei eine der wenigen, die ihn nur ansehen brauchte um zu erkennen, wie es ihm ginge, und dass sie ihn kannte. Aber manchmal fragte sie sich, ob sie sich nicht einiges einfach nur so hinbog, wie es gerade in ihr Bild passte. Ihr war klar, dass Oliver nicht zwangsläufig die Gefühle für sie entwickeln würde, von denen sie sich wünschte, dass sie existierten, und wenn er es nicht tat, was würde dann aus ihnen? Oliver und Kerstin hatten nach ihrer Trennung monatelang nicht miteinander gesprochen und es hatte über ein Jahr gedauert, bis sie wieder normal miteinander umgegangen waren und das wollte sie nicht. Dazu war er ihr zu wichtig. Wenn sie keine Beziehung führen konnten, dann wollte sie wenigstens mit ihm befreundet sein.


6. Kapitel

„Und, was gibt’s Neues?“ Henrik lehnte sich entspannt auf seinem Stuhl zurück und sah Oliver fragend an.
„Nichts.“
„Nichts? Ach komm, Job, Frauen – irgendwas ist bei dir doch immer.“
„Die Firma läuft, mein Vater zieht sich im Sommer raus.“
„Endlich dein eigener Chef. Respekt. Und ich schlag mich noch anderthalb Jahre an der Uni rum. Das Leben ist ungerecht.“
„Dafür wirst du wahrscheinlich dein Geld stressfreier verdienen.“
„Darauf würde ich nicht wetten. Und was dich angeht, du machst dir dein meisten Stress selbst. Und sonst?“
Oliver überlegte einen Moment. Henrik war sein bester Freund und früher oder später würde er es sowieso erfahren, da war es wohl besser, ihm sofort alles zu erzählen.
„Ich ziehe mit Nina zusammen.“
„Wie jetzt? Nina? Hab ich was verpasst?“
„Wir sind nicht zusammen falls du das meinst.“
„Nicht? Und warum ziehst du dann mit ihr zusammen?“
„Karen verkauft das Haus und ich hab Nina gesagt, dass es unvernünftig ist, sich jetzt eine eigene Wohnung zu suchen ohne zu wissen, wo sie nach ihrem Abschluss sein wird.“
„Und aus reiner Nächstenliebe gründest du mit ihr eine WG?“
„So ähnlich.“
Sie bestellten sich etwas zu trinken und schwiegen, bis die Bedienung ihnen das gewünschte brachte.
„Oli?“
„Hm.“
„Du weißt, dass Nina...“
„Ja, ich weiß dass Nina gewisse Gefühle für mich hat.“
„Denkst du, es ist möglich, dass sie sich mehr verspricht wenn du mit ihr zusammen ziehst?“
„Niemand kann vorhersagen, wie sich das entwickelt. Aber wir haben besprochen, wie wir unser Zusammenleben regeln.“
„Weiß sie auch von deinen... Frauengeschichten?“
„Wir haben keine Geheimnisse voreinander.“
„Ach.“ Henrik war so überrascht, dass er nicht wusste, was er dazu noch sagen sollte. Dass Oliver mit Nina zusammenzog, okay, das mussten die beiden unter sich ausmachen. Sie waren schließlich alt genug. Aber das Oliver keine Geheimnisse vor Nina hatte, das konnte er sich nur schwer vorstellen.
„Sie weiß wirklich von deinen One-night-stands?“ fragte Henrik erneut um sicher zu gehen, dass er Oliver richtig verstanden hatte.
„Nicht im Detail. Aber sie weiß, dass es sie gibt.“
So langsam dämmerte es Henrik, was von Olivers Seite aus zwischen den beiden von sich ging. „Sie... Du schläfst mit Nina.“ stellte er dann fest.
Olivers erster Impuls war, es abzustreiten, doch zum Einen verabscheute er Lügen und zum Anderen hätte Henrik sofort gemerkt, wenn er ihm nicht die Wahrheit sagte. Sie waren seit der Schulzeit befreundet und wenn jemand Oliver kannte, dann war es Henrik. Also nickte er, aber ganz wohl fühlte er sich dabei nicht.
„Schon lange?“
„Anderthalb Jahre.“ gab Oliver leise zu. Er griff nach der Getränkekarte und blätterte suchend darin herum damit Henrik nicht merkte, dass er ihm nicht ins Gesicht sehen konnte. Sicher wusste er was die, die von der Sache zwischen ihm und Nina wussten, von ihm dachten, aber der Gedanke, dass nun auch sein bester Freund dazu gehören könnte, behagte ihm nicht.
Henrik schwieg. Er saß genauso da wie vor fünf Minuten, als hätte er diesen Themenblock völlig ausgeklammert. Was jedoch nicht hieß, dass er sich keine Gedanken machte. Er hätte sagen können, dass das, was Oliver mit Nina machte, nicht in Ordnung war und so gar nicht zu dem Oliver passte, der er früher mal gewesen war. Aber das hatten wohl schon genug andere vor ihm getan. Andere, die nicht gesehen hatten, wie Oliver nach der Trennung von Kerstin gelitten hatte. Nachdem sie Schluß gemacht hatte. Henrik wusste das und er ging davon aus, dass er der einzige war, der das wusste. Nach außen hin hatte Oliver sich nichts anmerken lassen und die Story vom „beiderseitigen Einvernehmen“ erzählt. Er hatte schon immer schlecht zugeben können, wenn er in einer Sache gescheitert war. Seit dem ging er mit Frauen anders um. Ließ keine näher als nötig gefühlsmäßig an sich heran um nicht wieder verletzt zu werden. Henrik hielt das nicht für richtig, aber er war sich auch sicher, dass es nur eine Phase war und das Oliver irgendwann, wenn er auf die richtige Frau traf, wieder normal würde.

Oliver hatte sich mit dem Bauverein in Verbindung gesetzt und schon nach ein paar Tagen das erste Wohnungsangebot bekommen. Er traf sich am Montagabend mit Nina zur Besichtigung.
„Warst du schonmal hier?“ fragte Nina nachdem Oliver die Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte.
„Nein,“ antwortete er, „aber eine Bekannte von meiner Mutter wohnt zwei Häuser weiter, da sind die Wohnungen genau so geschnitten.“
Nina öffnete die Tür mit dem kleinen Milchglasfenster, die direkt neben der Wohnungstür war, und betrat das Bad. Es war lang und schmal, auf der rechten Seite gab es gerade genug Platz für eine Waschmaschine. Vor der Badewanne, die gleichzeitig als Dusche benutzt werden konnte. Neben der Wanne stand das WC und gegenüber der Wanne befand sich ein kleines Handwaschbecken über dem ein Spiegel angebracht war. Sowohl Badmöbel als auch Wandliesen und Decke waren weiß, nur der Boden bildete mit den blaugrauen Fliesen einen leichten Kontrast. Es sah ein wenig wie Krankenhaus aus, doch sobald Handtücher, Zahnputzzeug, Shampoo und so weiter ihren Platz gefunden hatten, würde es sicher nur noch halb so schlimm sein.
Gegenüber des Bades befand sich ein leerer Raum.
„Schlafzimmer.“ erklärte Oliver.
„Hm.“ Nina sah sich um. Es gab hier weder einen Bodenbelag noch Tapeten an den Wänden. Sie versuchte, sich vorzustellen, wie es eingerichtet aussehen würde, aber seltsamerweise versagte hier ihre Phantasie. Wohl deshalb, weil sie noch nicht ganz glaubenkonnte, dass sie tatsächlich mit Oliver zusammen wohnen würde.
Nina verließ das Schlafimmer und ging einen Raum weiter – ins Wohnzimmer. Hier herrschte derselbe Anblick.
„Und? Hast du schon eine Idee wie du’s haben willst?“ Sie stand mitten im Raum.
„Die Wände im Schlafzimmer wollte ich in terracotta streichen.“
„Terracotta? Wieso das denn?“
„Wieso nicht? Warme Erdtöne haben eine beruhigende Wirkung.“
„Nicht auf mich. Jedenfalls terracotta nicht. Ich hasse diese Farbe.“
„Was ist dein Vorschlag?“
Nina zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht.“
„Also doch terracotta.“
Nina seufzte. „Meinetwegen. Wenn es dich glücklich macht.“ Sie ging in die Küche, die gegenüber des Wohnzimmers lag. Auch sie war leer. Genau genommen konnte man nur anhand des Fliesenspiegels erkennen, dass hier die Küche war. „Wird hier noch eine Küche eingebaut oder müssen wir eine kaufen?“
„Wird eingebaut. Anfang nächster Woche soweit ich weiß.“
Nina nickte und ging in den letzten Raum der Wohnung. Das Zimmer, das später mal Olivers Arbeitszimmer werden sollte. Lang, schmal, großes Fenster. Derselbe trostlose Anblick wie in Schlaf- und Wohnzimmer. Nina ging zum Fenster und lehnte sich ans Fensterbrett. Das ideale Kinderzimmer. Kleiderschrank, Wickelkommode, Babybett. Weiß gestrichene Wände, eine Bordüre mit Kindermotiv in Augenhöhe...
„Woran denkst du?“
Nina blinzelte und sah statt der Babymöbel Oliver vor sich. Obwohl sie eigentlich keine Geheimnisse vor ihm hatte, würde sie ihm ihre Kinderzimmerphantasie nicht gleich auf die Nase binden. „Viel Arbeit.“ Sagte sie statt dessen.
„Ist aber zu schaffen. Willst du irgendwelche Möbel mitbringen?“
„Wir haben noch nicht einmal den Mietvertrag unterschrieben.“
„Reine Formsache.“
„Du hast es ganz schön eilig, von Zuhause raus zu kommen.“
„Ich will das einfach über die Bühne bringen so lange mein Vater noch in der Firma ist. Da kann ich mich auch mal ein, zwei Tage raushalten und renovieren. Das ist alles.“
„Wann willst du hier drin sein?“
„Wenn ich morgen den Vertrag unterschreibe und wir sofort mit der Renovierung anfangen, können wir zum Ersten drin sein.“
„Das ist in drei Wochen.“
„Und? Sagtest du nicht letztens noch, du hättest so viel Freizeit?“
„Zumindest bis zu den Halbjahreszeugnissen. Danach steht die Abschlussarbeit auf dem Programm. Nicht zu vergessen die Arbeitsunterweisung.“
„Ein Grund mehr, die nächste Zeit zu nutzen. Es sei denn...“
„Es sei denn, was?“
„Es sei denn, du hättest es dir anders überlegt.“
„Mit Sicherheit nicht.“

Am Donnerstag kam Oliver gegen 20 Uhr zu Nina um mit ihr die Renovierung der Wohnung zu planen. Er hatte am Dienstag noch den Mietvertrag unterschrieben und sofort einen Schlüssel ausgehändigt bekommen. Nina war allein zu Hause. Karen, die seit dem ersten Januar wieder im Krankenhaus arbeitete, hatte Nachtschicht und würde erst am nächsten Morgen wiederkommen.
Oliver bekam nur ein eiliges „Komm rein, ich muss in die Küche“ zu hören bevor Nina verschwunden war und ihn vor der geöffneten Tür stehen ließ. Oliver betrat das Haus, schloss die Tür und hängte seine Jacke an die Garderobe bevor er das Esszimmer betrat. Es hatte schon im Flur sehr lecker gerochen und sein Magen meldete sich mal wieder. Das letzte, was er gegessen hatte, war ein Müsliriegel gewesen und auch das war schon ein paar Stunden her.
„Was riecht denn hier so gut?“
„Gefülltes Hähnchenbrustfilet. Setz dich, es ist fertig.“
Oliver ließ sich am gedeckten Tisch nieder. Wenig später stellte Nina zwei gefüllte Teller auf den Tisch und setzte sich zu ihm.
„Falls das nicht reicht, es ist noch was da.“
„Mh.“
„Ich hab schon alles vorbereitet.“ Nina füllte ihre Gläser mit Apfelschorle. „Plan gezeichnet, Möbel ausgeschnitten, IKEA-Katalog rausgekramt und so.“
„Pizza hätte es auch getan.“ stellte Oliver völlig zusammenhanglos fest.
„Schmeckts dir nicht?“
„Doch. Sehr gut, ehrlich. Ich meine nur, du hättest dir nicht so einen Aufwand machen müssen.“
„Ich weiß,“ erwiderte Nina seufzend. „Aber ich hatte schon lange niemanden mehr zum Essen da, der so ein begnadetes Versuchskaninchen ist wie du.“
„Was soll das denn heißen?“
„Karen isst nur vegetarisch und Malte schaufelt alles in sich rein als gäbe es morgen nichts wieder. Und im Reiterstübchen habe ich keine Zeit für kulinarische Ausflüge.“
„Wieso bist du eigentlich nicht Köchin geworden?“
„Scheiß Arbeitszeiten, miese Bezahlung. Und ich hasse Stress beim Kochen.“
„Dreimal Schnitzel Pommes, zwei Curry und einmal Pommes rot-weiß – das ist kein Stress beim Kochen?“ fragte Oliver irritiert.
„Das ist Routine. Die Frittenschiene mache ich im Schlaf.“
Oliver musste lächeln. Als er Nina vor fünf Jahren kennen gelernt hatte, war sie so ruhig und unscheinbar gewesen. Seit dem hatte sie sich enorm verändert. Sie hatte einen Nebenjob im „Reiterstübchen“, der Kneipe ihres Onkels, angenommen, wo sie in der Küche arbeitete, und außerdem kümmerte sie sich um den Getränkeausschank eines kleinen Fußballvereins am Stadtrand. Das, und die Tatsache, dass sie seit Jahren selbst für sich sorgte, hatte ihr mehr Selbstvertrauen gegeben und inzwischen vertrat sie sogar unbequeme Meinungen bei Diskussionen, war schlagfertig und stellenweise sogar richtig frech.
Eine halbe Stunde später saßen sie im Bastelzimmer auf dem Boden und schoben auf einem vorgezeichneten Grundriss Papiermöbel hin und her.
„Also, wenn ich mir das so ansehe, erscheint mir die Wohnung doch etwas klein.“ bemerkte Nina, nachdem Oliver alles so angeordnet hatte, wie er es für richtig hielt.
„Das sieht nur so aus.“
„Kann sein.“ Nina lehnte sich an einen Sessel, der hinter ihr stand. „Aber bevor wir weiter über die Möbel diskutieren, sollten wir vielleicht erstmal über den Bodenbelag reden.“
Was den Bodenbelag an sich anging, waren sie sich relativ schnell einig. Außer im Schlafzimmer, wo sie Korkplatten verlegen wollten, sollte überall Laminat verlegt werden. Oliver war für Buche. Nina war dagegen
„Was hast du gegen Buche?“
„Überall, wo du hingehst, wirst du davon erschlagen. Laminat, Küchenmöbel, Schlafzimmermöbel. Ich kann’s einfach nicht mehr sehen.“
„Was schlägst du statt dessen vor?“
„Was dunkles. Kirsche oder so.“
„Das Büro ist so klein, da macht ein dunkler Fußboden es nur noch kleiner. Im Flur ist es verhältnismäßig dunkel und die Küche...“
„Kirsche im Wohnzimmer passt zu seinem Sofa.“
„Ich werde drüber nachdenken. Hast du mal ausgerechnet, wieviel Farbe wir brauchen?“
„Zumindest die Wandfläche habe ich berechnet. Wieviel Farbe wir brauchen, hängt ja letztendlich von der Qualität ab.“
„Morgen Baumarkt?“
„Mh.“
„Wann?“
„Ich hab nach der dritten Schluss.“
„Dann hole ich dich um elf hier ab.“
„Okay.“


7. Kapitel

„Gelb?“ Nina drehte ihren Kopf in Olivers Richtung. „Du hast sie ja wohl nicht mehr alle. Das Wohnzimmer wird auf keinen Fall gelb gestrichen.“
„Und warum nicht?“
„Weil ich von gelben Wänden Kopfschmerzen kriege.“ Nina wandte sich wieder der Wand mit den Farbwahlkarten zu vor der sie seit etwa einer halben Stunde standen.
„Man könnte natürlich auch terracotta...“
„Ich will nicht in einer Erdhöhle wohnen. Gleich erzählst du mir noch, dass das Büro babyblau und die Küche apfelgrün werden soll.“
„Woher weißt du...?“
Nina verdrehte die Augen. „Manchmal bist du sowas von vorhersehbar. Terracotta kommt nicht in Frage.“
„Aber terracotta ist modern.“
„Genauso wie Möbel in Buche, Maggi Fix für Currywurst und ähnlich nutzlose Dinge.“ Nina zog eine Karte aus der Halterung und hielt sie Oliver vor die Nase. „Wie wär’s damit?“
„Grün?“
„Mint. So bis 30 Zentimeter unter der Decke, der Rest bleibt weiß, das macht den Raum größer. Das bildet außerdem einen schönen Kontrast zum dunklen Laminat und wenn wir weiße Möbel nehmen, dann...“
„Grün?“
„Die Wand mit dem Fenster bleibt komplett weiß, davor kommt dein Sofa. Und ja – mintgrün.“
„Also ich weiß nicht. Kein Mensch hat ein mintgrünes Wohnzimmer.“
„Es wird dir gefallen.“
„Sicher?“
„Ganz sicher.“
„Ich werde darüber nachdenken. Hauptsache, wir kriegen heute das Schlafzimmer fertig.“
„Wie du meinst.“
Sie ließen sich von einer Verkäuferin die Farbe, auf die sie sich für das Schlafzimmer geeinigt hatten, anmischen. Nach langer Diskussion war es ein heller Sandton geworden mit dem sich Nina hatte anfreunden können. Als nächstes besorgten sie sich noch Pinsel, Malerrolle und Kreppband bevor sie zahlten und den Baumarkt verließen.
Schon zehn Minuten später standen sie in ihrem zukünftigen Schlafzimmer ihrer gemeinsamen Wohnung. Nina trug eine alte Jeans und ein gelbes T-Shirt. Sie war schon dabei, die Ecken mit einem Pinsel zu bearbeiten während sich Oliver in einen weißen Einwegoverall zwängte. Sie konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen als er damit fertig war und nach der Malerrolle griff.
„Was ist?“ fragte er irritiert
„Nichts.“
„Doch, irgendwas ist. Sonst würdest du nicht so schäbig grinsen.“
„Ich grinse nicht, ich lächle. Weil ich so ein fröhlicher Mensch bin.“
„Schon klar. Los, raus damit, was geht dir gerade durch den Kopf?“
Nina richtete sich auf. Oliver war inzwischen auf sie zugekommen, so dass er direkt vor ihr stand.
„Komm, sag es.“
„Du siehst so wahnsinnig sexy aus in diesem Ganzkörperkondom.“ kicherte Nina.
„Machst du dich etwa über mich lustig?“ Oliver tat beleidigt.
„Das würde mir doch nie einfallen,“ erwiderte Nina mit gespielt übertriebener Ernsthaftigkeit.
„Ich mal dich an.“ Oliver schob Nina mit seinem Körper zurück, bis sie an der Wand stand.
„Wenn du das Echo vertragen kannst.“
„Jetzt hör sich das einer an, die kleine Nina wird frech.“
„Komm, Oli, sieh zu, dass du an die Arbeit kommst. Wenn die Farbe dran ist, muss der Korkboden rein und darf ich dich erinnern, dass du das heute fertig haben wolltest?“
Seufzend ließ Oliver von ihr ab, schnappte sich die Malerrolle und begann nun, die Wände großflächig mit Farbe zu bedecken.
Nina, die sich weiter mit den Feinarbeiten beschäftigte, beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Warum konnte es nicht öfter so sein? Dass sie etwas zusammen machten, sich neckten ohne dass es darauf hinaus lief, dass sie in der Kiste landeten. Wie es wohl sein würde, wenn sie erstmal eingezogen waren. Ob sie tatsächlich öfter miteinander schlafen würden? Bis dahin waren ja noch zwei Wochen Zeit und vorher würde Oliver mit Sicherheit noch einmal einen Anfall kriegen. Nina hatte sich nämlich keinesfalls damit abgefunden, dass er über die Wandfarbe im Wohnzimmer nachdenken würde. Wenn er nämlich nachgedacht hatte, würde er versuchen, es ihr auszureden. Deshalb hatte sie beschlossen, am nächsten Tag noch einmal in den Baumarkt zu fahren und das Wohnzimmer im Alleingang zu streichen. So würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als mintgrün zu akzeptieren. Und da er am nächsten Tag wichtige Termine hatte, sie er nicht so einfach schwänzen konnte, würde sie in der Schule einen halben Tag fehlen und sich um die Wohnung kümmern. Natürlich konnte Oliver hinterher losfahren und andere Farbe kaufen, aber dazu war er zu geizig. Mal abgesehen davon konnte er, wenn er schon die Einrichtung des Schlafzimmers und des Büros quasi abgeschlosssen hatte ohne mit ihr darüber zu reden, sich doch wohl damit abfinden, dass sie sich im Wohnzimmer austobte. Ganz zu schweigen von der Küche, die sie schon in Beschlag genommen hatte nachdem sie eingebaut worden war.
„Nina?“
Olivers Stimme holte Nina aus ihren Gedanken.
„Hm.“
„Wann hast du übermorgen Schluss? Wir könnten zum IKEA fahren und eventuell schon ein paar Möbel kaufen.“
„Theoretisch ist um kurz nach eins Feierabend. Aber wir schreiben ne Klausur in Produktions- und Verfahrenstechnik. Da bin ich ganz fit, wahrscheinlich bin ich um halb eins draußen.“
„Okay, ich hol dich dann ab.“

Am nächsten Tag hatte sich Nina nach der dritten Stunde aus der Schule verkrümelt. Sie hatte sich im Baumarkt einen Eimer Farbe in mintgrün mischen lassen und war dann in die Wohnung gefahren. Die Wände im Wohnzimmer waren relativ schnell fertig gestrichen und da die Farbe qualitativ hochwertig war, reichte ein Anstrich. Eigentlich hatte sie sich vorgenommen, danach noch etwas für die anstehende Klausur zu lernen, doch da sie nicht so recht Lust darauf hatte, beschloss sie, mit dem Laminat im Wohnzimmer anzufangen.
Es war später Nachmittag als sie sich eine Pause gönnte. Sie stand mit einer Cola und einem Käsebrötchen in der Küche als sie hörte, wie sich ein Schlüssel in der Wohnungstür rumdrehte. Nina schluckte. Oliver. Mit ihm hatte sie nicht gerechnet. Zumindest jetzt nicht. Blieb nur zu hoffen, dass er gute Laune hatte und nicht zu sehr ausflippen würde, wenn er das Wohnzimmer betrat.
„Nina? Bist du da?“
„Nein.“
„Sehr witzig.“
Nina stellte die Flasche beiseite und legte das Brötchen auf die Tüte, dann ging sie in den Flur. „Hey, was machst du denn hier? Ich dachte, du hast Termine.“
„Habe ich auch, aber ich dachte mir, ich guck mal ob das mit der Farbe im Schlafzimmer immer noch gut aussieht.“ Oliver musterte sie nachdenklich. „Und was machst du hier? Wolltest du nicht lernen.“
„Mich hat die Lust verlassen. Ich mach das Laminat im Wohnzimmer.“
„Lass mal sehen.“ Oliver wollte ins Wohnzimmer um zu sehen, wie weit Nina gekommen war, doch sie hielt ihn zurück. „Ist was?“
Nina seufzte. „Oli, ich muss dir was beichten.“
Oliver sah, wie sie sich bemühte ein zerknirschtes Gesicht zu machen, und lächelte. „Nein, musst du nicht.“
„Wie, muss ich nicht? Du weißt doch gar nicht...“
„Doch, ich weiß dass du mit Farbe hantiert hast.“ Oliver fasste Nina an den Schultern und schob sie ins Bad. So weit, bis sie in den Spiegel sehen konnte. In ihrem Gesicht befand sich ein unübersehbarer Farbklecks – in mintgrün.
„Uups.“
„Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?“
„Ich bin bei der Schlafzimmerfarbe einen Kompromiss eingegangen, da ist es nur gerecht, dass du das im Wohnzimmer tust.“
„Merkwürdige Einstellung. Passt aber zu dir.“
„Merkwürdig? Ich finde das mehr als fair.“
„Es ist also fair, dass du hinter meinem Rücken beschlossen hast, das Wohnzimmer zu verschandeln?“ fragte Oliver kritisch. „Soll ich dich aus der Wohnung werfen, bevor du drin gewohnt hast?“
„Das würdest du tun?“ Nina drehte sich zu ihm um. „Eine wehrlose, junge Frau einfach so auf die Straße setzen?“
„Wehrlos? Du?“ Oliver lachte kurz.
„Lach mich nicht aus, ich bin sensibel.“
„Ja, ich weiß. Sensibel, schüchtern und verklemmt.“
„Das meine ich ernst.“
„Schon klar.“ Oliver steckte seinen Schlüssel in die Hosentasche und machte nun einen Schritt auf sie zu, so dass er nun direkt vor ihr stand und sein Bauch ihren berührte.
„Du machst dich lustig über mich.“
„Ich? Niemals.“
Nina sah ihn an. Oliver sah ihr direkt in die Augen und es fiel ihr schwer, seinem Blick stand zu halten. Zwischendurch blickte sie kurz auf seine Lippen, dann wieder in seine Augen.. Sie hatte das Gefühl, dass jede Faser ihres Körpers „Küss mich“ schreien würde und vielleicht fiel es ihr deshalb so schwer ihm in die Augen zu sehen. Aus Angst er könne in ihren Augen lesen und dann sofort über sie herfallen.
„Und jetzt?“
„Jetzt fahre ich nach Hause und lege mich ganz gemütlich in die heiße Badewanne und entspanne.“
„Nimmst du mich mit?“ fragte er mit rauher Stimme.
„Ich würde ja,“ begann Nina ruhig und versuchte, ihn zurückzuschieben ohne dafür ihre Hände zu gebrauchen. „Aber du hast Termine.“
„Bis dahin ist noch ein bisschen Zeit.“ Oliver schob seine Hände unter ihren Armen hindurch und legte sie schließlich auf ihren Po.
„Und was gedenkst du bis dahin zu tun?“
Eigentlich hätte sie sich diese Frage sparen können, schließlich wusste sie genau, worauf er hinaus wollte.
„Mach einen Vorschlag.“
„Ich bin da völlig phantasielos.“ Nina neigte leicht ihren Kopf und streckte sich ihm entgegen.
„Das weiß ich besser“, flüsterte Oliver während er sich zu ihr hinunterbeugte, die Augen schloss und seine Lippen auf ihre legte.
Ninas Augen fielen ebenfalls zu. Sie spürte, wie er sie enger an sich zog während seine Zunge sich in ihren Mund vorwagte und wie ihre Knie immer weicher zu werden schienen. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals um etwas Halt zu haben. Ihre Zungen trafen aufeinander, schlängelten umeinander herum und entfernten sich voneinander um gleich darauf das Spiel von vorne zu beginnen.
Olivers Hände schoben sich unter ihren Pullover. Den Rücken hinauf, dann wieder hinunter. Hektisch zog er stückchenweise ihr T-Shirt aus der Hose und schob seine Hände nun darunter. Den Rücken hinauf, wieder hinunter, nach vorn zu ihrem Bauch.
Nina zuckte zusammen und hielt kurz den Atem an. Olivers Fingerspitzen kitzelten ihren Bauch. Er merkte es sofort, legte seine Handflächen auf ihren Bauch und schob sie hoch zu ihren Brüsten.
„Oliver.“ murmelte sie als sich seine Lippen für einen Augenblick von ihren gelöst hatten.
Er drehte sie zur Wand und drückte sie leicht dagegen. Nina seufzte wohlig. Sie strich ihm mit der linken Hand über den Kopf und ließ dabei seine kurzen, mittelbraunen Haare durch ihre Finger gleiten während sie ihre rechte Hand so weit es ging seinen Rücken hinunter schob. Sie registierte kaum wie sich ihr Unterkörper an seinen drängte und dieser mit verstärktem Druck reagierte, so dass Ninas Bewegungsfreiheit eingeschränkt wurde.
Oliver hatte inzwischen den Stoff ihres BH so weit hinaufgeschoben, dass ihre Brüste frei lagen. Nina spürte wie er sie mal sanft, mal fester umfasste, streichelte und mit dem Daumen über ihre Brustwarzen rieb. Sie hörte wie aus seiner schweren Atmung zwischendurch ein Schnaufen wurde und sie spürte seine Erregung deutlich. Langsam hob sie ihr rechtes Bein und umschlang damit seinen Oberschenkel.
„Hast du Lust?“
Nina antwortete nicht. Sie hatte seine Frage zwar gehört aber sie war noch so damit beschäftigt das, was gerade passierte, wahrzunehmen, dass sie nicht in der Lage war, zu reagieren.
„Du machst mich gerade ziemlich heiß.“
Sie stellte ihr Bein wieder auf dem Boden ab um mehr Halt zu haben. Sie spürte Olivers Hände am Knopf ihrer Jeans, wie er den Reißverschluss öffnete und eine Hand in ihren Slip schob um...
„Ol...“
Der Rest seines Namens ging ein einem Seufzen unter.
„Willst du?“
„Dein Termin.“
„Der ist mir gerade scheißegal.“
„Mir aber nicht.“
„Okay.“ Oliver zog seine Hand zurück. Seine Hände schoben sich wieder unter ihr T-Shirt, wo sie den BH wieder so hinzogen, wie es sich gehörte, dann löste er sich von ihr.
Nina schob ihr T-Shirt wieder in die Hose, schloss den Knopf ihrer Jeans und zog den Reißverschluss zu. Als sie zu Oliver sah, wusste sie sofort, dass er sie beim Anziehen beobachtet hatte.
„Ja, ja,“ sagte er während er sie scheinbar überlegen anlächelte. „Schüchtern und verklemmt.“
„Du musst los.“ Ninas Puls fuhr langsam wieder runter auf normal. „Sonst kommst du zu spät.“
„Na, dann.“ Oliver ergab sich in sein Schicksal. „Ich wünsch dir noch einen schönen Abend.“
„Ich dir auch.“
Oliver nickte, dann verließ er das Bad und kurz darauf die Wohnung. Nina holte tief Luft. Sie spürte die Hitze im ganzen Körper und sie fühlte sich verschwitzt, klebrig und angespannt. Sie lehnte sich wieder an die Wand und schloss die Augen um sich etwas zu beruhigen. Doch kaum hatte sie die Augen geschlossen, sah sie Oliver vor sich. Sie spürte seine Lippen, seine Hände und... Schnell öffnete sie die Augen wieder. Sie ging in die Küche, packte ihre Sachen zusammen, nahm ihren Schlüssel und verließ die Wohnung.


8. Kapitel

„Also, bis dann.“ Sebastian schlüpfte in seine Jacke. „Sorry, dass ich euch nicht länger helfen kann, aber ich krieg sonst Stress mit Sarah.“
„Kein Problem“, erwiderte Oliver. „Das meiste haben wir ja fertig. Danke, dass du da warst.“
„Dafür nicht. Tschüs.“
„Tschüs.“
Henrik hatte sich an den Türrahmen der Küche gelehnt als Oliver von der Wohnungstür kam.
„Lass uns noch eben die Regale zusammenbauen bevor wir Feierabend machen.“ Oliver ging an ihm vorbei ins Wohnzimmer und öffnete den ersten Karton.
Henrik folgte ihm langsam ins Wohnzimmer. „Du legst ein ziemliches Tempo vor was das hier angeht.“
„Ich hab einfach keine Lust, dass sich das noch länger hinzieht. Ich bezahl hier seit einer Woche Miete und ich hab mit Sicherheit nichts zu verschenken.“
„Das meine ich gar nicht.“
„Sondern?“
„Ich meine das mit Nina. Dass ihr zusammen zieht. Wie lange habt ihr darüber nachgedacht, was für Konsequenzen das haben kann?“
„Henrik, wir tun das freiwillig. Jeder von uns hat jederzeit das Recht auszusteigen wenn es nicht geht.“
„Als ob du das tun würdest.“
„Willst du mich zutexten oder mit beim Aufbauen helfen?“
„Ich...“ begann Henrik, sprach aber nicht weiter. Es hatte keinen Sinn. Wenn es etwas gab, worüber Oliver nicht reden wollte, dann konnte er verdammt starrsinnig sein. Also kniete er sich ebenfalls auf den Boden und sie begannen schweigend mit dem ersten Regal.
Oliver konzentrierte sich auf das, was er da tat, während Henriks Gedanken immer weiter abschweiften. Das, was Oliver vor hatte, konnte seiner Meinung nach nur in einer Katastrophe enden. Selbst wenn jeder der beiden das Recht hatte, aus dieser Nummer auszusteigen, er war sich sicher, dass es keiner von ihnen tun würde, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Oliver nicht, weil er um jeden Preis zu seinem Wort stehen würde, Nina nicht, weil sie in Oliver verliebt war.
„Oliver.“
„Mh.“
„Denkst du nicht, dass es für eure Freundschaft besser wäre, ihr würdet das lassen?“ Auch wenn Henrik kaum Hoffnung hatte, dass Oliver einsichtig würde, es war seine Pflicht als sein bester Freund alles zu versuchen um ihn zur Vernunft zu bringen. „Ich meine, Nina ist in dich verliebt und...“
Seufzend ließ Oliver den Schraubendreher sinken und sah Henrik an. „Nina und ich sind seit fünf Jahren befreundet. Ich weiß, dass sie in mich verliebt ist, aber ich weiß auch, dass sie kein Problem damit hätte mir zu sagen, dass sie es mit mir in einer Wohnung nicht aushält und dass sie dann gehen würde.“
„Was macht dich so sicher? Ich meine, sie schläft mit dir obwohl du ihr gesagt hast, dass du keine Beziehung willst. Ich denke, sie würde einiges in Kauf nehmen um dich umzustimmen.“
„Es geht dich zwar eigentlich nichts an, aber Nina steht mir nicht uneingeschränkt zur Verfügung falls du das damit sagen willst. Ich zwinge sie weder dazu mit mir zu schlafen, noch mit mir in diese Wohnung zu ziehen. Sie tut das, weil sie es will. Und jetzt ist das Thema erledigt.“

Zwei Tage später war der Umzug erledigt. Sowohl Ninas als auch Olivers Sachen waren in der neuen Wohnung. Der größte Teil war eingeräumt, der Rest stand, in Kartons verpackt, im Arbeitszimmer.
Nina saß im Wohnzimmer, auf dem lindgrünen Sofa, zugedeckt mit einer Wolldecke. Sie saß einfach nur da, ließ den Blick durch das Zimmer schweifen und dachte an gar nichts. Die kleine Stehlampe neben dem Fernseher war an und verbreitete ein wenig Licht, ansonsten war es dunkel im Zimmer.
Nina betrachtete die mintgrünen Wände, die gut mit den weißen Möbeln harmonierten, und sogar Oliver hatte zugeben müssen, dass es ihm gefiel. Neben dem Fernseher auf der anderen Seite stand der Froschkönig auf einer Kugel. Sie hatte ihn mal von Karen bekommen mit den Worten „vielleicht muss man manche Frösche öfter küssen, bevor aus ihnen ein Prinz wird“. Nina hatte sofort gewusst, dass das eine Anspielung auf Oliver war, deshalb hatte der Froschkönig diesen Platz bekommen. Damit er sie daran erinnerte.
„Nina?“
Nina zuckte zusammen. Oliver hatte die Wohnzimmertür geöffnet und den Kopf in den Raum gesteckt.
„Was ist?“
„Ich hab gerade auf die Uhr gesehen und mich gefragt, ob du gar nicht müde bist.“
„Wie spät ist es denn“?
„Gleich zwei.“
Nina sah auf ihre Armbanduhr. Oliver hatte Recht. Es war drei Minuten vor zwei Uhr nachts.
„Also?“ fragte Oliver. „Kommst du ins Bett oder willst du auf dem Sofa schlafen?“
„Ich... mal sehen.“
Oliver lächelte. „Na komm. Bevor du eine Entscheidung getroffen hast ist die Nacht vorbei und du hast keine Ahnung, wohin sich das mit uns entwickelt.“
„Ach und wenn ich ins Schlafzimmer komme, kriege ich das raus?“
„Du weißt doch, der erste Traum im neuen Zuhause geht in Erfüllung.“
„Daran glaubst du doch nicht, oder?“
„Wenn’s was positives ist, warum nicht.“
Oliver ging zu Nina, nahm ihre Hand und zog sie vom Sofa. Widerstandslos folgte Nina ihm in den Flur, dort blieb sie stehen.
„Willst du doch auf dem Sofa bleiben?“
„Nein, aber ich würde gern noch kurz ins Bad wenn du mich lässt.“
„Wenn du in fünf Minuten nicht da bist, hole ich dich.“

Nina schloss die Badezimmertür hinter sich und ging dann hinüber ins Schlafzimmer. Oliver lag längst wieder im Bett. Nina ging vorsichtig um das Bett herum und kroch dann unter ihre Decke.
„Ööö.“
„Was?“
„Kalt.“
Oliver knipste seine Nachttischlampe aus. „Bei mir nicht.“
„Dann komme ich zu dir.“ Nina rutschte langsam auf seine Seite des Bettes, zu ihm unter die Decke. Dort war es angenehm warm. „Schon besser.“
„Das hättest du eher haben können wenn du nicht die ganze Zeit auf dem Sofa verbracht hättest.“
„Ich wusste nicht, dass es schon so spät ist.“
„Was hast du so lange gemacht?“
„Nichts.“
„Nichts?“
„Nichts. Einfach nur dagesessen. Vielleicht hab ich gewartet, dass der Wecker klingelt und ich aufwache. Ich glaub mir ist noch nicht ganz klar, dass das hier die Realität ist.“
„Bereust du’s?“
„Bist jetzt ist doch nichts anders als sonst.“
„Findest du?“
„Naja, irgendwie ist es anders, aber irgendwie ist es auch wie immer.“ Nina schmiegte sich an Oliver und legte ihren Arm um ihn.
Oliver legte seine Hand auf ihre, dann ließ er seine Finger langsam über ihren Arm krabbeln bis zu ihrer Schulter. Er schob seine Hand weiter über ihr Schulterblatt, ihre Seite, ihre Hüfte, bis zu ihrem Oberschenkel. Dann wieder zurück, jedoch dieses Mal unter dem Stoff ihres Pyjamaoberteils. Dabei drehte er sich vom Rücken auf die Seite.
Ninas Herz begann schneller zu schlagen.
Oliver drückte sie vorsichtig zurück bis sie auf dem Rücken lag. Er zog seine Hand zurück und beugte sich über sie. „Zieh’s mir aus“, flüsterte er als er Ninas Hände unter seinem T-Shirt spürte.
Nina schob es mit zittrigen Händen höher und zog es ihm über den Kopf. Ihre Anspannung wuchs. Wenn er sie nicht bald küssen würde, würde sie platzen. Als hätte er ihre Gedanken gehört beugte er sich zu ihr hinunter bis schließlich seine Lippen auf ihren landeten.
Olivers Atem wurde schwer. Nina erwiderte seinen Kuss so leidenschaftlich, dass seine Erregung stetig anstieg. Er spürte ihre vor Nervosität zitternden Hände, er merkte, wie sie den Atem anhielt, dass ihre Anspannung größer wurde und sie versuchte, die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Deswegen hielt er inne. Er ließ seine Lippen ruhig auf ihren liegen und wartete ab.
Nina seufzte. Sie hatten schon ein paar Mal miteinander geschlafen als Oliver gemerkt hatte, dass sie sich leichter entspannte wenn er ihr eine kleine Auszeit ließ. Diesen kleinen Moment in dem sie sich sagen konnte, dass alles okay war und nichts passieren würde, was sie nicht wollte. Sie brauchte diesen Moment. Obwohl sie Oliver vertraute wie keinem anderen hatte sie immer noch ein wenig Angst, sich ihm völlig zu öffnen
Nina begann, ihn wieder zu küssen.
Hastig öffnete Oliver Ninas Pyjamaoberteil, schob den Stoff zur Seite und begann mit der einen Hand ihre Brüste zu streicheln während er sich mit der anderen Hand neben ihr abstützte.
Währenddessen wanderte Ninas Hand über seinen Rücken zu seinem Hintern, den sie leicht knetete.
Nina spürte, wie Oliver seinen Unterleib an ihren presste, sie spürte seinen harten Schwanz durch den Stoff seiner Shorts. Sie schlang ihr linkes Bein um sein rechts um ihn noch deutlicher zu spüren und begann außerdem, sich leicht an ihm zu reiben.
Oliver stöhnte hörbar auf. „Komm über mich.“ keuchte er, drehte sich auf den Rücken und zog Nina mit sich. Er umfasste ihre Brüste mit beiden Händen, knetete sie und rieb mit den Fingern über ihre Brustwarzen, die sich langsam aufstellten. Er hob seinen Kopf, vergrub sein Gesicht zwischen ihren Brüsten, atmete ihren Geruch ein. Leckte über ihre Brustwarzen. Saugte und knabberte sanft daran.
„Die sind so wundervoll.“ Murmelte er und ließ sich wieder zurücksinken.
Lächelnd beugte Nina sich zu ihm hinunter und küsste ihn. Es faszinierte sie immer wieder, wie fasziniert er von ihren Brüsten war. Sie selbst war ewig unglücklich mit ihrer Doppel-D Oberweite gewesen und hatte sie lange unter Schlabberpullis versteckt. Bis sie Oliver näher gekommen war, der ihr einen völlig anderen Blick auf sich selbst ermöglicht hatte in dem er ihr immer wieder gesagt und gezeigt hatte, dass sie eine attraktive Frau war und keinen Grund hatte, sich zu verstecken.
Knutschend drehten sie sich auf die Seite. Oliver nahm Ninas Hand. Wieder wuchs ihre Anspannung, die Hitze stieg ihr ins Gesicht und in die Ohren, aber sie bemühte sich, Oliver nichts davon merken zu lassen. Sie wusste, was er jetzt wollte. Schweigend führte er ihre Hand in seine Shorts. Zaghaft begann sie, seinen Schwanz zu streicheln.
„Du kannst ruhig richtig anfassen.“
Nina verstärkte ihren Griff, was Oliver mit einem Aufstöhnen quittierte. Seine Hand fuhr die Innenseite ihres Oberschenkels hinauf.
„Bist du schon feucht?“ fragte er, wartete aber nicht bis sie antwortete, sondern schob seine Hand in ihren Slip, um sich die Frage selbst zu beantworten.
Nina hielt für einen Moment den Atem an. „Oliver“, flüsterte sie und griff nach seinem Handgelenk.
„Keine Lust?“ Oliver zog seine Hand langsam zurück.
„Doch, schon.“
„Sicher?“
Nina schwieg. Sie war nicht sicher. Irgendwie wollte sie mit ihm schlafen, aber sie war nicht sicher aus welchem Grund. Wollte sie mit ihm schlafen weil sie Lust hatte und weil sie es sonst auch getan hatten oder wollte sie sich ihren Verbleib in der Wohnung sichern?
Oliver zog Ninas Hand aus seinen Shorts und hielt sie fest. „Was ist los?“
Nina unterdrückte ein Schluchzen. „Oli, ich... Es tut mir leid. Ich hab... Ich wollte...“
„Sch.“ Oliver legte seine Lippen kurz auf ihre um sie zum Schweigen zu bringen. „Es ist okay.“
„Aber du...“
„Sch“, machte Oliver wieder. „Ich will nicht, dass du weinst. Nicht deswegen.“ Er küsste sie flüchtig. „Lass uns schlafen. Wir haben ein paar anstrengende Tage hinter uns.“ Oliver ließ Ninas Hand los und griff nach seinem T-Shirt, das er sich wieder überzog. Nina knöpfte ihr Oberteil zu, legte sich auf den Rücken und sah zu Oliver.
„Bist du sauer?“ Ihre Stimme war kaum hörbar.
„Nein.“
„Ehrlich?“
„Was für einen Grund hätte ich denn?“
„Du hast nicht bekommen, was du wolltest.“
Oliver drehte sich zu ihr. „Du denkst es doch.“
„Was denke ich?“
„Dass ich mit dir zusammen gezogen bin damit ich ständig mit dir ins Bett kann.“
„Nein, tue ich nicht.“
„Kein bisschen?“
„Oli...“
Oliver drehte Nina den Rücken zu. „Schlaf gut, Nina.“
Innerlich seufzend kroch Nina zurück unter ihre eigene Decke.
Scheiße. Warum kann ich mein Hirn nicht einfach mal ausknipsen? Warum muss ich ständig darüber nachdenken warum Dinge passieren die passieren? Warum konnte ich nicht einfach mit ihm schlafen – so wie immer? Ich weiß doch, wie sensibel er ist. Und wenn ich schon nicht mit ihm schlafen kann, wieso erzähle ich ihm dann nicht einfach was von totaler Übermüdung? Eigentlich weiß ich ja, warum. Weil er sowieso gemerkt hätte, dass mir was ganz anderes durch den Kopf geht.
Oliver starrte ins Dunkel und horchte auf Ninas Atmung. Sie kannte ihn doch. Sie wusste, dass sie ihm wichtig war. Wie konnte sie ernsthaft denken, dass es ihm nur um Sex ging? Wenn Sex wirklich ganz oben auf seiner Prioritätenliste stehen würde, dann nicht der mit Nina.

Noch im Halbschlaf hörte Nina das Quietschen der Kleiderschranktür, die geöffnetund wieder geschlossen wurde. Dann hörte sie, wie Oliver die Schlafzimmertür öffnete.
„Oli?“
„Schlaf weiter, es ist noch früh.“
„Gehst du weg?“ Nina öffnete die Augen und hob ihren Kopf um Oliver anzusehen.
„Ich gehe in die Messe.“
„Wann bist du zurück?“
„Hinterher wollte ich noch zu meinen Eltern zum Essen. Ich weiß noch nicht, wann ich zurück bin.“
„Okay.“
Nachdem Oliver das Schlafzimmer verlassen hatte, schlug Nina die Decke zurück und stand auf. So hatte sie sich den ersten Morgen nicht vorgestellt. Anstatt jetzt gemeinsam zu frühstücken, verschwand er in der Kirche. Und wenn er danach noch zu seinen Eltern fuhr würde es sicher spät werden bevor sie die Gelegenheit hatte, mit ihm zu reden. Sie hörte, wie er aus dem Bad kam, sah durch die offene Tür, wie er Richtung Büro ging. Sie konnte ihn nicht so gehen lassen. Als sie den Flur betrat, nahm Oliver gerade seine Jacke von der Garderobe.
„Oli, es tut mir leid.“
„Ich muss los.“
„Oli, bitte. Natürlich weiß ich, dass es dir nicht darum geht mich ständig ins Bett zu zerren, aber... Wenn man das mit uns mal objektiv betrachtet kann man schon mal auf die Idee kommen, verstehst du das?“
„Nein, das verstehe ich nicht. Und wenn es dir wirklich so klar wäre, warum solltest du darüber nachdenken?“
„Vielleicht weil,... weil du eigentlich nie etwas gesagt hast, was mir gezeigt hätte dass das, was ich zu wissen glaube, tatsächlich wahr ist.“
„Das stimmt nicht.“ erwiderte Oliver knapp, schob sie zur Seite und verließ die Wohnung.
„Scheiße.“ Nina lehnte sich an die Wand und schloss für einen Moment die Augen. Wir konnte man nur so bescheuert sein? Es war doch klar, dass Oliver sich auf dieses Thema nicht einlassen würde. Es war nicht so, dass sie ihn deswegen für einen gefühllosen Klotz hielt, sie kannte ihn schließlich lange genug um zu wissen, dass man bei ihm einfach nur genauer hinsehen musste um zu erkennen, wie er sich fühlte. Aber war es denn zuviel verlangt einmal „ich mag dich, Nina“ zu sagen? Zuzugeben, dass er sie mochte, unabhängig davon, ob sie miteinander ins Bett gingen oder nicht?

Oliver ging an seinem Auto vorbei. Bis zur Kirche war es nicht weit und es war sicher eine gute Idee, sich ein wenig frischen Wind um die Nase wehen zu lassen. Hielt Nina ihn wirklich für jemanden, dem es nur darum ging, seinen Spaß zu haben? Sicher nicht. Wenn sie das täte, würde sie ihn nicht ständig verteidigen. Er hatte mal einen Streit zwischen ihr und ihrem Bruder mitbekommen und an den Satz, den Nina damals gesagt hatte, würde er sich wohl ewig erinnern. Ich weiß, dass Oliver sich manchmal wie ein Elefant im Porzellanladen aufführt, aber er kann nichts dafür, dass er ein Elefant ist. Typisch Nina. Aber er hatte verstanden, was sie damit gemeint hatte. Dass jeder seine Eigenarten hatte und nicht immer alles richtig machte, selbst wenn man die besten Absichten hatte.
„Hey Oli, was machst du denn so früh draußen?“ Henrik hielt mit seinem Fahrrad neben Oliver.
„Ich gehe in die Messe. War lange nicht hin.“
„Hast du Streit mit Nina?“
„Wir streiten nicht. Wir sind höchstens unterschiedlicher Meinung.“
„Also ja.“ Henrik stieg ab und schob sein Fahrrad während er neben Oliver her ging. „Was ist passiert?“
„Denkst du, dass ich mit Nina zusammen gezogen bin um... Damit sie öfter mit mir ins Bett geht?“
„Wieso?“
„Nina denkt darüber nach.“
Henrik nickte. „Verstehe.“
„Was verstehst du?“
„Einiges. Weißt du, ich kann nicht ausschließen, dass dir vielleicht mal durch den Kopf gegangen ist, dass ihr dann öfter... Aber ich glaube nicht, dass das der Grund für die gemeinsame Wohnung war.“
„Sondern?“
„Ich glaube, es ist mehr.“ Henrik schwang sich wieder auf sein Fahrrad. „Ich muss. Meine family wartet auf ihr Frühstück. Mach dir nicht so viele Gedanken wegen Nina.“


9. Kapitel

„Brand.“ Nina saß im Arbeitszimmer an ihrem PC und las ihre eMails während sie den Anruf annahm.
„Nina?“
„Hi Thomas.“
„Wieso gehst du an Olivers Telefon?“
„Genau genommen ist es unser Telefon.“
„Wie jetzt, euer Telefon? Heißt das, du und Oliver...“
„Wir wohnen zusammen, korrekt. Kann ich irgendwas für dich tun?“
„Oliver gar nicht da?“
„Nein. Er ist irgendwo im Ruhrgebiet unterwegs. Versuch’s mal übers Handy.“
„Ich wusste gar nicht, dass ihr zusammen seid.“
„Mh“, machte Nina bloß. Sie hatte nie darüber nachgedacht wie sie oder Oliver darauf reagieren würde, wenn die ersten mitbekamen, dass sie zusammen wohnten. Laut Oliver waren sie kein Paar, nur weil sie zusammen wohnten. Aber würde er das jedem erklären, der danach fragte? Dass sie miteinander schliefen, zusammen wohnten, aber kein Paar waren? Wahrscheinlich nicht.
„Naja, dann noch einen schönen Abend. Tschüs.“
„Bis dann.“
Nina legte den Hörer zur Seite. Vielleicht konnte man es als eine Art Probezeit bezeichnen. Oliver wollte herausfinden, ob sie eine Beziehung haben könnten. Ob er eine Beziehung haben wollte. So genau hatte er sich ja nie dazu geäußert was ihn letztendlich zu dieser merkwürdigen Aktion getrieben hatte. Er musste sie wohl doch mehr als nur mögen, auch wenn er das genauso wenig gesagt hatte. Wieder klingelte das Telefon. Schon zum vierten Mal in dieser Stunde.
„Oliver ist nicht zu Hause.“
„Ich weiß, dass ich nicht zu Hause bin.“
„Oli.“
„Ich scheine heute sehr gefragt zu sein.“
„Sieht so aus. Ich hab schon überlegt, ob ich den Telefonstecker rausziehe. Das ständige Geklingel geht mir auf den Keks.“
„War denn was wichtiges?“
„Nö. Bei dir?“
„Ich rufe eigentlich nur an um dir zu sagen, dass ich erst morgen wieder komme. Dauert hier alles länger als ich dachte. Nur, damit du dir keine Sorgen machst.“
„Okay, dann weiß ich ja jetzt bescheid.“
„Schönen Abend noch.“
„Dir auch.“
Kopfschüttelnd legte Nina das Telefon weg. Damit du dir keine Sorgen machst. Sie konnte sich nicht daran erinnern, das er jemals etwas derartiges von sich gegeben hatte. Jetzt erst fiel ihr auf, dass ihre Gespräche, seit sie miteinander schliefen, irgendwie oberflächlicher geworden waren. Vielleicht hatte er es auch gemerkt. Dass sie aufgehört hatte, über Gefühle zu reden, damit er sich nicht in eine Ecke gedrängt fühlte und sich irgendwann von ihr abwandte. Vielleicht hatte er sich für dieses Experiment entschieden um herauszufinden, ob sie ihm genauso viel Freiheit lassen würde wenn sie zusammen wohnten oder ob sie anfangen würde zu klammern. Vielleicht hatte er Angst, sie würde zuviel fordern. Mehr Zeit, mehr Aufmerksamkeit, mehr Nähe.

Zur gleichen Zeit saß Oliver in seinem Auto, das er vor einem Hotel abgestellt hatte. Er hätte Zeit genug gehabt, nach Hause zu fahren, vor Mitternacht wäre er angekommen wenn die Straßen frei waren. Aber er hatte sich entschlossen es nicht zu tun. Er brauchte mal eine Nacht für sich. Abstand. Zum Nachdenken. In der Firma lief gerade einiges quer, der Papierkram stapelte sich und was Nina betraf bekam er langsam etwas wie ein schlechtes Gewissen. Sie hatte sich verändert. Sie war immer ziemlich chaotisch gewesen, aber jetzt... Wenn er nach hause kam war überall, mal abgesehen vom Arbeitszimmer, Ordnung. Essen stand in der Mikrowelle oder Nina kochte und egal was er brauchte, es war da. Es war ein angenehmes Gefühl nach Hause zu kommen und zu wissen, sie war da. Nina schien genau zu wissen, wie sie sich verhalten musste. Sie sah ihm an wenn er Stress hatte und ließ ihn in Ruhe. Sie sah, wenn er einen beschissenen Tag gehabt hatte und sie war in seiner Nähe ohne ihn auszuquetschen. Sie forderte nie etwas. Nicht einmal nachts, wenn sie zu ihm unter die Decke kroch. Natürlich ließ sie ihn spüren wenn ihr der Sinn nach Sex oder Kuscheln stand, aber es war nie eine Forderung.
Er wusste, Nina würde einiges tun um ihn davon zu überzeugen, dass sie die Richtige für ihn war. Im Moment sah alles danach aus, aber vielleicht verstellte sie sich. Was, wenn sie im Moment einfach alles, was sie an ihm störte, übersah weil sie sich in den Gedanken verrannt hatte, sie seien das ideale Paar? Wenn sie irgendwann explodierte und ihm dann Vorwürfe machte?
Oliver glaubte, Nina gut genug zu kennen um zu wissen, dass sie ihm nicht bewusst etwas vormachen würde. Aber was war, wenn ihr das selbst nicht bewusst war?

Keine zwei Tage hatte es gedauert bis sich die Nachricht, dass Nina und Oliver zusammen wohnten, herumgesprochen hatte und sich die beiden hatten überreden lassen, eine kleine Einweihungsparty zu geben.
Es war ein Samstag und kurz vor 21 Uhr war die Party in vollem Gange. Wobei man bei den beengten Verhältnissen eher von einem Sit-in als von einer Party sprechen konnte. Mal ganz abgesehen davon, dass aus Rücksicht auf die anderen Mieter ein gewisser Lautstärkepegel nicht überschritten werden durfte. Elf Leute hatten in dem kleinen Wohnzimmer Platz gefunden, Oliver und Nina nicht eingerechnet.
Weder Oliver noch Nina waren von der Idee mit der Party begeistert gewesen. Oliver nicht, weil er auch so schon genug um die Ohren hatte, Nina nicht, weil sie es hasste im Mittelpunkt zu stehen. Gerade jetzt, wo ihre angebliche Beziehung mit Oliver das beherrschende Thema war und nicht die Einweihung der Wohnung.
„Ich hab euch die Freundschaftsnummer sowieso nie abgenommen,“ stellte Thomas fest.
„Klar,“ konterte Kerstin, Olivers Ex-Freundin, „weil du hinter deinem PC ja auch soo viel mitkriegst.“
„Dass zwischen den beiden was läuft konnte man doch gar nicht übersehen“, bemerkte nun Nils, der mit seinem 35 Jahre älteren Busenkumpel Heinrich gekommen war. Die beiden traten, seit sie gemeinsam Kurse in Erster Hilfe gaben, nur noch im Doppelpack auf.
„Nun ja,“ mischte sich dieser nun auch ein, „Wenn man davon absieht, dass sie sich ständig in die Haare kriegen.“
„Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.“ kommentierte Maltes Freundin Paula.
Malte beteiligte sich nicht an diesem Gespräch. Zum Einen, weil er die Wahrheit kannte, die sowohl Nina als auch Oliver hervorragend hinter dieser Pärchen-Fassade versteckten und zum Anderen, weil er mit Holger in ein viel interessanteres Gespräch über neue Entwicklungen in der Elektrobranche vertieft war.
Auch Henrik hielt sich zurück. Ihm entging allerdings nicht, wie gut Nina und Oliver harmonierten. Oliver sorgte regelmäßig für Getränke, Nina brachte tablettweise leckere Häppchen aus der Küche. Auf dem Tisch standen außerdem eine große Gemüseplatte mit zwei verschiedenen Dips, sowie Salzstangen und Käsespieße.
Nina schob gerade die letzten Toasts in den Backofen als Henrik die Küche betrat und die Tür ran zog.
„Hast du vor uns zu mästen?“
„Das sind die letzten“, erwiderte Nina. „Ich will nur nicht, dass morgen jemand sagen kann, er wäre verhungert.“
„Das wird sicher nicht passieren.“ Henrik lehnte sich an den Türrahmen. „Hast du schon was gegessen?“
„Ich hab genug Reserven.“ Nina grinste. „Aber keine Angst, ich sorge schon für mich.“
„Und sonst?“
„Was sonst?“
„Wie läuft es so zwischen euch?“
„Müsstest du das nicht wissen? Als sein bester Freund?“
„Sagen wir, ich kenne seine Seite. Mich interessiert deine.“
„Es läuft gut.“ Nina stellte die Eieruhr auf fünf Minuten ein.
„Oliver hat mir von eurem Streit erzählt.“
Nina kräuselte die Stirn. „Oliver hat nicht gesagt, dass wir streiten. Wir streiten nämlich nicht. Dazu ist er viel zu...beherrscht.“
„Gut, er hat nicht das Wort streiten verwendet. Aber du weißt, was ich meine.“
Nina warf einen Blick in den Backofen und schaltete ihn aus. „Versuchst du, mich auszuhorchen?“
„Nein. Gut, ich bin mit Oli befreundet, aber das heißt nicht, dass...“
Die Tür öffnete sich und Malte betrat die Küche. „Was macht ihr hier? Gegendemonstration?“
„Ich sorge nur dafür, dass du nicht vom Fleisch fällst.“ Nina grinste ihren Bruder frech an.
Dieser erhob drohend den Zeigefinger. „Du!“
Nina öffnete den Backofen, legte die Toast auf das Tablett und drückte es Henrik in die Hand. „Bring mal rüber.“
Wortlos verließ Henrik die Küche. Er wurde aus Nina nicht schlau. Sie war das totale Gegenstück zu Olivers bisherigen Beziehungen, mal abgesehen vom Äußeren, und sie war, was er etwas merkwürdig fand, Oliver auf eine gewisse Art sehr ähnlich.
„Und?“ fragte Malte als die Tür wieder geschlossen war. „Stimmt es?“
„Was?“
„Dass ihr jetzt doch zusammen seid.“
Nina seufzte. „Nein, natürlich nicht. Aber soll ich jedem erklären, was hier wirklich läuft?“
„Besser nicht. So lange du okay bist...“
„Bin ich. Es läuft besser als ich dachte. An manchen Tage kommt es mir vor als seien wir ein altes Ehepaar.“
„Ist es das, was du wolltest?“
„Ich bin mir nicht sicher. Aber ich glaube, es ist noch etwas früh das zu beurteilen.“

Henrik war der letzte, der kurz nach Mitternacht die Party verließ. Oliver brachte ihn zur Haustür um dann abzuschließen.
„Stört es dich, dass euch alle für ein Paar halten?“
„Es ist mir egal, was die anderen denken. Jeder wusste, dass ich mit Nina schlafe, schon seit ich noch mit Jasmin zusammen war. Das ist auf Dauer nicht geheim zu halten.“
„Stört es Nina?“
„Ich denke nicht.“
„Warum hat sie sich dann die meiste Zeit in der Küche verkrochen?“
„Partys sind nicht so ihr Ding.“
„Deins auch nicht.“
„Mag sein, aber im Gegensatz zu Nina bringe ich das so hinter mich, dass es nicht so auffällt. Manche Dinge müssen eben sein.“
„Muss es auch sein, dass du sie hinhältst?“
„Wie kommst du darauf, dass ich sie hinhalte?“
„Du magst sie, sie mag dich. Warum bezeichnest du es nicht als das, was es ist?“
Oliver verdrehte die Augen. „Jetzt fang du nicht auch noch so an. Ich gebe zu, dass es nicht ganz alltäglich ist, dass wir zusammen wohnen und miteinander schlafen ohne eine Beziehung zu haben, aber das ist unsere Sache.“
„Das letzte, was ich will, ist mich einzumischen. Ich versuche nur, dir mal eine andere Sichtweise nahe zu bringen.“
„Ich kann im Moment keine Beziehung haben. Ich hab andere Sachen die wichtiger sind.“

Als Oliver ins Wohnzimmer kam, hatte Nina sich gerade auf dem lindgrünen Sofa, ihrem Lieblingssofa, ausgestreckt. In der einen Hand hielt sie ein Beck’s chilled orange, in der anderen ein paar Salzstangen. Schweigend ließ Oliver sich auf eines der anderen Sofas fallen und griff nach seinem Wasserglas.
„Und jetzt?“
Langsam drehte er sich zu ihr und sah sie an. „Jetzt sehe ich zu, dass ich ins Bett komme. Aufräumen können wir morgen auch noch.“
„Das meine ich nicht.“
„Sondern?“
„Ich meine diese Nina und Oli sind verliebt Geschichte.“
„Jetzt erzähl mir nicht, dass dich das stört.“
„Beton das nicht so. Wenn es nur um mich ginge wären wir nicht in dieser merkwürdigen Situation. Ich weiß, das geht nur schwer in deinen Schädel, aber ich kann das sehr gut differenzieren.“
Oliver zuckte resigniert mit den Schultern. „Wir können sowieso nichts daran ändern.“
„Weißt du, was ich erstaunlich finde?“ Nina stellte ihre Flasche auf den Tisch und sah Oliver grinsend an.
„Was?“
„Dass alle der Meinung sind, sie hätten gewusst, das wir mal so weit kommen. Und dass, egal was in einem halben Jahr sein wird, ihnen dann wieder klar ist, dass es so enden musste wie es geendet hat.“
„Über sowas kannst du jetzt nachdenken?“
„Um diese Zeit hat man die nötige Ruhe dafür.“
Oliver leerte sein Glas und erhob sich. „Ich gehe ins Bett.“
Nina sah, wie er zur Tür ging. „Oli?“
Er drehte sich noch einmal zu ihr um. „Hm?“
„Stört es dich?“
Oliver zuckte nur mit den Schultern, dann ließ er Nina im Wohnzimmer zurück. Nina hörte, wie er erst ins Bad ging und ein paar Minuten später ins Schlafzimmer. Sie überlegte, ob sie noch etwas fernsehen sollte, aber dann entschied sie sich, ebenfalls schlafen zu gehen.


10.Kapitel

In der Woche nach Ostern nahm Oliver von Mittwoch bis Sonntag an einem Lehrgang des DRK teil. Er hatte sich nach dem Abendessen am Samstag mit Isabell zu einem Spaziergang verabredet. Sie hatten in den letzten Tagen viel zusammen gearbeitet und sich gut verstanden. Beide hatten keine Lust, den letzten Abend in dem verrauchten Partykeller zu verbringen.
„Eigentlich schade, dass der Lehrgang schon vorbei ist.“ bemerkte Isabell als sie nach knapp anderthalb Stunden von ihrem Spaziergang zurück kamen.
„Ich bin ganz froh darüber. Wir haben ne ganz schöne Menge an Themen durchgezogen.“
„Mir ging’s auch eher darum, dass mich nächste Woche der Alltagstrott wieder hat. Das hier war eine echte Abwechslung.“
„So gesehen hast du sicher recht.“
„Was machst du eigentlich so beruflich?“
„Ich bin selbständig.“
„Beeindruckend. Ich meine, du bist gerade mitte 20.“
„Ich weiß nicht, ob es so beeindruckend ist, die Firma seines Vaters zu übernehmen.“
„Ich denke, du musst schon was drauf haben, wenn dein Vater sie dir überlassen hat.“
Oliver zuckte mit den Schultern. „Es steckt einfach nur eine Menge Arbeit dahinter.“
„Wenig Zeit für ein Privatleben.“
„Wenn man eine Firma hat, kann man halt nicht um fünf den Hammer fallen lassen. Aber wenn man es organisiert kann man sich schon etwas Zeit frei schaufeln. Mein Vater hat das ja auch geschafft.“
Sie betraten das Seminarhaus und stiegen in den Fahrstuhl. Isabell drückte auf die vier und die Tür schloss sich.
„Ich habe ein Einzelzimmer.“
Oliver sah sie an. „Was?“
„Jetzt tu nicht so entsetzt, du hast doch schon die ganze Woche ein Auge auf mich geworfen.“
Oliver erwiderte nichts. Er konnte nicht abstreiten, dass er ein gewisses Interesse an ihr hatte. Sie war hübsch. Etwas kleiner als er, schlank, blond. Sie hatte eine üppige Oberweite und trug körperbetonte Klamotten, so dass sie automatisch Blicke auf sich zog. Sie war offen, konnte gut auf Menschen zu gehen und wusste genau, was sie wollte. Und jetzt schien sie ihn zu wollen.
Der Fahrstuhl hielt im obersten Geschoss des Hauses und Oliver folgte Isabell ohne ein Wort in ihr Zimmer.
„Und jetzt?“ fragte er nachdem sie die Tür hinter ihm geschlossen hatte.
„Jetzt,“ begann sie, stellte sich vor ihn und schob langsam ihre Hände unter seine Jacke, „gehen wir rüber zum Bett, befreien uns aus den lästigen Klamotten und“ ihre Hände schoben sich um seinen Körper während sich ihr Körper immer enger an seinen schmiegte, „haben hemmungslosen Sex.“
Ihre Lippen waren inzwischen so nahe an seinen, dass er gar nicht anders konnte, als sie zu küssten. Ungeduldig befreiten sie sich gegenseitig aus ihren Jacken. Oliver schob Isabell ein paar Schritte zurück und drückte sie gegen die Wand. Zielstrebig glitten seine Hände unter ihr Shirt zu ihren Brüsten während sich Isabells Hände schon an seinem Gürtel zu schaffen machten.
„Ich will dich“, flüsterte sie während sie den Knopf seiner Jeans öffnete. „Hier.“ Langsam zog sie den Reißverschluss herunter und...
„Warte.“ Oliver zog seine Hände unter ihrem Shirt hervor und griff nach ihren Händen.
„Was ist?“
„Das ist keine gute Idee.“ Er ließ ihre Hände los, machte einen Schritt zurück, knöpfte die Jeans zu und zog den Reißverschluss hoch.
„Warum nicht? Falls du dir Gedanken um Verhütung machst, ich hab Gummis da.“
Oliver schüttelte den Kopf. „Darum geht es nicht.“
„Sondern?“ Isabell sah ihn fragend an.
Oliver seufzte. Er hatte Nina gesehen. Wie sie ihm gegenüber stand, ihn nach dem Lehrgang fragte und er irgend etwas belangloses antwortete. Wie sich ihr Blick veränderte weil sie merkte, dass er log. Und er würde wissen, dass er sie verletzt hatte, selbst wenn sie es nicht zugeben würde.
„Du hast eine Freundin.“
Oliver schüttelte den Kopf. „Das nicht, aber...“
„Schon okay.“ Isabell ließ sich auf den Schreibtischstuhl fallen. „Du musst mir nichts erklären.“
„Es tut mir leid.“

Auch Nina war nicht zu Hause. Sie war mit ihrer Fachschulklasse auf Studienfahrt im Harz. Seit dem Frühstück waren sie unterwegs gewesen, dann Abendessen im Hotel, kurz ins Schwimmbad und zum Abschluss an die Bar. Die meisten ihrer Mitschüler saßen noch dort, aber Nina war einfach zu müde gewesen um sich noch länger auf dem Hocker halten zu können.
„Bist du okay?“
Nina drehte ihren Kopf zur Seite und sah Tobias, der neben ihr stand und ebenfalls auf den Fahrstuhl wartete, irritiert an. „Wieso?“
„Nur so.“
„Ach ja?“
Tobias zuckte mit den Schultern. Sie hatten sich fast den ganzen Nachmittag während einer Betriebsbesichtigung unterhalten und im Moment machte sie auf ihn einen etwas unglücklichen Eindruck. „Naja, du hast mir heute Nachmittag erzählt, dass du mit nem Kerl zusammenwohnst von dem du sagst, dass du ihn liebst, aber ehrlich gesagt machst du auf mich keinen besonders glücklichen Eindruck.“
„Das mit Oliver ist... kompliziert.“
„Der Typ muss ein ziemlicher Idiot sein.“
Gemeinsam betraten sie den Fahrstuhl, der gerade angekommen war.
„Wieso?“
„Weil ihm nicht klar zu sein scheint, was für eine tolle Frau du bist.“
Nina blieb in der Lichtschranke stehen. Es war, als hätte es in ihrem Kopf gerade Klick gemacht. Als Tobias sich zu ihr umdrehte, sah er, dass sie Tränen in den Augen hatte.
„Sorry, ich wollte nicht...“
Nina ging zwei Schritte weiter. „Das ist nicht wegen dir.“ Sie zog den Ärmel ihres Shirts lang und wischte sich damit die Tränen aus den Augen. „Echt nicht.“
„Kommt mir aber so vor.“
Erneut schüttelte Nina den Kopf. „Es ist nur, dass... das was du gerade gesagt hast, das hätte ich gerne mal von jemand anderem gehört.“
Tobias legte seine Arme um Nina und zog sie mit sich, bis er an der Fahrstuhlwand lehnte. Sie legte ihren Kopf an seine Brust und schloss die Augen. Es fühlte sich gut an mal von jemandem im Arm gehalten zu werden, der nicht von vornherein darauf spekulierte, mit ihr ins Bett zu gehen.
Kurz darauf machte es Pling und die Fahrstuhltür öffnete sich. Nina seufzte. Doch gerade, als sie dachte, er würde sich von ihr lösen und aussteigen, setzte sich der Fahrstuhl wieder in Bewegung. Bis hoch in den 13. Stock.
„In welchem Stockwerk liegt dein Zimmer?“
„Fünf.“
Wieder setzte sich der Fahrstuhl in Bewegung und hielt erst wieder im 5. Stock. Gemeinsam stiegen sie aus.
„Zimmer?“
„509.“
Sie gingen den Flur entlang und blieben vor der Tür mit der Nummer 509 stehen. Nina zog den Schlüssel aus ihrer Tasche und schloss auf.
„Ist euer Zimmer auch auf dieser Etage?“
„Nein, in der dritten.“
„Warum bist du dann ausgestiegen?“
„Ich hätte dich sonst loslassen müssen.“
„Das hättest du früher oder später sowieso tun müssen.“
„Dann lieber später.“
Nina sah zu ihm hoch.
„Je später, desto besser.“ ergänzte er bevor er sich langsam zu ihr hinunter beugte, um sie zu küssen.
Nina wusste, dass es ihre letzte Gelegenheit war, sich zurückzuziehen, aber sie tat es nicht. Leise seufzend schmiegte sie sich an ihn während sie seinen vorsichtigen Kuss erwiderte. Langsam zog sie ihn in ihr Zimmer und gab der Tür einen Stoß, so dass sie ins Schloss fiel.
Zentimeterweise schoben sich Tobias‘ Hände unter ihr Shirt. „Sag bescheid wenn es dir zuviel wird, okay?“ murmelte er während er schon dabei war, ihren BH zu öffnen.
„Keine Sorge, ich mach mich bemerkbar.“ Zögernd schob Nina sein T-Shirt hoch.
„Gut.“
„Gut.“ Tobias zog seine Hände zurück und zog sich sein T-Shirt über den Kopf. Als er fertig war, sah er, dass Nina sich ebenfalls von ihren Sachen befreit hatte. „Nina.“
Nina senkte den Blick. Vielleicht hätte sie warten sollen. Er sollte nicht denken, dass sie sich leicht rumkriegen ließ. „Denk jetzt nicht, dass...“
„Keine Angst.“ Tobias lächelte sie aufmunternd an. „Wenn ich eine aufregende Frau vor mir habe denke ich selten.“
Ninas Unsicherheit verschwand auf der Stelle. „Du bist ein komischer Vogel.“
„Und du? Bist du gut zu Vögeln?“
„Sag’s mir hinterher.“ flüsterte Nina ohne weiter darüber nachzudenken. Sie spürte wie sich die Hitze in ihrem ganzen Körper ausbreitete als Tobias sie in seine Arme zog und sie erneut küsste. Dieses Mal leicht fordernd. Nina schlang ihre Arme um seinen Hals, schmiegte sich an ihn und erwiderte seinen Kuss. Schrittchenweise näherten sie sich dem Bett. Sie stiegen aus ihren Schuhen, befreiten hastig bis auf die Slips von ihren restlichen Klamotten und krochen unter die Decke. Nina genoss Tobias‘ Küsse, seine sanften Berührungen und seine Fähigkeit, sämtliche Gedanken aus ihrem Kopf zu vertreiben
„Tobi?“
„Hm.“
„Du hast nicht zufällig...“
„In meiner Hosentasche. Moment.“
Nina ließ sich zurücksinken. Tobias beugte sich hinüber zu ihren Klamotten, griff nach seiner Hose und hielt wenig später das Kondom in der Hand. Es dauerte keine Minute bis beide nackt waren und er sich das Kondom überstreifte
Schon spürte Nina, wie er sanft in sie hineinglitt. Er begann, sich zu bewegen und das Tempo langsam zu steigern, was ihr die Möglichkeit gab, sich seinem Rhythmus anzupasssen. Eine angenehme Wärme breitete sich in ihr aus.
„Nina?“
„Nicht aufhören,“ murmelte sie atemlos, „Bitte, hör jetzt nicht auf.“
Tobias tat ihr, und auch sich selbst, den Gefallen. Nina hörte ein Rauschen, sie spürte wie ihr Körper sich immer mehr anspannte und in dem Moment, in dem die gesamte Anspannung auf einmal verschwand, fühlte es sich wie tausend Nadelstiche an. Am Rande registrierte sie, wie Tobias aufstand, ins Bad ging und sich kurz darauf wieder zu ihr legte. Ihr Herzschlag war langsam wieder in den Normalzustand gekommen und als sie die Augen öffnete, sah sie in Tobias‘ Augen. Er lächelte.
„Was?“ fragte sie etwas verunsichert.
„Wow.“
„Was heißt das?“
„Das heißt, es war... wow.“
Nina drehte sich auf den Bauch und schloss ihre Augen wieder für eine Weile. Als sie sie öffnete, war Tobias gerade dabei, sich anzuziehen.
„Gehst du?“
„Hm. Nicht deinetwegen. Ich hab nur keine Lust morgen den andern zu erklären, wo ich die Nacht verbracht habe. Ist das okay für dich? Ich meine, ich könnte bleiben, aber...“
Nina schüttelte den Kopf. Tobias erhob sich, schloss seine Jeans und ging zur Tür.
„Tobi?“
An der Tür drehte er sich zu ihr um.
„Das hier...“ Nina richtete sich langsam auf und hielt dabei die Decke vor ihren Körper. Sie wusste nicht so recht, wie sie es sagen sollte, ohne dass es sich idiotisch anhörte. „Ich meine, das, was zwischen uns gerade war...“
„Das wird zwischen uns bleiben. Nur zwischen uns. Versprochen.“

Oliver war in sein Zimmer gegangen und hatte sich aufs Bett gelegt. Auch, wenn es ihn in dem Moment überrascht hatte, wenn er jetzt darüber nachdachte, wunderte es ihn nicht, dass er an Nina gedacht hatte. Schließlich wohnten sie seit fast sechs Wochen zusammen. Es war naiv gewesen zu glauben, zwischen ihnen würde sich nichts ändern. Aber vielleicht hatte er das auch nie wirklich geglaubt. Ganz sicher hatte er das nicht. Die Vorstellung, Nina würde sich nach einem Job umsehen, der nicht in der Nähe war, hatte ihn fast verrückt gemacht. Und da er Nina gut genug kannte um zu wissen, dass sie nicht einfach nur drohte, sondern Drohungen auch wahr machte, hatte er nach einer Möglichkeit gesucht, sie in der Nähe zu behalten. So war ihm das mit der Wohnung eingefallen. Denn er wusste, sie würde nicht weggehen wenn sie die Chance hatte, bei ihm zu sein.


11. Kapitel

„Du bist spät.“ stellte Malte fest als Nina völlig außer Atem neben seinem Tisch stand.
„Ich weiß.“ Nina schälte sich aus ihrer Jacke, die sie über die Stuhllehne hängte. „Ich mußte noch meinen Bericht für Naturschutz und Landschaftspflege fertigmachen und Olivers Drucker hat rumgezickt. Sorry.“
„Schon okay.“
Nina ließ sich auf den Stuhl fallen und lehnte sich zurück als Sonja kam, um Malte seinen Toast zu bringen. „Lass es dir schmecken“, sagte sie, bevor sie sich zu Nina drehte. „Was kann ich dir bringen?“
„Einen großen KiBa.“
„Kommt sofort.“ Sonja machte sich auf den Weg zum Tresen.
Malte sah Nina nachdenklich an. „Du gefällst mir heute gar nicht. Siehst blass aus.“
„Ich hab seit ner Woche nicht richtig geschlafen.“
„Wirst du krank?“
„Ich hoffe nicht. Ich hab in den nächsten Wochen fast jeden Abend was zu tun. Ein paar Doppelschichten im Reiterstübchen sind auch dabei. Und irgendwie muss ich mich ja finanzieren.“
„Übernimm dich nicht.“
„Und das von jemandem, der fast jeden Tag 12 Stunden ackert.“
„Im Gegensatz zu dir bin ich das gewohnt.“
„Ist ja gut.“ Nina hatte inzwischen ihren BaKi bekommen und nahm einen großen Schluck davon. „Kann ich dich mal was fragen?“
Malte sah seine Schwester irritiert an. „Seit wann fragst du ob du fragen darfst?“
Nina holte tief Luft. „Angenommen, ich würde mit jemandem außer Oliver ins Bett gehen... wäre das Betrug?“
„Bitte?“
„Ich weiß dass du am liebsten gar nicht hören würdest, dass ich überhaupt mit jemandem ins Bett gehe, aber... Wäre das Betrug?“
Malte ließ sein Besteck sinken. Es dauerte jedoch noch einen kurzen Moment bis er antwortete. „Ich denke, da Oliver ja so betont, dass ihr nicht zusammen seid, nein. Das wäre kein Betrug.“
Nina seufzte. „Es fühlt sich aber so an.“
„Was?“ Malte fiel beinahe das Messer aus der Hand. „Willst du damit andeuten, du hast...?“
Nina senkte betroffen den Blick. „Letzten Samstag.“
„Deswegen also.“
„Deswegen was?“
„Ach, Oliver hat mich gestern gefragt ob ich irgendwas wüsste. Er hätte den Eindruck du seist etwas durch den Wind.“
„Er hat was gemerkt.“
„Quatsch.“ Malte schüttelte den Kopf. „Wenn er dir auch manchmal ne Menge Blödsinn zutraut – das auf keinen Fall. Er meinte nur, du wärst ziemlich einsilbig im Moment und das ist er nicht von dir gewohnt.“
„Und wieso spricht er mich nicht darauf an?“
„Möglicherweise weil du zickig wirst wenn dich jemand mit unnützem wie geht’s dir-Gequatsche nervt?“
Nina begann mit dem Strohhalm die Eiswürfel in ihrem Glas unterzutauchen. „Vielleicht ist es besser, wenn ich wieder ausziehe.“
„Heißt das, du willst Oliver nicht mehr?“
„Doch, natürlich will ich ihn. Aber nicht so. Ich will nicht, dass er sich verpflichtet fühlt mich als seine Freundin zu betiteln nur, weil ich es sechs Monate mit ihm ausgehalten habe. Ich will die Freundin von jemandem sein, der Gefühle für mich hat.“
„Die hat er.“
Nina sah ihren Bruder überrascht an. Hatte er das gerade wirklich gesagt?
„Kannst du das noch mal wiederholen?“
„Keine Sorge, du hast dich nicht verhört. Oliver und ich werden mit Sicherheit nie beste Freunde sein, aber...“ Malte stöhnte gequält. „Der Typ ist ein Idiot aber ich glaube trotzdem, dass er dich irgendwie mag.“
„Wow.“ Nina lehnte sich zurück. „Ich glaube, das ist das netteste, was du jemals über ihn gesagt hast. Aber... warum erst jetzt?“
„Weil ich in der vergangen Zeit nicht den Eindruck hatte, dass du das mit dem nötigen Abstand bewerten kannst. Verstehst du? Du hast jedes Fitzelchen Nettigkeit aneinander getackert und damit sämtliche Fehltritte, die er sich erlaubt hat überklebt. Das wollte ich nicht fördern.“
Nina lächelte. „Das ist...“
„Wenn du jetzt süß sagst, schreie ich.“
„Und, was soll ich jetzt machen? Beichten?“
Malte schüttelte den Kopf. „Auf keinen Fall. Laut eurem komischen Vertrag kannst du tun und lassen, was du willst. Also, lass Gras über die Sache wachsen wenn es nichts wichtiges war.“

Nina stand gerade vor dem geöffneten Kleiderschrank um nach einem passenden Oberteil zu suchen als sie hörte, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wurde.
„Nina?“
Sie zuckte zusammen. Es war eine Frage von Sekunden bevor er die Schlafzimmertür öffnen würde um zu sehen, wo sie steckte. Hektisch griff sie nach ihrer Strickjacke, die auf dem Bett lag, erwischte aber statt dessen Olivers bordeauxrotes Hemd, in das sie hineinschlüpfte. Gerade als sie die ersten Knöpfe geschlossen hatte, betrat Oliver das Schlafzimmer.
„Hi.“
Sie setzte ihr unschuldigstes Lächeln auf. Ihr Herz raste, ihr Gesicht glühte und sie bekam feuchte Hände.
„Ich wollte nur...“, begann er, merkte aber sofort, dass irgendwas im Busch war. „Wieso hast du mein Hemd an?“
Seufzend schloss Nina den Schrank. Sie hatte das alles so schön geplant. Sie hatte sich neue Unterwäsche bestellt um an einem Tag, an dem sie in Stimmung war, Oliver zu verführen. Jetzt wollte sie einfach nur ausprobieren, was sie am besten drüber trug. Und was passierte? Oliver platzte mitten in die Anprobe.
„Damit du nicht aus Versehen etwas siehst, was nicht für deine Augen bestimmt ist.“
„Ach, ich darf dich neuerdings nicht mehr ohne Klamotten ansehen?“
„Geh einfach raus, ja?“ bat Nina, doch Oliver wurde neugierig.
„Ist es was aus dem Paket?“ Er ging auf sie zu.
„Möglich.“
Oliver hob seine Hand und schob mit dem Zeigefinger den Stoff ein Stück zur Seite. „Du hast dir Wäsche bestellt.“
„Hey, Finger weg.“ Nina tat entrüstet, hielt ihn aber nicht auf.
Er dachte auch nicht daran, sondern schob den Stoff weiter zur Seite. „Dunkelrot. Mh. Nicht übel.“
„Schluss jetzt.“ Nina schob seine Hand zur Seite und schloss die restlichen Knöpfe.
„Jetzt zeig doch mal.“
„Ich muss mich um’s Essen kümmern.“
„Das hat Zeit. Ich will ja nur kurz gucken.“
„Wir machen einen Deal“, schlug Nina vor. „Wir essen erst eine Kleinigkeit und danach lasse ich dich gucken.“
„Also gut. Ich gehe schonmal in die Küche.“
Oliver verließ das Schlafzimmer. Nina warf einen flüchtigen Blick in den Spiegel. Sie war sich nicht mehr sicher, ob sie sich wirklich darüber ärgerte, dass er sie erwischt hatte. Immerhin wusste sie nun, dass ihn ihr Anblick angeregt hatte und sie ahnte, dass er schon überlegte, wie er sie gleich rumkriegen würde. Ihr Blick fiel auf die Jeans, die auf dem Bett lag. Es wäre sicher angebracht gewesen, beim Essen eine Hose zu tragen, doch Nina ließ sie auf dem Bett liegen und folgte Oliver in die Küche.

„Was ist eigentlich los mit dir?“
Oliver sah Henrik fragend an. „Wie, was los ist? Ich hab Stress, wie immer.“
„Stress ja,“ erwiderte Henrik während er den Akkuschrauber in seinen Kasten zurück legte. „Aber nicht wie immer.“
Oliver hob den ersten Karton auf einen Stuhl, damit er sich nicht ständig bücken musste, wenn er die Ordner in den neuen Schrank räumte.
„Ist was mit Nina?“
„Ja – Nein.“
„Was jetzt, ja oder nein?“
„Ich war letztens auf dem Lehrgang und Isabell... Sie hat mich richtig massiv angegraben.“
„Zwischen euch ist was gelaufen.“
„Ja – Nein.“
Henrik verdrehte die Augen. „Du machst mich ganz kirre. Ist was gelaufen oder nicht?“
„Ich war kurz davor mit ihr ins Bett zu gehen aber ich hab’s gelassen.“ Oliver nahm die ersten Akten aus dem Karton und stellte sie in das obere Fach. „Wegen Nina.“
„Du hast also noch sowas wie ein Gewissen. Das beruhigt mich ungemein. Aber wenn nichts war, wo ist dann das Problem?“
„Nina ahnt was.“
„Ich denke es war nichts.“
„Nein, aber es hätte was sein können.“
„Muss ich das verstehen? Du hast schon länger was mit anderen gehabt und es war dir egal, was Nina denkt, aber jetzt, wo nichts läuft, kriegst du Gewissensbisse?“ Henrik hob einen Karton auf den Schreibtisch.
Oliver zuckte mit den Schultern. „Ich will nur nicht, dass Nina was falsches von mir denkt.“
„Dann geh zu ihr und sag ihr du hättest eine gute Gelegenheit verstreichen lassen.“
„Das würde sie nicht wissen wollen.“
Henrik ließ sich stöhnend in Olivers neuen Chefsessel fallen. „Das ist mir zu hoch.“
Schweigend räumte Oliver weitere Akten in den Schrank.
„Was macht dich eigentlich so sicher, dass Nina was ahnt?“
Oliver hielt inne. Sie will mehr Sex. Das war die Antwort, die ihm eingefallen war, als er sich selbst diese Frage gestellt hatte. Sie will Sex und sie sagt es. Sie provoziert es. Das hat sie noch nie getan. Möglicherweise dachte sie, er würde nicht auf die Idee kommen mit anderen Frauen ins Bett zu gehen wenn sie es öfter tat.
„Sie hat diesen Blick.“
„Welchen Blick?“
„Diesen – Ich weiß, dass du was angestellt hast – Blick.“
Henrik grinste. „Das ist Bluff. Sie weiß gar nichts. Sie tut nur so und wartet darauf, dass du einen Fehler machst, der dich verrät.“
„Kann ich mir nicht vorstellen.“
Henrik zuckte mit den Schultern. „Sie weiß nichts. So wie du Nina beschreibst, hätte sie dich gefragt.“
Oliver seufzte. „Wahrscheinlich.“
Henrik nickte. Je mehr Zeit verging, um so sicherer war er sich, dass Oliver sich in Nina verliebt hatte. Richtig heftig verliebt. So wie er sich damals in Kerstin verliebt hatte. Da er sich jedoch in den letzten Jahren so von Gefühlen distanziert hatte, würde es ihm sicher schwer fallen, sich das einzugestehen.

Oliver saß auf dem grünen Sofa und blätterte in einer Zeitschrift während der Fernseher lief.
„Du, Oli?“ Nina saß auf demselben Sofa, die Füße unter Olivers Beine geschoben um sie warm zu halten, und sah fern.
„Hm.“ Machte Oliver ohne aufzusehen.
„Wo fängt für dich Betrug an?“
„Inwiefern?“
„Angenommen, du steckst in einer Beziehung. Zum Beispiel mit mir. Was müsste ich getan haben damit du sagst, ich hätte dich betrogen?“
„Mit jemandem schlafen in den du dich verliebt hast. Was dann übrigens das Ende unserer Beziehung bedeuten würde.“
„Warum muss ich in den anderen verliebt sein?“
„Weil du mir dann nicht nur körperlich, sondern auch seelisch untreu bist.“
„Seelisch untreu?“
„Es ist mir wichtig, dass man miteinander redet, dass man gern Zeit miteinander verbringt und dass man dem Partner ansieht, dass er gerne mit einem zusammen ist. Wenn man dann mal mit einem anderen ins Bett geht, finde ich das nicht so schlimm.“
„Du würdest also nicht mit mir Schluss machen wenn ich mit einem Mann schlafe, in den ich nicht verliebt bin?“
„Das ist ja ne sehr hypothetische Frage.“
„Wieso?“
Nun ließ Oliver seine Zeitschrift sinken, wandte sich zu ihr und lächelte. „Weil du nicht mit jemandem schlafen könntest, für den du keine Gefühle hast.“
Nina seufzte. Sie hatte ernsthaft darüber nachgedacht, Oliver von der Sache mit Tobias zu erzählen, aber in diesem Moment war ihr klar geworden, dass es das Aus bedeuten würde. Oliver würde ihr nicht glauben, dass es aus der Situation heraus passiert war, und das würde sie ihm nicht einmal verübeln können, schließlich hätte sie das bis vor ein paar Wochen selbst nicht geglaubt. Wahrscheinlich war es wirklich das Beste, wenn sie es einfach vergessen würde.


12. Kapitel

Es war kurz vor Mitternacht als Nina von ihrer Schicht im Reiterstübchen nach Hause kam. Sie wäre eine halbe Stunde eher zurück gewesen wenn sie nicht noch schnell im Haus ihres Onkels unter die Dusche gehüpft wäre, um den Geruch von Schweiß und Frittenfett loszuwerden. Am heutigen Abend war extrem viel zu tun gewesen, und sie hatte so viel in der Küche herumgewirbelt, dass sie immer noch völlig aufgedreht war. Nina legte ihren Schlüsselbund auf den Schuhschrank im Flur. Sie hatte schon draußen gesehen, dass Oliver noch im Arbeitszimmer saß. Entweder musste er unbedingt noch etwas fertig haben oder, was öfter vorkam, er hatte die Zeit aus den Augen verloren.
Nina ging ins Schlafzimmer um sich bettfertig zu machen. Dabei fiel ihr Blick auf die Tüte, die an der Tür ihres Kleiderschranks hing. Sie hatte sich nach der Schule ein paar Sonderangebote im Klamottenladen gesichert und noch keine Zeit gehabt, sie einzuräumen. Also nahm sie die Tüte und leerte sie auf dem Bett. Schnell waren alle Etiketten abgetrennt und Shirts und die neue Jeans im Schrank verstaut. Bei dem letzten Teil zögerte sie einen Moment, dann entschied sie, es gleich anzuziehen.
„Mh?“ machte Oliver nur als nach einem kurzen Klopfen die Tür aufging.
„Es ist gleich zwölf. Machst du was Wichtiges?“
„Schon so spät?“ Oliver seufzte. „Nein, so wichtig ist es eigentlich nicht. Aber jetzt kann ich es auch eben fertig machen..“
„Das würde ich mir an deiner Stelle nochmal überlegen.“ Nina hatte das Büro betreten, war aber zwei Armlängen entfernt von ihm stehen geblieben.
Oliver drehte sich zur Seite. „Ja,“ sagte er nachdem er Ninas Anblick einen Augenblick genossen hatte, „ich glaube, das sollte ich.“ Er wandte sich wieder seinem PC zu, den er schnell ausschaltete um sich dann mit Nina zu beschäftigen.
„Habe ich das verdient?“ fragte er während er seine Hände etwas unter das schwarze Spitzenhemdchen schob.
„Keine Ahnung.“ Ninas Hände schoben sich die Knopfleiste seines Oberhemds hinauf und öffneten nacheinander die Knöpfe. „Ich dachte nur, dass ich dich so besser von der Arbeit wegbekomme. Du musst dich mal entspannen.“ Sie schob seine Arme nach hinten um ihm das Hemd abstreifen zu können.
„Entspannen klingt gut.“ Schrittweise schob er sie, ohne dabei die Hände zu benutzen, aus dem Arbeitszimmer.
Währenddessen befreite Nina ihn von seinem T-Shirt, das er unter dem Hemd trug und machte sich dann an seiner Hose zu schaffen, die nur wenig später auf dem Boden im Flur liegen blieb. Die ganze Zeit lang, ließen sie einander nicht aus den Augen. Oliver, der anfangs noch still gehalten hatte, zog Nina zu sich heran, schob seine unter ihr dünnes Hemd. Langsam dirigierte sie ihn zur Wand. Er keuchte auf als sie sich an ihn schmiegte, ihre Lippen auf seine presste und ihn fordernd küsste. Seine beginnende Erregung wuchs als er ihren Hintern mit beiden Händen umfasste und dabei feststellte, dass der Slip, den sie trug, ein String war.
„Spürst du, wie heiß ich bin?“ flüsterte Nina mit kratziger Stimme so leise, dass sie fast selbst nicht glaubte, diesen Satz über die Lippen gebracht zu haben, geschweige denn, dass Oliver ihn gehört hatte.
Ein leises „Mh“ kam als Antwort.
„Gut.“
„Ja,“ erwiderte Oliver während er zwei Schritte vorwärts machte und Nina an die gegenüber liegend Wand drückte, „das fühlt sich ziemlich gut an.“
Nina erkannte an seiner Stimme, dass er überrascht war. Und dass es ihn erregte. Sie spürte wie er seinen Unterleib ein wenig von ihrem entfernte und sich eine seiner Hände zwischen ihre Beine schob.
„Du glühst.“
Nina schlang ihre Arme um seinen Hals und zog ihn so nahe zu sich, dass ihr Mund nahe an seinem Ohr war. „Ich bin auch schon feucht.“ Langsam ging sie vor ihm in die Knie und schob dabei seine Shorts so weit herunter, dass er nur noch die Füße heben musste um völlig nackt zu sein.
Oliver spürte wie ihr Körper seinen Schwanz streifte als sie sich wieder aufrichtete und als sie stand und sich an ihn schmiegte, stellte er fest, dass auch sie keinen Slip mehr trug. Ihre Offensivität war unerwartet, deshalb erregte sie ihn umso mehr. Er drückte sie fest gegen die Wand, umfasste mit beiden Händen ihren Hintern und rieb sich leicht an ihr. Ihr leises Aufstöhnen bestätigte ihn in seinem Tun.
„Du machst mich so geil,“ keuchte er und befreite sie hektisch von ihrem letzten Kleidungsstück.
Nina hob ihr rechtes Bein, schlang es um seine Hüfte und drückte ihn so enger an sich. „Wie ist das?“ flüsterte sie.
Stöhnend vergrub Oliver sein Gesicht in ihrer Halsbeuge. „Du machst mich wahnsinnig. Am liebsten würde ich dich auf der Stelle...“
„Dann tu’s.“ Nina ließ ihn nicht ausreden. Sie wusste was er sagen wollte, aber sie wollte diejenige sein, die es aussprach. „Fick mich, Oliver.“
Kaum, dass Nina den Satz beendet hatte, hatte Oliver die Schlüssel und die Post mit einer Bewegung auf den Fußboden befördert, Nina auf die Kommode gehoben und war in sie eingedrungen. Er bewegte sich mit steigerndem Tempo bis er kurz vor dem Höhepunkt stand, hielt inne bis seine Erregung etwas abflachte und begann von vorn. Er nahm sich vor, dieses Spielchen so oft wie möglich zu wiederholen, doch Ninas lauter werdendes Aufstöhnen erregte ihn so sehr, dass er bald zum Höhepunkt kam.
Atemlos stützte er sich mit den Händen rechts und links von Nina auf der Kommode ab bis das Rauschen in seinen Ohren nachließ. Dann sah er sie an. Er war nicht in der Lage etwas zu sagen. Er war völlig außer Atem. Außerdem gab es nichts, was er in diesem Moment hätte sagen können. Er hatte immer gewusst, dass sie irgendwann an den Punkt kommen würde, an dem sie ihre Hemmungen vergaß und sich das holte, was sie wollte. Es fühlte sich gut an zu wissen, dass sie ihm offensichtlich so sehr vertraute, dass sie sich bei ihm fallen lassen konnte. Zwischen ihnen hatte sich in den letzten Wochen etwas geändert und nach und nach wurde ihm klar, was das bedeutete.
Nina wartete darauf, dass er etwas sagte, aber er schwieg. Er stand einfach nur da und sah sie mit diesem Blick an, den sie selten an ihm bemerkte. Der Blick der ihr sagte, dass zwischen ihnen etwas existierte, das keiner von ihnen in Worte fassen konnte. Dieser Blick, der so viel Nähe ausdrückte, dass sie sich wünschte, es würde nie aufhören und von dem sie gleichzeitig dachte, er würde sie verrückt machen wenn es nicht aufhörte.

„Nina?“
Nina lag mit geschlossenen Augen rücklings in ihrer Hälfte des Bettes und genoss die Tatsache, dass Oliver dicht neben ihr lag, seinen Arm um sie gelegt hatte und sie sanft streichelte. Es war selten, dass sie, nachdem sie miteinander geschlafen hatten, so lange so eng nebeneinander lagen „Mh.“
„Du bist nicht gekommen, oder?“
Langsam drehte Nina ihren Kopf zu Oliver und öffnete die Augen. „Das ist doch jetzt egal.“
„Mir nicht.“
„Es ist doch alles gut so wie es ist.“
„Denkst du nicht, dass beide Partner Befriedigung verdienen?“
Ninas Mundwinkel schoben sich zu einem leichten Lächeln nach oben. „Findest du, dass ich... unbefriedigt aussehe?“
„Das nicht, aber...“
Weiter kam er nicht, denn Nina verschloss ihm den Mund mit einem Kuss. „Oliver, ich muss nicht unbedingt...“ Der Rest ihres Satzes ging in einem leisen Seufzen unter.
Olivers Hand war langsam zu ihrem Oberschenkel gewandert und glitt nun an der Innenseite entlang.
„Bist du gekommen oder nicht?“
„Nein“, erwiderte sie und hielt kurz den Atem an, „aber ich würde mich nicht wehren, wenn...“
Auch diesen Satz brachte sie nicht zu Ende. Zielsicher hatte sich Oliver zu ihrer empfindlichsten Stelle vorgetastet um sie nun zum Höhepunkt zu bringen. Es dauerte nicht lange, bis Nina begann, sich unter seinen Fingern zu winden, sich verkrampfte und leise aufstöhnte. Oliver sah, wie sie sich mit der Zunge die Lippen befeuchtete, merkte, wie ein heftiges Zittern durch ihren Körper ging und sie schließlich sein Hangelenk packte um seine Hand zur Seite zu schieben. Zufrieden legte er seinen Kopf auf dem Kissen ab und schob seine Hand wieder zu ihrem Oberkörper.
„Träume ich?“ Seine Hand fuhr behutsam über ihre Brüste.
„Du bist viel zu realistisch um zu träumen.“ erwiderte Nina, die noch ein wenig außer Atem war.
„Das stimmt nicht.“
Nina atmete tief durch. „Wenn ich deine wilden Phantasien mitzähle hast du Recht.“
„Was weißt du denn von meinen Phantasien?“
„Zumindest weiß ich, dass du welche hast.“
„Du sicher auch.“
„Keine einzige.“
Oliver richtete sich ein wenig auf und sah Nina an. „Erzähl mir doch nichts. Ich wette du hast welche. Weit versteckt auf deiner dunklen Seite.“
„Wenn du meinst.“
„Erzähl“, forderte er sie auf. „Wo würdest du gerne mal Sex haben?“
Nina zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung.“
„Für den Fall, dass du jetzt wieder die Unschuldige spielen willst, vergiss es lieber gleich. Du hast sehr eindrucksvoll bewiesen, dass du das nicht bist.“
„Hey,“ Nina zuckte zusammen als Olivers Fingerspitzen ihre Seite entlangkrabbelten. „Das kitzelt.“
„Du lenkst ab.“
„Tue ich gar nicht.“ Sie drehte sich auf die Seite und griff nach seiner Hand. „Lass es.“
„Du schuldest mir eine Antwort.“
„Ich schulde dir gar nichts.“
Seufzend rollte Oliver sich auf den Rücken. „Schade.“
Nina schloss, ebenfalls seufzend, die Augen. „Auf ´ner Wiese. Irgendwo weit draußen.“
Mit einem triumphierenden Lächeln drehte Oliver seinen Kopf zu ihr. „Ich wusste es.“
Eine Weile lagen sie schweigend nebeneinander.
„Oli?“
„Hm.“
„Wie ist es eigentlich, mit mir zusammen zu wohnen?“
„Es ist... Keine Ahnung. Es gibt Zeiten, in denen sehen wir uns nicht öfter als vorher.“
„Stört dich irgendwas?“
„Abgesehen von deinem viel zu hohen Fernsehkonsum und der Tatsache, dass ständig deine Socken irgendwo rumliegen? Nichts wesentliches.“ Oliver wartete einen Moment, bevor er die Gegenfrage stellte. „Dich?“
„Dein Wecker.“
„Sonst nichts?“
„Nichts, womit ich nicht leben könnte.“


13. Kapitel

Nina drehte den Wasserhahn zu, richtete sich langsam wieder auf und sah in den Spiegel. Sie fühlte sich furchtbar und genau so sah sie auch aus. Ihr Magen spielte verrückt und mit ihrer Gesichtsfarbe konnte sie den weißen Fliesen Konkurrenz machen. Verfluchte Abschlussprüfungen. Es gab nicht mal einen Grund, sich Sorgen zu machen, denn selbst wenn sie eine fünf schreiben würde, konnte sie nicht durchfallen. Dummerweise machte sich ihre Prüfungsangst nichts aus sachlichen Argumenten sondern tobte sich so richtig aus.
Oliver hatte gerade sein Frühstück beendet und alles essbare vom Tisch geräumt als Nina die Küche betrat.
„Besser?“ Er sah sie besorgt an. „Ich hab dir einen Tee gemacht.“
„Hm. Danke.“ Nina ließ sich auf ihren Hocker sinken. „Ich mach drei Kreuze wenn die Prüfungen vorbei sind.“
„Das sind nicht nur die Prüfungen. Du schläfst nicht genug und du arbeitest zuviel.“
Nina musste lächeln. „Da fass dir mal an deine eigene Nase. Bei mir ist das nur eine Phase, bei dir ist das Dauerzustand. Du solltest dich mal ernsthaft fragen, wer von uns beiden gesundheitlich mehr gefährdet ist.“
„Das ist ja wieder typisch. Dir geht’s schlecht, aber das Thema sind andere.“
„Soll ich mich hinlegen und rumjammern wie schlecht es mir gerade geht? Das ist nicht mein Ding, echt nicht.“
„Ich weiß. Aber es wird ja wohl erlaubt sein, wenn ich mal meine Meinung sage.“
„Ich werde dich kaum daran hindern können.“
Nina zog sich einen Zwieback aus der Packung und knabberte daran herum. Glücklicherweise hatte sie nur noch eine Prüfung vor sich und dann würde sie schnell wieder die alte sein.

„Ich dachte du wolltest heute Abend mit deinem Bruder los.“
Oliver war überrascht Nina auf dem Sofa vorzufinden als er am Samstag spät von einem Sanitätsdienst nach Hause kam.
„Hab ich mir anders überlegt.“
„Anders überlegt oder wieder vor dem Fernseher eingeschlafen?“ Oliver ließ sich auf eines der anderen Sofas fallen und sah sie nachdenklich an. „Die Prüfungen haben dich ganz schön geschafft.“
„Ich versteh das nicht.“ erwiderte Nina während sie sich langsam hochrappelte. „Letztes Jahr war ich nach den Prüfungen sofort wieder fit.“
„Damals warst du auch noch jung.“ Oliver konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Nina hatte so oft, wenn sie aus der Schule gekommen war, gesagt, sie fühle sich eigentlich zu alt für diesen Kindergarten, und er konnte es einfach nicht lassen, sie damit aufzuziehen.
„Ja, komm du erstmal in mein Alter.“ Nina lächelte müde. „War viel los?“
„Gar nichts. Wir wurden mal wieder fürs Spaß haben bezahlt. Vielleicht solltest du ins Bett gehen.“
„Kommst du auch?“
„Ich wollte noch eben unter die Dusche.“
„Hm.“
Nina erhob sich vom Sofa und ging hinüber ins Schlafzimmer. Als Oliver eine Viertelstunde später dazu kam, war sie schon eingeschlafen.

„Kikerikiieeee!“
Noch im Halbschlaf streckte Oliver seinen Arm unter der Bettdecke hervor, tastete nach seinem Wecker und brachte ihn zum Schweigen. Er streckte sich mit geschlossenen Augen, setzte sich auf und streckte sich noch einmal bevor er, ohne sich umzudrehen, aufstand und aus dem Schlafzimmer ging. Gerade als er die Badezimmertür öffnen wollte, waren Würgegeräusche zu hören.
„Nina?“
„Hm.“
Er hörte, wie die Toilettenspülung betätigt wurde, nackte Füße über die Fliesen tapsten und der Wasserhahn aufgedreht wurde.
„Geht’s dir nicht gut?“
Das Wasser wurde wieder abgestellt. Kurz darauf öffnete sich die Tür und Nina stand vor ihm.
„Geht.“
„Du solltest zum Arzt gehen. Das kann doch nicht immer noch an den Prüfungen liegen. Vielleicht hast du dir auch so ´ne Magen-Darm-Geschichte eingefangen. Ist wieder ziemlich im Umlauf.“
„Das wird schon.“
„Wann gehst du zum Arzt?“
Nina seufzte. Sie wusste, er würde nicht eher ruhe geben bis sie ihm versprach, zum Arzt zu gehen. „Mittwoch. Falls es mir bis dahin nicht besser geht.“
„Versprochen?“
„Es ist süß, dass du dir Sorgen machst, aber...“
„Gehst du zum Arzt?“
Olivers Stimme wurde energischer.
„Ja. Zufrieden.“
„Ich wäre zufriedener, wenn du von selbst drauf gekommen wärst.“
Er schob sich an Nina vorbei ins Badezimmer.
Nina ging ins Schlafzimmer um sich anzuziehen. In einer Stunde mussten sie am Treffpunkt sein, von dem aus die alljährliche Spargeltour starten würde. Seit fast drei Monaten wohnten sie und Oliver nun zusammen und es war fast so, als sei es nie anders gewesen. Sie ergänzten sich meistens ganz gut, natürlich kamen sie sich auch das eine oder andere Mal in die Quere, aber das hatte sich meistens auch schnell wieder erledigt.
Nina öffnete den Kleiderschrank und zog eine saubere Jeans heraus. Eigentlich war alles gut so wie es war, aber war es wirklich das, was sie wollte? Früher hätte sie ohne zu zögern ja gesagt, doch in letzter Zeit kamen ihr immer öfter Zweifel.

Nina lag mit geschlossenen Augen in der Badewanne. Sie war fast zwei Stunden draußen gewesen um sich den Kopf frei pusten zu lassen, allerdings hatte es irgendwann angefangen zu regnen und als sie zu Hause angekommen war, war sie bis auf die Haut nass und durchgefroren. Deshalb hatte sie sich zum Auftauen ein heißes Bad genehmigt.
Ein Klopfen und Olivers leises „Nina“ holten sie aus ihren Gedanken.
„Mh.“
„Darf ich reinkommen?“
„Meinetwegen.“
Oliver betrat das Bad. Nina war, mal abgesehen von ihrem Kopf, unter einer dicken Schaumschicht verschwunden. Oliver ging vor bis zur Toilette, klappte den Deckel herunter und setzte sich.
Nach einer Weile öffnete Nina die Augen. „Bist du nur reingekommen, weil du mir beim Baden zusehen willst?“
„Eigentlich bin ich gekommen um mich kurz frisch zu machen bevor ich zur Leitungskräftebesprechung gehe. Und weil ich sicher gehen wollte, dass du noch nicht ertrunken bist.“
„Wie du siehst lebe ich noch.“
„Wenn ich Zeit hätte, würde ich fragen, ob ich mich dazu legen darf.“
„Wenn du Glück hättest, würde ich dir das sogar erlauben.“
Oliver erhob sich wieder und stellte sich ans Waschbecken. Er spritzte sich mit beiden Händen Wasser ins Gesicht und trocknete sich dann wieder ab.
Nina lächelte. Obwohl sie die Augen geschlossen hatte, konnte sie genau vor sich sehen, wie Oliver vor dem Spiegel stand, das Kinn vorschob und mit der rechten Hand prüfend über seine Bartstoppeln strich.
„Für’s DRK brauchst du dich nicht rasieren. Die haben dich schon schlimmer gesehen.“
Oliver drehte seinen Kopf Richtung Wanne. Nina lag da, mit geschlossenen Augen und schien trotzdem genau zu wissen, was er tat. Wahrscheinlich hatte sie geblinzelt.
„Bis später.“

Nina verließ das Ärztehaus gegen Mittag. Vor der Tür blieb sie noch einen Augenblick stehen und atmete tief durch.
Schwanger.
Seufzend schloss sie die Augen.
Herzlichen Glückwunsch.
Ja, herzlichen Glückwunsch zu so viel Blödheit. Es hatte sich ja irgendwann rächen müssen, dass sie aufgehört hatte, die Pille zu nehmen und nicht wieder damit angefangen hatte als das mit ihr und Oliver eine gewisse Regelmäßigkeit bekam. Sie hatte es einfach nicht für möglich gehalten dass Oliver Überkorrekt Hellms auch nur ein einziges Mal auf ein Kondom verzichten könnte. Und selbst wenn sie es geahnt hätte, sie hatte ja genug Grips, um selbst daran zu denken.
„Junge Frau, kann ich ihnen helfen? Geht es ihnen nicht gut?“
Nina öffnete die Augen und sah vor sich einen älteren Herrn stehen, der sie besorgt ansah.
„Es ist alles in Ordnung, danke.“
„Sie sehen ein wenig blass aus. Möchten sie sich vielleicht einen Moment setzen?“
„Nein, wirklich, mir geht es gut.“ winkte Nina kopfschüttelnd ab. „Ich bin nur... schwanger.“
„Wie schön für sie. Dann passen sie mal gut auf sich auf.“
Seufzend sah Nina dem älteren Herrn hinterher.
Wie schön für sie.
Schön, naja. Irgendwo hatte er ja recht. Sie hatte sich immer Kinder gewünscht, von daher war es tatsächlich schön, nur die Umstände waren es eben nicht. Der Zeitpunkt hätte nicht ungünstiger sein können. Sie hatte keinen Job und sie war nicht mit Oliver zusammen.
Langsam machte sie sich auf den Weg in die Apotheke. Ihr Gynäkologe hatte ihr Eisentabletten und ein Folsäurepräparat empfohlen, sowie ein homöopathisches Mittel gegen die Morgenübelkeit, aber Nina hatte schon auf dem Weg nach draußen beschlossen, darauf zu verzichten. Strafe musste eben sein.

Es war kurz nach zehn als Nina das Schlafzimmer betrat. Leise schloss sie die Tür hinter sich und tastete sich dann vorsichtig zum Bett um Oliver, der sich schon vor einer halben Stunde hingelegt hatte, nicht zu wecken.
„Spannende Sendung?“
„Keine Ahnung. Ich hab nicht viel davon mitbekommen.“ Nina kroch unter die Decke. „Kann ich zu dir rüberkommen?“ Noch während sie fragte, rückte sie zu ihm hinüber.
„Sei mir nicht böse, aber mir steht der Sinn heute echt nicht nach Sex. Ich hatte einen ziemlich beschissenen Tag.“
„Den hatte ich auch.“ Ninas Stimme war kaum hörbar. „Ich möchte einfach nur... für einen Augenblick neben dir liegen und merken, dass du da bist.“
„Was war denn los?“
„Es ist einfach nur einiges ziemlich schief gelaufen.“
„Dann komm.“ Oliver drehte sich zu ihr, legte seinen Arm um sie und zog sie zu sich heran.
Nina seufzte hörbar.
„Besser so?“
„Ein bisschen.“
„Schlaf gut.“
„Du auch.“
Es dauerte nicht lange, bis Nina an seinen gleichmäßigen Atemzügen hörte, dass Oliver eingeschlafen war. Sie wusste, dass sie mit ihm reden musste. So schnell wie möglich, zumindest bevor ihr Bauch sich zu einem unübersehbaren Schwangerschaftszeichen entwickelt hatte. Sie war jetzt in der 7. Woche, was bedeutete, dass ihr noch vier, vielleicht sechs Wochen blieben bevor er etwas merken würde. Sofern sie es schaffte, ihre Übelkeit in den Griff zu bekommen und keine anderen schwangerschaftstypischen Leiden hinzukamen.
Nina spürte wie die Tränen in ihr aufstiegen und wenig später die ersten davon aufs Kissen tropften. Sie war zum ersten Mal seit langem an einem Punkt angekommen, an dem sie nicht weiter wusste. Ihr war klar, dass Oliver zu seinem Kind stehen würde, wenn er davon erfuhr und sie war sich sicher, dass er einen ganz passablen Vater abgeben würde, aber sie wollte nicht, dass er sie in der Wohnung bleiben ließ nur, weil sie schwanger war. Sie wollte, dass er sie wollte.
Es gab allerdings nur eine Möglichkeit herauszufinden, ob er das wollte. Sie musste aus ihrem Vertrag aussteigen bevor sie ihm von ihrer Schwangerschaft erzählte. Wenn er wollte, dass sie blieb, müsste er es sagen. Dann erst konnte sie sicher sein, dass es um sie ging und nicht um die Verantwortung für das Baby.


14. Kapitel

„Nina?“ Oliver öffnete leise die Schlafzimmertür und steckte seinen Kopf vorsichtig in den Raum. „Schläfst du schon?“
Ein leises Schniefen war zu hören.
„Nein.“
„Weinst du?“
„Nein.“
„Aber ich hör’s doch.“ Er betrat den Raum, schloss die Tür hinter sich, ging langsam um das Bett herum und setzte sich dann neben Nina auf die Bettkante.
„Wahrscheinlich sind deine Ohren nicht ganz okay.“
Nina drehte ihm den Rücken zu.
„Meine Ohren funktionieren tadellos.“
Oliver legte sachte seine Hand an ihre Schulter.
„Nina, ich fange an, mir Sorgen zu machen.“
„Musst du nicht.“
Nina war bemüht, sich zusammen zu reißen. Jetzt könnte sie es ihm sagen. Er würde sie in den Arm nehmen und sagen, dass alles gut würde. Und wenn sie sich dann beruhigt hatte, würde er sich gemeinsam mit ihr eine Lösung ausdenken.
Träum weiter.
„Was ist los mit dir?“
Hilflos saß er neben ihr.
„Lass mich bitte allein.“
Nina hoffte, er würde sich daran erinnern, dass sie ihm einmal gesagt hatte er solle sie, wenn sie heulte einfach ungefragt in den Arm nehmen, aber sie ahnte, dass er es nicht tun würde. Weil er nicht glaubte, dass das reichte. Er war eben mehr der Typ, der versuchte, Probleme durch reden aus der Welt zu schaffen.
„Aber...“
„Bitte, Oli, ich will allein sein.“
Schweigend zog Oliver seine Hand zurück und erhob sich. Seit sie sich kannten hatte sie sich noch nie so von ihm abgeschottet und eigentlich widerstrebte es ihm, sie jetzt in Ruhe zu lassen, aber er wusste, dass sie stur genug war um weiterhin zu behaupten, dass alles in Ordnung war.
Als Oliver an der Tür angelangt war, blieb er stehen und drehte sich noch einmal zu ihr. Als er sie so zusammengerollt auf ihrer Hälfte des Bettes liegen sah, beschlich ihn ein ungutes Gefühl.
„Nina?“ Er wartete einen Moment bevor er weitersprach. „Wenn es etwas mit mir zu tun hätte... Das würdest du mir sagen, oder?“
„Sicher.“
Nina hörte, wie Oliver die Schlafzimmertür öffnete. Sie seufzte. Nicht nur, dass sie ihm seit Wochen verschwieg, dass sie schwanger war, jetzt fing sie sogar an, ihn zu belügen. So konnte es nicht weiter gehen.
„Oli, warte.“
Oliver zog die Tür langsam wieder zu. Das ungute Gefühl verstärkte sich mehr und mehr.
„Ich muss mit dir reden.“
Schweigend ging Oliver zurück zum Bett und setzte sich ans Fußende. Nina setzte sich auf. Sie wischte sich mit dem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht, dann sah sie ihn an.
„Ich hab nachgedacht.“
Oliver erwiderte nichts. Er saß einfach da, sah sie an und wartete stumm auf das, was kommen würde.
„Wir wohnen jetzt seit fast fünf Monaten zusammen, das heißt, das halbe Jahr ist bald rum und...“
„Ich stehe zu dem, was ich unterschrieben habe.“
Nina seufzte. „Das glaube ich dir ja, aber... ist dir vielleicht mal in den Sinn gekommen, dass... dass ich es mir anders überlegt haben könnte?“
„Was willst du damit sagen?“
„Oli, ich... Ich werde ausziehen.“
Vorsichtig sah Nina Oliver ins Gesicht. Ihr graute vor dem, was jetzt kommen würde. Egal wie sehr sie sich bemühte, sie wusste nicht, was in ihm vor ging. Kein Anzeichen dafür, dass er froh darüber war, dass sich nicht mehr fragen musste, ob er eine Beziehung mit ihr wollte oder nicht. Er wirkte weder besonders froh noch besonders unglücklich.
„Es ist deine Entscheidung.“ Sagte Oliver schließlich.
„Ist das alles?“
„Ja. Du hast dich entschieden und ich werde das akzeptieren.“
Wieder erhob er sich und ging in Richtung Tür.
„Wohin gehst du?“
„Du wolltest allein sein.“
Nina sah ihm nach bis er aus dem Zimmer war. Kurz darauf hörte sie die Wohnungstür klappen.
Sie hatte entschieden, er akzeptierte. War es so einfach? Hatte sich in den letzten Monaten wirklich so wenig zwischen ihnen geändert? Hatte er tatsächlich keine Meinung dazu? Er hätte doch wenigstens nach dem Warum fragen können.

Es war spät als Nina hörte wie Oliver die Wohnung betrat. Er war lange unterwegs gewesen und sie hatte wach im Bett gelegen und auf ihn gewartet. Leise betrat er das Schlafzimmer.
„Nina?“
Sie hörte das Zittern seiner Stimme und ihr Herz machte einen Sprung. Sie war fest davon überzeugt, er würde sie fragen, warum sie so entschieden hatte.
„Ja?“
„Hast du mit einem anderen geschlafen?“
Nina knipste ihre Nachttischlampe an und setzte sich langsam auf. War das alles, was ihm durch den Kopf ging? Ob es einen anderen gegeben hatte? Aber auch, wenn das nicht der Grund für ihren Auszug war, sie würde ihn deswegen nicht anlügen.
„Ja,“ gab sie kaum hörbar zu, „aber das war nicht...“
„War er besser als ich?“
Seine Stimme zitterte immer noch und Nina wusste, dass er diese Frage nur stellte, um sich nicht lange damit herumquälen zu müssen. Nicht, weil es ihn so brennend interessierte.
Besser. Was hieß das schon? Das mit Tobias war eine aufregende Erfahrung gewesen, aber für sie war es immer noch etwas besonderes, mit Oliver zu schlafen. Mit dem Mann, der über einen sehr langen Zeitraum immer wieder die Geduld aufgebracht hatte, ihr ihre Ängste zu nehmen und der es geschafft hatte, sie immer etwas mehr aus der Reserve zu locken.
„Anders. Es war anders als mit dir.“
Oliver ging in die Hocke und zog seine Reisetasche unter dem Bett hervor.
„Was hast du vor?“
„Ich gehe.“
Er öffnete den Schrank und packte ein paar Sachen.
„Es ist mitten in der Nacht. Wo willst du denn hin?“
„Was kümmert dich das? Du hast mir ja gerade verraten wie wichtig ich dir wirklich bin.“
„Das stimmt nicht. Oliver, ich... Ich liebe dich.“
Nina sah ihn mit Tränen in den Augen an. Es war das erste Mal, dass sie das zu jemandem sagte. Ihm hatte sie es schon ein paar Mal sagen wollen, aber bislang hatte sie nie den Mut dazu aufbringen können.
„Hör auf Nina. Ich glaube, es ist alles gesagt.“
Nina sprang aus dem Bett und stellte sich ihm in den Weg.
„Das ist alles viel komplizierter als du denkst.“
„Das sehe ich anders.“
Er schob Nina beiseite und verließ das Schlafzimmer. Nina folgte ihm in den Flur und drängte sich zwischen ihn und die Wohnungstür.
„Lass uns darüber reden, Oliver. Bitte.“
„Ich habe nichts mehr zu sagen. Ich wohne bei meinen Eltern bis du was neues hast.“
Wieder schob er sie beiseite, dann verließ er die Wohnung.
Nina starrte die Tür an. Sie wusste nicht, ob sie wütend oder traurig sein sollte. Sie hätte sich denken können, dass er mit der Tatsache, dass sie mit einem anderen geschlafen hatte, schwer zu kämpfen haben würde. Aber das er ihr nicht einmal die Gelegenheit gab, ihm alles zu erklären, wollte nicht in ihren Kopf. Sicher, es passte in das Bild des egoistischen Arschlochs, für das ihn viele hielten. Aber sie gehörte nicht dazu und sie konnte auch nicht glauben, dass sie sich so in ihm getäuscht hatte.

Es dauerte knapp eine Woche bis Nina sich dazu durchgerungen hatte, ihren Bruder um Asyl zu bitten und nur zwei Tage später holten sie ihre wichtigsten Sachen aus der Wohnung.
„Wieso bist du eigentlich so plötzlich bei Oliver ausgezogen? Habt ihr euch gestritten?“
„Nein, haben wir nicht.“
„Sondern?“
„Nichts. Mir ist einfach nur klar geworden, dass...“
„Hör auf mir hier irgend einen Scheiß zu erzählen!“ fuhr Malte sie an. „Ich seh dir doch an, dass irgendwas nicht stimmt. Also?“
„Halt an“, flüsterte Nina, „schnell.“
Sofort trat Malte auf die Bremse und der Wagen blieb mit einem Ruck mitten auf der Straße stehen. Nina öffnete die Beifahrertür, stolperte als sie aus dem Auto stieg und fiel fast hin, fing sich aber rechtzeitig wieder und übergab sich am Straßenrand.
„Nina!“
Malte hatte den Motor abgestellt und war ausgestiegen. Nun stand er zwischen Tür und Fahrzeug, den rechten Arm auf das Autodach gelehnt und sah Nina an.
Nina richtete sich langsam wieder auf. Sie strich ihre Haare zurück während sie zum Auto ging und sich an den vorderen Kotflügel lehnte.
Malte machte einen Schritt zurück und schloss die Fahrertür.
Nina spürte seinen Blick im Rücken. Sie glaubte fast sehen zu können, wie er da stand, die rechte Hand noch kurz an der Autotür, wie er sich dann mit beiden Händen auf der Motorhaube abstützte, den Kopf senkte und für einen Moment auf den blauen Lack starrte um sich zu beruhigen und sie dann wieder anzusehen.
Malte richtete sich langsam, fast in Zeitlupe wieder auf. Beruhig dich, sagte er zu sich selbst, aber das war nur schwer möglich. Er beobachtete schon seit einer Weile wie sie sich veränderte. Mit jedem Mal, das er sie sah, wurde sie blasser, sie wirkte müde und sie hatte abgenommen. Und er würde einen Besen fressen wenn es nicht Oliver war, der das zu verantworten hatte.
Nina sah über die Wiese. Sie wusste, dass Malte nur das Beste für sie wollte, dass er sich Sorgen machte. Aber in diesem Fall war die Lösung des Problems eben nicht so einfach, wie er sich das vielleicht vorstellte.
„Geht’s wieder?“
Nina zuckte zusammen. Sie war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie nicht gemerkt hatte, dass Malte sich inzwischen zu ihr gestellt hatte.
„Hm.“
„Was soll ich bloß mit dir machen?“ fragte er seufzend.
„Fahr mich nach Hause.“
„Das meinte ich eigentlich nicht.“
Ich weiß.
Nina senkte den Blick.
Und du weißt, dass ich es weiß. Aber fahr mich trotzdem nach Hause und frag nicht weiter. Nicht jetzt. Nicht heute.
„Könnte es sein...“ begann Malte, nachdem sie eine Zeit lang geschwiegen hatten.
„Nein.“ Nina seufzte leise. „Es könnte nicht sein. Es ist so.“
„Du bist schwanger?“
„Hm.“
„Seit wann?“
„Ich weiß es seit vier Wochen. Ich bin in der 11. Woche.“
„Und Oliver?“
„Er weiß nichts davon.“
„Wieso nicht? Ist das Baby nicht...?“
„Doch. Natürlich ist es von ihm.“
Malte atmete tief durch. „Ich dachte ihr...“
„Ja, ich weiß.“ unterbrach Nina ihn. „Ich hätte die Pille nehmen sollen. Jetzt weiß ich das auch. Aber... Ach, ist doch jetzt sowieso egal.“
„Was wirst du jetzt tun?“
„Ich denke darüber nach.“
„Wann wirst du’s Oliver sagen?“
„Bei Gelegenheit.“
„Was heißt das?“
„Malte, ich weiß es nicht. Ich muss erstmal klar im Kopf werden. Ich weiß doch wie das läuft wenn ich jetzt mit ihm rede. Im ersten Moment wird er sauer sein weil ich nicht sofort was gesagt habe, dann wird er sich wieder einkriegen, auf seine Vernunft hören und mir einen Lösungsvorschlag präsentieren der so aussieht, dass ich wieder bei ihm einziehe und er sich kümmern kann. Und wenn ich mir nicht klar bin was ICH will, lasse ich mich darauf ein und alles wird schlimmer als es ohnehin schon ist.“
„Klingt sinnig.“
„Du behältst es also für dich?“
„Du bist der Boss.“
„Dann fahr mich jetzt nach Hause.“


16. Kapitel

„Wartest du auf mich?“ Malte verriegelte sein Auto per Fernbedienung während er Richtung Haustür ging, wo Nina auf den mittleren Stufe saß.
„Nein, auf Oliver. Er hat vorhin angerufen.“
„Und er hat nur zwei Wochen gebraucht um sich zu melden.“
„Sei nicht so. Das ich schwanger bin war ein ziemlicher Schock für ihn.“
„Kann ich mir vorstellen. Du bringst sein perfekt organisiertes Leben durcheinander. Hat er irgendwas gesagt?“
„Nein.“
Nina wippte mit den Füßen leicht hin und her.
„Hauptsache ist doch, dass er bescheid weiß.“
„Ja. Ich bin jetzt nicht nur die böse Frau, die ihn verlassen hat, sondern auch die böse Frau, die ihm ein Kind anhängt.“
„Hör auf so zu reden.“
„Wenn ich meinen Humor nicht hätte, könnte ich mir gleich den nächsten Baum zum Aufhängen suchen.“
„Du hast einen sehr merkwürdigen Humor.“
„Besser merkwürdig als gar keinen.“
Nina erhob sich seufzend und ging ein paar Schritte die Einfahrt entlang.
„Denkst du, ich sollte wieder bei ihm einziehen?“
„Glaubst du, dass er das will?“
Sie zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß nicht. Aber ich halte es für möglich.“
„Und wieso?“
„Weil es aus seiner Sicht das vernünftigste ist. Das Kind braucht schließlich einen Vater.“
„Ach, und du meinst, alles wird anders nur, weil du ein Kind von ihm kriegst?“
„Vielleicht.“
Malte seufzte hörbar.
„Ich kann zwar absolut nicht nachvollziehen, was du an ihm findest, aber tu, was du für richtig hältst. Aber bevor du wirklich wieder bei ihm einziehst, denk in aller Ruhe darüber nach ob es das ist, was du willst. Überstürz nichts, du bist im Moment ein wenig...“
„Schwanger?“
„In hormoneller Schieflage.“
„Schöner Trost.“

Oliver parkte seinen Wagen vor dem Haus von Ninas Bruder und stieg aus. Der Gedanke, dass Nina schwanger war, kam ihm immer noch wie ein Fremdkörper vor. Er konnte sich einfach nicht erklären wieso sie ihm gesagt hatte, dass sie mit einem anderen Mann geschlafen hatte, aber nicht, dass sie schwanger war. Sie hatte es doch sicher gewusst.
„Hi Nina.“
„Hey.“
„Wartest du schon lange?“
Sie lächelte müde.
„Zwei Wochen?“
„Ich brauchte die Zeit. Ich...“
„Lass. Du musst dich nicht rechtfertigen. Ich hab auch Zeit gebraucht um mich mit diesem... Zustand anzufreunden.“
Nickend ging Oliver auf sie zu.
„Du siehst besser aus.“
„Mir wird nicht mehr so oft übel. Das macht schon was aus.“
„Und sonst? Ich meine, ist alles okay?“
„Ja, alles ist gut. Und bei dir? Wir läuft es so in der Firma?“
„Stressig, aber das ist ja nichts Neues.“
Obwohl ihm klar war, dass Nina nur nebenbei fragte um das Gespräch aufrecht zu erhalten, wusste er, dass es sie trotzdem interessierte.
„Du hast zuviel am Hals.“
„Fängt das jetzt wieder an?“
Eine Weile standen sie sich schweigend gegenüber. Nina zog die Hände aus ihren Taschen und senkte den Kopf.
„Es tut mir leid.“
„Dass du es nicht lassen kannst, mich zu provozieren?“
„Dass ich schwanger bin. Ich hätte...“
„Lass gut sein.“ Oliver nahm ihre Hände. „Den Schuh können wir uns getrost beide anziehen.“
„Ich könnte verstehen, wenn du sauer bist.“
„Sieh mich an.“
Nina hob vorsichtig den Kopf. Oliver wirkte kein bisschen wütend, wobei es bei ihm oft schwer zu sagen war, was wirklich in ihm vor ging. Selbst, wenn man ihn gut kannte.
„Warum sollte ich sauer sein? Du hast es doch nicht drauf angelegt.“
„Was macht dich so sicher? Ich meine, ich hab so vieles getan um dich zu kriegen und...“
Tränen sammelten sich in ihren Augen.
„Ich kenne dich.“
Nina zog ihre Hände aus seinen, dann drehte sie sich um und ging langsam los. Oliver folgte ihr. Es dauerte nicht lange, bis sie aus dem Dorf raus waren und an einer Bank ankamen.
„Setzen wir uns?“
Statt zu antworten, ließ Nina sich auf der Bank nieder. Oliver setzte sich neben sie.
„Das mit dem Baby, das hat mich ziemlich umgehauen.“
„Ich weiß.“
„Freust du dich drauf?“
„Schon. Auch wenn ich mir die Umstände irgendwie anders gewünscht hätte.“ Sie beugte sich etwas vor und schob ihre Hände unter ihre Oberschenkel. „Wäre es dir lieber gewesen, ich hätte...?“
„Auf keinen Fall. Ich bin absolut gegen Abtreibung. Das widerspricht meinem Glauben.“
„Widerspricht Sex vor der Ehe nicht auch deinem Glauben?“
„Willst du mit mir eine Grundsatzdiskussion über den Katholizismus führen?“
„Nein.“ Nina seufzte. „Ich will auch keine Giftpfeile nach dir schießen, aber... das sind die Hormone. Ich bin nur schwanger. Kein Grund, sich weiter Sorgen zu machen.“
Obwohl Oliver ihr das nicht so ganz abnahm, fragte er nicht weiter.
„Kann ich irgendwas für dich tun?“
Nina schüttelte den Kopf.
„Hast du, jemandem erzählt, dass ich schwanger bin?“
„Nein. Ich wollte das erstmal zwischen uns klären. Wem hast du es erzählt?“
„Malte weiß es. Und ich musste es Thomas sagen. Der brauchte ja schließlich ne Begründung für die Freistellung. Aber ich hab ihm gesagt, dass ich ihm den Kopf abreiße, wenn er es irgendwem erzählt.“
Oliver nickte zustimmend. Es war sicher das Beste, wenn sie erstmal unter sich ausmachen konnten, wie es nun weiter ging. Ohne dass sich jemand von außen einmischte.
„Was wird jetzt aus uns?“
Nina drehte ihren Kopf zu ihm.
„Uns?“
„Naja, immerhin bist du schwanger.“
„Du kannst den Test bekommen, wenn du willst.“
„Test?“
„Ich... Du... Du hast mal gesagt du würdest einen Vaterschaftstest verlangen wenn eine Frau behauptet, von dir schwanger zu sein und...“
„Nina, bitte“, unterbrach Oliver sie. „Wenn man dich so reden hört könnte man meinen ich sei der größte Kotzbrocken, der auf der Welt rumläuft.“
„Bist du ja manchmal auch.“
Oliver sah sie an.
„Du kennst mich. Und wenn du mir in die Augen siehst und mir sagst, dass das Kind von mir ist, dann glaube ich dir das. Auch ohne Test.“
„Würdest du das einer anderen...“
„Nein. Nur dir.“
Nina sah ihn lächelnd an.
„Du fehlst mir.“
Oliver erwiderte ihr Lächeln. Mit diesem Satz hatte er nicht gerechnet. Nicht nach allem, was zwischen ihnen passiert war. Aber so war Nina eben. Sie sagte nicht immer Dinge, mit denen man rechnete. Dazu sah sie gerade aus, wie aus einem Kitschfilm entsprungen. Verheult und irgendwie glücklich. Sie sah aus wie eine Frau, die er in diesem Moment wahnsinnig gerne küssen würde. Aber er tat es nicht.
„Kommst du zurück in unsere Wohnung?“
Als Nina den Kopf senkte, sah sie, dass sein Knie gerade ihres berührte.
Unsere Wohnung.
„Ich wusste, dass du das fragen wirst.“
„Bin ich so vorhersehbar?“
„Du kannst eben nicht aus deiner Haut.“
„Ist das sehr schlimm?“
„Eigentlich nicht.“
Wieder schwiegen sie eine Weile. Nina wusste, dass er eine Antwort erwartete, aber sie war sich immer noch nicht sicher, welche Antwort für sie die richtige war.
„Ich hab darüber nachgedacht.“
„Tatsächlich?“
„Wieso wundert dich das?“
„Du hast mal gesagt, du würdest nie mit einem Mann zusammen ziehen, nur weil du schwanger bist.“
„Da wusste ich auch noch nicht, wie sehr eine Schwangerschaft alles verändert.“
„Was heißt das?“
„Dass ich es nicht ausschließe. Aber vielleicht sollten wir uns noch etwas Zeit nehmen um uns an den Gedanken zu gewöhnen dass... wir in absehbarer Zeit ein Baby haben werden.“
Der Vorschlag klang vernünftig. Auch wenn es Oliver lieber gewesen wäre, sie würde sofort zurückkommen.
„Wann ist es denn so weit?“
„Ende Januar.“
„Und bislang läuft alles nach Plan?“
„Mein Gynäkologe sagt, ich bin eine vorbildliche Schwangere.“
„Und was sagst du?“
„Es ist keine Kunst eine vorbildliche Schwangere zu sein, wenn man sonst nichts zu tun hat.“
„Auch nicht, wenn man eine Gemüse und Bewegung hassende Nina Brand ist?“
„Ich hasse Gemüse nicht. Mir sind andere Lebensmittel nur einfach lieber.“
Nina erhob sich.
„Lass uns zurück gehen.“
Sie setzten sich langsam in Bewegung.
„Nina?“
„Hm.“
„Ich will... Wenn du irgendwo hin musst oder wenn du irgendwas brauchst, sag’s mir einfach, okay?“
„Okay.“
„Und wenn irgendwas ist, ruf mich sofort an. Egal wann.“
„Egal wann? Auch nachts?“
„Wenn es nötig ist, auch dann.“
Inzwischen waren sie wieder an ihrem Ausgangspunkt angekommen und Oliver entriegelte sein Auto. Als er einsteigen wollte, hielt Nina ihn zurück.
„Du musst das nicht tun.“
„Ich will aber.“
„Aber für den Fall, dass du es dir anders überlegst und...“
„Warum sollte ich es mir anders überlegen?“
„Zum Beispiel, weil du das Kind nicht willst oder...“
„Ich habe mit keinem Wort gesagt, dass ich es nicht will.“
„Du hast auch nicht gesagt, dass du es willst. Außerdem kann ich mich noch genau daran erinnern wie du gesagt hast, dass du erst eine Familie gründen willst, wenn du 30 bist. Und man muss kein Rechengenie sein um zu wissen, dass es bis dahin noch ein paar Jahre sind.“
„Man kann nicht alles planen, das solltest du doch inzwischen wissen. Gut, es war nicht geplant, dass ich jetzt Vater werde, aber eine Katastrophe ist es auch nicht.“
Nina seufzte.
„Oliver?“
„Mh.“
„Ich weiß nicht ob ich das so hinkriege wie ich mir das vorstelle.“
Oliver nahm ihre Hand. „Ich kann mir dich so gut als Mutter vorstellen. Du kriegst das hin, ganz sicher. Und außerdem... Das Kind hat schließlich auch einen Vater.“


18. Kapitel

Nina zupfte noch etwas an ihrem Shirt herum während sie sich im Spiegel betrachtete. Wenn sie ehrlich war, mochte sie rosa nicht besonders, aber in der Kombination, in der sie es gerade trug, wirkte es nicht so übertrieben. Nicht so wie bei den kleinen, blonden Mädchen, die von Kopf bis Fuß in rosa gekleidet in den Kindergarten spazierten und wie Püppchen aussahen. Ihr kleines Mädchen würde nie so aussehen.
Seit dem Vortag wusste sie, dass es ein Mädchen werden würde. Sie war, zusammen mit Oliver, bei der Ultraschalluntersuchung gewesen und sie war einfach zu neugierig, als dass sie einfach wieder hätte gehen können.
„Hey Nina, hast du... wow.“
Malte blieb in der Tür stehen und sah fasziniert und gleichzeitig belustigt zu, wie Nina sich im Spiegel betrachtete.
Sie drehte ihren Kopf zu ihm.
„Kann ich mich so vor die Tür trauen? Wie sehe ich aus?“
„Du siehst... schwanger aus.“
„Also noch fetter als sowieso schon.“
„Nein. Du siehst schön schwanger aus.“
„So, wie du das sagst, klingt es wie eine Beleidigung.“
Nina sah wieder in den Spiegel.
„Dabei meine ich das wirklich ernst.“
„Vielleicht sieht man in Umstandskleidung automatisch doppelt so schwanger aus, wie man eigentlich ist.
„Doppelt so schwanger gibt es nicht. Es gibt nur schwanger oder nicht schwanger.“
„Was macht dich so sicher? Du warst noch nie schwanger.“
Malte schlug sich mit der flachen Hand leicht gegen die Stirn.
„Du hast sie nicht mehr alle.“
„Pass auf was du sagst, sonst fange ich gleich wieder an zu heulen.“
„Ich sag es gerne noch einmal: Du siehst gut aus.“
„Ich sehe schwanger aus.“
„Du bist schwanger.“
„Deswegen muss ich noch lange nicht so aussehen.“
„Ich dachte, du freust dich auf das Baby.“
„Das tue ich ja auch.“
„Warum stört dich dann, dass du schwanger aussiehst?“
„Weil Oliver heute seinen Geburtstag feiert und ich nicht weiß, wie vielen von seinen Freunden er inzwischen erzählt hat, dass er Vater wird. Und deswegen will ich niemanden unnötig zu diesen guck mal, Nina ist schwanger-Blicken provozieren.“
„Lass dich nicht so verunsichern. Du kannst deinen Bauch nunmal nicht wegzaubern. Und Oliver soll sich nicht so anstellen. Früher oder später wissen es sowieso alle.“
Nina ließ sich aufs Bett fallen und seufzte. „Brüder.“
Malte betrat das Zimmer und setzte sich neben sie. „Was hat er denn gesagt? Sollst du dich in Sack und Asche hüllen?“
„Nichts. Er hat gar nichts gesagt. Außer, dass er nicht sauer wäre wenn ich zu Hause bleibe wenn ich mich nicht wohl fühle.“
„Wann habt ihr euch das letzte Mal gesehen?“
„Gestern nachmittag.“
„Gestern?“ Malte sah sie irritiert an. „Ich dachte, da warst du bei...“
„Beim Ultraschall. Ja. Oliver war mit.“
„Wie hast du ihn denn dazu gekriegt?“
„Ob du es nun glaubst oder nicht, er ist freiwillig mitgekommen.“
„Wunder geschehn.“
Seufzend rappelte Nina sich hoch. „Wirst du es irgendwie hinkriegen, ihn nicht ständig als den Bösen zu sehen? Immerhin ist er der Vater deiner Nichte und ich muss das beste draus machen. Und das letzte was ich will ist, dass andere Leute ihr eintrichtern, dass ihr Papa...“
„Ein Vollidiot ist?“
„So in etwa.“
„Ich werde sehen, was ich tun kann.“ Malte küsste sie auf die Stirn, dann erhob er sich. „Ich muss los.“
„Sehen wir uns heute Abend auf der Party?“
„Mal sehen. Ach, und was deine Klamotten angeht...“
„Ja?“
„Das schwarze, das du vorhin anhattest... Schick das zurück, darin siehst du depressiv aus.“

Eine knappe Stunde später stieg Nina aus ihrem Auto. Sie atmete einmal tief durch bevor sie die Produktionshalle betrat, in der Oliver am Abend seinen 25. Geburtstag feiern wollte und wo er nun dabei war, alles vorzubereiten. Nina war gerade an der Tür angekommen, als diese auf ging und Oliver heraus kam.
„Was machst du denn hier?“
„Ich dachte, ich kann dir vielleicht was helfen und...“
„Und was?“
Nina öffnete zog den Reißverschluss ihrer Jacke auf und zog sie aus.
Oliver wartete einen Moment bevor er etwas sagte.
„Was genau soll ich jetzt sagen?“
„Findest du, dass ich schwanger aussehe?“
„Du bist schwanger.“
„So weit war ich mit Malte auch schon.“ Nina seufzte. „Was ich eigentlich wissen wollte ist... Darf ich so kommen? Ich meine, so groß ist mein Bauch noch nicht, aber er wird etwas betont und...“
„Fühlst du dich wohl?“
„Ja, schon, aber...“
„Wo ist dann das Problem?“
„Wenn du es übertrieben findest, dann...“
Oliver lächelte. Diese Unsicherheit passte irgendwie nicht zu Nina. Zumindest nicht zu der Nina, zu der sie sich im Laufe der letzten Jahre entwickelte hatte. Die, mit der großen Klappe und der eigenen Meinung, die sie sich nicht von anderen ausreden ließ. Aber es gefiel ihm.
„Nein. Ich finde das sogar irgendwie sexy.“
„Komm, verarsch mich nicht.“
„Das tue ich nicht.“
Oliver legte seine Hände an ihre Seite ohne seinen Blick von ihr abzuwenden und schob sie langsam um ihren Körper. Dabei zog er sie an sich heran bis ihr Bauch seinen berührte.
Nina wich seinem Blick aus. Sie wusste, dass er das, was er sagte, ernst meinte. Aber sie wollte es nicht hören. Nicht jetzt, wo ihr Hormonhaushalt schon wegen der Schwangerschaft genug verrückt spielte. Sie war froh, dass sie, nach allem was passiert war, wieder einen Weg gefunden, miteinander umzugehen und sie wollte das nicht wieder kaputt machen. Es war gut so, wie es war. Und wenn das Baby erstmal auf der Welt war, dann...
„Wohin schwebst du gerade?“
„Scht.“
„Was?“
Nina machte einen Schritt zurück, so dass sie ihre Hände auf ihren Bauch legen konnte. Da war es wieder. Dieses leichte Gluckern in ihrem Bauch, dass, wenn sie ihrem Arzt glauben schenken sollte, von ihrem Baby verursacht wurde indem es strampelte.
„Nina, was ist?“
Sie sah zu ihm hoch.
„Ich spür das Baby.“
Ihre Stimme war nur ein Flüstern. Oliver sah aus, als würde er etwas sagen wollen, aber er bekam keinen Ton heraus. Schon am Vortag beim Ultraschall, als er erfahren hatte, dass es ein Mädchen werden würde, hatte er keinen Mucks von sich gegeben. Nina griff nach seiner Hand und führte sie zu der Stelle, wo eben noch ihre Hand gelegen hatte.
„Spürst du das? Das Blubbern?“
„Ist es das?“
„Mh.“
Nina hörte ihn leise ausatmen und sah, wie er die Augen schloss. Natürlich hatte sie mal gelesen, dass es ein großer Moment sei, wenn man das erste Mal die Bewegung seines Kindes bewusst wahr nahm, erst recht, wenn man es gemeinsam mit seinem Partner erlebte. Und natürlich war es für sie ein besonderer Moment gewesen, als sie am Vormittag, nachdem sie mit Oliver telefoniert hatte, zum ersten Mal sicher war, dass sie spürte wie sich das Baby bewegte. Aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass es Oliver so nahe gehen würde.
Als Oliver die Augen öffnete, sah er direkt in Ninas Gesicht und noch bevor sie sich wegdrehen oder ihn anders aufhalten konnte, landeten seine Lippen auf ihren. Für den Bruchteil einer Sekunde war Nina versucht gewesen, ihn wegzustoßen, aber er küsste sie so sanft und zaghaft, dass sie es nicht fertig brachte sondern statt dessen ebenfalls die Augen schloss und seinen Kuss ebenso zaghaft zu erwidern.
„Und ich dachte, hier wird gearbeitet.“
Lukas war nun aus der Halle gekommen um nachzusehen, wo Oliver so lange blieb und hatte die beiden knutschend auf dem Hof vorgefunden.
„Ich komme ja schon.“

Am frühen Abend war Nina die erste, die auf der Party ankam. Sie wollte nicht so lange bleiben, deshalb war sie eher losgefahren um noch ein paar Minuten mit Oliver allein zu haben.
„Henrik kommt in zehn Minuten mit den Würstchen.“ erklärte Oliver als Nina gerade an der Stereoanlage stand und das Radio einschaltete.
„It’s been seven hours and fifty days...“
Sinead O’Connor hatte gerade mit ihrem Song Nothing compares to you begonnen als Oliver noch schnell über den Tisch wischte, auf dem vorhin die Wasserflasche beim Öffnen übergesprudelt war.
„Eigentlich sind es 53 Tage.“
Nina, die eben noch völlig auf das Lied konzentriert war, drehte sich um.
„Wovon redest du?“
„Das Lied. Das mit uns.“ erwiderte Oliver mit immer leiser werdender Stimme. „53 Tage – since you took your love away.“
Nina wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie wusste nicht, was sie mehr erstaunte. Die Tatsache, dass er ausgerechnet den Text dieses Liedes kannte, dass er die Tage gezählt hatte seit sie gegangen war oder dass er beides in einen Zusammenhang brachte. Und obwohl er es so sachlich formuliert hatte, seine Stimmt klang bedrückt. Und er hatte wieder diesen Ausdruck in den Augen, den sie nur an ihm kannte, wenn sie ihn mit irgendwas gekränkt hatte, nur jetzt war er intensiver.
Es war das erste Mal, seit diesem Abend vor – wenn er recht hatte – 53 Tagen, dass er ansatzweise durchblicken ließ, wie er die Sache sah.
Nina nahm seine Hand.
„Das ist nicht wahr.“
„Ich habe einen Kalender da. Du kannst gerne nachzählen.“
Nina schüttelte den Kopf.
„Das meine ich nicht.“
„Sondern?“
„Since you took your love away – das stimmt nicht.“
„Stimmt,“ erwiderte Oliver bitter während er seine Hand zurück zog, „das hast du schon getan, als du mit dem andern ins Bett gegangen bist.“
„Aber...“ Nina holte tief Luft. Das war so typisch Oliver. Er hatte seine Meinung und es sah nicht so aus, als sei daran zu rütteln. Aber das würde sie sich nicht gefallen lassen. „Als wir über den Vertrag gesprochen haben hast du gesagt, es bleibt alles wie es ist. Du hast nicht gesagt, dass du der einzige bist, der sich durch die Gegend vögeln darf.“
„Ich hab mich aber nicht durch die Gegend gevögelt!“ schrie er sie plötzlich an. „Du hast dich von einem anderen ficken lassen!“
Nina wich erschrocken zurück bis sie mit den Kniekehlen gegen eine der Bänke stieß.
Für einen Moment war Oliver wie erstarrt, dann verließ er fluchtartig die Halle.
Nina ließ sich wie einen nassen Sack auf die Bank fallen und schloss für einen Moment die Augen. Hatte der Oliver, der sich sonst immer so im Griff hatte, sie gerade angeschrien? Sie fuhr sich mit den Händen übers Gesicht.
„Nina?“
Nina öffnete die Augen und sah Henrik hektisch auf sich zu kommen.
„Nina, bist du okay?“
„Hi Henrik. Mir geht’s gut.“
„Bist du sicher? Oliver hat mit beinahe die Tür gegen den Kopf gedonnert, er war kreidebleich und als ich ihn gefragt habe was los ist, konnte er mit Mühe und Not deinen Namen rauskriegen.“
Nina seufzte.
„Oliver ist ausgeflippt.“
„Was meinst du mit ausgeflippt?“
„Er ist ausgeflippt. Er hat mich angebrüllt und für einen Moment dachte ich, er packt mich und schüttelt mich mal so richtig durch.“
„Oliver? Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich kenne ihn jetzt seit über zehn Jahren. Er ist noch nie laut geworden.“
Nina zuckte mit den Schultern.
„Dann war das wohl gerade das erste Mal. Kannst du... nachsehen wie es ihm geht? Ich... glaub nicht, dass er mit mir redet.“
Henrik nickte und verließ die Halle. Er ging über das Betriebsgelände zu Oliver, der am hinteren Ende der Halle auf einem Stapel Paletten saß. Wortlos ließ er sich neben seinem Freund nieder.
Oliver hob langsam den Kopf und sah Henrik fragend an.
„Es geht ihr gut.“
„Sicher?“
Henrik zuckte mit den Schultern.
„Sie wirkte etwas durcheinander und ich glaube, sie würde gerne mit dir reden.“
„Nein.“
„Wieso nicht? Was war denn los?“
„Hat sie nichts gesagt?“
„Dass... du ihr einen ziemlichen Schrecken eingejagt hast.“
Oliver erhob sich seufzend und ging ein paar Schritte.
„Ich kann das nicht.“
„Was kannst du nicht?“
„Ich kann nicht weiter so tun als wenn nichts passiert wäre. Ständig habe ich dieses Bild im Kopf. Ich stelle mir vor wie sie mit einem anderen Typen rummacht. Das macht mich wahnsinnig.“
Henrik erhob sich ebenfalls.
„Sie hat einen anderen?“ fragte er leicht irritiert.
„Sie hat mich betrogen.“
„Kannst du mir das bitte erklären? Von vorne, für blöde?“
„Als wir zusammen gewohnt haben, hat sie mit einem anderen geschlafen.“
„Und jetzt? Ich meine, wie geht es mit euch weiter?“
„Mit uns geht es überhaupt nicht weiter. Sie hat entschieden, dass ich nicht der Richtige für sie bin und ich akzeptiere das.“
„Und das Baby?“
„Zu dem stehe ich.“
„Und Nina?“
„Was und Nina?“
„Mann, Oli, du liebst Nina. Hast du ihr das mal gesagt?“
„Nina weiß, wie wichtig sie mir ist.“
„Tatsächlich? Kann sie hellsehen?“
„Sie kennt mich.“
Henrik verdrehte seufzend die Augen.
„Ich wette sie hat dir gesagt, was sie für dich empfindet.“
„Wenn sie mich wirklich lieben würde, wäre sie weder mit einem anderen in die Kiste gestiegen noch aus unserer Wohnung ausgezogen.“
„Du machst es dir zu einfach.“ Obwohl Henrik wusste, dass seine Chancen gering waren, mochte er mit seinem Versuch, Oliver zur Vernunft zu bringen, noch nicht aufhören. „Ich weiß, das mit Kerstin ist damals voll in die Hose gegangen, aber jetzt mach nicht wieder denselben Fehler. Nina...“
„Oliver?“
Beide drehten sich um. Nina war aus der Halle gekommen und stand nur ein paar Schritte von ihnen entfernt. Oliver wagte kaum, sie anzusehen.
„Ich will das nicht.“ sagte sie leise.
Langsam kam sie näher, doch Oliver wich immer weiter zurück.
„Bitte, Oli. Ich will nicht, dass wir aufhören miteinander zu reden. Dass einer von uns das Gefühl haben muss, dem anderen nicht alles sagen zu können.“
Für einen Moment sah er ihr in die Augen.
„Bitte geh.“
Nina schluckte. Henrik sah ihr an, dass es ihr nicht leicht fiel, aber sie nickte nur kurz und machte sich dann auf den Weg.
„Was soll das?“
Henrik sah Oliver an.
„Sie verlässt mich wieder.“
„Du hast gesagt, sie soll gehen.“
„Sie hat nie das getan, was ich wollte.“
„Sie ist schwanger, da ist Stress das letzte, was sie brauchen kann.“ Henrik ließ Oliver stehen und lief Nina nach. „Nina! Warte!“
Nina hatte gerade die Tür ihres Autos geöffnet als Henrik bei ihr ankam.
„Er will nicht, dass du gehst.“
„Ich weiß.“
„Er ist... durcheinander.“
„Ich weiß.“
„Oliver liebt dich.“
„Ich weiß.“ seufzte Nina. „Zumindest rede ich es mir erfolgreich ein.“
„Und du gehst trotzdem?“
„Ich hab von Oliver gelernt, dass ich nicht bekomme was ich will, wenn ich es nicht sage. Warum soll er bekommen was er will, wenn er es nicht sagt?“
„Oliver kann Gefühle nicht so ausdrücken wie... wie du es dir vielleicht wünschst.“
Nina drehte sich um und sah Henrik an.
„Henrik, Oliver und ich kennen uns jetzt seit über fünf Jahren. Wir haben fünf Monate zusammen gewohnt, er weiß mehr über mich als ich je einem anderen erzählt habe. Und er weiß auch, dass ich keine romanträchtige Liebeserklärung brauche. Das einzige, was er tun muss, ist zu sagen, dass er mich will. Das werde ich ihm nicht abnehmen. Ich geb nicht mehr klein bei nur damit er sich nicht anstrengen muss.“


18. Kapitel

„Was meinst du? Yoga, Schwimmen oder Standard?“
Nina sah Malte fragend an.
„Standard was?“
„Geburtstvorbereitung. Yoga, Schwimmen oder Standard?“
„Keine Ahnung. Ich muss da doch nicht hin.“
„Angenommen Paula wäre schwanger und würde dich fragen, würdest du da auch so reagieren?“
„Nein, sonst hätte ich danach wohl kein glückliches Leben mehr.“
„Aber mit mir kann man’s machen. Ich bin ja bloß deine Schwester.“
„Richtig.“ Malte setzte sich zu ihr an den Küchentisch. „Aber da du anscheinend trotzdem eine Antwort von mir willst: Yoga.“
„Du würdest zum Yoga gehen?“
Malte verdrehte die Augen.
„Ich? Nee. Aber für dich ist das was. Schwimmen ist was für Leute, die sich beim Tauchen nicht ständig die Nase zu halten und die Standardvariante ist für dich zu mainstream, also eher Olivers Variante. Für den Fall, dass er mitkommt würde ich dir also raten...“
Nina seufzte.
„Willst du mir nicht langsam mal erzählen was letztens zwischen euch los war? Ich meine, nicht mal Olis Partys sind so mies dass man es nicht länger als eine halbe Stunde aushält.“
„Er hat mir vorgeworfen, dass... ich mit einem anderen geschlafen habe.“
„Pff. Der Typ soll mal den Ball ganz flach halten. Wer hat denn immer...“
„Oliver hat mit keiner anderen Frau geschlafen seit... Seit Februar.“
„Behauptet er.“
„Ja und ich glaube ihm das. Er würde mich nicht anlügen was das angeht.“
Malte lehnte sich zurück.
„Und ich dachte, ihr hättet euch wieder angenähert.“
„Das hatten wir ja auch. Als ich morgens bei ihm war, da... Da haben wir uns geküsst. Und das war so...“
„Bitte.“ Malte hob die Hand. „Verschon mich mit Einzelheiten.“
„Dass ich mit Tobi geschlafen habe, hat ihn ziemlich verletzt.“
„Er soll sich nicht so mädchenhaft anstellen. Er war schließlich jahrelang um nichts besser.“
„Aber wenn ich mich auf diesen wie du mir so ich dir- Scheiß einlasse, hat das nie ein Ende.“
„Genau genommen wird das nie ein Ende haben wenn du nicht wieder bei ihm angekrochen kommst.“
„Ich will aber, dass er einlenkt. Ihm wird schon kein Zacken aus der Krone brechen wenn er einmal sagt, dass er mich liebt.“
„So siehst du das.“
„Ja, so sehe ich das.“
„Ich wette für ihn wäre das ein Zeichen von Schwäche.“
„Scheiß Machogehabe. Ich weiß, dass er anders kann.“
„Du wirst ihn nie aufgeben, oder?“
Nina seufzte.
„Zumindest nicht bis ich mir sicher bin, dass ich keine Chance mehr habe.“
„Du glaubst wirklich, dass er sich dazu herablässt, Gefühle zu zeigen?“
„Wahrscheinlich ist das naiv, aber... ja, ich glaube er wird es tun. Die Frage ist nur wann.“
„Und darauf willst du warten? Meinetwegen, aber beschwer dich nicht, wenn irgendwann dein Traummann an dir vorbei läuft.“
„Oliver ist mein Traummann.“
„Du hättest echt was besseres verdient.“
Nina verdrehte die Augen.
„Du bist furchtbar.“
„Ich bin dein Bruder. Ich muss so sein.“

Knapp vier Wochen nach Oliver hatte Nina Geburtstag. Am Morgen des 15. September stand Nina in der Küche neben dem Kühlschrank als ihr Handy klingelte. Sie sah aufs Display, dann hob sie ab.
„Oliver.“
„Hey. Ich wollte dir nur kurz zum Geburtstag gratulieren.“
„Schade.“
Seufzend stellte sich Nina ans Fenster und sah hinaus.
„Dass ich anrufe?“
„Nein. Ich freu mich, dass du anrufst. Ich hatte nur gehofft du würdest heute Abend vorbeikommen. Wir haben uns seit deinem Geburtstag nicht gesehen und...“
„Ich hab ziemlich viel um die Ohren und...“
„Das weiß ich. Aber du...“
Nina sprach nicht weiter. Er hatte es immer geschafft, sich mit ihr zu treffen wenn er es gewollt hatte. Sie wusste, dass er ihr seit seinem Gefühlsausbruch aus dem Weg ging, aber das wollte sie ihm nicht vorwerfen.
„Ich würde mich freuen wenn du kommst.“
„Ich werde sehen was sich machen lässt. Aber garantieren kann ich für nichts.“
„Okay. Was machst du heute so?“
„Ich hab Kundentermine.“
„Na dann, viel Erfolg.“
„Danke. Ich wünsch dir einen schönen Geburtstag.“
„Danke. Machs gut.“
Nina legte auf. Sie war sich nicht sicher ob sie sich wirklich darüber freute, dass Oliver angerufen hatte. Sie redeten miteinander wie Fremde. Oder jedenfalls nicht wie Menschen, die sich mal so nahe gestanden hatten. Sie ließ ihr Handy in ihrer Tasche verschwinden und lehnte sich mit dem Kopf an einen Küchenschrank. Vielleicht sollte sie ihm ein Ultimatum stellen. Es konnte ewig dauern bis es bei ihm klick machte und sie wusste nicht, ob sie so lange warten konnte. Manchmal fragte sie sich, ob es nicht besser gewesen wäre, sie wäre zu ihm in die Wohnung zurückgegangen als er sie gefragt hatte. Vielleicht wäre das für ihn einfacher gewesen.

Nina hatte gerade ihren letzten Gästen zum Abschied gewunken als Oliver mit seinem schwarzen Sorento vor dem Haus hielt. Er stieg aus und blieb etwas unsicher neben seinem Wagen stehen. Was war, wenn sie ihm übel nahm, dass er am Morgen versucht hatte, sich vor dieser Begegenung zu drücken? Aber sie sah nicht sauer aus. Sie kam lächelnd auf ihn zu.
„Oli.“
„Hi. Ich weiß, es ist spät und ich bleibe auch nicht lange, ich wollte nur...“
„Schön, dass du da bist. Komm rein.“
Nina war schon auf dem Sprung als Oliver sie zurückrief.
„Warte.“
Sie drehte sich wieder zu ihm. Oliver öffnete die hintere Autotür und nahm einen riesigen Blumenstrauß vom Rücksitz.
„Keine Rosen.“ stellte Nina fest als sie den Strauß entgegennahm.
„Du magst Rosen nicht.“
„Stimmt.“
„So kannst du mir wenigstens nicht vorwerfen, dass ich dir nie zuhöre.“
„Das hätte ich auch nicht.“
Sie gingen ins Haus. Nina knipste das Licht im Wohnzimmer wieder an.
„Setz dich. Ich stell eben die Blumen ins Wasser. Magst du was trinken?“
„Wasser.“
„Okay.“
Nina verließ das Wohnzimmer. Oliver setzte sich aufs Sofa. Er hatte den ganzen Tag überlegt ob er herkommen sollte odernicht, aber jetzt war er froh, sich dazu durchgerungen zu haben. Er vermisste Nina. Zwar hatte er wirklich viel zu tun, in der Firma stapelte sich die Arbeit, beim DRK ging es heiß er und der Wahlkampf für den Stadtrat war in die heiße Phase gegangen. Eigentlich hatte er keine Zeit sie zu vermissen, aber er tat es.
„Hast du was gegessen?“
Ninas Stimme holte ihn aus seinen Gedanken. Jetzt erst bemerkte er die Leere in seinem Magen.
„Heute mittag irgendwann.“
„Dachte ich mir.“
Nina betrat das Wohnzimmer. Sie hatte die Tür mit dem Hintern aufgeschoben, da sie beide Hände voll hatte. Mit der linken Hand trug sie einen Korb, mit der rechten einen Teller Pizzabrötchen.
„Hier.“
Sie stellte den Teller vor Oliver auf den Tisch.
„Die sind übrig geblieben. Als hätten sie auf dich gewartet.“
Oliver griff nach einem Pizzabrötchen während Nina Gläser auf den Tisch stellte und eines mit Wasser und das andere mit Orangensaft füllte.
„Nicht, dass du mich für unhöflich hältst, aber, macht es dir was aus, wenn ich meine Füße hoch lege?“
„Nein. Gar nicht. Es macht mir auch nichts aus, wenn du mich rauswirfst weil du ins Bett willst.“
„Will ich gar nicht.“
Nina nahm die zusammen gefaltete Decke vom Sessel und legte sie ans Sofaende.
„Ich bin ja nicht müde. Und jetzt, wo wir ungestört sind... vielleicht können wir über ein paar Dinge reden.“
„Zum Beispiel?“
„Zum Beispiel über...“ Nina legte sich auf das Sofa, lehnte sich an die Wolldecke und platzierte ihre Füße auf Olivers Oberschenkeln. „Darüber, dass ich mich für einen Geburtsvorbereitungskurs angemeldet habe. Yoga.“
„Yoga?“
„Ich wollte nicht in den normalen Kurs.“
„Warum nicht?“
„Weil ich... Da gehen Frauen hin, die schwanger sind und sich in den nächsten Jahren über nichts anderes als über Kinder unterhalten können. Ich will nicht eine von denen werden.“
„Das wirst du nicht.“
„Was macht dich so sicher?“
„Weil du nie das tust, was alle anderen tun..“
„Vielleicht habe ich mich verändert.“
Eine Weile schwiegen sie.
„Nina?“
„Ja?“
„Es tut mir leid.“
„Was?“
„Dass ich so ausgeflippt bin. Ich hätte mich besser unter Kontrolle haben müssen.“
Nina seufzte.
„Es war nicht schlimm, dass du mich angebrüllt hast.“
„Nein?“
„Nein. Das was jetzt ist, dass du mir aus dem Weg gehst, nicht mehr anrufst, das ist schlimm. Ich dachte, wir könnten... normal miteinander umgehen.“
„Wir befinden uns in einer schwierigen Situation.“
„Aber... Wir sind erwachsen. Wieso können wir nicht einfach miteinander reden?“
„Vielleicht weil manche Dinge eben nicht so einfach sind.“
Wieder schwiegen sie eine Zeit lang.
„Warst du schon zum Yoga?“
„Einmal. Es ist ganz okay.“
„Hm.“
„Gib mir deine Hand.“
Nina hob ihre Hand und wartete, bis Oliver ihr seine gereicht hatte. Dann legte sie seine Hand auf ihren Bauch und ihre auf seine.
„Wir sollten anfangen, uns einen Namen zu überlegen. Ich weiß, es ist noch eine Weile hin, aber ich hab keine Lust, das auf den letzten Drücker zu entscheiden.“
„Hast du schon eine Idee?“
„Ich dachte, wir tun das zusammen. Schließlich ist es unsere Tochter.“
Oliver zog seine Hand zurück, schob ihre Füße von seinen Beinen und stand auf.
„Ich muss gehen. Es ist spät.“
Nickend rappelte Nina sich vom Sofa hoch und brachte Oliver zur Tür.
„Schlaf gut, Nina.“
„Sehen wir uns bald? Ich meine, wirklich bald und nicht erst wieder in vier Wochen?“
„Kann ich noch nicht sagen. In knapp zehn Tagen ist die Wahl und...“
„Lauf nicht immer vor mir weg, Oliver.“
„Ich ruf dich an.“
„Versprochen?“
„Versprochen.“


19. Kapitel

„Nina.“
Henrik, der gerade aus dem Bürogebäude kam als Nina hineingehen wollte, blieb überrascht stehen.
„Hallo Henrik.“
„Was machst du denn hier?“
„Oli ist der Kaffee ausgegangen und er hat mich gebeten welchen zu besorgen.“
„Ihr redet also wieder miteinander.“
„Wenn wir uns gemeinsam um unser Kind kümmern wollen können wir uns nicht ewig ignorieren.“
Henrik nickte zustimmend.
„Da hast du sicher Recht. Heißt das, ihr nähert euch wieder an?“
„Oliver ist so ein sturer Esel.“
„Ich dachte, das Baby bringt ihn vielleicht dazu mit dir über seine Gefühle zu reden.“
Nina zuckte mit den Schultern.
„Es ist ja noch nicht auf der Welt.“
„Oliver sagt, ihr seht euch wieder regelmäßig.“
„Hm. Wir haben eine Menge Dinge zu regeln. Ich meine, es wird sicher nicht leicht, Olivers und meine Vorstellung von Erziehung unter einen Hut zu kriegen.“
Henrik sah Nina nachdenklich an. Er konnte sich nicht vorstellen, dass es ihr wirklich nur um das Baby ging. Sie hatte zwar gesagt, dass es an Oliver war, den ersten Schritt zu tun, aber es konnte sie offensichtlich nichts davon abhalten, ihm immer wieder Brücken zu bauen.
„Kann ich dich was fragen?“
„Von mir aus.“
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass jede Frau so viel Geduld mit ihm hätte. Warum du?“
„Ich glaube, ich kenne ihn einfach besser als andere. Ich weiß, dass er... mehr Zeit braucht. Dass Kerstin sich damals von ihm getrennt hat, hat bei ihm richtig was kaputt gemacht.“
„Woher weißt du, dass sie sich von ihm getrennt hat?“
„Wenn beide die Trennung gewollt hätten, wäre nicht monatelang Eiszeit zwischen ihnen gewesen. Außerdem... Wir haben mal darüber gesprochen und Oliver hat mir nicht widersprochen als ich ihm meine Theorie an den Kopf geknallt habe.“
„Hm.“
Henrik wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Offensichtlich hatte er sich, was Nina betraf, in einigen Punkten getäuscht. Er hatte immer angenommen, dass sie sich aus lauter Verliebtheit einiges von ihm gefallen ließ, dass keine halbwegs vernünftige Frau mit sich hätte machen lassen. Doch wenn er jetzt so darüber nachdachte schien sie durchaus zu wissen was sie tat.
„Schonmal ans Aufgeben gedacht?“
Nina lachte kurz.
„Ständig. Aber es hat nie funktioniert.“
„Aber was eure Beziehung angeht...“
Ninas Gesichtsausdruck wurde wieder ernst.
„Was das angeht, habe ich meinen Standpunkt nicht verändert. Und das werde ich auch nicht.“
„Verstehe. Na dann, viel Glück.“

Nur ein paar Tage später hatte sich Oliver den Nachmittag frei gehalten um mit Nina ein paar Sachen für das Baby zu kaufen. Er schien sich in letzter Zeit immer mehr mit dem Thema zu beschäftigen, denn manchmal überraschte er sie mit einem Wissen, dass sie sonst nur lesebegeisterten Schwangeren zugetraut hätte. Stellenweise hatte sie sogar den Eindruck, dass er sich trotz allem auf das Baby freute.
Leise seufzend sah Nina auf das Preisschild des Kinderwagens, vor dem sie stand. 289,99¤. Viel Geld für einen Kinderwagen. Für den schönsten Kinderwagen. Den, den sie gekauft hätte, wenn sie einen Kontostand gehabt hätte, der vorne mindestens eine drei und danach mindestens noch drei weitere Zahlen aufwies. Ohne ein Minus davor stehen zu haben. Aber das hatte sie nicht und deshalb würde sie sich wohl oder übel auf die Low Budget Variante einlassen müssen.
„Hast du an dem irgendwas auszusetzen?“
Oliver, der schon einmal die ganze Reihe Kinderwagen abgelaufen hatte, blieb neben ihr stehen.
„Nichts, wenn man mal vom Preis absieht. Dafür kann ich zehn Tage all inclusive nach Malle fliegen wenn ich Glück habe.“
„Qualität hat ihren Preis.“
Nina verkniff sich eine Bemerkung und beschloss, sich dem Thema Kinderwagen später wieder zuzuwenden.
„Ich glaube, ich fang mit den anderen Sachen an.“
„Was steht denn alles auf der Liste?“
„Wickeltasche, Schlafsack, Schnuller, Fläschchen, ein Schmusetier in zweifacher Ausführung, ein paar Bodies und ein Autositz.“
Nina hatte sich einen Einkaufswagen geschnappt und schob ihn nun langsam durch die Reihen.
„Jetzt, wo du es sagst... Meine Eltern würden den Autositz gerne übernehmen. Bei Mia haben sie es damals auch so gemacht.“
„Schön. Ein Problem weniger.“
Nina strich den Autositz von ihrer Liste und ging langsam weiter. Oliver ging schweigend neben ihr her und sah zu, wie sie fast völlig emotionslos ihre Liste abarbeitete.
„Ich hab dich mal vor dem Schaufenster dieses Ladens stehen sehen.“ sagte er irgendwann. „Damals hast du gesagt, du würdest dich schon auf den Tag freuen an dem du eine Menge Geld hier lassen wirst. Aber jetzt siehst du nicht besonders fröhlich aus.“
„Das sieht nur so aus. Ich hab wenig geschlafen.“
„Wieso hast du das nicht gesagt? Wir hätten das hier doch verschieben können.“
„Ich glaub nicht, dass ich in absehbarer Zeit mehr oder besser schlafe. Der Körper stellt sich um.“
Oliver nickte verständnisvoll.
Inzwischen waren sie in der Abteilung Babykleidung angekommen. Nina hatte gerade ein paar Bodies in den Einkaufswagen gelegt, als sie Olivers Stimme hörte.
„Was hältst du von Lilly?“
„Lilly?“
Sie drehte sich um und sah Oliver vor einem Kleiderständer mit Stramplern stehen.
„Als Name für unser Baby.“
Oliver drehte sich ebenfalls um. Er hielt einen rosafarbenen Strampler in der Hand auf dem ein Hase abgedruckt war. Nina musste lächeln. Es war einfach zu unwirklich. Oliver mit einem rosa Strampler in der Hand in einem Babyausstattungs-Fachgeschäft. Er passte so gar nicht hierher. Vielleicht sah er gerade deswegen in diesem Moment so süß aus. Und vielleicht hatte sie gerade deshalb auch das Gefühl, es nicht länger in diesem Laden auszuhalten.
„Oli, ich muss an die Luft.“
Sie zog ihr Portemonnaie aus der Tasche und hielt es ihm hin.
„Kannst du bitte zahlen?“
„Soll ich mitkommen?“
„Nein, ich brauche einfach nur frische Luft.“
„Wie du meinst.“
Oliver nahm ihr die Geldbörse ab und hielt ihr im Gegenzug den Autoschlüssel hin.
„Hier, falls du dich ins Auto setzen möchtest.“
„Danke.“
Nina nahm den Schlüssel und verließ schnellen Schrittes den Laden. Vor der Tür blieb sie stehen und atmete ein paar Mal tief durch. Sie ging langsam zum Auto, öffnete die Tür und setzte sich auf den Beifahrersitz.
Vielleicht machte sie sich etwas vor. Möglicherweise rannte sie einem Traum hinterher ohne es zu merken. Zwischen ihr und Oliver würde es nie so sein, wie sie es sich vorstellte. Er war eben anders. Gerade deswegen hatte sie sich doch in ihn verliebt. Aber war sie sich wirklich so sicher, dass er ihr sagen würde, was er für sie empfand oder redete sie sich diese Sicherheit nur ein? Sie hatte ihm so viele Gelegenheiten gegeben etwas zu sagen, aber er hatte keine dieser Chancen genutzt. Vielleicht sollte sie sich doch langsam damit abfinden, dass es anders sein würde.
Nach einer Weile hörte sie, wie der Kofferraum aufging und Oliver begann, die Sachen einzuladen. Sie sah durch das Fenster, wie er den Einkaufswagen zurückbrachte und sich wenig später zu ihr ins Auto setzte.
„Geht’s dir besser?“
Er sah sie besorgt an.
„Brauchst du irgendwas? Sollen wir irgendwo noch was essen?“
„Du hast nachher Ratssitzung.“
„Heißt das, du hast keinen Hunger?“
„Das heißt, ich will nicht, dass du meinetwegen deine Aufgaben vernachlässigst.“
„Das lass mal meine Sorge sein. Also?“
„Gegen einen McChicken hätte ich nichts einzuwenden.“
Oliver nickte lächelnd und startete den Wagen. Fünf Minuten später stand eine Papiertüte auf Ninas Schoß.
„Oliver?“ fragte sie nachdem sie alles aufgegessen hatte.
„Hm.“
„Freust du dich auf das Baby? Ich meine, wenigstens ein bisschen?“
„Es ist ein gutes Gefühl, Vater zu werden.“
„Obwohl ich damit dein Leben durcheinander bringe?“
„Willst du deshalb nicht, dass ich die Sitzung sausen lasse? Damit nicht noch mehr durcheinander gerät?“
„Vielleicht.“
Es dauerte eine weitere halbe Stunde bis Oliver vor Maltes Haus hielt. Beide stiegen aus und gingen um den Wagen herum, wo Oliver den Kofferraum öffnete.
„Oliver!“
Nina konnte nicht so ganz fassen, was sie da sah.
„Bist du übergeschnappt?“
„Das war doch der, den du dir angesehen hast, oder?“
„Ja, schon, aber... Der kostet ein Vermögen. Den bringst du zurück.“
„Ganz sicher nicht. Wenn ich sonst schon nichts richtig mache, dann wenigstens das.“
„Wer sagt denn, dass du nichts richtig machst?“
„Glaubst du, das mit uns würde so aussehen, wenn ich alles richtig machen würde?“
Oliver hatte den Kinderwagen aus dem Kofferraum gehoben und fahrbereit gemacht. Nun räumte er die restlichen Einkäufe hinein.
„Eigentlich solltest du wissen, dass niemand alles richtig macht. Und glaubst du, ich hätte nichts verbockt? Ich war so kurz davor das zu bekommen, was ich mir so lange gewünscht habe und was mache ich? Haue ab und stelle alles in Frage.“
„Würdest du es jetzt anders machen?“
Nina zuckte mit den Schultern.
„Keine Ahnung. Wahrscheinlich nicht.“
In Ninas Tasche begann es zu piepsen. Sie sah auf die Uhr.
„Oh, schon so spät. Oli, tut mir leid, aber ich muss gleich los.“
„Wohin?“
„Wir besichtigen den Kreißsaal.“
„Nur die Frauen?“
„Ein paar Männer werden sicher dabei sein. Aber...“
Nina sah, wie sich Olivers Gesichtsausdruck veränderte.
„Jetzt erzähl mir nicht, du willst mit.“
„Hast du nicht gesagt, wir könnten alles wichtige zusammen machen?“
„Schon.“
„Du hättest mich wenigstens fragen können.“
„Willst du mit?“
„Ja.“
„Und deine Sitzung?“
„Die steht gerade nicht ganz oben auf der Prioriätenliste.“
„Okay, wenn du so scharf darauf bist. Lass uns die Sachen reinbringen und dann los fahren.“
„Willst du mich eigentlich dabei haben?“
„Du hast doch gesagt, du willst mitkommen.“
Etwas irritiert sah Nina Oliver an.
„Ich meine nicht heute. Ich meine, wenn es so weit ist. Wenn das Baby kommt. Ob du mich dann dabei haben willst.“
„Ehrlich gesagt habe ich darüber noch gar nicht nachgedacht.“
Nina schob den Kinderwagen in den Flur, dann verließen sie das Haus wieder.
„Willst du dabei sein?“
„Ich denke schon. Aber das ist deine Entscheidung.“
„Ich werde es mir überlegen.“


20. Kapitel

Mitte Dezember fand die Weihnachtsfeier des DRK statt. Als Nina und Oliver den Partykeller des Gasthauses, in dem die Feier jedes Jahr stattfand, betraten, war noch niemand dort. Nina öffnete ihren Mantel, zog ihn aus und hängte ihn an die Garderobe. Als sie sich wieder zu Oliver drehte, merkte sie, dass er sie beobachtete.
„Was ist? Habe ich einen Fleck auf der Bluse?“
„Nein.“
„Sondern?“
„Du hast keine Ahnung, wie schön du aussiehst, oder?“
„Ich bin in der 34. Woche. Mein Bauch ist so groß wie ein Medizinball und ich sehe aus wie ein Walross auf zwei Beinen.“
Seufzend hängte Oliver seine Jacke an die Garderobe, dann nahm er Ninas Hand und zog sie in den Flur, wo ein großer Spiegel an der Wand hing.
„Was wird das?“
„Ich beweise dir, dass du übertreibst.“
„Und wie willst du das machen?“
„Ganz einfach.“
Oliver stellte sich hinter sie, schlang seine Arme um ihren Körper und legte seine Hände auf ihrem Bauch ab.
„Siehst du?“
„Das beweist nur, dass du lange Arme hast.“
„Mit einem Walross könnte ich das trotzdem nicht machen.“
Nina betrachtete nachdenklich ihr Spiegelbild. Dabei legte sie ihre Hände auf seine.
„Findest du mich wirklich hübsch?“
„Hätte ich es sonst gesagt?“
„Vermutlich nicht.“
„Also. Hör auf so einen Blödsinn von dir zu geben.“
„Oliver?“
„Hm.?“
„Was hältst du eigentlich von Zoe?“

Die Party lief genauso ab, wie in den vergangenen Jahren. Nach dem Essen saßen oder standen alle in kleinen Grüppchen herum um zu reden. Ab und zu wechselten die Gruppen, aber sonst änderte sich nicht viel.
Es war kurz vor Mitternacht als Nina in ihren Mantel schlüpfte.
„Du willst schon gehen?“
Oliver, der gerade von der Toilette kam, blieb im Flur stehen. Nina sah ihn an.
„Es ist gleich zwölf. Und falls ich mich recht erinnere hast du mich gebeten hier nicht das Licht auszumachen.“
„Es ist gewöhnungsbedürftig, dass du auf mich hörst.“
„Eigentlich tue ich das nicht. Mir tun die Füße weh und ich bin müde.“
„Soll ich dich nach Hause fahren?“
„Nicht nötig. Ich nehme Maltes Auto.“
„Und Malte?“
„Taxi. Fahren darf er heute sowieso nicht mehr.“
„Ich bring dich zum Auto.“
Oliver schnappte seine Jacke und schlüpfte hinein. Sie verließen gemeinsam die Gaststätte. Die Temperaturen lagen knapp unter dem Gefrierpunkt. Nina ging so dicht wie möglich neben Oliver her in der Hoffnung, er würde sie ein wenig wärmen, auch wenn sie wusste, dass das unmöglich funktionieren konnte.
„Eigentlich ganz schön hier draußen.“
Nina blieb stehen und sah in den sternklaren Nachthimmel.
„Es ist kalt.“
Nina drehte ihren Kopf zu Oliver.
„Du bist unromantisch.“
„Ich bin Realist.“
„Und trotzdem so blind und taub.“
„Was willst du damit andeuten?“
„Nichts. Schon okay.“
„Nein. Du kannst nicht einfach irgendwelche Andeutungen machen und es mir dann nicht erklären.“
„Vielleicht willst du es ja einfach nur nicht sehen.“
Nina sah wieder in den Himmel.
„Vielleicht willst du mich ja den Rest meines Lebens dafür bestrafen, dass...“
„Ich bestrafe dich nicht. Du bist gegangen und wolltest nicht zurück. Es war deine Entscheidung.“
„Ist das alles, woran du dich erinnerst?“ Ninas Stimme wurde immer leiser. „Dass ich gegangen bin? Ich hab versucht dir zu erklären warum ich das tue, vielleicht erinnerst du dich zur Abwechslung mal daran.“
„Nina, ich...“
„Gute Nacht, Oliver.“
Nina schloss Maltes Auto auf, stieg ein und zog die Tür zu. Wenig später startete sie den Wagen und war kurz darauf verschwunden.
„Wie kann man nur so extrem bescheuert sein.“
Oliver drehte sich um und sah Malte nur ein paar Meter hinter sich stehen.
„Spionierst du?“
„Wie komme ich denn dazu?“ Malte zog an seiner Zigarette. „Im Gegensatz zu dir vertraue ich Nina. Ich verstehe ums verrecken nicht, warum sie sich gerade dich ausgesucht hat.“
„Dann bist du wahrscheinlich froh darüber, dass das mit mir und Nina vorbei ist.“
„Vorbei?“ Malte lachte kurz. „Ich sag ja, du bist bescheuert. Glaubst du wirklich, dass es vorbei ist? Was glaubst du denn, warum sie sich immer noch mit dir abgibt? Wenn sie wollte, könnte sie das mit dem Baby allein durchziehen. Aber was tut sie? Sie macht wieder und wieder einen Schritt auf dich zu in der Hoffnung, dass du endlich mal den Mund aufkriegst und ihr sagst, was sie hören will.“
Oliver wollte etwas sagen, doch Malte redete schon weiter.
„Ich bin nicht gerade dein größter Fan, das weißt du, aber Nina liebt dich und du solltest dir langsam mal überlegen was du willst anstatt dich weiter vor einer klaren Ansage zu drücken.“

Als Oliver am Morgen des 24. Dezember aus der Bäckerei kam, stieß er beinahe mit Nina zusammen.
„Guten Morgen, Oli.“
„Nina. Was treibt dich denn so früh aus dem Bett?“
„Ich konnte nicht mehr schlafen. Und ich hatte Lust auf Schokocroissants. Und was machst du hier?“
„Ich bin der Brötchenbeauftragte fürs Familienfrühstück.“
„Dann lass dich nicht aufhalten.“
„Die fangen schon nicht ohne mich an.“
Oliver sah Nina an.
„Hast du Lust, mitzukommen?“
„Zu deiner Familie? Ich bin doch gar nicht eingeplant.“
„Meine Eltern freuen sich bestimmt. Ich geh auch nochmal in die Bäckerei und hol Schokocroissants.“
„Ich weiß nicht.“
„Hast du was besseres vor?“
„Nein, aber...“
„Na also.“
Nur eine knappe Viertelstunde später saß Nina zusammen mit Oliver, seinen Eltern, seinem Bruder Lukas und dessen Freundin Claudia am reichlich gedeckten Esstisch der Familie Hellms.
„Habt ihr euch eigentlich schon einen Namen überlegt?“ fragte Brigitte Hellms.
„Lilly.“ antwortete Nina.
„Zoe.“ kam es zeitgleich aus Olivers Mund.
„Wäre ja auch langweilig, wenn ihr euch mal einig wärd.“
Lukas griff grinsend nach einem Brötchen.
„Wer sagt denn, dass wir uns nicht einig sind? Noch nie was von Doppelnamen gehört?“
„Es ist jedenfalls schön, dass alles so komplikationslos verläuft. Als Oliver damals unterwegs war, hatte ich jede Woche was anderes und bei Lukas habe ich kaum gemerkt, dass ich schwanger bin.“
Die Zeit verging wie im Flug und als Nina auf die Uhr sah, war es schon kurz nach zwölf.
„Au weia. Schon so spät. Oliver, kannst du mich nach Hause fahren?“
„Sicher, kein Problem.“
Zwanzig Minuten später standen sie vor Maltes Haus.
„Danke für’s herfahren.“
„Das war ja wohl das mindeste, nachdem ich dich so spontan entführt habe.“
„So gesehen hast du natürlich Recht.“ Nina löste den Gurt. „Jetzt kümmere ich mich um den Baum und danach lege ich mich gemütlich aufs Sofa.“
„Mach das.“
„Verlass dich drauf.“
Nina seufzte.
„Ich freu mich schon aufs neue Jahr.“
„Jetzt schon?“
„Dann sind die stressigen Feiertage vorbei und ich kann meine Vorsätze für nächstes Jahr in die Tat umsetzen.“
„Ich hoffe, du hast nicht zu viele davon. Die meisten Vorsätze bricht man innerhalb der ersten Woche.“
„Genau genommen habe ich mir nur eins vorgenommen.“
„Und das wäre?“
„Einen Strich unter das vergangene Jahr zu machen und einfach von vorne anzufangen.“

„Oliver, träumst du?“
Oliver schreckte aus deinen Gedanken und sah seine Mutter fragend an.
„Was?“
„Ob du so nett wärst und dich um die Getränke kümmerst. Dein Bruder...“
„Ich kann nicht.“
Oliver erhob sich vom Sofa und zog seine Hose, die etwas gerutscht war, hoch.
„Was heißt das?“
„Es tut mir leid, aber ich muss gehen.“
„Jetzt?“
„Ich muss was wichtiges erledigen.“
„Hat das nicht Zeit? Ich meine, es ist Heiligabend.“
„Ich beeil mich. Aber wenn ich das jetzt nicht mache, dann ist es vielleicht zu spät.“
Oliver verließ das Wohnzimmer und seine Mutter sah ihm kopfschüttelnd nach. Sie wusste, dass es wirklich wichtig sein musste, denn sonst würde er nicht einfach so gehen. Nicht an Heiligabend.

Nina hatte gerade die Getränke auf dem Wohnzimmertisch abgestellt, als es an der Tür klingelte.
„Wer stört denn jetzt noch?“
Brummend richtete sich Malte auf dem Sofa auf, doch Nina schüttelte den Kopf.
„Bleib liegen, ich steh eh.“
Nina verließ das Wohnzimmer, ging zur Haustür und öffnete.
„Oliver.“
Sie sah ihn überrascht an.
„Solltest du nicht bei deinen Eltern auf dem Sofa sitzen und einen besinnlichen Blick auf deren Riesentanne werfen?“
„Wir müssen reden.“
„Jetzt?“
„Es ist wichtig.“
Nina schüttelte den Kopf.
„Nichts ist so wichtig, dass es nicht noch ein paar Tage Zeit hat.“
„Aber... Es ist mir wichtig.“
Oliver sah sie eindringlich an. Wenn sie ihn jetzt wegschickte, er wusste nicht, ob oder wann er noch einmal den Mut hatte, so vor ihr zu stehen.
Seufzend verschränkte Nina die Arme vor der Brust. Sie musste zugeben, dass sie sich den Heiligabend anders vorgestellt hatte. Allerdings konnte sie Oliver auch nicht einfach wieder wegschicken. Denn wenn er schon so ohne Vorwarnung auftauchte und reden wollte, dann musste es wohl wichtig sein.
„Also gut, rede.“
„Du hast gesagt, du willst dieses Jahr abhaken und von vorne anfangen.“
„Hm. Dieses Jahr war so chaotisch. Ich bin 29, es wird Zeit, dass ich langsam Ordnung in mein Leben bringe.“
„Und ich?“
„Im Prinzip bist du nicht ganz unschuldig an dem ganzen Chaos.“
„Nina, ich will nicht, dass du uns aufgibst.“
Nina kräuselte die Stirn. Das hatte die letzten Jahre schon nicht funktioniert und jetzt käme es schon aus dem Grund nicht in Frage, weil sie ein gemeinsames Baby erwarteten, aber vielleicht war es gar nicht so schlecht, dass er dachte, sie hätte etwas in der Art geplant. Sollte er ruhig mal ein bisschen zittern.
„Was heißt schon aufgeben. Man muss wissen, wann man verloren hat.“
„Aber du kannst das doch nicht so einfach abhaken.“
„Ich hab getan, was ich konnte. Ich hab keine Lust auf das ewige Hin und Her.“
„Was ist, wenn ich dir nicht das sagen kann, was du hören willst?“
Nina seufzte.
„Ach Oliver. Ich weiß, du denkst ich will dieses sie waren glücklich bis an ihr Ende Versprechen, aber das ist nicht so. Es muss nicht die große Nummer sein. Einfach nur eine klare Ansage. Ich brauche jetzt meine Kraft für das Baby.“
„Heißt das, dass keine Chance gibt?“
„Das heißt, dass das hier möglicherweise deine letzte Chance ist zu sagen, was du willst. Und dass du es dann auch bekommst.“
„Ich will, dass du wieder in unsere Wohnung kommst.“
„Weil es die vernünftigste Lösung ist?“
Oliver schüttelte den Kopf.
„Nein.“
„Sondern?“
„Weil ich... Ich liebe dich, Nina.“
Nina sah ihn schweigend an. Seine Stimme war so leise gewesen, dass sie ihn kaum gehört hatte, aber er hatte es tatsächlich gesagt. Scheinbar lohnte es sich tatsächlich, an Wunder zu glauben.
„Sag was.“
Oliver sah sie unsicher an.
Nina nahm lächelnd seine Hände.
„Ich liebe dich auch.“ flüsterte sie.
Dann zog sie ihn zu sich heran und küsste ihn.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 15.12.2009

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