Cover

Occurrence 3 Die Suche nach der Wahrheit

 

 

Ist nicht alles auf eine Lüge aufgebaut, wenn man in Illusionen eintaucht, um darin zu tauchen, zu atmen, zu ertrinken und zu sterben? Ich wünsche mir, ich wäre in der Schattenwelt...




Vorwort


Es handelt sich lediglich um eine Suche. Natürlich verändert sich alles und jede Suche endet und eine neue Form einer Suche beginnt. So war das immer schon. Der Beginn, wo es sich um die Suche nach dem Leben handelte, wo sechs Jugendliche sich auf eine große Sache einließen und es beinahe geschafft hätten. Gäbe es nicht die winzige Sache, womit keiner rechnen konnte. Eine Kleinigkeit gab es immer in einem Plan und diese Kleinigkeit hatte den Turm zum Umstürzen gebracht. Besonders diese Kapsel aus Edelstahl sorgte stets für Kopfzerbrechen und wurde als Mitgliedsritual missbraucht. Der ehemalige Anführer Biff hatte überhaupt mit seinen Aktionen eine massive Bombe gezündet. So durchlebten wir ziemlich nervenkitzelnde Abenteuer. Einige gingen auch noch dabei drauf, aber ohne medizinische Versorgung gab es keine andere Möglichkeit. Das Resultat: Die Suche nach dem Leben wurde erbarmungslos gestoppt. Ich wurde aufgrund des Altersunterschieds von den anderen Überlebenden getrennt. So kam es, dass ich ein Jahr bei Pflegeeltern verweichlicht und verwöhnt wurde und in dem Zustand eine gewisse Zeit im Arbeitsstraflager verbringen würde, das vom Nutzen war, uns zu resozialisieren, sagte man. Eddie und Timmy waren in Squeedistico, aber was ich nicht wusste, was ich viel später erfahren würde war, dass der Knast wie Alcatraz war, nur schlimmer. Keiner hatte diesen Ort je lebend verlassen. Dort landeten (von den meisten unbemerkt) die wirklich zum Tode Verurteilten. Es sollte auch keiner naiv denken, dass es drei Arten gäbe, zu sterben.

Es gab viel mehr Arten, wenn man bedachte, was im Mittelalter alles möglich war. Oder vorher? Da kannten kreative Tötungsarten keine Grenzen. Was die Kapsel betraf, möglicherweise wurde durch die ganzen Rituale ein Fluch losgelassen, der jeden noch Lebenden aus der Clique begleitete und weiterhin für Unglücksfälle sorgte.

Dann kam der nächste Part: Die Suche nach der Freiheit. Auch die war gescheitert. Auch wenn das Urteil zweieinhalb Jahre betrug, galt die Suche in diesem Fall als nicht erfüllt. Die nächste Suche wäre die Wahrheitsfindung. Aber was sollte da herauszufinden sein? Welche Karten lagen auf dem Tisch?

Ich hatte schon die ganze Zeit das Gefühl, ständig beobachtet zu werden. Wer hatte damals meine Schutzengel denunziert? Sela Demarest hatte die Morde in der Schule begangen, aber wer ermordete sie? Hatte sie nur einen kleinen Teil der Morde begangen und der überwiegend Tätige liefe noch auf freiem Fuß? Wer war die unheimliche Figur, die vor meinem Krankenbett stand, als das Gerichtsverfahren durch den kleingeistigen Lynchmob unglücklich gescheitert war? Und Selbstmord hatte die Demarest auch nicht begangen, so fern es fest stand. In diesem Teil, liebe Leser, wäre es meine Aufgabe, das alles herauszufinden und am ersten Januar war es geradezu unmöglich, da durch das unverhoffte Urteil meine Wenigkeit schockiert und entkräftet war. Und außerdem ziemlich depressiv. Zweieinhalb Jahre konnten sich in die länge ziehen...




Teil 1: Das Hinnehmen der Strafe


A: Innerer Frust


Tag 1

Es gab einen Jungen namens Erfolglosigkeit. Dieser jedoch trug den nicht sonderlich unbekannten Künstlernamen Manolo Alvares. Er startete in vielen Momenten Anläufe durch - und nichts gelang. Das war meine erbärmlichste Lebensbeichte überhaupt. Das Jahr war nun umgeschlagen; während andere in der Stadt am feiern waren, saß ich so gut wie leblos in der Zelle und schmollte vor mich hin. Während der Zeit fiel mir ein, und erst jetzt nahm ich mir das vor, dass ich vielleicht imaginäre Personen aus dem Nichts herbeizaubern könnte. Ab besten zwei, nur wie sollte ich sie nennen? Ich dachte zuerst an das Engelchen und Teufelchen auf beiden Schulterblättern, die als meine Berater fungieren durften. Natürlich hatte ich ebenfalls Mitspracherecht. Es wäre auch möglich, wenn diese imaginären Figuren mein Bauchgefühl und mein Kopf statuierten. Das war wohl oder übel die einzigste Möglichkeit, nicht endgültig zu versauern und den Kopf auf ewig in die Tiefe zu stecken, damit der restliche Körper ebenso zu hineinrutschen drohte und nur noch der Arsch zum Vorschein kam, sodass irgendeine fremde unangemessene Person einen Tritt nach dem anderen versetzen konnte. Die eine Stimme in mir, die ich als imaginäre Person bezeichnete, nannte ich Bad Ass. Die andere wurde von mir Innocent Angel getauft, fand es in diesem Fall besser, ein Kürzel zu nehmen. Wie wäre es mit Inny? Ja - das klang gut. Simpel, kurz und bündig. Inny galt als Stimme der Vernunft, die gescheite und nette Person. Leider war Inny auch äußerst übervorsichtig und Bad Ass war der Draufgänger, der mir vorgab, dass ich mir in brenzlichen Situationen einen Ruck geben sollte und sämtliche Risiken eingehe. Dann lägen jegliche Entscheidungen alleine bei mir, auf wen immer ich auch hören mochte. Wie ich es hasste, Entscheidungen zu fällen. Am schlimmsten waren die Spontanentscheidungen. Da hieß es nämlich alles oder nichts.

Ach komm, du hattest dich auch entschieden, nach Sudbourg zu reisen, um mit abenteuerlustigen Freunden ein Ding zu drehen und du hattest noch nicht einmal gezögert, meldete sich bereits eine Stimme. Die Stimmen fingen an, aktiv zu werden wie eine Brausetablette im Wasserglas.


Tag 2

Als der Tag anbrach und ich meine schweren Augenlider hochzog, starrte ich auf den Einteilungsplan und stellte fest, dass ich noch ein Weilchen schlafen konnte. Erst gegen halb eins am Mittag brauchte ich zu erscheinen. Ein Gedanke zog mich stattdessen runter. Hier würde ich noch einige Jährchen verbringen, die mir keinen Spaß einbrächten. Die harte Knochenarbeit bestünde vor meinen Augen und der Mörder von Sela Demarest, der Cresus Fuß in meiner Zelle plazierte, lief immer noch frei herum. Wenn er wollte, konnte er sich überall Zugang verschaffen. Ich hatte das Gefühl, als sei er allgegenwärtig. Er würde glatt von einer Dimension in die nächste einspringen. Und da war ja noch der Spitzel, wodurch meine Schutzengel ihr Leben verloren. Zugleich musste ich mich auch sanft verhalten, um eine Strafverlängerung zu verhindern. Alles in allem musste ich in jeder Hinsicht auf der Hut sein. Um acht, viertel nach acht wurde ich wach. Danach überlegte ich die ganze Zeit über alle möglichen Dinge. Als ich die gewünschte Abteilung betrat, die Mitch schon kennenlernen durfte, hatte ich das Büro des Lagerleiters vor mir. Er hieß Rory Heribertsen und schüttelte mir sofort die Hand. Beinahe überschwenglisch. Er unterrichtete mich grob, indem er darauf hinwies, dass das Lager in vier Bereiche eingeteilt wurde und dass es dreißig Stationen gab und vor allem war das Lager in zwei Etagen ausgestattet. Die erste und zweite nämlich. Nach dem kurzen Gespräch übergab er mich an einem der Bereichsleiter. Es war eine Sie.

"Das ist Dolly van Patten", erwähnte er. "Sie ist jetzt die Zuständige. Also frohes Schaffen".

Dann verließ er uns. Ich grüßte sie und sie meinte, sie müsse noch kurz etwas erledigen und käme in Kürze zurück. Es ging um die Einteilung. Natürlich wartete ich einen Augenblick. Als sie nach zehn Minuten zurückkam, brachte sie mich zu Station Nummer 20. Dort wurde ich einem Typen namens Hunt Kiersten anvertraut. Er diente ab sofort als eine Art Babysitter. Er wies mich ein wie ein Tutor oder wie einer, der mindestens zehn Jahre auf dem Buckel hatte. Aber er war nicht arrogant, sondern eher verständnisvoll. Aber zu Beginn fiel es mir schwer, irgendwen einzuschätzen. So konzentrierte ich mich auf die mir zugewiesenen Tätigkeitsbeschreibungen. Natürlich sollte ich mir Zeit lassen, denn das war meine Eingewöhnungsphase. Für den Anfang wurden kleinere Teile in verschiedene Regale einsortiert. Wir bekamen die Zettel mit den Angaben der entsprechenden Lagerplätze in Behältern, die per Förderband kutschiert wurden. Dies war die Hauptaufgabe der Frühschicht. Was auf uns zukam, nannte man Kommissionieren, wie es in stinknormalen Lagertätigkeiten der Fall war. Was hier gelagert wurde, konnte ich schon fast als unzählig betrachten. Die Auswahl kannte keine Grenzen. Hauptsächlich lagerte jedoch Zubehör rund um Waffen. Patronen, Halfter, Gurte, kugelsichere Westen, Gasmasken, Ninjasterne, Handgranaten und viele andere Güter. An dem zweiten Förderband, das dazu diente, die Behälter unserer erfüllten Aufträge weiterzuleiten, wurde eine Waage installiert, die Gewichtsdifferenzen ermittelte. Falls einer also ein verkehrtes Gut hineingelegt hatte, wurde der Behälter erneut zu uns geschickt. Der Behälter landete auf ein Metallrollenband, das zwischen dem hinteren Förderlaufband und dem vorderen Förderband zum Wegschicken und Hunt Kiersten beispielsweise besaß die Aufgabe, den Fehler zu korrigieren. Das alles bedarf einer ständigen Kontrolle. Ansonsten lief der Tag eher routinegemäß und brachte mich dazu, es kaum erwarten zu können, mich in die Zelle zurüchzuziehen und zu schlafen. Mittendrin, so um drei wachte ich kurz auf, um die Toilette zu benutzen. Das Wochenende hielt sich bereit. Was nützte mir das? Ich fühlte mich zu dem Zeitpunkt total, als hätten mich weltweit alle im Stich gelassen.


Tag 3

Auch wenn in mir Unruhe herrschte, entstand keine vollendete Nervosität. Ich erinnerte mich gestern, wie ich einen kurzen Blick nach draußen warf und feststellte, dass allmählich der Schnee zu schmelzen begann. An den Temperaturen änderte sich nichts. Die kalten und trostlosen Luftzüge aus den Ritzen ließen meine Laune verschlechtern. Da konnten meine inneren Stimmen nicht einmal Gnade walten. Bad Ass war da eher im Vordergrund, während Inny den erbärmlichen Schwächling mimte.

Du kannst nur das Beste aus dir machen. Denk nicht dauernd darüber nach.

Bad Ass drängte den guten alten Inny mit dem kräftigen Ellenbogen weg.

Das Leben ist scheiße und die Mitinsassen unterstützen das. Sie werden dich als Jasager hinstellen, dabei sind sie die wahren Rückgratlosen. Sie geben alle vor, sehr viel Stolz zu besitzen, aber du würdest gar keinen finden.

Ich hatte gar keinen Schimmer, was ich von der ganzen Sache halten sollte. Ganz zu schweigen, besaß ich keinen Anhaltspunkt, welche Rolle ich weiterhin spielen konnte.

 

 

 

Tag 4

 

Wie würden es die anderen auf ihre Weise aushalten? Noch hatte ich keine feste Meinung gehört, konnte bloß bei Buckley ahnen, dass bei ihm eines Tages eine Eskalation stattfände. Auch heute stellte ich fest, dass es nichts gab, was mir Freude einbrachte. Würde ich einen innerbetrieblichen Spaziergang durchführen, läge es auf der Hand, dass ich ziemlich viel Leere vorfände. Patienten, Dauerpatienten verhielten sich ebenso. Doch eine Kur war hier hingegen überhaupt nicht spürbar. Gewiss, es gab schlimmere Orte. Man konnte in Squeedistico landen, wo die Rechte der Gefangenen eine Gefahr darboten. Die Rechte dieser Gefangenen waren für die Obrigkeiten die reinste Pest.

Krankheiten, die man mit Extremitäten nur noch beseitigen konnten.

 

 

 

Tag 5

 

Es verging rasch, das Wochenende. Auch wenn ich später aus den Federn kommen durfte, verging mir das Lachen. Auch wenn bis jetzt kein Drangsalieren stattfand, sah ich zudem unter etlichen Insassen lange, verbitterte Gesichter, vor allem bei den älteren Vertretern. Natürlich erkannte ich, wo mein Arbeitsplatz sich befand und so tat ich das Äußerste. Wo waren meine alten Freunde überhaupt? Mit den neuen hier konnte ich zu Beginn nichts anfangen. Über die Hälfte war in die Arbeit vertieft, als ob ihr Leben davon abhinge. Gerade dies wirkte doch auf die gesamte Stimmung aus. Ich konnte mich noch an Rosecke erinnern, wie er Nicole Gloer einfach so zusammenfuhr. Er hatte selber seinen Frust an ihr ausgelassen, weil ihre negative Spannung ihn zusätzlich gereizt hatte. Hoffentlich war es hier nicht genauso.

Es gab hier ein Friseur, nicht weit von Siegels Büro entfernt, wobei ich mit gedanklichen Auseinandersetzungen es immer vergaß, mich dort blicken zu lassen. Ich verdrängte es sogar. Alec Johnson war wieder in guter Verfassung und marschierte zu van Patten, um sie mit neuem Büromaterial zu bestücken. Dann verließ er den Bereich und wurde von Talia begleitet.

 

 

 

Tag 6

 

Dieser Traum war so merkwürdig, aber lebensecht. Ein seltsamer Mann trat hervor, früher ein gewöhnlicher Mensch. Mit zahlreichen Kampftechniken vertraut. Was nach dem Unfall passierte ließ nur noch teilweise an Menschlichkeit geltend machen. Sein gesamter Körper war mit Stahlplatten versehen, bis auf eine Stelle und das war der Hinterkopf. Seitdem schürt dieser Kerl nur noch Hass durch alle Grenzen der Zivilisationen. Ich sah ihn nur noch in einer Verkleidung und zwar als Ninja. Außerdem trug er eine kleine Schutzbrille, sodass man annehmen konnte, dass genausogut ein Außerirdischer dahinterstecken könne. Mehrmals träumte ich von ihm und beschloss, ihn zukünftig den "Unknowner" zu nennen. Dann zeigte er schweigend mit dem Finger auf mich und ich riss die Augen auf. Das Licht war im Flur an, aber es war noch immer dunkel und so entschied ich mich, den Kopf zu leeren und den restlichen Schlaf zu nutzen. Zur Mittagszeit merkte ich, dass es mehr zu tun gab. Auch gewisse Waren, die angefordert wurden, erwiesen sich als schwergewichtig. Warum gab es keine Büchse Spinat um die Ecke, um die Kondition oder die Produktivität zu steigern? "Popeye" konnte es doch auch auf diese Weise regeln. Spaß beiseite. Ein bisschen Humor war noch übrig, verklang aber schnell wieder.

Woanders gab es eine Diskussion zwischen Lubbish, dem FBI-Leiter und Siegel, der total dagegen war, dass die Presse Wind von diesen Vorkommnissen bekäme. Er hatte angedroht, dass jedes Pressemitglied, das sogar inkognito erscheine, sofort festgenommen werde.

Daraufhin sagte Lubbish gar nichts und bekam doch noch das Recht, den Fall weiter zu verfolgen. Man könnte fast meinen, das Arbeitsstraflager stünde über dem Gesetz.

 

 

 

Tag 7

 

Der Gedanke, mir sechs Monate lang Blasen zu laufen, zog mich runter. Ich versprach mir ja, mich um die Wahrheitsfindung zu kümmern, aber meine miese Stimmung war im Weg. Man musste erneut die angeforderte Ware aus den Regalen entnehmen. Das machte das Kommissionieren aus. Jede Station besaß neun Gänge. An den Seiten befanden Sich mit Sachen gefüllte Regale. Sie waren exakt nummeriert, so dass die Pickzettel ihren Zweck erfüllten. Doch damit nicht genug. Bei jedem Artikel wurden die Gewichte schon ermittelt. Die Kontrollen wären damit verstärkt, gerade weil nichts verkehrt laufen sollte. Doch es konnte vielleicht passieren, dass in der Frühschicht dieser Abteilung der eine oder andere Artikel verkehrt eingelagert wurde. Dies bedarf einer doppelten Kontrolle. Hier musste man auf alles achten. Die Bereiche waren so aufgebaut, dass die Stationen 17 bis 24 sich auf der Südseite befanden und die 25 bis 30 auf der Nordseite. Durch die Fenster konnte man die Wetterlage erblicken, allerdings nicht nach unten schauen. Das gesamte Förderband stand nämlich im Weg. Jede Menge Behälter ließen sich treiben und warteten darauf, gefüllt zu werden. Es gab Pusher, die solche Behälter zu den entsprechenden Stationen schickten. Es gab in der Nähe einen kleinen Bereich, der wurde I-Punkt genannt. Dort diente alles zur Programmierung und Steuerung. Strichcodes wurden eingegeben. Der Rest ergab sich da von selbst. Draußen war Trübsal angesagt. Die Sonne traute sich nur kurz hervor, konnte gegen die Wolken nicht ankämpfen. Das Wetter spiegelte mein Wohlbefinden. Kurz vor der großen Pause ging eine Insassin in die Hocke und weinte. Sie arbeitete in der Station 22 und hieß Wanda Yiltis. Doch ich konnte nicht fragen, was der Anlass dafür war. Es gab hundert Möglichkeiten. Hundert Gründe konnten dazu führen. Aber hier mischte ich mich ungern in fremde Angelegenheiten ein. Ich hatte auch den Eindruck, als wäre das hier nicht angebracht.

 

 

 

Tag 8

 

Um 8 Uhr wachte ich für gewöhnlich auf. Mein Trödeln war absichtlich und mein Hunger sehr gering. Obwohl ich an diesem Tag, das war etwa in der Nachmittagszeit mir gewünscht hätte, in einer Bar zu trinken. Das Scheppern der Gläser zu hören, wäre mal eine Abwechslung in die Monotonie. Vielleicht gäbe ein Klavierspieler mal etwas Romantisches zum Einstimmen. Scheppern und Klimpern würde diese Räumlichkeit gewürzt mit Gelächter und Gerede ordentlich ausfüllen. Aber Schluss mit der Träumerei. Mir war klar, dass irgendwer diese Blase zum Platzen brachte. Ich verbrachte endlich am späten Abend, also nach Feierabend die Zeit, ein Gespräch mit Inny und Bad Ass zu führen.

" Ich musste über die Vergangenheit denken. Die arme Tarah. Wie sehr ich sie vermisse."

Ja, die Ärmste. Die große Liebe darf man auch nicht verdrängen. Das wäre so, als würdest du dein Lieblingsbuch entsorgen, bloß weil die Schlepperei dich überanstrengt. Das war Inny.

Tarah ist doch mittlerweile nur noch Asche und die sadistischen Bürokraten gaben dir nicht einmal eine Urne! Wurde dir nicht gegönnt. All deine früheren Freunde wurden anonym verbrannt und die Asche in alle Winde verstreut. Die einfachste Art und alles auf Staatskosten. Ihre Verwandten wollten eh keinen Kontakt, sie haben diesen Abschaum sogar verstoßen, sodass ein ehrenvolles Begräbnis niemals in Betracht gezogen wurde. Ach ja, ich vergaß: Du wolltest auch was von Cassie. Cassie Roonay. Sie nahm ein ähnliches Ende wie Tarah und alle Insassen, die dich umgeben, würden auch im Todesfall anonym verbrannt werden. Das ist halt die simpelste Art der Beseitigung. Und vielleicht passiert dir auch das Gleiche. Denk darüber nach. Das war Bad Ass.

So kam ich nicht weiter. Was sollte ich bloß tun?

 

 

 

Tag 9

 

Der Höhepunkt des Frustes war erreicht. Die ganze Nacht schlief ich schlecht. Die Grübeleien waren nervenzerrend und klaustrophobisch. Der Drang, frei zu sein, war heute besonders auffällig. An dem Tag redete ich nicht nur mit keinem, ich zog eine besonders bittere Miene und würdigte niemanden eines Blickes. Dabei musste ich einsehen, dass keiner Schuld hatte. Doch gegen den Sog diesen Tiefpunktes kam ich nicht an. Dann arbeitete ich auch noch unkonzentriert und ausgerechnet eine Insassin namens Rosa Gumbeth, die die Arbeiten bierernst nahm, kritisierte mich laufend. Die einzigste, die versuchte, mich aufzuheitern, war die Yiltis. Aber es schien ein billiger Trost zu sein. Sie meinte, ich sollte alles lockerer nehmen. Dabei war die Zukunft, die mir jetzt schon Sorgen bereitete, ungewiss. Andererseits war Freitag und ich konnte es kaum erwarten, den Tag verstreichen zu sehen.

 

 

 

Tag 10

 

Der ganze Tag war nutzlos. Ich schlief aus, aber das leere Leben dort erbrachte mir auch keine bessere Laune. Hoffentlich konnte Inny mich aufheitern. Inny, wo bleibst du? Ich brauche dich!

Und wie war die Woche? Das war leider Bad Ass' konsequente Stimme. Ich konnte das am zynischen Unterton erkennen. Ich kann deine schlechte Laune verstehen und die scheint nicht mehr akkut zu sein. Es sind tatsächlich Depressionen. Und das Schlimme ist, andere in der Außenwelt können sich diese in Alkohol ertränken oder nehmen Tabletten. Dieses Privileg hast du einfach nicht und jeden Ärger musst du in dir reinfressen. Das ist ganz schlimm, aber noch schlimmer ist, keine Sau interessiert das. Du befindest dich in einer egomanischen Gesellschaft. Nicht nur in der Außenwelt ist es so, nein, auch hier drinnen spürst du es. Freunde hast du dir bis jetzt nicht gemacht. Aber das Gute ist, du bist auch nicht von Todfeinden umgeben, die dich mit allen mitteln kreuzigen wollen. Es gab lediglich derbes Austeilen von einer Person, also nichts Verschwörerisches. Die letzten wenigen Sätze hätten von Inny stammen können, ganz ehrlich. Aber es ging trotzdem ums Prinzip. Dass ich im engeren Sinne ein Unschuldiger war und nicht die Absicht hatte, für den Scherbenhaufen zu bluten, den zum Beispiel ein Biff Hogan hinterlassen hatte.

 

 

 

Tag 11

 

Der gestrige Tag verging rasch. Noch immer meldete Inny sich nicht, trotz des Flehens und Bettelns.

Inny hat im Moment Urlaub, du Laschi! Denkst du, Inny kann dich aufheitern. Da hörst du doch nur armselige Moralpredigten. Hör mich an, denn ich bin von Weisheit umgeben. Zieh die sechs Monate durch, dann landest du in einer anderen Abteilung. Wenn du Glück hast, von der Traufe in den Regen. Findest du nicht auch, dass die Winterzeit auch auf deine Laune Auswirkungen zeigt. Der Januar ist eben ein toter Monat. Im Februar ist Faschingszeit, im März erhöhen sich die Temperaturen, im April streift der Osterhase umher, im Mai blühen die Landschaften, im Juni haben die Bäume ihr vollständiges Laub, im Juli ist Urlaubsstimmung, im August muss man mit Hundstagen rechnen, aber mit gratis Eis wäre zu rechnen, im September atmet man auf, endlich von den Hitzeperioden befreit zu werden, in Oktober sieht man kunterbunte Blätter von den Bäumen, in November kannst du dein Geburtstag vorhalten und in Dezember herrscht Weihnachtsstimmung. Aber der Januar ist nutzlos. Neujahr vielleicht. Aber Heilige Drei Könige? Hat keiner damit zu tun. Tja, mach das beste aus dem Monat. Ach ja, ich vergaß... Morgen ist Montag. Viel Spaß!!!

 

 

 

Tag 12

 

Um acht war ich auf und trödelte herum. Was war überhaupt noch motivierend? Auch körperlich gesellte sich eine Schlaffheit, die nicht abzustreifen war. Es gab keine Motivation von außen und meine inneren Kräfte streikten kontinuierlich. Man arbeitete dort automatisch länger und da waren alle mitgehangen. So war es nun mal, wenn man Spätdienst hatte. Es war erst dann zuende, wenn der letzte Auftrag seine Runde machte. Der letzte Artikel. Aber dies würde per Lautsprecher durchgesagt werden. An dem Tag war ich auf Station 20 mit Hunt Kiersten und Wolf Stoltz. Wolf Stoltz kämpfte mit einer beginnenden Glatze, bemühte sich, die freie Stirn nach vorne zu kämmen. Bei einem Auftrag besorgte er einen Kalender, den ein Kunde gerne brauchen konnte. Es war ein Kalender über dem nächstgelegenen Tierpark. Auf der Frontseite war ein Mantelpavian abgebildet. Mit weit aufgerissenem Maul und aggressiver Mimik. Ein bisschen lachhaft. Danach wurde ich benachrichtigt, morgen zur Station 19 zu gehen. Womit hatte ich dieses Pech verdient? Außerdem musste ich einen Insassen unter die Lupe nehmen. Peyton Heggers natürlich. Das wusste ich noch letztes Jahr. Der Kerl mit der fiesen Verbrechervisage und der in Verdacht geratene Killer. Aber wo wäre sein Motiv? Das sollte ich herausfinden.

 

 

 

Tag 13

 

Der Tag war ätzend. Der Tag mit Rosas übeler Laune zu leben und die erschaffene Militärdiktatur hinzunehmen. Aber so war ein großer Teil der Menschheit. Wenn die miese Laune anfällig war, musste irgendein Schuldiger her. Ein kalter Luftzug drang in dem Bereich ein und ließ mich diese Eiseskälte, die solch eine Stimmung wiederspiegelte, gnadenlos spüren. Rosa war alleine und zum Überfluss hatten wir ausgerechnet die meisten Aufträge. Brent Misher, der mit Großlieferungen für die andere Abteilung beschäftigt war, konnte uns nur gegen neunzehn Uhr unterstützen. Damit war der Arbeitsablauf gerade noch gerettet. Sie, Rosa, warf mir schließlich als Tageszusammenfassung vor, ich liefe durch die Gänge wie ein Zombie. Morgen wäre ich für Station 22 vorgesehen und atmete etwas auf.

 

 

 

Tag 14

 

Es schneite zwar nicht, doch der kalte Nordwind tobte sich aus, weil es die richtige Zeit war, das Treiben auszunutzen. Und wir Insassen hatten nicht einmal das Recht auf dicke Klamotten. Ich sah später wie Wanda sich eine künstliche Orchidee seitlich des Haars anlegte. Mein Eindruck war Frühlingsanbetung? Nach dem Betrachten des Wetters sehnte man sich jetzt schon danach. Brent Misher putzte seine Lesebrille. Seine Arbeit war gewissenhaft, er nahm die Tätigkeit wirklich ernst. Irgendwie besaß er eine gewisse Ähnlichkeit mit Ed Flanders. Nach und nach lernte ich andere Leute kennen. Juwel Surth, eine Kleinwüchsige, die ziemlich ruhig ihrer Arbeit nachging. Mit dabei geisterte eine Arras Byrtan, Anfang fünfzig, herum und dann war ja noch ein Veteran namens Weaponsmith. Vierzig Jahre saß er schon ab und musste noch ein halbes durchziehen, bevor er die Freiheit genießen durfte, nur was nützte ihn das. Er hatte sich während der Zeit ein Glasauge, eine Beinprothese und ein kaputter Rücken eingehandelt. Hinzu kam noch die Abnahme seiner Lungenfunktion und sein Herz kam auch schon oft aus dem Rhythmus. Auch wenn er noch groß und kräftig war. Irgendwie schien er äußerlich eine Mischung zu sein zwischen George C. Scott und Charlie Puckett aus dem Slasher "Denn nachts kommt Charlie". Die restlichen Insassen würde ich die Tage oder Wochen näher kennen. Zum Schluss merkte ich noch, dass mein Knöchel drückte.

 

 

 

Tag 15

 

Heute befand ich mich mit Hunt und Wolf in Station 20. Auch da lief es irgendwie lockerer. Eine, die auch in dieser Station fest drin war, sie hieß Grazia Mirabella, arbeitete mit Rosa zusammen. Eine Italienerin und eine aus Mexiko. Sie kannten sich schon seit Monaten. Rosa war bereits vierzehn Jahre hier und die wesentlich jüngere Grazia drei Jahre. Was konnten alle getan haben, um hier zu landen? Dann dachte ich auch noch an die Überlebenden der Schulklasse und wie würde sich das in zwei Monaten bilden? Alles Fragen, wobei ich die Antwort selbst herbei philosophieren sollte. In der Schulklasse waren genug ums Leben gekommen. Überlebt hatten Cartman Bunks, der während des Brandes einfach die Flucht ergriffen hatte (was er schon immer am besten konnte), dann Chadwick, der seelisch wieder einigermaßen stabil wurde, Tyrone ging es auch gesundheitlich besser, Reamon Elias ebenfalls. Mitchell Ferry befand sich in der Abteilung, wo ich letztes Jahr über zwei Monate verbrachte. Praktisch eine Art von Austausch fand statt. Irwin war in Ordnung, Deke Oldman kurierte die Grippe aus (er lag drei Wochen lang flach), Gino war in guter Verfassung und es war schon sicher, dass er mit mir weiterhin die Zeit in der Schulklasse verbringen würde, Arnika Zimmler war noch im Krankenhaus, befand sich allerdings in einem hoffnungsvollen Besserungszustand und Leonard Zording, der Weise, existierte ja auch noch. Aber mehr wusste ich auch nicht. Weder über die akkurate Klassenkonstallation, noch über die Tragweite des Schadens der Schule. Nicht einmal Mr. Siegel würde Ahnung davon haben, er war anderweitig beschäftigt, was natürlich war. Dann stellte ich mir die allerletzte Frage. Was hat das FBI sich alles zusammengereimt? Die letzten zwei Wochen war keiner von denen aufgetaucht. Es ging darum, wer Sela Demarest und Kurdit umgebracht haben sollte. Dann erschien mir die wirklich allerletzte Frage: Was verbindete die beiden? Ich kam mit dem Gedanken nicht klar.

 

 

 

Tag 16

 

Freitag! Wenigstens etwas motivierend. Der Ablauf war wie es schon oft der Fall war. Durch die Gänge hin- und her laufen und in von Förderbändern getriebenen Behältern Bestellungen zu füllen. Unterwegs traf ich auf eine Insassin namens Afton Tresque. Sie arbeitete auf der Station 29 und schien zu bedauernswert hektisch zu sein. Sie war dürr, mittelgroß und dunkelhaarig. Oftmals ließ sie den Pickzettel einfach fallen, ohne dass einer sich dem Malheur wandte. Ich dachte, würde mir das passieren, gäbe es garantiert hier und da Gemeckere vom Feinsten. Sie kam mir aber vor, wie von monatlichen Rückständen geplagt. Trotzdem bereitete mir das kein Kopfzerbrechen, denn meine Gedanken waren mit anderen Fragestellungen wie gestern konfrontiert.

Leider war das mein Irrtum...

In der großen Pause saßen wir alle und aßen unsere Kleinigkeiten. Wenigstens war die nörgelnde und oberspießige Rosa nie dabei. Yiltis unterhielt sich mit einer guten Freundin namens Minnie Nouri. Beide dürften ungefähr im selben Alter sein, so Anfang bis Mitte zwanzig. Dann ging es weiter und mein Wunsch war, wieder ein Tag zum Durchstreichen zu nutzen.

 

 

 

Tag 17

 

Allein in der Zelle, könnte man meinen. Ein bisschen neidisch war ich schon. Andere waren zu zweit und konnten sich über alles unterhalten. Ich hatte zwar Inny und Bad Ass, aber sie existierten nur in meinen Verstand. Und trotzdem kamen sie mir manchmal wirklich vor. Das lag vor allem an der dunklen Zelle und die kalten Luftzüge. Dass ich noch nicht erkältet war, galt für mich als ein Wunder. Inny war aus dem Urlaub zurück. Und wie war die Woche, du armer Kerl? Haben sie dir den Marsch geblasen, wie ich so vernommen habe? Bad Ass hat es mir geschildert.

Das war schon übertrieben, doch eine Tal- und Bergfahrt war es schon. Und trotz der kleinen Hoffnungen blieb meine Stimmung auf lethargische Weise geknickt. Es musste sich viel verändern. Abgesehen von den Kleinigkeiten, die hinderlich waren, dass ich ständig ein langes Gesicht zog, reichte nichts aus. Es war nichts herzlich genug. Die meisten waren lieber mit sich selbst beschäftigt und betrachteten mich wohl eher als überflüssig. Da fand ich die vorige Abteilung irgendwie besser.

 

 

 

Tag 18

 

Guten Morgen, du armer Leidhammel! Bad Ass musste wieder alles vermiesen. Der gestrige Tag war ja wohl zu schnell vergangen. Und heute ändert sich auch nichts. Wie schnell wird es duster? Und diese Abteilung... du musst bedenken, diese Stimmung wirst du ein halbes Jahr mitmachen und ich habe irgendwo gelesen, dass innerhalb von drei Stunden jemand durchdrehen konnte. Und dieser Jemand war kerngesund und rational unfehlbar. Und deine Stimmung ist schon von Natur in den Keller gesunken.

Jetzt meldete sich Inny.

Er hat doch im März eine Unterbrechung. Die Schule! Diese wird laut Plan vorrängig behandelt und dann können die Insassen im Lager mit ihrer muffigen Stimmung meinetwegen gegeneinander kämpfen.

Bad Ass hatte ein Argument im Ärmel.

Die Schule... weißt du, was letztes Mal passierte? Eine Mordserie! Seitdem das offiziell wurde, schien das Leben mit Angst vergiftet zu sein! Und die Noten waren bestimmt nichts zum Vorzeigen.

Inny kam zum Gegenargument.

Mag sein. Aber die Killerin wurde aufgefunden und das FBI übernimmt den Rest.

Bad Ass gab nicht auf.

Glaubst du, die kriegen das alles auf die Reihe. Ich sage euch Folgendes: ES IST DEFINITIV NICHT VORBEI!

Dann verstummten beide Stimmen.

 

 

 

Tag 19

 

Demotivierend ging es weiter an die Arbeit. Mr. Siegel kam kurz zu mir und erklärte mir, dass ich das letzte Neulingstreffen versäumt hätte, was aus seiner Sicht nicht schlimm war, denn ich war hier in dieser Abteilung ziemlich beschäftigt. Überrascht war ich, als ich bemerkte, dass er glatt rasiert war. Daran musste man sich gewöhnen. Morgen würde wieder so etwas stattfinden. Und ich hätte um zehn Uhr einen Termin mit der Psychologin Grace Wise. Dafür durfte ich um neunzehn Uhr mit der Arbeit aufhören. Das war aber großzügig und dadurch trat etwas Motivation in mir auf wie das Erblühen einer Pflanze. Er hatte auch darauf hingewiesen, dass ich ein gut gefülltes Überstundenkonto besaß. Jetzt konnte man laut neuer Anordnung von Oben mehr als zehn Überstunden ansammeln. Er meinte das Maximum wäre bei fünfundzwanzig. Dann verabschiedete er sich und verließ die Abteilung. Und ich setzte meine Arbeit fort.

 

 

 

Tag 20

 

Die Zeit mit der Psychologin war angenehm und nötig. Ich erzählte, wie es in der Abteilung zuging und sie riet mir trotzdem, durchzuhalten, mich nicht unterkriegen zu lassen. Die Insassen, gleichgültig, wie lange sie ihre Zeit vor mir verbracht hatten, durften sich nicht aufspielen, als hätten sie viel zu melden. Sie wären ebenfalls arme Schweine, die litten wie ich und wir saßen nun mal im selben Boot. Aber als Prototyp des beispielhaften Einzelgängers war die Situation ein kniffliger Kampf. Als die Zeit um war, ging es erneut zur Arbeit und tatsächlich ging die Zeit schneller um als gedacht. So gegen fünfzehn Uhr holte mich Mitch Ferry ab zum Neulingstreffen. Das fand in der Kantine statt und alle waren versammelt bis auf Siegel. Der kam eine halbe Stunde später. Vorher gab es durcheinandergeratene Unterhaltungen. Mich verwirrte die Vorgehensweise, irgendwo einem Thema dranzuhängen. Dann richtete sich meine Aufmerksamkeit an Milla und Mina, die sich stritten. Milla spielte mit ihrem Feuerzeug, schnippte hin und her, womöglich aus Langeweile.

" Was machst du da, du Monchichi? Bist du drei oder vier?" fragte Mina zynisch.

" Du hast doch gar nichts zu sagen, Silberrücken", verteidigte Milla sich. Und sie schnippte weiter. Feuerzeug ein und aus. Wieder ein und aus und näherte sich damit an Minas Klamotten.

" Pass auf, was du tust! Das ist keine Jeans, die ich anhabe. Da geht alles schnell in Flammen auf!"

Das stellte ich mir bildlich vor. So etwas wie eine brennende Bowlingkugel, die die Treppen runterrollen würde. Mina war extrem pummelig. Es gab nichts, was an ihr spitz oder länglich war. Alles war rund. Die Nase, das Gesicht, die Augen, der gesamte Körper. Milla war eher das Gegenstück. Mittelgroß, kleine Augen, spitze Nase und mit einer kleinen Ähnlichkeit versehen wie Bibi Blocksberg.

Siegel kam nun zu uns. Er bot einigen von uns Zigaretten an. Crispin, Mitch und ich lehnten ab. Auch Talia und Francesca waren Nichtraucher. Das nahm Siegel auch gar nicht übel, er empfand es sogar als sehr vernünftig. Später ging es für diejenigen, die Spätdienst hatten, weiter. Das war vor allem ich und vermutlich auch Tekin. Aber um neunzehn Uhr war wie besprochen Schluss.

 

 

 

Tag 21

 

Die Mitte der dritten Woche brach an und es verlief wie gewohnt. Ich wechselte heute von Station 20 zu 21 hin und her. Als ich Grazia sah, fiel mir auf, dass sie und Hunt Kiersten optisch irgendwie zusammenpassten. Sie spielten sich psychologisch Bälle zu und hatten scheinbar die gleichen Ansichten. Sie sah auch sehr hübsch aus, doch aus meiner Sicht konnte nichts daraus werden... Moment! War ich jetzt in der Position den ersten Flirt zu starten? Vergiss es! Sie spielte in einer anderen Liga und das war es. Bestimmt wurden die ganzen Tode bis jetzt verschleiert. Um neunzehn Uhr war Feierabend für mich.

 

 

 

Tag 22

 

Ich reckte und streckte mich und fühlte mich etwas besser. Nachdem die Situation aufs richtige Gleis gestellt wurde, konnte ich den Tag auch etwas glücklicher durchziehen. Auch heute pendelte ich zwischen den beiden Stationen und diesmal war es nicht gerade ein guter Tag für Wolf. Seine Fehlerquote übertraf die sonstigen Tage. Die Behälter konnten sich mit den vereinbarten Vorgaben nicht messen und so wurden sie jeweils zurückgeschleust. Dann wurden die Fehler korrigiert (Hunt half ihn dabei) und die Arbeit wurde fortgesetzt. Wanda stand schon um zwölf Uhr einsatzbereit an der Förderkante wie ein Hermelin oder ein Erdmännchen, das den großen Knall zu hören bekam. Das roch nach Motivation oder es sah nur so aus. Um neunzehn Uhr war Feierabend für mich.

 

 

 

Tag 23

 

Als ich mich an die Arbeit verging, machte das Wetter nicht ordentlich mit. Der Nebel machte sich breit und sorgte für unheimliches Ansehen. Es kam mir vor, als hätte eine unverhoffte Sonnenfinsternis den Platz eingenommen und würde sich weigern, irgendwas zu respektieren. Als ich kurz bei der Station 19 aushelfen sollte und ein Artikel am letzten Gang genau am Ende besorgt werden sollte, fand ich einige Blutstropfen. Sie führten zur Station 29. Ich dachte mir erst einmal nichts dabei, denn bei dem Stress sei es realistisch, dass man mal mit Nasenbluten zu tun hatte. Danach erwies sich das nur als eine Vermutung, denn in eines der Regalplätze entdeckte ich etwas, das meinen Darm zum Rumoren brachte. Gang I, Reihe G, Platz 6 befand sich nichts materiell Gefülltes, was den betrieblichen Anforderungen entsprach. Es war den Insassen gebeten, sogar befohlen, dauernd diese Plätze mit Waren zu füllen und was sich abgesehen von der Leere befand, war die blutgestriemte Brille von Afton Tresque und von da an war mir die Sicherheit geboten, also die Bestätigung, es habe mit der Mordserie wieder angefangen. Es war das Gefühl, das so eindringlich wie möglich mich heimsuchte, mir eine Gänsehaut erzeugte und mir skurrile Atemtechniken beibrachte. Natürlich behielt ich es für mich, denn die Insassen folgten immer einer logischen Erklärung und diese sollte so einfach wie möglich erstellt werden. Und bequem. Um neunzehn Uhr war erst recht Feierabend für mich, war mein Glaube. Ein Irrglaube, wie sich nächste Woche herausstellen sollte...

 

 

 

Tag 24

 

Eine weitere Woche war vergangen und die inneren Stimmen zogen wie auch in den kommenden Wochenenden Bilanz.

Und? Hast du in der Woche etwas Neues gelernt? fragte Bad Ass, auf Provokation gebürstet.

" Also die Woche hat sich gebessert. Dann war das Neulingstreffen..."

STOP! Die Sonne scheint nicht immer und das Gras betrachte nicht immer als GRÜN. Haken wir nach. Das Treffen, wenn ich deine Gedankenwelt mal kurz ausleihen darf, war lockerer als gedacht. Schon mal was von der Ruhe vor dem Sturm gehört?

" Aber Siegel hat sich bis jetzt gnädig bewährt. Ich darf um neunzehn Uhr Schluss machen."

Wenn du das meinst! Ich habe sogar den Eindruck, du willst dein Liebesleben allmählich auffrischen. Hast du Tarah vergessen? Hast du Cassie sogar vergessen?

" Sie sind nicht mehr am Leben! Ich habe nicht die Absicht, mein Leben lang zu trauern. Es muss langsam weiter gehen."

Nun ja. Verliebt bist du bis jetzt so gar nicht. Grazia findest du zwar gutaussehend, aber es ist nun mal die Wahrheit. Das kann gar nicht funktionieren. Hunt Kiersten hätte sein Revier ohnehin problemlos markiert. Außerdem bist du ein Neuling, mindestens zehn Jahre jünger als sie und nicht sonderlich beliebt in der Abteilung.

" Warum diskutieren wir überhaupt noch?"

Keiner hat dich gezwungen, auf meine Fragen zu antworten. Du könntest demnächst schweigen. Das kannst du sonst immer gut.

" Das reicht!"

Inny hatte auch noch etwas zu sagen.

Lass ihn. Es scheint vielleicht mit seinen Emotionen aufwärts zu gehen. Schließlich hat es keiner verdient für den Rest des Lebens verbittert zu sein.

Ende der Eintragung, würde ich sagen.

 

 

 

Tag 25

 

Bad Ass konnte es nicht lassen, die Diskussion zu beginnen.

Deine Gedanken umfassen den sogenannten ersten Mord. Heute hast du die Möglichkeit, gut zu kombinieren. Viel Glück damit, Sherlock!

" Ich kann nur eines sagen. Blutstropfen auf dem Boden und diese Brille. Sie war orange umrandet. So trug das Opfer sie, daran kann ich mich genau erinnern."

Das ist noch lange kein Beweis, dass sie Opfer eines Gewaltverbrechens war. Das hätte bestimmt einer bemerkt. Es gibt Leute, die haben extremes Nasenbluten und dann strömt oder schießt alles. Sie wird wohl währenddessen zur Toilette gerannt sein und diese Brille war bestimmt nur eine einfache Lesebrille, die wirklich nur zur Not gebraucht wird. Du wirst sehen, morgen ist sie wieder wohlauf.

" Und wenn es doch anders ist? Ich hab's im Urin. Und außerdem ist der Killer von Sela Demarest noch auf freiem Fuß und jeder, der sich in meiner Nähe befindet, könnte verdächtig sein."

Das ist wahr. Auf Station 27 ist ein Insasse, der heißt Enos Shayges. Er wurde vor einigen Jahren angefahren. Von Afton Tresque, die vor lauter Panik Fahrerflucht beging.

" Und beide sitzen die Srafe ab..."

Sie, Afton Tresque, wegen Fahrerflucht. Er selbst hatte nicht viel Schaden davon getragen, doch aus Rache erstach er ihre Zwillingsschwester. Er war schon immer nachtragend, in jeder Situation. Anstatt nach Squeedistico wurde er lebenslang hierhin gebracht. Man einigte sich auf Totschlag. Diese Behörden...

" Woher hast du die Information? Ich kenne oder kannte Enos Shayges nicht mal flüchtig. Nicht für eine Millisekunde."

Das Wissen von irgendwo ist nun auf dich übertragen. Rede mal mit ihn. Frag ihn aus, falle aber nicht in der Eigenschaft als Schnüffler auf.

Inny stimmte zu. Diesmal lag der Pessimist Bad Ass richtig.

Ende der Eintragung.

 

 

 

Tag 26

 

Heute tauchte die Sonne endlich auf. Das Wochenende war nämlich trübe und melancholisch. Der Januar würde bald zuende sein und ein Teil wäre erfüllt. Dieser trostlose und unnütze Monat konnte einen nieder machen. Ich arbeitete auf Station 20 und wagte später, als kurz weniger Arbeit wütete, in Richtung Station 29. Die Blutstropfen waren weg, auch die Brille und der Kollege namens Del Mayssner versicherte, dass sie verschwunden war. Sie war nicht in ihrer Zelle und eine umfangreiche Suche wurde durchgeführt. Das FBI wurde jedoch nicht hineingezogen, warum auch immer. Dann tauchte einer aus einer anderen Abteilung auf, um Großmengen zu liefern. Sein Name war Darwin Lentz. Er redete mit Dolly van Patten.

" Im Juli, so hat man mir gesagt, soll eine Art Puppe gebracht werden. So eine Art Nubbel oder so ähnlich. Sollte am 2. oder 3. Juli sein. Mein Chef bittet um den Eintrag in Ihrem Kalender."

" Mr. Tush oder Hansen?" fragte sie neugierig.

" Tush natürlich. Hansen hat Urlaub."

" Da hab ich kein Problem mit. Mich würde nur interessieren, welcher Kunde scharf auf so ein Ding wäre."

Darwin zuckte mit den Schultern und verließ die Station. Van Patten trug die Übergabe ein.

Dann kam sie zu mir und fragte mich vorwurfsvoll, warum ich um neunzehn Uhr schon Feierabend machen würde.

" Aber Mr.Siegel meinte doch..."

" Nein nur jeden Dienstag, weil Sie den Termin haben."

Dann begriff ich. Sie verließ mich, um ihrer Arbeit nachzugehen und ich blieb, bis alle gingen. Mein Stundenkonto war dennoch im positiven Bereich.

 

 

 

Tag 27

 

Als ich den Termin mit der Psychologin hatte, einigten wir uns, damit nicht alles auf meine Laune schlug, die Zeit zu nutzen, wo ich Spaß an etwas haben könnte. Wie wäre es mit Theaterstücke vorlesen oder das als Rollenspiele nutzen. Sie war einverstanden.

Später war Kommissionieren angesagt und nichts änderte daran. Hunt Kiersten kannte immer noch nicht meinen Namen und begrüßte mich mit

" Hallo, Neuer." Das entmutigte mich aber nicht so, später zweifelte das ganze. Dann redete er mit Grazia, was einen an einen Flirtversuch erinnern konnte, aber keiner war. Dann kam von Wolf eine blöde Bemerkung und Hunt sagte: " Vorsicht. Sie ist Italienerin und deswegen legt man sich am besten mit ihr nicht an."

Natürlich wurde kollegial Schabernack getrieben. Grazia war demnach groß und sportlich, so etwa einsachtundsiebzig, also wesentlich größer als ich und drei Zentimeter größer als Kiersten.

Um halb drei am Nachmittag war wieder der Neulingstreff und Siegel hielt uns die Liste von Namen der ganzen Führungskräfte und Vertretungen vor. Die sollten wir auswendig können, laut seiner Predigt. Nach Beendigung gingen wir dorthin, wo wir vorgesehen waren. Die einen in ihre Zellen und andere arbeiteten weiter. Es war eben das System mit Früh - und Spätschicht.

Um neunzehn Uhr hatte ich Feierabend. Also wöchentlich, es sei denn, die Psychologin fiel mal aus.

 

 

 

Tag 28

 

An dem Tag nahm ich mir felsenfest vor, mit Enos Shayges zu reden. Ihn auf dem Zahn zu fühlen, aber mit Vorsicht. Aber ich weigerte mich zu glauben, dass er der Mörder war, der die Schule in Brand steckte. Er war mir so unbekannt. Und das beruhte auf Gegenseitigkeit.

" Ja, sie ist noch immer vermisst und ich traue ihr einen Fluchtversuch nicht zu. Dazu ist sie zu verängstigt." Das sagte er mit Überzeugung. Ich starrte ihn skeptisch an, aber nur, weil ich auf mehr Informationen aus war.

" Ich gebe auch zu, sie hatte mich angefahren und meine Kniescheibe ist zertrümmert. Und seitdem bin ich impotent und das hat mich rasend gemacht! Hätte der ganze Freundeskreis das erfahren und die Wahrheit käme immer irgendwann raus, wäre ich ein Gespött der Natur. Das kann ich mir nicht bieten lassen. Also musste ich sie aus Rache ebenfalls verletzen, aber ich hatte wohl zu heftig zugestochen. Dabei wollte ich nur so richtig piksen. Ich wusste nicht einmal, dass sie eine Zwillingsschwester hatte. Und durch Zufall sind wir beide im selben Boot. Verrückt. Bist du Detektiv oder was?"

" Ich wollte niemanden belästigen. Das liegt daran, dass ich zuviel erlebt hatte. Letztes Jahr war die Schule mehr oder weniger abgebrannt und das nicht fahrlässig."

" Aber sonst ist alles in Ordnung?"

" Es geht schon", sagte ich.

" An deiner Stelle würde ich mit Miranda Grocery reden. Sie befindet sich mit Kollegin Tiane Katuschek auf Station 17."

" Was hat sie mit dem Fall zu tun?"

" Gestern, um fünfzehn Uhr war das FBI hier. Sie redeten mit unserer Bereichsleiterin Gertie Mullinghouse. Auch van Patten wurde interviewt. Nach dem Brand der Schule wurde ein Benzinkanister gefunden. Er war nicht besonders beschädigt und der Name von Miranda Grocery stand drauf. Sie hatte auch letztes Jahr zwei Wochen Freigang, also offener Vollzug. Ich bekam das mit."

" Nun komm schon, Enos", schrie Hume Coughtwich. " Ausgerechnet bei uns kommen jetzt viele Aufträge."

" Ich komme!" Dann zu mir: " Denk daran. Miranda Grocery, Station 17."

Dann wandte er sich von mir ab, ein mittelgroßer Dreiundvierzigjähriger mit dickem Schnauzbart, der aussah, als besäße er einen eigenen Bauernhof. Er konnte es auch nicht gewesen sein. Dafür war er ernst zu nehmen und aus ihm sprudelte alles raus und irgendwie schien er mir zu vertrauen.

 

 

 

Tag 29

 

Heute erfuhr ich durch diverse Kollegengespräche, dass die Leiche von Afton Tresque aus einem Kanal gezogen wurde. Sie wurde verstümmelt. Das FBI war erneut hier und konnte kein Mordwerkzeug zuordnen. Denen kam es vor, als hätte ein T-Rex sie zermalmt und nach fünf Minuten ausgespuckt. In der großen Pause wurde weiter geredet. Von den meisten kam jedoch der Satz: " Ich kannte sie kaum. Sie pflegte nicht so schnell Kontakte." Dann ging es weiter, als wäre nichts passiert. Ich war auf Station 20, pendelte zur 21, weil Hep Nguyen, ein Vietnamese heute alleine war. Dann kam Rosa und triezte mich bewusst.

" Kannst du dich endlich zusammennehmen und dich SCHEIßE mal ranhalten. Mir ist egal, ob du Orientierungsstörungen hast! Heute kommt viel!"

Mich nervte das. Ich konnte nichts für den unerwarteten Überlauf. Aber es kamen zugleich auch viele Großmengen an, die heute erledigt werden mussten. Der sogenannte Mordfall war Ansichtssache des FBI, die langsamer arbeiteten, als Kollegen mir vorwarfen.

Daraufhin heulte sich Rosa bei Hunt Kiersten aus.

" Ich kann den Knaben nicht ausstehen! Er stellt alles infrage, was ich an Abläufen haushalte. Den muss man einfach weit weg wünschen."

" Ach Rosa", antwortete er. " Solange er keine Regale umstößt und hier nichts aus Versehen abfackelt, geht es doch einigermaßen. Er redet zwar nicht besonders, aber er ist doch kein Katastrophentyp."

" Für mich schon! Er arbeitet langsam, er schaut niemanden an, sieht scheiße aus und wenn er mal redet, mischt er sich in Sachen ein, die ihm einen verwichsten Scheißdreck angehen!!!! Das sind die Typen, die uns alle durch den Dreck ziehen werden!!! Wenn er hier länger bleibt, werden eines Tages mindestens zehn von uns für weitere Jahre verurteilt werden! Und er kommt vielleicht noch davon!"

" Rosa, nicht übertreiben!"

" Wie naiv bist du denn, Hunt? Eine Person ist schon tot!!! Und er hat sie vor zwei Wochen kurz angeschaut, als ginge sie ihm auf dem Sack! Das hab ich genau gesehen!"

" Und du glaubst, er könnte was damit zu tun haben?"

" Manchmal braucht man Leute nur anzusehen und man kann schnell urteilen. So bin ich erzogen worden und ich halte mich strikt dran. Da wirst auch du nichts ändern!"

" Wie soll er den Körper in den Kanal gesteckt haben, wenn ich solchen Unsinn höre?"

" WEIß ICH NICHT, IST MIR AUCH EGAL!!!! Er ist mir einfach nicht geheuer!"

" Du denkst aber völlig unlogisch! Ich bezweifele, dass es einer von uns war, weil keiner rein oder raus kann, es sei denn, man begeht ein Fluchtversuch und das wird schnell bemerkt, weil überall Wachposten verteilt sind. Vielleicht konnte sie fliehen und ist einem schweren Unfall zum Opfer gefallen!"

Beleidigt ging sie zurück zu ihrer Station.

 

 

 

Tag 30

 

An dem Tag ging es anfangs stressig zu, später entspannter, was dem Warenfluss betraf. So langsam merkte ich, wie meine Füße schmerzten, denn die Arbeit war mit unheimlich viel Lauferei versehen und das acht bis zehn Stunden lang. Als ich dann den kurzen Moment nutzte, Enos Shayges zu sprechen, stand Hume Coughtwich vor mir.

" Was willst du, Kleiner?"

" Wo ist der werte Kollege?" fragte ich zaghaft. Im Innern spürte ich schon Unbehagen und die Gänsehaut erfolgte hinterher.

" Keine Ahnung. Wie es aussieht, fehlt er unentschuldigt. Das war nie seine Art. Gestern war er noch gut drauf, hat schöne Ostfriesenwitze erzählt. Naja, er wird wohl nächste Woche auftauchen, da bin ich mir sicher. Auf jeden Fall bin ich alter Sack alleine hier!"

Er sollte nicht so übertreiben. Erstens war er sechsundfünfzig, zweitens halfen Luana Weymers von Station 28 oder Dasha Redpath von der 26 ab und zu und die beiden waren professionell und tüchtig und drittens... sein Kollege kam nie mehr. Ich wusste es deshalb, weil mir am Ende des Ganges I im letzten Fach ein Souvenir aufgefallen war. Auf dem Boden befanden sich Blutstropfen. Wenn das auch auf Nasenbluten zurückzuführen wäre, dann würde sich jeder leicht irreführen lassen.

Das Souvenir war der Schnauzbart.

Er wurde mit präziser Gewalt vom Gesicht des Opfers gerissen.

 

 

 

Tag 31

 

Ich war platt und wollte nur noch ruhen, da belästigte mich Bad Ass nochmal, wahrscheinlich aus Langeweile.

Wie war die Woche? Konzentrieren wir uns doch auf Montag und Dienstag. Die Sache mit der Puppe wird wohl nicht uninteressant sein. Es wäre möglich, dass sie dich zu einen ganz neuen Spielplan bringt, bin mir aber nicht sicher. Und wo du irrtümlicherweise jeden Tag früher gegangen bist... tss...tss. Aber dein Stundenkonto ist nicht im Minus und du hast Einsicht gezeigt. Es wird dir also keiner den Kopf abreißen. Da würde man dich viel eher wegen Schnüffelei verurteilen. Halte dich ein bisschen zurück, gehe aber trotzdem den Hinweis nach, den das letzte Opfer dir gegeben hat.

" Na gut, du musst es ja wissen", sprach ich im halbverschlafenen Zustand. Bis ich um einiges wacher wurde, begriff ich, dass meine seelische Stimmung wieder nach unten gekullert war.

 

 

 

 

 

B: Frust oder Unlust?

 

 

 

Tag 32

 

Jetzt hatten wir Februar und dieser hatte achtundzwanzig Tage. Aber motiviert hatten diese Gedanken mich immer noch nicht. In der Hinsicht war ich nicht einfach zu überzeugen. Und Bad Ass streute Salz über die Wunde.

Reden wir über Mittwoch bis Freitag. Da war viel mehr passiert. Am Dienstag war ein eintöniger und normaler Ablauf. Am Mittwoch bekamst du den Hinweis, dich zur Station 17 zu begeben. Vielleicht findest du da etwas heraus. Der Verdacht scheint sich auf die Frau namens Miranda auszuwirken, denn es war ja ihr Benzinkanister. Andererseits weißt du nichts über sie und somit kannst du auch kein Motiv daran und darin erkennen. Aber irgendwo muss eins stecken. Auch wenn es nur ein Verdacht ist. Am Donnerstag warst du sogar als verdächtigt ernannt. Zwar nur von einer Person, aber von derjenigen, die das Schandmaul am weitesten aufreißt und sich am besten ausheulen kann. Wie lange dauert es, dass sie sich bereit erklärt, andere mit ihrer Hasspredigt anzustecken? Und wann kommt der Zeitpunkt, wo sie das Bedürfnis erweckt mit einem vom FBI zu reden? Sie muss dich ja abgrundtief hassen, wenn es soweit käme. Dann vorgestern das womöglich zweite Opfer. Aber musste diese Grocery es gewesen sein. Als du dich am Mittwoch mit Enos unterhalten hattest, hatte Rosa genervt in deine Richtung geschielt und es gab wirklich eine Zeugin, die das Gespräch mit verfolgte. Sie arbeitet in Station 18, also nebenan und heißt Dinah Lear. Und sie hatte mit Miranda zur gleichen Zeit Freigang. Und beide sind eng befreundet.

" Wenn beide eng befreundet sind, wie kommt es, dass beide nicht auf der gleichen Station sind?"

Weil beide dann nur noch quatschen würden und das mag die van Patten so gar nicht. Sie fordert, dass man sich aufs Arbeiten konzentriert. Und noch was. Morgen ist Montag!

Genervt legte ich mich hin. Auch Inny hatte mal etwas loszuwerden.

Lass dich nicht entmutigen. Drei Wochen kriegst du auch noch hin und dann folgt nach Plan die Schule. Und wenn du aus der Schule wieder raus kommst, wird das Wetter garantiert besser.

Bad Ass hielt dagegen.

Die Schule. Der abgebrannte Schauplatz des Verbrechens. Und ich kann nur sagen: WENN er aus der Schule wieder raus kommt! Vielleicht brennt sie wieder und dann gibt es keine Schule mehr! Und wenn er zurück kommen sollte ist er wieder im Lager und wird von der miesen Laune überrannt. Ist das dein dilettantischer Motivationsversuch, Inny?

Ich sagte nichts.

Die Schule ist nicht komplett abgebrannt. Es konnte wieder alles geradegebogen werden, sprach Inny. Aber ist klar, dass du nur Böses herauskramst.

Wir werden sehen, wer richtig liegt! sprach Bad Ass.

Ich selbst grübelte nur noch nach. Immer da, wo ich mich aufhielt, passierten unverständliche Dinge. Wo es auch sein mochte, das Böse beobachtete mich auf Dauer.

 

 

 

Tag 33

 

Wie gewohnt, arbeitete ich in Station 20 und abwechselnd in Station 22. Und wenn der Warenfluss sich minderte, schielte ich meist zur Station 17 hinüber, wo meine momentane Aufgabe bestand, die Wahrheit zu erfahren. Dafür nutzte ich eines der Pausen aus.

" Sind Sie Miranda Grocery?" fragte ich.

" Nein, Tiane Katushek", sagte eine Hochgewachsene mit blonden, kurzen Haaren. " Miranda ist noch in den Gängen. Ich muss sie ab und zu mal von Dinah abhalten, sonst würden beide nur noch acht Stunden Unterhaltungen führen."

" In Ordnung", sagte ich.

Danach begegnete ich die betroffene Person. Sie sah mich ängstlich an und kehrte mir den Rücken.

" Ich... ähem... ich wollte einige Fragen stellen."

" Ich habe nichts zu erzählen", meinte sie, ohne mich anzusehen.

" Enos Shayges meinte, ich soll mit Ihnen reden, um Klarheit zu verschaffen."

" Mag sein, aber jetzt ist er verschwunden und warum? Es ist wie bei Afton. Da wette ich! Wenn Shayges was passiert ist, stört es mich nicht im geringsten. Hätte der auch verdient."

" Ich wollte über den Benzinkanister reden..."

" Das war klar. Das FBI hat mich immer nur genervt. Trotzdem reicht das als Beweislage nicht aus. Außerdem weiß Dinah mehr darüber. Ich hab den Kanister schon seit etlichen Jahren nicht benutzt. Ich hab ihn sogar vernachlässigt. Da hätte Dinah viel mehr mit anfangen können, denn sie ist handwerklich bei weitem begabter, als ich es je sein könnte. Ich hatte den Kanister damals nur gekauft, falls der Zeitpunkt kommen würde, dass die Spritpreise steigen sollten, vor allem immens, dass ich dann den Moment abpassen würde. Dinah meinte, dass Benzin auch für eine Kettensäge tauglich ist. Ich befasse mich nicht mit so ein Kram. Rede ruhig mit meiner Heimwerkerfreundin."

" Das habe ich auch vor. Danke."

Dann ging sie weiter. Nämlich zur Toilette.

Sie schien die Wahrheit zu sagen, doch mein Eindruck war, als habe sie vor jemanden Angst.

 

 

 

Tag 34

 

Die Stunden mit Grace Wise erfolgten wenigstens lockerer und diente eigentlich als Ablenkung. Aber so ganz füllte es doch nicht aus. Heute war das Detektivspiel beiseite gelegt, gerade weil ich mir ein bisschen Ruhe gönnen wollte. Später am Nachmittag trafen sich wieder die Neulinge, doch keiner aus den für Bürotätigkeiten Zugewiesenen. Kurz darauf foppte mich dieser Buckley, nachdem er mit Tekin über den Sinn des Lebens diskutierte.

" Und? Hast du die Namen von diesen Wichtigtuern drauf, wie letztes Mal angekündigt?"

Ich geriet ins Stocken. Da ich die Zeit mit anderen Dingen beschäftigt war und vor allem mit mir selber, schien ich dabei ertappt worden sein. Die übrigen verhielten sich dagegen selbstsicherer mit ihrem kühnen Auftreten, aber das würde sich ändern.

" Denk daran, wenn der Siegel kommt und ausgerechnet dich ins Kreuzverhör nimmt, macht der dich so fix und fertig, dass du nicht mal deinen Namen auswendig kannst."

Aber er kam gar nicht. Dafür war er zu beschäftigt und das war mein Glück. Also versprach ich mir, am Wochenende verbissen zu pauken.

Anscheinend mussten im Lager alle der van Patten Rechenschaft ablegen und sie den Heribertsen. Er gab den Siegel Rechenschaft ab und Siegel dem Betriebsleiter und dieser ist der Geschäftsleitung hörig. Und diese legten wohl Rechenschaft vor Gott ab. So funktionierte Hierarchie.

So gegen siebzehn Uhr, wollte Wanda mir eine Tätigkeit zeigen, die sie des Öfteren machte. Es ging da um Spezialsendungen, die per Handwagen mittels eines Lastenaufzugs zur Versandabteilung zu bringen. Also stiegen wir ein und irgendwie war es mir, als zog sich mein Magen zusammen. Hatte ich eine Phobie vor Fahrstühlen? Offenbar, aber sie war nicht so wild. Mir wurde nicht schwindelig oder es entstand ein Zusammenbruch. Nein, ich war einfach ziemlich nervös, das war alles. Wanda sah mich nicht an. Sie war heute vertieft in diese Arbeit, dass sie allgemeine Kontakte eher vernachlässigte. Dann wurde der Handwagen, unten angekommen, hingestellt und stehen gelassen. Großmengen auf Paletten wurden auch dort gebracht, zugepackt und zu der Abteilung gebracht, die ich am Anfang durchlebte. Danach fuhren wir wieder rauf und sie wies mich darauf hin, dass ich das nächste Mal es alleine versuchen sollte. Aber dazu kam es wohl nie und das war dem Zufall überlassen.

 

 

 

Tag 35

 

An diesem Tag war mir das Verschwinden von Miranda aufgefallen und ich musste zugeben, dass der Killer mittendrin war und ständig lauschte. Wieder traf das FBI ein und erwähnte, dass der Leichnam von Enos Shayges gefunden wurde. Zuerst dachte ich an einen weiteren Abstecher zur Kanalisation, aber er wurde in der Kantinenküche aufgefunden. In einer Kühltruhe aufgebahrt. Die Pause nutzte ich, um nach einen Hinweis zu fahnden. Auf einem Platz fand ich zwei blutige Ohrringe und das Namensschildchen vom Benzinkaninster, was nicht besonders leserlich war, aber als Beweis genügte. Eins und eins bräuchte man in der Situation zusammenzuzählen und die Fakten, die sich mittlerweile angesammelt hatten, waren deutlich genug. Ich rührte auch nichts an, weil ich an Beweismaterial dachte, aber warum ging ich nicht einfach zu van Patten und zeigte ihr alles. Sie könnte das FBI alarmieren. Wie ich sie aber einschätzte, würde sie mir nicht glauben. Die meisten erkannten erst eine Gefahr, wenn eine Explosion stattfand. Sie würde mir sogar empfehlen, dass ich mich nicht einmischen dürfte. Ich befand mich auf Station 20 und ging wie jeder seiner Arbeit nach, da sah ich eine besonders gut aussehende Frau gegenüber. Sie war wohl für Station 28 vorgesehen und ich fragte mich, was sie sich geleistet hatte, um hier zu landen.

Später fand ich etwas in eines der Wannen, was interessant zu sein schien. Es war ein Buch über Latent Island. Ich war gerade dabei, da kurz reinzublättern, da kam van Patten hinter mir und maßregelte mich.

" Hören Sie mal! Reinschmökern ist hier nicht erlaubt. Sie sind kein Kunde in einer Boutique!"

Also legte ich das Buch in die Wanne und stellte nichts infrage.

 

 

 

Tag 36

 

Warum ging mir die Mordserie einfach nicht aus dem Kopf. Die größte Sorge allerdings war nicht, dass mit mehr Toten zu rechnen war, sondern die sich auf mich auswirkende und mögliche Verdächtigung. Ich wurde zu Station 17 verdonnert aufgrund Mirandas Abwesenheit. Dort waren nun mal andere Regalformen, die mobiler waren. Man konnte sie verschieben und das Ergebnis war platzsparend. Das war auf der 18 ebenso. Dinah Lear redete mit niemanden, weil sie von den meisten unter Verdacht stand. Es gab zumindest keinen Hinweis oder Beweise. Noch nicht einmal der Beweis, dass überhaupt ein Killer ein - und ausgegangen war. Ich musste während der Arbeit extra in die Nachbargänge schauen, um niemanden einzuquetschen. Lebensgefahr würde trotz alledem nicht entstehen.

 

 

 

Tag 37

 

Erneut war ich für die Station 17 vorgesehen. Die Frau namens Katushek fragte nach meinen Namen.

" Manolo", sagte ich.

" Und weiter?"

" Alvares."

" Ich bin darauf angewiesen, dass wir uns nicht duzen. Das ist hier so."

Mehr sagte sie auch nicht und ihre Laune war auch nicht die allerbeste. Die andere auf Station 18, neben Dinah Lear, hieß Marisa Demanichor. Sie sah aus, als hätte sie bei weitem mehr Männerverschleiß, als eben die Katushek, die eine angeboren bittere Miene besaß.

Es gab heute zwei Sachen, die wenigstens aufheiternd waren. Die eine war der gute alte Freitag, die andere war die eine Frau, die ich selten sah. Ich wusste nicht, dass sie Nelly Kittridge hieß. Das würde ich später erfahren.

Ich nahm den Mut zumindest zusammen, Dinah auszufragen. Sie ahnte schon, was passiert sein könnte.

" Was hat es mit dem Benzinkanister auf sich?" fragte ich.

" Das haben andere auch gefragt", erklärte sie genervt. " Er war eine Zeit lang nicht in meinen Besitz. Ich habe ihn einen Typen geliehen, der ist auf Station 25. Er heißt Lope Flynt."

Ich versuchte zu kombinieren, befand mich leider in der Sackgasse. Wo war der Zusammenhang?

" Es geht nur darum, dass die Schule, in der ich mich letzten Jahres befand, etwas abgefackelt wurde. Nun ja, genauer gesagt war es bloß das Klassenzimmer, aber es kamen einige dadurch ums Leben. Da wüsste ich gerne einen Zusammenhang."

Sie sagte mit leerem Blick: " Bei Lope wüsste ich auch keinen. Kein Motiv. Da hätte die eine aus Station 26 schon eher eines. Sie heißt Dasha Redpath und sie war vor sieben Jahren in dieser Schule und zwischen ihr und dem Direktor hatte es gewaltig gekracht. Sie hatte gedroht, sich eines Tages zu rächen. Wahrscheinlich hat sie auch hier einige auf dem Gewissen, um sie zum Schweigen zu bringen. Zutrauen würde ich solchen Personen alles. Und jetzt lass mich! Ich habe mehr erzählt, als ich sollte."

Als es sich auf Feierabend bewegte, war ich sicher: Ich sah Dinah Lear nie wieder. Und intuitiv konnte ich das eindeutig spüren.

 

 

 

Tag 38

 

Wie lange hielten andere es in dieser Trostlosigkeit aus? Ich war noch immer alleine. Kein Neuzugang existierte zwar, doch wer wusste, was ich für jemanden bekäme. Es könnte eine verblödete Nervensäge sein, die meine ohnehin schlechte Laune zum explodieren brachte. Das wäre auch unklug. Schlimm genug, wenn ich Bad Ass ertragen musste. Wo waren bis jetzt die inneren Stimmen? Was konnte ich nur tun? Dann fiel mir etwas ein. Ich büffelte, indem ich die Namen der Führungsebenen in mir einprägte. Immer wieder tat ich es und das war, so glaubte ich, zu meinem besten.

Du wirst sehen, das lohnt sich. Das war Inny. Lerne, büffele und präge dir alles ein. Wenn alles gut geht, wird Siegel stolz auf dich sein. Das könnte für Straferlass sorgen.

Bad Ass hatte wohl, wie es aussah Urlaub. Dafür hatte ich ihn morgen am Hals. Sympathisch fand ich ihn wenigstens als weiteren Detektiv.

 

 

 

Tag 39

 

Nun kam Bad Ass aus dem wohlverdienten und kurzen Urlaub.

Wollen wir wieder die Woche nachhaken? Umso besser. Wie es aussieht, ist Miranda aus dem Schneider. Auch sie wird aufgefunden. Sie hat tatsächlich nichts mit dem Brand zu tun. Warum auch? Es gab nicht das geringste Motiv. Und den Kanister hatte sich seit langem nicht angerührt.

" Ich hatte mit Dinah Lear gesprochen..."

Dazu kommen wir gleich. Am nächsten Tag könnte man sagen, du bist vom Glück im Unglück irgendwie gesegnet. Was für ein Anti-Held. Die Namen der Chefs vom Teamleiter bis zur Geschäftsleitung wären schon erforderlich, findest du nicht? Nachher hat dich Mr. Siegel besonders vor die Flinte. Die anderen würden die Gunst nutzen und dich als unbeholfen sehen. Vielleicht sogar als unnütz. Und Wanda? Was wollte sie mit der Absicht bezwecken? Das wäre ja glatt ein Verhalten, als wärst du für immer hier. Hat van Patten sie beauftragt? Es gibt viele andere Dinge herauszufinden, was dich betrifft, nicht nur auf Mörderjagd zu gehen.

" Fakt ist aber, dass sich ein Killer herumtreibt und das geht mir nicht aus dem Kopf", erklärte ich.

Am Mittwoch hast du dir ein bisschen Gedanken gemacht, es zum Beispiel deiner Bereichsleiterin Bescheid zu geben, wenn wieder etwas passiert wäre. Hast den Gedanken vernünftigerweise verworfen. Bleibe also inkognito. Andere zu warnen lohnt sich nicht. Sie würden dir nicht glauben. Wer weiß, was diese Rosa dir dann zur Last legen kann. Und wenn man dich nur los werden würde. Und du hast eine Frau entdeckt, die dir gefallen würde. Hast du keine Angst, dass ein Fluch, der auf dir lastet, sie genauso enden lässt wie Cassie und Tarah?

" Es ist doch nichts passiert."

Zum Thema Donnerstag: Wie gefällt dir Station 17 oder 18? Man sieht Regale auf andere Art. Und dann der Tag? Die Unterhaltung mit Dinah hat dich wieder einen minimalen Schritt näher gebracht. Sie hat die Schule auch nicht angezündet. Sie hat den Kanister sogar verliehen. Es gab sogar jemanden mit Motiv. Dinah war genau das, was Miranda gesagt hatte. Nicht mehr, nicht weniger. Wie kamst du mit den anderen beiden zurecht? Tiane Katuschek und Marisa Demanichor. Irgendwie war ihr Verhalten schon was spießig. Marisa ist überaus ansehnlich und du könntest dir was vorstellen. Aber beide sind absolut gefühlskalt, jeder Blinde erkennt das. Da ist die Wanda, die ebenfalls wunderschön ist, wenigstens herzlich. Aber vermutlich steht sie auf jemanden aus einer anderen Station, ein Stock höher. Befürchte ich leider. Nur über die Frau gegenüber, die dir wahrscheinlich Liebe auf den ersten Blick beschert hat, kann ich noch nichts sagen. Du könntest ihr einen Besuch abstatten. Wenn nicht laufend so viel zu tun ist.

" Danke für die Info."

Dann legte ich mich hin.

 

 

 

Tag 40

 

Es war Montag und etwas nebelig. Der Regen erwarb sich als Kleindarsteller und ich erfuhr von Dinahs plötzlichem Verschwinden. Mirandas Leiche wurde hinter den Förderbändern auf Station 17 aufgefunden. Man konnte es am Geruch erkennen. Das FBI kam an und van Patten ließ niemals zu, dass alles in diesem Schauplatz des Verbrechens stillgelegt wurde. Rory Heribertsen, der nicht besonders viel an Rückgrat besaß, rief den Siegel an, doch der appellierte energisch, dass das FBI den toten Körper geschwind wegschaffe und alles so ablaufen sollte wie alle Tage. Der Rubel musste rollen, egal, unter welchen Umständen. Vopen sagte auch, dass man Strafgefangenen niemals hinterhertrauern dürfe. Jeder wäre locker leicht ersetzbar und manchmal durch Automation.

Ich befand mich heute noch auf Station 18 und durchlief einen normalen Arbeitsablauf. Ab morgen, so wurde bekannt gegeben, müsse ich ausgerechnet bei Rosa aushelfen. Hätte eigentlich Brent Misher machen können, aber er musste sich um sperrige Sachen kümmern und anschließend Station 21 mit übernehmen. Ab morgen würden auf Station 17 und 18 weniger Aufträge erfolgen. Wenn das kein Zufall wäre...

 

 

 

Tag 41

 

Nach dem üblichen Besuch bei der Psychologin und dem Nachhilfelehrer kam ich zu Station 19 und bekam stapelweise Arbeit aufgebrummt. Rosa war alleine und die Frühschicht war heute, wie es aussah, Mangelware. So hatte ich mir den Tag nicht vorgestellt. Dann hatte sie was über meine Schuhe auszusetzen, das Material sei billig und zwar einfach nur billig. War das nicht dem Straflager sein Verschulden? Davon wollte sie aber nichts wissen, denn sie hatte ihre eigenen bestellen können. Ein Paar für über hundert Dollar. Ich besaß natürlich nicht die Möglichkeit. In der kleinen Pause marschierte ich einfach mal zu Station 26, damit weitere Informationen gesammelt wurden. Ich stellte dieselben Fragen.

" Ich soll die Schule angezündet haben?" fragte Dasha entsetzt. " Soweit würde ich nicht gehen. Dazu habe ich keinen Mumm."

" Was war denn die Auseinandersetzung mit dem Direktor?"

" Das bleibt nur unter uns, verstanden? Ein Wort, und ich stech dich persönlich ab. Er wollte mich sexuell belästigen. Ich ließ mich ganz von ihm ab, dem alten Fettsack. Ich hasse ihn! Er ist nicht nur eins, er sieht auch aus, wie ein Schwein. Ein Hängebauchschwein. Aber die Schule anzünden? Am letzten Tag hätte ich den Direktor viel lieber die Eier weggetreten. Lope könnte es vielleicht getan haben. Der ist vermutlich in mich verliebt. Das sieht man ihn an und so war es damals. Er würde alles für mich tun. Er weiß nichts von diesen ekelhaften Annäherungsversuchen, aber er geht schwer davon aus."

Das war schon eine Menge und auch das empfand ich als Wahrheit. Peyton Heggers, ein flüchtig alter Vertrauter war auch in unmittelbarer Nähe. Mein Gott, hatte er eine fiese Visage. Wie eh und jeh.

Dann kam dieses Neulingstreffen. Diesmal erschien Siegel, aber er stellte ganz andere Fragen. Dem Allgemeinwissen betreffend, wie sich herausstellte. Nur die wenigsten konnten die beantworten. Ralph Buckley zum Beispiel wusste reichlich. Auch Talia besaß viel Fachwissen. Eventuell die konversative Milla. Francesca tat so, als ob sie soviel wusste. Und Mitch war konstant. Crispin lachte ständig vor Bescheidenheit, wenn er angesprochen wurde und es kam der Punkt, da wurde Siegel laut.

" Mr. Copper!!! Ich sehe wirklich keinen Grund, warum Sie ständig so blöd lachen!!! Unterlassen Sie das augenblicklich!!!"

Als er uns verließ, ergriff Mina Cowds das Wort.

" Du kennst ihn noch nicht lange, aber du bringst ihn damit zur Weißglut. Bitte, beim nächsten Mal reißt du dich am Riemen und verkneifst das Lachen."

Crispin nickte. Keiner sagte noch irgendetwas und schweigend standen wir auf und verteilten uns. Ich hatte noch wenige Stunden und konnte mich zurück ziehen.

 

 

 

Tag 42

 

Heute war für Station 19 besonders viel angesagt. Die Stellvertretung von van Patten, Ruth Wynter, unterstützte uns, denn ich als eher Unerfahrener könnte den Warenüberfluss noch nicht stemmen. Der Tag war besonders anstrengend und ich wurde getrieben. Später heulte Rosa sich bei der Wynter aus, doch sie machte es ihr begreiflich, dass ich als Stütze nicht tragbar genug wäre, aber organisationstechnisch so verfahren wurde. Verdammte Bürokratie. Es wäre einfacher, Hunt Kiersten mit mir zu tauschen. Alles hätte im Leben einfacher sein können.

Den ganzen Tag hörte Gumbeth nicht auf, zu nörgeln. Als zum Schluss auch noch mein Kugelschreiber in die Brüche ging, war sie besonders sauer.

" Hast du zwei linke Hände oder stolperst du nur herum? Reiß dich demnächst zusammen."

Auch die Wynter bestätigte und akzeptierte die Wut.

" Die sind so schnell nicht zu beschaffen wie Papier. Sie hätten aufpassen sollen."

Ich nickte zwar, doch ich erkannte die stümperhafte Einfachheit des Materials. Davon wollte niemand etwas wissen. Schließlich sagte ich noch:

" Das kann doch jedem mal passieren."

" Das darf aber nicht passieren! So was Tollpatschiges ist mir noch nie über dem Weg gelaufen!" rief Rosa hinterher und war mit dem Latein beinahe zuende.

Später kam die Durchsage: "Die letzte Wanne läuft."

Was ich nicht wusste: Dasha Redpath war verschwunden.

Was ich ahnte: Lope Flynt konnte es auch nicht gewesen sein, in der Eigenschaft als Brandstifter. Denn exakt das Klassenzimmer, in dem ich mich befand, wurde gezielt abgefackelt. Mit dem Direktor konnte es also nichts zu tun haben, denn sein Büro war im Erdgeschoss am anderen Flügel.

 

 

 

Tag 43

 

Zuerst arbeitete ich für drei Stunden auf Station 20. Dann erschien van Patten und schickte mich zu Station 25, gerade weil dort viele Bestellungen markiert wurden. Ich arbeitete mit Lope Flynt und Rufus Murphy zusammen. Wie passend, wenn man bedachte, dass ich die Gelegenheit mit Vereinfachung nutzen konnte, Fragen zu stellen. Vielleicht hatte Lope eine Ahnung, wer das Feuer gelegt haben könnte. Aber er versicherte mir, dass der Kanister die ganzen Jahre unbenutzt waren. Er wollte zwar ihn benutzen, vergaß dann den Kanister völlig und so blieb er vernachlässigt an der gleichen Stelle. Aber jemand hatte ihn entwendet. Und hatte womöglich einen anderen Kanister hingestellt. Flynt bemerkte gar nichts. Er wäre noch nicht einmal in der Lage, abgestandenes Wasser vom normalen Frischwasser zu unterscheiden.

Es war zwar viel Arbeit, doch die Leute waren in Ordnung. Nur für wenige Sekunden war mal Leerlauf, dann kamen wieder alle Wannen hintereinander.

" Nicht mal in Ruhe essen kann man", jammerte Rufus.

" Keine Bange", beruhigte ihn Lope. " Das kriegen wir schon hin."

Manchmal pendelte Lope zu Station 26, weil er sich dafür kompetent genug hielt, den Überblick zu behalten.

Ansonsten verlief der Tag ohne Hetzjagd.

 

 

 

Tag 44

 

In eines dieser Wannen befand sich der Ring von Dasha Redpath. Er war blutverschmiert und Lope bekam es mit der Angst zu tun. Seit dem Ereignis war seine Arbeitsleistung absolut minimiert. Er arbeitete langsamer und unkonzentrierter als sonst. Bei der Fehlerquote auf Station 25 wurde ich gebeten, zur 26 zu wechseln, wenn es nötig war.

Als die große Pause vorbei war, verschwand er, Lope Flynt, spurlos.

Ich fand während eines Auftrages einen merkwürdigen Zettel.

 

Sehr geehrter Leser (wir beide wissen, wer gemeint ist),

 

niemand kann mich aufhalten! Das Klassenzimmer anzuzünden, war eine Kleinigkeit. Wer mir gefährlich werden könnte, kriegt die Konsequenzen zu spüren. Dasselbe gilt auch für Leute, die teilnahmslos im Weg stehen. Ich habe eine Mission zu erfüllen und du hast eine Bestimmung. Versaue sie nicht. Es müssen weitere Leute dran glauben, denn bevor sie aus Versehen etwas ausplaudern können, muss ich sie zum Schweigen bringen.

Man sieht sich.

 

Tiane Katushek

 

So musste ich erst einmal ein - und ausatmen, um mich von dem Schock zu erholen. Aber das hielt mich nicht von der Arbeit ab. Der Brief wurde gefaltet und in die Gesäßtasche gesteckt. Dann ging es weiter und Rufus war zum ersten Mal richtig verärgert, während seine sonstige Wut (vermutlich sein Leben lang) stets zu lasch rüber kam. Peyton Heggers, groß und kräftig, kämpfte wie ein Grizzly. Nur durch ihn konnten wir alles bewältigen und zum ersten Mal mochte ich ihn. Als die letzte Wanne ablief, konnte ich es immer noch nicht fassen. Was hatte sie bloß für ein Motiv? Ich kannte diese Frau so gut wie überhaupt nicht. Das kapierte ich nicht, weil es im meinem durcheinandergeratenen Kopf vor Ungereimtheiten nur so wimmelte.

Schließlich nahm ich mir vor, das FBI selbst anzurufen und zwar von woanders aus. Dann würde ich sie mit dem Schreiben konfrontieren und die Täterin würde bei denen endlich anfangen, zu singen. Das nahm ich mir vor.

Ein fataler Fehler, wie sich gleich herausstellte.

Als ich den Notausgang benutzte, anstelle vom normalen Treppenhaus, ging ich in Richtung Keller, um das Schreiben nochmal durchzulesen. Irgendwo musste ich was übersehen haben, da traf mich ein Schlag von hinten.

Das Licht ging aus.

 

 

 

Tag 45

 

Was konnte man an einen traumlosen Schlaf aussetzen? Nichts. Aber nichts heißt nichts und war nichts, als das absolute Nichts. Mehr als Dunkelheit, mehr als die Tolerierbarkeit einer Blockade. Und das Nichts war gleichzusetzen mit meinen Zustand.

Völlig bewusstlos. Vielleicht schon im Jenseits.

 

 

 

Tag 46

 

Bewusstlos. Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, im Jenseits zu sein?

Sie war hoch. War sie aber kritisch genug, um sich selbst aufzugeben?

 

 

 

Tag 47

 

Immer noch bewusstlos. Komaähnlicher Zustand, dennoch mit Großer Wahrscheinlichkeit am Leben.

 

 

 

Tag 48

 

Weiterhin bewusstlos. Zustand unverändert.

 

 

 

Tag 49

 

Unverändert bewusstlos, es sollte jedoch Leben in den Körper kommen und nach weiteren Stunden käme die positive Bestätigung.

 

 

 

Tag 50

 

Ich konnte atmen, bloß der Halbschlaf war stark genug, um mich noch vor der realen Welt vorzuenthalten. Für eine gewisse Weile.

 

 

 

Tag 51

 

Irgendwann wachte ich auf. Ich lag im Krankenzimmer und dann die gleiche Station, das gleiche Zimmer wie letztes Jahr. Mit intravinöser Ernährung und übereifriger Behandlung. Der einzigste, der mich besuchte, war Mr. Siegel und der Arzt war der Ansicht, dass ich am Samstag wieder in die Zelle durfte. Dabei war es hier so gemütlich. Aber mein Gedächtnis war wenigstens noch vorhanden, wenn auch von Stunde zu Stunde sich immer mehr sammelte. Das Sprechen nahm auch langsam zu und dazu noch meine Vitalität.

 

 

 

Tag 52

 

So gegen zwanzig Uhr konnte ich entlassen werden und wurde zurück gefahren. Sicher ging es mir besser. Die leichten Kopfschmerzen blieben. Zu mir wurden Schmerztabletten geliefert, die auch halfen. Ich sah mich in den alten Klamotten wieder und tastete nach eines der Hosentaschen. Der Brief war auf jeden Fall verschwunden, denn wäre es nicht der Fall, hätte ich Bescheid bekommen. Nein, das war ein absichtliches Treiben, so dass nur ich davon wusste und niemand sonst. Und nebenbei, wer würde schon einen Greenhorn glauben, der mehr verwirrt rüberkam, als ernsthaft und adrett?

 

 

 

Tag 53

 

Zwei Tage lang war Fasching angesagt. Heute hielt ich mich total zurück, weil ich frustriert war und einfach Hass auf alles hatte. Hass auf die ganze ausweglose Situation, in der ich mich befand. Das Bedürfnis zu explodieren, ohne platzen zu können, weil die physikalischen Gesetze keine Chance gaben. Ich verließ die Zelle heute gar nicht. Inny und Bad Ass leisteten mir auch keinerlei Gesellschaft und so versuchte ich, mich auf meine Gesundheit zu konzentrieren. Auf das Detektivspiel war meine Konzentration noch nicht weitsichtig genug.

 

 

 

Tag 54

 

Bei dem Tag war ich zwar dabei, aber nur passiv. Mein Frust war ausgeprägt und sorgte für ständiges Negativdenken. Anderen war das offenbar gleichgültig, denn ich wurde weder ermutigt noch aufgezogen. Eigentlich, so glaubte ich, war das Verhalten anderer so selbstgefällig. Das tat mir einfach nicht gut und am Laufe des Tages zog ich mich zurück.

 

 

 

Tag 55

 

Heute war ich noch krank geschrieben. Das änderte noch lange nichts an meiner Laune. Tagein, tagaus ein langes Gesicht zu ziehen, kombiniert mit der Zutat Apathie, war keine Kunst. Die Kopfschmerzen verschwanden so langsam und Siegel besuchte meine Zelle kurz.

" Sie waren eine Woche bewusstlos. Tun Sie mir einen Gefallen. Betreten Sie nach Möglichkeit nicht mehr den Notausgang. Der Bereich hat noch marode Mängel und da kann es oft zu Unfällen führen. Außerdem beginnt ab morgen die Schule."

Er reichte mir einen Zettel. Darin stand die Nummer des mir zugewiesenen Klassenzimmers. Vorher war die Nummer 235. Das Zimmer wurde versiegelt. Die 2 der Nummer war die Bezeichnung des Stockwerks. Meine künftige Nummer hieße 317. Also dritter Stock. Gut, es zu wissen.

" Ich wünsche Ihnen bis dahin weiterhin gute Besserung."

" Danke", sagte ich und ruhte mich aus.

 

 

 

Tag 56

 

Auf unbeschreibliche Weise durchfuhr mich ein Kribbeln. Als ein spezieller Autobus zur Schule fuhr, wie beim letzten Mal, stieg Spannung bei mir hoch. Aber Mitch schien eine Ahnung zu haben, wo der Klassenraum war und Crispin folgte mit mir seine Schritte. Dort angekommen versammelte sich ein ganz kleiner Haufen. Niemand stellte sich vor und keiner sagte etwas. Die Türe war immer noch abgeschlossen und wir lungerten im Flurbereich herum. Nacheinander gesellten sich immer mehr Schüler und einer, so ein Rothaariger war ständig am rummosern. Hoffentlich steckte er nicht den Rest mit seiner schlechten Laune an. Eines stand fest. Die Lehrer waren (fast) immer die Letzten. Einer schloss auf und ging kurz weg. Alle gingen rein, keiner stürmte und wir suchten uns wahllos Plätze aus. Da ich letztes Jahr ganz vorne saß, nahm ich die Frechheit, diesmal in der hintersten Reihe Platz zu nehmen. Natürlich waren die Mädels schon wieder in der Unterzahl. Es waren sechs. Es befanden sich erst einmal Einzeltische und alle nahmen ohne den geringsten Versuch eines Widerstandes Platz. Es würde nicht so sein wie letztes Mal, oder? Bestimmt nicht. Ich schaute bereichsergreifend über die Runde, um zu mustern, wen ich alles vom letzten Mal noch kannte. Außer Crispin und Mitch sah ich Deke Oldman, Gino Sagemiller, Arnika Zimmler, Reamon Elias und natürlich Cartman Bunks, der, wenn es brenzlich werden sollte, als erstes weglief.

Ansonsten schaute ich mich um und musste mich an die neue Konstellation gewöhnen. Der Lehrer kam herein und stellte sich als Mr. Brawler vor. Er erwähnte, dass Mr. Lommel eine andere Klasse übernahm und möglicherweise als Vertretung dienen könnte. Er schien aber in Ordnung zu sein. Erst einmal hielt er die Anwesenheitsliste vor.

" Die Nachnamen sind diesmal nicht alphabethisch geordnet, die Namen sind einfach frei und unabhängig abgeschrieben. Jeder wird einzeln aufgerufen:

Deke Oldman?"

" Jawolll."

Er hatte sich von der schweren Grippe besser erholt, als gedacht.

" Alistair Arleahy?"

" Yeah!"

" Vargis Nicolody?"

" Hier."

" Kirk Dwyer?"

" Auch hier."

" Gino Sagemiller?"

" Ja, leider."

" Was heißt hier leider? Ja gut. Der erste Tag ist einfach so, aber es wird besser. Keine Sorge."

" Okay."

" Janosh Shynceilla?"

" Hier?"

" Severn Harkett?"

" Ja."

" Eva Swatek?"

" Anwesend."

" Neve Shaughnessy?"

" Hier."

" Thorin Shynceilla?"

" Auch hier."

" Ihr seid Brüder?"

Er schaute Janosh an und beide bejahten synchron. Deke Oldman lachte sich dabei kaputt, weil der Name wie "Chinchilla" klang.

" Murray Cramer?"

" Ja. "

" Crispin Copper?"

" Hier."

" Manolo Alvares?"

" Ja."

" Ira Court?"

" Auch hier."

" Carmen Wagner?"

" Hier."

" Gwyneth Steele?"

" Anwesend."

" Sophie Polaschewski?"

" Hier."

" Cartman Bunks?"

" Körperlich anwesend, geistig bei McDonalds."

Alle lachten. Brawler ignorierte gelassen die blöde Bemerkung. Mrs Gresher alias Sela Demarest wäre viel zu dünnhäutig. Aber sie war tot.

" Chaz Keilerth?"

" Ja."

" Dorian Warner?"

" Anwesend."

" Arnika Zimmler?"

" Hier."

" Mitchell Ferry?"

" Ja."

" Burke Blocker?"

" Auch hier."

" Und zum Schluss Reamon Elias."

" Ja."

Alle waren also anwesend, keiner krank. Das passte.

Danach fing der Unterricht richtig an. Brawler unterrichtete wie jetzt zum Beispiel Wirtschaftslehre und Mathematik. Habesh war nach wie vor für Religion zuständig, Arnaz für Verkehrsgeographie und Politik, Webber für Computerfachlehre und zur Überraschung wurde nebenbei die echte Mrs. Gresher erwähnt und für Buchführung und Betriebswirtschaftslehre vorgesehen. Allerdings nur für diesen Block. Erst dann konnte sie ihre Erwerbsminderungsrente genießen.

Als zwei Stunden um waren, konnten wir die Zeit mit Mr. Webber verbringen und danach hatten wir die Gresher. Aber es war nichts aktives, was wir in den Stunden taten. Außerdem schrieben wir den Stundenplan auf und erst ab morgen ging es intensiver los.

 

 

 

Tag 57

 

An dem Tag wusste ich nicht, was ich von irgendetwas halten sollte. Alle waren an dem Tag überpünktlich aber nicht überschwenglisch motiviert. Als die Klassentür aufgeschlossen wurden, huschten alle rein wie Mäuse zur Futterstelle. Man merkte, dass andere im selben Straflager waren und dass teilweise Freundschaften im Gange waren. Sophie und Carmen saßen bereits nebeneinander, als ob sie sich schon in den ersten Sekunden die Bälle zugeworfen hatten. Mitch und Crispin teilten sich nach meinem Wissen ohnehin die Zelle, wahrscheinlich lag es deswegen. Gwyneth saß bei Chaz Keilerth und die Brüder saßen zusammen.

Es gab auch kurzfristig eine gespielte Liebelei zwischen Carmen und Vargis, aber sie legte sich.

Überwiegend hatten wir die Gresher den ganzen Tag. Die Durchführung des Unterrichts verlief zwar etwas ruhig, trotzdem nicht geistreich.

 

 

 

Tag 58

 

Hier hatte ich besonders hartnäckigen Frust. Das war schon eine mittelschwer depressive Stimmung, die mich quälte und alles, was vergnüglich sein könnte, von mir fern hielt. Heute war nichts vergnüglich. Auch einer der Brüder war frustriert. Der Grund war, er hatte erfahren, dass seine Freundin mit ihm Schluss gemacht hatte und mit seinem ärgsten Erzfeind aus der Nachbarschaft zusammen war. Glücklich, wenn sogar im siebenten Himmel. Dieser war ein prahlerischer Angeber, der es meisterhaft schaffte, sich überall einzuzecken und fremde Eigentumswohnungen als seine ausgab. Bisher hatte dieser immer Erfolg gehabt und Thorin war dagegen einfach bloß ein Knacki, wahrscheinlich ohne Zukunft. Aber er bekam eine Runde Mitleid. Ich dagegen hatte nichts zu bestellen. Es war der Moment, da konnte ich nicht mal erläutern, was mit mir los war.

War es Frust oder Unlust?

 

 

 

Tag 59

 

" Bad Ass! Inny! Meldet euch! Ich bin soooo alleine!!!"

In der Zelle hörte mich im Grunde keiner. Doch die Stimmen tauchten so allmählich auf.

Wir haben uns schon lange nicht hören lassen, antwortete Inny.

Möchtest du wieder mit uns die wöchentliche Zusammenfassung besprechen? Da hattest du wenigstens etwas Freude, sprach Bad Ass.

Miranda wurde aufgefunden und alles bedrängt die Vertuschung. Sie versuchen wirklich alles, um perfekt darzustehen. Dinah Lears Verschwinden war vorprogrammiert. Und einer verschiebt die Missetat an den anderen, so ist die übliche Leier. Und weiterhin verschwinden oder sterben Leute. Es muss einen Zusammenhang geben. Ein anderes Thema. Siegel hatte an einem Tag bewiesen, dass er zwei Gesichter besitzt. Und es ist keine Schizophrenie. Und warum hatte Lope es mit der Angst zu tun, als er den blutigen Ring sah? Hatte er schon geahnt, wer der wahre Täter war und wurde deswegen zum Schweigen gebracht? Und dieser Zettel. Hast du noch im Kopf, was genau drin stand? Wenn nicht, ich bin ja auch noch da. Ich habe dein Unterbewusstsein in greifbarer Nähe wie du deine Arbeit am Förderband verrichtest. Du bist eigentlich ein Kommissionierer. Aber ich weiß auch nicht alles. Wenn ich wüsste, wer der Täter ist, würde ich mit der Sprache schnell rausrücken. Im Augenblick sieht es nach Tiane Katushek aus, aber zwei Fragen hätte ich dafür: Wo ist ihr Motiv? Und warum war der Zettel so übereilt verschwunden? Ich weiß, du warst nicht schlampig. Während Lope den Ring fand, musste der Täter oder die Täterin euch direkt beobachtet haben. Man hat dir die Möglichkeit gegeben, den Zettel durchzulesen und in dein Gehirn zu speichern, aber nicht den Zettel zu behalten und das ist seltsam.

" Worauf willst du hinaus?"

Ich komme selber nicht dahinter. Auf jeden Fall warst du dann im Koma. Und jetzt bist du in der Schule. Der Täter wird mit Sicherheit währenddessen einen neuen Plan ausarbeiten. Und er ist hochintelligent.

" Danke. Und morgen reden wir über die Schulwoche."

Ganz, wie du möchtest.

 

 

 

C: Betragen genügend!

 

 

Tag 60

 

Und bist du aufgewacht? fragte Inny.

Er braucht noch, bis er sich einrenkt, sagte Bad Ass zynisch.

Ich gähnte und besonders geschlafen hatte ich nach dem ständigen Kopfzerbrechen nicht gerade, aber nachher war Zeit zum Nachholen.

Wie waren die ersten drei Tage in der Schule? fuhr er fort. Irgendwie ist es ruhiger als zuvor, habe ich recht? Und der Killer ließ sich bisher noch nicht blicken. Muss ja auch nicht, denn er hat ja mit großer Wahrscheinlichkeit noch andere Dinge zu tun. Und? Schon verliebt?

" Es waren gerade drei Tage vergangen und da kann man doch noch nichts erwarten..."

Soviel ich weiß, hast du noch keinen einzigen Kontakt geknüpft. In der kurzen Zeit ist das doch verständlich. Das heißt noch lange nicht, dass du es versäumt hast, deine Beobachtungsgabe einzuschalten. Bei der einen Frau aus Station 28 war das auch so plötzlich. Na gut, wahrscheinlich wirst du sie so schnell nicht vergessen können. Und du fühlst dich von der Gesellschaft entweder völlig missverstanden oder ausgegrenzt. Bestimmt stempeln die dich alle als nutzlos ab. Was die Klasse betrifft, auch Cartman und Reamon, sowie Arnika oder Burke haben den Hang, Einzelgänger zu sein. Aber ich denke, in deinem Fall könnte es am schlimmsten treffen, oder? Ich kann nur nicht so deutlich in die Zukunft blicken.

Mehr gab es nicht zu regeln. Das Detektivspiel war im Augenblick auf Eis gelegt. Jetzt hieß es einfach büffeln und anstrengen.

 

 

 

Tag 61

 

Hoffentlich hatte das Büffeln sich gelohnt. In einigen Sachen verstand ich bloß Bahnhof, doch das behielt ich eben für mich. Die Gresher redete die ganze Zeit leise, als würde sie eine unheilbare Grippe durchmachen. Sie redete oft sanft, als ob sie stark eingeschüchtert wurde. Es würde mir keiner glauben, aber meine Stimmung hatte sich immer noch nicht verändert. Vielleicht könnte es noch ein bisschen dauern. Der Winter ließ sich ungerne besänftigen. Er zeigte heute seine Durchsetzungskraft. Aber die Zeit mit Schneebedeckung war für dieses Jahr mit großer Sicherheit gelaufen. Im Fach Betriebswirtschaftslehre arbeiteten wir paarweise. Mitch hatte sich sofort mit Crispin zusammen getan, Sophie und Carmen waren ohnehin sehr eng befreundet. Erstaunlich, wie schnell sich alle zusammengefunden hatten. Arnika war krank, Cartman ebenfalls. Ich saß mit Neve Shaughnessy zusammen. Es stellte sich immer mehr heraus, dass es einige Intellektuelle gab, die dummerweise etwas Besseres hätten aus ihren Leben machen könnten. Nicht nur bei Neve war es der Fall. Auch Kirk Dwyer hatte sich bewiesen und brachte mit seinem Fachwissen andere zum Staunen. In dem Fall erinnerte er mich an Leonard Zording, der jetzt in einer anderen Klasse war. Mit Bernie Chadwick, Tyrone Druckston, Irvin Krigsley und -zig andere Unbekannte. Neve war lesbig, das stand fest. Und das würde Sophie in spätestens zehn Jahren genauso ergehen. Aber nicht mit Carmen.

Letztes Mal hatte sich auch herausgestellt, dass Mitch ebenfalls als Streber galt. Er war zwar etwas zurückhaltend (aber nur etwas), doch seine Arbeiten waren herausragend.

 

 

 

Tag 62

 

Was in mich gefahren war, konnte ich nicht einordnen. Meine immer noch schlechte Laune ging noch weiter nach unten und Magengeschwüre erschwerten jede Form der Leistungsfähigkeit.

In allen drei Fächern hatte ich nichts zustande bekommen. Ich kam mir richtig verloren und hilflos vor, aber so war es nun mal. Der ganze Tag war einfach zu gar nichts nütze.

 

 

 

Tag 63

 

Eine ähnliche Prozedur, wie ich feststellte. Ich sagte mir dann selbst, wenn ich nicht bald Motivation aus den Ärmeln schüttele, käm ich niemals hier raus. Am Computer half mir Mitch dabei, denn ich schien immer noch in der Klemme zu sein. In der letzten Stunde hatte Mr. Brawler die Idee gehabt, einen nach den anderen aufzurufen, der dann seine persönliche Story abgeben solle. Es ginge darum, allen zu erzählen, warum derjenige hier gelandet war. Es ging nach dem Zufallsprinzip und ich hoffte, dass ich nicht den Anfang machte. Außerdem war ich nach meiner unveränderten Einschätzung unschuldig. Es erwischte glücklicherweise Reamon. Er sah im Vergleich zum letzten Jahr verändert aus. Abgesehen davon, dass er erholter wirkte, waren seine Haare ganz blond gefärbt. Er zögerte anfangs, holte tief Luft und begann zu erzählen.

" Unterlassene Hilfeleistung", antwortete er.

" Das weiß ich", erwiderte Brawler. " Ich möchte es von dir hören."

" Nun, das war nicht einmal bewusst passiert. Ich war wie gelähmt, als zwei Punks eine alte Oma zusammentraten und ich in unmittelbarer Nähe herumstand. Ich konnte gegen die Lähmung doch nichts tun. Die zwei Typen sind immer noch auf freiem Fuß, soviel ich weiß."

" Aber dich haben sie belangt. Haben mit den Fingern auf dich gezeigt."

" Es gab welche, die mich als alleinigen Schläger hinstellen wollten..."

" Es gab aber auch sehr glaubhafte Zeugen, die dir aus der Patsche geholfen hatten. Tut mir leid, dass ich dauernd unterbreche. Man hat uns die Akten ständig vorgehalten und wir sind verpflichtet, unseren Job sorgfältig zu tun. Man verblieb bei unterlassener Hilfeleistung. Die Oma war für sechs Wochen im Krankenhaus. Hat sich aber wieder erholt und lebt jetzt in einem abgelegenen Dorf. Zwei Jahre hat man dir aufgebrummt. Ohne Bewährung."

" Ja gut. Wenn man vorher den Diebstahl mehrerer Computerspiele dazu rechnet. Aber ich konnte nicht anders."

" Man kann sich schon zusammennehmen. Aber dafür sind wir ja hier, um jeden auf das richtige Gleis zu stellen. Ihr werdet alle die Schule durchziehen und wir verhelfen euch auch zu einem Job. Sogar einer, der viel einbringt. Es kann sogar sein, wenn einer extrem viel büffelt, könnte er eines Tages meinen Platz einnehmen, wenn ich in Pension gehe."

Alle lachten herzlich.

" Nein, ehrlich. Das ist wirklich möglich. Die Bezahlung ist sehr gut."

Es wurde daraufhin etwas getuschelt und ein leises Raunen durchfuhr das Klassenzimmer. Das war wirklich etwas, was zum Nachdenken fördern konnte.

 

 

 

Tag 64

 

Heute verschafften die Stunden eine Vielfalt. In Buchführung verlief es dagegen unbedeutend, in Betriebswirtschaftslehre wurde queerbeet herumdiskutiert, Religionsfach bot das Thema ' Kindesmisshandlung' an, was keinen von uns, wie sich später herausstellen sollte, zur Last gelegt werden konnte. Wir waren ja selbst fast noch Kinder. In Mathe hatten wir eine Art Lernzielkontrolle geschrieben. Diese erfolgte unverhofft! Und diese beeinflusste das Zeugnis um gerade mal einen Prozent. Es sah nicht gut aus für mich.

Neve verbrachte mehr Zeit mit Gino Sagemiller und Murray Cramer. Dorian Warner saß mit Burke Blocker und Arnika Zimmler zusammen und Mitch, Crispin und Cartman bildeten auch eine Zusammenkunft. Ich war mir bewusst, wie es war, einzigartig zu sein und es war deprimierend zugleich, denn hier war es etwas Negatives.

 

 

 

Tag 65

 

Wie auch gestern waren vielfältige Themen angesagt. Gresher, Brawler und Arnaz hatten wir heute. Man merkte gerade bei vier aus der klasse, die sich schon zusammengetan hatten und eine Freundschaft gebildet hatten. Es waren Kirk Dwyer, Alistair Arleahy, Ira Court und Vargis Nicolody und sie spielten sich die Bälle zu, weil sie scheinbar vom gleichen Schlag waren. Eva war von Arleahy zwar oft genervt, machte zweifelsohne jeden Schabernack mit, gerade weil sie eine schlagfertige Ader hatte. Bei Carmen dagegen war es schwieriger, sie konnte sich trotzdem unauffällig verhalten. Sophie neben ihr hatte eine kleine Ähnlichkeit mit Cassie gehabt, nur mit dem Unterschied, dass Cassie wesentlich freizügiger durchs Leben gegangen war und Sophie wirkte wesentlich spießiger. Das war aber nur so ein Eindruck. Sie wirkte übertrieben gepflegter, sogar gepflegter als die übrigen Mädels. Sie vermittelte auch den Eindruck, dass sie und Neve in absoluter Schönschrift schrieben und ihre Vorbildlichkeit in Ehren hielten. Aber später würde ich merken, dass sie wenigstens so gar nicht verklemmt war. Sie hatte Humor und konnte viel nachvollziehen.

Arnika dagegen hatte schon viel eher Grenzen. Was bei ihr unter der Gürtellinie war, konnte Sophie vor der Nase halten. Dann hatten wir noch Gwyneth. Sie verbrachte viel Zeit mit Chaz und zunehmend mit Eva. Die Brüder hatten sich etwas auf Abstand entschieden. So kam es, dass Thorin sich bei Severn setzte und Janosh sich eher mit Deke unterhielt. Ich war noch immer isoliert, doch das würde sich bald ändern.

Als zum Schluss die Lernzielkontrollen verteilt wurden, ahnte ich schon das Übel in Papierform.

 

 

 

Tag 66

 

Da war ich einfach nicht in der Stimmung über irgendetwas zu reden. Nicht mit Inny, nicht mit Bad Ass. Doch heute war Inny dran. Morgen wollte die andere Stimme mit der Zusammenfassung kommen.

Du hast ja gehört, was Brawler gesagt hat. Wenn man sich anstrengt, kann man etwas besseres werden. Vergeude dein Leben nicht sinnlos. Wenn ich mal was Positives prophezeien möchte: Deine Laune wird sich noch bessern. Bestimmt im Frühjahr.

Aber der Frühling hatte noch keinen Auftritt. Auch Ansätze waren nicht zu sehen. Sogar heute konnte ich kalte Luftzüge spüren, die mich reizten. Dann erfolgten zwar leichte, aber unaufhörliche Kopfschmerzen. Dann geschah etwas Seltsames. Ich fand eine Packung Batterien und eine Kassette für meinen Walkman. Keine Nachricht von irgendeinen Vertrauten und auch kein Hinweis. Die Musik war aus Entspannungsliedern bestehend und sorgfältig ausgewählt. Wie konnte derjenige es wissen?

 

 

 

Tag 67

 

Zeit für eine weitere Zusammenfassung und jeden Sonntag sollte eine folgen, sagte Bad Ass. Du hast wohl immer noch an deiner Übellaunigkeit zu leiden. Aber deine Beobachtungsgabe hast du nicht verloren. Schulisch gesehen kommst du gegen die Streber wohl gar nicht an. Sie sind nicht nur gebildet, sie haben eine von Natur aus durchzogene Auffassungsgabe und haben allgemeine Weisheiten schon längst in sich, während du deinen eigenen Kampf austragen musst. Tu dir einen Gefallen. Gib dich nicht endgültig selbst auf, auch wenn du meinst, du hättest nirgends Qualitäten. Und Anschluss? Da musst du mal lernen, dich von deiner Schokoladenseite zu zeigen. Aber scheinbar hast du keine. Ich hoffe für dich, dass wenigstens eine Person etwas von dir hält. Sonst endest du noch als Punchingball. Das wäre dann ein wirklicher Grund zur Selbstaufgabe. Den ersten Test hast du auch noch verhauen. Kein guter Start für den zweiten Block.

" Aber es kam so unverhofft."

Unverhofft kommt oft, so besagt eine Regel ,die du dir einprägen solltest. Außerdem war es keine Klausur in dem Sinne. Ich denke sogar der Siegel würde da ein Auge zudrücken.

Bad Ass hatte wohl recht. Bestimmt käme bald Licht am Ende des Tunnels.

 

 

 

Tag 68

 

Wenn es Abläufe gab, die nichtssagend waren, dann wäre heute das richtige Beispiel. Das Wetter war trübe, die Stimmung war monoton, wir hatten die echte Gresher (sobald sie in Pension gehen würde, hätte sie sowieso zu wenig von gehabt, ein böser Schlaganfall würde zwei Jahre später deftigst zuschlagen) und die Stunden verliefen roboterhaft. Ich konnte von den Ansagen und Lehrmethoden nichts behalten. Ab und zu gab es kleine Pausen, denn es gab ja einige Raucher unter uns. Im Fach 'Buchführung' wurden wir darauf hingewiesen, dass ein einer Woche eine Klassenarbeit stattfinden sollte. Darauf sollten wir uns als erstes vorbereiten.

 

 

 

Tag 69

 

Heute fiel die Arnaz aus und stattdessen begannen wir mit Mathe. Viel war da nicht bei herausgekommen. Es kam mir allgemein vor, als ob die Spuren des ehemaligen Tatortes mit purer Absicht verwischt worden. Ich hatte erfahren, dass gewisse Räumlichkeiten zugemauert wurden. Später in Religion unterhielt sich Eva klammheimlich mit Gwyneth über ihre Vergangenheit. Sie war Stripperin und wurde beinahe genötigt, anschaffen zu gehen.

" Ich war in der Stadt viel zu auffällig. Schon damals hatte ich deutliche Schamlippen. Bei dem Scheunentor konnte man eine Gurke problemlos reinkriegen."

Arleahy bekam es zufällig mit und grinste sarkastisch.

" Nur meine Gurke hast du noch nie ausprobiert."

Alle lachten darüber, doch Sophie hatte den passenden Spruch drauf.

" Dazu musst du lernen, wie man eine Gurke schält."

Wieder kam viel Gelächter.

" Ich bin verheiratet. Ich habe nichts zusätzlich nötig", erwiderte er.

Ich staunte. Tatsächlich war er hier der älteste Schüler. Er war achtzehn. Fast neunzehn. Unglaublich. Später sollte sich herausstellen, dass Eva knapp die Jüngste war. So eine Art Lolita.

 

 

 

Tag 70

 

Der Anfang verlief ruhig und normal. Es war später erneut der Moment, wo einer aus unserer Mitte von seinem möglichen Vergehen erzählen sollte und Eva revanchierte sich, indem sie Alistair Arleahy lautstark vorschlug und Sophie zusammen mit Carmen dazu verleitete, das gutzuheißen. Natürlich stimmten sie alle zu. Eigentlich müsste er nun mit dem Rücken zur Wand stehen. Aber Peinlichkeiten kannte er nicht so. Arleahy und verklemmt? Das waren Unterschiede wie Sonne und Pluto.

Brawler sagte: " Du wurdest des Betruges angeklagt. Der hinterhältigste und uneinsichtigste Hütchenspieler weit und breit."

" Dazu gibt es eine Erklärung. Wenn es Leute gibt, die sich freiwillig ausnehmen lassen wollen, wieso hätten diese überhaupt Mitleid verdient? Das ist meine Gegenfrage."

" Bitte! Für Spielchen bin ich nicht in Stimmung."

" Ich habe nur das gesagt, was gesagt werden soll. Ich hätte genausogut als Wahrsager arbeiten können. Das Ergebnis ist identisch."

" Laut Akte steht, dass auch das gelegentlich eingetroffen ist."

" Ich hab auch eine Sekunde nicht aufgepasst. Hätte ich nie mit gerechnet, dass eine mit viel Einfluss bewusst mir alles versauen konnte. Eine linksgrüne Denunziantin, die nichts besseres im Leben zu tun hatte."

" Aber Fakt ist du bist erwischt worden. Aber dafür bist du hier und ich schätze das so ein, dass du in wenigen Jahren draußen bist. Dein Urteil war endgültig und bestimmt hast du dann gebüßt und deine Lektion gelernt."

" Ich werde niemanden enttäuschen", sagte Arleahy und grinste Eva hämisch und ironisch an, als ob er sagen wollte, dass sie versuchen solle, es demnächst zu überbieten.

Was hätte sie an seiner Stelle zu befürchten? Sie war auf jeden Fall keine Mörderin. Und es wurde auch nichts ansatzweise ihr vorgewurfen. Zum Schluss wurde darauf hingewiesen, dass am nächsten Tag kein Unterricht stattfinden würde. Lehrerfortbildung. Wahrscheinlich mussten alle arbeiten.

Doch als Siegel davon erfuhr, hatte er gütigerweise uns an dem Tag freigestellt und er gab sein Wort.

 

 

 

Tag 71

 

Ein freier Tag, der langsam verging und ich lag zu Beginn in Schlangenhaltung. Was sollte ich bloß tun? Die Namen der Führungskräfte noch einmal durchgehen? Für die Schule büffeln, obwohl ich der Ansicht war, dass Blackouts mich trotz allem anfallen würden? Oder sollte ich mit Inny philosophieren und mit Bad Ass die wöchentliche Zusammenfassung ausdiskutieren?

Ich entschied mich für nichts dergleichen. Vielleicht eher einen innerbetrieblichen Spaziergang, ehe ich hier versauerte.

Die üblichen Insassen gingen ihrer Arbeit nach. Ganz grob sah ich das Kommisionsgeschäft, dann passierte ich Wareneingang und daneben die Abteilung Warenversand/ Packerei. Noch weiter geradeaus war ebenfalls zur linken Abräumbänder der Abteilung Kommissionsgeschäft. Geradeaus waren Büros und die Technische Abteilung. Dann würde ich nach rechts schauen, wo der große Aufenthaltsraum sich befand, die Toiletten und weiter rechts entlang die Tür Richtung Treppen nach oben, Siegel und Vopens Büros und der Weg nach draußen. Die ganzen Insassen, so merkte ich besonders in der Mittagszeit, waren extrem vertieft in ihre Arbeiten. Genug von allem. So zog ich mich zurück. Ich hätte auch die erste und

zweite Etage anschließend betreten können, wo die berühmten Kommissionierlagerstationen waren. In der zweiten Etage von Station 1 bis 16 und in der ersten von 17 bis 30. In der dritten Etage befanden sich neben der Kantine, wo auch das Neulingstreffen stattfand, die Verwaltung. Auch der Betriebsleiter hatte dort sein Büro.

Aber das sollte alles nicht sein, denn ich war keineswegs enthusiastisch.

 

 

 

Tag 72

 

War ich immer noch dem absoluten Frust verfallen? Keine Ahnung, was für gemischte Gefühle in mir vorgingen. Ich nahm mir vor, am Wochende für die Klassenarbeit zu lernen. Ich durfte mich bloß nicht verrückt machen lassen. Aber es war mir schwer gefallen, es zu ändern. Ich hatte letztes Jahr nicht besonders gut abgeschnitten. Ich war in dem Fall nicht grottenschlecht, sondern gerade noch im Rahmen des Durchschnitts. Trotzdem hatte ich das Gefühl, der Durchschnitt würde nicht mehr ausreichen. Heute war nichts Außergewöhnliches passiert. Außer, dass Deke Oldman alles versucht hatte, seinen Finger in der Mausefalle einzuklemmen, um für zwei Wochen zu fehlen. Oder dass Mitch Ferry seinen Schluckauf die ganze Zeit nicht losbekam. Da nützte auch eine Wasserflasche nichts und Neve fand es irgendwie amüsant. Oder dass Arnika sich mehrmals bekreuzigte.

Vielleicht wäre es interessant, die gezeichnete Sitzordnung zu zeigen:

 

 

 

Sie mag nicht unbedingt der Genauigkeit ausgesetzt sein, aber ein bisschen gelungen würde es schon alles in allem sein.

Kurz vor Schulschluss bemerkte ich, dass Reamon von Zeit zu Zeit immer unzufriedener war und die Unlust oder der Frust sich bei ihm mehr ausbreitete.

 

 

 

Tag 73

 

Zeit zum Lernen. Aber Inny konnte mir nicht helfen, weil die Stimme der Vernunft wohl noch weniger Ahnung hatte als ich alleine. Jedes Mal, wenn ich den Versuch startete, den Lernstoff in mich einzusaugen, verlor ich den Faden. Warum hinderte mich etwas daran, im Leben auch nur einen Schritt weiter zu kommen? Alleine diese Antwort herauszufinden war ein Kampf gegen die Wand. Inny schwieg weiter. Ich musste es irgendwie hinkriegen.

 

 

 

Tag 74

 

Und was hast du letzte Woche so gelernt? Der öde Montag, doch hör auf die Lehrer. Lernen, lernen und nochmals lernen. Man lernt auch immer mehr Fakten über die Klassengemeinschaft kennen. Bin gespannt auf Evas Geschichte. Arleahy hatte nun mal seine Übeltat, doch er kann sich glücklich schätzen. Er besitzt viel Allgemeinwissen. Er, Kirk, Ira, Vargis und Neve sind von den Leistungen erstklassig. Dann Sophie, die auch schon fast dazu gehört. Sieh wenigstens zu, dass du nicht in der Ebene von Cartman und Reamon landest. Ich bin jetzt kein Wahrsager, aber Reamon wird buchstäblich abstürzen. Die Lernzielkontrolle von ihm war am schlechtesten. Da war Cartman sogar eine Ecke besser. Und Arnika. Tja, was soll ich sagen? Ich drücke dir die Daumen für alles...

Mein mulmiges Gefühl blieb und vereinte das mit einer Schlaflosigkeit. Ich kam mir erledigt vor.

 

 

 

Tag 75

 

Nun kam der Tag mit dem erneut unguten Gefühl, obwohl ich viel Erdenkliches getan hatte. Ob das ausreichen würde, sollte sich bald herausstellen. Als es soweit war, entstand das Bedürfnis, alles hinter mir zu bringen. Ich schrieb, was ich wusste und mehr war aus mir nicht herauszuholen. In einer der Pausen unterhielten sich viele, was sie für ein Gefühl hatten. Ich schwieg mit dem mulmigen Gefühl, das ich zu Beginn hatte. Früher oder später würde ich nicht der einzigste sein, dem es so erginge. Alles war auch vorhersehbar. Man konnte einordnen, wer richtig gut abgeschnitten hatte, wer mittelmäßig war und wer es nicht geschafft haben konnte. Die vier Jungs, die vorne rechts saßen, hatten schon eine gewisse Freundschaft entwickelt. Theoretisch hätte Neve auch mit denen Zeit verbringen können, aber mit ihren ökologischen Ansichten kam sie übertrieben rüber. Es kam zum Anschluss die Mitteilung, dass am Donnerstag und Freitag aus Greshers Sicht Klassenarbeiten geschrieben werden. Betriebswirtschaftslehre und Englisch.

 

 

 

Tag 76

 

Es hatte jemand Geburtstag. Doch alles was Eva von Arleahy abbekommen hatte, war Hohn und Ironie.

" Und? Hast du ein Vibrator gekriegt? Vielleicht gebraucht?"

" Boahhh, Arleahy!!! Lass den Mist."

" Wie wäre es mit getragener Unterwäsche?"

" Pfui!!! Du bist ein altes Ferkel!"

Wir wussten alle, dass nichts davon Ernst war. Das erste Fach war schnell durchgestanden, dann kam die Datenverarbeitung. Webber hatte zehn Minuten Verspätung. Ich hoffte bis dahin, dass er krank war. Deke hatte sich mit Janosh ein bisschen angelegt, vielleicht war es auch umgekehrt. Er zog sein Jäckchen aus und gab es mir. Dann konnte die kleine Rangelei zwar beginnen, doch der Shynceilla-Bruder wich weit zurück. Dann war Deke im Begriff sein Jäckchen zurückzuholen und bekam einen Schlag auf die Schulter. Scheinbar genervt gab er mir erneut das Seidenjäckchen und ging erneut auf seinen Gegner los. Auch da war nicht die geringste Spur der Eskalation vorhanden. Als er aufschloss und wir alle uns verteilten, hatte ich Probleme mit dem Programm. Irgendwie wollte das Gespeicherte nicht aufgerufen werden. Schließlich kam Webber zu mir und behob das.

" Aber das müsstest du schon längst gewusst haben", sagte er vorwurfsvoll.

" Nun ja, irgenwie war ich nicht so vertraut mit so etwas", sagte ich.

" Aber es ist gutgegangen und jetzt bearbeitest du die Augabe einfach."

Danach schien es besser zu laufen. Cartman bekam etwas Ärger, weil er zu grob auf die Tastatur getippt hatte. Arnika hatte vergessen zu speichern und gerade in diesem Moment stürzte die Kiste ab. Webber riet ihr, eigentlich jeden von uns, so oft zu speichern wie möglich. Außerdem musste sie mit den Konsequenzen leben und alles nachholen. Das bekam sie auch hin.

Die nächsten zwei Fächer gingen runter wie stilles Wasser.

 

 

 

Tag 77

 

Heute durften wir im Fach 'Datenverarbeitung' mal gewisse Ergebnisse ausdrucken. War jedoch freiwillig. Was Reamon tat, brachte Webber total aus der Fassung. Er sollte ein Blatt ausdrucken, hatte aus Versehen hundert angegeben.

" Das ist doch eine bodenlose Blamage!" rief er entsetzt. " Wie kann man nur? Und ich muss das canceln, das kostet mich wieder Arbeit und Nerven, Mr. Elias."

Er nahm es gelassen, das konnte aber auch täuschen.

Dann rückten wir zum nächsten Fach. Vorher wurden die Computer heruntergefahren und Sophie dachte, ich würde einfach ohne mich abzumelden, den Aus-Knopf drücken.

Später tuschelten sie über irgendwas, was während der Lehrerfortbildung passiert war. Eine Person wäre trotzdem in die Schule gefahren, hatte offenbar das total vergessen. Es war Arnika.

Zum Schluss hatten wir in Wirtschaftslehre eine Lernzielkontrolle geschrieben und die erfolgte diesmal nicht so unverhofft, wie ich dachte.

Am Abend versuchte ich, mich auf die nächste Klassenarbeit vorzubereiten.

 

 

 

Tag 78

 

Wir bekamen die Klassenarbeiten zurück. Die Spannung war grenzenlos. Reamon hatte es wieder vermasselt und ärgerte sich. Cartman nahm alles locker, als wäre das sein Spezialgebiet, ständig ins Marmeladenglas zu greifen. Ich hatte Schlimmeres befürchtet. Könnte jedoch immer noch viel besser sein.

Eva und Arleahy hatten sich wieder in die Wolle und als Gegenangriff malte sie mit Kreide ein kegelähnliches Gebilde auf der Tafel und schrieb darüber in Druckbuchstaben: Arleahy von hinten.

Dann kam die Klassenarbeit und durch das Gemurmel war ich völlig unkonzentriert. Natürlich gab ich alles, um dagegen anzukämpfen und trotzte. Mit minderen Erfolg. Was mir stattdessen half war, ich dachte oft an Reamons ständige Niederlagen. Das sollte keine Schadenfreude sein, ich hatte mein eigenes Kreuz zu tragen. Nur in diesem Fall würde mir das wenigstens etwas helfen.

Nebenbei fühlte ich mich müde und leichte Kopfschmerzen verdarben mir den Rest der übrig gebliebenen Aufheiterung des Tages. Das Wetter war den Umständen entsprechend.

Und wieder einmal stand für den nächsten Tag eine Klassenarbeit bevor.

 

 

 

Tag 79

 

Sofort zu Beginn ging es los. Und des Weiteren gab es nichts, was mich nicht ablenkte. Auch wenn es ein Flugzeug war. Oder der Sekundenzeiger der Uhr oberhalb der Tür. Alles war für mich die reinste Nervensache. Hauptsache, ich zog alles durch.

Im nächsten Fach bekamen wir die Lernzielkontrollen zurück und ich war erleichtert. Das Ergebnis war in Ordnung. Konnte man mit leben. Was tat Cartman? Er rief aus dem Fenster nur einen Satz hinaus:" Scheiß EGAAAL!" Brawler bat ihn höflichst, hinzusetzen und er gehorchte. Reamon war ein weiteres Mal Klassenletzter und kapierte nicht, dass er so tief sinken würde. Er wusste selbst, dass er im letzten Jahr nicht schlecht war. Was war auf einmal die Ursache?

Im Fach 'Verkehrsgeographie' hatten wir das Thema 'Zeitzonen'. Das war schon interessanter und würde mir am Wochenende Gedankenwege entstehen lassen.

Danach hatten wir erneut den Brawler und er sucht sich einen aus, der über seine Missetat etwas zu erzählen hatte. Er zeigte auf Cartman aufgrund der vorigen Aktion.

" Bei dir ist es ein mehrgängiger Fall, weil du in allen Funktionen Widerstand leistest. Weil du kein JA und AMEN kennst, geschweige nie gekannt hattest. Dich hatte man in der Schule so oft beim Schummeln erwischt, dass du verwiesen worden warst. Du hattest sogar das Wort Pfuschzettel falsch geschrieben. Da stand ' FUJZÄTL' drauf, was sogar der geistig schwerbehinderte Großneffe des Direktors nicht einmal nachvollziehen konnte. Darüber hinaus gab es mehrache Körperverletzungen gegen Mitschüler. Eine davon besonders schwer. Dein Betragen in der damaligen Schule hat dazu bewegt, dass du bei uns gelandet bist."

Alle lachten sich kaputt.

" Dann ist es halt so", erklärte er kurz, bündig und vor allem gleichgültig.

Für ihn stand immer noch fest: Betragen gleich ungenügend.

Die letzte Stunde in Mathe verlief normal. Brawler wies auf die Klassenarbeit am nächsten Dienstag hin. Außerdem kam die Nachricht, dass am Montag kein Unterricht stattfände. Also sagten wir Bescheid, doch unerwartet hatte der Siegel Urlaub. Vopen übernahm und er kannte dagegen keinen Schlendrian.

Ich sagte noch:" Aber Siegel hat uns beim letzten Mal...."

" Ich bin nicht Siegel! Jeder hat sich meinen Anweisungen zu beugen. Und ich sage, und das gilt für alle: Abmarsch zur Arbeit."

Das mussten wir hinnehmen, wenn unser Leben lieb und teuer war.

 

 

 

Tag 80

 

Der Gedanke kreiste sich um den Arbeitsplatz, meine Situation und wo mittlerweile der Killer steckte. Und ebenfalls, was dieser für weitere Pläne ausheckte. Ach ja, ich vergaß zu erwähnen, dass am Dienstag zwei Klassenarbeiten auf uns warteten und mit vollen sadistischen Gelüsten uns auslutschen sollte. Und Donnerstag wie Freitag stand auch dergleichen bevor. Dann, so wurde erzählt, wollten sie die Schule wegen Sanierung für drei Wochen schließen und wir konnten wieder die alten Arbeitsplätze genießen. Sorry, war zynisch gemeint. Im Laufe der Zeit würde keiner mehr wissen, was 'Genießen' überhaupt für eine Bedeutung bekäme. Nach den drei Wochen wurde über eine Projektwoche grob gesprochen, wo es sich um Gruppenarbeiten handeln sollte. Aber Näheres würden sie die kommenden Tage besprechen. Ich machte mir schon Sorgen und Gedanken um die Klassenarbeiten. Inny versuchte, mich zu beruhigen.

Denk daran, du bist besser als Reamon Elias und wenn Cartman seinen Affenzirkus weiter veranstaltet, bleibt er auch auf der Strecke. Und Arnika? Naja. Glaub einfach an dich, dann kommt am Ende Gutes zu dir, als eine Art Belohnung.

 

 

 

Tag 81

 

Sonntag, Bad Ass sein Tag, weshalb er Zeit spendete, sich auszusprechen.

Eine weitere Woche ist um und du bist kein bisschen weise. Gut, Weisheit kann man nicht aus dem Hütchen zaubern. Kommen wir zur Sache. Ich hab bei dir den Eindruck, dass du nicht weißt, was du von den Dingen in der Schulklasse halten sollst. Was Cartman Bunks sich geleistet hatte, war zu witzig und es wäre immer noch witzig, ihn ständig auf die Schnauze fallen zu sehen. Na und? Er ist ein ungenierter Typ. Nur Reamon tut einem leid. Offenbar lässt er sich etwas zu sehr hängen. Zum Lachen wäre das überhaupt nicht. Was noch keiner weiß: Burkes Leistung war auch nicht besonders. Als ob er ständig falsche Dampfer betritt, die als richtig illusioniert werden.

" Aber ich hänge auch ziemlich am abgerissenen Faden."

Letztes Jahr hast du voll verschissen. Jetzt bist du der Prototyp von einigen Wackelkandidaten. Gegen die Streber wirst du niemals ankommen. Sie sind dir hundert Schritte voraus. Aber lass mich dir eines sagen. Du bist einer, der ständig absäuft, aber sich immer wieder mit geballter Kraft über Wasser hält. Egal, wie die Lage ist, du tauchst immer gesunden Geistes rauf zur Oberfläche. Du bist ein kleines Stehaufmännchen, vergiss das nie.

 

 

 

Tag 82

 

Es ging zur Arbeit und ich versprach, danach sofort zu schlafen, so wie ich die Zelle betreten würde. Ich glaubte zu spüren, dass alle Spuren beseitigt wurden und betete, dass ich nicht auf der 19 war. Stattdessen wanderte ich von 20 bis 22 und immer mehr kam das Motto zum Vorschein: Da, wo was ist, sofort und unaufgefordert zu bearbeiten. Die Insassen taten so, als wäre nie etwas geschehen. Wahrscheinlich durften sie sich nicht einmischen.

In der Pause verbrachte ich Zeit im anderen Pausenraum zwischen Station 22 und 23, wo sich Wanda aufhielt, Brent Misher, der Kreuzworträtsel löste, eine Frau namens Gisela Bookarest, Arras Burton und Minnie Nouri, die sich ständig mit Wanda unterhielt.

Wanda sprach mich kurz an und erwähnte, dass letztes Jahr auch einer von den Neuen für zwei Monate hier war. Eine Kollegin erinnerte sich auch noch.

" Ja sicher. So ein langer, dünner Typ mit dunkelen Haaren."

Später lief es weiter und Hunt war mit Wolf am lästern.

" Man sieht, jede Menge Frauen sind hier. Da kann man sich glücklich schätzen. Nur manche sind potthässlich..."

Sein Blick war auf die nicht weit entfernte Rosa gerichtet und sie fühlte sich auch angesprochen.

" Das hab ich gehört, du Affenkopf!!!!" rief sie.

Dann geschah nichts Besonderes und die letzte Wanne traf später ein, als erhofft. Beinahe vergaß ich, dass zwei Klassenarbeiten bevorstanden. Ich konnte so nur das Nötigste tun, bis ich unerwartet in meiner Zelle von selbst einschlief.

 

 

 

Tag 83

 

War offensichtlich nicht mein Tag, befürchtete ich. Anscheinend lief alles schief, was schief laufen konnte. Geschlafen hatte ich grottenschlecht. Viel zu oft wachte ich schockiert auf, bei jedem geringsten Geräusch. Crispin und Mitch hatten mehr Glück als ich, denn durch wenig Arbeit wurden gewisse Leute eher freigestellt und beide hatten Frühschicht. Zuerst kam die Mathearbeit, die mir Kopfzerbrechen bereitete, dann gab es im Religionsunterricht eine gewisse Gruppenaufgabe, die ich versemmelt hatte und die nächste Klassenarbeit war ebenfalls mit dem schlechten Gefühl verbunden. Auf jeden Fall schrieb ich so viel wie möglich und hoffte, dass ich nicht vollends gescheitert war. Am liebsten wäre ich jetzt in meiner Zelle und Inny würde mich in den Schlaf wiegen.

 

 

 

Tag 84

 

Crispins Geburtstag schien weitaus weniger Beachtung abzukriegen, als der von Eva, doch ihn kümmerte es nicht. Reamon sah genauso aus wie ich mich gestern gefühlt hatte. Das Fach 'Datenverarbeitung' fiel aus, weil Webber krank war. Er hatte sich sein Bein verrenkt. Es wäre sonst ebenfalls eine Klassenarbeit angefallen, die er uns verschwiegen hatte, aber so manch einer sich das intuitiv hätte vorstellen können. Burke gehörte nicht dazu. Bei gewissen anderen Personen verstand sich das von selbst. Gino war, was das anginge, sensitiv veranlagt. Da stand ich wenigstens nicht alleine da. Da dieses Fach ausfiel, wurde die obere und ursprüngliche Klasse aufgeschlossen. Kirk und Arleahy fanden einen Lehrer, den wir nicht kannten und überredeten ihn, so gut sie konnten. Und er war tatsächlich einverstanden. Danach verbrachten wir eineinhalb Stunden mit Nichtstun im gut gelüfteten Klassenzimmer. Und Cartman wäre fast auf die Idee gekommen, sein Mathebuch aus dem Fenster zu werfen. Eva war nochmal damit beschäftigt eine Art Kegel an die Tafel zu malen und Arleahy bloßzustellen. Arleahy von hinten. Als es sowet war, dass im nächsten Fach die Klassenarbeiten verteilt wurden, drehte ich meine zuerst um, dann wartete ich eine Minute. Mein Herz hämmerte und ich schaute über die Runde. Die ganzen Streber tuschelten mit Feierlaune und wie es aussah, hatte Vargis Nicolody alles richtig. Vollste Punktzahl. Die anderen drei waren ziemlich nah dran. Reamon rührte gar nichts an, zeigte keine einzige Emotion. Gino war nicht besonders begeistert und Cartman (ich wusste nicht, woher er das Feuerzeug hatte) zündete die schlecht bewertete Klassenarbeit an und schmiss das brennende Etwas aus dem Fenster. Gresher sah es und er bekam einen Tadel. Zum Glück brannte unten nichts ab, sondern das Feuer erlosch durch den Nieselregen. Ich drehte zögernd die Arbeit um und wusste nicht, ob ich unglücklich bleiben sollte oder aufatmen konnte. Es gab eben viel Schlimmeres. Wenigstens war die Arbeit nicht versemmelt. Ich war in der gleichen Ebene wie Arnika, Gino, Burke Blocker und Murray Cramer. Doch dann hörte ich Carmen weinen. Dabei befand sie sich in der gleichen Viererebene. Daraufhin tröstete Eva sie. Sophie hatte dagegen weniger Verständnis. Sie meinte, man sollte wegen einer Vier sich nicht selbst zum Scheitern verurteilen, die anderen Arbeiten waren bisher gelungen und Eva gab zu, im letzten Block auch eine Arbeit verhauen zu haben und diese sei sogar eine Fünf gewesen.

Im nächsten Fach kam Brawler zu uns und wies auf die morgige Klassenarbeit hin. Bevor er uns vorbereitete, sah er es noch als Aufgabe, einen herauszupicken, der sein Vergehen bestätigte. Es ging erneut los und es traf... Sophie? Nein. Gino? Nein. Crispin? Nein. Burke? Nein.

Und der heutige Sieger wäre... Deke Oldman.

" Ja , ich gebe zu", erwähnte Deke. " Ich bin ein Spaßvogel, der wegen Spaßvögelei verurteilt wurde."

Es gab Gelächter, teilweise Schmunzeln.

" Nun, was wirklich vermerkt war, soll die Sachlage sein, die nach hinten losging. Experimente mit Schießpulver. Das führte zu Sachbeschädigungen. In einer Prominentenparty hattest du inkognito als Diener verkleidet, überall Furzkissen verteilt und versteckt. Zigarren, die mehr explodierten, als der Verbraucherschutz erlauben würde. Und das Höchstmas der Trick mit der künstlichen erweiterten Bananenschale, die ihre Farben wie ein Chameleon verändern konnte."

" Also, kann sein, dass Mr. Peabody sich ein oder zwei Zehen gebrochen hat..."

" DEN HALS!" rief Brawler. " Du kannst froh sein, dass er noch am Leben ist. Sonst kämst du hier nicht mehr raus. Du wärst vielleicht später in Squeedistico gelandet."

" Ich war damals neun!"

" Nein, dreizehn!!!" konterte Brawler. " Genauer gesagt dreizehn Jahre und vier Monate, sechs Tage, eine Stunde und neun Minuten."

" Och MÄNNO!!!"

Er senkte mit dieser Niederlage den Kopf.

 

 

 

Tag 85

 

In den ersten Fächern hatten wir die Gresher und es lief problemlos. Wir hatten also noch vorerst zwei Schultage vor uns und konnten erst etwas aufatmen. Mein Kopf schien zu qulamen, wenn ich mir das nicht einbildete. Später schrieben wir die Klassenarbeit im Fach 'Wirtschaftslehre'. Was hatte ich da für ein Gefühl? Ich nahm mir mehr Mumm zusammen als vorher und weigerte mich, an mir selbst zu zweifeln. Kurz schaute ich über die Runde und sah, dass alle fleißig schrieben. Keiner hatte offenbar Bedenken. Kein Murmeln, kein Fluchen, kein Mosern, kein Stöhnen.

Als der Unterricht vorbei war, dachte jeder nur an sich. Keiner sah, dass Reamon Elias eine Zigarette herauszog, eine qualmte und anstatt in den zugewiesenen Bus einzusteigen, ging er gemütlich, aber mit einer bitteren Miene in den McInnery Park spazieren und das stundenlang. Er dachte sich nicht die möglichen Konsequenzen, aber er tat, was er für richtig hielt. Er blieb, bis die Dunkelheit sich dem Park immer mehr bemächtigte, bis diese ihn ein Versteck lieferte, das niemand mehr entdecken konnte.

Er würde sein Zeugnis nicht mehr an sich nehmen...

 

 

 

Tag 86

 

Also schön. Die letzte Klassenarbeit würde kommen, dann hätten wir erst einmal Ruhe. Ich musste lernen, mich zu entspannen. Aber es war alles andere, als einfach.

In der ersten Stunde kam ein Thema für sich. Eine andere Art eines Experiments. Zehn Dinge behalten können. Zehn Dinge, die man aufschrieb. Zehn Dinge, die man hörte und zehn verschiedene Dinge, die man zuerst ertastete und anschließend behalten musste und das war schon der schwierigste Part. Wir arbeiteten paarweise. Ich hatte Burke Blocker dabei. Es war schon ein etwas witziges und amüsantes Spiel. Diese Abwechslung hatten wir auch verdient.

Blocker konnte das Akustische am meisten behalten und punktete sogar die Streber weg. Wenn das auch bewertet werden würde...

" Ich wasch mir auch ständig die Ohren", sagte er stolz auf sich.

Als nächstes kam Brawler und bevor er die Klassenarbeiten verteilte, überprüfte er die Anwesenheit aller.

Reamon Elias war der einzige Fehlende. Brawler sagte noch, dass wir einfach abwarten sollen. Ich ahnte Unangenehmes, denn er war in Wirklichkeit nicht krank. Er hatte sich offensichtlich einach aufgelöst und wir alle sollten lernen zu begreifen, dass er nie wieder im Unterricht erscheinen würde.

Wie gesagt, die Arbeiten wurden verteilt und Brawler war im Ganzen zufrieden. Keiner hatte eine Arbeit verhauen. Als er zu mir kam, sagte er noch: " Hat sich wohl gelohnt."

Ich nickte erleichtert, dann zufrieden. Die beste Arbeit, die ich wohl bis jetzt hatte. Selbst Cartman hatte nichts versemmelt. (Aber was keiner wusste war, er hatte bei Mitch so gut wie möglich abschreiben können, war ihn aber nicht ganz so gelungen, wie er sich vorstellte.)

Er überlegte sich, seine Arbeit anzuzünden, denn mit einer Vier gab er sich auf einmal nicht so sehr zufrieden, ließ es nach guter Überlegung bleiben. Er hatte die Einstellung, dass Abschreiben eine harte Arbeit war, indem man sich den Kopf dauernd verrenkte und die Augenmuskeln anstrengen musste. Das würde zu Nackenverspannungen führen und die Qualen wären aus seiner Sicht höllisch. Da gehöre doch eine schöne Belohnung dafür.

Brawler sagte uns, dass nach den drei Wochen hier eine Art Projektwoche stattfinden würde. Es handele sich um Gruppenarbeiten und die Gresher würde das gutheißen, weil es ihr letzter Wunsch wäre, bevor der Ruhestand eintraf. Das Thema wäre Müllentsorgung und Entwertung verschiedenster Arten.

Dann kam die letzte Runde und wir schrieben die Klassenarbeit bei der Arnaz. Auch da gab ich alles, ohne scheitern zu wollen. Wie eine Schreibmaschine ging ich vor.

Nachdem wir die fertigen Arbeiten abgaben, verabschiedeten sich einige. Zu Cartman sagten ein oder zwei Leute: " Viel Spaß beim Ostereier suchen."

Danach war wirklich Ende und keiner schien Elias zu vermissen. Gut, er knüpfte ohnehin keine Kontakte. Er war jeden aus dem Weg gegangen ohne einen ersichtlichen Grund.

 

 

 

Tag 87

 

Die Zelle war immer noch duster und im Gang war Licht wie es sonst auf Krankenstationen so üblich war.

Inny fasste zusammen.

Hast dich gar nicht schlecht geschlagen. Nächste Woche geht es wieder zum normalen Arbeitsalltag. Hoffentlich ist der Killer nicht in der Nähe.

" Ich würde schon gerne die Wahrheit wissen! Was hat die Tiane mit allem zu tun? Ich begreife immer noch keine Zusammenhänge. Ich wäre erleichtert über die perfekte Auflösung des Falles."

Du, ich habe einfach keinen Schimmer, was du unternehmen könntest. Rede mal mit der Katushek. Vielleicht gibt sie, wenn auch zufällig, einen Hinweis.

Das hoffte ich. Aber ich ahnte, der Spuk würde endlos sein.

 

 

 

Tag 88

 

Bad Ass fasste nun zusammen.

Findest du nicht auch, dass die Woche Höhen und Tiefen hatte?

" Wo ich jetzt darüber nachdenke, wird es wohl stimmen."

Es gab schon teilweise witzige Begebenheiten. Aber was ist mit Reamon? Ob der Killer dich verfolgt hat? Ich selber kann unmöglich sagen, was aus den armen Kerl geworden ist. Ist irgendwie unheimlich, oder? Und sicher ist, der Killer wird immer wieder erscheinen. Er treibt ein fieses Spiel mit dir. Was bis jetzt alles passiert ist, war bestimmt der Anfang.

" Ich muss mit Tiane reden! Vielleicht komme ich einen Schritt weiter."

Wenn du noch diese Nachricht hättest. Aber selbst die würde nichts nützen. Ist dir da nichts aufgefallen? Jeder Laie würde darauf kommen. Die Nachricht ist mit Tiane Katushek vermerkt. Aber es ist natürlich keine Unterschrift. Nein, der Killer ist nicht blöd. Aber als Lope verschwand, gab es einen Zeugen, der inzwischen in Angst lebt. Es ist Rufus Murphy. Oder hat er selbst das alles angerichtet? Er weiß bestimmt mehr, als er zugeben wird. Und denke immer daran. Studiere morgen nach Feierabend noch die Namen ein. Vielleicht kannst du wenigstens da punkten, wenn das Schulische nicht so berauschend war.

" Gute Idee. Das muss sich lohnen."

Das Detektivspiel würde also morgen eine Fortsetzung finden und das Leben in Gefahr war nie auszuschließen.

 

 

 

Tag 89

 

Nägel mit Köpfen sollten gemacht werden, so verlief meine Vorgehensweise. Mir war klar, jeden Dienstag versammelten wir uns in der Kantine zum Neulingstreffen und warteten, inwiefern Mr. Siegel uns auf die Probe oder auf den Prüfstand stellte. Falls er überhaupt kam. Da würden wir uns morgen überraschen lassen. Ich würde ja heute Tiane ansprechen, fühlte mich nur nicht danach. Mir war die Fähigkeit, klar denken zu können, etwas auf der Strecke geblieben. Das Wetter vor allem machte müde. Zu Beginn war ich auf Station 20, wurde unmittelbar danach zur 21 geschickt, weil Hep Nguyen, der Vietnamese, ganz alleine war. Weaponsmith kam etwas später und Juwel war krank. Man tat, was nötig war. Zwei Leute von der Abteilung Wareneingang unterhielten sich mit van Patten. Der eine war schon einmal mit dem Anliegen da, dass sie sich den Termin vormerkt. Der andere Typ war wesentlich jünger, so um die zwanzig. Darwin Lentz hatte Enzo D' Angelini hingeschleppt, weil dieser darauf bestanden hatte. Er gab keine Ruhe und sogar der dortige Abteilungsleiter war nachgiebig. Es ging darum, dass nichts schieflief. Die Puppe sollte ganauso groß wie ein Mensch sein. In welche Station man diese einbringen würde, stand noch nicht fest, obwohl das eigentlich glatt gelogen wäre. Aber die Uhrzeit wurde angesagt und die Puppe musste noch etwas spezieller angefertigt werden. Die Logik sagte schon bereits, dass so eine präzise Planung keine Lücken haben konnte. Ich beobachtete es rein zufällig, als ich mich am Ende des letzten Ganges befand. So konnte ich wundervoll so tun, als ob mich das nichts anginge und mimte den leicht Unbeholfenen. Aber zugleich sollte diese Unbeholfenheit nicht auffällig sein. Die meisten Angaben waren von Enzo, obwohl er gerade mal vier Jahre hier war und eigentlich in Entscheidungsangelegenheiten niemals mitzubestimmen hatte. Was hatte diese merkwürdige Sache auf sich?

Noch war nicht der besondere Zeitpunkt, sich Gedanken zu machen.

 

 

 

Tag 90

 

Ich dachte wieder an die Schule und hatte all diese Ereignisse gedanklich ablaufen lassen. Wie konnte man sich eine Projektwoche vorstellen? Ich hatte keine Vorstellung, doch gewiss würden wir es zu Beginn des Unterrichts erfahren. Dann dachte ich, dass Eva etwas an sich hatte. Etwas anziehendes vielleicht?

Vergiss es! meldete sich Bad Ass, der nur dann die Wahrheit sagte, wenn sie negativ wirkte. Was will eine extrovertierte Person von so einen Blindgänger wie dich. Du bist ja noch nicht einmal durchschnittlich aussehend und sogar Arnika würde dich nicht wollen. Sie steht auf Leute mit einigen Kilos mehr. Und vielleicht auch gut situierte Typen. Und wie kamst du im Allgemeinen rüber? Die halten dich alle für ungebildet, unintelligent, tölpelhaft, schwächlich und du ziehst das Pech magisch an. Auch hier im Arbeitsstraflager ist das kein Deut besser. Ich hab sogar Zweifel, dass du bei Nelly eine Chance hättest. Sie ist um einiges reifer als du. Sei doch ehrlich. Du bist einfach nicht aus dem richtigen Holz geschnitzt. Und Freunde hast du auch keine gefunden. Dir muss klar sein, was jeder von dir hält. Sieben Monate hast du fast hinter dir und bist immer noch der Einzelgänger in spe.

" Was war mit Reamonn und Cartman? Und Arnika?"

Reamon hatte letztes Jahr zwei oder drei Typen gehabt, die aus einer anderen Klasse stammten. Einer starb unerwartet an Leukämie. Und Arnika? Sie wird vor dir fündig, das garantiere ich und Cartman ist mit seiner überheblichen Art geistreicher. Ich schätze, du wirst über die zwei Jahre unverändert darstehen.

" Vielen Dank. Ich muss zur Arbeit."

Ich halte dich nicht auf.

Noch immer war die Jewel nicht anwesend. sie war schließlich immer noch krank. Macht nichts, es würde klar gehen.

Als das Neulingstreffen stattfand, erschien Siegel. Nur Crispin und ich waren anwesend. Er befragte uns über schulische Sachen und jeder sollte versuchen ein Beispiel zu erläutern. Ich nahm 'Zeitzonen' als Beispiel und er fragte sarkastisch, was Zeitzonen wären, um die Rolle eines Unwissenden zu mimen. Ich erklärte es so gut ich konnte, es war zwar mit einigen Lücken versehen und bei Crispin war die Situation ähnlich, doch wir hatten irgendwie unseren Kopf gerettet. Dann ging es wieder zurück und der Ablauf zeigte seinen gewohnten Gang.

Betragen im Großen und Ganzen: Genügend!

 

 

 

Teil 2 : Wahrheitsfindung

 

 

 

A: Frohe Erwartungen

 

 

 

Tag 91

 

Eigentlich müsste der erste April mit Scherzen aufgelegt sein. Doch ich ahnte es bereits, dass drei Viertel nicht zu Späßen aufgelegt waren und versuche starteten, andere, die noch halbwegs glücklich waren, anzustecken. Bei Wanda und Minnie gelang es einfach nicht. Sie mieden Bitterkeit, weil irgendwann Schluss sein musste. Doch ich traute meinen Augen kaum, als ich aus dem Fenster schaute. Endlich schönes Wetter. Auf Station 20 registrierte ich eine Zeichnung, wo jeder Tag gekennzeichnet war und jeweils ein und dieselbe Figur. Und darunter jeweils ein Spruch.

Für Montag: Sprich mich nicht an! Figur guckt wütend und abweisend.

Für Dienstag: Hoffentlich geht der Tag schnell zuende! Figur guckt bedrückt.

Für Mittwoch: Ich würde am liebsten sterben! Figur schießt heulend mit Tränen um sich.

Für Donnerstag: Endlich kehrt Leben in meinen Körper! Figur lächelt etwas.

Für Freitag: Frohe Erwartungen! Figur lächelt breiter.

Für Samstag und Sonntag: Happy! Happy! Happy! Figur mit Narrenkappe ist in Partystimmung.

Das war erst recht etwas, was ich einstudieren musste. Und ich tat es für mich.

Erschreckenderweise fiel mir eine Wanne auf, die schwerer war, als gedacht. Ich nahm blind den Pickzettel samt Klemmbrett, führte den Auftrag aus, wie immer, wobei der abscheuliche Geruch sich bemerkbar machte. Hep konnte nichts merken, weil er leicht erkältet war. Als ich den Artikel mit dem Klemmbrett hineinsteckte, sah ich den Kopf von Lope Flynt. Hätten wir Hochsommer gehabt, würden sich Fliegen wie verrückt ansammeln und jeder würde Alarm geben. Womöglich käme es zum Aufruhr. Ich war erstarrt, doch als Weaponsmith ankam und meine Erstarrung sah, deute er die Wanne weg und sagte, es müsse etwas zügiger gehen. Später stellte sich heraus, dass keiner es merkte. Die Wanne würde auf der anderen Seite erscheinen. Von Station 25 bis 30. Und dann zu einer Sammelstelle. Gerade auf der anderen Seite war der Kreis der Verdächtigen dichter bezogen und hundertprozentig wäre ein einziger in der Lage alles einfach verschwinden zu lassen.

Ein bedeutend gruseliger bis ekliger Moment lastete auf mich.

 

 

 

Tag 92

 

Ich pendelte zu den Stationen 20 bis 22 und als ich am Ende des Ganges auf der 20 war, sah ich Nelly und lächelte sie an. Sie erwiderte die Aktion gar nicht und alles erschien mir kalt und unpersönlich. Vielleicht hatte ich sie nicht mit guter Laune erwischt. Das nächste Mal, bitte etwas mehr Glück. Oder war sie nicht gut drauf, weil sie bestimmt den abgetrennten Kopf sah? Aber dann müsste jeder hier gewaltig tuscheln. Schlimmstenfalls würde man hier alles räumen. Alle arbeiteten so wie alle Tage. Ich musste mir die Zeit nehmen, um mit Tiane zu reden. Es verlief so, wie Bad Ass es vorausgesagt hatte. Vorsichtig habe ich auf die ominöse Nachricht hingewiesen.

" Ich weiß nicht, was das soll! Ich habe keine Nachricht geschrieben!"

" Aber ich fand diese auf der anderen Seite. Nun ja, sie war nicht mit einer Unterschrift versehen..."

" Dann hätte jeder das sein können! Welcher Spaßvogel besitzt wohl einen kranken Humor? Bestimmt Rufus Murphy, dieser Perversling."

" Was hat er mit allem zu tun? Leute verschwinden einfach und ich weiß nicht, wo bei mir der Kopf steht."

" Ich würde ihn mal auf den Zahn fühlen."

Etwas enttäuscht entfernte ich mich und dachte über alles nach. Dann sagte ich mir, dass das Wochenende dazu da wäre.

 

 

 

Tag 93

 

Tiane war alleine und ahnte nichts. Ihr Arbeitspensum hatte sich verringert. Sie betrat eines der Enden des Ganges, hatte anfangs noch restliche Regalplätze mit Wareneingang befüllt. Sie begegnete einen Typen auf Station 30, der mit den länger eingefleischten Drockett Prockefellow arbeitete. Sein Name war Ross Beatty und er hatte Frauen vergewaltigt. Jetzt sah es so aus, als würde er nach langem Zöllibat sich gerade sie vornehmen. Der Blick sagte schon alles und sie zog sich verschreckt zurück. Marisa war noch nicht anwesend, stattdessen die kontaktscheue Frühschicht, die erst dann gehen konnte, wenn die Spätschicht sich nach Eintreffen aufgewärmt hatte. So war wohl die Regel.

Bevor sie die letzte Einräumaktion durchführte, vernahm sie ein unheimliches Flüstern.

" PSSST! Komm mal her."

Sie vermutete, dass es jederzeit zum übergriff führen konnte, war aber eher gelähmt zum vernünftigen Reagieren.

" Du hättest still sein sollen! Du hättest den auf dich bezogenen Verdacht hinnehmen müssen!" sagte die Stimme im rauhen und zornigen Flüsterton.

Kurz darauf griffelten zwei schwarze, lederbezogene Handschuhe nach ihr und drückten fester zu. Dann sorgten diese behandschuhten Hände für das nächste eher spurlose Verschwinden.

Später kam ich, bemerkte von allem natürlich nichts. Ich war noch immer auf Station 21. Da war zwar ein bisschen was los, doch wir schlugen uns tapfer. Als ich bei einem Auftrag Bedenken hatte, kam Weaponsmith bereits und deute die Wanne schon weg. Meine Hand wurde um Haaresbreite dabei gequetscht. Die ganzen Insassen bemerkten weiterhin nicht, was hier vor sich ginge. Als Marisa ankam und die Frühschicht genervt sich verabschiedete, schien sie mit dem Aufkommen angegriffen zu werden. Van Patten bemerkte das und schickte von oben einen, der vor wenigen Jahren schon mal exakt dort gearbeitet hatte. Es war jemand, der eher einen Roboter ähnelte, als ein menschliches Wesen. Somit wurde das nächste Problem gelöst.

 

 

 

Tag 94

 

Wie war die letzte Woche? fragte Inny. Meinst du nicht auch, dass sie auf andere Art und Weise turbulent war?

" Da hat sich wohl kaum etwas geändert."

Das war aber schlecht gelogen. Gerade du kannst die Augen nicht verschließen. Die anderen tun es schon immer. Egal, um wem es sich handelt. Und du hattest schon im Laufe dieser Woche mit Bad Ass eine Unterhaltung. Ihr werdet euch morgen bestimmt aussprechen, da bin ich sicher.

" Das war doch immer so."

Aber es ist genug passiert. Auch Sachen, wovon du nichts weißt.

Sofort packte mich die Neugier. Was stand noch offen?

" Was soll ich nicht wissen? Was habt ihr mir vorenthalten?"

Innys Stimme verschwand, als ob auch dort eine verschwörerische Angst angekommen wäre.

Den Rest des Tages verbrachte ich damit, an Nelly zu denken. Das blonde mittelkurze Haar, die strahlend blauen Augen, die mit geballter Macht den Frühling hervorrufen wollte. So war die Ausstrahlung.

" Warum bringst du uns nicht einfach zusammen?" betete ich zum Abschluss.

 

 

 

Tag 95

 

Hallo, du Traumtänzer!

Das konnte nur Bad Ass sein, wer sonst.

Hast wohl gestern den ganzen Tag damit verbracht, dich selber zu belügen. Aber was solltest du sonst machen, an dem unbedeutenden Tag? Fassen wir schon wieder zusammen. Du hast es auch beobachtet, das mit der Puppe. Sie muss irgendeine besondere Rolle spielen, ich komme nur nicht darauf, was für eine. Der Tag danach, da haben wir schon diskutiert und ist deswegen abgehakt. Und am Mittwoch, fandest du den Kopf eines von vielen Opfern, die ihr Leben verloren und noch verlieren werden.

" Du meinst also auch, dass der Killer zuschlagen wird?"

Ich bin sogar überzeugt. Nochmal auf den abgetrennten Kopf zu sprechen. Ich weigere mich einfach zu glauben, dass keiner das gemerkt hatte. Aber wirklich gar nichts. Jeder Blinder würde Alarm schlagen. Entweder sind alle Insassen dümmer als eine Jauchegrube oder alle haben, als du das erste Mal kamst, einen Knebelvertrag unterschrieben, wovon du natürlich nichts weißt. Und der vorletzte Tag? Tiane hat alles abgestritten und ich konnte mir das denken. Das wäre alles zu einfach. Sie hat dich zu Rufus Murphy weitergeleitet. Den kennst du bereits. Ein komischer Kauz. Und traut man einen komischen Kauz? Die meisten täten es nicht. Ich hab ja nie behauptet, dass die anderen es denken. Aber ich denke es und wenn du deine grauen Zellen etwas mehr anstrengen würdest, hättest du auch die Vermutung. Vorgestern jedoch warst du richtig in deine Arbeit vertieft. Was für ein Fehler und gleichzeitig könnte es ein Segen sein. Tiane ist nämlich was zugestoßen.

" Wenn du das weißt, müsstest du den Verursacher selbst gesehen haben."

Dafür ist er zu raffiniert. Selbst mich hält er garantiert zum Narren und ich setze immer vorraus, dass er doch noch einen speziellen Fehler macht. Im Augenblick habe ich zwei Leute unter Verdacht. Einmal Rufus Murphy und auf Station 30 den Ross Beatty, der Frauen vergewaltigt haben soll. Und seitdem bei ihm Leerlauf war, könnten seine Emotionen wieder aufgeflammt sein. Alles ist möglich. Nimm dir erst einmal Rufus vor. Vielleicht hat er einen guten Hinweis, vielleicht fliegt er auch auf.

" Dann habe ich ja wieder einiges vor mir. Nimmt das denn nie ein Ende?"

Irgendwann hat alles ein Ende. Du wirst sehen.

Ende der Kommunikation.

 

 

 

Tag 96

 

Zeit, weiteren Einsatz zu zeigen, bloß für wen? Was hatte ich davon? Gut, es würde eine Strafverlängerung anfallen, möglicherweise auch Squeedistico, Alcatraz für Hartgesottene. Und das musste vermieden werden. Mir schien aber, dass jeder Tag sich trotz Arbeit langzog. Als ich mich auf Station 21 befand, kam ab und zu die hochmotivierte Wanda und beseitigte den leicht überfluteten Warenfluss. Etwas später kam dann Jewel Surth in besserer Verfassung. Hinterher kam van Patten und schickte mich zu Station 28 aufgrund erhöhter Aufträge. Irgendwie war ich begeistert, denn es war auch mein Wunsch. So konnte ich Rufus ausfragen und zugleich, wie hieß sie nochmal? Nelly? Zugleich ihr vor die Augen treten.

Ich kam an und spürte die Erleichterung. Doch leider gab es viel zu tun. Luana Weymers, die Kollegin war so dermaßen in die Arbeit vertieft, dass sie keine Menschenseele registrierte. Es ging leider hektischer zu, als gedacht. Beinahe rannte ich Nelly über den Weg, doch sie nahm es mit Fassung. An einer Stelle des Lagerplatzes fehlte die Bezeichnung und so fragte ich Nelly. Sie meinte, dass es passieren kann, wenn die Codebezeichnung fehle und würde sich später, wenn mal Luft zum Atmen war, dafür einsetzen. Mullinghouse, die Leiterin dieser Reihe meinte, dass am nächsten Tag die gleiche Prozedur erfolge. Wie es aussah, würde ich Rufus erst am nächsten Tag interviewen können.

 

 

 

Tag 97

 

Nochmal war ich auf derselben Station und als ich Nelly anlächelte, verwies sie mich kurz zur Station 26, da sei mehr los. Aber so katastrophal war es wirklich nicht. Peyton Heggers sei vielleicht ein Kraftpaket, aber auch ihm schien das etwas mehr zu sein, als er schaffen konnte, nur die Lage war wie bestimmtes Regenwetter. Es konnte für fünf Minuten sinnflutartig regnen und danach gäbe es vereinzelte Tropfen. Und ganauso lief es ab. Dann war auf der 27 mehr und als dies sich langsam beruhigte, schickte mich Nelly tatsächlich zur 29. Es war ja nicht nur laufend zu tun, der Personalmangel kündigte sich langsam an. Gestern nutzte ich die Pausen, um mich auszuruhen. Heute musste ich Antworten bekommen. Rufus Murphys Verhaltensweise war abweisend. Nicht nur, weil er alleine war, er verwies mich zu Ross Beatty und ich ahnte, dass er es machen würde. Er fürchtete sich vor irgendwas. Das war bei den Vorhergehenden genauso der Fall und diejenigen wurden beseitigt. Er selbst wusste auch nichts über eine Nachricht und wollte mit impulsiver Verabschiedung in Ruhe gelassen werden. Nebenbei war auch Neulingstreffen und wenigstens füllte sich das etwas mehr. Alle außer Alec waren anwesend. Vorher waren einige essen gegangen. Ich ernährte mich dauernd von Broten, während andere deftiger zuschlugen. Gerade heute gab es Bohneneintopf von Mexiko. Talia nahm besonders viel davon und irgendwann, mittendrin rächte sich das. Ein Glück, dass Siegel nicht kam. Sie furzte gewaltig und die schwefeligen Dämpfe umhüllten schon fast die Sitznachbarschaft. Nämlich Francesca und Milla. Verlegen verdeckte sie ihr Gesicht und wünschte sich, sie würde das alles träumen.

" Ist mir das peinlich!"

Dabei lachte sie mit hochrotem Kopf und Francesca lachte automatisch mit. Dann stieß sie noch mehr Methan aus und sie rannte zur Toilette. Sie dachte sich schon, dass sie für eine Weile keinen unter die Augen treten wollte.

Zurück ins Materiallager setzte ich alles fort. Ich ging wieder zur 28 und da Nelly viel Limonade oder Mineralwasser trank, musste sie laufend auf Toilette. Alles mit Verständnis zu versehen. Als sie zurückkam, schickte sie mich zur 27 und ich hatte immer mehr das Gefühl, das wäre Absicht, um mich von sich ferner zu halten. Als sie sich wesentlich später mit ihrer Kollegin etwas unterhielt und der Warenfluss minder wurde, erwähnte sie nebenbei ihren Ehemann, der mit seiner treudoofen Art wirklich auf sie warten würde. Er besuchte sie auch so regelmäßig wie möglich. Und das Ergebnis war schon eine Enttäuschung für sich.

 

 

 

Tag 98

 

Ich vergaß beinahe, dass am Freitag und Montag Feiertage waren. Dann wären die frohen Erwartungen nicht so fern, nicht wahr? Heute wurde ich zurück zur Station 22 beordert. Ja gut, nach der Enttäuschung war es wohl besser für mich. Nelly Kittridge führte sich auch eiskalt auf, als ob neue Insassen überflüssig seien. Sie war zwar nicht kratzbürstig, aber anscheinend akzeptierte sie nur noch vertraute Personen. Aber im Allgemeinen vermutete ich, dass die Stimmung auf der anderen Seite gekippt war und das war schade. Keiner hatte es verdient, aus diesem Grund mit Verbitterung gestraft zu werden. Zu Beginn, das war für vier Stunden, war ich noch auf der 19. Das sorgte für Stimmungstief und als das Einräumen scheinbar auch nicht so geklappt hatte, stimmte Brent Misher der Stimmungslage noch zu. Es gab einen Moment, da hatte ich gerade noch sehen können, wie Rosa ein schweres Teil klammheimlich in die Wanne geschmissen hatte und es mir in die Schuhe schob.

" Das musst du gewesen sein, du kannst einfach gar nichts richtig machen! Geh gleich ein paar Stationen weiter, ich kann dich nicht ertragen!"

Brent blieb dann stattdessen dort und ich ging zur 22, wo es entspannter zuging. Mal pendelte ich zur 21, wenn es derb zuging, mal opferte sich Wanda auf. Das verlief unterschiedlich, doch es funktionierte.

 

 

 

Tag 99

 

Dolly van Patten war ziemlich aufgebracht und Mullinghouse ebenfalls, aber zugleich ratlos. Rufus Murphy war verschwunden und seine Zunge, wenn es wirklich seine war, wurde in seiner noch gestern benutzten Kaffeetasse aufgefunden. Und ich bekam das Gespräch zufällig mit, während ich auf der 21 hin- und herlief. Das Komische war, ich wusste über dieses Geschehen. Da brauchte man kein Detektiv mehr zu sein, man musste die Zusammenhänge im Kopf behalten. Erneut wurde einer von oben auf die 25 gebracht und er führte die Arbeiten besser aus, als sein Vorgänger. Er war der Zwillingsbruder von dem Typen, der auf der 17 die Arbeiten gewissenhaft erledigte. Beides mit roboterhaften und unpersönlichen Auftreten versehen, dachte ich. Oben hatten sie scheinbar mehr Personal, als hier in der ersten Etage. Was würde ich morgen bloß machen?

Ich hatte noch keinen Plan und mit Inny oder Bad Ass reden, könnte ich genausowenig.

 

 

 

Tag 100

 

Ich schlief aus und hatte es auch verdient. Ich dachte daran, dass ich noch vier Tage zu arbeiten hatte und dann zwei Wochen Schule. Naja, die Schule war auf irgendeine Art und Weise auch nicht rosig und aus unbekannten Gründen hatte ich mich an die Abteilung gewöhnt. Ich bräuchte vorrausgesetzt nur ein lockeres Umfeld. Ich nahm mir einen Spaziergang vor, da tuschelten Mina und Cristina zusammen über einen Zeitungsausschnitt. Dem Bericht zufolge sollte eine Frau in der Bahn aussteigen wollen laut einem Zeugen und wegen der unverhofften Türstörung trat diese regelmäßig gegen die Tür, sodass sie während der Fahrt aufriss und sie aus dem fahrenden Zug heraussprang.

" Wie kann man nur so bescheuert sein?" lachte Mina sich kullernd.

Cristina zuckte mit den Schultern und es ließ ihr auch kalt, denn beide wussten auch, dass niemand auf so eine selbstmörderische Idee kommen könnte. Auch Milla unterhielt sich mit Alec und Ralph mit Tekin. Keine einzige Person, die in den Gängen kurz rumlungerte, nahm von mir einen Moment Notiz. Ich holte mir einfach ein Brötchen und Kakao aus der Glasflasche. Dann machte ich kehrt zu meiner Zelle und philosophierte mit mir selbst.

 

 

 

Tag 101

 

Nun war es an der Zeit, sich mit Inny zu verständigen. Bad Ass hätte dagegen wesentlich mehr zu sagen und was konnte Inny für diese Woche beitragen?

Mein Beileid, dass du bei Nelly nicht punkten kannst, aber trotz allem, dass sie verheiratet ist, müsstest du mindestens zehn Jahre älter sein, reifer und weise wirken und viel besser anpacken können. Außerdem bist du relativ neu und wirkst so ohne Potential, Ideale und Persönlichkeit. Du kommst leider gegen andere an wie ein Greenhorn. Die anderen haben jede Weisheit mit Messer und Gabel verspeist und du musst an Weisheit rankommen, indem du dir das erkämpfst und nach jeden Schritt die Weisheit weiterrücken will.

" Das ist doch unfair!"

Mach dir am besten nicht die Hoffnung, die dich überfällt. Unter den Neugewonnenen ist auch bestimmt etwas, was dir eher Chancen geben kann.

" Das hab ich ja gestern bemerkt, wie mein Stand und Status ist. Resonanz gleich nullkommanull."

Bestimmt wird es bald besser. Es ist nur eine Frage der Zeit.

Hoffentlich hatte Inny recht. Hoffentlich.

 

 

 

Tag 102

 

Unsanft wurde ich von Bad Ass geweckt und bat darum noch ein Weilchen zu dösen, um klareren Kopf zu bewahren. Als es zehn war, musste die Stimme eingreifen.

Jetzt hast du doch wirklich genug gepennt. Wir müssen den Wochenrückblick besprechen.

" Daran will ich wirklich nicht dauernd nachdenken."

Dass das mit Kittridge gescheitert war, kann man nicht als Weltuntergang bezeichnen. Außerdem warst du nicht verliebt, vor allem nicht unsterblich, du hast dich nur ein wenig verguckt. Dein Appetit ist ja noch da. Und du bist deswegen nicht am trauern, denn es ist bloß eine rasche und vorübergehende Enttäuschung, die dich überfallen hatte und dazu sage ich, besser jetzt, als später. Mach ein Schlussstrich.

Ich hatte keine Wahl. Und mit...

Schlag dir Wanda auch aus dem Kopf, falls du darauf anspielen willst. Sie spielt in einer höheren Liga und Nelly ist noch ein bis zwei Etappen höher.

" Und wen schlägst du vor, der in meiner Ebene sein könnte?"

Selbst in der Neulingsszene bist du außen vor. Außerdem ist das nicht der Zeitpunkt. Konzentriere dich lieber darauf, den Killer, der dir und gewiss anderen das Leben schwer macht, zu ermitteln. Das FBI ist, was das angeht lahm, öde und träge. Mit dem Tunnelblick können sie nicht einmal einen Maikäfer aus dem Wasserglas retten. Hinzu kommt noch, dass keiner von denen auch nur ansatzweise um die Ecke denken kann. Vergiss einfach die Pfeifen und forsche weiter nach, denn es betrifft vor allem dich. Der Killer weiß genau, wer du bist und wo du ständig bist. Murphy musste auch dran glauben. Anscheinend hatte er doch geredet, sogar gequatscht. Das ist erstaunlich, wenn etwas einen ziemlich in der Seele brennt, dass er doch sich verpflichtet fühlt, sich an den Richtigen zu wenden. Rede mit Ross Beatty.

" Dann kommt bestimmt dasselbe raus. Dann wird er tot aufgefunden, weist auf einen anderen hin und so geht das Spiel weiter."

Vielleicht verlangt der Killer das. Es muss einer sein, der mitten im Geschehen ist, ohne aufzufallen. Anders kann ich es mir nicht vorstellen.

Ich grübelte. Dann konnte Ross es nicht sein, denn mitten im Geschehen war der auf keinen Fall. Seine Art war noch zurückgezogener, als meine. Also sollte ich wohl spontan fragen, wer der Killer wäre, oder bloß verdächtig.

 

 

 

Tag 103

 

Wieder ein freier Tag und mein Grübeln nahm kein Ende. Die ganze Nacht hatte ich mich gefragt, wer der Killer sein konnte. Ich kam zu keinem einzigen Ergebnis. Jeder hätte irgendwo ein Motiv, passte trotzdem nicht so ganz ins Bild. Ich weigerte mich, die Vorstellung festzuhalten, dass einer von den Insassen rein und raus stolzieren konnte, ohne von den Wachposten abgeknallt zu werden. So drehte ich mich laufend im Kreis herum und war genauso schlau wie vorher. Ich öffnete die Tür und schaute durch den Gang. Vor jeder Tür war ein selbst gebasteltes Nest mit Schokolade und gefärbten Eiern. Wir hatten Ostern, aber so bedeutend schien das hier doch nicht zu sein. Es war aber eine Geste und nichts anderes. Aber schön. Ein Grund, dankbar zu sein. Sonst war hier nichts los. Alles war der Zurückgezogenheit verfallen, denn gearbeitet wurde hier nicht. Die einzigsten Leute, die tätig waren, hielten überall Wache und wechstelten sich täglich. Eigentlich alle zwölf Stunden. Und sie wurden üppig bezahlt. Üppiger als die ganzen Bereichsleiter verdienten. Am Abend schaute ich meine beinahe vernachlässigten Unterlagen an und studierte einiges ein.

 

 

 

Tag 104

 

Es lief weiter wie alle Tage es auf ihre Art laufen ließen. Weil ich mich angewöhnen musste, nahm ich mir vor, Ross morgen anzusprechen. Heute wollte ich einfach den Kopf freier machen und zugleich mich auf kommende Sachen vorzubereiten. Ich befand mich auf Station 21. Beim Neulingstreffen waren Mitch, Crispin, Tekin, Adam und Ralph anwesend. Die vom Büro vorgesehenen würden ausnahmsweise am Donnerstag separat teilnehmen. Ralph hatte irgendwie kein Verlangen, länger in der Runde zu sein und warnte, dass heute definitiv der Siegel auftauchen sollte. Er verschwand zu seinem Arbeitsplatz. Zumindest mochte er die Wareneingangsabteilung noch halbwegs. Das Lager dagegen war anders, aber er war nicht der einzigste.

" Ihr habt mich hier nie gesehen", sagte er uns und Tekin würde dafür als erstes antworten.

Dann kam zu guter Letzt Mr. Siegel an. Er fragte uns nach dem Befinden und dann erst fand die Befragung statt. Crispin wollte vor Scham lachen, schluckte dies aber runter. Wir alle waren dran. Aber mein Part war wirklich schon lückenlos. Ich hätte das selbst nicht wahr genommen, denn normalerweise dachte ich, dass der Rest mit den ganzen Namen so heraussprudel würde, aber diese Wissenslücken waren erstaunlich. Gut, ich hatte eine Anrede verwechselt, und das wurde locker verziehen. Aber die ganzen Nachnamen fehlerhaft zu ordnen und aufzusagen, war schon eine reife Leistung und stellte alle anderen gnadenlos in den Schatten. Sie schauten danach verdutzt.

Mr. Siegel war jetzt nicht sauer, aber auch nicht besonders entzückt.

" Ich hatte allen mal gesagt, lernen Sie bitte die Namen auswendig, denn das gehört zum Pflichtprogramm. Ich will keinen jetzt mit Moralpredigten bombardieren, und den Alvares halte ich aus der Situation natürlich raus, doch ich bitte alle, schauen Sie sich das Blatt mit den Namen nochmal an, studieren Sie das ein, denn so schwer kann das ja auch nicht sein! Also geben Sie einfach demnächst Vollgas. Nach der Schule verlange ich eine rasante Verbesserung und sollte die nicht erfolgen, gibt es eine Menge Ärger!"

Als es vorbei war, redeten alle noch für höchstens zehn Minuten, während er wegging.

" Der hat wohl einen Vogel!" sagte Mitch. " Was kann denn passieren, wenn wir es nicht machen oder bringen? Landen wir etwa in Squeedistico?"

Tekin hielt die Hand hoch.

" Ich würde das nicht so unterschätzen", sagte er noch. " Hier ist alles möglich. Also ein bisschen Ehrfurcht würde keinem schaden. Ich kenne das, weil ich ein kleines bisschen mehr darüber weiß. Und ja, er hat schon einen Querkopf nach Squeedistico bringen lassen. Und dieser war ein halbes Jahr jünger, als der jüngste von euch."

Crispin fing schon fast an, zu zittern. Nur Adam nahm es noch nicht für voll. Er überlegte sich dauernd etwas, um sich aus jeder Affäre ziehen zu wollen. Das gelang ihn nur in seinen Träumen. Ralph dagegen gelang es. Siegel hatte nicht nach ihm gefragt. Den Rest des Tages bekam ich auch noch rum, ohne großes Aufsehen.

 

 

 

Tag 105

 

Jetzt fühlte ich mich danach, den Täter zu finden, aber die Herkulesaufgabe wollte mich zur Aufgabe zwingen. Dafür war die große Pause vom Nutzen und ich suchte Ross auf, um mögliche Antworten zu bekommen. Zuerst machte er einen auf närrisch, danach blockte er ab.

" Wir dürfen über Tatbegebenheiten nicht sprechen. Ich weiß nicht, um wen es sich handelt und ich will es auch nicht wissen!"

" Aber irgendwann wird es nervig. Ich dreh bestimmt noch durch, wenn ich aus dem Verwirrspiel nicht so langsam herausfinde."

" Du willst wirklich einen Tipp? Mit dem wirst du eines Tages viel zu tun haben, das garantiere ich. Und er... nein, ich darf mehr Details nicht sagen. Er wird mich umbringen. Was ist, wenn er uns zuhört?"

Ruckartig drehte ich mich im Kreis und spitzte die Ohren, behielt Adleraugen und hoffte, ein Rascheln zu hören. Wenn dem so sei, würde ich ihm nachrennen. Doch was, wenn er mich wieder niederschlug? Von Krankenhäusern hatte ich die Nase voll. Das kargweiße Ambiente gab mir zum einen ein Einsamkeitsgefühl und die Zimmer strahlten Gefühlskälte aus. Da musste schon einer geistig schwerbehindert sein, um keine depressiven Momente abzubekommen. Heute fehlte Wanda ausnahmsweise, sie würde übermorgen wieder kommen. Minnie war mit ihrer besten Freundin Vidina auf der 22, auf der 23 war Martha Sudrow mit Gisela Bookarest und auf der 24 zwei Herren, die ich bloß flüchtig kannte. Beide waren nicht groß und einer war eine Mischung aus Frank Zander und John Carpenter, nur noch etwas hagerer. Der andere war etwas kleiner und ruhiger. Ich pendelte von der 21 bis sogar zur 24. Aber überwiegend war ich auf der 22. Aber im Allgemeinen hatte der Tag mich nicht weiter gebracht.

 

 

 

Tag 106

 

Keine weitere Veränderung legte der Tag. Weaponsmith, der alte Seebär war heute schlecht drauf, Martha war verhalten, Minnie hatte mal konzentrationsschwächen und ich litt unter den negativen Schwingungen. Arras Byrton war auch ungefähr vor zwei Wochen krank geschrieben und versuchte, ihren Einsatz zu zeigen. Van Patten verdonnerte sie zu den Großmengen, weil dort zuviel aufkam und sie hatte die Aufgabe, alles zu sortieren, notieren, einzulagern, was in der Frühschicht ein dicklicher Typ mittleren Alters machen musste, aber den erhöhten Aufkommen nicht nachkam. Selten war auch Brent Misher dabei, doch meistens verbrachte er die Zeit bei der 19. Die Wynter assistierte van Patten, wie es die meiste Zeit so war. Ich war auf der 22 und glaubte zu sehen, dass Jewel Selbstgepräche führte. Anscheinend war sie die einzigste mit halbwegs guter Laune. Bookarest ärgerte sich zu Beginn ihrer Schicht, dass zu viele beschädigte Artikel ankamen und sie ständig es zu melden hatte. Van Patten nahm es gelassen und sagte auch, das es trotzdem kein Problem sei, das hätte unten entdeckt werden müssen, denn es herrschten etliche Durchläufe. Beim Verpacken der Urerzeuger, beim Liefern, beim erneuten Auspacken in der Wareneingangsabteilung, beim Verschicken für den nächsten Stopp. Nämlich bei den Datentypistinnen, die Artikelnummern und Anzahl einzutippen, damit diese dann weiterbearbeitet wurden und dann wurde entschieden, zu welchen Stationen diese zuzuordnen waren. Dann wurden bei uns an einem Bereich Pickzettel erstellt und auch da waren Kontrollen erforderlich. Tatsächlich konnte es vorkommen, dass es bis zur letzten Station, natürlich Station 30, unentdeckt blieb. Das war schon furchtbar. Wenn dort keiner reagierte, und gewisse Kunden bekamen das im verhunzten Zustand, gab es wohl Ärger und Vorwürfe an alle Insassen.

 

 

 

Tag 107

 

Zufällig war es wesentlich wärmer. Der Frühling ergab sich als sommerhaft und als ich dann zur Arbeit ging und meinen Pullover ablegen wollte, kam van Patten wie aus dem Nichts an.

" Sie wissen ganz genau, wenn Sie ankommen, in Windeseile sich an die Arbeit machen sollen!"

Dann verschwand sie und ich dachte, dass man auf einmal nicht mal den Pullover ablegen konnte? Sollte ich etwa zu Tode schwitzen? Wanda war wieder da und motiviert. Sie war schon auf der 21 und bekämpfte alles an Warenfluss, was überlaufen konnte, falls dies möglich war. Als die erste Pause kam, lief ich schnell zu Station 30, um erneut mit Ross zu reden. Ich fand ihn traurigerweise auf Gang A. Warum dieser immer noch arbeitende Drockett Prockefellow nichts bemerkte, war mehr als rätselhaft. Ross lag mit offenen Augen erstarrt und hielt, wie es aussah ein Stück Kreide. Auf dem Boden stand in Großbuchstaben:

WEAPONSMITH WAS HERE!

Bei mir war die Kinnlade zu offen geraten und ich rannte unbemerkt wieder zurück zum Pausenraum. Der Appetit war verschwunden. Wanda war mit Minnie und Arras in die Unterhaltung vertieft und andere schwiegen. Hep schlief in der großen Pause ein, was moralisch nicht verkehrt war. Keiner fragte mich, ob ich ein Gespenst gesehen habe, denn vermutlich sah ich so aus. Ich wollte auch über nichts reden. Die Toten pflasterten schon genug Wege.

 

 

 

Tag 108

 

Ich litt unter einer akuten Frühjahrsmüdigkeit. Ein Glück, dass heute Samstag war. Glück musste man einfach in Notsituationen haben. Im ausgepowerten Zustand würde es während der Arbeit aus allen Löchern Kritik hageln, sowie Vorwürfe, Hass und Hetze. Inny hielt sich in letzter Zeit zurück. Was konnte man in dieser Woche noch positiv stellen?

Eine Sache gäbe es. Du hattest die Namen geübt. Bei einer Person war die Anrede falsch, aber das war vergessen. Die übrigen wurden wohl eiskalt erwischt. Was ein Jammer. Ich hab so das Gefühl, dass es in einigen Wochen nochmal losgeht, deswegen rate ich dir, bleib am Ball. Du musst in der Hinsicht an dich selbst denken. Ich glaube, so entscheidet jeder für sich.

Natürlich würde ich das machen, denn so ein Ausgleich musste sich wirklich lohnen, was ich mir immer einredete.

 

 

 

Tag 109

 

Gespannt war ich, was Bad Ass zu sagen hatte. Es war genug passiert.

Und? Schon die Ostereier vertilgt? Inny war begeistert und auch ich muss gratulieren. Ob das für Straferlass sorgen kann, wage ich zu bezweifeln. Das sorgt gewiss dafür, dass der Siegel dich nicht besonders vor die Flinte hat. Bestenfalls, dass du nicht einmal Gefahr läufst. Aber auch für die anderen war es irgendwie gutgegangen. Kommen wir zum wesentlichen Teil. Hältst du Weaponsmith wirklich für den Täter?

" Das habe ich nie behauptet. Das ist wieder so ein Versuch der Irreleitung."

Der versucht es mit allen Mitteln. Dabei ist Weaponsmith nur ein verbitterter alter Bauer und für solche Sachen nicht intelligent. Der Killer dagegen besitzt eine Wandlungsfähigkeit und ist ein Planer. Weaponsmith ist so einfach gestrickt und voreilig wie im Mittelalter, da gehört er auch hin. Du musst jetzt einfach abwarten.

" Auf das nächste Opfer? Soll ich wieder tatenlos Schicksal spielen?"

Das Schicksal waltet bestimmt schon über dir. Das ist ein Schachspiel und dein momentaner Zug besteht darin, jetzt die Aktion zu registrieren und den Täter den nächsten Zug zu lassen. Weaponsmith zu befragen ist Zeitverschwendung, er weiß von nichts. Er würde dich anstarren, als könntest du nur indisch sprechen.

" Er wird also Weaponsmith demnächst abmurksen..."

Und einen weiteren Hinweis zu jemanden hinfegen. Nächste Woche hast du wieder Schule und er wird seelenruhig warten, das heißt, er kann sich mit gewissen Aktionen sehr viel Zeit lassen und sich oft zurücklehnen und das Stück anschauen.

" Dann muss ich dort mich überall umschauen!"

Ist dir das letztes Mal gelungen? Er wird es dir niemals leicht machen.

 

 

 

Tag 110

 

Es war soweit. Die Schulzeit war erneut angebrochen, aber nicht im gewohnten Stil. Es folgten Gruppenarbeiten und das war entspannender.

Meine Laune war auch dadurch besser und in manchen Augenblicken vergaß ich den Killer, seine geplanten Absichten und die Lagerarbeit.

Erst einmal wurde die Anwesenheit überprüft und Reamon Elias fehlte noch immer. Keiner hatte die geringste Ahnung, was mit ihm los war. Aus meiner Sicht war er aus mysteriösen Gründen spurlos verschollen. Keiner fragte danach, weil er im Grunde der unauffälligste von allen war. Ich war mir ziemlich sicher, dass eine Vermisstenanzeige später erfolgen sollte. Vielleicht sogar zu spät.

Thema war Müll entwerten und entsorgen und alles, was mit dem Thema in Verbindung gebracht werden konnte.

Ich arbeitete mit Crispin, Mitch, Murray und Cartman zusammen. Cartman alberte herum und auch ich konnte mir nichts verkneifen, vor allem zu schmunzeln. Mitch empfahl mir, das ernst zu nehmen. Es sollte die Bewertung mit beeinflussen, wenn auch zehn Prozent. Cramer war etwas von Cartmans Einstellung genervt, doch zuerst wurde darüber geredet, bevor wir zur Tat schritten. Die vier Gebildeten, die sich schon als Freunde bezeichnen konnten, hatten sich ebenfalls zusammen getan. Neve arbeitete mit Gino, Arnika und Burke zusammen sowie Eva, Gwyneth, Sophie und Carmen und Chaz eingeschlossen. Die Shynceilla-Brüder bildeten mit Deke, Severn und Dorian eine Einheit. So lief es einfach und dadurch sollte eine Gruppenbewertung erfolgen.

 

 

 

Tag 111

 

Für die Gruppenarbeit mussten wir uns ganz schön ins Zeug legen. Das wäre eine Zumutung, wenn ein einzelner den Rest des Teams in Teufels Küche bringen würde. Dass sorgte für Unfrieden. Trotzdem war ich der Ansicht, dass es keine spießige Nullachtfünfzehn-Nummer werden sollte. Das Wetter spielte mit und die negative Laune existierte nicht. Jeder hatte was zu tun und es gab keine Lücken. Heute machten wir uns ran, Berichte zu schreiben, was mir nicht einfach fiel, aber irgendwie gelang.

Cartman fand eine Legofigur und spielte ab und zu damit, bis er entschloss, sie heimlich aus dem Fenster zu flitschen. Es gab raunendes Gelächter. Die Gresher hatte nichts gesehen.

" Du leistest dir aber Dinger", sagte Cramer ohne Vorwurf. Und selbst wenn es einer wäre, ließe sich Cartman nicht entmutigen.

Mein Blick richtete sich auf Eva und ich versuchte zu lächeln.

Denk nicht mal daran, sagte Inny. Deine Aufgabe ist, in den zwei Wochen etwas halbwegs Vernünftiges zustande zu bringen und dann den wahren Täter endlich zu entlarven. Da wäre es unpassend, an Liebe zu denken.

Nun, offensichtlich gab es keine Wahl. Außerdem passierte es in der Pause, dass Severn, von uns allen am ehesten ein Frauentyp, sie mit Komplimenten zuschüttete, ja sogar einen Handkuss vergab und sie, Eva Swatek, war keineswegs abgeneigt.

Später machte Arleahy wieder Witze über sie.

" Du hast aber eine schöne weiße Hose an. Vorne gelb und hinten braun?"

" Boaaahhhh, Arleahy. Du bist ein Ferkel!!!"

 

 

 

Tag 112

 

So bestand unsere Aufgabe, aus Kartons eine Recycling-Anlage zu erstellen. Während Crispin, Mitch und Murray sich um das Schriftliche kümmerten, waren Cartman und ich im kleinen Nebenraum, der für Nachsitzer vorgesehen war, mit der Bastelei beschäftigt. So richtige Lust zeigte er nicht. Dann ließ er einen fahren und in dem Augenblick kam Eva auch noch rein und fragte, ob einer von uns ein Lineal besitzen würde. Wir verneinten das und sie ging rückwärts raus. Ich fand es sogar gut, ein Pförtnerhäuschen zu erbauen. Dann hätte man so gesehen ein Betriebsgelände. Dann dachte ich mir, musste aus Papier auch eine Pförtnerfigur her. Allerdings sah die Figur etwas grotesker aus, als angenommen. Ab und zu schauten wir ins Klassenzimmer, weil die Tür von da an offen war. Cartman deutete auf Carmen und fragte mich, wie lange sie ihre Klamotten schon an hatte. Zwei Wochen? Ich bejahte es. Vielleicht sah es auch nur so aus, obwohl ihre relativ kurzen Haare ziemlich ungepflegt wirkten.

 

 

 

Tag 113

 

Wir bekamen noch die Zeit, den restlichen Schliff für das Gruppenprojekt zu geben und später gab jeder die Präsentation preis. Als erstes war Neve Shaugnessys Gruppe dran und sie vollbrachte das meiste, auch wenn der Vortrag wie eine Phrasendrescherei rüberkam. Aber über das Rhetorische sah die Gresher wie jeder andere Lehrer darüber hinweg. Danach war Evas Gruppe dran und sie hatten das Projekt auch verfilmt. Als nächstes war die Gruppe von Kirk Dwyer an und das Projekt war mit theatralischem verbunden. Während Kirk Dwyer und Ira Court als Erzähler sich darstellten, bildeten Arleahy und Vargis die körperliche Darbietung. Arleahy spielte eine tollpatschige Komikerrolle, während Vargis den allwissenden Spießer mimte und auf alles hinwies.

Danach waren wir soweit und jeder brachte seinen Beitrag zustande und es lief alles andere als schlecht. Auch die letzte Gruppe brachte ihren Vortrag in die Runde. Von keinem durfte man behaupten, dass es schlecht lief. Alles war im schlimmsten Fall zufriedenstellend.

 

 

 

Tag 114

 

Da wir den Part hinter uns hatten, kam der Normalfall auf. Im Fach 'Englisch' hatten wir die Noten gesprochen.

Dann waren wir nach unten gegangen, denn eine Klassenarbeit stand überraschenderweise noch aus. Webber kam an und fühlte sich viel besser. Dann ging es los. Dazu bekamen wir weniger Zeit als üblich und es wurde, weil jeder einzeln am Bildschirm musste und einige nicht funktionstüchtig waren, in zwei Gruppen eingeteilt. Ich war zum Beispiel in der ersten gelandet. Doch dann kam bei mir schon das erste Problem. Das Hochfahren verlief nicht gut. Offenbar hatte ich eine Kiste erwischt, die ebenfalls ihre Tücken hatte. Beim ersten und sogar beim zweiten Mal war sie abgestürzt. Webber war einer, der davon nichts wissen wollte. Dann lief es endlich und ich musste mich sputen. Es war gar nicht einfach und die Nervosität brachte mich ins Stocken. Als es dann so kam, dass die zweite Gruppe kam, war ich immer noch nicht soweit. Nur noch ein paar Verbesserungen und dann ausdrucken. Doch das Feld 'Ausdrucken' weigerte sich, mitzumachen. Da hieß es 'Befehl ungültig' und so klickte ich mehrere Male selbst, bis es dann endlich klappte. Vorher ertappte mich Webber und bat mich, zügiger zu sein, das wäre unfair den anderen gegenüber. Aber er drückte ein Auge zu, zwar ungewollt und ruppig, doch er tat es. Danach war ich froh, es hinter mir zu haben.

Zum Schluss hatten wir Brawler in der Stunde und woran keiner dachte: Reamon Elias war immer noch verschollen. Und es gab kein Suchtrupp.

 

 

 

Tag 115

 

Die dunkle und klaustrophobische Zelle. Wie erträglich sollte es noch sein, um es einen zurecht zu biegen? Was hatte Inny nun zu bemängeln?

Keine Sorge. Die Woche war eine Berg- und Talfahrt. Vier Tage waren eine Spielerei und einer ziemlich problematisch. Hauptsache, du lebst und bist nicht verhungert oder verprügelt.

" Ich habe Angst vor der Zeugnisausgabe. Vielleicht haben sie Elias deswegen schon nach Squeedistico verfrachtet."

Ich weiß zwar nicht genau, wo er steckt, aber wenn er in Squeedistico gelandet wäre, müsste jeder bereits informiert sein. So etwas lassen sie nicht aus.

" Hat der Killer was damit zu tun?"

Inny verstummte. Mir war der Appetit verloren. Warum zählte ich nicht einfach die Tage, das würde mir leichter fallen.

 

 

 

Tag 116

 

War Bad Ass heute im Element? Wie war mein Gefühl zurzeit?

Hallo, du scheinst entspannter zu sein als vorher. Der Frühling lässt sich ja vom Winter nicht gerne wegkicken. Der Winter hatte bestimmt seine Chance. Nun zur Sache. Inny hatte recht. Die Zeit der Liebe ist verschwenderisch. Falls du irgendwann raus kommst, kannst du machen, was du für richtig hältst. Wie kann man die Woche noch zusammenfassen? Es gibt wohl nichts, was du nicht selbst erfasst hast. Schreib nun deine Berichte und gib sie die Woche danach den Siegel ab. Etwas Gutes hat es schon. Deine Laune ist nicht unterkellert. Schau mal im Januar. Da durfte dich keiner ansprechen. Im Februar hattest du sogar gebetet, dass der Monat zügig vorbei ging. Im März warst du fast am heulen, als wärst du in einem endlosen Albtraum. Und jetzt? Es kommen frohe Erwartungen. Erst aber kehrt Leben in deinem Körper. Wie die Zeichnung es dargestellt hat.

Bravo, sagte ich mir. Nun, nächste Woche dürfte nicht viel anstehen.

Auf die frohen Erwartungen!

 

 

 

Tag 117

 

Die Gresher sahen wir das allerletzte Mal. Dafür hatten wir den ganzen Tag mit ihr und sie erklärte uns, dass für die nächste Schulsaison eine Vertretung oder eher ein Ersatz gefunden wurde. Sie hieß Miss Tidge. Sie würde auch den Part übernehmen, einzelne Schüler mit ihrer Strafakte zu konfrontieren. Brawler fand es irgendwie nicht richtig. Als wir die Pause nutzten, schrieb Eva etwas auf der Tafel. Sie hatte schon mit dem Direktor darüber reden können und er stimmte zu. Nur unter der Vorraussetzung, dass eine bewaffnete Eskorte mitkam. Es handelte sich um einen Vergnügungspark in der Nähe. Da konnte sie nur auf Antworten hoffen. Es war für den kommenden Donnerstag vorgesehen. Arleahy war im Begriff, Arnika etwas unter die Lupe zu nehmen, um sie möglicherweise zu pisacken.

" Und? Kannst du dir eine Beziehung mit einen von denen vorstellen? Vielleicht den da?"

Er deutete auf mich.

" Bloß nicht! Da finde ich den Fettsack sogar noch besser oder das verschwundene Sorgenkind."

Beleidigt, oder eher mit Erfahrung unangebrachter Befragung entfernte sie sich. Mir war klar, sie meinte Cartman und Reamon. Was sollte ich dazu sagen.

Lass dir trotzdem nicht den Tag versauen, sagte Inny zu mir.

Wir nahmen zum Schluss Abschied von der Gresher und wie es die Natur so bescheren konnte, für immer.

 

 

 

Tag 118

 

Auf einmal ging es mir schlechter, wenn bloß vorübergehend. Es wurden hauptsächlich an sämtlichen Fächern Noten besprochen. Gino und ich waren sensibel genug, um Schlimmes zu befürchten. Cartman nahm dagegen alles locker und sagte sich, was ihm denn passieren könnte. Er war sich entweder möglichen Konsequenzen nicht bewusst, oder sein Leben war ihm egal. Außerdem hatte das erste Zeugnis nicht die präsente Entscheidungsvollmacht, weil es sogar richtige Prüfungen gab und vor allem die wären Voraussetzung für die Zukunft. Die Wahl wäre entweder bei bestandener Resozialisierung eine Eingliederung ins Arbeitsleben oder der Tod in Squeedistico. Ansonsten gab es Leute, die ihr restliches Leben im Arbeitsstraflager verbrachten und das könnte je nach Arbeitmethoden dazu führen, dass man langsam ausblutete.

Was die Sache mit dem Vergnügungspark betraf, waren recht wenig Freiwillige dabei. Gwyneth fragte komischerweise ausgerechnet mich, ob ich mitkommen würde. Ich wollte mir das natürlich nicht entgehen lassen.

Als die Notenverteilung kam, sah es vor allem im Fach 'Datenverarbeitung' schlecht aus. Die Arbeit hätte alles auf einer Seite zum einem ausgedruckt werden sollen und zum anderen war die Druckerfarbe gebleicht. Ausgerechnet dieses Problem zerstörte alles. Cartman dagegen hatte die Texte total verkehrt zusammengestellt.

Webber sagte dennoch tröstend zu mir: " Aber lass den Kopf nicht hängen. Nächstes Mal hast du bestimmt bessere Chancen."

Allgemein schien es nicht mein Tag zu sein.

 

 

 

Tag 119

 

Im ersten Fach hatten wir ebenfalls Noten besprochen und da sah meine Lage schon besser aus. Elias war noch immer vermisst. Wenn er es nicht wäre, kämme das schlechteste Zeugnis zustande, was überhaupt existierte. Er war ohnehin im Unterricht abgedriftet. Brawler erzählte, dass das FBI und ein anderer Suchtrupp alles durchkämmen würde. Wie die Aussicht sein sollte, war ungewiss.

Einer von uns musste sich wegen des Strafmaßes noch rechtfertigen. Der Zufallsgenerator tat seine Arbeit. Brawler entschied sich für Mitch Ferry.

" Nun, bei dir gibt es nicht viel zu bemängeln. Mehrfacher Sozialbetrug steht drin und die Strafe dafür insgesamt zwei Jahre und eins wegen Missachtung des Gerichts. Wie kann ein relativ stiller Geselle sich so gehen lassen? Du hast Talente, die du nicht verschwenden darfst. In der Schule hattest du die besten Noten gehabt, deshalb brauchst du nur noch nächstes Mal die Schulbank zu drücken. Die Prüfungen kommen trotzdem. Du hast die Rente deiner eigenen toten Großtante weiterkassiert. Mit zwölf Jahren warst du dazu in der Lage, professionelle Formulare reibungslos auszufüllen. Ich sag nur eines: Mach so was niiiie wiiiiiiieeeeder."

Mitch nickte bloß. Ein Argument wollte er von sich aus nicht loswerden. Wahrscheinlich spürte er Einsicht.

Im nächsten Fach, in Geographie, wurden auch Noten besprochen und da hatte ich zumindest gut abgeschnitten.

Erleichtert atmete ich auf.

 

 

 

Tag 120

 

Es war der große Tag der Zeugnisausgabe, vorher wurden allerdings die Unterrichtseinheiten zum nächsten Block besprochen. Dann starteten wir ins Vergnügen. Mit von der Partie waren Eva, Gwyneth, Sophie, Carmen, Gino, Arleahy, Kirk Dwyer, Deke, Severn und ich. Die Eskorte begleitete uns überall hin, bloß waren sie nicht in den Fahrgeschäften drin. Aber flüchten konnte währenddessen sowieso keiner. Wir hatten wenigstens diese Abwechslung und das würde sich positiver auf die Laune auswirken. Auch das Gefühl, endlich irgendwo einintigriert zu werden, wirkte positiv auf mich. Immer wieder machte Arleahy teilweise schon frauenfeindliche Anspielungen gegen Eva, bis Gwyneth dann Andeutungen machte gegen seinen Schritt zu boxen.

" Lass die arme Eva endlich in Ruhe", sagte sie.

" Die kann doch etwas Realität doch vertragen. Und das schöne Wetter hat sie wohl ebenfalls nötig."

" Das wird sich schon auszahlen", sagte Eva geduldig. " Warte es einfach ab."

Dann sagte er zu mir:" Und? Was hast du für eine Bemerkung übrig?"

Ich tat als meine Antwort das gleiche wie Gwyneth mit ihren Andeutungen.

Es war wirklich schon beinahe sommerlich und Sophie gab zu, dass sie ganz schnell ins Schwitzen käme.

Wir ließen letztendlich so gut wie nichts anbrennen. Und morgen war Feiertag.

 

 

 

B: Derbe Spielchen

 

 

 

Tag 121

 

Ein entspannter Tag bahnte sich an und ich hatte nicht die Absicht, mit Inny oder Bad Ass zu reden. Dafür waren die nächsten Tage dran. Ich wollte auch genausowenig den ganzen Tag in der Zelle versauern. Im Gang gab es schon einige, die sich versammelt hatten.

" Wie war der Vergnügungspark?" fragte mich Crispin.

" Hab ich einfach gebraucht und war zum Abreagieren."

Ralph war mit Tekin in einer ständigen intensiven Unterhaltung, er schaute sich gerne Baseball an. Ich kannte mich kein bisschen damit aus. Ab und zu unterhielten wir uns über den allgemeinen Zwischenstand. Einige sagten betroffen, dass man im Unterricht sich wegen dem Verschulden rechtfertigen musste, obwohl das wie ein Eingriff in die Privatsphäre wäre. Mina Cowds hatte sich rechtfertigen müssen und war sauer.

" Nichts gegen Brawler. Er gab ja zu, dass er es ungern tut. Trotzdem sind diese verdammten Behörden einfach gewissenlose Schweine."

" Du sitzt wegen mehrfachen Betruges ein", belehrte sie Milla. " Wenn man Passanten rhetorisch bescheißt und alles in die eigenen Taschen stopft, kommt es eines Tages dabei raus."

" Und du, Milla? Versuchter Totschlag!!!"

" War mein Ex! Er hatte es auch verdient. Er war pervers. Mir war der Kragen geplatzt, als er eine Milchtüte über meine Oberweite ausschüttete und dann daraus abschlürfen wollte."

" Du hättest von Anfang an einen Bogen um ihn machen müssen. Du hast doch sonst immer Menschenkenntnisse."

Ralph fragte Crispin, doch der zuckte mit den Schultern und schwieg.

" Was ist denn mit Leuten, die unschuldig sind?" fragte ich.

" Red keinen Scheiß! Weißt du immer noch nicht, wo du dich befindest? Nur der dümmste Zufall lässt Unschuldige zu. Aber hier ist niemand unschuldig."

" Aber Ausnahmen könnte es geben", belehrte ihn Tekin. " Vielleicht würde so einer mit einem Sozialbetreuer zusammen ein Resozialisierungsprogramm starten und..."

" Laber keinen Bullshit, Tekin! Mit der Einstellung endest du noch wie Harley Bozkurt. Ich mag ihn zwar als Kumpeltyp, aber manchmal ist sein Verstand mit gelockerten Schrauben versehen. Manolo, wie ist dein Zeugnis?"

" Beschissen. Naja, es gibt schlimmeres als das, aber bei Webber habe ich bestimmt verschissen."

" Den kannst du auch vergessen. Ich kann den Abzocker selber nicht ausstehen! Wenn der einen erst einmal im Visier hat, dann ist das Scheitern vorprogrammiert. Aber abgesehen davon, warum bist du wirklich hier? Ich weiß, du hast Andeutungen über die Vergangenheit gemacht, aber das war mehr in Rätseln gesprochen."

" Ich wüsste nicht, was ich so angestellt hatte. Ich habe mich lediglich einer Jugendgruppe angeschlossen und wollten uns in die Unabhängigkeit stürzen. Ich wusste nicht genau, inwiefern Biff, unser Anführer, auf dem Kerbholz hatte und in dem Fall ist das Motto wohl: Mitgehangen, mitgefangen."

" Also, wenn ich nachhake", sprach Tekin, " würde ich auch ins Schleudern kommen. Wenn man vor Gericht dich nur als Randfigur hinstellt für mehrere Sachverhalte, dann kann man dir bloß Schulabbruch, Beihilfe zu mehreren Diebstählen, minimale Beihilfe zur Begünstigung von Kapitalverbrechen und Widerstand gegen die Staatsgewalt vorwerfen. In Deutschland wäre es anders. Da würdest du in einer Sonderschule landen, schlimmstenfalls ins Internat kommen. Aber hier sind die Vereinigten Staaten und da geht es viel ruppiger zu. So kämst du in wenigen Jahren raus mit einer möglichen beruflichen Perspektive. Aber sollte sich herausstellen, dass die Aktionen, in denen du verwickelt warst, mit politischer Einmischung verbunden sind, wird es knallhart. Du kannst nur beten, dass dein Anwalt alles in Bewegung setzt."

" Dann soll er seinen Arsch hoch kriegen", sagte Buckley. " Mein Anwalt leidet auch an der Aufschieberitis! Und was hier sonst so abgeht, ist zum Kotzen!"

" Auch das Gesetz macht mal Fehler."

" Das Gesetz macht hier niemals Fehler, du Armleuchter!!! Das verdammte Gesetz ist einfach auf Stein gemeißelt!!!"

Wutentbrannt lief er Richtung Kantine. Die anderen starrten in diese Richtung.

" Warum ist er hier?" fragte ich.

" Er hat vor versammelter Mannschaft auf die Freiheitsstatue gepinkelt", antwortete Tekin. " Millionen Menschen konnten es bezeugen."

" Das ist alles?"

" Wenn ihm irgendwas stinkt, schreitet er zur Tat, egal wie die Umstände sind. In allen Beziehungen ist er ein Trotzkopf."

" Und weshalb bist du hier?"

" Heroinschmuggel. Und da gibt es noch einige Fälle unter den eher Alteingesessenen. Zurzeit ist es eine Totsünde. Da schreibt alleine das Gesetz eine strengere Strafe vor als damals. Talia wollte man allmählich eine Stelle hier anbieten. Als Promoterin. Sie hatte bloß im Bekleidungsgeschäft Klamotten gestohlen. Und Adam war einfach in ein Cadillac gestiegen und losgefahren. Ohne Führerschein und ohne Fahrtechnik. Es gab mehrere Verletzte aber keine Tote. So ist das alles hier."

" Bei mir kommen Verhandlungen auf mich zu. Bestimmt."

" Hoffen wir das Beste."

Damit verließ ich die Versammlung und machte einfach einen Rundgang. Es war ähnlich wie ein Spaziergang.

 

 

 

Tag 122

 

Noch immer fehlte mir die Lust, mich mit Inny zu unterhalten. Es gab schon genug Moralpredigten, um das Fass nun zum Überlaufen zu bringen. Aber Inny konnte es nicht lassen.

Wenigstens hast du die Schule hinter dir, auch wenn es turbulent war. Mal sehen, ob der Täter sich nochmal blicken lässt. Aber ich glaube, während deiner Abwesenheit hat er pausiert. Er will dich mitten im Geschehen lotsen.

" Was hab ich mit ihm überhaupt zu tun? Warum ich?"

Anscheinend, weil du gezeichnet bist? Was meinst du, warum seit der Aktion in Kanada laufend seltsame Dinge passiert sind?

" Dann müsste in Squeedistico ja die Hölle los sein."

Seitdem deine Kumpels dort gelandet sind, wurden die Hinrichtungsarten verschärft. Des Weiteren wird gelost, wer als nächstes hingerichtet wird. Und es wird täglich einer dran glauben müssen, denn so lauten die Regeln. Aber die Anzahl der Insassen sind um die zehntausend. Immer wieder kommen neue rein.

" Das haben die beiden doch nicht verdient. Wie kann ich wissen, ob sie noch am Leben sind?"

Das weiß keiner. Ich würde mal die Nummer irgendwo mal heraussuchen. Das Straflager steht schon irgendwo in einer Beziehung zu Squeedistico und in irgendeinem Büro muss ein Verzeichnis sein. Nur wird es riskant. Denn wenn man dich erwischt, bist du für eine gewisse Weile sämtlichen Schikanen ausgesetzt.

" Wenn die Zeit es zulässt, werd ich es mal versuchen."

Das wäre auch im Moment nicht mit einer Möglichkeit bestückt. Van Patten hat ihr Büro mit einer makellos funktionierenden Kamera versehen. Und bei Heribertsen schnüffelt das FBI unverhofft rum. Du darfst in dem Bezug nicht auffallen.

Das stimmte wohl.

 

 

 

Tag 123

 

Bist du froh, die Schule hinter dir zu haben? fragte Bad Ass. War schon knifflig und hart. Es stimmt auch, das es turbulent war. Jetzt kannst du dich wieder auf die Suche nach dem Täter machen. Hast du schon einen richtigen Verdacht? Ohne dich irreführen zu lassen?

Mir gingen viele Dinge durch den Kopf. Dann qualmte alles und ich war genauso schlau wie der Anfang eines Bindfadens.

Lass den Kopf noch weiter qualmen und ich schätze, du wirst nicht den Weaponsmith nehmen, denn in dieser Falle kann keiner mehr tappen, außer ein zugedröhnter Zombie.

" Mir fällt nichts ein. Also gut, wenn ich einen spontan nehmen muss, vielleicht die van Patten? Rosa wäre auch nicht abwegig."

Du hast wohl vergessen, dass es ein Motiv geben muss!

" Rosa hegt sowieso einen Groll gegen mich und van Patten ist eine Überwachungskamera in Menschengestalt."

Halten wir Rosa vielleicht raus, sie ist wie eine aufgebrachte Dorfbewohnerin während der Hexenverfolgung. Und van Patten ist ein Arbeitstier.

" Marisa?"

Kein Motiv. Sie kommt auch zurzeit zu nichts. Es ist etwas mehr Arbeit angefallen, als sie vermutet hat. Aber ab morgen gibt es Unterstützung.

" Was? Noch mehr Neuzugänge? Laut Plan würden diese erst im September kommen."

Nein, keine Frischlinge. Crispin ist vorgesehen und zwei andere. Ein Mr. Elzzup und ein Fergie Styrne. Kommen wohl von den oberen Stationen. Keine Sorge. Zwei Monate bist du noch hier.

" Das werde ich schon packen."

 

 

 

Tag 124

 

Da merkte ich, wie es mit den Neuzugängen lief. Van Patten redete mit Crispin, während die anderen zwei Erfahrenen schon verteilt wurden. Elzzup half bei den Stationen 17 und 18 aus und Fergie pendelte bei den Rest. Crispin hatte man dann für die 23 vorgeschlagen. Endlich hatten wir mehr Personal. Mich hatte man heute für die 30 vorgeschlagen, denn Prockefellow war alleine. Und er war gestresst, was normal war, denn bis dahin waren die Wannen voll und wir mussten darauf acht geben, dass nichts heraus fiel.

" Die meisten können nicht genug Ordnung halten", sagte er. " Und ich bin dann das Arschloch, dass auch noch innen stapeln muss."

Er bat mich, ebenfalls ein Auge drauf zu haben. Da ging es um alles. Wenn das erledigt war, käme alles wieder zur gesammelten Stelle und endete zur Warenversandabteilung. Er machte auch einen Stress, weil Ross Beatty ins Gras gebissen hatte.

Während der Pause traf ich zufällig auf Siegel. Er fragte mich, wie die Schule war und ich konnte nur mit der Wahrheit rausrücken.

" Naja, gewisse Sachen können Sie sich nicht einfach erlauben. Ich frage mich auch, warum Sie sich bei Ihrer Psychologin und den Nachhilfelehrer nicht mehr blicken ließen. Ich rate Ihnen Folgendes: Tun Sie was! Sie wollen doch auch etwas für Ihre Zukunft machen."

Ich nickte.

" Wir machen morgen um zehn einen Termin. Das alles muss aufgeholt werden."

" In Ordnung. Das wäre besser so."

" Gut. Wenn Sie noch Fragen haben, kommen Sie zu mir."

Erleichtert nickte ich und er verließ mich. Dann ging es weiter.

Was ich nicht wusste: Weaponsmith tauchte gar nicht auf und so übernahm Ruth Wynter den Part. Auch Heribertsens Vertretung Mr. Tyler Laurent, den ich noch gar nicht gesehen hatte, half mit. Es war eine Ära, die sich veränderte. Was beim alten war, konnte nur die Neugier mit dem Blick zur Station 28 bewirken. Nelly verhielt sich wie alle Tage. In die Arbeit vertieft und wie die restlichen Personen hatte auch sie nichts mitbekommen. Ich schmunzelte über ihre Schuhgröße. Sie war mindestens 40, wenn nicht sogar 42. Zum Schluss hatte Mullinghouse, gleichrangig wie van Patten, ihr noch zusätzliche Aufgaben gegeben. Prockefellow, nicht besonders gut gelaunt, wurde auch angesprochen. Wir Neuzugänge hatten noch Welpenschutz, um mit den Alteingesessenen eventuell bis in der Nacht zu bleiben. Viertel nach zehn war für uns Höchstmaß und der Welpenschutz ging bis zur Beendigung der Hauptprüfung. Also noch über zwei Jahre. Wenn man aber dann frei käme, wäre es lohnenswert. Buckley würde mit meiner Aussage dagegenfeuern, denn er hatte pessimistische Ansichten, was das betraf.

 

 

 

Tag 125

 

Mit Sicherheit nahm ich den Termin bei der Psychologin und dem Nachhilfelehrer wahr. Sie fragten sich alle schon, wo der verlorene Sohn die ganze Zeit steckte.

" Wir müssen wirklich, wie es aussieht, mit dem Schulstoff reichlich loslegen", musste ich zugeben.

Ich zeigte gewisse Unterlagen und sie stimmten zu.

" Wir werden das Kind schon schaukeln", sagte Bjorn Smijt zuversichtlich.

Grace Wise nickte und erschien optimistisch. Sie stellte noch eine andere Kollegin vor: Brittany Clement, ebenfalls Psychologin, aber nicht für mich zuständig. Sie diskutierten den Schwerpunkt und meinten genau wie ich, dass ich mich hinter ein PC klemmen konnte. Das musste als erstes aufbearbeitet werden und ich verbrachte die Zeit damit. Über die Situation mit dem Killer sagte ich nichts, denn es war ganz alleine meine Sache.

Ab nächste Woche hätte ich Donnerstags um diese Zeit den Termin.

Später ging es zur richtigen Arbeit und ich war auf Station 21. Ralph Buckley und Tekin Ogin wurden ebenfalls in diese Abteilung aufgrund des Notstandes verdonnert und zwar zu Station 25 und 29/30. Das gefiel keinem, aber sie konnten und durften sich nicht dagegen sträuben.

Beim Neulingstreffen lief alles gewoht den üblichen Lauf. Selbst Siegel hatte gute Laune. Er bot sogar Zigaretten an. Milla nahm dankend an. Auch Ralph und Tekin nahmen an.

" Wie wäre es, wenn wir mal etwas Mathe üben", schlug Siegel vor.

" Man kann es ja ausprobieren", sagte Milla.

" Hat jeder ein Taschenrechner dabei, oder gibt es einige, die so fitt sind, dass sie es mit dem Kopf können", sagte er. " Ich weiß, die Margues wäre gut für die Buchführung. Sie ist heute mal nicht anwesend, doch wenn sie sich gut macht, werde ich mich dafür einsetzen, dass sie die Stellung hier kriegt."

" Dann wollen wir gerne loslegen", meint Adam.

" Was sind 762 x 340?"

Alle tippten ein und der erste fertige war Buckley.

" 265.340!"

" Das würde ich nicht so sagen."

Mitch Ferry kam als nächstes und hatte etwas anderes als Ergebnis.

" 259.080!"

" Sehr gut. Nun zu etwas schnellerem. Was sind 12 x 12?"

" 144!" antwortete ich trocken. Alle lachten herzlich.

" Es wäre schon schön, wenn es auf den Umgang mit dem Taschenrechner ankäme."

" Na schön", sagte Talia. " Was sind 2+2?"

Siegel simulierte scherzhaft eine Person, die extra dafür einen Taschenrechner nötig hätte. Also hatten wir alle irgendwie unseren amüsanten Spaß. Als Siegel uns verließ, war der Spaß beiseite gelegt und Mina Cowds ließ die Maske fallen.

" Francesca steht ein Job als Buchhalterin bereit? Ausgerechnet die??? Wenn ich viel zu sagen hätte, würde ich sie bloß hinter einer Käsetheke hinstellen. Zu mehr taugt die doch nicht. Da kann sie wenigstens anständiges Aroma einatmen."

" Mina! Wir sind aber heute ganz schön kess", meinte Milla.

Wir standen auf und machten uns auf dem Weg. Der Rest des Tages ging schnell um.

 

 

 

Tag 126

 

Weaponsmith war genauso verschollen wie einige andere, darunter Reamon Elias. Befanden sie sich in einer anderen Dimension? Ich konnte mir keine Meinung bilden, weil so ein Rätsel entweder ausblieb, oder sich von alleine löste. Mein Bereich war Station 21 und gegebenenfalls 22. Es wurde immer seltener, dass ich die 20 betrat. So nahm ich mir Zeit, die neue Unterstützung zu mustern. Fergie war scheinbar noch ruhiger als ich und Elzzup war auch nicht besser. Beide hatten Verhaltensweisen wie billige Aushilfen. Jetzt nicht die unwissende Art sondern die unauffällige Art. Es kam heute vor, dass Minnie und Wanda mit mir Schabernack trieben, aber das war nicht so wild. Minnie hatte ihre höher gestellte Fehlerquote erreicht, die trotzdem nicht besonders auffiel. Da musste mehr passieren für einen Anschiss und besonders mehr für die Abschiebung nach Squeedistico. Neuzugänge waren ausgenommen. Da musste schon eine Mutwilligkeit passieren.

 

 

 

Tag 127

 

Beinahe hätte ich mich verspätet. Aus unerklärlichen Gründen hatte ich letzte Nacht schlecht und unruhig geschlafen. Es gab keine Erklärung und schlunzig gekleidet eilte ich zur Arbeit. Keiner Person fiel es auf. Hep, Juwel und ich bearbeiteten die Station 21. Wolf Stoltz fehlte jetzt aus unerklärlichen Gründen. Keiner konnte sich vorstellen, warum. Hunt Kiersten und Grazia schafften es schon. Auf der 22 waren Wanda und Minnie, auf der 23 Crispin, Gisela und Martha. Auf der 24 weiterhin Dudley und Isaac. Später wurde die Nachricht verkündet, dass Weaponsmith einem schweren Unfall erlag. Sein Arm wurde an eines der Schneidemachinen für Metall einfach abgetrennt und er fiel gequetscht in einer Kuhle. Durch diese Quetschung war ihm das Sprechen schwer gefallen. Es gab keinen richtigen Beweis über eine Fremdeinwirkung. Es gab Momente, wo es hektischer wurde und das war nicht gut, da man sich schonungslos durchkämpfen musste. Beinahe stolperte Wanda über mich, ohne sich ermutigen zu lassen und manchmal rempelten Kollegen sich gegenseitig um. Juwel Surth schien es heute als amüsant zu empfinden und war wohl stolz auf diese verächtliche Verhaltensweise.

 

 

 

Tag 128

 

Hoffentlich verging der Tag schnell, dachte ich. Aber auch andere dachten so. Nicht alle, aber einige. In der Pause gingen Crispin und ich zum Automaten, um einiges an Lebensmittel zu besorgen. Zuerst suchte sich Crispin ein Hühnersandwich aus und eine Cola. Er bekam leicht eine gefunkt und fluchte dabei.

" Mein Gott, was soll der Dreck?"

Ich konnte mich nur amüsieren. Bei mir funktionierte komischerweise alles. Ich hatte eine Flasche Kakao und ein Schokokuchen. Tekin hatte heute eine Mittelohrentzündung und da wurde Fergie an seiner Stelle geschickt. Arras Byrton war heute irgendwie merkwürdig drauf. Sie wirkte so eigensinnig, als hätte sie mit jedem ein Problem. Sie war mit Martha Sudrow aneinander geraten und ich bekam nicht alles mit. Auch sie wurde ab und zu zur anderen Seite geschickt. Von den Stationen 25 bis 30 musste sie hin- und herpendeln und das nervte sie. Sie hielt es für eine reine Schikane. Die Fenster waren wie immerauf kipp und eine Biene hatte sich verirrt. Keine Wespe sondern nur eine harmlose Biene, bei denen vieles bloß ein Zufall war. Zum krönenden Abschluss kam per Lautsprecher eine negative Nachricht.

" Es tut uns leid, dass mit viel Warenaufkommen zu rechnen ist. Die letzte Wanne wird wahrscheinlich erst um null Uhr hier eintreffen. Wir bitten um Ihr Verständnis und wünschen viel Spaß bei der Arbeit."

Ende der Durchsage.

Aber Crispin, Ralph und ich waren ausgenommen. Glück gehabt.

 

 

 

Tag 129

 

Gemischte Gefühle übernahmen mich. Ich hatte zu nichts mehr Bock. Weder die Arbeit, noch die Umwelt und die Wahrheitsfindung bestätigte mir einen Fall, der mehrere Nummern zu groß war.

Keine Sorge, meldete sich Inny. Es handelt sich nur um eine Laune. Heute kannst du deine Unlust ausleben, indem du hier rumliegst.

" Warum hatte ich mich auf alles eingelassen? Ich hätte nie mich auf so eine Aktion einlassen dürfen. Dann wäre ich..."

Wenn ich richtig liege, unterhalte dich mit Bad Ass. Ich habe nur die Aufgabe, dich aufzuheitern. Ich bin froh, dass du dich ins Zeug legst und die Termine wahr nimmst. Du weißt, der Nachhilfelehrer und die Psychologin. Es muss alles durchgekämpft werden.

" Es ist mir klar. Es ist garantiert eine steile Wand zu beklettern."

Du wirst auch das zufälligerweise durchstehen.

 

 

 

Tag 130

 

Was habe ich gehört? fragte Bad Ass. Du zeigst eine Reue, die du schon längst hättest aussprechen sollen, obwohl auch das nutzlos wäre. Trotzdem darfst du deine Mission nicht abbrechen! Du musst den Täter ermitteln.

" Auch daran bin ich gescheitert. Das bringt mich alles durcheinander. Jetzt ist noch einer verschwunden und das wird immer so weiter gehen. Vielleicht trifft es demnächst die..."

Deine verehrte Nelly Kittridge, die du eigentlich vergessen solltest oder Wanda, die dir mittlerweile ans Herz gewachsen ist und du ihr trotzdem nichts würdig bist. Und Minnie? An der würdest du, wenn alle Stricke reißen, dich auch heranpirschen. Du bist ein Ferkel!

" Wir sind hier alle drin eingefleischt! Denkst du, wir alle kommen auf Dauer mit Zöllibat zurecht? Frauen viel eher als Männer."

Du hast in dieser Abteilung nicht gerade den Stellenwert, dass man ein Freudentanz unternimmt, wenn du kommst.

" Das hab ich auch nicht behauptet..."

Du solltest zumindest zum Friseur gehen. Die Endsechziger sind schon lange vorbei, so als Feststellung. Das Mittelalter erst recht.

 

 

 

Tag 131

 

Irgendwas rumorte in mir, ein Grund, genauer gesagt, der einzige Grund, warum das Einschlafen mir unmöglich verlief. Bestimmt hatte das Essen von gestern seine Angriffstrategie bestimmt. Es war noch immer stockfinster und ich rollte mich hin und her. Vermutlich war es vier Uhr morgens und die Unruhe quälte mich. Ich tat so ziemlich genug, die Übelkeit zu unterdrücken, nur nach einigen Stunden ging es nicht mehr.

Ich kotzte wie ein Mississippi-Alligator.

Als ich etwas besser dran war, wenn auch vorübergehend, bat ich den Nächstbesten, den Siegel Bescheid zu geben und wenn möglich, van Patten. Es war Mitch, der mir über den Weg lief und er tat mir den Gefallen. Ich legte mich wieder hin. Mein Körper war geschwächt und das hörte auch weitere Stunden später nicht auf. Erst am späten Nachmittag gelang es mir, einen Kamillentee zu holen. Teilweise kroch ich auf allen Vieren, lief überwiegend gebeugt. Mein Stuhlgang war auch nicht gerade angenehm.

Alles, was ich noch tun konnte war, mit meiner Lage fertig zu werden.

 

 

 

Tag 132

 

Ich fühlte mich wieder besser. Die Sonne schien und durch die entlang gestreckte und angegrenzte Straße fuhr ein Lumpensammler vorbei. Im Fahrzeug befand sich eine Glocke und er verkaufte nebenbei Kartoffeln und Eier. Eventuell auch Gemüse wie Blumenkohl und Broccholi. Ein alter rüstiger Mann rief es laut und deutlich, was er so verkaufte und annahm. Aber das Arbeitsstraflager war so kalt und standhaft wie der Planet Pluto. Sie hatten ihren Anbieter und bissen sich an ihn fest.

Also machte ich mich fertig und es ging zur Arbeit. Nicht übertreiben, Motivation konnte man nicht aus dem Hut erzaubern. Der gewohnte Gang war im Aufbruch und Wolf war immer noch verschwunden. Wir hatten wieder dieses Treffen um halb drei und alle, außer Alec und Francesca waren anwesend. Wir saßen ein bisschen stillschweigend, genossen die angenehmen Temperaturen und Ralph machte ein, zwei Fenster weit auf. Später flog ein Goldämmerchen hier rein und bekam es nicht hin, hinaus zu fliegen. Buckley wartete, bis er den Versuch unternahm, sich zur richtigen Stelle zu begeben und nach zehn Minuten gelang es ihm auch. Der Singvogel war in die Freiheit entlassen und ich fragte mich, warum wir uns nicht ebenfalls so verwandeln könnten. Siegel erschien nicht.

Zurück zur Arbeit passierte nichts Außergewöhnliches. Fergie unterhielt sich kurz mit Elzzup, es ging um eine Frage bezogen auf eines der Lagerplätze. Elzzup schien alles lockerer zu nehmen.

" Das muss Fach B sein. Das passt auch wie angegossen. Und so werden Probleme gegenstandslos."

" Das ist eine gute Idee", sagte Fergie.

Hunt Kiersten redete etwas weniger als sonst. Seit Wolf, mit dem er oft gerne Schabernack trieb, verschwunden war, verlor er erweitert die Begeisterung. Sie verklang aber nicht. Die Fenster waren alle gekippt und den Frühling, der schon sommerliche Formen annahm, konnte man total riechen. Nebenbei fing meine Nase an zu jucken. Allergien traten langsam zum Vorschein.

 

 

 

Tag 133

 

Heute erfuhr ich, was mit Wolf geschah und Hunt Kiersten erfuhr es zuerst. Die Fehlerquote war weit über der Toleranzschwelle und man konnte ermitteln, wer den Fehler begangen hatte. Es waren Kameras installiert. Die Strafe war natürlich Squeedistico und der Galgen wartete schon auf ihn. Van Patten warnte alle vor, sich auf das gleiche Niveau zu begeben. In den anderen Abteilungen gab es nicht solche Probleme. Da wurden Fehler eher verdrängt, aber auch da gab es eine Toleranzschwelle, die jedoch nicht so engstirnig war. Das hieße in dem Falle, dass Mutwilligkeit, so fern man das feststelle, jenseits der Toleranz war.

Was würden Eddie und Timmy machen? fragte ich mich.

So sehr wünschte ich mir, dass sie noch lebten. Mit mir sprechen könnten. Aber nichts geschah. Die Unerreichbarkeit war so deprimierend. Und was machte nun der Killer? Heckte der, wer immer er auch war, immer noch einen Plan aus? Er ließ mich auf dem Trockenen, das war sicher. Anders konnte ich mir das nicht vorstellen. Ich war auf der 21 und auch zu dritt war bei einem massigen Warenaufkommen keiner Herr der Lage. Da kam Wanda gestürmt mit übereifriger Motivation und rettete uns. Vor allem Jewel Surth war heute neben der Spur. Hep, der Daueroptimist scherte keinen einzigen Gedanken, aber Wanda und sogar Arras machten sich Sorgen.

 

 

 

Tag 134

 

Der Nachhilfeunterricht musste sich laufend lohnen. Bjorn schaute sich das Ergebnis an und merkte noch einige Makel, aber auch die sollten sich die nächste Zeit bessern. Alle ermutigten mich schon. Ein weiterer Tag mit minimalen Veränderungen stand bevor. Jewel war noch mehr durcheinander als gestern und lief Gefahr, das gleiche Schicksal aufzunehmen wie Wolf Stoltz, der jederzeit jetzt in Squeedistico mit einer Henkersmahlzeit zu rechnen hatte. Eine Frau trat in unser Leben und unterhielt sich sofort mit Crispin. Sie verstanden sich von den ersten Sekunden verdammt gut und irgendwie bekam ich das Gefühl, dass auch er einen Schutzengel bekam, die ihm auf dem rechten Weg wies, es darauf ankommen ließe, dass durch gezielte Planung er ein Freier Mensch wäre und die Behördenwillkür eine Farce. Sie hieß Shannon Ratings und mehr konnte ich nicht wissen. Sie war groß und schlank. Worüber beide redeten, ging mich auch nichts an. So konnte ich nur meine Thesen aufstellen und sonst nichts. Minnie hatte einen Tag erwischt, wo sie mit dem Kugelschreiber massive Probleme bekam. Irgendwann mussten solche mal den Geist aufgeben. Wanda klemmte sich während der Arbeit die Finger an den Wannen ein, allerdings war es gutgegangen.

 

 

 

Tag 135

 

Täuschte ich mich oder hatte ich den Eindruck, dass ausnahmsweise die Woche schneller verging. Viele waren schon der Ansicht, verrückt zu werden, um hier gelassen arbeiten zu können. Eintönigkeit machte mir ja nichts aus. Nur wenn es stressiger zuging, als die Gesundheit erlaubte und ein gewaltiges Stimmungstief alle erfasse und zum gegenseitigen Bekriegen führe, das würde alles zerstören. Crispin war noch müde und als er die Abteilung betrat, saß er erst einmal im Aufenthaltsraum. Um die Ecke kam dann van Patten, als hätte der Teufel Crispin extra denunziert und sie hielt eine deftige Moralpredigt vor ihn hin.

"... sonst gibt es eine Menge Ärger. Ich kann ja zum Siegel gehen."

Er erwähnte, dass einige andere es auch täten und van Patten wollte davon nichts wissen.

" Ich sag es nur. Mangelnde Arbeitsmoral dulde ich hier nicht! Ich denke, ich muss Sie mal zur Station 29 zwangsversetzen. Da soll heute ohnehin zu viel Warenaufkommen sein!"

Das war wohl nicht sein Tag und noch schlimmer, obwohl es der Bereich von Mullinghouse war, lief sie alle zehn Minuten zu ihm und kontrollierte das Arbeitsverhalten. Sie musste ganz schlechte Laune haben. Martha kam mit Gisela allein zurecht und ansonsten entstand kein Personenproblem. Für eine Stunde musste ich zur Station 24, weil es da richtig füllte. Und auch das wurde mit der Zeit bewältigt. Zwei der Wannen waren noch am Rande und ich war mir nicht sicher, ob sie fertig waren. Ich zögerte, selbst wenn ich sicherer wäre, war die eine Wanne etwas schwer, um sie aufs Förderband zu jagen.

Dudley sagte stur: " Einfach wegdeuen. Alles weg! Weg!"

Zwar lief es noch hektisch, weil es nicht anders möglich war, aber die Erleichterung kam nach dem Stress.

 

 

 

Tag 136

 

Ich schlief lange. Danach besorgte ich mir Pfefferminztee und hörte Musik. Mit Inny ein Gespräch zu führen, war schwierig, denn mir fiel nichts ein. Deshalb fand ich ein Spaziergang im Gebäude notwendig. Überall war es zu ruhig. Sie hätten alle hinaus stolzieren können, die wenigsten taten es, entweder weil sie sich Lebensmittel besorgten oder damit sie sich bewegen konnten, bevor mindestens eines der Körperteile einschlief. Ich dachte mir, dass ich mal die Lagerstationen durchforsten sollte, da ich mit Bestimmtheit den einen oder anderen Hinweis übersehen hatte. Überwiegend wurden Waffen gelagert, gelegentlich andere Dinge, wie Bücher und Gebrauchsanweisungen, Kohlenzangen, Bananenpflückmaschinen, Scherzartikel, Gartengeräte, Orden, Heizkörper, Feldflaschen, Zelte, Werkzeug sowie Kleinteile wie zum Beispiel Nägel, Schrauben, Muttern. Sogar ein Riesenvibrator fand ich vor. Sämtliche Büros waren verschlossen. Man nannte sie die Glaskästen. Ich konnte dennoch durch eines der Gläser den Eintrag entdecken über die Puppe, dachte mir nichts dabei und sagte mir, das ginge mich doch nichts an. Geschäftliche Angelegenheiten überließ ich denen, die sich auskannten und eingefleischt waren. Hinweise fand ich nicht. Der Profi konnte nur alles nach Möglichkeit weggeräumt haben und ließ mich für eine gewisse Dauer in der Luft hängen. Leicht enttäuscht kehrte ich zurück. Es war die Ruhe vor dem Sturm.

 

 

 

Tag 137

 

Machst du dir Gedanken um die letzte Woche? provozierte mich Bad Ass. Du musst bedenken, der Killer kann warten. Er hat mehr Geduld als eine Schildkröte leben kann. Genieße für die wenigen Wochen die Ruhe.

" Du meinst, der Killer würde in dieser Abteilung wieder auftauchen?"

Ich bin überzeugt, das es passieren wird. Und du hast immer noch nicht die geringste Ahnung, wer er ist?

" Ich bin mir nicht sicher. Van Patten habe ich nicht ausgeschlossen und wenn sie es nicht ist, könnte sie wissen, wer der Killer ist. Jewel Surth verhält sich in letzter Zeit merkwürdig. Als ob sie mit schlechtem Gewissen durchs Leben geht. Und bei Arras merkt man an, dass sie angefangen hat, zu trinken. Und da gab es eine neue Person, die sich an Crispin herangeschmissen hat."

Eine Shannon Ratings. Ich kann dazu auch nichts sagen. Sie könnte ein Schutzengel sein, aber genauso ist es wahrscheinlich, dass sie mit ihn spielt. Es wäre auch möglich, dass sie nymphomanisch veranlagt ist und ihn haben will.

" In den ersten Sekunden? Das klingt aber nicht sehr wahrscheinlich."

Es war schon alles passiert. So schnell kann auch eine Panikattacke unverhofft anfallen. Nur zum Abschluss: Ich schätze mit van Patten bist du bestimmt eher auf dem richtigen Dampfer. Ist nur eine Theorie.

Es war Zeit, darüber nachzudenken. Irgendwas blockierte mich und servierte mir Kopfschmerzen.

 

 

 

Tag 138

 

Nichts hatte sich verändert. Jede Minute, wo ich meine Zeit beim Kommissionieren verbrachte, hoffte ich auf ein Zeichen. Nichts. Es herrschte pure Monotonie. Es gab manchmal Momente, da kam Überlauf in einigen Stationen und diese Momente waren hart. Mal verschnaufte ich und Wanda spielte mal die Gehässige, aber es legte sich. Crispin verbrachte Zeit mit der Neuen, was immer sich da auch abzuspielen mochte. Das war auch schwer zu begreifen. Alles wurde unverständlich. Minnie war heute zu sehr in die Arbeit vertieft, dass sie kaum um sich eine Person wahrnahm.

 

 

 

Tag 139

 

Auf ging es zum gewohten Alltag. Siegel kam noch zu mir und gab mir zu verstehen, dass er noch meine Berichte vermisste. Jeder von den Neuzugängen sei verpflichtet. Durch all diese Erlebnisse hatte ich nichts davon mitgenommen. Natürlich würde ich es erledigen.

Dann kam dieses Treffen in der dritten Etage. Alles versammelte sich und jederzeit war damit zu rechnen, dass Siegel mit Belehrungen kam und alle hofften, ihn in guter Laune zu erwischen. Ralph und Tekin unterhielten sich über Baseball und waren sich schon fast am fetzen, wer recht habe und wer sich bei den Begebenheiten irrte. Es wurde bei denen endlos diskutiert. Crispin amüsierte sich über die beiden, denn die Streiterei war gleichauf genießbar wie bei Milla und Mina. Sie stritten sich über Kleinigkeiten oder nichts. Nebenbei gab es Post. Einmal für Milla Sue Geylen und einmal für Francesca Rachel Margues. Milla erwähnte auch nebenbei, dass Cristina Zangols, die hier so gut wie gar nicht zu diesen Treffen erschien, ein verdammt guter Job blühte. Sie würde es als Sekretärin des Betriebsleiter schaffen und Mina Cowds fühlte sich übergangen.

" Warum ausgerechnet sie? So unwiderstehlich ist sie ja auch nicht, dass sie mit gewissen Typen ins Bett springen muss, um als Spitzenverdienerin zu enden!"

Einige lachten dazu.

" Ist doch wahr! Wenn ich lesbisch wäre, würde ich mir nicht einmal die Haare von ihr schneiden lassen."

Wieder lachten mehrere.

" Das ist das beste Beispiel, was hier nicht stimmt!"

" Sie wurde begnadigt", erwiderte Milla. " Bis Ende Juni muss sie noch absitzen und wenn diese gute Führung in die Wege geleitet ist und bearbeitet, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß genug, dass sie einen attraktiven Job kriegt. Sie hat schulisch gesehen die besten Noten."

" Da muss irgendwas fehl gelaufen sein! Vielleicht hat sie einflussreiche Eltern. Und eine wie ich muss ein Jahr bis zur nächsten Verhandlung warten und dann das nächste Urteil als Strafgefangene hinnehmen, das können sie sich ins Gesicht schmieren!!!"

Damit löste sich das Treffen auf und jeder folgte seiner Bestimmung.

 

 

 

Tag 140

 

Beinahe vergaß ich, dass am Donnerstag ein Feiertag war. Wenigstens etwas. Heute wurde die Arras herumgescheucht und daraufhin entblößte sie einen versteckten Flachmann mit einem nicht definierbaren Fusel. Ralph und Tekin, immer noch in den Fittichen von Mullinghouse gelandet, bewiesen oft schlechte Laune. Auch Crispin wurde für zwei Stunden zur Station 28 hin beordert und ich half bei der 20 mit. Kurz war ich auf der 18. Das war nicht frei von Problemen. Elzzup begrüßte mich zwar, nahm aber kaum Notiz von irgendwelchen Insassen. Im Gegenzug kämpfte er wie ein Löwe. Dagegen war Fergies Arbeitstempo einfach konstant. Er sprach wenig und ging mit Gewissenhaftigkeit damit um.

 

 

 

Tag 141

 

Wenn ich doch die Zeit nehmen würde, für etwas besonderes, dann würde ich...

Das war die Traumblase, die Bad Ass, verkleidet als Unterbewusstsein, zum platzen brachte.

Vergiss es. Wir haben dir schon mal gesagt, für die Liebe ist keine Zeit! Auch wenn der Killer sich zurücklehnt. Du hast kurz an eine andere gedacht. Das vielleicht Minnie etwas bedeuten könnte. Auch ein hoffnungsloses Unterfangen und das wirst du nächste Woche erfahren.

" Eigentlich dachte ich an etwas..."

Denk an die Berichte, die Siegel fordert, meldete sich Inny. Du weißt ja, wer alles dran setzt, nach dem besten zu streben, hat auch gute Perspektiven.

" Warum dürfen andere, wenn sie die Möglichkeit haben, ihre Liebe ausleben?"

Weil sie dadurch gefährlich leben, meinte Bad Ass. Du hast deine Aufgabe und andere werden in gewisse Opferrollen verwickelt. Ich würde jeden einzelnen eine Tarotkarte geben, bloß man muss jeden Tag neu mischen. Der Tod zum Beispiel variiert. Du würdest immer den Narren kriegen, weil du der Antiheld in diesem Geschehen bist. Der Killer will es so. Er fordert es. Der Narr symbolisiert nicht die Lächerlichkeit. Er ist auf irgendeine Form stärker als der Ritter der Schwerter. Weißt du auch, warum? Weil der Ritter der Schwerter ohne Waffen ein Hanswurst ist und sich von den Schwertern während eines Gefechtes abhängig macht und der Narr ist während eines Gefechts unbewaffnet und in dem Zustand, es zu überleben, ist die Kunst, worauf es ankommt und nichts anderes.

Ich begriff zwar, konnte mich aber nicht besonders anfreunden. Was sollte noch auf mich zu kommen?

 

 

 

Tag 142

 

In eines der Stationen, unbewusst, in welcher, entdeckte ich einen Spruch:

 

Und wieder ist ein Tag vollbracht,

es wurde doch nur Mist gemacht,

Kollegen, die nie grüßen,

mit Blasen an den Füßen,

und vor lauter Knien und Bücken,

Schmerzen in den Rücken,

gesegnet seien die Krücken,

die manchen nur bedrücken,

mit Kniescheiben, die sich lockern,

das haut uns von den Hockern,

die schlimmen Kopfschmerzen,

damit ist nicht zu scherzen,

später die Herztropfen,

verloren gehen Malz und Hopfen,

lebt wohl ihr vielen Sorgen,

leckt mich am Arsch bis morgen,

denn morgen mit dem selben Fleiße,

geht es wieder los mit der selben Scheiße!

 

Nur ein Sadist konnte es geschrieben haben, dachte ich. Zugleich war das witzig und wieder traurig. Konnte manchen auch in Rage bringen.

Arras Byrton fragte mich, wie der Typ hieß, der überall mithalf. Ich kam nicht auf den Namen.

" Du bist auch nicht zu gebrauchen. Dann frage ich ihn selbst", sagte sie und verlor fast das Gleichgewicht.

Wenn sie es in dem Zustand nicht vergaß, dachte ich und behielt es für mich. Es war schließlich nicht meine Angelegenheit.

 

 

 

Tag 143

 

Ich hab es von Bad Ass gehört, meinte Inny. Du willst dich immer noch an irgendeine heranschmeißen, obwohl es richtiger wäre, wenn du es lässt.

" Und später? Ich habe auch meine Rechte!"

Bad Ass und ich haben uns, während du tief schliefst, intensiv unterhalten und haben etwas beschlossen. Du musst einfach den Killer identifizieren und deine Leistungen verbessern. Erst, wenn deine Zukunft rosig sein soll, werden wir dich verlassen und du kannst dich überall herumtreiben.

" Und wenn nichts dergleichen funktioniert?"

Wirst du uns nie los und du könntest in fünf Jahren in der Klapse landen, antwortete Bad Ass. Und den Killer wirst du wohl auch nicht los, weil er ein Schachspieler ist, sogar ein Weltmeister. Und du bist nicht in der Position, ihm gleich zu sein, weil du oft die Faust im Nacken hast.

Das war das Problem. Während der Killer in Ruhe Pläne erstellte und vermutlich Fäden fest hielt, war ich manchmal im Visier von Arbeitstieren, die einen immer wieder auffordern wollen.

 

 

 

Tag 144

 

Ich war gespannt, was Bad Ass mir jetzt für Predigten vorhielt.

Hast du dir jetzt Gedanken gemacht, wen du als Killer siehst? Oder hältst du immer noch an den vier üblichen Verdächtigen fest, weil sie dir komisch und rätselhaft vorkommen?

" Es müsste einer von den Vieren sein. Sonst kann ich mir niemanden vorstellen."

Hast du nie an Prockefellow gedacht, der leicht reizbar ist? Oder Rosa, die dich als Hauptverdächtigen wollte, um von sich abzulenken? Oder Marisa Demanichor, die alles, was in Mittäterschaft gezogen werden kann, einfach beiseite schieben kann? Und die Ruth Wynter, die Dollys Platz einnehmen würde, denn sie ist ihre Vertretung. Ich will damit sagen, dass diese von mir Vorgeschlagenen genauso unter Verdacht stehen könnten.

" Also wenn dem so ist, habe ich das Recht, den einen oder anderen auszuschließen?"

Natürlich. Das ist auch mein guter Wunsch. Nur lass jetzt die Logik spielen.

" Ich schließe zum Beispiel Ruth Wynter aus."

Begründung? Bedenke, wenn sie van Patten später abmurkst, würde sie den Platz einnehmen. Sie würde mehr verdienen, findest du nicht auch?

" Das wäre unlogisch, denn sie ist älter. Van Patten ist über fünfzig und Wynter müsste fast die sechzig erreicht haben. Wenn der Killer bereichsübergreifend handelt und plant, müsste sie so vital sein, dass es schon an Allgegenwärtigkeit grenzt. Außerdem besitzt der Killer viel Kraft. Sie dagegen ist dünnes Eis."

Scharfsinnig beobachtet. Aber auch dünnes Eis ist sprunghaft. Normalerweise. Ich habe nur ein Motiv vorgeschlagen und unlogisch wäre hierfür, dass ihr Motiv nicht das Geringste mit dir zu tun hat. Und wenn du die Wahrheit hören willst, so ehrgeizig ist sie nun auch nicht. Wir können ein Spielchen treiben. Ich hatte vier Verdächtige genannt und du auch. Wie wäre es, wenn du von deinen Kreis eine Person ausschließt?

Ich grübelte lange und kam zu keinem Entschluss.

Komm schon. Streng dich gefälligst an! Es gibt in diesem Fall nur einen Killer, beziehungsweise einen Planer. Die Sela Demarest hatte er nur benutzt für gewisse Zwecke und als der Verdacht sich immer mehr verhärtete, hat er sie beseitigt. Sie musste ihn also kennen. Bei dir wird es schwieriger, weil du bei meinen Vorschlägen trockener vorgegangen bist. Du hängst immer noch fest, aber du musst einen loslassen. Glaub mir, dann fühlst du dich besser.

Jetzt knirschte ich mit den Zähnen und fing gekünstelt an, zu zittern.

" Ich kann die van Patten noch nicht loslassen! Und die Neue auch nicht. Die sind noch verdächtiger als die anderen."

Das ist wenigstens etwas! Entscheide dich, wen du ausschließt. Lass nun eine Person los. Jewel oder Arras? Wer soll es sein?

Es vergingen Minuten und ich schwitzte, während ich zitterte und wackelte. Dann musste es einfach sein.

" Dann Jewel Surth!"

So möge es sein! Ich habe sie nie verdächtigt. Auch wenn sie eine Phase hat, wo sie sich merkwürdig verhält. Hier ist die Auflösung: Sie verhält sich deswegen so, weil sie manchmal eine hohe Fehlerquote besitzt und sich dessen auch bewusst ist, was ihr blühen könnte. Sie hat Angst vor Squeedistico. Darum war sie unkonzentriert und doch sich am zusammennehmen. Das verkürzt die Lebensfreude. Die beschissene Regel wurde leider knüppelhart durchgesetzt und damit ist bewiesen, dass dieser Saftladen Dollars sehen will. Mehr als vorher! Was auch beweist, das es mit der allgemeinen Wirtschaft langsam bergab geht. Die Preise steigen und ich denke, Jahre später werden andere Abteilungen es auch zu spüren bekommen. Der Blick auf die Betriebskostenabrechnung wäre Beweis genug. Verzeihung! Du hast wie andere keine Zugangsberechtigung. Aber die Logik besagt schon alles und wozu braucht man noch Beweise?

Und wie das alles stimmte. Diese Überlegung war anstrengend genug und ich wollte dafür mich etwas hinlegen.

 

 

 

Tag 145

 

Nach ausreichendem Nachdenken war ich froh, dass der Mai zumindest bald vorbei war. Es herrschten schon beinahe sommerliche Temperaturen und es kam vor, dass meine Nase lief. Bevor ich zur Arbeit ging, nahm ich eine Dusche, wo es sonst abends üblicher war. Aber gestern versäumte ich es. War einfach nicht meine Schuld. Das Leben hier war anstrengend. Die Arbeit, die Schule, die Erwartungen für den Siegel erfüllen und ich musste Detektiv spielen, geschweige einen guten abgeben. Bad Ass stellte mich nun unter Druck und nebenbei musste ich auf meine Verhaltensweisen achten, auch wie und wo ich mich am besten anpassen konnte. Wenn das alles kombiniert mich belasten konnte, wann käme dann der Zeitpunkt, richtig verrückt zu spielen. Jetzt dachte ich auch noch an Nelly, weil es nicht anders ging. Anscheinend habe ich sie doch nicht ganz ausgeschlagen, doch ich musste dagegen ankämpfen. Als ich ankam, es war noch nicht mal zwölf, grüßte ich mit: "Morgen."

Dudley sagte: " Das heißt 'Mahlzeit'! Auch wenn wir noch nicht Mittag haben! Gewöhn dir das an."

Das war aber nicht in meiner Vorstellung. Das war so, als wenn man einen losen Ziegelstein mit einem austauschen wollte, der felsenfest noch standhielt.

Sonst war alles gleich. Ich pendelte von der 20 bis 22 im normalen Arbeitstempo und Crispin war noch auf der anderen Seite. Ab und zu geisterte Fergie bei uns und pendelte von der 19 bis 24.

 

 

 

Tag 146

 

Erneut trat ich den üblichen Dienst an. Dann schoss mir ein Gedanke durch den Kopf: Hätte nicht einer aus der Frühschicht der Täter sein können?

Nein! meinte Bad Ass plötzlich aus dem Nichts auftauchend. Entschuldigung. Normalerweise bekämst du nach meinen Prinzipien volle Unterstützung, aber keine Hinweise. In dem Fall ist jedoch der Hinweis nur ein minimaler Klacks. Die Frühschicht besteht doch wirklich nur aus einfach gestrickten Statisten. Ich wette, sie haben nicht einmal die geringste Ahnung, dass einer überhaupt fehlt. Den Tunnelblick hätte ich auch gerne.

Dann war der kurze Ansporn zur Aufregung umsonst.

Unterwegs traf ich auf Siegel und er fragte nach den Berichten.

" Verstehen Sie nichts falsch, aber Sie sind dennoch verpflichtet. In zwei Wochen spätestens möchte ich alles haben. Außerdem gebe ich noch etwas zum Ausfüllen. Da geht es darum, uns zu bevollmächtigen, die Termine bei der Psychologin und Nachhilfelehrern zu nutzen und wahrzunehmen. Auch das muss ich zur gleichen Zeit haben. Sonst würden Sie Probleme mit mir bekommen und dazu darf es nicht kommen."

Ich stimmte zu und ging zur Arbeit.

Bei dem Treffen wie an jedem Dienstag waren diesmal Ralph, Tekin, Mitch, Crispin, Talia und ich dabei. Gerade Ralph regte sich darüber auf, dass er sich in der Abteilung befand, die er am meisten hasste.

" Ständig dieses Warenaufkommen, das kein Ende nimmt und man wird immer auf Trab gehalten, egal von wem!"

" Das habe ich auch bemerkt", meinte Crispin.

" Du bist ja auch ungefähr ein Monat drin! Da kannst du doch nicht genau mitreden."

" Die ersten Stunden reichen schon aus. Und diese van Patten. Eben hat sie sich hinter eines der Regale versteckt, um zu kontrollieren, wie ich meine Arbeit mache. Obwohl sie mit der anderen Seite nichts zu tun haben sollte."

" Ich weiß. Sie ist anstrengend. Mich hat sie zusammengeschissen, weil mein Stundenkonto im Minus ist. Fünfundzwanzig darf man machen und ich habe zweiundzwanzig."

" Ich habe bloß sechs im Minus", erwiderte Crispin.

Mitch meinte, er hätte vier im Minus und Tekin zwei. Dann schauten alle mich an.

" Ich habe vierzehn in Plus." Das war kein Scherz von mir.

" Tja Ralph", begann Talia. " Nimm dir ein Beispiel."

" Wie er es macht, weiß ich auch nicht!" argumentierte Ralph. " Interessiert mich auch nicht! Vielleicht werde ich hier einfach nur ganz dreist beschissen! Seht euch nur um! Hier wird man ständig über den Tisch gezogen und wir kommen aus der Nummer nicht mehr raus! Je länger man hier ist, umso mehr verliert man den Verstand!"

Da sagte ich: " Wenn ich die Augen zu mache, kann ich immer noch diese Wannen tatsächlich sehen, wie sie in ungeheurer Menge durch die Förderbänder geschoben werden."

" Dann hast du jetzt schon verloren. Ich frage mich, wie es in fünf Jahren aussehen wird."

" Ich werde es überleben."

Ralph zu Talia: " Er hat eine Macke. Aber jeder kriegt sie früher oder später."

Ohne, dass Siegel sich blicken ließ, verließen wir promt die Kantine und gingen zu unseren vorgesehenen Bereichen.

 

 

 

Tag 147

 

Mittlerweile hatte ich mich an die Abteilung gewöhnt. Vor allem auf den Stationen 21 und 22 zu arbeiten, war angenehm. Nach wenigen Stunden endete die Lockerheit etwas, als van Patten kam.

" Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie für zwei Stunden zur Station 27 gehen. Dort ist die Hölle los."

Ihr Blick drang schon auf mich ein und gab mir zu verstehen, dass ich im vollstem Tempo flitzen musste und dafür alles liegen und stehen ließ.

Dort waren einige Wannen auf dem Boden schon platziert, weil keiner wusste, wohin damit. Einer fehlte. Ralph. Tekin meinte später, dass er sich in dieser brenzlichen Lage verkrümelt hatte. Als nach Stunden, es waren sogar drei, sich die Lage wesentlich lockerte, kam Buckley zurück und gab vor, extrem viel Durchfall gehabt zu haben. Er wurde nicht einmal angeschnauzt. Wie sehr man unauffällig sein konnte, war zu beneiden. Erst, als es noch ruhiger wurde, verließ ich die Stationen und ging dorthin, wo ich mich vielleicht geborgener fühlte. Minnie pausierte kurz, es war nun friedlicher. Da kam Hunt Kiersten und richtete ihr etwas aus.

" Minnie, dein Freund wollte nachfragen, ob du die Güte hättest, ihm bei den Großmengen zu helfen."

Sie zögerte keine Sekunde und ging.

Jetzt waren Arras, Wanda und Fergie in Stellung. Ich war mit Hep und Jewel einsatzbereit und alles erledigte sich wunderbar.

 

 

 

Tag 148

 

Früher aufstehen war zwar angesagt, gerade weil die Pflicht rief. Aber mit der Psychologin und den Nachhilfelehrer lief alles kerzengerade. Sie waren einsichtig und nett. So ein Arbeitsklima musste überall sein. Es war nun mal die Aufgabe den Schulstoff aufzubauschen. Danach war ich wieder zur Stelle. Zuerst die wenigen Sachen im Aufenthaltsraum abgelegt und dann...

" Hat man dir keine Erziehung beigebracht? Oder bist du ein Blindfisch ohne Verstand."

Es war Dudley. Ich war wie von einem Tunnelblick gelenkt auf die sofortige Arbeitshaltung gerichtet.

" Kollegen soll man aufrecht grüßen!"

Dann kam Crispin rein und grüßte in die minder verbliebene Runde.

" Nimm dir ein Beispiel dran."

Mein Gott, war er gehässig. Gut, ich hatte das Gefühl gehabt, mich zu verspäten. Ich vergaß, dass ich noch Überstunden hatte, bloß van Patten schien es mittlerweile total egal zu sein. Es stellte sich erweitert heraus, dass nur noch Entbehrlichkeiten zählten. Wenn das jemand mit Siegel aussprechen würde, wäre sie zwar in leichter Erklärungsnot, aber sie würde Argumente aus den Ärmeln schütteln, um stets recht zu behalten wie ihre Glaubwürdigkeit und der Neue war dann der Angeschissene, der Unruhestifter.

Ich hielt Ausschau nach etwas Neuem, was der Killer vielleicht hinterlegt haben könnte.

Da war einfach nichts. Rein gar nichts.

 

 

 

Tag 149

 

Erst heute fiel mir ein, dass am Montag Feiertag war. Das wurde ja immer besser, dachte ich. Motiviert wäre noch immer übertrieben, aber einsatzbereit versucht ich den Tag unbeschadet hinter mir zu bringen. Was ich nicht wusste war, dass Wanda für eine gewisse Weile woanders arbeitete. Einige fragten danach. Auch Tekin fragte mich nach ihr. Hunt antwortete sarkastisch, dass sie bestimmt schwanger sei. Ich fand keine Antwort auf irgendetwas. Es würde lockerer zugehen, weil das Aufkommen beschränkter war und so konnte man für den Tag entspannter ins Wochenende schlendern. Es hatte lange nicht mehr geregnet. Ab und zu schaute ich über die Runde und gestand ein, dass ich mit dem Verdacht noch kein weiteres Ausschlussverfahren eingeleitet hatte.

Wäre Bad Ass enttäuscht?

Er würde mich eher bedrängen, wie zuletzt. Es änderte nichts an der Tatsache, dass ich ohne einen zusätzlichen Hinweis aufgeschmissen war.

 

 

 

Tag 150

 

Ich soll dir von Bad Ass ausrichten, dass du heute den Tag nutzt, intensiv über den Killer nachzudenken, sagte Inny.

Ich startete den Versuch, Berichte zu schreiben und wenn alleine aus diesem Grund Kopfschmerzen hervor traten, wie schlimm müsste es mir ergehen, wenn ich das Mörderspiel durchzog.

" Bitte, Inny! Lasst mich heute zufrieden. Durch die Zugluft hier in der Zelle muss sich keiner wundern, wenn es gesundheitliche Probleme gibt."

Dann ruh dich aus. Aber ich wollte nur darauf hinweisen, dass Bad Ass nicht freundlich gestimmt wäre. Du würdest sonst Probleme mit ihm bekommen.

" Und was kann Bad Ass mir antun?"

Aus Kopfschmerzen Migräne erstellen, drohte auf einmal Bad Ass. Denk daran. Morgen geht es weiter, denn es ist deine Bestimmung, dieses Spiel mit zu betreiben.

" Wann denkst du, würde er von sich hören lassen?"

Schon bald. Und dann wird das FBI auftauchen, die schon Probleme haben, ihren Hosenschlitz zuzumachen. Nur so als Hinweis. Der Killer ist noch auf der Etage, nur wo, das ist die Frage. Aber da reden wir morgen darüber.

 

 

 

Tag 151

 

Es war acht Uhr und Bad Ass kam mir so vor, als wartete er seit mehreren Stunden. Er war gespannt.

" Bitte, Bad Ass. Nur noch zwei Stunden Schlaf. Ich wurde mitten aus einem schönen Traum gerissen."

Das ist auch besser so! Du warst im Traum mit Nelly Kittridge am Picknicken und das im Garten Eden. Einfältig! Sie will nichts von dir! In ihren Augen bist du bloß ein Greenhorn! Und du hast dich entschieden?

" Wenn du nichts dagegen hast, beginne ich mit deinen Verdächtigen."

Wieso soll ich was dagegen haben? Ich bin ganz Ohr. Einer von meinen Verdächtigen und anschließend einer von deinen. Da bin ich gespannt, inwiefern du herumdruckst.

Im Prinzip kam ich in diesem Augenblick schon fast ins Stottern.

" Da würde ich Rosa noch nicht ausschließen."

Gut, dann entscheidet sich das zwischen Prockefellow und Marisa. Eine Person wird ausgeschlossen und ist definitiv nicht der Täter.

Das war zwar schwierig, doch trocken nannte ich dann einen Namen.

" Marisa. So jetzt ist es raus. Nur mit der Begründung wird es nicht einfach sein."

Ich denke, du könntest nur dann die Begründung abgeben, wenn eine Spur von Überzeugung dabei wäre. Marisa hätte auch kein Motiv. Sie mischt sich ungerne in fremde Angelegenheiten ein. Manchmal ist sie ein Von-Problemen-Wegtaucher. Sie würde sich sogar als eine Zeugin drücken. Und wen schließt du noch aus?

Jetzt wurde es komplizierter. Er musste mir etwas Bedenkzeit geben. Der Tag war noch längst nicht vorbei.

" Dann schließe ich die Arras aus, weil die anderen beiden mir suspekter vorkommen. Die Arras hat bestimmt persönliche Probleme, weiter nichts."

Genau erfasst! Seit ihre Schwester vom Zug überrollt wurde und sie trug ein Kind in sich, hatte Arras angefangen, zu trinken. Sie wird wohl nie darüber hinweg kommen. Van Patten wäre es gleichgültig. Sie kennt einfach keine Rücksichtnahme. Alles dient zum Wohle dieses Arbeitsstraflager!"

" Dann willkommen in der Hölle."

Eine Hölle könnte heißer werden, als die Sonne.

Mein Kopf qualmte und zugleich fiel ein weiteres Gewicht von meinen Schultern. Und was, wenn es sich zwischen Rosa und van Patten entschied? Ich wusste es nicht.

 

 

 

C: Wird der Killer enttarnt?

 

 

Tag 152

 

Ich hätte schlecht schlafen können, weil mir dieses Detektivspiel ständig durch den Kopf ging. Heute klappte es. Nur was tat ich heute am freien Tag? Durfte es wieder ein Rundgang sein? Oder sollte ich den ganzen Tag rumliegen? Gut wäre es keineswegs. Ich war auch nicht in der Stimmung, mit einen wegen irgendeinen Unsinn herum zu diskutieren. Nachdem ich mit einigen Zeilen für die Berichte beschäftigt war, beschloss ich, etwas Musik zu hören und dann erst oben in der Kantine etwas an Lebensmittel zu besorgen und anschließend kam der Rundgang. Wenn die Arras als Täterin ausgeschlossen wurde, wie gewisse andere Personen, blieben immer noch vier übrig. Ich dachte nun an van Patten und riskierte einen Blick durch die Glasscheibe ihres Büros. Alles hatte tatsächlich seine Ordnung. Ich war nicht in der Lage, Schubladen zu öffnen und hoffte zumindest aus der Entfernung einen Hinweis zu entdecken. Durch die pedantische Form des Ordnungssinnes kam ich keinen Schritt weiter. Sie hinterließ den Eindruck, dass sie nur ihre Arbeit tat. Der Blick auf dem Kalender, der sogenannte Terminplaner erschien auch unauffällig. Glaubte ich wenigstens. Dann dachte ich an noch jemanden und lief zur Station 30. Es war schon ungewohnt, das alles in einer stillgelegten Version vorzufinden. Auch da war nichts hilfreich. Darum musterte ich alles umso genauer, und wenn ich sämtliche Kritzeleien unter die Lupe nahm. Auch kein Spruch war vorhanden. Alles war sauber. Außer vielleicht...

Vielleicht was?

Hatte er doch etwas zu verbergen, der Drockett Prockefellow?

Nichts besonderes, aber mein Blick richtete sich auf den daneben existenten Notausgang und es war eine Testung wert, die Klinke zu betätigen. Wir hatten Hausmeister, beziehungsweise einige Gehilfen und sollte an dem freien Tag die Tür zufällig offen sein, kämen zwei Möglichkeiten in Betracht: Die eine war, die Hausmeisterschaft hatte ihren Job schlampig gemacht, die andere war, der Killer musste an einen Generalschlüssel rangekommen sein. Bestimmt war er clever genug sich einen kompletten Schlüsselbund nachmachen zu lassen. Die Klinke wurde von mir benutzt und...

Die Tür war offen.

" Mr. Prockefellow? Sind Sie unten?" rief ich, ohne zu merken, dass meine Stimme schon beinahe zittrig klang.

Schritte kamen langsam von unten und mitgeführt ein unheimliches Keuschen. Als die Gestalt sich alleine mit der behandschuhten Bekleidung zu erkennen gab und ein Cape ebenfalls sichtbarer wurde, legte ich es nicht darauf an, sein Gesicht zu sehen und rannte wie alle Teufel zusammen. Sein Gesicht würde dieser erst recht nicht zeigen. Ich befürchtete, er war maskiert. Sicher war ich zwar nicht, vielleicht war es bloß Einbildung. Ein Profi würde sich auch nicht zeigen wollen, selbst wenn Gott ihn erpressen müsste.

Als ich meine Zelle erreichte, versuchte ich, still zu sein, unabhängig davon, wie schnell mein junges Herz raste. Hoffentlich war er nicht hinterher gerannt wie in eines dieser modernen Slasher-Filmen. Es gab Killer, die eine lahme Gangart an sich hatten. Meistens waren es die großen und stämmigen Killer. Aber es gab auch gelenkige unter ihnen, die ihr Ziel niemals aus den Augen ließen und sich wie eine Zecke an ihr Zielobjekt heransaugten und nicht loslassen wollten.

Ich hörte nichts mehr. Auch zehn Minuten später nicht. Auch weitere zehn Minuten später nicht.

Nein. Der Killer war ein Schachspieler, kein amoklaufender Massenmörder. Ein bedachter Serienkiller war schon zutreffender. Und wenn schon Menschen in Massen dran glauben mussten, dann durch Unfälle, die durch seine Inszenierung verursacht wurde. Ich wollte ihn nie bewundern. Aber aus seiner Sicht, meiner Meinung nach, hatte er bis jetzt alles richtig gemacht. Nicht moralisch sondern strategisch.

Und Leute wie mich hatte er genarrt.

 

 

 

Tag 153

 

Was war wirklich los? Hatte ich mich endlich vom Schock erholt? Und wenn es einer war, konte ich irgendetwas unterscheiden, weil...

Weil was? Litt ich unter Verfolgungswahn? Ich wünschte, dass ich gestern die ganze Zeit nur rumgelegen hätte. Wenn ich alles zusammenfasste, würde die Auswahl für die Tätererfassung leichter ausfallen.

Dieser Monat würde sommerlich ausfallen. Da bräuchte man kein Wahrsager zu sein, um so etwas zu spüren.

Irgendwie war ich ratloser, als zuvor, was der Arbeitsaufenthalt betraf. Jederzeit konnte die autoritäre van Patten mich maßregeln für die andere Seite des Bereichs und seit gestern war es mir schon unbehaglich, alleine in diese Richtung zu blicken. Nach alldem, was sich dort abgespielt hatte. Da tat es mir leid, dass Nelly dort arbeiten musste. Ich konnte, und das war das Schlimme, als unbedeutende Schachfigur nichts beeinflussen. Van Patten hatte wohl genug zu tun, schätzte ich. So arbeitete ich auf der 21 und 22 und hoffte, ungestört den Tag vergehen zu lassen. Abgesehen davon, ging ich um halb drei wieder nach oben. Crispin auch. Ralph und Tekin hatten kein Verlangen, Siegel über den Weg zu laufen. Oben angekommen, stellte sich heraus, dass wir nur zu zweit waren. Wir unterhielten uns vor allem über van Pattens Auftreten.

" Mir geht sie ganz besonders auf dem Wecker", meinte er. " Immer dieses 'Kannste mal für fünf Minuten da hin, kannste mal dann dort aushelfen?' und andere Dinge. Und dann 'Ach nee, gehste lieber zur 29, da fehlt auf einmal einer'."

" Das passiert häufig", bestätigte ich.

" Sie hat einfach keinen Plan. Sie würde niemals eine Überforderung zugeben."

Ich nickte.

" Ich habe gerade einen Monat von dieser Abteilung kennen gelernt und hasse das alles jetzt. Meine Füße brennen schon."

Als die Zeit davon strich und wir die Beine in die Hand nahmen, kam zufällig Siegel vorbei und grüßte zuerst. Zu Crispin sagte er auch, dass er noch Berichte zu erwarten hätte. Es gäbe auch viel Nachzug. Wir beide nickten und gingen zur Arbeit.

" Nachzug! Dass ich nicht lache!" sagte Crispin unterwegs verächtlich. Ich sagte nichts und dachte daran, was der Killer als nächstes einplante.

 

 

 

Tag 154

 

Heute war Crispin auf der 23. Die Arras bekam die Sonderaufgabe, sich um die Großmenge des Wareneingangs zu kümmern. Ihr machte es wenig Spaß, weil dort die absolute Null-Fehler-Toleranz herrschte. Bei mir war nichts verändert. Wanda pendelte genauso zwei bis drei Stationen entlang. Heute war Martha Sudrow allgemein etwas aufgebracht und ließ an Crispin so einiges aus. Der Killer machte sich noch nicht bemerkbar. Es war kurz vor acht am Abend, da kam van Patten kurz zu mir, schüttelte uneinsichtig den Kopf und ging wieder zurück. Was hatte das zu bedeuten, fragte ich mich. Nicht, dass sofort Umdenken angesagt wäre. Und was würde ich am Sonntag Bad Ass erzählen? Es schien im Augenblick einfacher geworden zu sein und was konnte eine Sekunde alles verändern? Eine Sekunde konnte viel beeinflussen und die Bewunderung bestand darin, wieviel Macht dahinter steckte.

Es wäre aber auch möglich, dass ihr Verhalten sich erklärte, dass eine Kamera installiert war und mich letzten Montag ertappte. War genauso eine Erklärung, wie...

Wie...

Was war mit dem Notausgang? Könnte es sein, dass es auf diese Weise zu interpretieren war?

Wenn sich die Tage nicht etwas anderes ergab, würde ich vor Bad Ass ins unerbittliche Wanken und Stottern geraten.

 

 

 

Tag 155

 

Wegen Kopfzerbrechen konnte ich schlecht schlafen. Da war man eine Spur weiter und wurde durch eine Woge zurückgetrieben. Wohin führte mich das alles? Zuerst musste ich mich beim Nachhilfelehrer begeben und sie ermutigten mich, am PC in puncto Textbearbeitung kreativer vorzugehen. Dann ging es zum Üblichen. Dafür konnte ich früher gehen. Der Siegel sprach mich dafür an. Einmal hatte ich es vergessen. Um neunzehn Uhr wäre Schluss für mich. Das durften auch andere mir nicht übel nehmen. Als ich ankam, war Wanda mit Hunt Kiersten im Gespräch. Einordnen konnte ich da nichte, vor allem, ob es mit Spaß oder Ernst zu tun hatte. Besonders, als er ihr zurief: " Sooo jung und sooo blöd!"

Van Patten schickte mich für zwei Stunden zur Station 27. Mein Magen zog sich zusammen. Andererseits musste ich mich damit abfinden, dass es Zeit war für eine böse Überraschung.

Aber es passierte nichts Sonderbares. Ich sah noch Buckley, wie unverhofft ein Schraubenschlüssel, der von oben herabfiel, seine Stirn traf und er sich beherrschen musste, um seine Wut zu zügeln. Sonst hätte er den Schraubenschlüssel so lange niedergetrampelt, dass gerade noch Elementarteilchen übrig wären. Dann hätte ich am liebsten das Gesicht von Dolly van Patten oder Siegel gesehen. Aber keiner sah hin und das lenkte mich auch ab. Ich gab alles, um nicht an den gespenstischen Notausgang zu denken, wo eine hohe Garantie von einem Schach spielenden Typen auf eines der Stufen sitzend, Wirkung zeigen musste.

Als es ruhiger wurde, rannte ich zum wohlverdienten Arbeitsort zurück.

Und als dort für zwanzig Sekunden Leerlauf stattfand, überfiel mir der Gedanke, dass ich vor einer halben Stunde etwas quietschen gehört hatte. Es kam mit majestätischster Wahrscheinlichkeit so über die Station 30 hinaus und wenn ich mich nicht täuschte, hatte wohl einer in echogeladener Atmosphäre mit Vorfreude triumphierend gelacht.

Das war nicht alles, denn eine weitere noch gar nicht erwähnte Erinnerung von Montag hatte mich wie ein Sonnenstich angefallen. Als ich dort die Tür öffnete und das düstere und vernachlässigte Treppenhaus sah, roch es pervers nach Fäulnis und Verwesung.

 

 

 

Tag 156

 

Als ich schweißgebadet aufwachte, war es meiner Annahme nach, vier Uhr morgens, vielleicht auch etwas später. Ich bekam es mit der Angst zu tun. Es lag daran, dass ich mir schon ein stärkeres Bild von diesen Killer machte, der genau wie in der Schule auch hier sich eine eigene Welt aufbauen konnte. Er würde es an jeden Ort können, wie Spinnen es taten. Überall konnten sie ihr Netz aufbauen und anderswo jederzeit ein neues spinnen. Der Killer war genauso. Hoffentlich war er menschlichen Ursprungs, dachte ich. Eine Kreuzung aus einer Vogelspinne und einem Menschen war mir zuwider. Als ich mich wieder hinlegte, hatte ich das Bedürfnis, mich später krank zu melden. Als ich später aufwachte, tat ich es nicht und ging nach einer kurzen und knappen Dusche doch zur Arbeit. Ich betete, dass jemand anderes zu den gegenüberliegenden Stationen gescheucht werden würde. Heute war Fergie dran. Ab und zu mischte der andere, Elzzup, freiwillig mit. Er konnte Leistungen vollbringen. Ralph war es egal. Er hatte die Einstellung nach dem Motto: Lass ihn ruhig! Wenn später der Körper sich meldet, schreit er bestimmt Zeter und Mordio, der Idiot!

Als ich am Ende des Ganges A auf Station 20 war, sah ich, dass die zwei zwielichtigen Typen Darwin Lentz und Enzo D' Angelini auftauchten. Sie gaben nun die exakte Uhrzeit an, wann diese Puppe gebracht werden sollte und das erforderte das Just-In-Time-Prinzip.

" Und denken Sie daran Fräulein Patten", fuhr D'Angelini fort, " Station 26, um genau zweiundzwanzig Uhr. Am dritten Juli, so kann ich prophezeien, da wird es kein extremes Warenaufkommen geben, dass für Überstunden sorgen soll. Hauptsache alles hat seine Richtigkeit."

Lentz, der eigentlich länger in der Abteilung war und eigentlich mehr Reden schwingen sollte, nickte schweigend.

Van Patten war etwas gekränkt: " Erst einmal mag ich es nicht, wenn man mich Fräulein nennt, weil es abwertend klingt! Und Zweitens ist mir immer noch nicht klar, was es mit der Puppe von allerhöchster Priorität auf sich hat!"

" Oh, es muss doch klar sein, dass es Kunden gibt, die hier den extremsten Stellenwert haben. Ich mache hier ja nicht die Befehle. Ich muss sie ja ausführen, wie jeder andere auch. Dass man ausgerechnet mich als Beauftragten nimmt, ist nicht gerade etwas, womit ich mich anfreunden kann."

" Stimmt genau", meinte Darwin. " Mein Kollege Enzo hat mich ja hinzugezogen, weil offenbar einer alleine nicht überzeugend genug wäre. Sie könnten ja unseren Abteilungsleiter anrufen."

" Obwohl es nicht einfach wäre, ihn zu erreichen", sagte Enzo. " Mit seinem Telefon ist eine kleine Störung. Die würde bald gehoben werden. Aber Sie wissen, wie sparsam dieser Saftladen ist."

" Ich verstehe", sagte Dolly. " Ich hab das jetzt alles eingetragen und hoffe für Sie, dass es gut geht."

" Vielen Dank."

Beide verabschiedeten sich und gingen.

Als ich glaubte, ihr Blick richtete sich auf mich, rannte ich schnell wie der Blitz zu eines der anderen Regale und tat alles, um weniger aufzufallen.

Nichts passierte mehr, wo ich sagen konnte, dass mein Gefühl darunter leide.

 

 

 

Tag 157

 

Um zehn wurde ich wach. Endlich war ich ausgeschlafen. Was würde ich heute unternehmen, wo die Angst etwas beiseite lag und ich dann mich dazu bereit erkläre...

Vergiss es!!!!

Es war Inny, aber warum verhielt sie sich wie ein mechanisch gebautes Alarmsystem, das auf ROT zeigte.

Wenn du in die Höhle des Löwen gehen willst, dann...

" Ich wollte mir bloß etwas anderes zu trinken holen, als meine Gewohnheiten es ansprechen."

Bitte, belüge mich nicht. Ich bin immer noch Inny und war immer gut zu dir. Warum tust du mir das an und vor allem dir, indem du freien Willens in dein Verderben zurennst? Was geht in dir vor?

Pause.

Ist dir überhaupt klar, dass weder Hausmeister, noch Techniker sich dort hin trauen? Selbst wenn es die Geschäftsleitung wüsste, würden sie alles versiegeln und zwar mit viel Stahl!

" Und selbst dann könnte der Killer sich befreien."

So ist es. Und selbst du willst nicht wissen, was sich dort befindet. Selbst die Blaupausen für den Aufbau der Hölle sind markerschütternd. Und rechne mal das mit tausendmal schlimmer. Bleib hier, lass alles so laufen, dann kann nichts geschehen, was du für dein Leben bereust.

Ich gab Inny recht.

Am besten verlässt du die Zelle gar nicht.

" Und was soll ich essen und trinken. Letztes Jahr hatte man noch die Chance, bedient zu werden und dann gab es auf einmal Budgetkürzungen, wie ich erfahren musste."

Lass dir von jemanden Lebensmittel besorgen. Sag, dass es dir nicht gut geht.

" Kann ich probieren."

Es klappte auch. Zwar mit leichten Bedenken, aber kein Problem entstand.

 

 

 

Tag 158

 

Oh, HIMMELARSCHUNDZWIRN! Die Stunde der Wahrheit rückte näher und davor hatte ich jetzt mehr Furcht, als den Drang, die neu erschaffene Hölle auszukundschaften.

Wie ist die Entscheidung, wenn ich eindringlich fragen darf.

" Ach, Bad Ass. Die eine einzige Sache hat es irgendwie versaut."

Ich weiß. Aber im Moment kannst du erst einmal von meinen Vorschlägen einen ausschließen und das ist leichter. Rosa oder der missgelaunte Prockefellow? Entscheide.

" Dann würde ich Rosa rausnehmen, weil ich sie dagegen für renitent halte."

Jau. Und wieder bist du ein Schritt weiter. Eine kluge Auffassung. Stelle dir Rosa nur als eine Dorfbewohnerin aus dem Mittelalter vor. Sie wäre die Kandidatin, die am lautesten schreit, wenn eine Hexe zur Verbrennung freigegeben wird. Egal ob unschuldig oder schuldig. Hinterfragen ist bei ihr Fehlanzeige. Außerdem gibt sie sich hektisch. Der Killer ist das Gegenteil. Jetzt kommt der schwierige Part und ich erlasse dir die Zeit, nachzudenken. Van Patten oder Shannon Ratings?

Das war knifflig. Wenn das Spiel wie ein Tournament ablief, wurde es nach einer gewissen Zeit noch anstrengender, als die Nerven pochen konnten.

" Ich weiß es einfach nicht! Shannon ist immer noch die Mysteriöse. Einfach so ist sie aus dem Nichts aufgetaucht."

Sowie deine Schutzengel.

" Und van Patten hat viel zu verbergen."

Hast bisher wohl nichts entdecken können, was sie belastet.

" Weil sie vielleicht zu clever ist."

Oder sie gesteht sich einfach keinen einzigen Fehler ein. Sie hat einen Job, den sie nicht verlieren will.

" Verdammt, jetzt bin ich genauso schlau wie vorher. Das heißt, wenn ich mich entscheide, dann würde es nächste Woche zwischen den letzten zweien ablaufen und eine davon ist definitiv der Killer, der mir das Leben schwer macht?"

Das hab ich nie behauptet. Es waren nur Vorschläge und du hast dich an die Verdächtigen geklammert und mich dazu gezwungen, dieses Spiel zu betreiben, was gegebenenfalls der Killer mit dir vorhat. Entscheide.

" Und wenn ich verliere?"

Das ändert nichts. Ich kann ebenfalls nur ausschließen. Wer der wirkliche Killer ist, weiß ich überhaupt nicht. Das weiß nur er selbst.

" Dann gebe ich Dolly van Patten frei, weil die Shannon doch schon die Verführerrolle spielt, glaube ich. Bestimmt hattest du recht, als du sagtest, dass sie ihre eigenen Fehler am liebsten untern Teppich kehrt."

Und das ist der Punkt. Sie ist einfach eine ehrgeizige Bereichsleiterin, die besser ihren konstanten Ruf gerecht bleiben will, als die Moral erlaubt. Aber sie als Killerin? Außerdem mochte sie Tiane Katushek. Wieso sollte sie diese Person ans offene Messer liefern. Und ich nehme auch an, dass Weaponsmith unverzichtbar war. Und hinzu kommt noch, bevor du das erste Mal hier warst, kannte sie dich so gut wie gar nicht. Sie bekam von Rory Heribertsen wie vorgeschrieben die Liste von Neuzugängen und damit genug. Also hast du eine Woche Zeit, einen Vergleich mit Shannon und Prockefellow zu erstellen. Da bin ich gespannt auf deine Antwort. Vielleicht hast du aber auch einen anderen Verdächtigen. Wir schauen mal, wie sich die Lage entwickelt.

Das konnte heiter werden. Unglücklicherweise befürchtete ich, dass ich es nie herausfände, wenn der Täter nicht endlich einen Fehler begehen würde.

 

 

 

Tag 159

 

Bad Ass weckte mich auf. Er mahnte zur Erinnerung.

Denk daran. Schau dich um und behalte die letzten Verdächtigen genau im Auge. Schau dich noch anderweitig um. Aber wie Inny schon sagte: Betrete bloß nicht diesen Höllenschlund vom Treppenhaus hinter der letzten Station. Der Ort ist mittlerweile eine missgestaltete Deponie des Verderbens.

Schweigend verließ ich die Zelle, ging unter der Dusche und eilte zur Station 21. Sollte mich die Dolly van Patten verdonnern, wo sie wollte. Aber sie musste selbst kommen und mich dazu auffordern. Später kam der Siegel extra zu mir und sagte mir, dass er morgen die Berichte haben wollte. Er mahnte zur Erinnerung. Morgen um halb eins. Oh Gott, ich war so damit beschäftigt, Cluedo zu spielen und merkte, wie mir das an die Nieren ging. Jetzt wurde ich auch noch verpflichtet, zweitgleisig zu fahren. Tekin kam dann und fragte mich wieder, ob ich Wanda gesehen hätte. Sie war vorher noch aktiv, brachte zurzeit einige Sachen zur Warenausgangsabteilung. Ich fragte mich nur, was er dauernd von ihr wollte.

 

 

 

Tag 160

 

Gestern hatte ich nichts erreicht. Alle verhielten sich unauffällig und somit war ich keinen Schritt weiter gekommen. Ich war früher wach als geplant und schrieb an meinen Berichten. Dann kam ein kurzer Anfall von Migräne, wenn es eine wirklich war und dadurch quälte ich mich. Es kam noch bunter, denn die Zeit raste diesmal. Wenn man auf der Arbeit mittendrin war, lief die Zeit langsam. Vor allem, wenn man den Drang hatte, ständig die Uhr anzustarren, die an vier Bereichen befestigt waren. Einmal auf der 19, dann 23, 26 und 29. Als es zwölf war, ging ich los. Ich musste eine Erklärung abgeben. Am liebsten würde ich mich krank melden, aber dann würden einige mich als Drückeberger hinstellen. Und Siegel erst recht. Als ich sein Büro betrat, war er gerade am telefonieren. Er schien gut gelaunt zu sein. Als er auflegte, bat ich um Aufschub. Er war nun aufgebracht.

" Da bin ich nicht einverstanden! Ich hab mich wohl nicht klar genug ausgedrückt!!! Was haben Sie letztes Wochenende gemacht? Sich in Hyperschlaf versetzt? Ich fühl mich einfach verarscht und das lasse ich nicht zu!!! Und jetzt gehen Sie mir aus den Augen! Ich will Sie heute nicht hier sehen!!! Bis nächste Woche möchte ich alles vorgelegt haben und wenn dann immer noch ein Verzug stattfindet, dann soll Gott sich Ihrer erbarmen!!! Das wäre alles."

" Das war nicht meine Absicht", sagte ich zaghaft.

" Sind Sie immer noch hier? Ich will keine Entschuldigungen hören, sondern Fakten!!! Und jetzt laufen Sie schon zur Arbeit!"

Gesagt, getan.

So lief ich zur Station 21 und hoffte, während der Arbeit in die Eintönigkeit zu vertiefen. Und van Patten hatte wenigstens genug zu tun.

Später war dieses Treffen der Neulinge, doch da nur wenige vorhanden waren, schwieg ich. Keinen schien es zu stören.

 

 

 

Tag 161

 

Du kannst den Donnerstag dafür nutzen, sagte Inny zu mir. Ich helfe dir dabei. Dann kannst du am Freitag Ausschau halten über irgendwelche Sonderheiten.

" Das ist gut. So machen wir das."

Dann ging es wieder los und van Patten bat mich, zur Station 19 zu gehen, da Rosa für einen Tag erkrankt war. Brent Misher, der ansonsten alleine war, überbrachte mir den Eindruck, dass er keine gute Laune besaß. Es war verständlich, da er nebenbei viele Aufträge am Hals hatte. Die Frühschicht war ja damit beschäftigt, den Inhalt der Behälter einzulagern und wir entnahmen einiges. Es waren die typischen Einkaufslisten der verschiedenen Kunden. Bei einer Sache in puncto Einlagern war ich unvorsichtig. Da musste ich eine Hantel einlagern und aufgrund des Gewichtes, denn ich war alles andere, als ein Schrank, ging eines der oberen Fächer glatt zu bruch. Brent war fassungslos.

" Was soll das denn? Das kann doch nicht so weiter gehen. Hast du keine Kraft nach all den Monaten?"
Danach ging er weiter, um selber etwas einzusortieren. Er müsse den Fehler wohl selbst beheben oder sich bei van Patten rechtfertigen. Ob sie Rücksichtnahme kannte, erlag immer mehr den Zweifeln. Der Rest des Tages brachte keine Probleme. Elzzup half natürlich mit und ohne ihn, wo wären wir dann. Er trug ständig einen tief gelegten Filzhut und eine Hornbrille. Des Weiteren trug er eine Atemschutzmaske, weil er den Staub weitaus weniger vertragen konnte. Bei Fergie war es anders. Nur dieser redete kaum, verhielt sich unauffällig und tat alles, um Kontakte zu meiden. Auch van Patten empfand ihn als unauffälligen Typen, der schweigend seine Arbeit machte und nur als Statist glänzte.

 

 

 

Tag 162

 

Ein weiterer Feiertag war angebrochen. Aber ich verbrachte wirklich die Zeit, mich um die Berichte zu kümmern. Und wenn es den ganzen Tag dauern sollte, denn nur darauf verpflichtete ich mich zur Konzentration. Sollte ich fertig werden, dann...

Dann kontrollierst du gefälligst, ob du nichts ausgelassen hast, verdammt noch mal!!!

Bad Ass war sauer. Nicht, weil er Siegel in allen recht gab, das nicht nur. Er wollte alles tun, mich davon abzuhalten, das Reich des Killers zu mustern.

Du würdest dann Albträume kriegen und mit großer Wahrscheinlichkeit in der Gummizelle enden. Das ist nicht der Sinn und Zweck! Mach das, worum Siegel dich gebeten hat und heute akzeptierst du nur dieses einzige Ziel! Solltest du mit dem Kontrollieren fertig werden, dann kontrollier es nochmal. Erst beim fünften Mal, das wird bestimmt so gegen Abend sein, kannst du dir Lebensmittel besorgen. Aber du gehst mir heute unter keinen Umständen in die erste Etage. In der dritten und dann Abmarsch zurück in die Zelle!

Was sollte ich sagen? Ich gab den Anordnungen nach und tat das Nötigste. Ich gab mir sogar Mühe mit der Schönschrift und Inny gab das Versprechen, mir dabei zu helfen.

Möge die Vernunft letztendlich doch noch siegen, dachte ich.

 

 

 

Tag 163

 

Fast war ich fertig, es fehlten noch Abrundungen, aber ich fiel früh genug in den Schlaf und hatte auch noch einen merkwürdigen Traum. Ich saß an einem belebten Bahnhof und schrieb wie ein Wahnsinniger diese Berichte in bestmöglicher Ausführung. Da torkelte ein Obdachloser in meiner Nähe, der mit Absicht sich daneben benahm. Er rülpste dauernd und kratzte sich die Läuse von seiner Fettfrisur. Er brüllte immer wieder dieses Wort 'FREIHEIT'.

" Freiheit! Freiheit! Rülps! Freiheit! Freiheit! RÜLPS! Freiheit!"

Dann wandte er sich rasch zu mir.

" Weißt du, was Freiheit ist?"

Er sah mich an, als erwarte er eine spezielle Parole von mir. Aber er ging weiter und rief mit weiteren Rülpsern als Unterbrechungen das Wort Freiheit in den Wind.

Dann erwachte ich und mein Mund war dabei trocken. Vorbeugend hustete ich.

Auf der Arbeit verbrachte ich blindlings den Tag auf der 21. Rosa war sowieso aufgetaucht und wie es aussah, fehlte niemand. Shannon turtelte mit Crispin, (jetzt nicht übertreiben) aber die Sache war nach wie vor merkwürdig. Kurz darauf kam Vopen und gab van Patten ein Klemmbrett ab. Dann verließ er die Abteilung. Vopen war noch was älter als Siegel und nicht weit von der Pension entfernt. Schätzungsweise fünf oder sieben Jahre hätte er noch zu arbeiten. Wenn er sich nicht in den Kopf setzte, früher zu gehen.

Als Stunden später etwas Leerlauf anfiel, unterhielt sich Arras mit Minnie und zog sogar Fergie ins Gespräch rein. Auch Wanda hörte mit.

"... und es ist klar, dass ich ab und zu mir ein Whiskey gönne. Aber dass andere sich darüber lustig machen, ist asozial. Ich lass mich von denen nicht abfällig behandeln. Nach alldem, was ich für die schon getan habe. Aber wenn DANN alles voll wird und einer von denen brüllt ' WARUM HILFT MIR DENN KEINER!!!', dann können die Heckenpenner mit mir nicht mehr rechnen."

Ich wusste nicht, wen sie meinte, aber es war ja auch nicht meine Angelegenheit. Außerdem hatte sie vor allem jetzt eine Fahne. Sie durfte sich nicht dabei erwischen lassen.

Squeedistico wäre bestimmt auf konsequente Weise vorprogrammiert.

 

 

 

Tag 164

 

Warum sollte ich Nelly vergessen? fragte ich mich.

Darum. Hast du immer noch nicht begriffen, wie dein Stand ist? fragte Inny. Komm, wir wollen mal uns um den Rest der Berichte kümmern. Siegel hat dir Zeit bis Dienstag gegeben, stimmt's? Geh am Montag zu ihm. Bis dahin werden wir es locker schaffen.

" Du wirst es nicht glauben, aber ich habe immer noch keinen Anhaltspunkt, wen ich als Täter bloßstellen könnte."

Das musst du mit Bad Ass ausmachen. Aber wenn ich dir einen Ratschlag geben kann, dann nenne einfach blind einen Namen.

Ich stimmte zu und machte mich an die Arbeit. Es dauerte fünf Stunden und ich tat, was diese Stimmen mir einflößten. Das war einfach sicherer, denn in dieser Lage hatte ich Sicherheit dringend nötig. Die Petroleumlampe verstarb einfach nicht. Das war seltsam. Oder gab es jemanden, der die Lampen ständig kontrollierte? Vielleicht einer der Hausmeister?

Nun störten mich auch noch die Haare, die scheinbar dünner geworden waren und mir ins Gesicht fielen.

Als ich dann endlich fertig wurde, atmete ich zwar auf und Inny bat mich, nochmal alles durchzugehen. Wenn schon so eine Leistung erfolgte, dann musste sie durch eine glänzende verbessert werden. Aber im Laufe der Zeit war ich wirklich fertig und womöglich auch mit den Nerven.

Du hast dich tapfer geschlagen. Ich gratuliere. Jetzt hast du eine dicke Pause verdient.

 

 

 

Tag 165

 

Abgesehen davon, dass eine von mir angenommene Zwangsentscheidung mich unterbewusst quälte, schlief ich für meine Verhältnisse noch recht gut.

Wie hast du dich jetzt entschieden?

Das hatte ich geahnt. Wenn er mir nicht die Zeit gäbe, die ich benötigte, wäre ich der Sturheit versessen, Bad Ass nicht mehr zuzuhören, da dies schon an einer Schikane grenzte.

Keine Angst. Die Zeit kriegst du. Bis spätestens neunzehn Uhr.

Zuerst nutzte ich die Zeit, meine Berichte nochmal schnell zu überprüfen. Als meine Einschätzung sich als richtig erwies, dachte ich stets an meine Entscheidung und ob ich in der Lage war, etwas zusammenzureimen. Es gab nichts Verdächtiges. Mit zahlreichen Überlegungen drehte ich mich stundenlang im Kreis herum und auf einmal war eine Sache. So gegen Ende der Mittagszeit traf ich die Entscheidung.

" Also schön, Bad Ass. Offensichtlich muss man wirklich tiefer graben, um den Erdkern zu entdecken. Ich schließe somit Shannon aus, unabhängig davon, wie exzentrisch iht Auftritt zu sein scheint. Schließlich hat sie mich nicht eine Sekunde wahrgenommen, geschweige meine Existenz verkannt. Aber eine Frage hätte ich. Ist sie ein Vampir oder etwas in der Art? Ein Sukkubus?"

Als normaler Vampir aus den üblichen Geschichten wäre sie schon längst Staub. Ein Sukkubus ist sie auch nicht. Sie ist schlicht eine Praktikantin mit leichten Hormonproblemen. Ob sie sein Schutzengel ist, so bin ich mir nicht sicher. Der Killer hat zu viel Kraft. Wenn du genauer hingesehen hättest, konnte sie in echt maximal fünf Kilo heben. Das war's dann. Crispin hatte ihr dann helfen müssen. Sie ist zwar groß und schlank, aber eine absolute Nichtsportlerin.

" Dann bleibt einfach nur noch Drockett Prockefellow übrig, weil er auch den Notausgang unmittelbar neben sich hat. Ein leichtes Kommen und Gehen."

Mein lieber... das hast du gesagt. Behalte ihn im Auge, wenn es nun dein Gemüt beruhigt.

 

 

 

Tag 166

 

Bevor ich meinen Job auf adrette und unkomplizierte Weise antrat, gab es noch einiges zu erledigen. Dafür war ich um acht auf und ging zum Friseurladen, der nicht weit von Siegels Büro entfernt lag. Der Salon war zwar nicht das, was man modern nennen konnte (hier waren hohe Ansprüche nicht angebracht), aber besser als nicht. Und der Friseur war kein Stümper, Gott bewahre, schließlich musste der Ruf nicht auch noch mehr leiden, als nötig. Ich wollte natürlich nicht alles weg haben, nur insofern, dass sich mein Gesicht erkennen ließe. Und Simsalabim, nach einer Viertelstunde waren die Spitzen weg, wenn nicht, darüber hinaus, die Ohren halb bedeckt und mit Gel gestylt, was schon fast an einer William-Shatner-Frisur grenzte. Wenigstens war die Stirn fast frei. Danach lief ich zu meiner Zelle, weil ich glatt die Berichte vergaß, aber auch weil mir noch etwas Zeit blieb. Ich würde es doch kurz vor der Arbeitszeit anstellen. Nebenbei bemerkt glaubte ich auch, dass Siegel noch nicht aufgetaucht war. So ein kleines Frühstück konnte also nicht schaden. Erst war der Toilettengang dran.

Als ich Mr. Siegel die Berichte abgab, nahm er alles an und fragte mich noch, wie ich mich fühlte.

" Naja, es war nicht einfach..."

" Haben Sie ein schlechtes Gewissen?" fragte er mit erhobenen Augenbrauen.

" Ich schätze ja."

" Aber Sie haben es geschafft. Ich werde alles nachschauen. Aber es darf nicht nochmal vorkommen. Sonst bekämen Sie wirklich Probleme mit mir."

" Verstanden."

Alles war schon mit Ehrfurcht gebunden.

" Sie können jetzt gehen", sagte er.

Das war irgendwie noch gutgegangen. Ich merkte unterwegs, wie aufgeregt ich war. So hoffte ich nur, dass alles seine Richtigkeit hatte.

Dann ging ich eine Etage höher, machte mich sofort an die Arbeit und schaute noch um mich herum. Eine Gelegenheit, Prockefellow zur Rede zu stellen, bot sich heute offenbar gar nicht. Das Wetter galt schon als staubtrocken und meine Nase lief. Die Pollenzeit breitete die Arme aus.

 

 

 

Tag 167

 

Meine Güte, war ich mit einem gewaltigen Schnupfen gestraft. Keine Erkältung sondern Heuschnupfen dritten Grades. Hätte einer das berücksichtigt? Bestimmt nicht. Viele Insassen, jedenfalls die meisten von denen handelten nach dem Motto: Jeder ist sich selbst der Nächste. In einer kleinen Kammer neben der Dusche waren doch, wie ich glaubte, Stofftaschentücher vorhanden. Also öffnete ich die Tür, ansonsten waren verschiedenste Kleidungsstücke da, natürlich Altkleider. Die meisten waren gut erhalten. Es musste ja nicht einer herumlaufen, als ob ihn eine Mine zerfetzt hätte. Ich nahm fünfzehn Stofftaschentücher mit und begab mich zu den üblichen Stationen. Es war halb eins und Minnie unterhielt sich mit zwei Personen und Wanda.

" Ach, Minnie! Kannst du nicht ein anderes Parfum auftagen? Das ist billig", meinte die eine.

Die andere meinte: " Mottenkugeln."

" Nein, das riecht wie Hundepisse!"

" Nein Mottenkugeln."

" Ist doch egal", sagte Minnie. " Wenigstens rieche ich nicht nach ausgekotzten Gummibären."

Alle vier lachten. Die zwei Frauen arbeiteten oben auf Station 9 und 10. Minnies Freund tauchte etwas später auf. Ein großer, kräftiger Typ, etwa wie Peyton Heggers. Nur wenigstens gut aussehend. Er war für die Station 16 verantwortlich. Das war auch so am Ende und ich fragte, ob er auch eine Tür an der Seite hatte mit der Beschilderung NOTAUSGANG.

Bei der Frage blockte er ab, lächelte seiner Freundin zu und verließ uns.

Später war dieses Treffen wie üblich und viele waren versammelt. Mina, Francesca, Milla, Talia, Ralph, Tekin, Crispin, Cristina, Mitch und Alec. Adam fehlte. Er war durch einen Arbeitsunfall krank geschrieben. Es war lediglich ein kleiner und knapper Unfall beim Gitterboxenaufbau. Ursprünglich war er in der Wareneingangsabteilung, doch ausnahmsweise benötigten sie ihn in einer anderen Abteilung als Paketabnehmer/ Sortierer.

Siegel kam nicht. Alle besaßen wahnsinnig viel Gesprächsstoff. Bei mir war das bedauerlicherweise nicht angebracht. Meine ganzen Taschentücher hielt ich vors Gesicht. Die Nase lief wie ein Tsunami. Und die Krönung: Keiner schenkte mir Beachtung. Vielleicht wollte ich mich einfach verbuddeln.

Später ging es wieder los und ich kämpfte mich durch.

 

 

 

Tag 168

 

Die Lage hatte sich mit dem Schnupfen etwas gebessert. Auch nur etwas. Als es erneut seinen Lauf erbrachte, sprach mich Rosa plötzlich an. Das war das erste Mal, dass ihre Laune erträglich war.

" Oh, du warst beim Friseur. Das ist aber mal was ganz anderes."

" Ja. Ich fühle mich auch dadurch etwas entlastet."

Dann kam van Patten zu mir und bat mich, zur Station 30 zu eilen. Also tat ich es. War das Schicksal? Dann konnte ich ja den Verdächtigen auf Schritt und Tritt beobachten.

Da war er nun. Machte aber einen ganz anderen Eindruck. Er war gestresst und es waren reichlich Aufträge zu erledigen. Einige dieser Behälter waren auf dem Boden gelandet und ich gab alles, um loszulegen. Das war nicht einfach. Auch ich geriet ins Dilemma und schwitzte wie ein Eisbär im Regenwald. Dann kam der nervraubende Schnupfen wieder. Mehrmals hintereinander nieste ich. Trotzdem gab ich Gas, um alles in einem ruhigen Stand entstehen zu lassen. Drei Stunden mussten vergehen, dass wir beide verschnaufen konnten. Dann nutzte ich die Gunst der Taschentücher und blies alles hinein, wie meine Lungenfunktion hergab. Da redete Drockett mit mir über die Situation.

" Diese Taschentücher sind der reinste Schrott. Ich gebe dir ein Tempo, da hast du viel mehr von. Sowas ist kontraproduktiv."

" Wo kriegt man die denn?" fragte ich.

" Es gibt ein Kiosk am Friseursalon. Nur hat er bestimmte Öffnungszeiten. Von acht bis zwölf und von drei bis sieben. Vorgestern hatte er wegen Krankheit geschlossen."

" Deswegen habe ich ihn dauernd übersehen. Da achte ich demnächst drauf. Keiner hatte das erwähnt."

Sonst hatte ich oben gewisse Sachen besorgt. Aber dort gab es nun mal nicht alles.

Danach kam wieder einiges, nur nicht so wild wie vorher und nach zehn Minuten legte sich das ganze.

Jetzt musste ich ihn das fragen, was schon in mir loderte.

" Entschuldigung? Ich wollte nur wissen, was es mit dem Notausgang auf sich hat!"

" Ist halt ein Notausgang."

" Nein! Ich befürchte, da steckt viel mehr dahinter", sprach ich mit emotionaler Ungeduld.

" Ich WILL darüber nicht gerne reden! Denkst du, ich arbeite hier gerne? Die vorigen Jahre haben mich schon zu einen Hitzkopf gemacht, weil die ständige Verantwortung, die auf mich lastet, an meinen Nerven zehrt. Aber seit mehreren Monaten höre ich dort unheimliche Geräusche. Wenn ein Warenaufkommen sich erhöht, ist das nicht von Bedeutung. Die Pusher können das übertönen, aber wehe, es herrscht Leerlauf. Dann stelle ich mir vor, dass dahinter eine lebensechte Geisterbahn wäre. Kombiniertst du das mit einem Irrenhaus für unheilbar Wahnsinnige, dann brauchst du nicht einmal zu lauschen. Van Patten ist es egal! Für sie zählen nur Dollars. Und Mullinghouse hält sich aus Schwierigkeiten gerne raus. Sie ist eine bequeme Person. Wenn dann von mir Gemeckere kommt, dann wird mit Squeedistico gedroht! Jedenfalls bin ich Tag für Tag froh, wenn die Arbeit endet. Dann werden Reste weggeräumt und ich beeile mich extra."

Ich musterte ihn und irgendwie glaubte ich ihn. Ich wusste nicht wieso. An seinem Gesicht konnte ich erkennen, wie fertig er mit der Welt war. Er sah ein bisschen ausgemergelt aus und seine verbitterte Ausstrahlung gab mir zu verstehen, dass die Zeiten, die mit Spaß und Freude zu tun hatten, für ihn vorbei waren.

Um zehn war es vorbei. Er bat mich, kurz zur 28 vorbei zu schauen, weil Luana Weymers sich schon verabschiedete.

" Schlaaaaaf gut", sagte Nelly aufheiternd.

Da waren nur noch drei Behälter zu erledigen und alle konnten aufatmen.

Später kam ich kaum zur Ruhe. Ich hätte mich am liebsten mit einem Richterhammer in den Schlaf geschlagen.

Wer konnte der Killer bloß sein? Wie es aussah, war ich genauso schlau wie zu Beginn. Würde Bad Ass am Sonntag mir die Ehre geben, die Karten neu zu mischen?

 

 

 

Tag 169

 

Heute war etwas Verrücktes passiert. Das ganze System hatte den Geist aufgegeben. Die Geschäftsleitung würde mit hoher Garantie außer sich sein. Genau wie der Betriebsleiter Yoace. Oder Siegel und Vopen, die nächsten auf der Rangliste. Und Leute wie Rory Heribertsen. Und van Patten. So funktionierte Hierarchie, wie ich stets zu sagen pflegte.

Sie schlugen vor, dass oben ab 18 Uhr eine Zusammenkunft der Insassen stattfand. Freiwillig. Da war ich nicht abgeneigt. Aber viel tat sich auch nicht. Leute saßen verstreut herum, Platten der 90er Jahre wurden aufgelegt und wer das Bedürfnis hatte, zu tanzen, brauchte sich nicht zu zieren. Vielleicht war der Killer auch heimlich getarnt und ich fände es witzig, ihm beim Breakdance zu erwischen. Da lachte ich bei dem Gedanken, als hätte ich mir einen originellen Witz erzählt. Dann verklang das Lachen, das mir die nächste Zeit vergehen würde.

 

 

 

Tag 170

 

Grünes Licht gab es für das Arbeitsstraflager und die Technik erholte sich von dem Kollaps. Dafür hatten wir umso mehr zu tun. Vor allem auch die Großmengen hatten darunter zu leiden. Zum einem musste der Zuständige für die Frühschicht länger arbeiten und dann wurde Arras Byrton, Fergie Styrne und Brent Misher mit verdonnert. Auf der 19 war nun Grazia und gab alles. Wanda und Hunt machten die 20, Hep und Juwel die 21, Minnie und ich die 22. Crispin und Shannon machten auf der gegenüberliegenden Seite weiter. Es wurde heute ordentlich gekämpft, sodass einfach jeder ins Schwitzen kam. Da bei den Großmengen sich Fehler bemerkbar gemacht hatten, bekem die Arras von ihrer Vorgesetzten einen deftigen Einlauf. Dass ihr Arbeitstempo blindgängerisch sei und gerade in ihrem Aufgabenbereich Fehlbelegungen sich anhäuften. Die Pausen mussten leider dran glauben und wir bluteten für das Versagen der Technik. Minnie war den ganzen Tag besonders still und unkonzentriert und das brachte mich in einer starken Bredouille. Erst als Fergie dann zu uns lief, kam die Rettung in letzter Sekunde. Wir blieben alle bis elf. Dann weinte Minnie Nouri. Wanda tat alles, um sie zu beruhigen.

" Ich weiß nicht, wo mein Freund ist. Seit gestern vermisse ich ihn (SCHLUCHZ) wie verrückt. Der kann doch nicht einfach so verschwinden."

" Der wird doch wieder auftauchen", versicherte ihr Wanda, obwohl sie sich selbst eingestehen musste, als schlechte Lügnerin darzustehen. Was dann aus dem Mund der besten Freundin kam, hatte sie auch befürchtet.

" Es ist wie bei den anderen, die spurlos verschwunden sind. Einige wurden tot aufgefunden. Und ich weiß es ganz genau! Ich hab das alles gehört. Er ist noch nicht geschnappt worden! (SCHLUCHZ, HEUL, BUHUHUHUHUH)!!!"

Bei dieser Sache wurde mir klar, dass Eskalationen nun vorprogrammiert waren. Ich brauchte nun Bad Ass. Vielleicht hatte er eine Theorie, die als Inspiration diente.

 

 

 

Tag 171

 

Da hast du schon einige Dinge mitmachen müssen, erklärte Inny, während ich mich in der Halbschlafphase befand. Hauptsache, mein Körper war nicht geschwächt. Nicht so, dass ich Schwierigkeiten hatte, mich zu bewegen, sondern, dass ich meine fünf Minuten brauchte. Dann ging es etwas besser. Mit Gähnen, Recken und Strecken sah die Welt anders aus.

" Was gibt es denn so Wichtiges?"

Anscheinend bist du in einer Phase geraten, wo sich alles immer mehr zum Guten wendet.

" Ich verstehe nicht, was daran gut sein soll? Es ist doch gar nichts entschieden, wir haben mehr Aufträge, als hätten wir eine besondere Saison erwischt, der Killer läuft noch frei herum und lacht uns aus und die erste Trauer fand statt. Außerdem weiß ich nicht, ob Siegel die Berichte akzeptiert."

Es wird wohl das geschehen, was ablaufen muss.

" Ich denke, schlimmer kann es wohl nicht werden."

Schlimmer geht immer. Du könntest lebenslänglich hier sein, du könntest irgendwann in Squeedistico landen, der Killer würde sich entschließen, dich zu beseitigen, alle Insassen um dich herum würden sich gegen dich verbünden und auf dir herumhacken, Siegel würde dich so fertig machen, dass eine Blattlaus für dich ein Elefant wäre. Alles wäre geringfügig möglich. Ich glaube nicht so daran. Heute steht gar nichts an, also lass dich treiben.

" Und morgen muss ich mit Bad Ass reden."

Hoffentlich stünde eine Lösung für mich parat.

 

 

 

Tag 172

 

Das Durchschlafen erwies sich als komplizierter, als gedacht, weil ich es wagte, Bad Ass um sechs zu wecken. Er reagierte nicht. Dann döste ich und eine Stunde später probierte ich es nochmal, als ob ich vor seiner Haustür stünde und er sei entweder nicht anwesend, noch am schlafen wegen einer gestrigen Sauftour oder er säße lange auf dem Pott. Erst um zehn regte sich was. Es ging vor lauter Aufregung nicht anders.

Was gibt es denn, was dich so beschäftigt? Ist es das, was ich vermute?

" Wie soll ich weiter vorgehen? Ich bin gezwungen, Prockefellow auch noch von der Liste zu streichen, weil ich erlebt hatte, wie sorgenvoll er auftrat."

Da stimme ich zu. Er hatte Angst vor seinen eigenen Schatten. Ich würde auch so reagieren, wenn ich in seiner Haut stecke.

" Es gab noch ein Opfer. Minnies Freund. Das ist schon alles erschreckend."

Glaubst du auch wirklich, dass er das nächste Opfer war? Ebenso könnte er der Täter sein. Er arbeitete auf Station 16 und daneben könnte auch ein Notausgang sein. Müsste, weil es sonst unlogisch wäre und man den Architekten dafür verklagen müsste. Du kannst dich morgen mal überzeugen. Aber geh vor allem nicht weiter!

" Ich war vor einer gewissen Zeit auch dort und hatte versucht die Nachricht einzustudieren."

Und du hast eins auf die Rübe bekommen und der Killer hatte mit dem Ausbau ziemlich angefangen. Was jetzt dahinter stecken könnte, kann nur ein Schock fürs Leben sein. Und außerdem würde ich Minnies Freund nicht ausschließen. Als du nach dem Notausgang gefragt hattest, war er ausgewichen. Das muss einen Grund haben.

" Na schön, ich schau mir das mal an. Aber was hätte ich davon?"

Erleichterung? Gewissheit? Gib zu, er könnte es sein.

" Die Wahrscheinlichkeit ist bei fünfzig Prozent. Das weiß ich."

Wer käme sonst in Frage? Hast du noch weitere Verdächtige zum Präsentieren?

" Im Moment steh ich wie zu Beginn da. Ich suche auch nach Motiven, finde aber nichts. Das alles ist so raffiniert und verzwickt. Also kann ich nur abwarten und in Kauf nehmen, dass der Killer sich noch ein Opfer holt."

Wie es aussieht hat dich die Lage zurück katapultiert.

" Was wäre, wenn der Killer jemand ist, den ich noch nie gesehen habe. Das kann man sich auch vorstellen."

Ich möchte keine Hinweise geben, aber so unbekannt wird er wohl auch nicht sein. Ich hab so ein eindringliches Gefühl, dass du ihn schon zu Gesicht bekamst. Vielleicht auch nur kurz. Er ist bestimmt nicht zu sehr verdeckt. Dann wäre es kein Mensch, sondern eine Märchengestalt aus weitbekannten Romanen.

" Das bringt mich wohl ebenso nicht weiter, nicht wahr?"

Du könntest wenigstens versuchen, deinen Scharfsinn zu verstärken. Beobachte alle haargenau. Irgendjemand muss dir doch aufgefallen sein.

" Nun habe ich Kopfschmerzen. Die ganze Sache hat mir viel Nerven und Energie geraubt."

Bad Ass schwieg. Vielleicht verschwieg er was.

 

 

 

Tag 173

 

Mir fiel gerade ein, dass laut den Plan in Juli eine neue Abteilung eingeplant war. Es kam mir augenblicklich vor, als stünde ich unter Druck. Als würde Bad Ass mir erzählen, dass ich nur noch neun Tage Zeit hätte, den Täter zu ermitteln und ich wurde in dem Spiel so massiv zurückgeschleudert, dass ich im Dunkeln tappte. Als ich unterwegs war, stand schon Siegel um die Ecke und bat mich ins Büro. Schlecht gelaunt war er aber nicht gerade, man konnte sich trotzdem irren, denn die zwei Gesichter würde wohl inzwischen jeder kennen gelernt haben. Ich befand mich also drinnen. Er hatte noch mit einigen Sachbearbeiterinnen eine Kleinigkeit zu bereden, während ich stillschweigend wie auf einer Anklagebank Platz nahm. Dafür konnte ich mir die Zeit nehmen, das Büro zu begutachten. Alles hatte seine Ordnung, außer dieses unpersönliche Leben. Nicht einmal Familienfotos waren präsent. Die Wände waren auf ausdruckslose Weise kahl, weiß und zurückweisend. Auf einigen Schränken befanden sich Geschichtsbücher, Wirtschaftsbücher und das Strafgesetzbuch. Die nächste Frage, die ich mir stellte war, ob er überhaupt ein Hobby besaß? Beim näheren Hinsehen fand ich auf dem Schrank daneben Kolbenhirse. Futter für Wellensittiche oder Zwergpapageien. Aber es war keiner dieser Tiere sichtbar. Danach kam er.

" Tut mir leid, dass Sie etwas Geduld aufbringen mussten, aber jetzt kommen wir zur Sache."

Kam nun das Ende? Wenn ja, bekäme Inny richtig viel Ärger und wenn dann die Verachtung käme, musste ich es darauf anlegen, die Stimmen aus meinem Kopf zu verbannen, denn verzeihen könnte ich in der Hinsicht nie.

" Erst einmal bekommen sie die Berichtshefte wieder. Alles in allem nicht übel, aber die Formulierungen könnten wesentlich besser sein und meistens steht so dasselbe drauf. Nicht exakt, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Tätigkeiten immer die gleichen sind. Sie können sich gerne an einige Ihrer Mitstreiter wenden, wenn irgendwas unklar ist. Zum Beispiel an Mr. Ogin. Oder Mr. Ferry. Mr. Coppers Berichte sind auch sehr gut. Bloß an Mr. Buckley würde ich nie ein Beispiel nehmen. Seine Berichte sind schlecht. Wie gesagt wenden Sie sich an die vorher genannten Kollegen, denn so ein Unerfahrener wie Sie sollte das echt annehmen. Ich verlange nicht, dass Sie jetzt alles neu schreiben, das wäre Quatsch. Aber von jetzt an. Ich glaube, Sie werden das hinkriegen."

Ich nickte.

" Das wäre dann alles. Viel Spaß bei der Arbeit."

" Danke", sagte ich und nahm die Sachen mit. Als ich oben ankam, versteckte ich diese unter einem Schränkchen im kleinen Aufenthaltsraum. Darüber befand sich die Mikrowelle. Dann ging es weiter und wie es aussah, musste mich niemand heute wegholen. Wanda kaute während der Arbeit Kaugummi und man konnte es knacken hören. Ich äffte das Geräusch unaufgefordert nach. Sie belächelte das. Dabei dachte sie nicht daran, dass es Minnie immer noch schlecht ging. Sie arbeitete langsam und machte häufig Pausen. Und was tat Wanda mit der Zeit auf einmal? Anstatt ihre beste Freundin aufzuheitern, pirschte sie sich an die Mitinsassin Gisela Bookarest und schleimte sich ein. Sie bekam zufällig mit, dass die Wynter bald in Rente geschickt werde und die Bookarest eine Beförderung erwarte, weil sie von allen am ehesten fehlerfrei arbeitete. Vielleicht hätte ich die Aufgabe übernehmen können, Seelsorger zu spielen. Doch irgendwas sagte mir, dass ich es bestimmt verkehrt anpacken würde und somit die Lage verschlechtere. Dann war einiges mehr zu tun und ich verschob den Besuch der zweiten Etage auf morgen.

 

 

 

Tag 174

 

Noch immer konnte ich mir nicht ausmalen, wer der Täter war. Gestern ging es einfach nicht. Als ich meinen Job antrat kam van Patten gezielt zu Crispin und forderte ihn auf, immer noch zur anderen Seite zu gehen. Sie starrte ihn seelenruhig an wie ein Widerstandskämpfer, der absichtlich ein Verständigungsproblem verursache. Dann starrte sie auf mich und ihr Blick erzählte schon viel mehr als eine Story. Später beim Treffen um halb drei war die Hälfte versammelt. Ralph, Adam, Crispin und ich mit Milla, Francesca und Tekin.

" Geht es dir wieder besser?" richtete sich die Frage von Ralph an Adam.

" War ein harter Moment", antwortete er.

" Was hast du gemacht? Beim Aufbauen die Eier dazwischen gehabt?"

" Sehr komisch."

Dann wandte er, Ralph, sich an Crispin und mir.

" Und wie gefällt es euch dort?"

Crispin und ich schauten uns fragend an, als wüssten wir nicht, was wir von irgendetwas noch halten sollten. Dann kam eine Antwort.

" Dir geht es doch bestimmt wie mir", meinte Crispin.

" Ich habe ein Jahr länger verbracht als ihr beide und ich hab das auch sechs Monate aushalten müssen. Habe mir Blasen gelaufen und musste sämtliche Stationen im Zehnminutentakt aufsuchen und hier und da schnell aushelfen."

"Freiwillig?" kommentierte ich, ohne daran gedacht zu haben, dass es schon zynisch klang und womöglich hatte ich da einen wunden Punkt getroffen.

" Was? FREIWILLIG?" Ralph war gereizt. " Weißt du, was ich freiwillig gemacht hätte? Alle Regale zum Einstürzen gebracht und ein Domino-Effekt erzeugt!"

Daraufhin erwähte Crispin: " Aber die van Patten kann einen auf dem Sack gehen! Die ist ständig am nörgeln, kritisieren und kontrollieren!"

Ich stimmte total zu. Sie vergiftete meines Erachtens manchmal das Arbeitsklima.

" Ich finde sie aber schwer in Ordnung", meinte Milla. " Ich weiß nicht, was ihr so für Probleme habt, aber ich komme mit ihr klar. Außerdem ist Vertrauen zwar gut, Kontrolle jedoch besser."

" Aber nicht so maßlos übertrieben", erwiderte Ralph. " Ich könnte sie auch nicht auf Dauer ertragen!"

" Ich vertrete nach wie vor meine Meinung und ich verstehe immer noch nicht, was bei euch falsch gelaufen sein soll!" meinte sie.

Als es vorbei war, ging ich nach unten. Wanda erwartete mich bereits und meinte, ich sollte mitkommen, wohin auch immer. Kiersten sagte noch ironisch: " Und sucht ihr euch die Besenkammer aus?"

" Ach Unsinn. Du denkst immer nur an das Eine. Primitiv wie immer."

Daraufhin verließen wir die Abteilung und marschierten per Aufzug im Kellerbereich. Da befand sich eine isolierte Abteilung oder eher ein Bereich, wo Artikel, beziehungsweise Gegenstände für eine besondere Ortschaft in Frankreich mit ebenso speziellen Etiketten versehen werden mussten. Auch andere Leute befanden sich dort, die ich so gar nicht kannte. Wanda stellte mich den anderen vor und bat einer Person, mir simple Anweisungen für die Tätigkeit zu geben. Und die Tätigkeit war auch einfach. Und nur für heute vorgesehen. Kurz nach Feierabend machte ich, so versprach ich mir, einen Abstecher zur Station 16. Es stimmte also. Natürlich war exakt so eine Tür wie eine Etage darunter. In mir tobte nun eine seelische Verhandlung. Durfte ich zumindest die Türklinke nach unten drücken? Ja oder nein?

(Ich kann nicht)

(Doch, es muss gehen)

(Ich traue mich nicht)

(Muss)

(Nicht!)

Betätigt. Die Tür war verschlossen und ich atmete auf. Mit affenartiger Geschwindigkeit rannte ich geschlossen zu meiner Zelle, legte mich hin und hielt mir die Ohren fest zu.

 

 

 

Tag 175

 

Gerade, wo ich mich an diese Abteilung gewöhnt hatte, fiel es mir schwer, daran zu denken, woanders zu landen. Das hatten wahrscheinlich einige. Die Berichte hatte ich in greifbarer Nähe und tat dann alles, um mich dem zu widmen. Ich war ein weiteres Mal in der Station 22 tätig und Minnies Zustand war unverändert. Oder doch? Ja gut, die sonst so magere Person war schon etwas eingefallen im Gesicht und besaß Ränder um die Augen. Und reden würde sie auch noch kaum. Dagegen war Jewels Zustand wesentlich aufgeweckter. Eher gesagt schien sie überglücklich zu sein und ich begriff nicht, weshalb. Aber was ich begriff war, dass es die letzten Stunden sein würden, sie in dem freudigen Übermut zu erleben. Als die erste Pause vorbei war, machten sich alle an die Arbeit. Jewel war die letzte und stand noch hinter Crispin. Zwei mit Leder bezogene Hände griffen nach ihr und es entstand von den Insassen aus eine unbemerkte Entführung. Es machte sich erst bemerkbar, als Hep sich etliche Minuten alleine durchkämpfen musste. Von da an galt ich als Ersatz. Als der Killer zuschlug konnte Jewel Surth nicht schreien. Während des Griffes wurde mit geballter Kraft der Unterkiefer zerquetscht und offenbar nahm ihre Zunge dabei auch noch Schaden. Crispin musste schnell zur Station 26 rennen, weil sich einiges staute.

 

 

 

Tag 176

 

Ich hätte es ahnen sollen, dass der Sturm die Ruhe wegkickte. Das hieße auch, den Drang auszuleben, scharfsinniger durch einige Stationen zu gehen. Es war bereits Donnerstag und ich tat während der Arbeitszeit alles, um Personen einzeln zu mustern. Ich kam einfach nicht dahinter. Die Fassaden waren gepanzert und ich konnte mit keinem Mittel durchdringen. Das konnte doch keine Verschwörung sein, oder?

Nein, sagte Bad Ass. Stell dich darauf ein, dass es nur einer ist, der dirigiert. Einen Werwolf zu entlarven, wäre zugegeben einfacher. Der Verdächtige bräuchte bloß etwas aus echtem Silber zu berühren. Wenn derjenige dann sich merkwürdig verhält, ist die Wahrscheinlichkeit groß.

Ich sagte meinen Dank und befand mich auf der 21. Eine kurze Zeitspanne war Leerlauf, doch Wanda warnte schon in die Runde: " Gleich kommt wieder alles auf einmal."

Das konnte passieren. Aber ich meinte zu glauben, dass das Koordinieren und der Steuerungsablauf sich verschlechtert hatte. Wo war zum Beispiel Weaponsmith, wenn man ihn bräuchte? Die Antworten waren glasklar. Die besten mussten zufällig zuerst dran glauben. Es sollte keine Beleidigung oder Abwertung für die Übrigen sein. Jeder war irgendwo ein Kämpfer und stellte die Zielstrebigkeit nicht infrage. Aber ich glaubte eher, dass die Änderung daran Schuld hatte. Van Pattens Autorität und die verschlimmerte Ausführung der Bestrafung trugen zu der Lage bei. Organisatorisch baute auch alles schrittweise ab und die Chefs wollten davon nichts wissen. Es war heute richtig warm und Martha Sudrow, die felsenfest die Station 23 befürwortete, bot sich an, Eis für jeden zu bestellen. Ich dachte so an Schokolade. Martha schüttelte den Kopf.

" Ich weiß nicht, ob Milchprodukte zur Verfügung stehen. Darf es auch fruchtiges eis sein."

" Das ist auch in Ordnung", sagte ich.

Also setzte sie sich dafür ein, die Vorgesetzten bestellten (es war übrigens Mullinghouse, die die Bestellungen ausführte) mit einem kurzen Anruf und eine Stunde später wurde alles verteilt. Ein bisschen umständlich war es schon, mit einer Hand zu arbeiten, mit der anderen Eis am Stiel zu halten. Bei den Temperaturen schmolz es geschwind.

 

 

 

Tag 177

 

Es war Freitag.

Es war Schontag.

Es war der Tag der inneren Einkehr.

Es war der Tag des angenehmen Wetters. Es war der Tag des Überlegens. Es war nicht der Tag, an dem die Erde still stand.

Dafür war es sogar der Tag, an dem Rosa um sechzehn Uhr verschwand. Auf dem Boden der Station 19 befanden sich Blutstropfen und Mr. Elzzup trat auch noch unbemerkt drauf. Was für ein Ignorant. Brent Misher bekam Fergie als Unterstützung und sie verstanden sich ganz gut. Irgendwie befanden sie sich auf einer Ebene. Für mich war Rosa einfach kein Verlust. Es hätte so oder so kommen können. Dann kam Siegel mit van Patten im Schlepptau. Vielleicht war es auch umgekehrt. Ich wurde in Kenntnis gesetzt, dass ich nächste Woche aufgrund des zunehmenden Personalverlusts bis einschließlich Freitag hier wäre. Bis dahin würden sie eine Lösung finden. Dann stellte ich mich darauf ein.

In den Pausen fiel mir auf, dass Hep die Zeit nutzte, zu schlafen. Es könnte auch sein, dass er meditierte. Dudley rief schon 'Mahlzeit' in die Runde.

" Oder soll ich sagen Weckzeit?" kam von ihm sarkastisch.

Hep merkte nichts davon und das Vorteilhafte war, er besaß eine innere Uhr.

Später war eine Kleinigkeit passiert, wo Wanda die Arras nach ihrem Kugelschreiber fragte. Sie meinte, dass eine ihrer Freundinnen aus der oberen Etage den genommen hätte.

" Wenn das stimmt, dann bring ich sie um", äußerte sich Wanda und lief nach oben.

Später kam sie erfolgreich wieder (das war eine Sache von fünf Minuten) und gab alles so wie wir alle und füllten mit dem Einsatz den Rest des Tages aus.

 

 

 

Tag 178

 

Ich schlief ordentlich aus. Mit dem Wissen, noch eine Woche vor Augen zu haben, gab ich mir die Hoffnung, den Täter vielleicht doch noch zu ermitteln. Es wurde Zeit erst einmal mit Inny zu reden, denn ich konnte angenehme Worte gebrauchen.

" Es ist schon merkwürdig. Jetzt taucht der Wahnsinnige wieder auf. War er die ganze Zeit im Brutkasten oder was?"

Wundert dich das? fragte Inny. Er weiß schon, was er tut. Und es geht leider weiter. Ich wünschte, ich könnte etwas Angenehmes erzählen.

" Ich möchte nur nicht, dass zum Beispiel Nelly das nächste Opfer wird. Wanda sollte es auch nicht sein."

Kannst du was ändern? Wir haben tausendmal gesagt, dass es der ungünstigste Zeitpunkt ist, an Liebe und Zuneigung zu denken. Streich dir alles aus dem Kopf. Wenn du erst einmal die Abteilung wechselst, kommst du darüber hinweg.

" Das wird nicht leicht sein."

Niemand hat dir je erzählt, dass es nach gewissen Wünschen abläuft. Vielleicht könntest du lediglich...

" AAAAAAAARRRGHHHH!!!!!!" hallte es nicht weit entfernt von hier.

Genaugenommen kam es einige Zellen weiter. Sollte ich rausrennen oder nicht?

Mach ruhig. Dir passiert nichts. Es werden sich noch andere versammeln und wie gesagt, der Killer ist nun mal kein Massenmörder.

Also rannte ich raus, wo schon Buckley und vier andere standen und anschließend wichen Alec und Francesca aus ihrer Zelle raus.

" Wir waren nur kurz Essen besorgen", erwähnte sie. " Und dann dieser grausige Fund!!! Ich habe mir schon in die Hose gemacht!!!"

Alec nickte betrübt und senkte den Kopf. Mitch und ich warfen einen gewagten Blick. Aus ihrer Toilette ragte ein Bein heraus, wobei der nackte Fuß mit den Zehen nach oben zeigte. Der einzigste, der sich nach langatmiger Überlegung traute, das Bein anzupacken, war Buckley. Dann stand fest, dass am Oberschenkelhals wohl die gezackte Trennlinie zu erkennen war. Am Knöchel war ein vergoldetes Kettchen mit den Initialien J.S. drauf. Ich dachte daran, micht nicht mehr zu wundern, wenn irgendwo ein Körperteil von Rosa auftauchen sollte. In Wahrheit beschloss ich, mich nicht mehr darüber zu staunen.

 

 

 

Tag 179

 

Wenn ich etwas mehr Geduld hätte, gestand ich mir ein. Aber ich meinte, der Killer wäre nun aktiver, als sonst. Als würde er absichtlich auf den Putz hauen wollen.

Ja, ich habe alles mitbekommen, meldete sich Bad Ass. Es scheint fast so, als ob alles aus dem Ruder laufen würde.

" Und ich habe immer noch keine Vorstellung, wer es sein könnte. Ich fühle mich wie am klebrigen Fliegenfänger gebunden. Es könnte Minnies verschollener Freund sein. Ob es ihm klar ist, wie sehr er sie verletzt? Sie baut von Tag zu Tag immer mehr ab und er lehnt sich seelenruhig zurück, dieser Schuft!!!"

Du bist dir also sicher, dass der Freund sie einfach sitzen lässt und Schicksal spielt. Ich bin der Ansicht, dass der Killer zwar sadistische Eigenschaften hat, aber er quält bestimmt nicht seine Opfer seelisch.

" Und was ist mit mir? Wie lange muss ich das noch durchmachen, während andere eventuell die Existenz leugnen? Das ist ebenfalls seelische Folter."

Ich denke, mit dir hat er ausnahmsweise etwas ganz Besonderes vor. Wenn er dich töten wollte, wärst du schon längst als Hackbraten verendet! Minnie dagegen ist eher ein Grashalm auf einem Trampelpfad. Ich glaube eher, ihr Freund musste auch daran glauben.

Mein Geduldsfaden wurde enger als eine Stecknadel.

" Hast du wenigstens einen neuen Verdacht? Es muss doch ein Anhaltspunkt geben!!! Könnte einer von uns Neuzugängen vielleicht, wie zum Beispiel Mitch..."

Mitch Ferry?

" Er war mit mir letztes Jahr in der Klasse und dieses Mal ebenfalls. Und warum musste er sich gestern rasch überzeugen, als das Bein aus der Toilette rausragte?"

Erst einmal muss ich dich erinnern, dass er dabei war, als letztes Jahr aus dem Nebenraum des Klassenzimmers Benzin den Boden entlang floss. Und er ist jetzt in einer anderen Abteilung. Frag Adam und eventuell Ralph.

" Und Crispin? Er war letztes Jahr in einer anderen Klasse. Offenbar nebenan und er ist jetzt bei mir."

Was ist mit Jewel Surth? Er war vor ihr, als sie von hinten entführt wurde. Und er arbeitete weiter, während der Täter wohl sich die Zeit nahm das Opfer zu bearbeiten.

" Und Ralph selber?"

Langsam! Du greifst dir einfach Verdächtige wahllos aus der Luft! Überlege ganz genau, bevor du voreilig handelst! Es muss etwas mit Vergangenem zu tun haben!

" Also, wenn du Sudbourg meinst, so fällt es mir schwerer etwas zusammen zu reimen."

Lassen wir mal die Vorvergangenheit links liegen. Was ist letztes Jahr alles geschehen?

" Sela Demarest... ach ja... wer hatte sie umgebracht? Sie hatte bloß einen Teil vollstreckt... jemand hatte sie als ein Ticket benutzt... aber sonst... die Abteilung Kommissionsgeschäft... es waren einige Unfälle... Kurdit, da kommt eine Erinnerung hoch, denn ich glaube nicht, dass Sela Zugang hier hatte. Es war nicht einmal bewiesen, dass sie Sly Gath oder den Cresus ummgebracht hatte. Sicher waren zum Beispiel der Part mit Typhoon und Hank... aber Kurdit brauchte Aufputschmittel von..."

Meine Augen weiteten sich und mein Herz schlug schneller, als eine Gatling. Wäre ich jetzt siebzig Jahre alt, läge ich wenige Stunden später in einem Leichensack.

" Ich bin aber auch so ein saudämlicher Tölpel!!! Ich hatte ihn am Anfang in Verdacht, schweifte dann ab und... und..."

Du ließest dich ganz schön ablenken! Erst durch deine Mitinsassen, dann nervte die van Patten mal und schon wurdest du zufällig durch den Kreis gewirbelt. Der Killer nutzte die Situation wohl aus.

" Wie konnte ich Peyton Heggers so unglaublich verdrängen? Verrate mir das!

Das habe ich ja eben erwähnt. Du kannst also nächste Woche ihn mal zur Brust nehmen. Er hat es auch nicht weit zum Notausgang. Er bräuchte nur am Ende zwischen den Regalen zu sein, dann den breiteren Gang bis zur 30 abbiegen und den Blick auf Prockefellow richten, bis dieser mit einem Auftrag intensiv beschäftigt war. Vor allem nach Feierabend wäre die Gunst ideal. Er ist groß und sehr kräftig. Er könnte das Portrait darbieten.

" Das ist schon ein hartes Stück Brot."

Wenig später grübelte ich darüber, wie ich mit ihm umspringen sollte. Ich hatte nicht viel Zeit.

 

 

 

Tag 180

 

Die letzte Woche war angetreten, wo die Stunde der Wahrheit die Gelegenheit nutzte, aus dem Ei zu schlüpfen. Wäre der Täter ein Massenmörder, könnte man sich aus einem von Sklaven betriebenen Kommissionierlager ein Ersatzteillager vorstellen. Eine zu makaber witzige Vorstellung, wenn die Kunden plötzlich Körperteile bekämen und niemand würde bis zum Endverbrauch etwas auffallen. Aber zum Lachen war die Situation so gar nicht. Francesca musste sich mit Albträumen quälen, Sie verlangte, die Zelle zu wechseln. Siegel blieb unerbittlich. Ich bot beiden an, mit mir zu tauschen, doch Francesca verneinte. Sie würde lieber mit Mitch und Crispin tauschen, doch die lehnten ab. Sie lehnte meinen Vorschlag ab, weil tief in ihrem Innern ein kleiner Verdacht gegen mich erstellt wurde. Vor allem würde sie eher in Squeedistico landen wollen, als mit mir die Zelle zu teilen. Ich kam mir aus ihrer Sicht verstoßen vor wie der Teufel persönlich.

Der allergische Schnupfen kam zurück, wie vom Zorn Gottes herbeibeschworen. Die Niagarafälle ließen grüßen.

Als ich zur Arbeit ging, kam keine Gelegenheit, an Peyton heranzukommen. Van Patten hatte heute mich vier Stationen entlang gescheucht. Einmal die 19, dann 20, zunächst 21 und zum Schluss Station 24. Arbeit war reichlich vorhanden und gewisse Überstunden ließen sich gerne blicken.

Martha wusste Bescheid, dass ich nur noch eine Woche hier sein würde.

" In welcher Abteilung wärst du dann?"

" Wareneingang", sagte ich.

" Da ist es in Ordnung. Es ist ruhiger, die Leute sind scheinbar nett und da lernst du zum Beispiel Hyatt Kroeder kennen. Der ist schwer in Ordnung."

" Da bin ich gespannt."

Jetzt überfiel mich wieder der verdammte Schnupfen. Er nahm mich in die Mangel.

 

 

 

Tag 181

 

Gott sei Dank war kürzlich niemand verschwunden. Zu rechnen wäre trotzdem damit, dass jederzeit ein unerklärtes Verschwinden stattfand. Selbst an dem Dienstag hatten alle Glück. Die Arbeiten verliefen im Standard und die Heiterkeit, die ihre etwaigen Zwischenstopps hatte, ging in die nächste Runde. Nur war es verdammt unwahrscheinlich, Minnie Nouri in einer teils fröhlichen Geselligkeit einzuspannen. Sie musste ihn abgöttig geliebt haben, um zeitnah darüber hinweg zu kommen. Er würde nun in den tiefsten Abgründen hinter dem Notausgang, wahrscheinlich in einer dämonisch unterkellerten Absteige, grauenvoll vermodern. Bestimmt bis zum Ableben des Straflagers, gelinde gesprochen.

Später, bei dem Treffen waren bloß Crispin und ich auf uns gestellt. Wir saßen sonst mirt Schulmaterial da, heute dagegen nicht, abgesehen von so einem läppischen Blatt Papier. Ich verriet nichts über den Killer. Trotzdem beschäftigte uns die Sache mit dem Bein, das aus dem Klo herausblickte. Aber Crispin hegte keinen Gedanken, er könne zum Beispiel der nächste auf der Liste sein. Eine halbe Stunde später kam Siegel. Anfänglich kam es zu einem Frage- und Antwortspiel, was wir beide mit Mühe schaffen konnten. Als nächstes bekamen wir volle Breitseite den Vorwurf ab, der uns den restlichen Tag vermiesen konnte.

" Eine Frage hätte ich. Wie kommt es, dass Sie beide mit einem leeren Blatt papier dasitzen?"

" Weil ich es vergessen hatte?" war Crispins Entschuldigung.

Ich nickte zustimmend zu.

" Das gibt einfach eine Verwarnung! Sollte es nochmal vorkommen, wäre der Tag gestorben. Acht Stunden wären dann abgezogen! Und passiert es ein weiteres Mal, dann leisten Sie einen Tag lang Doppelschicht! An einem von mir ausgewählten Montag!"

" Aber das kann passieren", äußerte sich Crispin.

" Neeeeiinn! Das darf nicht! Ich hatte es letztes Jahr im Sommer Buckley erklären müssen und auch einigen vor der Zeit! Wie gesagt, nächstes Mal will ich das einfach nicht sehen!!!"

Er ging mit enttäuschter Miene und wir hatten genauso keine Wahl, als uns an die Arbeit zu machen. Ich arbeitete auf der 21 und Minnie gab sich zwar Mühe, konnte zu ihrem Bedauern nicht mehr leisten, wie ihr seelischer Zustand es zuließ. Als wir zweiundzwanzig Uhr hatten und die letzte Wanne lief, plauderte ich mit Wanda ein wenig.

" Ich weiß, wie schlimm es ist", sagte ich. " Aber auch auf Station 16 ist ein Notausgang. Der ist aber verschlossen. Selten ist er auf. Wenn da der Täter sich Zugang verschafft..."

Wie aus einem märchenhaften Traum gerissen, wurde Minnie wach.

" Waaas isst??? Hast du eine Vermutung, wo Kobo sein könnte? Sag schon, du verdammter..."

Sie schüttelte mich, als wäre ich ein großer Regenschirm.

" Rede schon!!!!!"

Jetzt kam die Backpfeife und ihre Tränen tauchten auf.

" Aber die Tür ist verschlossen", versicherte ich. Halbwegs, verstünde sich. Nein, ich war lediglich zu sechzig Prozent sicher.

" Ich werde ihn finden", sagte sie mit tränenreicher Erleichterung. " Dann werde ich ihn überreden, mit mir zusammen zu arbeiten. Wanda kann zur 21."

" Und ich?" fragte ich.

" Du bist doch sowieso bald woanders!!! Was mischst du dich denn ein???" Sie schluchzte und rannte dabei, während ich genau ahnte, was sie vorhatte. Und ich hatte im Urin, was passieren würde. Da brauchte man keine Glaskugel zu besitzen und hellseherische Fähigkeiten zu rühmen.

Wanda sah mich anklagend an.

" War das wirklich notwendig? Durch deine Schuld sendest du eine Maus in den Fängen eines ausgehungerten Katers?"

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

" Das war wirklich die fahrlässige Aktion schlechthin!" rief Gisela Bookarest.

" Genau", meinte Martha. " Das geht nicht!"

" Normalerweise müssten wir dich alleine die Station 21 machen lassen", meinte Bookarest. " Das wäre ein gerechter Verdienst! Aber das würde van Patten nicht zulassen, mit deiner relativen Unerfahrenheit! Du solltest wirklich beten!"

Nun wurde ich gebeten, den Arbeitsplatz umgehend zu verlassen. Die anderen wollten mich heute nicht sehen. Als ich kopfsenkend die Zelle betrat, wurde ich von der Vorahnung befallen.

Nämlich Minnie Nouri nicht mehr wieder zu sehen.

Ich hätte schweigen müssen, denn in der Hinsicht war Schweigen Gold.

 

 

 

Tag 182

 

Mein Schlaf war mieserabel, vermischt mit schlechtem Gewissen und Selbstvorwürfen, bis Inny versuchte, mich aufzuklären.

Hör zu. Ich habe mit Bad Ass aufmerksam geplaudert und bin zu der Überzeugung gekommen, dass ihr Freund einem gerade als Schaschlik erinnert und Minnie ohne ihn nicht leben kann. Ich befürchte, der Killer habe sie erlöst. Sie hätte weiterhin gelitten, hätte vor sich hin vegetiert. Sie sah total krank aus. Ich kann verstehen, wenn die anderen Zeit benötigen, sich zu beruhigen.

" Ich komme mir gerade vor wie der treu ergebene Diener des Killers."

Denk daran, es steckten keine finsteren Absichten von dir dahinter. Es war grob fahrlässig, aber sie wäre nie über das gewaltige Verschwinden ihres Traumtypen hinweggekommen. Wenn sie nur etwas mehr Stärke besäße, wäre sie in einer isolierten Zelle einer mentalen Psychiatrie gelandet. Ich glaube, es musste genau auf diese Weise passieren. Die anderen müssen es erst begreifen. Der Nachteil ist, die Aktion erweitert den leicht anmerkenden Personalverlust. Aber in dem Zustand hätte sie nichts leisten können. Und andererseits wäre es die kommenden Wochen bestimmt soweit gekommen, dass van Patten sie nach Squeedistico verbannt hätte.

Schweigend ging ich zur Arbeit und keiner nahm Notiz von mir. Tatsächlich fehlte Minnie Nouri, wie vorhergesagt. Wanda würde theoretisch alleine sein. Die Arras Byrton wurde dorthin versetzt. Und die Großmengen wurden stattdessen weitaus weniger. Der Juni war vorbei und wurde logischerweise vom Juli abgelöst.

Und dieser Monat überlegte sich, wie er die Wetterverhältnisse regelte.

 

 

 

Tag 183

 

Wenigstens war Wanda nicht so nachtragend. Sie redete zwar mit mir, wenn auch mit bedürftigter Unauffälligkeit. Bei Gisela Bookarest war mir aufgefallen, dass zu Beginn, als ich sie sah, sie noch kein einziges Mal gelacht hatte. Sie erweckte den Eindruck, sie wäre eine Lebenslängliche und hatte sich deshalb eine mögliche Karriere in den Kopf gesetzt.

Martha Sudrow, die ernsthaft am überlegen war, ob der unnötig entstandene Groll gegen mich erlöschen könnte, hatte heute nur fünf Stunden zu arbeiten.

Nicht, dass van Patten ihr wegen gut erzielter und vorbildlicher Leistung freigegeben hätte und es wurde auch kein Fluchtversuch geplant.

Der Killer entführte sie genauso wie Jewel Surth. An der gleichen Stelle, nur dass Gisela die Vorletzte war. Und sie dachte danach, Martha würde irgendwo telefonieren oder der Bereichsleiterin ihr Anliegen ausschütteln. Aber auch eine Stunde später erschien sie nicht. Aber die Bookarest hatte sich bereits zeitnah gemeldet und Arras war nun bei ihr. Ich bekam die Order zwischen zwei Stationen hin- und herzupendeln und richtig Vollgas dabei zu geben. Allerdings gelang es mir bloß erschwert. Ich war aus der Puste. Van Patten unterbreitete den Vorschlag, zu tauschen. Morgen würde Tekin an meiner Stelle landen und ich lande am letzten Tag... am wirklich letzten Tag...

ausgerechnet in die Fänge des wahren Schuldigen, der mich in diese Lage wohl gebracht haben musste. Das würde passen.

 

 

 

Tag 184

 

Nun war es soweit. Ich kam mir vor, als hätte ich eine Prüfung vor mir. Und im engeren Sinne war es eine, schließlich musste ich mich gleich einem Problem stellen, was offensichtlich an Gefährlichkeit nicht zu überbieten war. Warum rüstete ich mich nicht auch noch mit vernünftigen Dingen aus. Ein Silberbarren, Holzpflock, Weihwasser, Knoblauch, Kruzifix und ein Amulett. Also ging es los und ich trottete mit weichen Knien zur Station 26. Da stand er. Er hatte etwas Ähnlichkeit mit Richard Kiel, nur mit dem Unterschied, dass Peyton die zwei Meter nicht so ganz erreicht hatte. Ein Fall wie bei Crispin. Würden beide gegeneinander kämpfen und ein Kampf der Giganten war immer etwas Spannendes, würde Heggers haushoch gewinnen. Er war absolut durchtrainiert und Crispin, der wenigstens die Möglichkeit hätte, kleinwüchsige Kakerlaken wie mich zum Frühstück zu verspeisen, würde dagegen ranzig aussehen. Ich starrte ihn an und er starrte zurück.

" Ist irgendwas?" fragte er mich leicht gereizt.

Ich schüttelte den Kopf.

Ich sah nach rechts und Hume Coughtwich arbeitete mit verdeckter Unlust. Sein Gesichtsausdruck war wie leeres Papier.

Für einen kurzen Moment kam Del Mayssner vorbei, um etwas Fehlgelagertes in die richtige Regalstelle zu legen. Daraufhin musste er umbuchen.

Zwei unbekannte Leute schoben die termingerecht aufgeführte Puppe zur Station. Dann folgte denen Darwin Lentz. Er gab Peyton die Anweisung, erst zum Schluss die Puppe zu verlagern. Dies galt überhaupt als selbstverständlich, denn ein Auftrag galt als Auftrag. Mullinghouse wurde schon in Kenntnis gesetzt. Aber wo war Enzo D'Angelini?

Ich vermutete mal, dass er schwer beschäftigt war, bestimmt auch krank.

Die Arbeit verlief im gewohnten Strickmuster und bei jedem Leerlauf, der selten sich zeigte, fragte ich Peyton etwas. Zum Beispiel konfrontierte ich ihn mit den Verschwinden einiger Kollegen. Zu Beginn war ich diplomatischer, da die Frage lautete: " Ist in gewisser Weise nicht auch etwas Ungewöhnliches aufgefallen?"

Er zuckte mit den Schultern. Entweder wollte er keine Auskunft geben oder er hielt es für klüger, den Teilnahmslosen zu spielen. Das Verhalten konnte bei mir nicht punkten. Ich musste eine Zeit finden, ihn zur Rede zu stellen. Es war die letzte Gelegenheit. Würde ich es aufschieben und in einer anderen Abteilung landen, so würde der Killer alle Spuren krematorisch auflösen und das Übel würde in der Abteilung möglicherweise von vorne beginnen.

Ich beschloss, heute bis zum bitteren Schluss zu bleiben, egal wie sich das auf meine Kondition auswirkte.

Entweder handelte ich nun oder ich verlor die Schlacht. Wenn ich den Killer entlarven würde und hoffentlich ein Mittel hätte, ihn unschädlich zu machen, so hätte ich eine dicke Last von den Schultern.

Glücklicherweise kam die letzte Wanne um einundzwanzig Uhr sechsunddreißig. In mir tobte die nervenkitzelnde Spannung. Mein Wunsch war nun, die Wahrheitsfindung zu bestehen. Als ich für einen winzigen Moment den Aufenthaltsraum an der 27 betrat, sah ich Del Mayssner auf dem Stuhl lehnend. Ein riesiger Metallsplitter steckte in seiner Schädeldecke, aus beiden Nasenlöchern floss Blut. Die Augen waren geschlossen. Ich ging rückwärts aus dieser Bildfläche heraus und gab auch keine Meldung.

Okay, Peyton! Jetzt war es an der Zeit.

" Entschuldigung? Kennst du einen Kurdit?"

" Was soll das? Bist du ein verkappter Detektiv oder was? Mach Feierabend! Ich verstehe nicht, was du hier noch willst, Kleiner!"

" Er ist tot! Mausetot. Und hier sind auch genügend gestorben, schätze ich. Ich will einfach die verdammte Wahrheit wissen! Warum müssen viele Unschuldige daran glauben?"

" Hör mal, dass Kurdit tot ist, empfinde ich nicht als besonders tragisch! Er war ein Loser! Völlig unnütz! Einfach nur ein armseliger Trottel!"

" Und hier die Mitarbeiter? Was haben die dir angetan?"

" Was willst du damit sagen?"

" Tu nicht unschuldig! Es sind genügend Leute verschwunden!"

Konnte es sein, dass es beim Schleppen dieser Puppe zu einer Beschädigung kam? Dicht neben ihr war jede Menge Schaumstoff verteilt. Ich war kurz davor, Peyton zu unterrichten, dass die Puppe hinter ihm ...

" Ist das mein Problem? Mir sind gewisse Leute so etwas von unwichtig und einige vielleicht überflüssig. Wenn du genauer hinsiehst, ist jeder leicht ersetzbar! Das ist der Lauf der Dinge. Und wenn auf einmal ein geisteskranker Killer sein Unwesen treibt..."

" Ich will eine klare Antwort! Keine Lügen und keine Ausflüchte!"

Hatte ich plötzlich eine Wahrnemungsstörung oder hatte sich die Puppe auf einmal etwas bewegt?

" Ich lüge nicht, verflucht nochmal! Ich weiß nicht worauf du hinaus willst!"

" Ich habe gerade eben Del im Aufenthaltsraum entdeckt. Möchtest du wissen, was mit ihm passiert ist?"

" Was soll schon sein?"

" Er wurde getötet!"

" Und jetzt verdächtigst du mich..."

" Wer soll es sonst gewesen sein?"

Es war hoffentlich doch eine Wahrnemungsstörung. Bitte, lass es eine sein! Denn langsam glaubte ich zu erkennen, dass von innen ein Reißverschluss sich öffnete. Zwar mit Überanstrengung, aber millimeterweise.

(RATSCH, ZRZZ, RZSCH)

Nun schaute ich Peyton ins Gesicht.

" Bitte, ich will nur Klarheit."

" Aber ich bin doch kein leidenschaftlicher Mörder! Ich bin ein Dealer. Das war ich schon immer gewesen, schon als Jugendlicher. Dann kam der richtige Knast und auch da konnte ich problemlos dealen. Hinterher wurde ich versetzt und zwar hier! Und ich deale. Das wird auch weiter so gehen, wenn mir keiner in die Quere kommt! Eines muss ich aber dringend sagen..."

Er zuckte auf einmal zusammen. Sein Gesichtsausdruck war mit immensen Erstaunen belegt.

War er wenigstens jetzt bereit für ein Geständnis? Plagte ihn doch noch das schlechte Gewissen? Dann könnte er die Gelegenheit endlich nutzen, auszupacken. Sonst würde ich andere Saiten mit ihm aufziehen. So bräuchte er nur alles zu erzählen und weinend um Vergebung betteln und ich würde auch erwähnen, ob er letztes Jahr die unheimliche Figur im Krankenhaus war, die vor dem Fußende des Bettes stand und mich geduldig anstarrte.

Schließlich hatte ich doch Angst genug. Ich würde ihn dann bitten, ihn zum Notausgang und darüber hinaus begleiten, um seine neuerstellte Leichenkammer zu begutachten. Natürlich nicht unbewaffnet, denn er könnte mich bewusstlos schlagen und ich würde in irgendeiner dreckigen Ecke oder sogar im Krankenhaus aufwachen und mehrere Tage flach liegen.

Es wäre ebenfalls möglich, dass ein Motiv, was immer es auch sein mochte und ich die ganze Zeit übersah, ans Licht gerückt werden konnte, sodass ich auch endlich anfing, zu begreifen.

Aus Peytons Mundwinkeln floss unerwartet Blut. Mein Blick war ja im Augenblick gezielt auf sein Gesicht gerichtet, ohne die Pfeilspitze zu bemerken, die aus seinem Brustkorb herausragte. Er sank dann in die Knie und lehnte sich an eines der Regale.

Der Reißverschluss war mittlerweile größtenteils offen und ich ging ein kleines Stück näher. Nun hatte ich Peytons vom Schmerz erfassten Körper hinter mir gelassen und der Verschluss war komplett offen.

Wer kroch da raus? Wer konnte es nur sein?

Tatsächlich war es Enzo D'Angelini, der einen guten Planer abgeben konnte. Wenn einer ihn als unintelligent bezeichnen würde, stünde er unter vollkommenen Realitätsverlust. Er lächelte mich an, er grinste ganz breit, sammelte den ganzen Schaumstoff ein, während ich gegen eine Lähmung ankämpfte, befüllte die Puppe wieder, bevor er den Reißverschluss hochzog (es funktionierte wirklich beidseitig) und sagte hämisch zu mir: " Es klappt wie geschmiert! Der Kunde wird sich freuen wie ein Geburtstagskind!"

Dann drehte er mir den Rücken zu, als gäbe er mir seine Version der Normalität zu verstehen.

Als er sich dann endgültig verzog, brach Peyton Heggers hinter meinen eher schlaksigen Kreuz, röchelnd zusammen. Die übrigen Kollegen waren schon längst weg, außer vielleicht Prockefellow, doch ich kannte ihn schon soweit, dass er kurz vor Feierabend so in die Arbeit mit seiner erweiterten Verantwortung vertieft war, dass er nicht einmal eine Explosion registrieren könnte.

Peyton hinterließ nun eine kleine Blutlache, die von einer Armbrust mitsamt Pfeil verursacht wurde.

Die Wahrheit war, dass ich mich plötzlich extrem alleine fühlte. So richtig im Stich gelassen. Es war trotz der Sommerzeit bitterkalt geworden.

Ich schrie aus heiterem Himmel.

 

 

 

ENDE

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 





 




















































Impressum

Tag der Veröffentlichung: 29.04.2023

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ein tolles Ratespiel, herauszufinden, wer der Killer ist.

Nächste Seite
Seite 1 /