Das Böse lauert überall, nagt an deinem Verstand, lutscht deine Seele aus, all die schönen Dinge gehen verloren und übrig bleiben düstere Abgründe, die dich dazu verleiten, unanständige Taten zu vollbringen. Nur Widerstandsfähigkeit kann noch Hoffnungen vollbringen, aber bist du stark genug, dagegen anzugehen...
A: Vor der Einweisung
Dunkelheit umhüllte mich, aber was blieb, war der Gedanke über Gott und die Welt. Ich befand mich in irgendeinem Raum. Man könnte dies im wahrsten Sinne des Wortes als perfektionierte Dunkelkammer bezeichnen. Die Einsamkeit war zwar gegenwärtig, aber ich wurde mit keinem Gedanken konfrontiert, der mir Angstzustände und scheußliche Vorstellungen einbrachte. Stattdessen dachte ich daran, wie die Vergangenheit hätte korrigiert werden müssen. Alles war von diesem Nichts umgeben. Natürlich sah ich nichts. Es war alles pechschwarz. Ich hörte nichts, weil keine Menschenseele weit und breit existierte. Ich roch und merkte nichts, weil ich nachdachte, vielleicht sogar schmollte.
Bestimmt war ich schon im...
Nein. Ich lebte.
Mit Kneifen und meinem spürenden Pulsschlag fand ich zur Erleichterung meine Bestätigung. Die Erinnerungen an Biff, Tarah und die anderen waren in mir eingebrannt. Ich konnte sowohl die Erlebnisse als auch die Freunde einfach nie vergessen. Und es gab eine Situation, da wollte ich alle wiederhaben. Vielleicht wollte ich nebenbei auch in den Genuss kommen, all das noch einmal zu durchleben. Die Pleiten, Pech und Pannen. Die Albträume, mit Hilfe eines Pulvers aus einer fremdartigen Kapsel, die unsere Psyche irrationalisieren konnten und all jenen Spaß, den wir miteinander verbrachten. Obwohl ich damals darüber ängstlich war, in gefährliche oder unbekannte Situationen zu geraten und die größte Angst darin bestand, jenes Ziel der Unabhängigkeit nicht erreichen zu können, vermisste ich dennoch alles.
Als alles vorbei war, wurden wir mit einen Transporter weggefahren. Es war totale Leere in uns drei Überlebenden. In dem Augenblick wünschte sich jeder, ebenfalls zu sterben. Doch diese unsinnige Überlegung war etwas später buchstäblich in Luft aufgelöst. Uns hatte man während der Ankunft zu dritt in einer speziellen einsam gelegenen Zelle eingesperrt, wo wir auf die nächste Verhandlung warteten. Keiner sprach in der Zeit ein Wort, weder wir noch die Staatsdiener. Es herrschte Apathie und Melancholie in der Luft. Ich bekam zumindest noch mit, wie wir die kanadische Grenze überschritten und uns jetzt in den Vereinigten Staaten befanden, wo wir dort verurteilt werden sollten.
Dann kam ein adrett gekleideter Mann und wollte mich sprechen. Er bat mich aufzustehen und mit ihm zu gehen. Daraufhin kam es zu einem Einzelgespräch.
„Ich weiß, dass du mit dem ganzen Psycho-Irrsinn am allerwenigsten zu tun hast. Außerdem, was hat dich dazu bewegt in diese hochkriminelle Vereinigung beizutreten? Die sind kein Umgang für dich! Das sind bei aller Liebe Gottes keine Freunde für dich. Und wenn ich dich so ansehe, wärst du sowieso keines Mordes oder anderer krimineller Handlung schuldig. Die haben dich doch die ganze Zeit nur als Mittel zum Zweck benutzt, kapier das endlich mal.“
Ich starrte den Mann mit seinen Moralpredigten verdutzt an.
„Deine Zukunft hast du dir schon vergeigt, als du in deiner Schule einen Monat lang unentschuldigt fehltest.“
Was, es war nur ein Monat? fragte ich mich, denn es kam mir alles viel länger vor, wenn man die Anhäufung aller Vorkommnisse betrachtete. Eine Zeit, die Langeweile einbrachte, würde auch viel länger vergehen. Aber das verlorene Zeitgefühl hatte mir offenbar einen Strich durch die Rechnung gemacht.
„Du hast auch zugelassen, dass deine falschen Freunde auch eine Katastrophe nach der anderen hinterlassen haben. Die Stadt Sudbourg ist euretwegen zur...“
Ich dachte mir schon, was da für Vorwürfe noch auf mich zukamen, aber mir war klar, als Überlebender musste ich für die Sünden der Machenschaften von toten Kameraden alles abbüßen.
„...zur Geisterstadt geworden!“
Wie konnte das sein? Ich wusste in diesem Moment überhaupt nichts mehr. Hatten wir wirklich eine Reihe von Katastrophen ausgelöst, ohne es zu merken? Hatte die Kapsel mit dem roten Pulver uns einen ähnlichen LSD-Trip verschafft, dass unsere Erinnerungen dadurch wegwehten? Oder saugte der Mann gegenüber meiner Sitzseite sich das alles aus den Fingern raus, um ein Geständnis aus mir rauskitzeln zu können über nicht vorhandene Sachen, die man uns anhängen könnte? Gar nichts fiel mir dazu ein.
Endlich sagte ich etwas zu den Vorwürfen, falls es welche waren.
„Haben Sie die anderen verhört?“
„ICH BIN DER, DER FRAGEN STELLT UND ICH VERLANGE JETZT DAS GESTÄNDNIS, DAS DER STAATSANWALT BEREITS AUF PAPIER BRACHTE!“
Das Gebrüll des Mannes gab mir das Gefühl, als wolle er jederzeit auf mich einschlagen. Ich weigerte mich, seinen Wunsch zu erfüllen.
„Ich erinnere mich nicht! Ich habe nichts getan!“
„WENN DU NICHTS GETAN HÄTTEST, WÄRST DU JETZT NICHT HIER!!! NUN REDE!!! MACH DEIN GOTTVERFLUCHTES MAUL AUF!“
Ich war bei dem Geschrei panisch zurück gerückt und da fiel mir eines ein.
„Ich will diese Kapsel. Sie ist bestimmt die Antwort auf alle Fragen.“
„Diese Kapsel ist jetzt beim Gefängnisdirektor Crueler! Wissenschaftler hatten dieses Ding untersucht, doch sie fanden nicht eine einzige Unannehmlichkeit! Nicht eine einzige.“
„Soll das heißen, dieses Pulver war nicht mehr da?“
„Doch. Es war nur roter Sand. Aus Gesteinsschichten von einer Insel namens Latent Island. Und diese Gesteinsschichten sind unbekannter Herkunft.“
„Habt ihr das nicht in eines der Getränke aufgelöst und es an einen ausprobiert?“
„Willst du kleiner Scheißer mir erzählen, das die Kapsel an allem Schuld war? Wag es ja nicht, mich als blöde zu bezeichnen. Wir haben diesen Sand Chemikern gegeben und sie haben hoch und heilig versprochen, dass dieser feine Sand ungefährlich ist. Hoch und heilig!“
„Wenn ihr das alles wisst, dann habt ihr doch die einzigste Bestätigung. Dann braucht ihr auch kein Geständnis mehr von uns, wenn das die einzigste logische Erklärung ist, die solchen Kleingeistern erfüllt“, antwortete ich beleidigt, aber so dermaßen kess, dass der Gemütszustand des Mannes zum inneren Brodeln brachte.
„Auch noch frech werden!!! Ich werde morgen in der Verhandlung meine Aussage machen und diese Aussage wird euch nicht nur doppelt und dreifach belasten. Sie wird euch fertig machen!“
Der Mann war am Ende mit jeglichem Latein und ließ mich wieder in die Zelle bringen. Tatsächlich war die Verhandlung schon morgen und wir besaßen nicht einmal die Möglichkeit, uns darauf vorzubereiten. Ich befürchtete, das gönnte uns keiner. Hatten wir wirklich unbewusst etwas Schlimmes angerichtet? Diese Frage ging mir läufig durch den Kopf.
Ich hätte am liebsten Eddie dazu überredet, für den morgigen Tag uns vorzubereiten. Etwas zu planen. Doch den Trübsal, den er blies, hatte mir gegenüber jede Hoffnung gnadenlos zerstört. Eigentlich schade, denn ich hatte in Eddie den unnachgiebigen, enthusiastischen Entwickler gesehen. Ich hatte zu ihm aufgeschaut wie zur Lösung aller Probleme auf der ganzen Welt und jetzt war er im Begriff, sich selbst aufzugeben. Tatsache war, dass er keine Niederlage groß verkraften konnte. Er brauchte eine gewisse Zeit, um dies zu verdauen.
Und Timmy? Abgesehen davon, dass er erst recht keine Hilfe war, hoffte ich wenigstens auf einen blöden Spruch, der eine zufällige Inspiration erwecken könnte für einen gewissen Plan, der unsere Köpfe aus den Schlingen ziehen sollte.
Aber ich sah nur hängende Köpfe jenseits aller Hoffnungen. Die schwarze Wolke des Pessimismus hatte sich über uns breit gemacht.
Die ganze Nacht konnte ich nicht schlafen, immer wieder sah ich das Gericht vor mir, erstickt in ihrer Hartnäckigkeit und Korruption. Und nichts und niemand ließ Gnade walten. Die ganze Anzahl der Behörden hatten uns schon auf den Kieker, das stand fest und sie würden eiskalt ihrer feststehenden Meinung nicht zurücktreten. Eher wollten sie sterben, bevor sie das zulassen würden. Aber soviel ich wusste, konnte man erst mit dreizehn Jahren in den vereinigten Staaten verurteilt werden. Würden die Behörden so hinterhältig sein und mich so lange in Gewahrsam nehmen, bis ich meinen Geburtstag feiere, um dann wie die Geier wartend gezielt mich dann zu einer langen Jugendstrafe verurteilen, die mein Leben auf negative Weise verändern könnte? Nicht „könnte“. Es wird so passieren! ging es mir durch den Kopf. Da gab es nun mal kein zurück. Die drei Schlingen hatten bereits unsere Hälse erfasst...
Dann kam die Verhandlung und damals verstand ich nicht einmal eine Silbe von der Juristensprache. Ich versuchte Eddie danach zu fragen, doch immer noch konnte ich keine einzige Antwort erwarten. Er hatte es nicht einmal in Erwägung gezogen, sich auch nur fünf Sekunden selber zu verteidigen oder seinen Standpunkt zu vertreten. Timmy und Eddie waren so deprimiert und aus meiner Sicht und der Verhaltensweise in Hinblick der momentanen Situation deprimierend. Konnten sie sich nicht einfach zur Wehr setzen? Ab und zu mal musste man gegen unverständliche Sachen wie bei Unterstellungen und Anschuldigungen rebellieren, denn ich war vor Wut und Frust in der Laune, den Paragrapheninhaftierten mitzuteilen, dass wir uns nicht alles von denen bieten lassen sollten. Doch alles, was ich versuchte zu vermitteln oder denen mit Vernunft ins Gegenteilige zu überzeugen, wurde auf brutalste Form gegen mich verwendet. Ich wurde des Öfteren mehrfach ermahnt, den Mund zu halten, selbst dann, wenn der Richter mein Plädoyer hören wollte. Denn ich kam nur, soweit ich konnte, mit der Wahrheit heraus, doch es war so was von offensichtlich, dass die Wahrheit keiner im Saal vertragen konnte. Die Wahrheit schmerzte denen wie ein glühendes Messer, das mit Freuden die Nervenbahnen erreichte, um für eine gewisse Folter zu sorgen. Im Inneren der anderen brodelte es natürlich, denn wenn eine der Personen von seinem Vorhaben, was er sich schon seit langem auf Ziel gesetzt hatte, wo er sich sogar in diesem Plan hineingesteigert hatte, abgehalten wurde, so bebte der Vulkan im Inneren des Gemütes, brach dann aus, ließ die vorgehaltene Maske des Scheinheiligen fallen und in diesem Augenblick haute diese Person alles raus. Nur das negativste vom Negativen, ohne wenn und aber, ohne Punkt und Komma. Und so lief es auch im Saal heftigst zu. Jeder zeigte sein wahres, kapitalistisches, egoistisches oder opportunistisches Spießergesicht, das anstelle ein Eigenleben zu führen, lieber sich an Vorschriften hielt und sich mit voller Wucht an mögliche Prämien verankerte.
Ich konnte nichts anhand der raschen Urteilsfähigkeit eines pöbelnden Mobs nachvollziehen. Zum Schluss kam es zum bürokratischen Urteil. Eddie und Timmy wurden zu einer Jugendstrafe von jeweils fünf Jahren verurteilt und die restlichen dreißig Jahre würden nach den Erwachsenenstrafrecht verfolgt. Ganz schön hinterhältig und dann wurde auch noch der härteste Knast erwähnt, den sie momentan zur Verfügung hatten.
Ein Knast namens Squeedistico. Wo der wirklich (auch aus meiner moralischen Sicht) vorallerletzte Abschaum sich befand. Der allerletzte Abschaum befand sich nämlich hier im Saal und ich wünschte, ich hätte den Mut denen dies ins Gesicht zu sagen, aber wer weiß, was sie gemeinsam mit mir dann vorhätten. Also hielt ich inne und ließ das Urteil auf mich zukommen. Es war tatsächlich milde ausgefallen. Ich durfte bis zum vierzehnten Lebensjahr zu Pflegeeltern, wäre aber dann in der Obhut eines Arbeitsstraflagers im Norden von Minnesota. Was ich nach dem Urteil enttäuschend fand, war das apathische Annehmen der Strafe von den beiden. Sie ließen sich widerstandslos festnehmen. Gerade dann, wo sie doch nichts mehr zu verlieren hatten, hätte wenigstens Eddie nach einen richtigen Anwalt auf lautstarke Weise gefordert.
Der Pflichtverteidiger hatte während der Zeit nur geschwiegen. Ließ also praktisch alles einfach so geschehen. Und gerade dessen Inkompetenz war die Spitze des Eisberges, der mir Verständnislosigkeit einbrachte. Ich hätte auch dagegen rebellieren können, aber mir war klar, dass ich zu dem Zeitpunkt nichts unternehmen konnte. Gegen die Staatsgewalt anzukommen, ließ mich hilflos daliegen wie ein Käfer auf dem Rücken, der durch den Sturz auch noch flugunfähig wurde.
Somit wurde ich also zu irgendwelchen Pflegeeltern gebracht, die jedoch einen netten Eindruck hinterließen und mich ein ganzes Jahr verwöhnten und meine abgehärteten und angesammelten Kräfte in Keim ersticken ließen.
Und jetzt bin ich im Dunkeln alleine und warte morgen auf die Einweisung zum Arbeitsstraflager Cowler & Fullmer, sagte ich mir.
Wie sollte es mir da ergehen? Ich hatte nie etwas von solchem gehört, es kam mir alles fremd vor. Diese verdammten Ortswechsel würden mir alles, was ich bis dahin angesammelt hatte, wegnehmen.
Schlafen konnte ich einfach nicht. Ich war dafür viel zu aufgeregt, um an nichts denken zu können. Es zischten zu viele Gedanken in mir zum Thema Vergangenheit und Zukunft. Alles, was ich wusste war, dass ich morgen früh um sechs mit einem Bus gefahren werden sollte. Auch ein paar andere Insassen würden sich darin befinden. Ich quälte mich durch die Dunkelheit des Raumes. Nicht ein Funken Licht gab es als Trost.
Warum betätigte ich nicht einfach mal den Lichtschalter?
Die Antwort war eine folgende: Ich schmollte bereits fünf geschlagene Stunden in dieser finsteren Umgebung, zumindest glaubte ich, dass es so viele Stunden waren, und wenn ich jetzt mit grellem Licht zu kämpfen hätte, müsste ich durch den abrupten Wechsel mich auf eine herbe Schmerzattacke gefasst machen, die mein Gesundheitszustand irritieren würde und meine Emotionen die letzte Fassung entnommen hätte. So hielt ich es für klüger, zu warten und mich möglichen Problemen zu stellen.
Doch die Probleme fingen morgen erst an...
Tag 1
Nach dem Frühstück, ich nahm äußerst wenig zu mir, kam der Bus bereits an. Ich ging zögernd nach draußen und musterte das Fahrzeug, das ein unsympathisches, dreckiges Weiß mit sich schleppte. Ich war einer von der eher kreativen Sorte und wenn ich ein unerwünschtes biederes Machwerk vor mir hatte, kam mir das alles von anderer Seite kaltblütig vor, als ob die Menschen, die diese Welt, die von bedeutenden Persönlichkeiten mit aufgebaut wurde, weiterführten und von dem Tun und Machen mit profitierten, egal wie viel, gleichgültig durchs Leben gingen und jede Poesie des Lebens verkannten. Das war eines von vielen Gründen, warum ich zurzeit gar nichts nachvollziehen konnte. Die anderen Gründe würden offensichtlich bald erscheinen. Die Bustür öffnete sich und bevor ich rein ging, verabschiedete ich mich von der Ziehfamilie und hätte mich beinahe bedankt dafür, dass ich ein ganzes Jahr lang betüddelt und verhätschelt wurde, damit das abgehärtete von mir systematisch abfiel.
Jetzt war ich erneut der kleine schüchterne Junge von damals, der mit jeder kleinsten Konfrontation einen Rückzieher versuchen würde, zaghaft Dinge am liebsten mit Samthandschuhen anfasste und so zu tun, als ob alles aus feinstem Porzellan bestand. Der Busfahrer grüßte nicht, er sah mich nicht einmal an. Stattdessen schaute er stur nach vorne und gab mir das Gefühl, als ob er nur auf die Welt kam, um Befehle auszuführen. Menschen fungieren also als Roboter. Eine tolle Aussicht! Und wenn es keine roboterhaften Personen sind, wollen sie billige und unterwürfige Kreuzritter, die sich freiwillig ausbeuten lassen, dachte ich in diesem Moment. Ich stieg also ein und fand das Fahrzeug leer vor. Wäre ich jetzt der einzigste Neuling, den die Leute in dem Straflager piesacken sollten?
„Wo sind denn die anderen?“ fragte ich den Fahrer im unsicheren Ton.
Dieser machte sich natürlich nicht die Mühe, sich umzudrehen, um dann sachlich mit mir zu reden. Er schaute einfach geradeaus. Mit seiner seriösen angespannten Ausstrahlung und der dunklen Sonnenbrille machte er keine angenehme Figur.
„Die kommen noch! Nach und nach!“ antwortete er genervt.
„Wie viele sollen kommen?“
„Vier!“
Es lohnte sich nicht, noch weitere Fragen zu stellen. Für mich war die Sache erledigt. Unpersönliche Sachen waren für mich immer abgehakt.
Der Fahrer war mit Sicherheit achtundfünfzig Jahre alt, vielleicht noch etwas älter. Haare besaß er kaum und sein Schnauzbart war eher unförmig, als hätte er beim Stutzen etwas verkehrt gemacht. Wir fuhren los. Während der Fahrt sah ich nichts, außer Wald. Alles bestand nur aus einer eintönigen Umgebung. Bis der nächste Gefangene einstieg, verging eine Stunde.
Es erschien ein mittelgroßer, schmaler Typ, etwa siebzehn Jahre alt. Mitchell Ferry grüßte und fragte mich, ob ich schon lange unterwegs war. Ich bejahte es, doch mein unwohlwollendes Gefühl schnitt mir den Gesprächsstoff ab. Er sah bedeutend jünger aus, als er eigentlich war. Genauso war es bei mir.
Der nächste Typ, der einstieg war ein riesiger Brocken, sah aber gar nicht gefährlich aus. Crispin Copper, genauso alt wie ich, verbrachte das Jahr, wo ich bei den Pflegeeltern verbrachte, in einer Jugendwerkstatt. Er hatte mittelblondes Haar und machte den Eindruck, als nehme er die Strafe ganz locker.
Dann fuhren wir weiter und wenig später betrat eine attraktive Frau diesen Bus. Francesca Margues war bereits achtzehn, bis jetzt die älteste, hielt sich dennoch zurück. Sie grüßte zwar, aber sie war nicht in der Position, uns zu mustern. Sie hatte mittelbraunes Haar und wirkte athletisch.
Der letzte Kandidat für diese Fahrt war ein Typ, der einem Kunststudenten glich. Er hätte auch als Heilpraktiker agieren können, zumindest vernahm ich das als Eindruck. Alec Johnson war nicht die Sorte Mensch, die hier hätte verurteilt werden sollen. Aber man sah keiner Person an, dass ein Verbrechen vorlag. Bestimmt waren alle genau wie ich durch Zufall Gefangene. Vielleicht wollte jegliche Regierung, dass die kleinsten Fische ein Exampel statuieren. So wie wir.
Als aber jeder einzeln etwas über sich preisgab, konnte ich meinen Ohren nicht trauen.
Francesca Margues war wegen mehrfacher Urkundenfälschung und Versicherungsbetruges inhaftiert worden.
Oder Crispin Copper, der vor kurzem ein Auto aufbrach, um mit hundertzwanzig Stundenkilometern ziellos durch den Highway zu düsen und eine Massenverfolgungsjagd verursachte.
Oder Alec Johnson, der mit dem Versuch, eine Revolte gegen das System zu starten, selber vom Pöbel angeprangert wurde.
Oder Mitchell Ferry, der geschickt die Formel für eine neue Droge stahl, um sie zu vernichten. Diese Droge mit dem Namen Pathkir sollte Tatendurst anregen, um Arbeitsverweigerer die Lust auf ihren eigenen Lebensstil zu verringern oder ganz zu entnehmen.
Wo zum Teufel waren wir? Es befanden sich in der Gegend nur noch Schotter oder Schrottbehälter. Ob dies ein Industriegebiet war, konnte man als fraglich bezeichnen. Es wunderte mich, dass unsere Augen nicht zugebunden waren. Während der Fahrt hätte jeder die Zeit, die er nutzen könnte, mehr über den einen oder anderen Insassen zu erfahren. Aber jeder schwieg erst einmal. Verständlich war es auf jeden Fall. Ich bekäme wahrscheinlich die Gelegenheit auf ein Wiedersehen.
Der Bus stoppte. Wir waren angekommen. Dort erwartete uns bereits der Insassenleiter mit seinen Wachmännern. Zur linken Seite konnte ich wenigstens das Rauschen des Baches hören. Ach, wie gerne hätte ich stundenlang dabei gestanden und meine innere Einkehr aufgebaut; die letzten Momente genießen, bevor ich der unerbittlichen Unmut ausgesetzt wäre. Wenn der Busfahrer sich auf eine Unterhaltung mit denen einließ. Aber ich ahnte schon, dass der Busfahrer wortkarg blieb. Wir wurden hineinbegleitet. So bürokratisch es da ablief, wurde zuerst ein Einzelgespräch durchgeführt, dann ein gemeinsames. Es wurde alles über dieses Straflager erzählt. Wie der Ablauf war, was unsere Tätigkeit betraf, wo wir einquartiert werden sollten. Es war zugleich eine Art Firma, die weltweit alles lieferte, vor allem Waffen. Dann kam die Nachricht, dass einer fehlen würde. Im Bus hätten sechs Leute aufgenommen werden müssen. Hatte der Busfahrer geschlafen?
Nein, dieser sechste unter der Besatzung wollte sich freiwillig stellen und lebte nur sechshundert Meter entfernt. Wir warteten etwa eine Stunde. Der Insassenleiter Mr. Siegel ließ uns alleine in einem geschlossenen Aufenthaltsraum, bei dem ein Ausbruch unmöglich war. Er musste mit seinem Stellvertreter Mr. Vopen noch einiges regeln.
„Wie alt seid ihr denn?“ fragte Francesca.
„Ich bin erst vierzehn“, meldete sich Crispin.
„Ich e-e-ebenfalls“, antwortete ich zögernd.
„Siebzehn“, sagte Mitchell.
„Ich bin fünfzehn“, sprach Alec.
„Da braucht ihr nicht zu übertreiben“, sprach Francesca überzeugt von sich.
„Ich bin schon achtzehn.“ Sie lächelte und legte ihr braunes glattes Haar zu einem Mittelscheitel.
Als der Chef wieder kam, fuhr er fort.
„Morgen fangen Sie an zu arbeiten und zwar werde ich jeden einzelnen trennen. Sie hatten sich während der Zeit bereits kennen lernen können. Wenn nicht, die Gelegenheit wird noch des Öfteren kommen. Ich werde Sie jeglicher Abteilung zuweisen, damit Sie ihren ersten Eindruck des Bereiches haben. Ein Wechsel ist nach meinen Jahresplänen aufgezeichnet.“
Er verteilte die Kopien des Planes. Dann redete er weiter.
„Nach dem Rundgang werde ich Ihnen die Quartiere zeigen. Es herrscht hier eine streng genommene Hierarchie und ich bitte Sie, dies alles zu Herzen zu nehmen, um Respekt vorzuweisen. Die neuesten Leute sind nun mal die untersten und werden in acht Quadratmeter große Räume eingeteilt. Es wird noch Zeit vergehen, bevor Sie die zehn Quadratmeter genießen können, die schon die Einjährigen beziehen. Die Zweijährigen haben die vierzehn Quadratmeterzellen und die haben wenigstens ein Bett. Die Einjährigen besitzen eine eigene Matratze. Und Sie müssen sich noch mit Schlafsäcken anfreunden, bevor Sie aufsteigen.“
Der Rundgang erfolgte also. Doch plötzlich wurden wir in zwei Gruppen eingeteilt. Mr. Vopen kümmerte sich um Alec und Francesca, die im obersten Stockwerk beschäftigt werden mussten, wo sich die Büroräume befanden. Wir waren offenbar für körperliche Aktivitäten verfügbar. Mitchell durfte im Lager arbeiten und hatte es dennoch gut. Er durfte ausschlafen. Um zwölf Uhr dreißig durfte er anfangen.
Crispin und mich hatte es härter erwischt. Besonders mich, denn Crispin bräuchte morgen nur Lieferungen auszupacken, um sie mit anderen Insassen zu mustern. Bei mir war richtig körperlicher Einsatz bevorstehend, doch was genau, das erfuhr ich erst morgen. Er musste um halb sieben antreten, ich um sieben. Der zuständige Abteilungsleiter hatte Urlaub, dafür übernahm die Vertretung die Stellung. Ich hatte den Eindruck, dass dieser ein schleimiger gelackter Computerfreak war, denn er trat nicht allzu ernst auf, wie die anderen Leiter. Danach teilte Mr. Siegel uns zur Warnung etwas mit, was seinen Erfahrungen zu urteilen, eine Lehrreiche Form oder ein Versuch zur Demoralisierung sein würde.
„Und noch was. Sollte einer von Ihnen nicht der sein, für den er sich hält, und irgendwo wird es einen dunklen Punkt geben, dann finde ich das bestimmt heraus. Also hoffe ich, dass mich keiner enttäuscht. Einen angenehmen Tag wünsche ich Ihnen.“
Wenig später wurden die Quartiere gezeigt. Drei Zellen für uns Neuzugänge.
Francesca und Alec, die sich von Anfang an bestens verstanden, teilten sich Zelle Nr. 3.
Crispin und Mitchell waren in Zelle Nr.2 und ich ahnte es schon, dass ich automatisch zur Einzelhaft verdammt war. Es war dunkel und dreckig. Die Toilette besaß nicht einmal eine Brille, geschweige denn einen Deckel. Was konnte ich in der Zeit tun? Nicht einmal ein Buch gab es zu lesen. Doch ich vertrieb die Zeit mit Nachdenken. Wenigstens war der Schlafsack brandneu, was am Geruch bemerkbar war und auch durch das Tasten des Stoffes. Wenn doch nur ein Fenster vorhanden wäre. Wie lange sollte ich hier verweilen...
Tag 2
Mein Gott, das erinnerte mich an den damaligen Aktionen in Sudbourg, wo wir das erste Mal im Fuchsbau waren. Das erste Mal unsanft schlafen, wobei ich nicht gedacht hätte, das alles noch einmal durchstehen zu müssen. Meine Gedanken richteten sich auf die Ortslage, die Standortsbestimmung. Wir befanden uns wirklich jenseits der Zivilisation mit Ausnahme von einigen Bauernhäusern, die etwa hundert Meter weiter im Abseits standen.
Ich wurde öfters wach, ohne die Zeit ermitteln zu können. Aber dann hörte ich die Zellentür neben mir öffnen und merkte, dass Crispin geweckt werden sollte. Er bekam schon das Frühstück serviert. Zu trinken gab es Tee. Keiner würde so verantwortungslos vorgehen, um blutjungen Leuten Kaffee anzubieten.
Eine halbe Stunde später war ich dran. Anschließend übergab mir irgendein Wärter eine Petroleumlampe, damit ich genug Licht besaß, um speisen zu können. Als ich fertig war, wurde ich gebeten, mich zur Abteilung Paket-, Kisten- und Kartonlieferung zu melden. Unterwegs musste ich andere Abteilungen passieren, bevor ich zu meinem Ziel ankam. Während der Zeit starrten einige Insassen mich an, dann kamen Sticheleien und Pöbeleien zustande.
„Willkommen in der Hölle. Da zappelst du schneller mit den Flossen wie ein Fisch im Trockenen, das garantiere ich dir, Kleiner!“
Der stellvertretende Leiter, den ich als Computerfreak bezeichnete, erklärte mir die Abläufe im ungefähren Rahmen. Er fragte mich, ob wir uns duzen sollten, oder siezen. Ich stockte, weil ich bis zu dem Tag jeglichem Individualismus ausgeschlossen war, sodass mir Förmlichkeiten eingetrichtert wurden. Dann einigten wir uns aufs Duzen und da sagte ich Steven anstatt Mr. Farkle.
Mr. Rosecke hatte also Urlaub. Na ja, ich war jedenfalls gespannt, was mich erwartete. Ich sollte Pakete aufs Laufband legen, damit die automatisch erfasst werden konnten, um mittels eines Stahlbandes vereinzelt zu den Verteilern landen zu können, damit die Sortierung der Abnehmer erfolgte.
Woody, ein langjähriger Häftling zeigte mir alles. Alle Vorgänge peu a peu. Neben mir gab es andere, die die gleiche Tätigkeit ausführten. Zur linken stand ein Mann mit Schnauzbart und Brille, zur rechten ein Araber namens Kurdit. Woodys Aufgabe bestand darin, dass wir Aufleger mit bereitgestellter Ware gefüttert werden sollten, die hinter uns sich in Behältern befand. Mal waren es Paletten, mal Gitterboxen, Collicobehälter und niedriggelegene Metallboxen für Mitteilungen, die weltweit verteilt wurden, um Angebote zu präsentieren. Bei Woody hatte ich das Gefühl, dass er etwas genervt war. Nicht unbedingt der Arbeit wegen, sondern ihm passte offenbar die Rolle als Babysitter nicht. Ab und zu kam ein schräger Ablader vorbei, der von der Evolution betrachtet, vom Graupapagei abstammen könnte. Harley Bozkurt war stets gut gelaunt. Er war Ende dreißig, Haare besaß er ganz wenig und er war wie die meisten Leute ein Raucher.
„Und, wie gefällt dir die Tätigkeit?“ fragte Steven. „Davon kriegst du wenigstens dicke Arme.“
Ab und zu schaute er bei mir vorbei, doch die meiste Zeit verbrachte er in seinem Büro. Dort, wo ich mich befand, wurden alle Pakete automatisch gescannt. Was nicht erkannt wurde, kam zurück und ich musste diese dem linken Nachbarn anschieben, damit die manuell erfasst wurden. Datentypistinnen hatten wir also.
Da hatten wir zum Beispiel Brunhilde Koepf, die vierundzwanzig Stunden rund um die Uhr aktiv sein konnte. Sie bräuchte dabei noch nicht einmal starken Kaffee.
Baroness Kader von Souza dagegen galt von allen Frauen am ehesten als Prinzessin auf der Erbse.
Nicole Gloer hatte rotes langes Haar und stammte natürlich aus Irland. Teilweise hatte sie auch aus Flensburg stammende deutsche Verwandte (daher stammte der Name Gloer), mit denen sie so gar keinen Kontakt hatte. Sie war schlank und um die einsneunzig groß.
Lillian Rings war klein und pummelig, als hätte sie den Körperbau einer Bowlingkugel. Trotzdem war sie von sich aus immer überzeugt und zuversichtlich.
Audrey Cullen bekam ich selten zu sehen. Das war dem Zufall überlassen, wann sie die Schreibstellenkabine verließ
Ann Lubbs war eher stämmig gebaut. In ganz jungen Jahren hatte sie möglicherweise einen Touch von Lady Diana gehabt. Nur Ann wirkte lebenserfahrener und entschlossener.
Livia Fields hatte ein bisschen die Bonnie-Tyler-Ausstrahlung und Abigail Reynards war die Älteste. Sie wirkte ganz gebrechlich und ihre Ausstrahlung vermischte sowohl Verbitterung als auch Besorgnis.
Eine Person war krank geschrieben. Ab und zu tauchte ein Typ namens Salvatore auf, der im Grunde genommen machomäßig rüberkam. Aber er war der einzigste, der farbliche Klamotten besaß. Alle anderen waren bieder gekleidet. Dann kamen drei Leute vorbei, die sich als einzigste Personen im offenen Vollzug befanden. Die einzigsten. Da war Troy Billinger, seine Schwester Gianna und seine Geliebte Despina. Troy war der sechste Neuling im Bunde und ich sollte die Zelle mit ihm teilen. Aber er schlief gerne woanders. Er hatte eben seine eigene Einstellung. Er kam, wann er wollte, er ging, wann er wollte und er schlief, wo er wollte.
Gianna war auch nicht anders und angelte sich gerne große kräftige Typen. Ihr Auftreten war robust, selbstbewusst und von sich selbst eingenommen.
Despina war eine ganz nette Person und ich begriff nicht, dass sie sich mit solchen anarchistisch veranlagten Leuten abgab. Sie arbeitete im Lager und kam jeden Nachmittag vorbei, um mit ihrem Handwagen Sonderlieferungen im Büro abzugeben, die dann einzeln mit einem Stempel versehen wurden, um später diese zu den Verteilern zu bringen.
Als der Tag abgelaufen war, zog sich jeder in seine Zelle zurück. Zumindest die Insassen, die an der Frühschicht beteiligt waren. Dann gab es die Mittelschicht, die Spätschicht und zum Schluss die Nachtschicht. Bevor ich die Zelle betrat, standen Troy mit beiden Mädels vor mir. Und noch jemanden, den sich Gianna geangelt hatte.
Es war kein geringerer, als Salvatore, der zwar alles andere war, als ein Muskelprotz, aber sie war seinem Charme erlegen und das reichte aus.
„Ich müsste eigentlich in deiner Zelle sein, Winzling. Aber ein Mann muss wichtigeres erledigen. Aber das wirst du auch noch lernen. Nicht jetzt, aber bald, wenn du endlich Haare am Sack kriegst. Und tu dir selbst den Gefallen, damit du vor Langeweile nicht umkommst. Lies dieses Buch.“
Troy übergab mir diesen Bestseller "Liebelei für Anfänger" und verschwand mit den anderen. Zum Abschluss warf Gianna einen Blick zurück und streckte mir frech die Zunge raus, während ich verdutzt diese Leute anstarrte, als wäre ich ein naives Greenhorn.
Was sollte das denn jetzt? Diese Idioten sollten ihre Überheblichkeit aber schleunigst zügeln. Und wo war er ein richtiger Mann? Er war gerade mal fünfzehn. Wenn dieses Großmaul Troy wüsste, wie es damals bei mir und Tarah funktionierte, dann müsste er noch viel von mir lernen. Aber ich hielt es für nötig, das alles für mich zu behalten.
Als Neuling hatte man es hier nicht leicht, was wirklich überall üblich war. Es sei denn, man war etwas Besonderes.
Tja, die Zellen. Sie wurden wenigstens nicht abgeschlossen, aber nachts kam ein Wärter vorbei, um seinen Kontrolldurchgang durchzuziehen. Die Tür des Korridors war stattdessen geschlossen, also konnte man den Gang entlang marschieren, damit wir uns nicht allzu eingeengt fühlten. Jetzt sah ich das Buch vor mir und dachte: Was soll ich mit dem Blödsinn? Ich will ein richtiges Buch. Ein spannender Thriller zum Beispiel. Ich befand mich in der Zelle und hockte in der Dunkelheit.
Die Petroleumlampe rührte ich nicht an..
Tag 3
Wieder ein neuer arbeitsreicher Tag und mit so einem Rhythmus käme ich leicht zurecht. Das frühe Aufstehen war zwar unangenehm, aber ich biss mich durch. Nach dem Frühstück begab ich mich erneut in meinem Arbeitsbereich und bekam die Nachricht, dass ich jetzt etwas neues kennen lernen durfte. Somit übernahm Woody meine ehemalige Tätigkeit und diesmal sollte Mike Unrath sich um mich kümmern. Er übernahm die Palettenerfassung und hatte sein eigenes Büro. Aber er war genau ein Sträfling wie wir alle. Er hatte in einer vorigen Firma Gelder veruntreut. Acht Jahre hatte er bereits hinter sich. Vier Jahre folgten noch, es sei denn, er käme wegen guter Führung frei. Er war mittelgroß, ein Typ wie Dan Aykroyd, nur mit niedrigerer Stirn und das ulkige daran war die Stimme, die wie Kermit, der Frosch klang. Ich sollte lediglich zuschauen. Jede Palette wurde mit einer Tournummer versehen. Dazu musste man den Computer einschalten, das spezielle Programm eingeben und schon konnte man nur den Kunden und die Adresse eintippen und dann ermittelte man automatisch die dreistellige entsprechende Tournummer. Jedes Etikett wurde auf die jeweilige Palette geklebt und er fuhr diese zu den angegebenen Plätzen. Als er aber ausnahmsweise mir dieses Flurförderzeug in die Hände gab, entstand in mir Unsicherheit. Ich konnte damit einfach nicht umgehen. Es führte zwar zu keinem Unfall, aber die Geschicklichkeit ließ absolut zu wünschen übrig. Im Grunde passte er darauf auf, damit es zu keiner Eskalation kam. Die Lenkung schien nicht in Ordnung zu sein und das merkte sogar mein heutiger Vormund. „Komisch! Die Ameise wurde doch vorgestern repariert. Die Reparaturfirma gab sogar Garantie.“
Einer aus der Fahrdienstleitung verfolgte das Geschehen, überprüfte das Fahrzeug und gab den folgenden Ratschlag.
„Den Leuten würde ich an deiner Stelle den Arsch wegtreten. Das einzigste, das noch funktioniert, ist die Hupe! Besser wäre, den Anbieter zu wechseln.“
Als Andeutung betätigte er den Lärmmacher.
Mithäftlinge, die davon Wind bekamen, winkten lächelnd zu.
„Was machen diese Pavianköpfe? Ich hab nicht wegen denen gehupt“, schimpfte er. „Die sind so blöd, dass sie meinen, die Sonne scheint, wenn man sie mit einer Taschenlampe mitten ins Gesicht leuchtet.“
Somit wurde die Ameise durch eine andere ersetzt.
Dann sah ich den müden Troy zur Abteilung trotten. Offenbar hatte Romeo Erfolg gehabt. Salvatore dagegen war hellwach und gut aufgelegt.
„Mein Gott, Troy. Hat das Sandmännchen dir Kokain in die Augen gestreut?“
Stevens Sarkasmus war sein Laster. Ein anderer hätte ihn angeschnauzt. Er wurde seinem Bereich erneut zugewiesen. Sperrgut wurde ihm zugewiesen. Zusammen mit Scrappy McFly, einen schmächtigen langjährigen Insassen, der damals zuließ, dass sein Haus abgefackelt war, weil er dabei einschlief. Er hatte Frau und Kind, die zurzeit einen Ausflug unternahmen und als sie zurückkamen, war alles bereits in Schutt und Asche. Er war Hausmeister und nur deswegen eingeschlafen, weil er an diesem Tag völlig in seinem Element war. Schlaf hatte er die ganze Woche nicht gehabt, doch als der Körper nicht mehr Herr der Lage wurde, entstand die Katastrophe. Ein Rentner kam in den Flammen ums Leben. Scrappy bekam lebenslänglich. Er war früher robuster, wo er jetzt leider fünfzehn Kilo abnahm und völlig angeschlagen und ausgezehrt aussah.
Gianna und Despina hatten den Vorteil, dass sie ausschlafen konnten. Ich jedoch hatte die ganze Zeit mit Mike verbracht, hätte aber am liebsten die Peinlichkeit erspart, den Elektrohubwagen (kurz Ameise genannt) anzurühren. Aber ich als Mensch vierter Klasse hatte keine andere Wahl, als dies hinzunehmen. Hoffentlich wäre der Tag schnell gelaufen, damit ich in der Zelle in Ruhe über alles nachdenken konnte. Aber zehn bis zwölf Stunden vergingen langsam. Von den Alteingesessenen beschwerte sich keiner. Sie hatten Ehrfurcht gelernt. Ehrfurcht und Achtung vor der Ordnung, die hier herrschte und wir Neulinge waren hier, um das alles zu begreifen.
In der ersten Pause unterhielt ich mich mit Mike, wollte dennoch nicht über meine Vergangenheit reden. Er fragte mich, inwiefern ich über das Arbeitsstraflager informiert war. Leider konnte ich nicht viel darüber erzählen. Das machte nichts, trotzdem war es erforderlich, Interesse zu zeigen, ihn mit Fragen zu löchern, doch ich war jemand, der über Situationen nachdachte, um selbst eine Lösung oder Antwort zu finden. Despina kam heute etwas früher an, da sie am Nachmittag zur Post musste. Drei Päckchen sollte sie abholen und dafür konnte sie den Firmenwagen nehmen. Da sie es aber vorzog, ihren Wagen zu nehmen, weil es sich ausschließlich um Kleinigkeiten handelte, wurden Umstände erspart. Der Firmenwagen verbrauchte eindeutig mehr Sprit und ihr Wagen konnte extrem durchhalten. Sie bekäme den Sprit von der Firma auch bezahlt. Die Neunundzwanzigjährige machte sich nach erledigter Arbeit auf dem Weg. Ich fand einen hellgrünen Gitterrollwagen vor und Mike bat mich, diesen an Woody weiterzugeben. Ich tat es, doch wo war der Kerl? Harley sah mich an und machte eine Zweiflergeste, um sich über meine Unsicherheit lustig zu machen. Schließlich kam mir der Bruder von Woody entgegen und schnappte sich den Wagen. Barney war aus Kanada, hatte norwegische Verwandte oben. Einige waren sogar aus Russland. Alle lebten in Ottawa. Er selber hatte illegal einen Grizzly erschossen und musste deshalb hier seine Strafe abbüßen. Er arbeitete als Abnehmer zusammen mit Joseph Rimpson, der Onkel von Gomer Rimpson. Dass die Welt so klein ist, fragte ich mich.
Mittags versammelten wir uns in der Kantine, die sich im obersten Stockwerk befand. Wir Neulinge aßen zusammen und da gesellten sich die Zweijährigen. Sechs Leute konnten wir kennen lernen. Talia Nancel, Milla Geylen, Ralph Buckley, Tekin Ogin, Adam Weger, Kristina Zangols und Mina Cowds. Die Dreijährigen machten sich nicht die Mühe, sich uns anzuschließen. Seitdem sie was besseres wurden, trugen sie die Nasen weit oben. Nach dem Essen ging es weiter mit der Malocherei und ich hoffte, es würde die Zeit ziemlich schnell vergehen. Und so geschah es auch.
Am Abend, als ich erneut mein Quartier erreichte, vermisste ich etwas. Wo war Troy überhaupt? Salvatore hatte ich noch bis zum Schluss gesehen und war wie immer mit Gianna verabredet. Aber Troy?
Vielleicht kommt er später, dachte ich und ließ mich nieder, um nachzudenken. Dann sank ich kurz in den Schlaf, wurde jedoch durch ein regelmäßiges Klopfen wach. Wollte ein Wärter etwas von mir?
Es war bloß Troy. Er wollte mich etwas fragen.
„Hast du Despina gesehen? Ich habe alles abgesucht und sie nicht finden können. Wenn sie einen anderen Kerl gehabt hätte, würde ich es an der Mimik erkennen, aber sie ist hinterher einfach verschwunden.“
Ich war nicht in der Verfassung, ihn Tipps zu geben oder Vermutungen zu stellen. Ich sagte nur, dass ich keine Ahnung hatte. Genauer betrachtet wäre ich sowieso keine Hilfe. Warum ging er nicht zuerst zu seinem neuen Kumpel Salvatore? Doch der vergnügte sich auf seine Weise und hatte Troy, so egoistisch es klang, einfach vergessen. Das Abendessen wurde regelmäßig um achtzehn Uhr serviert. Mal gab es etwas Warmes, mal gab es nur Brote. Diesmal gab es Linseneintopf, wobei ich kurz darauf die Toilette benutzen musste. Dummerweise besaß sie keine Spülung und das Toilettenpapier war das billigste, was man kriegen konnte. Dieses graue Papier, das aus zwei Lagen bestand. Jetzt wusste ich, wie sich eine Bauchrednerpuppe fühlte.
Zum ersten Mal benutzte ich die Petroleumlampe und studierte den Plan ein. Also zwei Monate sollte ich in dieser Abteilung bleiben und dann... Schule? Na ja, immerhin bräuchte ich nicht ununterbrochen Kisten zu schleppen. November/Dezember. Dann käme die Weihnachtszeit und ich wäre gespannt, wie es hier ablaufen sollte. Auch zu Neujahr. Handelte es sich um Tage, die ignoriert werden sollten, oder gab es Ausnahmen? Der Plan war bis Juni ausgestellt. Was dann eingeplant wurde, stand noch in der Luft. Bis dahin sollte ich ins Lager mit einer weiteren schulischen Unterbrechung. Es war ein großer Fehler, den Leidensweg ins Ungewisse zu folgen, wenn ich doch die Möglichkeit erlangen könnte, mit einem anderen Anwalt zu telefonieren. Wie konnte so ein Leben nur mit Unzugänglichkeiten ausgestattet sein? Dann war wieder Nachdenkzeit und dicht dahinter Schlafenszeit.
Auszug aus dem Leben von Cartman Bunks
Der Vater nannte ihn ganz zu Beginn Allshy, weil er als Säugling in allen Beziehungen verängstigt war und zugleich neugierig und verwundert. Mr. Bunks latschte nur noch mit Vorurteilen durchs Leben und bildete sich noch immer ein, Menschen nach Charakteren richten zu können und er würde es immer wieder tun. Lästern. Ein anderes Hobby konnte man nicht zuordnen. Sonst war das immer nur die Aufgabe von Klatschbasen, die sich wöchentlich einen Friseurbesuch genehmigen, um den Gesprächstoff nachzufüllen. Auch er war der Meinung, dass Lästern nur was für olle Tratschtanten war und wenn ein Mann das gleiche tat, so war seine Mannbarkeit unbedeutend. Aber er konnte sich alles erlauben, denn er war die absolute Ausnahme.
Doch Jahre später, als das Baby zum Kleinkind heranwuchs, änderte sich der Charakter zunehmend. Irgendwann kam das Alter, da hatte er vor nichts Angst und er wurde umgetauft. Auch da konnte man dessen Vater nichts Recht machen, er nannte ihn scherzhaft Cartman, wie die Figur aus South Park. Er war genau so ein Fettsack, er war wiederborstig und er konnte sich schnell aufregen und das gab er mit seiner Gleichgültigkeit zurück. In der Schule war er der Pausenhofkönig. Man durfte das anfangs nicht falsch verstehen, denn er bestand nicht einfach nur aus Fett. Nebenbei trainierte er auch in billigen Muckibuden. In Kindesbeinen hatte er zuhause einige Gegenstände auf - und abgehoben. Heute war er so etwas wie ein King Kong - Verschnitt. Als Pausenhofkönig war er nicht einer, der etwa schwächere Kinder drangsaliert hatte und jedes Mal um ein Pausenbrot verlangt hatte. Nein. Er schlug erst dann zu, wenn er gezielt von jemanden angestichelt wurde. Wurde er von einem unbekannten Schüler „Fettsack“ genannt, so schlug er zu, ohne zu zögern und hinterher zog seine Wut weg und verformte sich in eine ablehnende Gleichgültigkeit. So ließ er sich gar nichts bieten und hatte auch nichts und niemanden zu respektieren. Das war Cartman Bunks.
Wenn man seinen Namen auf der Zunge zergehen lässt, so denkt man an einen Asozialen aus einer Gang, die nur noch aus Maulhelden besteht. Wenn der sich mit jemanden anlegen würde, der überlegen ist, so zöge er sich zurück, was aber keine Unnachgiebigkeit im endgültigen Sinne wäre, sondern er würde tatsächlich nach einen anderen Weg suchen, bis er der Meinung ist, dass er eine Oberhand verspürt.
Sein Aufenthalt war in einem östlichen Arbeitsstraflager und er saß ein, wegen Körperverletzung. Er schlug, wie gesagt schon immer zu, wenn ihm irgendwas auf die Nerven gefallen war, in seltenen Fällen (und das, genau das war zuvor passiert) brauchte ihn nur einer so schief und provozierend bei schlechtester Laune anzugaffen (und vielleicht verächtlich zu grinsen), so hatte sich der Zorn angespannt und der unkontrollierte Kampf ging los. Einem leicht zurückgebliebenen Jungen wurde die Nase gebrochen, zwei blaue Augen beschert und es gab viel Arbeit für einen Kieferorthopäden.
Die Mutter von Cartman verhielt sich nach wie vor teilnahmslos. Die Mutterrolle übernahm sie auf passivste Weise, während sein Vater die Regeln stellte. Dabei war er keineswegs ein Heiliger. Da war er Lichtjahre von entfernt.
Jetzt saß er in genauso einer finsteren Zelle und blickte ins Leere, als ob er wartete. Cartman war ein Einzelkind. Seine Familie war dennoch nicht verarmt. Er bekam damals alles, was er wollte und vielleicht war das gerade der Fehler. Wollte er Nudeln oder Hamburger, bekam er sie. Sein Vater, der Meister in einer KFZ - Werkstatt war, hätte das nicht geduldet und so kam es zeitlang zu Streitereien, die aber blitzschnell endeten, weil seine Mutter in allen Beziehungen stets nachgab.
Früher in der Grundschule hätte man ihn theoretisch wegen seiner leicht abstehenden kleinen Ohren hänseln können, aber vom ersten äußerlichen Eindruck war er ein teilnahmslos aussehender Fettwanst und nichts anderes. Die Ohren und als nächstes sein laufend gekünsteltes Grinsen waren dagegen Nebensache.
Es gab einen Unterschied zwischen mir und ihm: Ich dachte im Zellenaufenthalt intensiv über Dinge nach und bei ihm war irgendeine Denkweise nicht angeboren.
Was nicht bedeutet, dass ein IQ niedrig war. Er befand sich eine gewisse Zeit im Rahmen des Durchschnittes. Am unteren Rande, versteht sich.
Tag 4
Auf ein Neues. Das Blöde daran war meine Verurteilung, ohne das Recht auf einen Anwalt. Ich musste solange hier verweilen, dabei fühlte ich mich nicht einmal wohl. Allenfalls würde ich lügen oder eher untertreiben, wenn ich dieses Gebäude als prestigeunträchtig bezeichne. Zutreffender wäre heruntergekommen und gäbe jeden Unterprivilegierten einen Willkommensgruß erster Klasse. Und einsam gelegen. Neben Alcatraz hörte ich von einem unterirdischen Gefängnis mitten im zentralen Wüstenbereich. Ebenfalls las ich von einer Einrichtung mitten im Vulkanbereich, wobei mir die Idee auf der ersten Verstandsaufnahme unsinnig vorkam, die der zunächst folgenden Überlegung politisch und wissenschaftlich eine rudimentäre Problembewältigung erzeugte. Oder der Knast auf der Bergspitze des übermäßig steilen Souskhy-Gebirges im nördlichen Finnland. Nicht nur, dass Entflohenen ein tiefer Absturz in die Gletscherspalten drohte; es wimmelte von Schneestürmen in unermesslichen Gewaltorgien.
Jetzt wusste ich nicht einmal, ob es erst drei Uhr war oder halb fünf. Also rechnete ich damit, dass jederzeit die Tür sich öffnete. Plötzlich kam Schüttelfrost auf, die zu Krämpfen mutierten. Eine bizarre Form vom Hyperventilieren. Man kam sich vor wie im Krankenhaus, wo man im Dunkeln verweilte und auf das grelle Licht im Korridor starrte. Wie zum Teufel sollte man da vernünftig schlafen, ohne sich die Zähne zusammenzubeißen? Das Licht einfach wegzudenken, konnte einfach nicht funktionieren. Im Augenblick waren die Schmerzen unerträglich. Ich wollte schreien, aber nicht einmal dazu war ich fähig. Jeder Muskel, egal welcher, schien eine Blockade zu besitzen. So fragte ich mich, wie lange ich sämtliche Torturen durchstehen sollte. Die Insassen jedoch waren alles andere als herzlich, zumindest war es mein erster Eindruck. Aber man kann sich auch irren, dachte ich und hoffte hinterher, dass ich noch wenige Stunden benötigen konnte, um meine Schmerzen zu zügeln. Dann schlief ich von selbst wieder ein, weil die Müdigkeit letzten Endes doch stärker wurde.
Als ich aufwachte, fiel mir auf, dass meine Hände das Gesicht bedeckten, und die Schmerzen waren gelindert. Das einzigste, was mich noch belastete, war mein Muskelkater, aber eine schwere Last schien sich von meinen Körper gelöst zu haben, um sich aus dem Staub zu machen, wie eine Flughund, der nach dem Aussaugen des betroffenen Tieres zufriedengestellt wurde, und somit die Arbeit erledigt war.
Ich durfte wie am zweiten Tag als Aufleger tätig sein. Es lief einfacher für mich, da ich heute zufällig die leichteren Packstücke abbekam. Viele Insassen taten sich der Heimatsprache schwer und unterhielten sich gebrochen, und das natürlich ungern. Ab und zu richtete mein Blick auf den häufig vorbeifahrenden Harley Bozkurt, ein immer (oder fast immer) gut gelaunter Insasse, mit dem man ständig faule Witze reißen konnte. Er lud unter anderem die LKWs leer und kannte seine feste Tätigkeit im Schlaf. Ich fragte mich, wie manch einer (selten einer) richtig gute Laune besitzen durfte. Es war deutlich, dass seine Laune nicht gekünstelt oder aufgezwungen war; zu dem Zeitpunkt wusste ich ja nicht, dass dieser noch Jungfrau war. Ann war heute ziemlich beschäftigt. Der ganze Kleinkram füllte sich in Scharen. Sie fluchte dennoch überhaupt nicht.
Wenige Stunden vergingen, da entstand eine kleine Abteilungsversammlung. Da ich dies erst nach einer Weile bemerkte, brach ich die Arbeit als letztes ab. Troy hatte das absolute Gefühl, als müsse er von nun an ein anderes Leben führen.
Eines, das ihm nicht gefiel.
„Ich muss leider die traurige Nachricht überbringen, dass eine aus dem Lager, Despina Paticchi, von uns gegangen ist“, sagte der höher gestellte Abteilungsleiter, Mr. Muncke, der außerdem der Oberste vom Fahrdienst war. Hier in dieser Abteilung war er das Gesetz. Wenn er Regeln aufstellte, dann nach eigenem Sinn und Stil. Natürlich war es seine Pflicht, Mr. Siegel und Mr. Vopen zu informieren und die durften dann entscheiden, ob es legalisierbar war oder doch schädigend.
„Sie war gestern auf dem Weg zur Post, als es zu einer Kollision zwischen PKW und LKW kam. Es tut mir leid für sie. Sie war eine gute Mitarbeiterin, die mit bestem Gewissen uns weitergeholfen hatte. Es ist jedenfalls schade.“
Er senkte den Kopf, hob ihn anschließend wieder und löste die Versammlung auf. Er verließ uns, als ob sein Bedauern nur gespielt war. Das war nicht das Beunruhigende. Troy war plötzlich ein anderer geworden. Nicht mehr zu Späßen aufgelegt. Nein, die Späße waren zu ihm aufgelegt, um scherzhaft ein Wrack aus ihm zu machen. Er sprach seitdem kein Wort mehr zu irgendeinem. Selbst seiner Schwester wich er ständig aus. Ansonsten verging der Tag recht schnell. Ich hatte noch keinen, dem etwas an mir lag. Also musste ich mich mit der Außenseiterrolle abfinden. Und diese abzulegen war eine schier unwahrscheinliche Aufgabe. Denn die Außenseiterrolle war mir ins Gesicht geschrieben wie ein wasserfester Stempel, der sogar parfumresistent war.
Was hatte ich überhaupt vorzuweisen? Wenn ich meine Geschichte erzählen würde, vorausgesetzt mir höre jemand zu, gab es trotzdem Leute, die das alles als aus der Luft gegriffene Phantastereien betrachteten. Entweder waren die Insassen in sich selbst verliebt oder depressiv genug, dass sie nur ihre Zeit absaßen und auf ihre Freiheit hofften.
Tag 5
Man konnte durch vielen Dingen wach werden. Grelles Licht, polternde Geräusche (manchmal auch durch Piepser, je nachdem, wie erregt der Mensch war), ein Krampf im Bein, Juckreiz, seltsame Gerüche, Atemnot oder trockener Kehle.
Bei dieser Ausnahme handelte es sich um... eine Sauna? Wie war das möglich? In unserer Etage gab es so etwas nicht. Wir befanden uns im Anfangsstadium und so ein Luxus wäre absolute Lichtjahre entfernt. Einerseits freute ich mich über die Wärme, auf die ich sehnsüchtig wartete, andererseits spürte ich Unheil über uns ziehen. Meine Armbanduhr zeigte drei Uhr morgens an und da ich zu schlaff war und mich nicht traute, nach dem rechten zu sehen, hielt ich es für besser, nicht weiter darüber nachzudenken. Doch leider kam es mir vor, dass eine ungezügelte Kraft dafür Sorge trug, meinen Wissensdurst zu stillen.
Die Tür war nicht abgeschlossen, warum auch? Eine Flucht war dennoch als schier unmöglich zu bezeichnen. Der Korridor war von zwei Wärtern besetzt. Seit einer halben Stunde hörte ich trotzdem keine Schritte hin und her marschieren. Was immer auch diese dämpfende Hitze erzeugte, es ließ mir keine Ruhe. Darum musste ich einfach mal die feindliche Linie überqueren.
Der Gang glich einer Waschküche und ich bewegte mich auf dem Duschraum zu, den wir morgens gemeinsam nutzten. Beim Betreten des Raumes ahnte ich Schreckliches und dies wurde zur grausamen Realität.
Troy, den ich schon am späten Nachmittag zuvor vermisste, lag durchnässt und blutend in der Ecke, während das Wasser des Duschkopfes über ihm strömte und das Blut nur so auf dieser Pfütze vermischte. Neben ihm lag ein Teppichmesser, das dazu diente, sich
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 12.09.2017
ISBN: 978-3-7438-3248-0
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