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Die appe Hand und die Bedeutung der Pfingstrosen

Der Monarutta ging es gerade nicht so gut als ihr Telefon bimmelte, um sie zu einer Leiche zu rufen. Die Toten findet man mit boshafter Wiederholung stets im Morgengrauen, vielleicht um alles noch widerwärtiger in Szene zu setzen. Um diese Zeit geht doch kein halbwegs normaler Mensch spazieren, um Leichen zu finden, sondern lediglich um leidige Gedankenströme ins Freie zu lassen. Der begleitende Hund schnüffelt freudig erregt herum und gräbt ahnungsvoll im Laub, prompt findet er eine bleiche Hand, die er seinem verwirrten Herrchen schwanzwedelnd vor die Füße legt. Ist Herrchen ein Frauchen, dann schreit es.

Kurz darauf schrillt bei Monarutta das Telefon. Es war ein Frauchen, ein ganz aufgeregtes dazu. Sie berichtet keuchend von einer „appen Hand“, die der Hund gerade fressen will.

„Halten sie den Köter zurück“, knurrt Monarutta, er dürfe die Hand auf keinen Fall fressen. „Sie sind dafür verantwortlich.“

Monarutta quält sich also aus ihrem gemütlichen Bett, in dem sie die halbe Nacht philosophierte, was wohl passieren würde, wenn sie keinen Fall mehr bekäme. Kommissare ohne Fälle wären gefährdet in ein Loch zu fallen, heißt es. Jetzt war es an der Zeit, dem Loch etwas entgegen zu setzen. Sie war gefangen von den Überlegungen über das angeblich gefährliche Loch und schon seit geraumer Zeit nur noch zu wenig gutem Schlaf fähig. In den Morgenstunden überkam sie meist erst das bleierne Hinwegsinken in ein nicht weniger grusliges schwarzes Schlafloch, welches traumlos und ganz ohne Erquickung die arme Kommissarin ins Kissen drückte. Dann das Klingeln und die Nachricht von der appen Hand. Immerhin.

Monarutta presste sich in ihre neuen Leggins, in die Geblümten, die man heutzutage trägt, zumindest behauptete dieses die Verkäuferin. Das geblümte Teil würde mehr Frische auf die Straßen bringen und so hat Monarutta einsichtig zugeschlagen. Einen Frischebeitrag wollte sie nun auch endlich einmal leisten, denn ihre Aufgaben drehten sich nicht gerade um die allerfrischesten Teile wie man sich leicht vorstellen kann. So hatte sie sich für die mit den Gänseblümchen entschlossen, weil sie eben auch eine bescheidene Natur war. Eine junge Frau neben ihr griff nach der mit den pinkfarbenen Pfingstrosensträußen. Sie war etwas Besonderes und in einer goldenen Schachtel verpackt. Sie wäre von Poop, sagte die Verkäuferin bedeutungsvoll.

„Man gönnt sich ja sonst nichts“, meinte die figürlich propere Frau lächelnd und erschien bald darauf mit der enganliegenden Hose bekleidet, gerötet aber strahlend aus der Kabine

„Was meinen sie? Kann ich so etwas tragen?“ Sie drehte sich vor der armen Monarutta hin und her. "Sieht doch geil aus, nicht.“ Ein Fragezeichen hinter der Frage war nicht zu vernehmen.

Monarutta wiegte bedächtig mit dem Kopf hin und her, insbesondere als sie die Rückseite vorgestellt bekam. Der Pfingstrosenstrauß wogte als wölle er aus der Hose fallen. Monarutta wusste etwas über Pfingstrosen, man liebte sie als gemeine Päonie im Bauerngarten, wo sie ausdauernd krautig wuchs und sie symbolisierten so Einiges. Sie gehört zu den steinbrechartigen Bedecktsamern und gilt als Starkzehrer. Monarutta konnte sich nun ein Grinsen nicht verkneifen, ihre Gedanken mäanderten in außerbotanische Gefilde.

„Ja, die Rosen auf den Hosen sind nicht von schlechten Eltern, sie wirken lebendig an ihnen, sie haben Glück.“

Monarutta erntete ein dankbares Lächeln für diesen erstaunlichen Kommentar und war damit aus dem Schneider. Nun ja, jetzt sauste sie mit ihren kleinen Gänseblümchen auf der rabenschwarzen Hose an den Fundort der appen Hand, ihr eifriger Assistent war schon da. „Der Schleimer“, dachte Monarutta und quittierte dessen kesse Bemerkung zu ihrer Gänseblümchenhose, die er Margeritenstretcher nannte, nur mit einem verachtenden Blick. Er hatte doch zu ihr gesagt, sie solle sich mal etwas Frisches anziehen und nicht immer wie ein graues Mäuschen daher kommen. Die Schnösel werden auch immer frecher, dachte Monarutta und betrachtete nun die appe Hand. Ab war sie und der Hund hatte sie zum Glück nicht angenagt. Sie hatte etwas Feistes an sich und wirkte irgendwie rosig, sie musste noch nicht lange ab sein, schlussfolgerte Monarutta messerscharf.

„In die Kühltasche mit ihr!“ Sie wandte sich an ihren frechen Assistenten: „Moruzius, sie befragen die Frau. Wann hat sie, oder besser der Hund, die Hand gefunden und warum läuft die Frau mit ihrem Köter um die Zeit hier gerade entlang?“

Die Spusie tütete gerade die Hand ein. Es schien eine Frauenhand zu sein, die rechte, zumindest meinte das Paula, die Gerichtsmedizinerin.  „Die arme Frau hat ihre Hand dem Falschen gereicht,“ sagte sie mit bedeutungsschwangerer Miene. Ja, man muss aufpassen dachte Monarutta. Wie schnell passiert so ein Unglück. Man reicht die rechte Hand und schwups werden unrechte Dinge damit getan.

Monarutta hatte jetzt ganz andere Sorgen, denn es galt ja zunächst herauszufinden wer die Frau war, die nunmehr ohne rechte Hand alles mit links erledigen musste. Falls sie denn noch lebte, was Paula vielleicht untermauern könnte.

„Der Frau wurde die rechte Hand mit einem sauberen Schlag, vielleicht mit einem Beil oder einer Axt abgeschlagen und sie hat dabei noch gelebt.“ Paula war sich da ganz sicher und wollte herausfinden, ob sie bei diesem grausamen Akt noch bei klarem Bewusstsein war oder im gnädigen Loch der Besinnungslosigkeit.

„Wie lange kann man mit einer oder besser ohne die rechte Hand leben?“

Paula meinte, das wäre kein Problem, wenn die Wunde gut versorgt wird. Monarutta nickte grüblerisch. Wer war die Frau und warum lag ihre rechte Hand im Wald verscharrt? Vielleicht hatte sie die Hand erhoben, zu hoch für eine Frau. Vielleicht hatte sie ihre Hand auch geopfert? Bloß wofür? Monarutta fand das alles dämlich, mittelalterlich und unnütz. Man musste zunächst herausfinden, zu wem die Hand gehört und dann schleunigst den Wald nach weiteren Teilen absuchen. Die Hundestaffel müsste eigentlich augenblicklich in Bewegung gesetzt werden. Und genau das geschah. Die Spürhunde schnüffelten kurz an der appen rechten Hand und rannten sofort in die Tiefe des Waldes, um mehr davon zu finden.

Moruzius war inzwischen in seinem Büro damit beschäftigt, die Krankenhäuser des Landes nach Frauen, die mit nur einer Linken und keiner Rechten mehr gesegnet waren, abzutelefonieren. Er musste nicht lange herumfragen, denn im Penzliner Krankenhaus lag eine Frau auf der Privatstation des Direktors. Sie wäre prominent und man würde am Telefon keine Auskunft geben, hieß es. „Auch wenn wir ihr die Hand wieder geben würden, also ihre rechte Hand, nicht?“ Moruzius war Feuer und Flamme, er würde den Fall klären. Er solle hinkommen und die Hand mitbringen, auch wenn sie nicht mehr gut sein würde. Manchmal gäbe es ja Wunder, meinten die. Das Penzliner Krankenhaus hatte schon längst einmal ein ordentliches Wunder nötig.

Moruzius informierte atemlos die Kommissarin, die gerade im Wald war und mit den bellenden Hunden nebst Hundeführern vor einem dunklen Loch stand. Eigentlich sah es reizend aus, denn es war von wilden Pfingstrosen umgeben, die im Waldwind leicht hin und her wogten. Sofort assoziierte Monarutta die Stretchhose mit den pinken Päonien, die sie kürzlich in einem Geschäft an einer gut beleibten Frau zu kommentieren hatte. Die Frau hatte sie schon einmal gesehen, wenn auch nur kurz und flüchtig. Sie war die rechte Hand des Finanzministers, die umtriebige Frau Schäublette, jetzt fiel es ihr ein.

„Die rechte Hand!“ Wenn das wahr ist, dann käme es zum Eklat, falls die Hand, die rechte Hand nun ab ist und mit der gefundenen appen Hand identisch wäre. Die Sache roch nach einem Regierungsfall und Monarutta fürchtete, dass man ihr in dem Fall, den Fall aus der Hand nehmen würde. Was aber war in der Höhle, was so nach dieser geheimnisvollen Hand roch? Monarutta kroch in das Loch und entdeckte eine Hose, die Hose mit den Pfingstrosen. Sie roch nicht nach Pfingstrose. Egal, die Hose kam in den Beutel als Beweisstück, die Hunde erhielten ein Leckerli.

Moruzius wartete schon ungeduldig auf seine Chefin, denn nun hieß es der Frau im Krankenhaus einen Besuch abzustatten. Die appe Hand in der Kühltasche nahmen sie mit. Sie würde Türen öffnen. Erstaunlicherweise konnte die rechte Hand dieses noch immer, wenn auch schon etwas schwächelnd. Die Zeit drängte. Das macht sie immer in so einem Fall.

Die Frau lag schlaff und blass in ihrem Privatpatientenbett, ein Strauss der als gefährdet eingestuften, milchweißen Krimpfingstrosen stand auf dem Nachtisch, zum Trost. Der russische Botschafter hätte sie im Auftrag des russischen Präsidenten aus der Krim einfliegen lassen.

 

Auf der Karte stand:

„Ein Gruß von der Krim für die Heilung von Griechenland.

Wir helfen gern.Zur Erinnerung an Russland“

 

Die Monarutta erkannte die Frau sofort wieder. Es war die Frau mit der pinken Pfingstrosenhose.

„Meine Hose ist weg,“ jammerte sie „und ich bin die rechte Hand des Finanzministers. Ich wollte doch nur Gutes und das tun, was der Finanzminister gesagt hat...den Griechen helfen."

Moruzius drehte die russische Grußkarte hin und her. Die Kommissarin beruhigte die wimmernde Frau Schäublette, alles würde vielleicht wieder gut werden. Man hätte Hand und Hose gefunden. Sie solle nur berichten, was passiert war und vor allen Dingen, wer ihr die rechte Hand abgehackt hat.

Die Frau bekam einen flackernden Blick. Sie würde ja keine Anzeige erstatten und sie wäre beim Arbeiten als rechte Hand schon mehr als blind gewesen und beim Nehmen der rechten Hand war sie ohne Besinnung, wenn auch hinterher ziemlich wütend, denn man hätte sie ausgezogen bis auf die Unterhosen. Die neue Hose von Poop wäre weg, was einem Skandal nachkomme.

„Hm...“ Monarutta wollte nun wissen, was es mit der Griechenhilfe auf sich hätte

.„Ja, also ...ähm“ sie druckste ein wenig herum. Sie habe den Griechen zur Heilung einige Wagons Pfingstrosen schicken lassen, weil man weiß, dass diese schon den Pluton, den griechischen Gott der Unterwelt, geheilt hätten. „Schließlich kann man ja nicht nur fordern und mahnen, sondern muss auch etwas tun,“ sagte sie mit Nachdruck. „Außerdem und das ist das Besondere, auch ein schicksalhafter Fingerzeig war das, habe ich die ausgesonderten G32- Gewehre der Bundeswehr mit hinein stecken lassen. Die Griechen hätten etwas Schlagkräftiges, auch wenn es im Ernstfall daneben schießen würde. Jeder gewinnt also dabei und man könne die Leute in Schachhalten.“

 

Sie hatte sich in Rage geredet. Die sogenannte Krimpfingstrose, die eine von den 32 Arten der Blume heißt nämlich unter Kennern auch Kampfpfingstrose, weil sie nämlich die Götter der Unterwelt auf die Beine brächte. Da wäre doch wohl klar, was gemeint ist. Die Griechen hätten für alles einen supergünstigen Kredit aus einem interessierten Reich bekommen, somit hätte Deutschland kein weiteres Leid mit diesem Land auf sich nehmen müssen. Um sich voll mit der Angelegenheit zu identifizieren hätte sie sich die Pfingstrosenhose gekauft - aus Solidarität gewissermaßen. Das war zu viel für den Finanzminister und musste es eine Hose von Poop sein, man kann doch nicht für alles den Geldsack öffnen. In dem Punkt verstand Monarutta den Herrn, aber der hätte die Hose von der Spesenrechnung nicht gestrichen, somit war alles klar. Frau Schäublette erschien damit zum Gipfeltreffen und die Presse sah es. Die NSA hatte das Dankesschreiben der griechischen Regierung und den Kreditgeber bereits in Absprache mit anderen Diensten ausgespäht. Die Gipfelgegner auf der Wiese bekamen davon Wind, somit drohte der Gipfel zu kippen und man musste einfach etwas auf den Weg bringen, einmal wirksam handeln, nicht zuletzt um Gesichter zu retten. Was ist dagegen schon eine kleine feiste rechte Hand? Sie musste weg. Man hackte sie ab und stellte das Bild ins Internet, anschließend verlor man sie im deutschen Eichenwald. Die Pfingstrosenhose kam in ein angemessenes Loch. Vielleicht heilt sie ja auch von dort noch, quasi von Unterwelt zu Unterwelt, während der Gipfel endlich in Ruhe berät wie man die Welt rettet. Das machen sie schon immer mit gleichbleibenden Ergebnissen.

 

Die Monarutta wusste nun genug und beschäftigte sich in den folgenden Nächten vermehrt mit der Frage, was passiert, wenn sie in ein Loch fällt und wie würde sie sich darin einrichten. Vielleicht würde sie sogar die wunderschönen Pfingstrosen anpflanzen.

 

 

Der Dichter Ferdinand von Saar hat der Pfingstrose ein Gedicht gewidmet, das auch den Titel „Pfingstrose“ trägt.

 

 

 

 

Pfingstrose

Verhaucht sein stärkstes Düften

Hat rings der bunte Flor,

Und leiser in den Lüften

Erschallt der Vögel Chor.

Des Frühlings reichstes Prangen

Fast ist es schon verblüht –

Die zeitig aufgegangen,

Die Rosen sind verblüht.

Doch leuchtend will entfalten

Päonie ihre Pracht,

Von hehren Pfingstgewalten

Im tiefsten angefacht.

Gleich einer späten Liebe,

Die lang in sich geruht,

Bricht sie mit mächtgem Triebe

Jetzt aus in Purpurglut.

 

 

 

Ein japanisches Sprichwort sagt:

立てば芍薬、座れば牡丹、歩く姿は百合の花

tateba shakuyaku, suwareba botan, aruku sugata wa yuru no hana

Im Stehen wie eine Chinesische Pfingstrose,

im Sitzen wie eine Strauch-Pfingstrose,

und die Art, wie sie läuft,

die Blüte einer Lilie.

 

Monarutta ist beeindruckt.

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Tag der Veröffentlichung: 07.06.2015

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